
Ich darf euch heute alle ganz herzlich begrüßen. Es geht um ein Buch, mit dem ich anfangs etwas Schwierigkeiten hatte. Ich wusste noch nicht genau, wie ich es vermitteln soll und was ich dazu sagen kann. Vielleicht werdet ihr im Verlauf des Abends auch erkennen, wo die Schwierigkeiten liegen.
Zuerst möchte ich ein paar allgemeine Gedanken zu diesem Buch teilen. Danach steigen wir in die inhaltliche Betrachtung ein. Wer eine Bibel dabei hat, kann sie zu den entsprechenden Stellen einfach mit aufschlagen.
Es geht um das Hohelied aus dem Alten Testament.
Der Titel des Buches Hohelied beziehungsweise der Name leitet sich ab aus Kapitel 1, Vers 1. Und ihr werdet das bei eurer Elberfelder Bibel sehen. Dort steht nicht „Hohelied“ drüber, sondern in Klammern. Der eigentliche Titel lautet „Das Lied der Lieder“.
Jetzt kann man sich fragen: Was meint „Lied der Lieder“? Das ist ja ein etwas ungewöhnlicher Ausdruck. Ist das etwas Besonderes? Ja, genau das ist es. Im Hebräischen wird der Superlativ, also die höchste Steigerungsform, so ausgedrückt. Zum Beispiel sagt man „das Lied der Lieder“, um das allerbeste, allerschönste, allertollste Lied zu bezeichnen, das es gibt.
An anderer Stelle taucht eine ähnliche Formulierung auf, zum Beispiel in Offenbarung 19, Vers 16. Dort wird beschrieben, wie Jesus auf die Erde zurückkommt. Er wird vorgestellt und trägt auf seinem Gewand und an seiner Hüfte einen Namen geschrieben. Dort steht „König der Könige“. Was bedeutet das? Es meint den höchsten König beziehungsweise den Herr der Herren. Damit ist der allerhöchste Herr gemeint.
In diesem Sinn ist auch das Hohelied „das Lied der Lieder“. Es wurde von Salomo geschrieben. Salomo hat noch mehr Lieder verfasst. Man hat ungefähr eine Vorstellung davon, wie viele es sind – in der Größenordnung von tausenddrei. Bietet jemand mehr? Fast richtig, es sind genau tausendfünf! Das steht in 1. Könige 5,12.
Salomo war anscheinend ein sehr begabter Mann, der nicht nur Sprüche verfasst hat, sondern auch Lieder geschrieben hat. Jetzt müsst ihr euch das vorstellen: Von den etwa 1005 Liedern, die er geschrieben hat – also Martin, wie viele hast du? Noch ein bisschen, noch ein bisschen ranhalten, fehlt noch – von diesen 1005 Liedern sagt er, es gibt ein Lied, das alle anderen übertrifft. Und das ist dieses hier: Ein Lied über die Liebe.
Autor und Entstehungszeit dieses Buches.
Salomo regiert noch das Vereinigte Königreich. In der heutigen Predigt habe ich erwähnt, dass der Nordteil Israels die zehn Nordstämme umfasst, die von den Assyrern verschleppt wurden. Das geschah im 8. Jahrhundert vor Christus, genauer gesagt im Jahr 722.
Vor dieser Zeit regierte Salomo, als das nördliche und südliche Königreich noch eins war. Er herrschte etwa 40 Jahre, ungefähr von 971 bis 931 v. Chr. Wenn ihr David zeitlich einordnen möchtet, dann legt ihn auf das Jahr 1000. Salomo, als sein Sohn, regierte dann von etwa 971 bis 931.
Salomo wird im Buch mehrfach genannt, nämlich sieben Mal. Das bedeutet, wir können davon ausgehen, dass er tatsächlich auch der Autor ist. Im Buch selbst gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, wann genau es geschrieben wurde. Wir wissen nur, dass er es wohl innerhalb seiner Regierungszeit verfasst hat. Vielleicht hat er es auch schon davor geschrieben, das ist ebenfalls möglich. Genau wissen wir es nicht, zu welchem Ereignis oder Zeitpunkt in dieser Zeit.
Worum geht es im Buch? Was ist der Hintergrund und der Inhalt? Das Geschehen im Hohelied wird von zwei Personen dominiert. Wer das Buch durchliest, merkt, dass auf der einen Seite Salomo steht. Er wird an verschiedenen Stellen als König bezeichnet. In der Liebesgeschichte ist er der Geliebte.
Auf der anderen Seite steht Sulamit. Sulamit ist eine junge Frau, über die wir jedoch relativ wenig wissen. Ich werde später noch etwas dazu sagen, was man über sie annimmt. Im Großen und Ganzen bleibt sie ziemlich geheimnisvoll. Vielleicht muss das bei einer hübschen Frau so sein, das weiß ich nicht, aber es ist auf jeden Fall so.
Unterschiedliche Ausleger haben versucht, in Sulamit bestimmte Frauen hineinzuinterpretieren, zum Beispiel die Tochter des Pharao oder Abischak. Wisst ihr, wer Abischak ist? Die Schule darf das nicht wissen. Genau, richtig. Hat Salomo sie denn auch geheiratet? Nein, das hat er nicht. Es gibt aber Leute, die meinen, diese Person, erwähnt in 1. Könige 1, Vers 3, könnte vielleicht die Sulamit sein. Diese Auslegung gibt es, aber die wahrscheinlichste ist, dass es sich bei dem Mädchen tatsächlich um jemanden handelt, der an anderer Stelle in der Bibel nicht erwähnt wird. Also ist sie in dem Sinne eine Unbekannte, die uns hier zum ersten Mal begegnet.
Das sind also die beiden Hauptdarsteller: Salomo und Sulamit. Daneben gibt es noch ein paar Nebenrollen, die in diesem Drama vergeben wurden. Warum es ein Drama ist, werde ich später noch erklären.
