Wir kommen nun zu dem großen Abschnitt im Römerbrief, Kapitel 3. Die Briefe des Apostels Paulus sind oft schwer zu verstehen. Dennoch haben die Worte, die wir heute betrachten wollen, auch manchen Künstler inspiriert.
Wenn man das Ulmer Münster, diese schöne Kathedrale, betritt, sieht man gleich links nach dem Mesnerportal ein Gemälde an der Wand. Dieses Bild wird von den meisten Besuchern übersehen. Es stammt von Bartholomäus Zeitblom, einem Zeitgenossen der Reformation. Darauf ist Gott Vater zu sehen.
Manche Menschen sagen, man dürfe Gott nicht darstellen, besonders nicht so, dass er dem gekreuzigten Jesus entgegenhält. Dort steht Jesus da, und Gott zeigt ihn dem Betrachter mit der Geste: „Schau! So viel bist du mir wert.“ Dieses Motiv wurde immer wieder von Künstlern im Mittelalter aufgegriffen.
Wenn wir den Römerbrief Kapitel 3 aufschlagen, finden wir in der Mitte dieses Kapitels einen wichtigen Vers: Vers 21. Dort heißt es: „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden.“ Dieser Gedanke mündet in Vers 25, wo es heißt, dass Jesus, der erlöst hat, von Gott für den Glauben hingestellt wurde „in seinem Blut“.
Das wollten die Künstler darstellen: Gott hat diesen Jesus in seinem Blut für euch dargestellt, damit euer Glaube daran fest werden kann. Euer Glaube soll sich an diesem Opfer festmachen können.
Die Herausforderung der Übersetzung und Bedeutung des Glaubens
Es gibt einen Abschnitt in Römer 3,21 und den folgenden Versen, der fast unmöglich zu übersetzen ist. Deshalb bringt immer wieder eine der vielen neuen Übersetzungen einen ehrenhaften Versuch, die Bibel ins Deutsche zu übertragen. Das ist lobenswert, aber auch schwierig, weil die deutsche Sprache immer ärmer wird – höchstens noch angereichert durch einige englische Begriffe.
Unser Bundeskanzler Adenauer kam mit 200 Worten aus. Für die Katrin wäre das ganz einfach nichts gewesen. Mit 200 deutschen Worten hat er seine gesamte politische Wissenschaft bestritten. Wenn man sich bei jungen Leuten die Sprache anhört – außer „geil“ und „stark“ oder Ähnlichem – wissen sie oft gar nicht mehr viel.
Es ist schwierig, wenn unsere Sprache verarmt, die Bibel mit dem Reichtum ihrer Sprache richtig wiederzugeben. Denn dann sagen die jungen Leute: Das ist ein Begriff, den ich nicht verstehe, der ist veraltet oder sogar tot. Deshalb schlage ich immer wieder einmal bei modernen Übersetzungen nach. Wenn wir das geschafft haben, ist das für mich der Test.
Ich lese Ihnen nun vor, wie Walter Jens, der große Rhetoriker und Sprachprofessor von Tübingen, Römer 3,21 und folgende übersetzt hat. Sie können es in Ihrer Bibel verfolgen, sei es im Luthertext oder in der Guten Nachricht.
„Jetzt aber, ihr Schwestern und Brüder in Rom, ist unabhängig vom Gesetz Gottes Gerechtigkeit, wie es die Schriften bezeugen, ans Licht getreten. Seine Gerechtigkeit erfahren alle, die im Glauben an Jesus Christus ihm vertrauen. Die alte Zeit ist vergangen. Alle, ohne Unterschied, haben einmal gesündigt – Juden und Christen. Alle haben Gott die Ehre verweigert, die ihm gebührt. Aber nun werden alle ohne ihr Verdienst durch Gottes Gnade zu Gerechten, dank der Erlösung durch Jesus Christus, der sein Blut für uns vergossen hat zur Vergebung der Sünden.
Jesus Christus ist ein Versöhnungsmahl, das zwischen Erde und Himmel allen Menschen zeigt: Gott kann vergeben.“
Das ist eine gewaltig große Sprache, kurze Sätze. Mich hat das überzeugt, wie Walter Jens – der selbst gar kein Christ sein will, aber von der biblischen Sprache gepackt war – den Römerbrief übersetzt hat.
Ich wollte Ihnen damit etwas deutlich machen: Für mich ist dieser große Abschnitt, der schwierig zu verstehen und schwer zu übersetzen ist, ein Beispiel dafür, wie moderne Übersetzer ihn gestalten.
Rückblick auf zentrale Fragen aus Römer 1 und 2
Bevor wir mit Römer Kapitel drei weitermachen, müssen wir noch etwas zurückgehen, denn es gab zwei Fragen. Wir hatten gemeinsam Römer 1 gelesen, wo steht, dass Gott sie dahingegeben hat. In Römer 1,24 heißt es: „Darum hat sie Gott in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben.“ Was bedeutet das eigentlich?
Sehen Sie, das ist wieder so ein Begriff, bei dem gerade junge Leute oft fragen: Was heißt denn „dahingegeben“? Das benutzen wir heute kaum noch in unserer Sprache.
Vor etwa vier Wochen war ich in Südrussland, in der Ukraine, auf der Krim. Dort traf ich eine alte Dame, die als junges Mädchen in der Ukraine lebte und nun noch einmal die alten Stätten besuchen wollte. Plötzlich sagte sie zu mir: „Oh, Herr Schäffbuch, Sie ahnen nicht, wir waren da hingegeben. Wir waren da hingegeben.“
Dann erzählte sie, wie 1928 Stalin die Bauern wegschickte, sie nach Sibirien verschleppte und die Familien zurückließ. Danach kamen harte Auflagen bei den Getreideablieferungen – mehr als die Landwirtschaft überhaupt produzieren konnte. Aus Angst vor dem stalinistischen Regime gaben sie mehr ab, als sie eigentlich konnten. In den Jahren 1932 und 1933 verhungerten drei bis vier Millionen Menschen in der Ukraine, der Kornkammer Russlands.
Sie sagte: „Wir waren dahingegeben.“ 1941, nachdem die deutsche Armee kam, wurden sie alle nach Sibirien abtransportiert. Für sie bedeutete „dahingegeben“: Niemand hat sich nach uns erkundigt. Niemand hat sich für uns eingesetzt. Wir wurden behandelt wie der letzte Dreck. Man hat uns unserem Schicksal überlassen.
Verstehen Sie, das ist „dahingegeben“ – wir waren so dahingegeben. Jetzt verstehen Sie, was Paulus meint, wenn er sagt, Gott kümmert sich nicht mehr um euch, wenn ihr den Dreck wollt, dann bleibt doch im Dreck. Es ist keine besondere Strafe, sondern etwas, das die Christenheit seit Urzeiten aus der Bibel kennt.
Gott hat Adam und Eva aus dem Paradies, aus seiner Gegenwart, vertrieben. Die Christenheit hat sich das immer wieder bewusst gemacht – an den Portalen der Dome, zum Beispiel in Ulm oder Nürnberg, bei Sankt Sebald oder Sankt Lorenz. Die großen Portale zeigen meist oben in der Gewölbung die Erschaffung der Erde: Pflanzen, Tiere, und schließlich den Menschen, Mann und Frau, die über die Tiere und Pflanzen herrschen sollen. Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut.
Dann kam der Absturz: Adam und Eva kümmerten sich nicht mehr um das, was Gott gesagt hatte, sondern wollten ihren eigenen Weg gehen. Sie wurden von der Schlange verführt. Daraufhin trieb Gott sie aus seiner Gegenwart hinaus. Es geht dabei nicht nur um die schönen Früchte, sondern um den Verlust der Gemeinschaft mit Gott.
Der Cherub steht mit dem flammenden Schwert vor der Tür – das wird an den Portalen der Dome dargestellt. Adam muss fortan im Schweiß seines Angesichts arbeiten, Eva kümmert sich um die Kindererziehung, und ihr Sehen wird nach dem Mann sein.
Dann kommen Verwirrungen und Spannungen in der Ehe von Adam und Eva. Schließlich der Brudermord von Kain an Abel. Die letzte Szene an den Portalen zeigt, wie Gott Kain fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“
Diese Bildgeschichte aus dem Mittelalter war für viele Menschen ohne Bibel zu Hause eine wichtige Frage, mit der sie in den Gottesdienst gingen: „Wo ist dein Bruder Abel?“
Wir leben in einer Welt, in der es mit den Ehen nicht mehr stimmt, in der das Verhältnis zwischen Mann und Frau gestört ist. Wir sind aus Gottes Gegenwart vertrieben. Gott hat sie dahingegeben in Hass, Streit, Zank und Missgunst.
