Ja, bei diesem Thema müsste ich schweigen. Es heißt, darüber spricht man nicht – es ist ein Tabuthema in unseren Gemeinden.
Wie schütze ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch? Sicherlich ist das kein einfaches Thema. Ich muss zugeben, dass mir das etwas schwerfällt, weil man normalerweise nicht darüber spricht.
Doch es ist ein Thema, das auch in der Bibel vorkommt. Wir wollen dazu einmal 2. Samuel Kapitel 13 aufschlagen.
Ein Tabuthema in Gemeinden und die biblische Grundlage
Ich muss dazu sagen, ich weiß nicht, wie es bei euch in der Gemeinde ist. Als ich Jugendlicher war, hatten wir in der Bibelstunde fortlaufend das zweite Buch Samuel. Nach Kapitel 12 kam sofort Kapitel 14, ohne dass irgendjemand etwas sagte – Kapitel 13 gab es einfach nicht.
Das machte für uns Jugendliche natürlich das Kapitel 13 umso interessanter. Aber darüber wurde nicht gesprochen. Die Zeiten haben sich zwar geändert: In den Sechzigerjahren gab es Oswald Kolle, in den Siebzigerjahren die Bravo, Sexualkunde in den Schulen gibt es immer noch. Trotzdem wird in den Gemeinden nicht darüber gesprochen, als ob es das Thema nicht gäbe.
Leider gibt es das Thema, und leider gibt es es auch in Gemeinden. Das macht mich sehr betroffen, weil ich immer wieder feststelle: Wenn ich in Erziehungsseminaren oder bei Ehevorträgen dieses Thema nur mit einem halben Satz anspreche, entsteht in der Regel anschließend eine Aussprache.
Von daher halte ich das für ein wichtiges Thema. Trotz aller Aufklärung heute in den Schulen sollten wir wissen, an welchen Stellen wir gegensteuern müssen. Und wo müssen wir unsere Kinder bewahren?
Gestern im Gesprächskreis kamen bestimmte Themen zur Sprache, bei denen wir merken, dass in den Schulen ganz bewusst Scham abgebaut wird. Wir wollen uns damit beschäftigen, wie wir damit anhand der Bibel umgehen sollten.
Ich lese 2. Samuel Kapitel 13. Ich lese das ganze Kapitel, weil wir uns damit auch beschäftigen wollen.
Die Geschichte von Amnon und Tamar (2. Samuel 13)
Und es geschah danach: Absalom, der Sohn Davids, hatte eine schöne Schwester, deren Name Tamar war. Amnon, der Sohn Davids, liebte sie, und es war Amnon so weh um seine Schwester Tamar, dass er krank wurde. Denn sie war eine Jungfrau, und es war in Amnons Augen unmöglich, ihr etwas anzutun.
Amnon hatte einen Freund, Jonadab, den Sohn des Chimäers, des Bruders Davids. Jonadab war ein sehr kluger Mann. Er sagte zu Amnon: „Warum bist du morgen für morgen so elend, Königssohn? Willst du es mir nicht mitteilen?“ Amnon antwortete ihm: „Ich liebe Tamar, die Schwester meines Bruders Absalom.“
Da sagte Jonadab zu ihm: „Leg dich auf dein Lager und stell dich krank. Wenn dein Vater kommt, um nach dir zu sehen, dann sag zu ihm: ‚Es soll doch meine Schwester Tamar kommen und mir Krankenkost bringen.‘ Sie soll vor meinen Augen die Krankenkost zubereiten, damit ich es sehen kann. Dann werde ich aus ihrer Hand essen.“
Amnon legte sich hin und stellte sich krank. Als der König kam, um nach ihm zu sehen, sagte Amnon zum König: „Es soll doch meine Schwester Tamar kommen und vor meinen Augen zwei Kuchen zubereiten, damit ich aus ihrer Hand Krankenkost esse.“
David sandte zu Tamar ins Haus und ließ ihr sagen: „Geh doch ins Haus deines Bruders Amnon und bereite ihm Krankenkost.“ Tamar ging ins Haus ihres Bruders Amnon, während er im Bett lag. Sie nahm den Teig, knetete ihn, bereitete Kuchen vor seinen Augen zu und backte sie.