Die erste Nebenrolle finden wir zum Beispiel in Kapitel 1, Vers 5: „Schwarz bin ich und doch anmütig, ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Zeltdecken Salomos.“ Mittendrin tauchen diese Töchter Salomos, diese Jungfrauen oder Töchter Jerusalems, auf. Wahrscheinlich sind es Frauen, die zum Haushalt des königlichen Palastes gehören. Für die Braut, die sich im Palast aufhält, sind sie eine ganz alltägliche Sache. Vielleicht sind es auch die Frauen, die sie umgeben, ihre Dienerinnen, die sich mit ihr beschäftigen – die Töchter Jerusalems.
Dann stoßen wir in Kapitel 3 auf die Helden Salomos, genauer gesagt in den Versen 6 bis 8. Ich lese mal Vers 7: „Siehe da die Senfte Salomos, sechzig Helden sind dringen rings um sie her von den Helden Israels. Sie alle sind Schwertträger, geübt im Kampf, jeder hat sein Schwert an seiner Hüfte gegen den Schrecken zur Nachtzeit.“ Hier wird eine kleine Nebenrolle erwähnt: die Helden Salomos, die ihn begleiten und in dieser Situation bei ihm sind.
Eine dritte Nebenrolle spielen die Brüder der Sulamit. Die Brüder tauchen hauptsächlich am Ende auf und sagen uns dann, dass sie ihre Pflicht, Sulamit zu bewahren und zu bewachen, auch wahrgenommen haben.
Das Hohelied verbindet grob zwei Handlungsorte miteinander, die an unterschiedlichen Orten liegen. Der erste Ort ist das Hügelland, ziemlich weit nördlich von Jerusalem. Wenn man eine Bibelkarte von Palästina zur Zeit des Alten Testaments zur Hand nimmt, kann man das gut nachvollziehen. Legt man den Finger auf Jerusalem und wandert dann nach Norden, erreicht man etwa auf Höhe der Küstenstadt Dor die Stadt Schunem.
Von Jerusalem aus gesehen liegt Schunem also im Norden, ungefähr auf der Höhe von Dor. Unter den Auslegern hat sich die Idee durchgesetzt, dass Sulamit – so wird die Frau im Hohelied, Kapitel 7, Vers 1 bezeichnet („Dreh dich um, dreh dich um, Sulamit“) – kein Eigenname ist. Vielmehr ist Sulamit eine Bezeichnung für eine Frau aus Schunem, also eine Bewohnerin dieses Ortes.
Ich kann zu wenig Hebräisch, um zu erklären, warum das so möglich ist, aber ich vertraue den Fachleuten, die das so darlegen. Wenn Sulamit tatsächlich eine Bezeichnung für eine Bewohnerin von Schunem ist, wissen wir ungefähr, wo die ländlichen Szenen des Hohelieds spielen: rund um Schunem. Dort tritt Salomo als Besitzer eines Weinbergs und als Hirte auf.
Woher wissen wir, dass Salomo solche Dinge getan hat, wie Weinberge anzulegen und Schafherden zu halten? Das steht sehr genau im Buch Prediger. In Prediger 2, Vers 4 heißt es: „Und ich unternahm große Werke, ich baute mir Häuser und pflanzte mir Weinberge. Ich machte mir Gärten und Parks und pflanzte darin die unterschiedlichsten Fruchtbäume. Ich machte mir Wasserteiche, um daraus den aufsprießenden Wald von Bäumen zu bewässern. Ich kaufte Knechte und Mägde und hatte Hausgeborene. Auch hatte ich größeren Besitz an Rindern und Schafen als alle, die vor mir in Jerusalem waren.“
Salomo hat in seiner Suche nach dem Sinn des Lebens viele Dinge ausprobiert. Ein Punkt war, dass er sich intellektuell weitergebildet und studiert hat. Dabei musste er feststellen, dass das viele Studium allein nicht die Antwort bringt. Ein anderer Aspekt war, dass er sich in praktischen Dingen verwirklichte: Häuser bauen, Weinberge anlegen, große Schafherden halten.
Es passt gut dazu, dass Salomo in dieser Phase als jemand, der sich intensiv um seine Besitztümer kümmert, auch an einem Ort wie Schunem auftaucht.
Dies sind einige Gedanken zum Thema Geschichte und Theologie.
Das Hohe Lied hat 117 Verse und wurde von den Juden von Anfang an als Teil der Heiligen Schrift anerkannt. Darüber gab es keinerlei Diskussionen. Es ging sogar so weit, dass es am Passahfest vorgelesen werden sollte. Es ist eines der fünf Bücher, die man am Passah liest.
Ihr werdet euch wundern, welche Bücher das sind. Meine Frau schüttelt den Kopf. Ich finde es faszinierend, dass das Hohe Lied beim Passah vorgelesen wird, obwohl es auf den ersten Blick nicht so offensichtlich erscheint. Das ist vielleicht merkwürdig, aber ich möchte euch sagen, welche Bücher am Passah vorgelesen werden: Es sind Ruth, das Buch Esther, das Buch Prediger, das Buch Klagelieder und das Buch Hohe Lied.
Das sind genau die Bücher, bei denen man vielleicht sagen würde: „Naja, mit denen kann man fast ein wenig experimentieren.“ Wenn du mich gefragt hättest, welche Bücher am Passah gelesen werden, hätte ich wahrscheinlich gesagt: Zweiter Mose, der Auszug, das müsste irgendwie dabei sein, und ein paar schöne Psalmen wären auch nett, schließlich ist es eine Feier. Da fallen mir viele ein. Aber es sind gerade Ruth, Esther, Prediger, Klagelieder und Hohelied, was schon verwunderlich ist.
Umso verwunderlicher ist, dass Gott in dem ganzen Buch nicht erwähnt wird. Du suchst Gott in dem Buch eigentlich vergeblich – bei Esther ist es nicht anders. Man könnte an einer Stelle sagen, dass Gott doch auftaucht, nämlich in Kapitel 8, Vers 6. Dort heißt es: „Leg mich wie ein Siegel an dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm, denn stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie der Scheol die Leidenschaft, ihre Gluten sind wie Feuergluten, eine Flamme Jahs.“
Da taucht der Name auf. Die Frage ist nur: Was meint der Text damit? Ist das wirklich eine Referenz auf Gott, oder möchte der Autor etwas anderes zum Ausdruck bringen? Soll das ein Bild sein für eine besonders kräftige Flamme, eine „Flamme Jahs“? Das könnte einfach eine besonders helle, gleißende und heiß brennende Flamme sein. Entsprechend übersetzen zum Beispiel die englischen Bibeln, wie die King-James-Bibel, mit „a most vehement flame“, also nicht „Flamme Jahs“, sondern sie sehen das als ein Bild für eine besonders heiß brennende, sehr heftige Flamme.
