Einleitung und Leitgedanke der Bibelstunde
Vergeben Sie mir, wenn ich heute für diese Bibelstunde nur einen kurzen Text wähle. Ich bin ein schwacher Mensch. Wenn ich die Schaufel zu voll nehme, bekomme ich sie nicht wieder hoch. Deshalb der Lehrtext für den heutigen Tag aus dem Losungsbüchlein:
„Dann werden Sie den Menschensohn sehen kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit“ (Lukas 21).
Sie werden den Menschensohn sehen kommen in großer Kraft und Herrlichkeit.
Wenn Jesus spricht, hat jedes kleine Wort eine Bedeutung. Man könnte über jedes einzelne Wort eine eigene Bibelstunde oder sogar eine ganze Bibelstundenreihe halten.
Die Wolke ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass der unsichtbare Gott in unsere Atmosphäre eintritt.
Mit großer Kraft und Herrlichkeit wird der kommen, der sich für uns erniedrigt hat.
Von dem Kommen Jesu könnte man ganze Seminarreihen gestalten. Aber wichtig ist hier einmal: Sie werden sehen den Menschensohn kommen.
Die Bedeutung des Sehens im Glauben
Wenn Sie in diesen Tagen die Bibelworte im Losungsbüchlein gelesen haben, dann geht es darin immer um das Sehen. Zum Beispiel heißt es: „Ihr werdet mich sehen, den ihr durchbohrt habt“ (gestern Losung). Und im Wochenspruch steht: „Seht auf und erhebt eure Häupter.“ Schwäbisch gesagt: „Guggedau“, hochdeutsch: „Guck mal“. So spricht die Bibel immer wieder.
Unser Glaube ist doch nicht nur ein Gedankengebäude. Vielmehr heißt es: Mach die Augen auf! Da kannst du etwas blicken, da kannst du Durchblicke bekommen für das, was Gott in dieser Welt gewirkt hat, was er bis heute tut und was er noch schaffen wird. Mach die Augen auf, siehe!
Den Aposteln war das wichtig. Sie sagten: Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat, das haben wir mit unseren Augen gesehen und unsere Hände haben es betastet. Gegen alle Zweifel an dem auferstandenen Jesus hat der Apostel Paulus gesagt: „Ich habe den Herrn gesehen, dort vor Damaskus.“
„Siehe, das ist Gottes Lamm.“ „Siehe, dein König kommt zu dir.“ „Seht auf und erhebt eure Häupter!“ „Siehe, da tat sich der Himmel auf.“ „Siehe, ich bin bei euch alle Tage!“
Hier heißt es nun: Sie alle werden den Menschensohn Jesus kommen sehen. Ich bin immer wieder versucht, mir vorzustellen, wie das sein wird, wenn Jesus in Kraft und Herrlichkeit kommen wird.
Wir werden garantiert nicht einfach nur dastehen, die Hände reiben und sagen: „Na siehste, so wichtig war Jesus, und du hast es nicht begriffen.“ Nein, uns werden die Tränen in die Augen schießen, wenn die Menschen uns anklagen und sagen: „Ihr habt doch gewusst, wie wichtig Jesus ist! Warum habt ihr uns das nicht viel deutlicher gesagt? Warum habt ihr uns nicht geschüttelt und gesagt: ‚Jesus kommt in Kraft und Herrlichkeit, stellt euch auf ihn ein!‘ Warum habt ihr das wie eine geheime Verschlusssache bei euch behalten? Wir sind doch auch Menschen!“
In der Bibel steht die heilsame Gnade Gottes: Jesus ist in Person erschienen. Den frommen Menschen steht das so drin. Na ja, wie steht es drin? Für alle! Ihr seid doch bibeltreue Leute! Warum habt ihr es uns, den Nachbarn, den Verwandten, nicht noch viel deutlicher gesagt, dass die heilsame Gnade Gottes für alle Menschen da ist?