Das waren die drei Abschnitte. Ich habe Sie noch einmal ganz indirekt daran erinnert, dass Paulus sagt: Ihr habt gewusst, dass er der Schöpfer ist, aber ihr habt ihn nicht geehrt. Ihr habt das Verhältnis von Mann und Frau durcheinandergebracht und auch das Verhältnis zu euren Mitmenschen.
„Dahingegeben“ war die eine Frage, die Sie beantwortet haben wollten. Ob ich sie vollständig beantworten konnte, weiß ich nicht. Aber ich danke für die Frage, dass wir ihr noch einmal nachgehen konnten.
Die Bedeutung des Gerichts und der Gnade im Evangelium
Zweite Frage: Hat jemand Bedenken bei Kapitel 2, Vers 16?
Kapitel 2, Vers 16: „An dem Tag, an dem Gott die verborgenen Menschen durch Christus Jesus richten wird, wie es mein Evangelium bezeugt.“
Ist das die gute Nachricht, ist das Evangelium, dass Gott die Menschen richten wird? Das trifft uns doch tief im Inneren. Es kann doch nicht das Evangelium sein! Das Evangelium lautet doch: „Euch ist heute der Heiland geboren“, oder nicht?
Doch es gehörte zum Evangelium des Paulus, dass einmal der Menschensohn in Herrlichkeit kommen wird und seine Auserwählten sammeln wird. Diejenigen aber, die nicht zu ihm gehören und sagen: „Herr, wir haben doch auch deinen Namen angerufen, wir haben doch in deinem Namen geheilt, wir haben doch in deinem Namen große Wunder getan, wir waren doch bei Prochrist dabei, du hast uns bewirtet“, denen wird gesagt: „Ich kenne euch nicht.“ Das gehört zum Kern des Evangeliums.
Jesus sagt von jenem Tag, dass viele kommen und sagen werden: „Herr, Herr, tu uns auf!“, und er wird antworten: „Ich kenne euch nicht.“ Ist das eine gute Botschaft?
Wenn Sie aufschlagen, nenne ich Ihnen nur eine Stelle, die dazu passt: 1. Korinther 4,1-5. Dort sagt Paulus: „Richtet doch nicht in der Gemeinde!“ Kennen Sie das aus Ihren Gemeinden oder Hauskreisen, wo gesagt wird: „Schade, dass der dabei ist, der stört immer, der fragt so viel und trägt überhaupt nichts dazu bei“? Es wird so viel kritisiert, abgeurteilt und gerichtet.
Paulus sagt: „Richtet nicht vor der Zeit! Wenn der Herr kommt, wird er ans Licht bringen, was im Verborgenen war.“ Ich richte mich auch selbst nicht. Mir ist zwar nichts bewusst, aber das hat keinen Wert. Wenn der Herr kommt, wird er mich für das loben, was lobenswert ist, und mir zeigen, was nicht lobenswert war.
Das hat gar keinen Wert. Das Evangelium ist nicht, dass wir einander ständig verurteilen müssen. Lass das doch bleiben! Der Herr wird das Verborgene ans Licht bringen.
Ich habe mir überlegt, wie ich es Ihnen klar machen kann. Ja, Jesus hat doch einmal von dem Pharisäer erzählt, der sagt: „Herr, ich danke dir, lobe den Herrn, dass du mein Leben geordnet hast. Ich faste zweimal in der Woche, gebe einen Zehnten von allem, was ich habe, danke dir, dass ich nicht so ein Ganove bin wie der Zöllner neben mir.“ Und der Zöllner konnte nur sagen: „Herr, sei mir Sünder gnädig.“
Da hat Jesus gesagt: „Der ging hinab gerechtfertigt.“ Wer Buße tun kann vor Gott, ist besser dran als jeder, der einen langen Zettel mit Erfolgen vor Gott ausbreitet. Aber ich stelle mir immer vor, wie der Zöllner, von dem Jesus erzählt hat, aus dem Tempel hinausging, während die Pharisäer sagten: „Der Dreckskerl, dass er überhaupt im Tempel war!“ Da musste erst ans Licht kommen, dass Gott sagt: „An dem habe ich Freude.“
Es gehört zum Evangelium, dass über viele Menschen, die auch in der Gemeinde verachtet sind, plötzlich ein großes Licht der Liebe Gottes aufgeht.
Paulus sagt: „Ihr könnt mich verachten, so viel ihr wollt. Ich warte auf den Tag, an dem der Herr ans Licht bringen wird, was mit mir los ist, dass er mich berufen hat.“ Wohl uns, wenn wir uns auf diesen Tag freuen können! Wir, die ja oft armselig sind.
Warte darauf, bis der Herr ins Licht bringt: Du bist ein geliebter Gottes!
Nebenbei: Wir sollten uns nicht genieren, immer wieder vom letzten Gericht zu sprechen. Im Glaubensbekenntnis heißt es, dass er wiederkommen wird, um zu richten die Lebenden und die Toten. Daran brauchen wir uns nicht zu schämen.
Einer der größten Feinde des Christentums, der französische Philosoph Rousseau, der nichts glaubte, sagte: „Wer etwas von Gott zu wissen meint, ist intolerant. Kein Mensch weiß etwas Genaues von Gott.“ Aber er sagte auch: „Eines wissen wir alle sozusagen im Hinterkopf: dass einmal alle Ungerechtigkeit ans Licht kommen und bestraft werden muss und alles Gute, das wir getan haben und für das wir noch nicht belohnt worden sind, belohnt werden muss.“
Selbst ein Gottesleugner hat gesagt, dass das im Hinterkopf steckt. Nein, es muss doch so sein! Was ich der Oma getan habe, meine guten Taten müssen doch mal irgendwo belohnt werden. Und Honecker und Adolf Hitler müssen doch noch einmal richtig bestraft werden, die haben sich davongestohlen.
Also ist das in der Seele der Menschheit irgendwo eingraviert. So fremd ist das gar nicht.
Aber Paulus sagt in seinem Evangelium stets, dass erst ans Licht kommt, wer Jesus ist, der Herr der Welt, und wer vor ihm bestehen kann und wen er annimmt.
Ich freue mich auf den Tag, an dem Jesus mich Sünder in der Ewigkeit annehmen wird. Das gehört zum Evangelium.
Beginn von Römer Kapitel 3: Die Frage nach dem Vorzug der Juden
Aber jetzt kommen wir endlich zu Kapitel 3! Zu jeder deutschen Rede gehört eine lange Vorrede. Doch das war nur eine Anknüpfung an gestern, damit wir uns wieder warmlaufen. Und jetzt zu Kapitel 3.
Sie sehen, es beginnt gleich mit der Frage der Juden: Was haben die Juden für einen Vorzug? Oder was nützt die Beschneidung, wenn doch alle Menschen Sünder sind und selbst die Juden Fehler haben? So steht es im Kapitel 2, Vers 17: Wenn sie sich aufs Gesetz verlassen, haben auch sie ihre Fehler. In ihrem Leben gibt es manches Manko. Was für einen Vorzug haben sie also? Was nützt es, Jude zu werden?
Ich habe es bewusst so formuliert: Was nützt es, Jude zu werden? Denn das steckt hinter der zweiten Hälfte von Vers 1. Damals zogen viele Juden durch die Lande. Auch wenn man keine jüdische Mutter hatte, konnte man Jude werden, wenn man sich beschneiden ließ. Die Männer hatten an ihrem Körper diese Einritzung, die Kerbung, die das Zugehörigkeitszeichen zu diesem besonderen Volk war.
Sogar Christen, wie man in Apostelgeschichte 15,1 nachlesen kann, zogen umher und sagten: Wenn ihr richtig Christ sein wollt, wenn ihr wirklich zum Volk Gottes gehören wollt, müsst ihr euch wie die Juden beschneiden lassen. Nur dann gehört ihr wirklich dazu.
So wie manche Leute heute sagen, der Glaube sei nicht echt, wenn man nicht getauft ist. Und wenn man getauft ist, sagen sie, das hat noch keinen Wert, es müsse unter fließendem Wasser sein. Und wenn das passiert ist, sagen sie, das hat noch keinen Wert, man müsse bei Sonnenaufgang unter fließendem Wasser getauft werden. Aber ganz sicher muss ein gläubiger Pfarrer richtig taufen. Diese Gesetze werden immer wieder aufgestellt, was alles sein muss, damit es ganz richtig ist.