Das Nächste, was uns auffällt, ist, dass in dem Buch keine theologischen Themen im eigentlichen Sinn behandelt werden. Vergleicht man zum Beispiel den Römerbrief mit dem Hohen Lied, würde man sagen, dass der Römerbrief ein Standardwerk der Theologie ist, während das Hohelied so etwas zunächst nicht bietet.
Außerdem wird das Hohe Lied im Neuen Testament nicht zitiert. Es gibt nur sehr wenige Bücher, die im Neuen Testament überhaupt nicht zitiert werden, und das Hohelied gehört dazu. Neben ihm sind das Esther, das kleinste Buch des Alten Testaments, Obadja, sowie Nahum. Diese Bücher werden im Neuen Testament nicht zitiert.
Was ist das Thema des Hohelieds? Ich möchte euch sagen, was ich darüber denke. Meiner Ansicht nach geht es im Buch Hohelied um die Reinheit und Romantik einer ehelichen Liebesbeziehung. Dabei liegt der Schwerpunkt für mich stark auf dem Thema Liebesbeziehung, während die Ehe einfach vorausgesetzt wird.
Das Buch könnte die Aufgabe haben, den zwei Extremen entgegenzutreten, die man in der Menschheitsgeschichte immer wieder im Umgang mit Ehe und Sexualität findet. Auf der einen Seite begegnet uns immer wieder Abstinenz: Die Vorstellung, dass man Askese praktizieren und nicht heiraten soll. Auf der anderen Seite gibt es in der Kirchengeschichte immer wieder eine besondere Liberalität, bis hin zu der Haltung: „Tu, was dir gefällt, es ist alles egal, mach dir keinen Kopf darum.“
Soweit ich das Hohelied richtig verstehe, zeigt es ein Bild dafür, wie der richtige Weg aussieht. Es warnt davor, auf einer der beiden Seiten zu landen. Man soll nicht sagen, Sexualität sei etwas Schlimmes, Unreines oder Ungeistliches, und wer sie lebt, gefällt Gott nicht. Andererseits soll man auch nicht übertreiben und sagen: „Sexualität ist alles, und was gefällt, ist erlaubt.“
Ich möchte zu den beiden Extremen noch einige Bibelstellen bringen, denn auch das Neue Testament warnt vor diesen Extremen. Eine davon ist 1. Timotheus 4. Mich hat das beim Nachdenken sehr beschäftigt.
In 1. Timotheus 4,1-3 gibt uns der Apostel Paulus eine Warnung mit auf den Weg. Er sagt: „Seid vorsichtig! Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten manche vom Glauben abfallen werden. Und wie passiert das? Indem sie auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen achten.“
Dann beschreibt Paulus den Inhalt dieser Lehren: „Sie verbieten zu heiraten.“ Das ist ein Beispiel. Paulus warnt davor, dass irgendwann falsche Lehren, die Lehren von Dämonen, in die Christenheit Einzug halten werden. Eine dieser Lehren wird sein, dass man nicht heiraten darf.
Wenn wir in die Kirchengeschichte schauen, sehen wir, dass das relativ schnell aufkam. Das kennen wir überall, es nennt sich Zölibat. Man stellt es vielleicht als besonders heilig dar, wenn jemand unverheiratet bleibt – die Bibel kennt das so nicht.
Die andere Seite von Abstinenz ist sexuelle Perversion. Das heißt, ich lebe meine Sexualität aus, wie ich will, auch völlig außerhalb der von Gott gegebenen Regeln. Ein Beispiel dafür finden wir im 1. Korintherbrief, Kapitel 6.
In 1. Korinther 6,13 am Ende heißt es: „Der Leib aber ist nicht für die Hurerei oder für die Unzucht.“ Das Wort „Unzucht“ in der Bibel bezeichnet jede Form von Sexualität, die nicht von Gott gewollt ist. Wenn ihr Gottes Idee sehen wollt, wie Sexualität gedacht ist, dann zeigt die Bibel das in ihren Anweisungen. Sie verbietet nicht alles, sondern beschreibt, was Gott sich vorstellt: Ein Mann, eine Frau in der Ehe. So fängt die Bibel an.
Deshalb steht in 1. Korinther 6,18: „Flieht die Unzucht!“ Wenn du darauf verführt wirst, lauf davon! Ein schönes Beispiel ist Joseph und die Frau des Potiphar. Lass die Sache hinter dir, nimm die Beine in die Hand und geh weg!
Weiter heißt es: „Jede Sünde, die ein Mensch begehen mag, ist außerhalb des Leibes; wer aber Unzucht treibt, sündigt gegen den eigenen Leib.“ Unzucht oder Hurerei ist eine ganz besondere Sünde. Sie verunreinigt uns in einer Weise, die anders ist als bei anderen Sünden.
In Vers 19 steht: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, den ihr von Gott habt? Und dass ihr nicht euch selbst gehört, denn ihr seid um einen Preis erkauft worden. Verherrlicht nun Gott mit eurem Leib!“
Auf der einen Seite steht also Askese, auf der anderen Seite Hurerei. Das Hohelied zeigt uns den Weg dazwischen.
Es muss etwas gesagt werden, was manch einer, der jetzt hier keinen Partner hat und sich vielleicht einen wünscht, vielleicht erst einmal schlucken lässt. Denn ich werde ein bisschen über die Schönheit und das Prickelnde einer intakten Beziehung sprechen müssen.
Man muss sagen, dass das eigentlich normal ist. Vergebt mir an dieser Stelle. Das Hohelied unterstreicht tatsächlich den Wert und die Schönheit einer romantischen Beziehung. Es betont dies sehr deutlich. Was an anderer Stelle in der Bibel nicht so explizit ausgeführt wird, nimmt das Hohelied in poetischer Form auf und führt es dem Leser vor Augen.