Sie werden uns völlig zu Recht anklagen. Der Täufer Johannes hat gesagt: „Alles Fleisch, alle Menschen sollen den Heiland Gottes sehen.“ Nicht erst am jüngsten Tag, sondern ihnen soll jetzt etwas deutlich werden von Jesus.
Der Menschensohn – ein zentraler Titel Jesu
Aber jetzt gestatten Sie mir, dass ich neben diesem Wörtchen besonders diesen Titel herausgreife, den Jesus so gerne benutzt hat, wenn er von sich selbst sprach: ich, der Menschensohn.
Die Theologen haben daraus ein gewaltiges Mysterium gemacht, einen undurchdringlichen Dschungel. Wir wollen uns heute die Mühe ersparen, mit der Machete zu versuchen, uns durch diesen Dschungel hindurchzuarbeiten. Man braucht das auch nicht. Die Bibel ist für einfältige Leute wie mich und Sie geschrieben. Und die Bibel erklärt die Bibel.
Wir brauchen keine religionsgeschichtlichen Wälzer, um die Bibel zu verstehen. Die Bibel wird durch die Bibel erklärt.
Galater 4,4: Als die Zeit erfüllt war – auf dem Höhepunkt, muss man Atem anhalten – erfüllte Zeit.
Professor Hengel hat einmal in Tübingen gesagt: Wenn es überhaupt eine Zeit in der Weltgeschichte gab, in der Jesus idealerweise hätte kommen können, dann war es diese Zeit. Hundert Jahre Frieden, kein Krieg, das römische Weltreich, eine Sprache, in der die Botschaft verkündigt werden konnte, ein Hunger nach einem Heiland.
Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, von einer Frau geboren, wie die meisten von uns. Das Menschsein bedeutet, dass wir eine Mutter haben, vom Weibe geboren, damit er uns, die wir Menschen sind, erlöste.
Das ist komprimiert bei Jesus in dem Begriff „Menschensohn“. Nicht wie heute oft nachgeschwatzt wird von einer Theologin, die ihn ein bisschen aufs Podest gehoben hat: Jesus war Mensch, nichts als Mensch. Nein, er war der Sohn Gottes, gesandt.
Galater 4,4: Sandte seinen Sohn, und er blieb der Sohn Gottes. Er ist gekommen aus der Welt Gottes.
Denken Sie an die vielen Worte Jesu, in denen er von sich selbst als Menschensohn spricht. Der Menschensohn ist gekommen, und er isst und trinkt wie ein normaler Mensch. Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Wissen Sie noch so ein Wort? Der Menschensohn ist nicht gekommen, damit er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe zur Erlösung für viele.
Der Menschensohn ist nicht einfach so wie wir. Wir sind nicht gekommen, wir sind geboren. Aber er, der Menschensohn, ist vom Vater gesandt, gekommen in unsere Welt als der Sohn Gottes, hat aber ganz Menschengestalt angenommen.
Jesus als Beispiel für menschliche Demut und Nähe
Lassen Sie mich ein Beispiel klar machen: Der große Indienmissionar Hermann Mögling, der vor 150 Jahren nach Indien ausgesandt wurde, litt darunter, dass die ersten Basler Missionare in Mangalore und Voswar unter primitivsten Verhältnissen lebten. Sie wohnten in Bambushütten, trugen jedoch europäische Kleidung und versuchten, ihren Reis ein wenig nach europäischer Weise essfähig zu machen. Dadurch lebten sie meilenweit über dem Lebensstandard der einfachen Inder.
Mögling machte den Vorschlag, dass die Mission die ohnehin mageren Zuweisungen an die Missionare einstellen solle und dass die Missionare versuchen sollten, wie die Inder zu leben – den Indern ein Inder werden. Als die Missionare jedoch sagten, das sei nicht möglich, da sonst die Missionarskinder zugrunde gingen, also ein bisschen Unterstützung notwendig sei, damit sie nicht feudal leben, trat Hermann Mögling für einige Zeit aus der Basler Mission aus.