So sagten die damals: Wenn du ganz richtig zum Volk Gottes gehören willst, musst du dich beschneiden lassen.
Paulus greift diese Frage auf: Was haben die Juden für einen Vorzug, wenn sie auch Fehler machen und ihr Leben nicht vollkommen vor Gott ist? Was nützt es, diese Aufforderung anzunehmen und sich beschneiden zu lassen?
Die Antwort lautet: Viel, in jeder Weise. Es ist ein Vorrecht, zum Volk Israel zu gehören. Denn erstens ist ihnen anvertraut, was Gott geredet hat. Wunderbar! Es ist das Vorrecht des Volkes Gottes.
O Israel, du Volk, du geliebtes Volk Gottes – was für ein Volk bist du! Gott schenkt dir seine Nähe, er ist dir so nah, so oft wir ihn anrufen. Israel, wer ist dir gleich? Wer Israel antastet, tastet meinen Augapfel an, heißt es bei den Propheten.
Dieses Israel hat als Kernbekenntnis das Schema: Israel, höre Israel, der Herr, dein Gott, ist ein einiger Gott! Nachzulesen in 5. Mose 6, einer der großen Kernstellen, ab Vers 1. Gott hat ihnen seinen Willen mitgeteilt.
Dann kommt plötzlich der Ruf des Mose, der heute noch in Synagogengottesdiensten aufgenommen wird: Schma Israel. Das ist fast wie ein Gruß in Israel. Schma Israel, Schma – dieser Ruf übertönt sich beinahe zu Beginn des Synagogengottesdienstes.
Besonders jetzt, wenn viele Umsiedler aus Russland kommen, klingt es eine halbe Stunde lang: Schma, ein Jubelruf, wie der Ruf des Bräutigams. Höre, Gott hat uns sein Wort gegeben, damit wir hören können. Wir können etwas über Gott erfahren.
Und plötzlich begreifen sie den ganzen Jubel, etwa aus Psalm 119: Wie habe ich dein Gesetz so lieb, deine Worte sind mir lieber als Edelsteine! Wer dein Wort hat, ist wie jemand, der eine große Beute bekommt.
Marc Chagall, der aus dem Judentum kommende Künstler, hat immer wieder Rabbiner dargestellt. Besonders eindrücklich zeigt er einen Rabbi in einem galizischen Dorf bei einem Pogrom. Die Dörfer hinten, die Häuser, die Synagogen werden verbrannt, Kosaken fallen ein, und er birgt seine Rolle, die Torarolle, das Wort Gottes.
Und wenn ihr mir alles kaputt macht, das Wort lasse ich mir nicht nehmen.
Was hat es für einen Vorteil, Jude zu sein? Sie haben das Wort, so wie sie es haben.
Ich habe Ihnen schon gesagt: Als rechter Jude kann man die Bibel auswendig, man kann über sein Gesetz nachsinnen, auch in Nachtstunden, ohne extra die Nachttischlampe anzumachen und die Bibel hervorzuholen. Das Gesetz ist im Herzen.
Ihnen ist anvertraut, was Gott geredet hat. Paulus legt sogar Wert auf den Begriff „Ihnen ist anvertraut“. Es ist wunderbar von Luther übersetzt, das griechische Wort richtig wiedergegeben: Zu treuen Händen ist es ihnen gegeben.
Denken Sie an den Rabbiner, der das Wort Gottes mit zu treuen Händen bewacht.
Und jetzt geht es weiter. Aber manche haben das Wort Gottes gar nicht gehalten. Wenn Sie meine Bibel brauchen, müssen Sie nach links in die Spalte zu Kapitel 2, Vers 18 gehen: Du kennst seinen Willen und prüfst, weil du aus dem Gesetz unterrichtet bist, was das Beste ist.
Dann heißt es: Du lehrst andere, lehrst dich selbst nicht; du predigst, man solle nicht stehlen, du stiehlst; du sprichst, man solle nicht Ehe brechen, du brichst die Ehe.
Was nützt es, wenn Gott Menschen sein Gesetz, seine Ordnung und seine Hausordnung anvertraut, und sie sich nicht danach richten?
Dieser Frage geht Paulus jetzt nach: Einige von euch waren nicht treu, haben nicht zu treuen Händen bewahrt, was ihnen anvertraut wurde.
Was liegt daran? Sollte ihre Untreue Gottes Treue aufheben?
Es bleibt dabei, dass Gott Israel sein Wort anvertraut hat, auch wenn es liberale Juden und gleichgültige Juden gibt.
Der begabte Professor Wolfs, Sohn der Bundeswehr-Universität München, sagt: Ich bin Jude, ich hatte eine jüdische Mutter. Aber es schert mich nicht, der Synagogengottesdienst, ich möchte zu keiner Synagogengemeinde gehören. Ich bin von Geburt Jude, aber das Wort Gottes schert mich nicht.
Was liegt daran? Sagt Paulus, es bleibt dabei, dass diesem Volk das Wort Gottes anvertraut wurde.
Und jetzt kommt eine sehr diffizile Äußerung, die wir beinahe überspringen können: Es sei ferne, dass ihre Untreue Gottes Treue aufhebt. Es bleibt vielmehr so: Gott ist wahrhaftig, und alle Menschen sind Lügner.
Das steht schon in den Psalmen. Er möchte die Bibel ernst nehmen, damit du Recht behältst in deinen Worten und siegst, wenn man mit dir rechten will.
Einwand: Aber wenn es so ist, dass unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erst ins Licht stellt, was sollen wir sagen? Ist denn Gott nicht ungerecht, wenn er zürnt?
Ich rede nach Menschenweise. Ich argumentiere jetzt, wie ihr dauernd argumentiert: Wenn die Menschen untreu sind und dadurch noch besser herauskommen, wie Gott allein treu ist, aber wir Menschen nicht, ist das doch wunderbar.
Dann ist das der beste Gottesdienst, die beste Verherrlichung Gottes. Dann wollen wir den ganzen Tag sündigen; dann kommt Gott groß raus.
Ich rede nach Menschenweise, und am Ende ist deren Verdammnis gerecht.
Ich möchte an diesem Strang, den Paulus hier macht, nicht weitergehen. Aber Sie merken, er argumentiert mit Leuten.
Wir können das weglassen, weil das heute nicht mehr die Argumentation ist; es gehört nur zum Gesamtzusammenhang.
Paulus’ Selbstverständnis und das Vorrecht Israels
Was sagen wir nun dazu? Haben wir Juden einen Vorzug? Fällt Ihnen etwas an dieser Formulierung auf? „Wir, wir!“ Paulus zählt sich zum Volk Gottes und schreibt im Römerbrief Kapitel neun, Vers eins und folgende:
„Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht; mein Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Ich selbst wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, die Israeliten, denen die Kindschaft gehört, die Herrlichkeit, der Bund, das Gesetz, der Gottesdienst, die Verheißungen, von denen die Väter herkommen, aus denen Christus herkommt.“
Jetzt geht es nicht mehr nur darum, dass ihnen das Wort Gottes anvertraut ist. Sondern die ganze Herrlichkeit, die Israel gehört: der Bund und der Gottesdienst, der Sabbat, die Herrlichkeit, die Schechinah Gottes und die Väter Abraham, Isaak und Jakob sowie David. Christus kommt ebenfalls aus diesem Volk – meinem Volk.
Was sagen wir nun dazu? So beginnt Vers 9: Haben wir Juden einen Vorzug? Keinen, gar keinen. Denn wir haben soeben bewiesen, dass alle Juden wie die Griechen unter der Sünde stehen.
Die Macht der Sünde und die Absonderung von Gott
Jetzt wird es immer schwieriger. Paulus sagt nicht einfach, dass wir alle Sünder sind, Juden und Griechen, dass wir alle gesündigt haben. Er sagt vielmehr, dass wir unter der Sünde sind.
In der Schule haben wir schon in der Grundschule, sogar im Kindergarten, Ringkämpfe gemacht. Da gab es schon solche Brocken, die zwar gleich alt waren wie ich – ich war damals ein schmaler Hering – aber die sind zielstrebig auf zwei Zentner zugegangen. Wenn die einen in den Schwitzkasten genommen haben, auf den Boden geworfen und sich zum Zeichen ihres Sieges sieghaft auf mich gelegt haben, bekam man kaum noch Luft. Dann war ich unter ihnen, dann war ich unterlegen.