Wir lesen von Sehnsucht, Leidenschaft, Intimität. Wir lesen davon, dass die Partner einander genießen. Und Gott bringt diese Dinge zusammen und sagt: So habe ich mir das eigentlich vorgestellt. Wenn das im Leben so ist, dann ist daran nichts Sündhaftes. Es ist etwas ganz Normales.
Das Hohelied ist nicht einfach auszulegen, das werden wir später noch sehen. Aber an dieser einen Stelle sind sich meines Erachtens alle Ausleger einig: Es ist eine ganz klare Bejahung einer emotionalen, das ganze Herz erfüllenden, leidenschaftlichen Hingabe zweier Eheleute aneinander. Das ist das, was das Hohelied sagt: Ja, so hat sich Gott das gedacht.
Und wenn das so ist, dann ist das überhaupt nicht schlimm. Dann bist du nicht ein bisschen krank, sondern du kannst sagen: Stimmt, so funktioniert das. So etwas findet sich schon angedeutet an anderer Stelle, zum Beispiel in Sprüche 5. Dort bekommt man schon eine Vorstellung davon, wie sich Gott Intimität in der Ehe vorstellt.
Sprüche 5, Vers 15 zum Beispiel spricht vom Umgang der Eheleute miteinander. Es wird hier aus der Sicht des Mannes dargestellt, weil es die Unterweisung eines Vaters an seinen Sohn ist. Er sagt: „Trinke Wasser aus deiner eigenen Zisterne, und was aus deinem Brunnen quillt, soll nach draußen verströmen, zu den Plätzen, die Wasserbäche sind. Dir allein sollen sie gehören, doch keinem Fremden neben dir. Deine Quelle sei gesegnet, erfreue dich an der Frau deiner Jugend, der liebliche Hirschkuh und anmutige Gämse.“
Vergebt mir, ich dachte mir an dieser Stelle: „Ihre Brüste sollen dich berauschen, jederzeit in ihrer Liebe sollst du taumeln.“ Hier kommt ein Stück heraus, wie Gott sich das vorstellt. Es ist nicht ein Nebeneinanderherleben, sondern Gott hat Beziehung geschaffen, damit zwei sie genießen können.
So wie wir, wenn wir das Evangelium richtig verstanden haben, auch die Liebe zu Gott genießen können. Das ist das Ziel: Liebe zu genießen und Gott zu verherrlichen. So hat jemand mal das höchste Ziel eines Menschen zusammengefasst: Gott zu verherrlichen und seine Liebe zu genießen. Ich finde diese Zusammenfassung nach wie vor sehr treffend.
Ähnlich ist es auch in der Beziehung. Die Beziehung ist dazu da, um genossen zu werden. Was mich beeindruckt, ist, dass das Hohelied, obwohl es prickelnd und leidenschaftlich ist, an keiner Stelle pornografisch wird. Es bleibt immer in poetischen, umschreibenden, bildhaft verhüllenden Beschreibungen.
Das macht es so schön. Man liest von der Hochzeitsnacht, und es wird nicht abstossend, sondern behält seinen Charme und seine Schönheit. Man bewahrt Distanz und ist doch mittendrin. Man merkt: Gott hat hier etwas gemacht, und er erlaubt es, dass in der Bibel eine Hochzeitsnacht beschrieben wird. Da sucht man mal ein anderes Buch, das so schön davon erzählt. Einfach Wahnsinn.
Insofern ist das Hohelied, wenn man es liest, immer auch eine Anfrage. Wenn ich sage, dass das Hohelied bestimmt ein Buch ist, das um Beziehung geht – um gelebte, leidenschaftliche Beziehung –, dann darf es auch immer eine Anfrage an mich selbst sein.
Es darf die Frage sein: Ist das so bei mir? Will ich das? Bin ich bereit, auf dieses Ziel hin zu investieren? Ich glaube nicht, dass das von alleine kommt. Aber ich glaube, dass wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Mir geht es so, dass ich das Hohelied lese und merke, die Beziehung zwischen den beiden macht Entwicklung durch. Es gibt Aufs und Abs, aber sie bleiben dran. Sie arbeiten an ihrer Beziehung. Und sie tun das nicht, weil sie ihre Steuerkarte oder Steuerklasse nicht verlieren wollen. Sie tun es auch nicht, weil die Kinder da sind, sondern weil sie zueinander gehören.
Sie sagen einfach: Wir wollen dieses leidenschaftliche Moment nicht verlieren. Jeder, der ein paar Jahre verheiratet ist – und hier sind jetzt gar nicht so viele –, aber ich glaube, wir wissen, was es heißt, an diesem Element zu arbeiten.
Wir wissen, wie leicht Routine ins Leben kommen kann, wie leicht Ernüchterung sich einschleichen kann, wie leicht man keine Geheimnisse mehr miteinander hat. Wie leicht man es gibt, wie Rio Reiser in einem Lied singt. Kennst du das Lied? Nein? Ich kenne es auch unter anderem Titel.
Die Strophe lautet: „Sie berühren sich nicht, sie verführen sich nicht, sie sind nur wie Diplomaten, so herrscht ihr.“ Sie verführen sich nicht, sie entführen sich höchstens, sie enden wie Diplomaten. Und was er damit ausdrücken will – zumindest kommt das bei mir so an –, ist: Diplomaten haben in dem Sinne keine Beziehung. Sie führen Verhandlungen, jeder bleibt auf seiner Position hängen.
Insofern wünsche ich mir, dass ich durch das Lesen des Hohelieds wieder neu bereit werde, im Bereich Leidenschaftlichkeit in die Beziehung zu investieren. Ich will überlegen: Wo stehe ich eigentlich?
Okay, das war's. Noch ein bisschen zum Thema Auslegung.
Man sagt, dass das Hohe Lied das Buch ist, zu dem es die unterschiedlichsten Auslegungen gibt. Das ist doch klasse, oder? Die Frage ist: Wie soll ich es jetzt auslegen, wenn andere Leute schon so viel darüber geschrieben haben und sich nicht ganz einig sind?