Er sagte: „Ich will kein Geld von der Heimat, ich will so primitiv wie möglich leben unter den Parias, unter den Ärmsten der Armen.“ Doch gesundheitlich war er so am Ende, dass er merkte: „Ich kann es gar nicht, ich bin europäischen Lebensstil gewöhnt, ich kann mich gar nicht auf diese unterste Stufe stellen.“
Jesus ist auf die unterste Stufe gegangen. Damit wurde erfüllt, was in Jesaja 52 steht: Er war verachteter als alle Menschenkinder, der allerverachtetste und unwerteste. Niemand sagte: „Ha, das ist doch nicht ganz ein Mensch, das ist ein bisschen höher.“ Im Gegenteil: Sie sagten, das ist doch ein ganz normaler Mensch, der aus dem Zimmermannsgesellenstand kommt. Joseph ist doch sein Vater. Was will der uns predigen? Wie kann es sein, dass er Stürme stillt? Wie kann es sein, dass er Sünden vergibt? Das ist doch bloß ein Mensch.
Ganz klar ist, dass er, der Sohn Gottes, gekommen ist, um für uns da zu sein. Der Hebräerbrief sagt, dass er uns als seine Brüder und Schwestern von Gott verkündigt. Psalm 22 sagt: „Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern in der großen Gemeinde.“ Die Schwestern sind damit mitgemeint.
Er hat Fleisch und Blut angenommen – das ist eine durchgehende Linie in der Bibel (Hebräer 2). Damit hat er durch seinen Tod, den er durchgestanden hat, uns erlöst, die wir durch die Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein müssen.
Er ist ganz einer von uns geworden. Damit wird deutlich, wo die Rettungsaktion Gottes vor Anker gehen soll, wohin die Rettungsexpedition Gottes gezielt war: bei uns Menschen, bei uns Menschen von Haut und Haar.
Die Bedeutung des Menschseins Jesu für die Gläubigen
Noch am Jüngsten Tag, wenn die Menschen Jesus in großer Kraft und Herrlichkeit kommen sehen, will Jesus nichts anderes sein – nicht der König, der Strahlende. Sie werden den Menschensohn sehen.
Ihr Christen, er hat doch ein Menschenantlitz angenommen, ein Menschenwesen, weil er auch für uns da ist. Wir sind doch die Adressaten. Warum habt ihr es uns nicht klarer gesagt? Das Licht des Jüngsten Tages, wenn alle Welt zusammenbricht, wird das Wichtigste sein: Jesus, der heilende Mensch.
Jesus Christus, wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, ist mein Herr. So heißt es in Luthers Auslegung zum Glaubensbekenntnis: „Von der Maria geboren“ – er hatte eine Mutter wie wir.
Das war nicht bloß für 33 Jahre unserer Weltgeschichte eine Episode. Das Menschsein Jesu war nicht bloß das Expeditionsoutfit Jesu, das er schnell wieder ablegte, damit er noch in Ewigkeit daran erkannt wird, dass sein Staats- und Ehrengewand der Menschensohn ist, der ewige Sohn, der für die Menschen gekommen ist, der Menschen zu Brüdern und Schwestern machen wollte. Er versteht uns Menschen.
Als Doktor Rolf Hillem Fikar in Schörndorf war, hat er schon so wissenschaftlich geredet, wie er es heute auch noch kann. Das bringe ich gar nicht so fertig. Trotzdem hat eines Tages ein Arbeiter aus der Firma Arnold ziemlich scharf zu mir gesagt, mit blitzenden Augen: „Herr Chefbuch, ich weiß nicht, woher er kommt, aber der versteht uns, der kommt sicher von Fabrikler.“ „Sie verstehen uns nicht, Sie sind typischer Beamtensohn, aber der versteht uns.“ Das kann man nicht machen.