So spricht Paulus von der Sünde. Die Sünde ist nicht etwas, das man hier und da tut, es ist keine kleine Panne. Leute, wir sind unter der Sünde – fast wie unter einer kosmischen Macht, fast. Interessant ist, dass der Apostel Paulus ganz selten vom Teufel, Satan oder Versucher spricht. Petrus tut das viel öfter, Jesus auch. Paulus spricht an zwei Stellen davon, dass er dem Satan bald unter die Füße treten wird, aber meistens redet er von Mächten und Gewalten unter dem Himmel, von bösen Geistern. Es ist, als ob das eine geballte kosmische Macht wäre, die uns zu Dingen zwingt, die wir eigentlich gar nicht tun wollen.
Später, im Kapitel Römer 7, sagt Paulus: „Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht; das, was ich eigentlich gar nicht will, das tue ich.“ So spricht Paulus von der Sünde: Wir sind unter der Sünde.
Und all das, was ich vorher gesagt habe, Kapitel 2, betrifft die moralischen Menschen, die andere aburteilen. Diejenigen, die das tun, was sie anderen vorwerfen, die sagen, es sei vielleicht auch noch etwas Gutes darin, lassen sich aber nicht von Gottes Güte zur Buße leiten. Die Juden, die das Gesetz kennen und doch nicht einhalten – wir sind alle unter der Sünde.
Wie gesagt, es ist fast eine kosmische Macht. Oft wird der Begriff der Sünde mit dem Sund verglichen, so wie in Stralsund die Strela vor den Toren der Stadt einen Meeresarm bildet, etwa 500 Meter bis zum nächsten Ufer. So wie im kleinen Sund Dänemark und Schweden, die sicher mal in Urzeiten zusammengehört haben, getrennt sind. Es wird gesagt, wir sind von Gott getrennt.
Mich hat das Bild vom Sund nicht mehr überzeugt, seit ich in Stralsund war. Über den Sund kann man beinahe drüberspucken. Wenn wir bloß so von Gott getrennt wären, könnten wir einfach sagen: „Lieber Gott, hier bin ich.“ So schlimm wäre das gar nicht. Stralsund Ost und Stralsund West sind durch eine Brücke verbunden.
Mir gefällt dieses Bild nicht so sehr. Stattdessen lasse ich mir von Germanisten der Sprachwissenschaft sagen, dass das deutsche Wort „Sünde“ vom Wort „sondern“ kommt – Absondern, Absonderung, manchmal auch absonderlich, also merkwürdig.
Wir sind getrennt vom Nächsten, abgesondert. Manchmal, sogar in den glücklichsten Ehen, werden wir einander fremd. In der Jugend erlebt man begeisternde Freundschaften, doch wenn sie siebzig Jahre alt werden, denken sie: „Mit dem, mit dem ich so innig befreundet war, haben wir schon 50 Jahre keinen Brief mehr geschrieben.“
Es gibt Absonderung unter Menschen, aber die schlimmste Absonderung ist, dass der Mensch von Gott abgesondert ist, abgeschottet.
Ich durfte vor zwei Jahren hier in Eidingen an einem Sonntagmittag eine Bibelstunde halten, die mir selbst bei der Vorbereitung neue Einsichten gebracht hat. Und an diesem Thema arbeite ich seitdem immer wieder weiter: Jesus hat gesagt, Matthäus 16, wer mir nachfolgen will, wer zu mir gehören will, der verleugne sich selbst.
Da, wo es um uns selbst geht, merken wir vielleicht die Macht dieser Sünde am stärksten. Es geht mir nicht mehr darum, was Gott sagt. Ich will jetzt das, was mein Körper und meine Fantasie verlangt. Meine Fantasie verlangt jetzt das, was ich gerne hätte. Was Gott befohlen hat, was Gott für richtig hält, ist mir gar nicht so wichtig. Und was der Mensch neben mir braucht, ist mir jetzt ganz egal. Ich möchte zu meinem Recht kommen.
Im Grunde genommen steckt hinter allen schlimmen Sünden mein Ich. Wenn ich gern etwas hätte – den größeren Wagen, mehr Einkommen, mehr Ehre, mehr Anerkennung, mehr Verständnis von meinem Lebensgefährten – dann ist es das Ich. Da muss der andere nicht gleich morden, aber verstehen Sie, warum Paulus, der an der Seite von Jesus gerufen wurde, im Galaterbrief 2,20 sagt: „Ich lebe, nein, nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“
Ich habe damals bei jener Bibelarbeit von Pfarrer Oberlin erzählt, den man im Steintal im Elsass den Papa Oberlin genannt hat, weil er so gut für seine armen Gemeindeglieder gesorgt hat. Als die Französische Revolution 1789 ausbrach und sich 1793 stabilisierte, kam von Paris ein Edikt an alle Gemeinden, auch an alle Kirchengemeinden: Die Pfarrer, die noch übrig sind, sollen am kommenden Sonntag gegen die Tyrannen predigen.
Oberlin hat den Erlass vorgelesen und gesagt: „Wir haben Befehl von Paris, gegen die Tyrannen zu predigen. Das will ich tun, liebe Gemeinde. Der schlimmste Tyrann, den wir kennen, ist mein Ich.“ Dieser Tyrann befiehlt mir dauernd Dinge, die Gott nicht freuen, die meinen Mitmenschen schaden und eigentlich meinem eigenen Leben schaden.
Ich bin unter dem Zwang des Ich, das gut herauskommen muss, das haben möchte, was es begehrt. Und dann hat Oberlin gegen diesen Tyrannen des Ich gesprochen.
Der Liederdichter Allendorf hat ein schönes Lied geschrieben: „Herr, habe Acht auf mich.“ Da heißt eine Strophe: „Töt in mir mächtiglich, Herr, habe Acht auf mich, töte in mir mächtiglich die Eigenliebe.“ Und jetzt denkt man, wie geht es weiter? Mein Hass, meine Gier, mein Eigensinn, meine Ehrsucht – töt in mir mächtiglich die Eigenliebe.
Wenn es bei mir heißt, „es darfst du nicht gefallen lassen“, jeder Mensch ist so viel wert, wie er sich gefallen lässt, dann geht es um die Eigenliebe, den eigenen Stolz.
Und jetzt möchte ich einfach mal auf die Pferde setzen, wie oft im Neuen Testament gesagt wird: „Haltet euch nicht selbst für klug.“ Jeder soll so leben, wie es der Gemeinschaft in Christus entspricht. Das heißt, Philipper 2: Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod.
Wenn ihr schon mit Jesus verbunden seid, denkt nicht so viel an euer Selbst.
2. Korinther 5: Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, damit er über Tod und Leben Herr sei und keiner von uns für sich selbst lebt.
Römer 14: Leben wir so, leben wir dem Herrn, keiner von uns lebt sich selbst.
Für mich ist es am ergreifendsten, wenn Paulus über seinen Schüler Timotheus schreibt im Philipperbrief: „Ich habe keinen, der so sehr für euch sorgt.“ Und dann sagt er erschreckend: „Denn sie suchen alle das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist.“
Wir sollten nicht so pauschal von der Sünde reden, sondern jetzt mal eine Zeit lang von meiner Selbstliebe, meiner Eigensucht sprechen. Sie ist bei Juden und Griechen da, und unter dieser Gewalt sind wir. Diese Eigenliebe sondert uns ab.
Die Selbsttäuschung im Umgang mit dem Gesetz
Es ist gleich 45, deshalb darf ich noch einmal zurückgreifen.
Juden und Griechen, aber zuerst die Juden – ja, liebe Zeit, die haben doch das Gesetz. Sie wissen, was vor Gott recht ist. Gibt es da auch Selbstliebe? Ja, sagt Jesus. Denkt an den Pharisäer, von dem ich euch erzählt habe: "Herr, ich danke dir, dass du mein Leben so geführt hast, dass ich nicht so ein Ganove bin wie der Zöllner." Was für eine Selbstliebe!
Natürlich, dabei: "Lieber Gott, ich danke dir." Aber es kann auch im Dankgebet gegen Gott eine ungeheure Selbstliebe und auch Selbsttäuschung stecken. Man merkt gar nicht mehr, wie viel man schuldig geblieben ist, wie viel Lieblosigkeit im Leben ist. Man sieht nur noch die Erfolge.
Deshalb ist das, was Paulus hier dogmatisch sagt, lehrhaft. Im Grunde genommen ist es dasselbe, was der Bergprediger Jesus gemacht hat. Das Gesetz ist wunderbar. Ihr habt gelesen, dass zu den Alten gesagt ist: "Du sollst nicht töten." Aber wer schon seinen Bruder hasst und zu ihm "Racha" sagt – "Du Nichtsnutz" –, der hat doch schon gemordet.