Sie nahm die Pfanne und schüttete die Kuchen vor ihm aus, doch er weigerte sich zu essen. Amnon sagte: „Lass jedermann von mir hinausgehen!“ Und alle gingen von ihm hinaus. Da sagte Amnon zu Tamar: „Bring die Krankenkost in die innere Kammer, damit ich aus deiner Hand esse.“
Tamar nahm die Kuchen, die sie zubereitet hatte, und brachte sie ihrem Bruder Amnon in die innere Kammer. Als er ihr etwas zu essen reichte, packte er sie und sagte zu ihr: „Komm, liege bei mir, meine Schwester!“ Sie aber sagte zu ihm: „Nicht doch, mein Bruder, tu mir keine Gewalt an! Denn so handelt man nicht in Israel. Tu doch diese Schandtat nicht! Und ich, wohin sollte ich meine Schmach tragen? Du aber würdest sein wie einer der Schändlichen in Israel. Rede doch zum König, denn er wird mich dir nicht vorenthalten!“
Er aber wollte nicht auf ihre Stimme hören. Er überwältigte sie, tat ihr Gewalt an und lag bei ihr. Danach hasste Amnon sie mit sehr großem Hass. Ja, der Hass, mit dem er sie hasste, war größer als die Liebe, mit der er sie geliebt hatte.
Amnon sagte zu ihr: „Steh auf, geh weg!“ Sie aber sagte zu ihm: „Nicht doch, mein Bruder, denn dieses Unrecht ist noch größer als das andere, das du mir angetan hast, wenn du mich jetzt wegjagst!“ Doch er wollte nicht auf sie hören.
Er rief seinen Burschen, seinen Diener, und sagte: „Jagt sie fort von mir, nach draußen, und verriegelt die Tür hinter ihr!“ Tamar trug einen bunten Leibrock, denn mit solchen Gewändern kleideten sich die Töchter des Königs, die noch Jungfrauen waren. Sein Diener brachte sie hinaus und verriegelte die Tür hinter ihr.
Tamar nahm Asche, streute sie auf ihren Kopf und zerriss den bunten Leibrock, den sie anhatte. Sie legte ihre Hand auf ihren Kopf und lief schreiend davon. Ihr Bruder Absalom sagte zu ihr: „War dein Bruder Amnon mit dir zusammen? Nun denn, meine Schwester, schweig still! Er ist dein Bruder, nimm dir diese Sache nicht so zu Herzen!“
Tamar blieb einsam im Haus ihres Bruders Absalom. Als König David all diese Dinge hörte, wurde er sehr zornig. Absalom aber redete weder Böses noch Gutes mit Amnon. Denn Absalom hasste Amnon, weil er seiner Schwester Tamar Gewalt angetan hatte.
Nach einer Zeit von zwei Jahren hatte Absalom Schafscherer in Baal Hasor, das bei Ephraim liegt. Absalom lud alle Söhne des Königs ein. Er kam zum König und sagte: „Sieh doch, dein Knecht hat die Schafscherer. Der König und seine Knechte mögen doch mit deinem Knecht gehen!“
Der König sagte zu Absalom: „Nein, mein Sohn, wir können doch nicht alle zusammen hingehen. Wir wollen dir nicht zur Last fallen.“ Er drängte ihn, aber Absalom wollte nicht gehen. Stattdessen segnete er ihn zum Abschied.
Absalom sagte: „Wenn nicht, dann mag doch wenigstens mein Bruder Amnon mit uns gehen.“ Der König fragte: „Wozu soll er mit dir gehen?“ Absalom drängte ihn, und so schickte David Amnon und alle anderen Söhne des Königs mit ihm.
Absalom befahl seinen Dienern: „Seht zu, wenn Amnons Herz vom Wein fröhlich wird und ich zu euch sage: ‚Schlagt Amnon!‘, dann tötet ihn! Fürchtet euch nicht! Ist es nicht so, dass ich es euch befohlen habe? Seid stark und zeigt euch als tapfere Männer!“
Die Diener Absaloms taten, wie er es befohlen hatte. Da sprangen alle Söhne des Königs auf, stiegen jeder auf sein Maultier und flohen.
Es geschah, während sie noch auf dem Weg waren, dass das Gerücht zu David kam: Absalom hat alle Söhne des Königs erschlagen, und nicht einer von ihnen ist übrig geblieben. Da stand der König auf, zerriss seine Kleider und legte sich auf die Erde. Alle seine Knechte standen mit zerrissenen Kleidern um ihn herum.
Jonadab, der Sohn Schimeas, des Bruders Davids, ergriff das Wort und sagte: „Mein Herr, glaube nicht, dass alle jungen Männer, die Söhne des Königs, getötet sind, sondern Amnon allein ist tot.“ Denn Absaloms finsterer Entschluss lag von dem Tag an auf seinem Mund, als er seiner Schwester Tamar Gewalt angetan hatte.