Ich werde euch mal sagen, warum sie sich nicht einig sind. Man kann das Hohe Lied auf drei Weisen auslegen, und wir werden uns dann für eine entscheiden müssen.
Die erste Weise, wie man das Hohe Lied auslegen kann, ist die sogenannte naturalistische Auslegung. Die Leute, die das Hohe Lied so auslegen, sagen, es ist nicht mehr als eine Sammlung von mehr oder weniger erotischen Liedern oder Liedstrophen, eventuell mit dem Ziel, ideale Liebe zu besingen. Punkt. Klingt ja schon gar nicht so schlecht.
Dann gibt es das genaue Gegenteil davon: die sogenannte allegorische Auslegung. Eine Allegorie – kann jemand sagen, was eine Allegorie ist? Eine bildhafte Auslegung, wie zum Beispiel Paulus, der im Galaterbrief die Geschichte von Hagar, Ismael und Sarah auslegt. Genau, also eine bildhafte Auslegung.
Das bedeutet: Mit einer allegorischen Auslegung interessiert mich eigentlich gar nicht genau, was da steht. Ob das jetzt so passiert ist, wie es da geschildert wird, spielt keine Rolle. Denn es ist in erster Linie ein Bild, ein Bild für etwas anderes, für etwas Höheres. Ein bisschen ähnlich wie bei einem Gleichnis: Ob der Sämann wirklich ausgegangen ist, wen interessiert das? Es ist ein Gleichnis.
Und genauso könnte man das Hohe Lied nehmen und einfach als Allegorie deuten. Es will etwas Höheres darstellen, nämlich zum Beispiel die Liebe Gottes zu seinem Volk oder die Liebe Christi zur Gemeinde.
Das Problem mit dieser Auslegung ist natürlich, dass man nicht nachprüfen kann, ob das, was hinten herauskommt, auch so gedacht war. Letztlich kann jeder frei erzählen, was er denkt, was dieses Bild bedeutet. Das endet dann darin, dass zum Beispiel die Lockenpracht der Braut gleichgesetzt wird mit den Gläubigen, die aus den Nationen zur Gemeinde kommen.
Hm, anderes Extrem. Das eine ist Naturalismus, ganz dicht dran, das andere ist bildhaft, ganz weit weg.
Es gibt eine dritte Variante, die vielleicht die Vorteile der beiden ersten Auslegungsarten verbindet. Diese Variante sagt, das Hohe Lied ist ein Typus. Da ist etwas Vorbildliches drin, aber es ist auch eine Geschichte mit einem realen Hintergrund. Dieser reale Hintergrund wird geschildert, aber natürlich, wie es bei anderen Büchern auch ist, gibt es auch in diesem Buch ein religiöses Ziel.
Und das, was mir erlaubt, diesen Weg zu beschreiten, ist Epheser 5, Verse 31-33. Da heißt es: „Deswegen wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist groß, ich aber deute es auf Christus und die Gemeinde. Jedenfalls auch ihr, jeder von euch liebe seine Frau so wie sich selbst, die Frau aber, dass sie Ehrfurcht vor dem Mann habe.“
Die Ehe ist ein Bild, und zwar ein Bild auf eine andere, auf eine höhere Beziehung: auf die Beziehung Christus – Gemeinde.
Wenn das stimmt, dann ist die Ehe und die Beziehung, die uns im Hohen Lied vorgestellt wird, das natürlich auch. Und insofern darf ich sagen, dass ich zwei Ebenen innerhalb des Hohen Liedes finde.
Einmal die Ebene, die ich schon dargestellt habe: Sie zeigt die von Gott gewollte Partnerschaft in ihrer Abgrenzung zu Askese auf der einen Seite und, ich sag mal, böser Lust auf der anderen Seite.
Aber es gibt eine zweite Ebene, und diese zweite Ebene ist, dass es auch die Beziehung abbildet, die Christus zu seiner Braut, der Gemeinde, hat. Denn das, was uns vorgestellt wird, ist eine ideale Beziehung.
Ich habe es beim Brotbrechen gesagt: Meine Beziehung zu Gott ist nicht immer ideal, aber seine Beziehung zu mir ist es. Insofern ist die Richtung Geliebter – Braut – Gott – Gemeinde immer optimal.
Das Dumme ist, dass ich ihm oft nicht so zurückgebe, wie er es verdient. Insofern kann ich etwas in der Beschreibung mitbekommen von der Art und Weise, wie Gott die Gemeinde liebt.
Nun, stell mir eine Frage: Warum musst du ausgerechnet sagen, wo wir 300 Frauen sind, aber jeder Frau das schreiben? Keine Ahnung. Dass man über den Winter kommt und man es liest. Wäre das mit den Frauen in der Garde vielleicht schon wahr?
Es passt doch dann auch überhaupt nicht zu dieser Stelle, die sagt: „Die zwei werden ein Fleisch sein.“ Die zwei und die zwei und die zwei und die zwei ... (wiederholt). Ich weiß, dass das seine Außenwelt ist. Er beschreibt, sie ist seine einzige, seine herausragende. Und ich würde auch nur diesen Aspekt übertragen wollen, nicht die restlichen.
An einer Stelle wird auch schon von Nebenfrauen und Frauen gesprochen. Es gibt Ausleger, die sagen: Das ist nur irgendein Weltbild für „Du bist besser als die ganzen anderen.“ Aber naheliegend ist es, das zu glauben. Ja, naheliegend ist das richtig.
Vielleicht kann man es dann so deuten: Jetzt hat ja auch jeder von uns eine ganz individuelle Frage. Die Frage ist dann, ob du Nebenfrau oder Hauptfrau bist in der Beziehung. Lassen Sie sich noch in die Auslegung einbringen.
Liest man das Hohelied, bekommt man relativ schnell ein Problem. Man muss sich die Frage stellen: Was hat man eigentlich vor sich? Und wenn ich sage, bei der Auslegung gibt es einmal die Herangehensweise, es ist nur naturalistisch, oder ich lege das Ding allegorisch aus, wo ich zu allem kommen kann, oder sage ich: Ich will aus beidem das Beste haben. Da ist ein historischer Hintergrund, aber ich sehe auch die zweite Ebene in der Beziehung Gemeinde zu Christus.