So ist Jesus Mensch geworden, einer von uns, damit wir begreifen: Einer versteht uns. Er versteht uns durch und durch. Er hatte einen Körper wie wir, mit Haut und Haar. Er weiß, wie es einer Achtzehnjährigen zumute ist und einem Fünfundzwanzigjährigen.
Er hat es miterlebt, als Zimmermannssohn, wie das ist, wenn einer ein Haus zu bauen anfängt und plötzlich stecken bleibt, weil die Finanzen nicht reichen. Er hat miterlebt, wie es einer Schwangeren und Gebärenden ist – die Angst vor der Geburt, die große Freude danach, wenn das Kind zur Welt geboren ist.
Ach, liebe Brüder und Schwestern, wenn uns einer versteht, dann dieser Jesus, der Mensch wurde. Er wusste, was Erfolglosigkeit ist. Er weiß, wie unser Gespür für Gott, unser Hunger nach „Oh Gott“, oft verleugnet ist, schwäbisch eingetrocknet, eingedörrt, so dass es uns gar nicht unbedingt nach dem Beten verlangt, dass es zur Routine wird.
Es jammerte ihn des Volks, denn sie waren verschmachtet für Gott. Das kennt der Herr Jesus. Er kennt unseren Egoismus, unseren Hunger nach ein bisschen Anerkennung, unsere Anfälligkeit für den Bösen.
Selbst wenn der böse Geist ausgetrieben ist, nimmt er sieben andere Geister, die böser sind als er, und kommt wieder. Er kennt unsere Schläfrigkeit, dass die größte Evangelisation gewesen sein kann und dass es sein kann wie bei den Jüngern im Garten Gethsemane – die geschwind wachgemacht werden und dann wieder einschlafen, denen die Augen zufallen.
Der Menschensohn, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte, weiß, wie es uns verlangt, an einer Stelle unserer Welt Heimat zu haben, Bergung, wo wir zu Hause sind.
In unserer Welt nimmt es zu, dass Menschen zerfressen sind von Minderwertigkeitskomplexen: „Bin ja nichts wert, bin ja für keinen Menschen interessant.“ Wer in der Seelsorge ist, weiß, dass mehr Menschen, als wir es für möglich halten, eigentlich empört sind: „Um mich kümmert sich kein Schwein.“
Entschuldigung, wenn ich das Wort benutze. Als Ulrich Parzany das gesagt hat, kamen so viele Faxe zurück aus Württemberg: „Also schlimm, wenn ein Evangelist uns rät, ein Schwein zu sein.“ Die haben gar nicht begriffen, dass das also ein moderner Schlager ist.
Es gibt Leute, die sagen: „Um mich kümmert sich nicht einer.“ Da fragen sie wohl: „Wie geht es dir?“ Aber hören schon wieder weg, haben keine Minute Zeit danach zu fragen, wie es mir wirklich geht.
Und was sagen wir darauf? Ach ja, ich will an dich denken. Kommt es uns eigentlich als religiöses Tralala vor, wenn wir sagen würden: „Oh, es tut mir leid, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie einsam du bist. Und ich weiß auch jetzt keinen Rat, aber eins möchte ich dir sagen: Wenn dich einer versteht, wenn du einem wichtig bist, dann Jesus.“
Er ist Mensch geworden, damit jeder Mensch weiß: Es gibt nicht einen einzigen, der diesem Jesus, dem Menschensohn, nebensächlich ist. Er nimmt an dir Anteil, wie noch nicht mal die beste Mutter an dir Anteil nehmen kann.
Er versteht, wie es Menschen zumute ist, die ausgestoßen sind, einsam und verachtet. Er kann das verstehen.