Natürlich ist das Gesetz wunderbar: "Du sollst nicht ehebrechen." Aber schon wer seine Augen spielen lässt und denkt, das wäre auch etwas für mich gewesen, der hat schon die Ehe gebrochen. Sehen Sie die Gefahr der Selbsttäuschung, wenn ich sage: "Ich habe doch noch nie etwas Böses getan"?
Wissen wir ein Beispiel? Jesus begegnet einem Menschen, einem wunderbaren Menschen, den Jesus ansah und liebte. Der sagte: "Ich habe das ganze Gesetz gehalten, Vater und Mutter geehrt, ich habe alle Nächsten geliebt." Und dann fragt Jesus ihn: "Dann könntest du doch mal deinen Bauernhof verkaufen, deinen Besitz und das Geld den Armen geben." Da ging er traurig weg, denn er hatte viele Güter.
Der hat es sich doch selbst vorgemacht: "Ich bin perfekt, ich halte das Gesetz bis zum T." Aber wenn wir uns nicht von Jesus zeigen lassen, wie er über uns denkt, kommt es gar nicht zur Erkenntnis der Sünde über dem Gesetz, sondern zum Gesetz der Unruhen.
Wir sind doch anständig, wir Christen, wir sind doch Vorbild für andere. In unserem Leben ist doch alles in Ordnung. Und dann sieht man hinter die Fassade und erkennt die ganzen Erbschaftsgeschichten bis hin zu den fremdesten Familien. Man sieht den Hass und die Angst der Schwiegertochter vor der Schwiegermutter.
Das sind die ganzen Spannungen, die menschlichen. Wir können uns am Gesetz sagen: "Ja, ich tue so viel Gutes, ich habe schon wieder überwiesen das letzte Mal." Aber die Sünde lässt gar nicht zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Deshalb versucht Paulus zu beweisen – in dem, was wir uns jetzt lang und breit angesehen haben –, dass wir unter der Sünde stehen.
Die biblische Anklage gegen die Menschheit
Und jetzt folgt ein ganz langes Zitat, eine Zusammenstellung, fast eine Perlenschnur von verschiedenen Bibelzitaten, in denen Paulus sagt: Nehmt das ernst, euch ist das Wort Gottes anvertraut – in den Psalmen und bei den Propheten. Dort steht zum Beispiel: „Da ist keiner, der nach Gott fragt, da ist keiner, der Gutes tut“ (Psalm 50). „Otterngift ist unter ihren Lippen“ (Psalm 140,10), „Ihr Mund ist voll Fluchen, ihre Füße eilen, Blut zu vergießen“ (Sprüche 1). „Den Weg des Friedens kennen sie nicht“ (Jesaja 59). „Keine Gottesfurcht bei ihm“ (Psalm 36).
Euch ist anvertraut, was Gott gesagt hat, nämlich ein Spiegel, der euch deutlich machen soll, was mit euren Lippen, mit euren Augen und mit euren Herzen los ist. Es steht schon in der Bibel: Ich bin nicht ein Missetäter, sondern mir ist anvertraut, was im Wort Gottes steht. Wir wissen, was das Gesetz sagt. Es richtet sich an die, die unter dem Gesetz sind, damit allen der Mund gestopft werde und die ganze Welt vor Gott schuldig sei. Das betrifft auch die Heiden, alle Welt, denn kein Mensch kann durch die Werke des Gesetzes vor Gott gerecht sein.
Durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde. Wir dürfen die Gebote als eine Art Checkliste ansehen – so wie mein VW-Sachbearbeiter mit seiner modernen Apparatur, die er an eine Kontaktstelle in meinem Golf hält und dann sagt: „Sie brauchen neue Bremsen, Sie brauchen einen Ölwechsel“ – und plötzlich sind all die Defizite da. So dürft ihr das Gesetz von Gott nehmen, genauso wie Jesus die Bergpredigt benutzt hat, damit wir erkennen: Der Ruhm ist nichts, sondern die Checkliste zeigt, wo ich bedürftig bin.
Und jetzt kommt das herrliche Evangelium, mit dem wollen wir in 15 Minuten weitermachen, also um 5:05 Uhr. Nun ist aber ohne Zutun die Gerechtigkeit offenbar gesetzt. Hochachtung, dass Sie so lange durchgehalten haben. Also Pause, nachher geht es weiter.
Und in Vers 9 wird sie aufgegeben. Was sagen wir nun? Haben wir Juden einen Vorzug? Gar keinen. Zuvor in Kapitel 1 Vers 1 wird sehr viel Vorzug erwähnt. Wem das Wort anvertraut ist, der kann durch Gottes Wort mehr erkennen – eine Horizontöffnung durch das Wort Gottes. Auch wenn es um die Sünde geht, haben wir überhaupt keinen Pluspunkt, keinen Vorteil.
Mir ist das heute Morgen passiert: Der Ablauf der Spülmaschine funktionierte nicht mehr, es lief nichts mehr ab, alles stand still. Bei dem heißen Wetter war irgendwo ein Rohr blockiert. Wir haben einen Flaschner, einen Installateur, geholt, der hat getüftelt, aber es klappte nicht. Zuerst bin ich selbst rangegangen und habe alle Verschlüsse aufgeschraubt. Als die Schweinerei am größten war, sagte meine Frau: „Komm, lass mich auch mal sehen.“ Sie schaute hinein und dann sagte sie: „Komm, ich hole meine Brille, damit ich besser sehe.“ Und dann erkannte sie sehr genau den ganzen Dreck.
So ist es, wenn wir das Wort Gottes haben: Wir sehen genauer, was? Dass wir unter der Sünde sind. Verstehen Sie? Deshalb zitiert Paulus ab Vers 10 verschiedene Stellen. Ihr müsst doch merken, es ist doch offenkundig. Jetzt können wir etwas anderes nehmen als das, was Paulus zitiert. Ein Saul, von Gott geliebt, über alles Volk erhaben, machte die größte Dummheit und verstieß sich gegen Gott.
David war freundlich und schön, geliebt von Gott, und Samuel goss das Ölhorn über ihn: „Du bist der Gesalbte des Herrn.“ Doch später machte er die größten Torheiten mit Kriegen, „Blut an seinen Händen“, Ehebruchsgeschichten, Uriah, Absalom, Zeba. Wenn ihr die Schrift ernst nehmt, seht ihr, dass wir unter der Sünde sind.
David wollte doch kein Sünder sein, er wollte dem Herrn folgen. Lest die Psalmen. Da ist eine Macht in uns drin, dass David auf dem Dach seines Schlosses steht und denkt: „Haha, das wäre doch auch was für mich.“ Für mich, die Ichsucht selbst bei frommen Leuten – wir sind unter der Sünde.
Paulus kann später immer wieder sagen: „Das Fleisch in mir“ – damit meint er nicht Knochen und Fleisch, sondern so, wie ich gebaut bin, ist so viel Selbstsucht. Da ist die Sünde, die darin sitzt, die alles infiziert hat. Unser ganzer Körper ist kontaminiert – dieser schöne deutsche Ausdruck – vergiftet von Sünde, von Ichsucht.
Also, was haben Sie für einen Vorzug? Ja, Sie sehen genauer. Sie müssten eigentlich noch genauer sehen, aber Sie sehen noch nicht einmal richtig genau, dass wir unter der Sünde sind.
Die Bedeutung des Glaubens an Jesus Christus
Und jetzt wollte ich mit Ihnen eigentlich viel mehr besprechen, was in Kapitel 1, Vers 28 ein Stichwort enthält. Nur mal zurück zu Kapitel 1, Vers 28: Sie haben es für nichts geachtet, Gott zu erkennen.
In diesem ganzen Durcheinander dürfen Sie und dürfen wir, die wir den lebendigen Jesus haben, erkennen, dass wir die... Das schönste Wort, das erkennt, die schönste Stelle, wo es aufgenommen ist, ist im hohenpriesterlichen Gebet. Jesus betet zu seinem Vater in Johannes 17: „Das aber ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“
Die Welt achtet es für nichts, Gott zu erkennen, und wir wissen, dass ewiges Leben bedeutet, Gott in seiner Gerechtigkeit zu erkennen. Ich wünsche mir, dass uns in den nächsten 35 Minuten ein bisschen Durchblick geschenkt wird, ein bisschen Erkenntnis dafür, was Gott uns in Jesus schenkt.