Jonadab fügte hinzu: „Nun nehme mein Herr, der König, die Sache nicht so zu Herzen, dass er glaubt, alle Söhne des Königs seien tot, sondern Amnon allein ist tot.“
Absalom floh. Als die Diener der Turmwächter ihre Augen erhoben und sahen, dass viel Volk vom Weg hinter ihm, von der Seite des Berges, kam, sagte Jonadab zum König: „Siehe, die Söhne des Königs kommen, wie dein Knecht gesagt hat. So ist es geschehen!“
Als Jonadab zu Ende geredet hatte, kamen die Söhne des Königs und erhoben ihre Stimme und weinten. Auch der König und all seine Knechte brachen in ein sehr großes Weinen aus.
Absalom war geflohen und ging zu Talmai, dem Sohn Amihuds, dem König von Geschur. David trauerte um seinen Sohn alle Tage. Absalom blieb drei Jahre in Geschur. Seine Flucht hielt König David davon ab, gegen Absalom auszuziehen. Stattdessen tröstete er sich über Amnon, der tot war.
Die beteiligten Personen und ihre Rollen
Das ist schon eine dunkle Geschichte. An anderer Stelle wird sie zitiert, darauf kommen wir gleich noch zurück. Es geht um den Erziehungsstil Davids, auch gegenüber anderen Personen. Wir wollen uns ein wenig mit den verschiedenen Personen beschäftigen, die in diesem Abschnitt vorkommen.
Wie ihr seht, haben viele Künstler verschiedener Zeiten diese Szene gemalt. Sie ist ja auch sehr prickelnd und hat viele beschäftigt. Im Grunde zeigen sie alle nur die Situation, wahrscheinlich wegen des Nervenkitzels. Eine Lösung stellen sie jedoch nicht dar.
Zunächst wollen wir die verschiedenen Personen kurz durchgehen. Da ist Amnon, der erstgeborene Sohn Davids und damit eigentlich zunächst der Thronfolger. Er wurde von Ahinoam, der Jesreeliterin, geboren – und zwar schon zu der Zeit, als David noch auf der Flucht vor Saul war.
Dann wird Tamar genannt. Sie ist die einzige Tochter Davids unter neun Söhnen und die Schwester von Absalom. Absalom ist der dritte Sohn Davids. Sowohl Absalom als auch Tamar stammen von Maacha, der Königstochter von Geschur.
Vielleicht ist euch aufgefallen, wohin Absalom geflohen ist? Zum Großvater, dem König von Geschur. Deshalb war es für David unmöglich, ihm nachzueilen und ihn wegen des Mordes zur Verantwortung zu ziehen.
Dann wird noch Jonadab genannt. Er wird als kluger oder weiser Mann beschrieben, aber ich denke, er war eher ein Schlitzohr. Er war nicht offen und ehrlich. Wir werden uns auch mit ihm beschäftigen.
Jonadab ist ein Neffe Davids, der Sohn eines seiner Brüder. Er gehört zu den Beratern und scheint älter gewesen zu sein. Immerhin war David ja der jüngste Sohn Isais, und danach war offensichtlich der Sohn Shimeas älter als die anderen.
Ich möchte jetzt nicht jeden einzelnen genau einteilen, sondern wir wollen vielleicht einige Fragen miteinander behandeln und versuchen herauszufinden, welche Fragen in diesem Abschnitt offen bleiben.
Fragen zur Erziehung und zum Verhalten der Beteiligten
Einmal stellt sich die Frage: Was hat David bei der Erziehung seiner Kinder versäumt? Natürlich war das Familienleben Davids anders als unser heutiges Verständnis von Familie. Er hatte sieben Frauen, was bis heute nicht ratsam ist, abgesehen von den gesetzlichen Bestimmungen. Dadurch hatte er auch viele Kinder, die ganz unterschiedlich geprägt waren – sowohl von ihrer Mentalität als auch von ihrer Herkunft.
Offensichtlich hatte jede seiner Frauen ein eigenes Haus. Die Frauen zogen also umher, und die Kinder lebten jeweils bei ihren Müttern. Wir lesen zum Beispiel, dass David Tamar auffordert, aus ihrem Haus in das Haus Ammons zu gehen. Die Kinder lebten demnach nicht gemeinsam als Geschwister in einem Haushalt, sondern jeweils bei ihren Müttern.
Was haben die einzelnen Beteiligten falsch gemacht? Und an welchen Stellen hätte jemand etwas bemerken müssen? Gehen wir einmal durch: Hat Tamar etwas falsch gemacht?