Umgang mit Selbstbild und Gottes Vergebung
Es gibt Psychologen, die uns heute raten, wenn wir deprimiert sind und vor dem Spiegel stehen, um an uns zu zweifeln – zum Beispiel, wenn wir denken, meine Nase könnte gerader sein oder ein paar Haare mehr wären schön –, dann sollen wir vor dem Spiegel stehen und sagen: „Ich bin schön, ich bin liebenswert, ich bin gut.“
Bei mir wäre das sowieso verlogen. Ich spiele genug Schmierenkomödie vor anderen Menschen und oft genug auch vor Gott. Es wäre doch lächerlich, wenn ich auch noch vor mir selbst Schmierenkomödie spielen würde. Nein, ich bin so, wie ich bin, und ich verstehe, dass andere sich über den Stahl in meiner Stimme, in meinem Auftreten, in dem, wie ich mich gebe und was ich sage, ärgern.
Die meiste Seelsorge gab es dort, als Ulrich Parzany an einem Abend in Nürnberg sprach. Die Sendung wurde an 660 Orten ausgestrahlt, und man merkte, dass er von sich selbst sprach: „Wir Christen stehen oft unseren engsten Angehörigen im Glauben im Weg, mit der Art, wie wir sind.“ Das ist Ehrlichkeit, nicht wahr?
Ich rate nicht dazu, zu sagen: „Ich bin schön, ich bin gut, ich bin lebenswert.“ Stattdessen stellen Sie ein Bild von Jesus auf Ihren Nachttisch. Zurzeit gibt es so viele Bilder, und auch Verlage schicken Prospekte. Nehmen Sie ein Jesusbild, egal ob kitschig oder klassisch, reißen Sie es heraus – es gibt genug Varianten, mit Bart oder ohne Bart – und kleben Sie es links oben an den Spiegel als Erinnerung.
So war er ein Mensch von Fleisch und Blut, dem ich, ein Mensch von Fleisch und Blut, wichtig bin. Das soll eine dauernde Erinnerung sein. Und wenn ich selbst verrückt werden könnte, weil ich mich nicht mehr ansehen kann wegen der Dummheiten, die ich gemacht habe, dann hat er mich längst verstanden und mir vergeben. Wenn ich mich selbst anspucken könnte, hat er das Anspeien auf sich genommen – für dich – damit du einen Wert hättest im Himmel.
Wenn ich mich selbst ohrfeigen könnte wegen der Dummheiten, die ich gemacht habe, dann hat er sich ohrfeigen lassen für dich. Er, der Mensch wurde, damit die Dummheit aller Menschen von ihm zurechtgebracht wird. Für uns gibt es den Heiland Gottes, den Menschensohn.
Verstehen Sie, warum der Herr Jesus gern diesen Begriff für sich gebraucht hat: den Sohn Gottes, gesandt für uns bedürftige Menschen, der mich liebt und der mich kennt. Es gibt einen Heiland, in dem die ganze Menschenfreundlichkeit Gottes und die ganze Menschenliebe Gottes sichtbar wird. So steht es im Titus 3.
Lied und Erhöhung des Menschensohnes
Jetzt singen wir zwischendurch drei Verse. Wenn Sie danach noch können, bitte ich um weitere zehn Minuten. Ansonsten machen Sie ein Schläfchen.
Aber jetzt singen wir das Lied Nr. 136: "Freue dich, Welt, dein König naht, mach deine Tore weit." Es ist eines der herrlichsten Adventslieder, die es in der angelsächsischen Welt gibt: "Joy to the world, the Lord is come." Wer Englisch singen möchte, darf das gerne tun. Wir singen die drei Verse, die Engländer müssen dann eben nach dem dritten aufhören.
Hellwach werden Sie sehen: Der Menschensohn kommt in großer Kraft und Herrlichkeit. Das hat Jesus so oft gesagt: Der Menschensohn muss erhöht werden. Sie werden sehen, wie der Menschensohn erhöht wird. Am eindeutigsten steht das in den Prozessakten über Jesu Verhör vor dem Synhedrium, dem Parlament Israels. Dort heißt es: "Von nun an werdet ihr sehen, wie der Menschensohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzt und auf den Wolken des Himmels kommt."