Nun aber ist, ohne Zutun des Gesetzes, ohne dass das Gesetz dazu etwas getan hat – denn durch das Gesetz, im vorausgehenden Vers, kommt Erkenntnis der Sünde. Das Gesetz ist die Checkliste, die Prüfliste: Wo stimmt es bei mir nicht? Wo sind meine Gefahrenstellen? Diese sind bei uns unterschiedlich. Der eine hat es mit Habsucht, mit dem Geld. Wir Schwaben haben es mit dem Geld – wir können ja so schlecht schwimmen. Wenn wir beim Schwimmen so machen müssten, wir machen immer so. Also deshalb, Frau Kumpir, Schwaben machen so. Also, der andere hat seine Phantasie, der Dritte redet zu viel, kann nicht bei der Wahrheit bleiben. Das Gesetz gibt Erkenntnis der Sünde.
Aber nun ist, ohne dass das Gesetz etwas getan hat, die Gerechtigkeit Gottes, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart. Jetzt kann man etwas erkennen, wie wenn an einem Tag, an dem die Wolken dunkel sind, plötzlich ein Sonnenstrahl durchbricht und die Wolken aufreißen. Es ist etwas um Barth, die Gerechtigkeit Gottes, und Gott gebe, dass auch wir an diesem Tag etwas sehen.
Sie ist bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Das ist das, was ich immer wieder versucht habe, bisher schon zu sagen. Es ist eine Eigenart bei Paulus, dass er sagt, wovon er redet, ist nicht seine Erfindung, sondern im Grunde genommen hätten wir doch schon längst draufkommen können. Bei den fünf Büchern Mose und bei den Propheten ist doch alles prallvoll von der Gerechtigkeit gesprochen.
Wir werden morgen, in Kapitel 4, etwa von Abraham reden, wie Abraham sein Glaube zur Gerechtigkeit gezählt wurde, oder Jesaja 45: „Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.“ Jesaja 50: „Der Herr ist, der mich gerecht spricht.“ Die Gerechtigkeit Gottes ist eine ganz eigenartige Geschichte, die vielen noch gar nicht so aufgefallen ist.
Als Volk Israel ganz in der Nähe Gottes war, begegnete Gott auf dem Berg Sinai dem Knecht Mose und gab ihm die Grundlagen für den Bund. Und unten am Berg sagten sie: „Der kommt nicht mehr.“ Jetzt macht Israel ihren Gott. „Wir brauchen einen Gott, ohne Gott können wir nicht durch die Wüste gehen, wir kommen auch nicht mehr zurück, wir brauchen irgendetwas Religiöses, ein Zeichen, zu dem wir aufschauen können.“
Und da bastelt Aaron diesen Götzen, diesen Stier, das Kalb. Dann kommt Mose vom Berg, zerschmettert die Tafeln des Bundes und sagt: „Herr, das Volk hat eine furchtbare Sünde getan. Aber mach sie nicht kaputt, lieber tilge mich aus dem Buch des Lebens und lass sie leben! Nimm mich, ich bin dein Knecht, aber lieber habe ich mein Leben verwirkt, und ich mache stellvertretend für das Volk, dass du mich auslöscht, aber lass sie leben, bitte!“
Und da sagt Gott: „Ich will die Sünde heimsuchen, wenn der Tag gekommen sein wird, nachzulassen.“ In 5. Mose 34 heißt es: „Der Tag kommt, Mose, ich kann dich nicht brauchen, du bist noch nicht einer, dem man die Sünde der Welt aufladen kann, aber es kommt einmal.“ Es ist wie eine erste Ankündigung. Die Bibel ist voll davon, dass Gott Sünde straft, der gerechte Gott, und doch dafür sorgt, dass die Sünder frei werden.
Es ist bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Jetzt lesen wir aber weiter: „Ich aber rede von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.“ Oho, jetzt plötzlich geht es um den Glauben. Man muss richtig glauben.
Ein Wort, mit dem sehr viel Missbrauch getrieben worden ist. Ich erinnere mich noch einmal an Anfang der Sechzigerjahre, da gab es so einen Heilungsprediger, den Tommy Hicks. Der kam aus Amerika durch die Riesenhallen, Ulm, die Donauhalle und Schwarzwaldhalle Karlsruhe. Tommy Hicks hat gesagt: „I declare this place here as the River John. That's the late Bethesda and you have to go through and the Holy Spirit will come, and when you are sick you will be here, but you have to believe, you have to believe.“
Du schlaust. Es ist die Zeit Bethesda. Du gehst hin, und wie Elija seine Mandeln in dieser Zeit großer Aschbruchqual für Elisa. Hier liegt die Knappe bis Gott. So müsste der Mann glauben, den Heiligen Geist, und dann gab es noch keine Heilung. Dann sind die Kranken gekommen, so übertastet die Herren: „Wie ich auch, wie ich auch.“ So etwas Unsehensloses habe ich nur selten erlebt. „You have to believe.“ Und wer da nicht seinen Fuß richtig strecken konnte, der hat nicht richtig geglaubt. Also fehlt nicht furchtbar viel. Herzlichen Dank. Der Meister kommt zurück, danke. Aber jetzt sind Sie alle wieder wach.
Also wird viel Unfug getrieben mit dem Glauben, und viele sagen, zitieren noch Martin Luther. Luther hat die Gerechtigkeit gebunden an das Sola Fide, allein durch den Glauben. Ja, der Glaube ist bei Paulus schon wichtig, aber doch nicht bloß bei Paulus. Ich habe Ihnen jetzt ein paar Stellen hingeschrieben, die deutlich machen, dass das Jesus uns wichtig gemacht hat.
Johannes 3,16: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Gott hat seinen Sohn hingegeben, in unsere Welt, ans Kreuz gegeben, als Auferstandenen wiedergegeben, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Da hat nicht Jesus gesagt: „Wer anständig lebt und nie lügt und kein Ehebrecher ist, der wäre gesetzt gewesen.“
Das war etwas ganz Neues. Der Glaube – auf was für eine Geschichte hat sich Jesus dort bezogen? Nachzulesen in Johannes 3, wie Mose die Schlange erhöht hat. Diese Ehrenschlange an der Stange aufgerichtet, und alle, die hinaufsahen, auch wenn sie schon gebissen waren, wurden gerettet. Also nicht alle, die anständig gelebt haben. Eine ganz merkwürdige Geschichte bei Mose. Es genügte das Zeichen der gerichteten Schlange.
Da hat Gott etwas getan. Gott hätte auch sagen können: „Mose, da wächst ein komischer Strauch hier hinten mit so rosa Blättern, wenn ihr die einsammelt, könnt ihr einen Tee machen und wieder aufkochen und trinken. Dann werden die wieder gesund von der Schlangenkrankheit.“ Oder: „Mose, schau mal herum, in der Wüste liegen so ein paar Knüppel, Holzknüppel, und wenn die Männer die Knüppel nehmen und dreimal draufspucken und dann auf die Schlangen hauen, dann sind die Schlangen kaputt.“ Wäre doch alles möglich gewesen. Oder Gott hätte gesagt: „Ich lasse einen heißen Tag kommen, dann sind die Schlangen verdorrt.“
Nein, Gott hat gesagt, bloß die, die an mein Zeichen der Rettung hinaufschauen und mir zutrauen, dass ich, der lebendige Gott, ein Zeichen der Rettung aufgerichtet habe. Alle, die hinaufschauen, sagen: „Gott, ich traue dir zu, ich danke dir für dein Zeichen.“
Jetzt verstehen Sie, warum Walter Jentz von diesem Versöhnungsmahl geschrieben hat. Er hat diese Geschichte aufgenommen: Ein Versöhnungsmahl hat Gott aufgerichtet, Vers 25, für den Glauben ein Versöhnungsmahl. Also es kommt von Jesus die Bedeutung des Glaubens. Und die erste Christenheit hat sich das von Jesus sagen lassen.
Ich habe Ihnen jetzt ein paar Stellen aufgeschrieben, damit es deutlich wird. Ganz einfach noch einmal eine 3,16-Stelle: Wenn Sie überhaupt nachsehen, die meisten 3,16-Stellen sind wunderbare Bibelworte, aber nicht ein Geheimnis von 3,16, sondern auch 5,4 sind wunderbare Bibelworte, nämlich alle Bibelworte sind großartig.
Aber hier ist zufällig auch noch mal 3,16: Der Glaube an seinen Namen hat diesen Gelähmten an der schönen Tür des Tempels stark gemacht. Der Glaube. Kennen Sie die Geschichte, wie der gelähmte Bettler vor die schöne Tür des Tempels getragen wird? Und dann sagt Bakschist, weil Petrus in Johannes vorbeikommt: „Silber und Gold haben wir nicht, aber was wir haben, geben wir dir im Namen von Jesus Christus.“ Und da hat er sich zusammengehoben, ist aufgestanden und konnte plötzlich laufen.