Dann ist auch die Frage, was habe ich eigentlich literarisch vor mir liegen? Ist das eine Geschichte, die fortlaufend erzählt wird? Also ich lese das, und die Kapitelangaben – die hat ja irgendjemand mal reingemacht – und die Verse, ist es so, dass ich eine fortlaufende Geschichte vor mir habe? Das bedeutet, dass die Ereignisse, die in Kapitel zwei geschildert werden, nach den Ereignissen kommen, die in Kapitel eins geschildert werden, usw.
Ja, man nennt so etwas ein Drama. Nicht, dass man Probleme hat, sondern die Art. Und natürlich kann ich versuchen, den Inhalt des Buchs, wenn ich das so mache, mir irgendwie vorzustellen. Was kommt dann für eine Geschichte raus, wenn ich das mache?
Es kommt eine Geschichte heraus, die etwa wie folgt verläuft: Salomo und ein einfacher Hirte werben um die Liebe der schönen Sulamit. Salomo gibt am Ende nach, und die beiden Liebenden werden vereint.
Ja, also wenn ich der Geschichte folge, sage ich: Natürlich, am Ende kriegt der Schafhirte die Sulamit. Folgt man dem, könnte ich nichts dagegen sagen. Aber ich sage euch, warum ich es nicht glaube: Es würde mich wundern, wenn ein Lied, das man „Lied der Lieder“ überschreiben müsste, also das schönste Liebeslied, mit „Der größte Korb, den ich je bekam“ erklärt würde. Das macht relativ wenig Sinn, oder?
Aus dem Text kann ich euch das nicht ableiten. Ihr könnt das so lesen, wenn ihr wollt. Es gibt genug, die interpretieren das genau so. Aber inhaltlich macht es ja keinen großen Sinn.
Gibt es noch etwas? Gibt es vielleicht eine etwas logischere Erklärung? Ja. Denn es gibt in der Literatur nicht nur fortlaufende Geschichten. Zumindest in der poetischen Literatur gibt es hier alle möglichen Stilarten.
Und seit dem dritten Jahrhundert vor Christus spricht man von einer Stilart, die nennt man Idylle. Theokrit, ein Dichter, der auf Sizilien lebte, hat diesen Begriff eingeführt. Es handelt sich hier um ein kurzes, bildhaftes Gedicht, meist mit einer erzählenden oder beschreibenden Handlung, die sich so im alltäglichen Leben ansiedelt. Also etwas, was man kennt, und das Ganze wird noch ein bisschen romantisch aufgepeppt.
Das wäre eine Idylle: eine kurze, bildhafte Geschichte, romantisch, aber schon eng am alltäglichen Leben dran.
Und es gibt jetzt Leute, die sagen – und ich denke, das passt auch persönlich, denke ich auch, dass es am besten passt – es macht Sinn, das Hohelied als eine Sammlung von Idyllen, von solchen kurzen Beschreibungen in sich abgeschlossenen Szenen zu sehen.
Wenn ich das tue, dann habe ich nämlich kein Problem damit zu sagen: Szene zwei ist zwar die gleiche Geschichte, aber nicht zwingend chronologisch nach Szene eins, sondern es sind einfach verschiedene Szenen aus derselben Geschichte in einer Ordnung, die nicht einfach chronologisch sein muss.
Macht man das so, kommt folgende Geschichte heraus: König Salomo besucht die königlichen Weinberge am Libanon und trifft zufällig auf die schöne Sulamit. Sie flieht vor ihm. Salomo besucht sie in der Verkleidung eines Hirten und gewinnt ihre Liebe. Er kommt mit seinem Hofstaat und bittet sie, den Libanon zu verlassen und seine Königin zu werden. Zu Beginn des Buchs sind sie gerade dabei, die Hochzeit zu vollziehen.
Ihr merkt, es ist eine etwas andere Geschichte. Weil ich sage, es sind verschiedene Szenen, die nicht unbedingt in der chronologischen Reihenfolge sind. Ich kann dann selber ein Stückchen die Chronologie zusammenstellen.
Jetzt werdet ihr merken, das ist ja alles völlig obskur, was du da von dir gibst. Das weiß ich auch. Es ist schwer, an der Stelle genau zu sagen, was der Inhalt ist.
Es fängt damit an, dass wir nicht genau wissen, wer wann spricht. Wenn das ein Bühnenstück wäre, wäre das ganz einfach, weil du würdest merken, du hast die verschiedenen Sprecher, dann ist klar, wer spricht. Aber wer hat sich als Bühnenstück aufgeschrieben? Wir wissen es nicht.
Wir wissen nicht, wann der Chor etwas sagt, wir wissen nicht genau, wann Salomo dran ist, wann Sulamit dran ist. Wir können das erahnen, natürlich. Wenn der Bräutigam zur Braut spricht, dann ist klar, wer spricht. Aber es gibt immer wieder einzelne Bereiche, wo es schwierig wird.
Ich habe mir aufgeschrieben, ich gebe euch mal ein Beispiel, wie der Inhalt aussehen könnte, wo Idyllen liegen und was sie als Inhalt haben. Aber ich möchte ganz bewusst vorher sagen: Es ist nur ein Versuch.
Mir selber kommt die Einteilung des Buchs manchmal künstlich vor. Also überall da, wo wir jetzt anfangen, das Buch zu zitieren, habe ich persönlich den Eindruck, es verliert etwas.
Ich lese das Buch als Ganzes und ich merke, da kommt etwas rüber. Was ich kaum richtig greifen kann. Es begeistert ein bisschen, es sind Bilder drin, die mich ansprechen. Es erfüllt sein Ziel, es macht mir die Beziehung zu meiner Frau auf einer ganz besonderen Ebene wieder neu lieb.
Und wenn ich dann anfange, es zu sezieren, es einzuteilen, wo fängt was an, wo hört was auf, wie genau geht die Geschichte, was bedeutet jetzt genau das, dann geht für mich ein Stückchen die Schönheit wieder verloren.
Und vielleicht kennt ihr das auch. Das will ich nur vorneweg stellen.