Das fasst zusammen, was in Daniel 7 steht: Es wird einer aus der Menschenwelt erhöht zu Gott. Für die erste Christenheit war das sogar die Hauptsache. Wenn wir heute fragen, was die Hauptsache im Christenglauben ist, sagen wir meist Vergebung, und das ist auch wichtig.
Im Hebräerbrief 8 steht, das ist nun die Hauptsache von allem, was wir reden: Wir haben einen Hohen Priester, der sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat. Er ist immer für uns da und tritt für uns ein. Im Römerbrief 8 heißt es, er ist vor dem Vater und tritt für uns ein. Im ersten Johannesbrief 2, wenn wir sündigen, haben wir einen Fürsprecher beim Vater: Jesus, der gerecht ist.
Wir sind manchmal ein wenig neidisch auf diejenigen, die sagen: "Ich habe in jedem Ministerium eine Väterle, die sorgt schon dafür, dass es gut läuft." In Württemberg sagen viele: "Wenn ich mal zufällig geblitzt wurde, obwohl ich nur 80 gefahren bin – gut, es waren 50 angekündigt –, aber schließlich haben wir auch noch einen frommen Rechtsanwalt, Herrn Doktor Seiter, der wird es schon richten."
Wir haben noch viel mehr als unseren lieben Freund Doktor Oswald Seiter. Wenn wir sündigen, haben wir einen Fürsprecher beim Vater: Jesus, der gerecht ist und für uns eintritt. Bevor ich heute Morgen mein erstes Gebet stammelte, hat auch er gebetet: "Vater, denk doch an den Chefbuch, bewahre ihn vor seiner eigenen Torheit und gib ihm heute Morgen in Korntal ein Wort mit."
All unser schwaches Beten, unsere Stoßseufzer sind doch nur ein Einklinken in das dauernde Beten Jesu für uns. Wir müssen nicht mehr, wie es andere Religionen meinen, den Himmel stürmen oder an die Tore des Himmels pochen, damit Gott aufwacht. Der Herr Jesus betet doch längst für uns.
Für alle Menschen würde er so gern beten. Ich verstehe, dass in manchen Religionen die Fürbitter, auch im Buddhismus, Hinduismus oder der katholischen Kirche, eine große Rolle spielen – Josef, Andreas oder wer es auch ist. Wir Menschen haben einen Hunger: Ich selbst kann mich doch nicht zu Gott wagen, aber es gibt doch Leute, die würdiger sind, vielleicht können die ein Wort für mich einlegen.
Wir haben noch viel mehr: Jesus, den Gerechten, der für uns eintritt. Er würde am liebsten für die ganze Welt eintreten, für jeden, der ein Menschenanlitz trägt. Wenn wir es deutlich machen: "Ich brauche es." Als ich einst in die Sonntagsschule ging – damals sagte man noch nicht Kindergottesdienst – erzählte unser Stadtmissionar Vogelgesang eine Geschichte, über die wir lachten. Aber eigentlich war sie makaber und erschreckend.
Da war in den Zwanzigerjahren ein Student, Jurist, der offenbar mehr gefeiert als studiert hat. Er hatte Angst vor dem Examen, ob er es bestehen würde, und schrieb seiner Mutter und seinen Schwestern: "Betet auch für mich, es hilft bloß noch beten, dass ich durchkomme." Schließlich hat er das Examen bestanden und ganz glücklich telegrafiert – damals hat man noch telegrafiert, nicht gefaxt oder im Internet geschrieben –: "Examen bestanden, Gebet einstellen."
Sehen Sie, Sie lachen auch, aber es ist eigentlich schrecklich. Ich brauche das Beten nur, wenn ich selbst gerade nicht mehr durchkomme. Und der Herr Jesus möchte immer für mich beten. Aber es gibt Signale, die wir aussenden: "Herr Jesus, jetzt probiere ich es mal eine Zeit lang für mich allein." Der Unglaube, die Verachtung Jesu stellen das Beten ein.