Mir ist aufgefallen, wie sehr sie versucht, Amnon umzustimmen. Als er sie auffordert und ins Bett ziehen will, bringt sie fünf Einwände vor. Wir lesen in 2. Samuel 13,12-13: "Nicht doch, mein Bruder, tu mir keine Gewalt an! Denn so handelt man nicht in Israel. Tu doch diese Schandtat nicht! Und ich, wohin sollte ich meine Schmach tragen? Du aber, du würdest sein wie einer der Schändlichen in Israel. Und nun rede doch zum König!"
Dabei macht sie im Grunde fünf Einwände:
Erstens bittet sie ihn, an Gott zu denken – es sei Torheit und eine Schandtat, was er vorhabe. Sie will ihm bewusst machen, dass sein Tun gegen Gott gerichtet ist.
Zweitens appelliert sie an das Volk: Es sei eine Schandtat in Israel, so etwas tue man nicht.
Drittens bittet sie ihn, an sie zu denken und die Schande, die ihr widerfährt.
Viertens mahnt sie ihn, an sich selbst zu denken – wie er dann dastehen werde.
Fünftens schlägt sie vor, den Vater zu fragen.
Ich glaube, sie versucht hier, sachlich und argumentativ zu reagieren.
Außerdem ist zu erwähnen, wie sie gekleidet war. Sie trug ein langes Kleid. In einer Anmerkung steht, dass der Leibrock von Hals bis Fuß geschlossen war und lange Ärmel bis zum Handgelenk hatte. Das zeigt deutlich, dass sie nicht aufreizend gekleidet war – anders als es oft in Künstlerdarstellungen gezeigt wird. Sie hat sich also korrekt verhalten.
Ein weiterer Punkt ist, dass sie nicht geschrien hat. Stattdessen versucht sie, Amnon zu überzeugen, dem Vater von der Sache zu erzählen. Vielleicht würde er dann eine Heirat arrangieren. Das wäre zwar nach dem Gesetz nicht richtig gewesen, aber offensichtlich wollte sie ihn dadurch ablenken oder besänftigen.
Die Rolle von Amnon und Jonadab
Der zweite ist Amnon. Was ist bei ihm los? Offensichtlich war sein Bauch bis zur Zimmerdecke voll. Er lügt und betrügt. Was verwechselt er? Richtig, Liebe und Begierde.
Ich glaube, das wird heute auch unserer Generation und unseren Jugendlichen immer wieder vorgemacht. Das, was Filme, Fernsehen und ähnliche Medien zeigen, ist keine Liebe, sondern Begierde. Und das ist ein großer Unterschied. Liebe gibt, Begierde nimmt. Amnon will etwas für sich haben. Er meint, er könnte sich dadurch glücklich machen.
Im Grunde interessiert ihn Tama nicht. Er will nur Genuss. Ich glaube, das ist der Punkt, der auch heute allgemein gesagt wird: Er verwechselt Lust und Begierde mit Liebe.
Seine Reaktionen zeigen, dass bei ihm der Verstand ausgeschaltet ist und nur noch das Gefühl regiert. Mit verstandesmäßigen Argumenten kann man ihn nicht erreichen.
Was hat sein Freund Jonathab falsch gemacht? Hat er wirklich etwas falsch gemacht? Er konnte sich auf jeden Fall herausreden: „Ich habe dir doch nicht gesagt, sie zu vergewaltigen. Ich habe dir nur gesagt, wie du mit ihr zusammen sein kannst.“
Merken wir: Jonathab ist kein weiser Mann, aber ein kluger Mann. Ein Mann, der zwar Ratschläge gibt, aber im Grunde denjenigen, dem er den Rat gegeben hat, alleine lässt.
Wenn wir später sehen, dass er beim König steht, als die Nachricht vom Tod Amnons kommt, was macht das deutlich? Er wusste es die ganzen zwei Jahre. Irgendwann würde es passieren, und er hat es laufen lassen.
Zuvor wird gesagt, er war ein Freund von Amnon. Was für eine Freundschaft ist das? Wo holen wir uns unsere Ratschläge her?
Absaloms Verhalten und Davids Erziehungsstil
Und dann ist Absalom da. Was ist bei ihm? Nein, das war bei Amnon, das war bei Amnon. Aber bei Absalom spielt er auch ein falsches Spiel. Er spielt bei seiner Schwester die Sache herunter.
Ich fand es interessant, als ich es noch einmal durchlas: In der Anmerkung zur Elberfelder Bibel steht in Vers 20: „War dein Bruder Amnon mit dir zusammen?“ In der Anmerkung unten im masoretischen Text steht „Aminon“, das ist eine ironisierende Verkleinerungsform. Er will seinen Bruder einfach blamieren und die Sache bei seiner Schwester herunterspielen. Und das ist sicherlich der nächste Punkt.