Der Glaube an den Namen hat ihn stark gemacht. Wir haben nicht die Hand aufgelegt, wir haben nicht mit Öl gesalbt. Der Glaube an den Namen hat ihn stark gemacht.
Eine weitere Stelle: Apostelgeschichte 10. Da beginnt die Geschichte vom Hauptmann Cornelius damit, dass Petrus begreift: „Alle, die Gott fürchten und Recht tun, sind Gott angenehm.“ Und am Ende der Geschichte steht: „Damit alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen.“
Das wird sozusagen überhöht: Nicht alle, die anständig sind – und das ist ein Anfang, Gottesfurcht, schön, da kann Gott dann anfangen zu wirken. Aber Vergebung der Sünden gibt es für die, die an diesen Namen glauben: Jesus Christus, du bist etwas Besonderes, danke, von Gott mir gegeben.
Im großen Kapitel Apostelgeschichte 13 in Antiochien in Pisidien, der ersten großen Missionspredigt des Paulus in der Synagoge von Antiochien in Pisidien, heißt es: „Wer an ihn glaubt, wird gerechtgemacht.“ Und so geht das weiter.
Wissen Sie, wie das geheißen hat bei dem Kerkermeister im Gefängnis von Philippi? „Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ „Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus gerettet.“ Oder geschwind Apostelgeschichte 17, wenn Paulus seine große Rede auf dem Areopag hält, wo er sagt: „Gott ist nicht ferne von uns, aber Gott hat die Zeit eurer Blindheit übersehen.“
Apostelgeschichte 17: „Er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch den einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und er hat jedermann den Glauben angeboten, als er ihn von den Toten auferweckt hat.“
Also, Herr Paulus sagt: Leute, da gibt es meine Fragen. Der Einstein war richtig, Sieger, aber er ist gestorben und weg. Der alte Schweizer war ein großer Missionar, Raumkrieg, aber ist gestorben. Goethe, was könnte Schiller, ihr sprecht unser schwäbischer Letzter, was könnte uns verwenden, was im vordergründigen Hekt ein schöner Hinweis, ein Zwergkohl, gestorben.
Bloß einer von den Toten zurückgeholt, bloß einer in der ganzen Weltgeschichte. Nicht der Neandertaler oder sowas, der Lazarus hat ein paar Jahre Gnadenfrucht bekommen, dann muss er sterben. Aber Gott hat der Menschheit diesen Jesus hingehalten. Als er ihn von den Toten auferweckt hat, der ist wichtig. Auf einen kann ich nicht verzichten, auf den einen dürft ihr nicht verzichten.
Zum Glauben: Glaube ist nicht etwas, wenn uns Räder im Kopf irgendwas Religiöses ausdenken, sondern jetzt will ich die Tat Gottes anerkennen, dass er diesen Jesus mir wichtig gemacht hat. Jawohl, gut, so wie Mose die Schlange aufgerichtet hat, soll es für mich gelten. Dem traue ich zu, dass er mein Leben in Ordnung bringt.
Also Paulus hat nicht die Geschichte mit dem Glauben erfunden, sondern das ist die Botschaft der Leute des Jesus gewesen, von Anfang an, weil sie Johannes 3,16 ernst genommen haben.
Die Bedeutung des Glaubens und die Gefahr des Werkglaubens
Was ist neu bei Paulus? Ich danke meinem etwas liberalen Religionslehrer, einem sehr noblen Menschen, dass er mich darauf aufmerksam gemacht hat. Er hat nämlich etwas spöttisch gesagt: Luther hat an dieser Stelle in der Bibel etwas eingefügt, was im griechischen Text – wir hatten sieben Jahre Griechisch in der Schule – nicht drinsteht.
Schlagen Sie einmal Römer 3 auf, hat er gesagt, und ließ es uns aufschlagen. Im Vers 28 hat Luther übersetzt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Und das steht hier, hat er spöttisch gesagt. Wo finden Sie das „allein“? Das steht nicht drin.
Luther hat kongenial übersetzt, wie es der Apostel Paulus gemeint hat: exklusiv durch den Glauben. Und wenn jemand ein Verurteilter ist, der mit Jesus am Kreuz hängt – jemand, der in seinem Leben nur Raub, Totschlag, Gemeinheit, Hass und ein verkorkstes Leben hatte – und sagt: „Jesus, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst“, dann sagt Jesus: „Ich bin nicht da für Gedenkminuten, sondern du kommst mit mir ins Paradies.“
Ohne dass jemand einen Pluspunkt hat. Da hat jemand in seinem Leben sechs, sechs, sechs – ungenügend. Aber Jesus sagt: „An dir möchte ich hängen.“ Dann sagt Jesus: „Jawohl, mit mir.“
Paulus’ Begriff „Glaube“ ist wichtig. Aber die Not meines verehrten Religionslehrers, der ein tadelloses Leben hatte, ohne zu klagen – im Zweiten Weltkrieg, ohne dass er vor uns immer wieder Klagen angestimmt hat –, vier Söhne verloren hat, ein toller Mann, unser Professor Strüle, war die folgende: Die Gefahr war bei ihm, dass er sagte: Natürlich kommt es auf den Glauben an, aber auch darauf, dass wir selber etwas Gutes tun.
Und das werden Sie heute in der Christenheit zu 98 Prozent finden: „Dann werden wir gerecht, ein bisschen müssen wir uns auch anstrengen.“ „So arg schlecht habe ich ja noch nicht gelebt.“ „Es trifft ja keinen Falschen, wenn der Herr Jesus mir gnädig ist, denn so in den Tag hinein gelebt wie andere habe ich nicht.“
Merken Sie die Versuchung? Paulus sagt, so haben wir am Montag angefangen: „Ich danke meinem Gott, der mich stark gemacht hat und mich treu geachtet hat, der ich ein Verfolger, Lästerer war, ich war gehässig, ich habe die Gemeinde Gottes verfolgt – mich hat er ergriffen.“ Bei mir waren überhaupt keine Pluspunkte da.
Das ist die Neuentdeckung des Paulus: dass der Glaube exklusiv ist. Was soll das heißen? Jetzt komme ich schon beinahe ins Predigen hinein, aber ich will eine Geschichte erzählen.
Ludwig Hofacker und die Kraft des Glaubens ohne eigene Leistung
Hier in Württemberg gab es diesen Erweckungsprediger Ludwig Hofacker, den Gott als Werkzeug benutzt hat, obwohl er selbst gesundheitlich immer am Ende war. Zwei Jahre vor seinem Tod, als er gerade dreißig Jahre alt war, musste ihm beinahe die ganze Hand amputiert werden. Die Finger waren von einem Krebsgeschwür befallen. Schließlich starb er an Wassersucht. In einem halben Jahr konnte er nicht mehr liegen, sondern musste auf seinem Sofa sitzen und nach Luft ringen – ein zerbrochener Mensch, ein Fragment, ein abgebrochener Torso, ein abgebrochenes Leben.
Aber Gott hat ihn trotzdem benutzt, als er unser württembergisches Land in den Jahren 1824 und 1825 geweckt hat. Bis heute werden seine Predigtbücher gelesen. In Kasachstan haben sie sich mit den Predigtbüchern und Predigtbänden von Hofacker durchgeschlagen.
Hofacker hatte auch einen Freundeskreis. Dazu gehörte Dr. Christian Gottlob Barth, ein gewaltiger Erwecker und Pfarrer in Möttlingen. Er legte dort die Grundlage für die Erweckung, baute den Calwer Verlagsverein auf und gründete das Jugendheim Stammheim für entgleiste Jugendliche. Außerdem war er ein großer Missionsschriftsteller. Unter anderen war er ein Freund von Osiander.