Doch all unsere Stoßseufzer, wenn wir Namen nennen von Patenkindern oder Menschen, die uns einfallen – ich habe Ihnen hoch und heilig versprochen, an sie zu denken und Fürbitte für sie zu tun, wenn sie im Krankenhaus sind – wenn mir das einfällt, darf ich sagen: "Du, der Wolfgang, denk an den, und der Tobias, und lass den Frieder Trommer und den Ulrich Parzany, wenn sie jetzt am Ende sind, nicht allein." Ich darf Namen nennen, Situationen.
Dank: "Oh Herr Hill, wenn ich an bestimmte Kurven komme, sei du, oh lieber Herr, dass du mich damals vor dem Unfall bewahrt hast." Stoß, Seufzer, Stoß, Dank, Stoß, Bitte! Es ist ja bloß ein Signal: "Herr Jesus, mach weiter mit deinem Drandenken vor dem Vater für mich."
Die Tür zum Herzen Gottes muss nicht erst aufgestoßen werden. Auch in der Herrlichkeit, wenn Jesus als der Menschensohn erhöht ist, bleibt sein Herz uns Menschen zugeneigt. Es ist nicht so, dass er jetzt sagt: "Jetzt habe ich endlich diese Welt hinter mir, diese garstige Welt. Endlich kann ich lachen über all die Bosheit und Gemeinheit der Gottlosen." Nein, nein, er bewegt sich mit dem Schicksal der Menschen.
Deshalb dürfen Sie es jedem Menschen auf den Kopf zusagen: "Du, Jesus würde so gerne an dich denken, wenn du es ihm zulässt."
Jesus als Fürbitter und Fürsprecher
In meiner Seelsorge als Prälat war es mir immer wichtig, mit Landräten, Oberbürgermeistern und Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Ich fragte sie: „Was bewegt Sie?“ und dann: „Darf ich mit Ihnen beten?“ Das war nur ein kleines Zeichen. Der Herr Jesus würde es aber so gerne vor dem Vater bringen – all die schweren Belastungen der Verantwortlichen vor Gott. All das, was sie bewegt: ihre Kinder, Enkel, ihre Ehe und die Belastungen, ob sie sich recht benommen haben.
Jesus betet schon längst. Vielleicht ist das wichtigste Gebet, dass sie morgens sagen: „Jesus, ja, mach weiter!“ und abends: „Jesus, danke, dass ich eingebettet bin in deine Fürbitte.“ Der Menschensohn in der Herrlichkeit des Vaters.
Dann kommt der Tag, da Jesus wiederkommen wird als der Menschensohn. Sie werden den Menschensohn kommen sehen, in großer Kraft, aus der Wolke, aus der unsichtbaren Welt Gottes heraustreten. Er wird zwar auch den Kosmos heilen – von ihm heißt es ja auch, dass ihr wisst, dass der Menschensohn Herr über den Sabbat ist. Er wird in großen Welten Sabbat beginnen, wo einmal auch die ganze durcheinandergeratene Schöpfung, unser Kosmos, zurechtkommen wird.
Aber alle Aussagen, die wir von Jesus und den Aposteln über den Menschensohn haben, beziehen sich in erster Linie auf uns Menschen. Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen wird, dann wird der Menschensohn, der heute Macht hat, Sünden zu vergeben – auch meine Sünde, Ihre Sünde – in Anerkennung dieser Vergebung sagen: „Kommt her, mein Sohn, meine Tochter, kommt her, ihr Gesegneten des Herrn, jetzt seid ihr daheim.“
Das wird er tun, bevor die Schöpfung, der Kosmos, geheilt wird. Der Menschensohn, der gekommen ist, um zu dienen, wird uns, seine Mägde und Knechte, in den Dienst hineinnehmen. Oettinger hat einmal gesagt: „Wir sind doch nicht berufen zum ewigen Palmenschwingen und Halleluja-Singen, sondern zur priesterlichen Aufwartung vor dem Thron Gottes.“
Sein Name wird auf ihren Stirnen sein. Es wird auf ihrem Wesen deutlich werden, bis in die ganze Ausstrahlung hinein: Ich gehöre Gott. Das wird er tun, wenn der Menschensohn kommen wird.