Ihr hört ein Lied, das euch richtig gut gefällt, das Radio an, und ein Lied, bei dem ihr sagt: Da fahre ich voll drauf ab. Und dann schaust du dir den Liedtext an. Und dann stellst du in dem Liedtext Unregelmäßigkeiten, vielleicht Unlogik fest. Was soll der Sprung denn? Das macht doch jetzt gar keinen Sinn.
Indem du das anschaust und sezierst, verliert das Lied an Schönheit. Vorher hat es dich gar nicht gestört, es hat dich einfach angesprochen, es war ein komplettes Ganzes. Und in dem Moment, wo du in die Tiefe gehst, verliert es.
Mir geht es so. Ich stelle euch jetzt ein paar Einteilungen vor, mir geht es da sehr ähnlich. Als Ganzes genommen fasziniert es mich. Wenn ich darüber nachdenken muss, wie ist der interne Aufbau, wo fängt eine Idylle an, wo hört eine auf, geht ein bisschen was verloren.
So viel dazu. Aber trotzdem, weil das zu einer Einleitung ja auch gehört, kriegt ihr jetzt noch einen kurzen Abriss des Inhalts.
Idylle eins, erste Szene, Hohelied 1,1-27. Idylle eins beschreibt im Rückblick Ausschnitte vom Hochzeitstag, mit dem Schwerpunkt auf dem Beisammensein, also dieser Situation, in der alle zusammen sind, sich unterhalten und sich freuen.
Diese Idylle schließt mit Hohelied 2,7 ab, wo es heißt: „Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hirschkühen des Feldes: Weckt nicht, stört nicht die Liebe, bevor sie selbst will.“ (2,7) Hier wird eine sehr ernste Warnung ausgesprochen. Es geht darum, die Liebe nicht zu überstürzen oder zu erzwingen. Salomo sagt, Liebe ist nichts, womit man spielt. Dahinter steckt viel Feuer und Leidenschaft. Er fordert dazu auf, verantwortungsvoll mit der Liebe umzugehen und sie nicht künstlich zu wecken.
Es gibt eine Zeit, in der Liebe von selbst kommt. Doch man kann durch unbedachte Handlungen bewirken, dass Liebe und Gefühl, obwohl sie eigentlich noch schlafen oder sich noch verstecken wollen, hervorgezogen, ins Licht gezogen und wach gemacht werden. Die Warnung ist klar: Liebe sollte nicht künstlich stimuliert werden.
In unserer Gesellschaft ist so eine Aussage fast schon ein Tabu, denn genau das Gegenteil passiert in Medien und Werbung: Je früher, desto besser. Aber Salomo würde sagen: Wartet! Wenn wir eine Botschaft an die junge Generation hätten, müsste diese Warnung unbedingt dazugehören: Weckt die Liebe nicht auf, werdet reif, lasst sie kommen, wenn sie von selbst kommt.
Idylle zwei umfasst Hohelied 2,8 bis 3,5. Sie erinnert an die Frühlingszeit, als die Liebe ihren Anfang nahm. Das ist ein Rückblick. Bei Hohelied 3,1-4 nehmen manche an, dass es sich um einen glücklichen Traum handelt.
In Hohelied 2,15 heißt es: „Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben, denn unsere Weinberge stehen in Blüte, mein Geliebter ist mein und ich bin sein, der in den Lilien weidet.“ Man kann es auch übersetzen mit: „Lasst uns die kleinen Füchse fangen, die die Weinberge verderben.“
Das ist ein Bild für die Beziehung. Es geht nicht darum, dass Leute in den Weinbergen tatsächlich Füchse fangen, sondern es symbolisiert die kleinen Störenfriede, die sich in eine Beziehung einschleichen. Die kleinen Füchse, die es immer wieder zu fangen gilt. Eine gute Lektion für Partnerschaften: Wenn die Füchse noch klein sind, wenn die Probleme noch klein sind, dann fangt sie. Wartet nicht ab, bis sie alles kaputt gemacht haben und den Weinberg verdorben haben. Es ist unsere Aufgabe, die kleinen Probleme in der Beziehung mit dem Partner frühzeitig anzugehen.
Idylle drei umfasst Hohelied 3,6 bis 5,1. Es beschreibt den Hochzeitstag. In Hohelied 3,11 heißt es: „Kommt heraus und betrachtet doch, ihr Töchter Zions, den König Salomo in der Krone, mit der ihn seine Mutter gekrönt hat am Tag seiner Hochzeit und am Tag der Freude seines Herzens.“ Es ist der Hochzeitstag. Der König holt die Braut mit seinem Hofstaat ab, beide sind begeistert voneinander.
Dann folgt eine Beschreibung der Hochzeitsnacht. Am Ende dieser Beschreibung taucht die Frage auf: Wer spricht eigentlich in Hohelied 5,1b am Ende? Dort heißt es: „Ich komme in meinen Garten, meine Schwester, meine Braut, ich pflücke meine Myrrhe samt meinem Balsam, esse meine Wabe samt meinem Honig, ich trinke meinen Wein samt meiner Milch.“ Und dann kommt der Satz: „Esst, Freunde, trinkt und berauscht euch an der Liebe.“
Wer sagt das? Die beste Erklärung, die ich je gelesen habe, ist, dass es Gott selbst ist, der in dieser Situation spricht. Wenn zwei sich auf die innigste und intimste Weise kennenlernen und einander in einem Maße genießen, wie es kaum intensiver geht, dann spricht Gott hinein und sagt: „Esst, Freunde, trinkt und berauscht euch an der Liebe.“
Könnt ihr euch vorstellen, was für ein Gottesbild das wäre, wenn wir das zulassen würden? Gott sagt: Ja, genau so habe ich es mir vorgestellt.
Idylle vier umfasst Hohelied 5,2 bis 6,3. Das ist die Geschichte, in der er klopft und sie nicht aufmacht, weil sie sagt: „Was ist das hier? Ich habe meinen Leibrock schon ausgezogen, ich habe meine Füße gewaschen, ich möchte sie dann nicht mehr anziehen und noch mal rausgehen aus dem Bett.“
Manch einer sagt, das sei nur ein schlechter Traum. Andere sehen darin schon die ersten Probleme in der Ehe, wenn der eine kommt und der andere nicht sofort reagiert und dann wieder geht, was die Partnerin in tiefe Verzweiflung stürzt.