Diese beiden, Barth und Osiander, sagten zu Ludwig, oder Louis, wie sie ihn nannten: „Alles schön und gut, was du predigst, aber man kann doch nicht immer nur predigen, dass Jesus für Galgenschwängel, Verbrecher, Sünder – wie ich einer bin –, Ungläubige, Kleingläubige und Hasser gestorben ist. Jesus ist der Lebendige. Er freut sich auch daran, wenn in meinem Leben durch seine Gegenwart manches geheilt wird. Wenn ich ihm gehorsam sein kann, ein Vorbild für andere werde und in der Gesellschaft, wie wir heute sagen würden, ein Impuls bin, damit andere aufwachen.“
Darauf hat Hofacker zurückgeschrieben – als schwer kranker Mann: „Ich möchte mit euch keinen Streit anfangen, ich bin viel zu schwach dafür. Aber es soll feststehen: Hoffentlich wird der Heiland in meinem Leben auch manches heilen. Aber ich möchte es selbst nicht zu Gesicht bekommen, es soll mir nicht bewusst werden, damit ich nicht überheblich werde und sage: ‚Na ja, so schlecht bin ich ja nicht mehr, es ist einiges ganz anständig geworden.‘“
Stattdessen sagte er: „Ich möchte – und er sprach vom Tschecher, von Verbrechern und Galgenschwängeln – selig werden, die nichts aufzuweisen haben.“ Das ist eigentlich lutherische und paulinische Theologie. Jesus nimmt mich mit, weil ich ihm zutraue. Ich weiß noch gar nicht, wie er mein Leben beurteilt. Ob das, was ich für gesund und heil halte, wirklich so heil ist oder ob es andere eher von Christus abstößt.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich meine Kinder zu lasch oder zu streng erzogen habe. Ob es richtig war, dass ich dreißig Jahre in der Synode fürs Evangelium eingetreten bin. Ob ich dadurch mehr Leute abgestoßen oder irre gemacht habe, wird in der Ewigkeit deutlich werden.
Herr, ich möchte selig werden, weil du gesagt hast, ich bin zum Seligwerden da – nicht weil ich irgendetwas in meinem Leben zusammenkratzen will, von dem ich denke, es seien noch ein paar Pluspunkte, die vielleicht die Minuspunkte ausgleichen.
Das steht hier, Römer 3,21.
Die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus
Jetzt habe ich lange geredet, nun sprechen wir noch einmal darüber. Ich rede, in Vers 22, von der Gerechtigkeit vor Gott. Sie kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es gibt hier keinen Unterschied zwischen Juden, Griechen, Vornehmen, Unvornehmen, Weisen oder Unweisen. Sie sind allesamt Sünder und entbehren des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.
Sie werden ohne Verdienst, allein aus Gnade, gerechtgemacht durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. Gott hat ihn für den Glauben hingestellt als Mahnmal, als Erinnerungsmal, als Sühnmal. Im Hebräischen heißt das Kapored. So wie es im Tempel den Gnadenstuhl gab, von dem aus Gott sagt, die Sünden sind vergeben – am großen Versöhnungstag.
Dies geschieht zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden erlässt und vergibt, die früher begangen wurden, in der Zeit seiner Geduld. Gott erlässt auch die Schulden, die früher da waren, vor Noah. Nun aber geschieht dies in dieser Zeit, um seine Gerechtigkeit zu erweisen. Denn er selbst ist gerecht.
Er lässt die Welt nicht einfach laufen, sondern nimmt Bezug auf die Sünde. Er greift ein. Es ist nicht so wie bei manchen Staatsanwälten, bei denen man sagt, Wirtschaftsvergehen kämen gar nicht vor Gericht. Was tut eigentlich die Staatsanwaltschaft? Sie sind faul, sie tun nichts. Aber Gott tut etwas. Er hat Jesus die Sünde der Welt aufgeladen und macht den gerecht, der aus dem Glauben an Jesus ist.
Verstehen Sie, was Herr Paulus sagt? Für sich selbst schon: Ihr könnt an mir kritisieren, ihr könnt an mir Ecken und Kanten sehen – die hat es sicher. Aber ich habe den Herrn Jesus, ich gehöre ihm, und er hat mich gerecht gemacht. Ich freue mich darauf, eines Tages vor Jesus zu stehen. Er macht gerecht.
Wo bleibt nun das Rühmen? Denken Sie an den Pharisäer im Tempel, der sagt: „Ja, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser Zöllner.“ Wo bleibt das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welche Gesetzmäßigkeit? Durch das Gesetz der Werke? Nein, nein, nein. Sondern durch das Gesetz des Glaubens. Ich brauche mich nicht mehr zu rühmen.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Oder ist Gott allein der Gott der Juden? Ist er nicht auch der Gott der Heiden? Ja, gewiss, auch der Gott der Heiden. Das gilt für Juden und Heiden, für alle. Denn es ist der eine Gott, der gerecht macht: die Juden aus dem Glauben, die Heiden durch den Glauben.
Viele haben sich darüber gestritten, ob das etwas unterschiedlich ist. Nein, bei beiden spielt der Glaube eine Rolle. Wie heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! So brechen wir das Gesetz nicht auf. Wir brauchen es zur Erkenntnis der Sünde. Wir heben das Gesetz nicht auf und sagen, wir brauchen nicht mehr darauf zu achten.
Doch das Gesetz ist die Checkliste, die wir brauchen, damit wir sehen, wie nötig wir Jesus haben.
Ergänzende Gedanken aus dem Epheserbrief
Wenn noch Kraft vorhanden ist, möchte ich darum bitten, den Paulus vielleicht noch ein wenig besser zu verstehen. Dazu lohnt es sich, den Epheserbrief aufzuschlagen. Manchmal muss man bei Paulus in seinen Briefen etwas genauer hinsehen.
Im Epheserbrief, Kapitel 2, Vers 4, findet sich ein großer Lobpreis. Diesen möchte ich jetzt gar nicht ausführlich kommentieren, aber hier sieht man die gesamte Argumentation des Paulus, seine Beweisführung:
„Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr selig geworden. Er hat uns mit Jesus auferweckt und mit Christus Jesus eingesetzt im Himmel, damit er in den kommenden Zeiten, es wird einmal herauskommen, die ganze Herrlichkeit zeige – den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.“
Das darf ich mal ganz einfach sagen: Wenn ich einmal in der Welt Gottes durch die Gnade des Herrn Jesus hineinkommen darf und mir Freunde begegnen, sagen sie vielleicht: „Karl, kennst du mich nicht mehr?“ – „Wer bist denn du?“ – „Du bist der Rolf.“ – „Du bist ja ganz anders, du hast ja gar keine Ecken und Kanten mehr, das ist bloß noch Herrlichkeit Gottes.“
Die Gottesvollkommenheit wird erst in den kommenden Zeiten offenbar werden. Darum heißt es: „Suche, was droben ist.“ Denn Christus, euer Leben, ist verborgen in Christus mit Gott. Wenn aber Christus offenbar werden wird (vgl. Kolosser 3), dann werden auch wir offenbar werden in Herrlichkeit.
Dann werden sie mir alle sagen, wer sie sind, und ich werde sie gar nicht mehr erkennen. Hoffentlich kennen sie mich auch nicht mehr. Das alles geschieht im überschwänglichen Reichtum seiner Gnade.
Denn aus Gnade seid ihr gerettet worden durch den Glauben, nicht aus euch, Gottes Gabe ist es. Es ist nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.
Das Allerschlimmste für Paulus war, wenn Christen sagten: „Na ja, ich habe ja auch anständig gelebt. Das habe ich schon bei meinen Eltern gelernt. Der Kirchgäng war bei uns Sitte, und wir haben zwar die Morgenandacht – die gab es in anderen Häusern nicht mehr – aber wir haben es durchgehalten. Ich habe auch ein anständiges Leben.“
Menschenskind, du wirst gerettet, weil der Herr Jesus sagt: „Ich möchte dein Retter sein.“ Und hoffentlich wird das andere alles dazukommen, aber niemals zum Rühmen. Keinen Augenblick.
Wir sind sein Werk, und wir rühmen nicht unsere Werke. In Vers 10 heißt es:
„Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollten.“
Wenn wir also gute Werke tun, ist das so, als ob jemand sagt: „Kommen Sie, Sie dürfen mit meinem Mercedes fahren. Ich mache Ihnen die Tür auf. Das dürfen Sie fahren, das ist mein Mercedes. Fahren Sie ruhig, solange Sie wollen.“
So dürfen wir gute Werke tun. Jesus sagt: „Das ist eigentlich mein Werk. Meine guten Werke habe ich vorher bereitet, aber du darfst einsteigen.“ Doch rühmen sollten wir uns nicht.
Ich habe jetzt ein paar einfache Beispiele gebracht, um das zu verdeutlichen, weil Paulus schwer zu verstehen ist. Trotzdem hat er eine so gloriose Botschaft.
Das soll unser letzter Gedanke heute Abend sein: Herr, mach es auch bei mir wahr! Ich traue dir zu, durch dein Zeichen, den gekreuzigten Jesus. Du hast meine Schuld auf dich genommen, und jetzt darf ich mit dir leben.
Herr, lass das wahr werden bei uns. Danke, dass dein Wort so groß und verlässlich ist und dass wir deine Herrlichkeit erkennen können. Amen.