Hoffnung auf Verklärung und Erneuerung
Liebe Freunde, ich möchte zu denen gehören, bei denen das geschieht: mit ihm herrschen und mit ihm leben. Der Menschensohn, der drei Tage im Schoß der Erde war und dann von Gott erhöht wurde, wird bei den Seinen wahrmachen, was der Apostel Paulus gesagt hat. Er wird unseren vergänglichen Leib verklären – mit den Schmerzen der Bandscheibe, mit der mangelnden Durchblutung im Bein, mit dem Zahnweh. Unser Leib ist vergänglich, eine Ruine, ein Torso. Auch mein Gedächtnis, wenn ich mich frage: Wie heißt er nochmal? – all das wird er verklären und verwandeln.
Früher hieß es, wir würden seinem verklärten Leib ähnlich werden. In der Neuen Übersetzung steht völlig richtig: Wir werden ihm gleich sein, wenn der Menschensohn in der Herrlichkeit kommt. Dann wird er für sein Volk Unvorstellbares tun.
Der Menschensohn, der heute noch seinen guten Samen aussät. Liebe Schwestern und Brüder, ich erinnere mich in diesen Tagen oft an das Wort des Evangelisten und Jugendfahrers Wilhelm Busch. Er sagte einmal, vielleicht stehen wir mitten in einer Erweckung und merken es noch nicht einmal.
Ich habe den Eindruck, wenn ich durch Württemberg gehe – gut, dort gibt es viel Tod und viel verbrannte Erde. Aber es gibt auch erstaunlich viel Leben, so viel Ausstreuen des Evangeliums. Vielleicht sind wir tatsächlich mitten in einer Erweckung. Der Menschensohn streut in großer Geduld seinen Samen aus, und dann wird er seine Engel senden, um die Ernte einzuholen.
Der Menschensohn, der einst in Johannes 9 stets beschrieben wurde, hat dem Blinden die Augen geöffnet. Dann fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? Und der Blinde antwortete: Entschuldigung, wer ist das, dass ich an ihn glauben soll? Der Menschensohn sagte: Ich bin es, der mit dir redet.
Der Blinde, der vorher sein Leben lang noch nie richtig etwas gesehen hatte, sieht plötzlich wichtiger als all die Bäume und die Kumuluswolken – ihn. Der Menschensohn, der so den Blinden die Augen geöffnet hat, wird eines Tages die Tränen von unseren Augen abwischen. Diese Tränen, die uns in die Augen getrieben wurden, wenn andere sagten: Ihr habt doch gewusst, wie wichtig Jesus ist, warum habt ihr es uns nicht gesagt?
Damit wir nur noch eines klar sehen: Ihn, den Heiland aller Menschen, unseren Heiland.
Schlussgebet und Dank
Des Menschen Sohn wird in Herrlichkeit kommen, in einer Wolke, in großer Kraft und Herrlichkeit. Herr Jesus, mach uns bereit für dein Kommen, damit wir zu denen gehören, über die du mit Recht sagen kannst: Kommt her, ihr Gesegneten des Herrn, erbt das Reich, das für euch bereitet ist.
Wir danken dir für all die Demütigung, die du auf dich genommen hast, für alle Entbehrungen, für das Verschmachten und das Alleinsein. Damit wolltest du deutlich machen: Wir sind gemeint, und es gibt keinen, der der letzte Vergessene ist. Du kennst jeden Einzelnen.
Lass uns das ernst nehmen, dass diese Würde über unserem Leben liegt. Gib uns, dass wir nichts anderes wollen, als jetzt ganz eng mit dir verbunden zu sein, damit diese Verbundenheit durch den Tod hindurch bis zu diesem letzten Tag gilt.
Ich bin dein, sprich zu mir: Dein armer, treuer Jesu, du bist mein! Amen!