Die Lektion daraus könnte Hohelied 5,3-6 sein: Eine Beziehung ist zerbrechlich und lebt von überraschenden Momenten, die es zu nutzen gilt. Er steht vor der Tür, und sie ist überrascht, sie hat ihn anscheinend nicht erwartet. Sie nutzt die Gelegenheit des Moments nicht, und im Nachhinein ist sie enttäuscht.
Ich habe notiert: Bequemlichkeit ist der Tod einer lustvollen Beziehung. Damit meine ich, dass wir aufhören, die Chancen, die in einer Beziehung liegen, auszukaufen. Diese Momente, in denen du sagst: Jetzt hätte ich gar nicht gedacht, dass etwas passiert, dass es leidenschaftlich wird oder dass wir Zeit miteinander haben. Wenn ich diese Momente nicht nutze, kann es sein, dass meine Bequemlichkeit am Ende dazu führt, dass meine Beziehung ihren innigen, prickelnden Charme verliert. Das ist zumindest meine Lektion aus dem Hohelied.
Idylle fünf umfasst Hohelied 6,4-7,10. Ich habe hier notiert: schwer auszulegen. Der König schwärmt von seiner Braut und denkt an ihre erste Begegnung zurück. Die Lektion dazu richtet sich nur an die Ehemänner – alle Ehefrauen können gerne weghören: Schwärmen und Loben in der Ehe nicht vergessen.
Idylle sechs umfasst Hohelied 7,11 bis 8,3. Es ist eine kurze Idylle, in der die Braut vorschlägt, ihre alte Heimat noch einmal zu besuchen, noch einmal dorthin zu fahren, wo sie sich kennengelernt haben.
Diejenigen, die in Idylle vier aktuelle Probleme sehen, deuten diesen Abschnitt als eine Zeit des Wiederzusammenkommens, eine Zeit, an den Ursprung zurückzukehren, dahin, wo man früher war, wo die Liebe angefangen hat. Dort wird sie erneuert, man trifft sich wieder und beginnt von vorne, einander zu lieben.
Idylle sieben umfasst Hohelied 8,4-14. Es ist ein Erneuern der Liebe. Die Brüder kommen und beteuern, dass sie auf die Braut aufgepasst haben. Die Braut nimmt die Gelegenheit wahr, das Hochzeitsversprechen noch einmal zu wiederholen.
Hohelied 8,6-7 sagt: „Leg mich wie ein Siegel an dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm! Denn stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie der Scheol die Leidenschaft. Ihre Glut ist Feuerglut, eine Flamme des Herrn. Mächtige Wasser können die Liebe nicht auslöschen, Ströme schwemmen sie nicht fort. Würde jemand den ganzen Besitz seines Hauses für die Liebe geben, würde man ihn nur verachten.“
Die Liebe ist stark wie der Tod, also unüberwindlich und glühend intensiv wie Feuer. Sie ist nicht auszulöschen, zum Beispiel durch Schwierigkeiten. Man kann sie nicht kaufen, sondern nur geschenkt bekommen.
Das ist übrigens immer so: Liebe kann man prinzipiell nicht kaufen, man kann sie nur geschenkt bekommen.
Was ich vorhin beim Brotbrechen gesagt habe, möchte ich auch hier schließen: Mein Problem ist, wenn ich mir das anschaue, dass ich sagen kann, ich liebe meine Frau nicht so, wie ich es mir wünsche, ich arbeite daran und versuche, es irgendwie mehr zu schaffen. Das heißt, meine Seite in der Beziehung, auch in meiner Beziehung zu Gott, entspricht nicht immer dem, wie es hier beschrieben wird. Meine Liebe ist nicht stark wie der Tod, sie ist oft schwach wie Wackelpudding. Sie ist auch nicht immer glühend wie Feuer, manchmal eher wie eine Portion Vanilleeis, eiskalt.
Und wenn hier steht, sie sei nicht auszulöschen, muss ich ehrlich sagen: Doch, das geht. Schwierigkeiten oder Konflikte können meine Liebe auslöschen, sie ist nicht immer da, wie ich es mir wünschen würde.
Wenn ich das so lese und mein eigenes Leben sehe, denke ich: Ja, und jetzt kommt das große Aber. Mag sein, dass unsere Beziehung zu Gott an manchen Stellen schwach ist, dass wir noch kämpfen und nach vorne schauen und uns noch mehr wünschen, noch eine tiefere Beziehung.
Aber vergesst die zweite Seite nicht: Das, was hier steht, beschreibt eigentlich die Liebe des Bräutigams zu seiner Braut. Und was immer gilt, ist, dass Gottes Liebe zu uns genau so ist. Sie ist so stark wie der Tod und durch nichts zu überwinden. Sie ist glühend intensiv wie Feuer.
Gott ist kein langweiliger Gott, der einfach nur in der Ecke sitzt und vor sich hin grummelt. Nein, er hat eine glühende Liebesbeziehung. Er ist total begeistert von dem, was hier passiert. Als Stephanus stirbt und der Himmel sich auftut, steht Jesus da! Ich verstehe es so, dass er dabei ist, mitfühlt, nicht weit weg ist.
Die Liebe Gottes ist nicht auszulöschen, egal durch welche Schwierigkeiten wir hindurchgehen. Die Liebe bleibt. Und dass sie nicht zu kaufen ist, wisst ihr auch, denn Gott verschenkt seine Liebe. Wie jeder Mensch seine Liebe nur verschenkt, macht Gott es auch.
Gott macht dieses Angebot tatsächlich jedem Menschen, und das finde ich persönlich ganz toll und beeindruckend.
So viel dazu. Mehr habe ich zum Hohelied nicht zu sagen. Vielleicht sagt ihr: „Okay, war noch nicht so ganz befriedigend.“ Nehmt das Prickelnde mit und das Zerstückelte legt beiseite.
Vielen Dank an Jürgen Fischer, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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