Wie verhält sich David? In welcher Beziehung? Er rächt sich zwar, aber er zieht Amnon nicht zur Verantwortung. Er nimmt nicht Stellung. Warum nicht? Nicht nur aus Dummheit, oder? Er hat gesündigt, und sein Sohn Amnon hätte sagen können: „Vater, was willst du mir denn sagen? Du hast doch selbst Dreck am Stecken.“
Merken wir, eigene Schuld stopft uns den Mund. Vielleicht ist uns das schon mal aufgefallen: Wenn wir unsere Kinder erziehen und merken, dass sie etwas tun, womit wir selbst Probleme haben, dann gehen wir sehr vorsichtig damit um. Wir trauen uns nicht, hart durchzugreifen.
Was könnten wir bei David noch sagen? Das ist die Stelle, die du anführst und die du sagtest, dass sie auch im Luthertext so steht, 1. Könige 1,6. Wer liest sie mal vor?
Und das macht deutlich: David war lasch in der Erziehung. David war harmoniebedürftig. Ich muss sagen, ich neige auch sehr stark dazu, und viele Männer neigen dazu, am liebsten Ruhe zu haben, nichts anzurühren, nichts zur Rede zu bringen, lieber darüber zu schweigen. Und dann gärt es unter der Oberfläche.
Wir merken hier, David ist schwach, regelrecht schwach. Und noch etwas merken wir: Er ist naiv. Dabei sind seine Kinder offensichtlich schon im fortgeschrittenen Alter. Wenn Absalom eine eigene Schafherde hat, ist er ja kein Teenager mehr gewesen.
Das macht deutlich: David lässt laufen. Er war ein starker König, aber ein schwacher Vater. Er ist naiv, weil er nicht durchschaut, dass sein Sohn Amnon nicht krank ist. Er merkt nicht, dass das ein Trick ist. Offensichtlich kennt er seine Kinder nicht genau. Und er ist naiv, seine Tochter dahin zu schicken.
Wir werden sicherlich noch darauf kommen, wie wir uns vor solchen Situationen bewahren können.
Die zerstörerischen Folgen sexuellen Missbrauchs
Die katastrophalen Folgen – einmal am Beispiel von Tamar. Was haben wir gelesen? In Kapitel 13, Vers 20 heißt es am Schluss, dass Tamar einsam im Haus ihres Bruders Absalom blieb. Die Anmerkung erklärt das Wort „einsam“ mit „verödet“ oder „verwüstet“.
Das macht deutlich, was bis heute bei jedem sexuellen Missbrauch geschieht – sei es Vergewaltigung oder Missbrauch: Es verödet, verwüstet und zerstört. Durch sexuellen Missbrauch wird ein Mensch in seiner Persönlichkeit zerstört. Es handelt sich nicht einfach um ein biologisches Vergehen. Es passiert nicht nur etwas Körperliches, sondern in der Seele wird etwas zerstört.
Deshalb müssen wir uns bewusst sein, welche Folgen das für Amnon hat. Sein Bruder Absalom lässt ihn aus Rache ermorden. Jonadab hält sich heraus. Absalom selbst wird durch diese Tat in seinem Charakter und Lebensweg geprägt. Er wird später einer, der die Frauen seines Vaters vergewaltigt. Er geht nicht vorsichtig mit Leben um. Der Hass prägt ihn, ebenso das Lügen, das er von der Tat Amnons bis zu dessen Tod praktiziert. Er hat seinen Vater angelogen, seine Geschwister ebenfalls, und dieses Lügen setzt sich bei ihm fort.
Für David sagt die Bibel, dass das Schwert nicht von seinem Haus weichen wird. Diese Sache ist nie gerichtlich geklärt worden. Es ist tragisch, wie solch ein Ereignis das Familienleben eines Gottesmannes prägt – eines Mannes, von dem Gott gesagt hatte, dass er nach seinem Herzen war.
Das zeigt mir, dass solche Dinge auch in frommen Kreisen vorkommen können. Das erschreckt mich oft, wenn ich durch Gemeinden gehe und Menschen mit mir sprechen. Nach einem Vortrag, in dem ich Amnon und Tamar erwähnt hatte, kam eine etwa sechzigjährige Frau ganz verschüchtert zu mir. Sie schaute sich nervös um, ob niemand mithörte, und sagte dann: „Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Ich wurde als sechsjähriges Kind oft von meinem Vater missbraucht, und seitdem habe ich Albträume. Ich kann mit meinem Mann nicht darüber sprechen, er würde mich nicht verstehen.“
Sie erzählte mir, dass ihr Vater einer der verantwortlichen Brüder einer Gemeinde war. Sie hatte sich nie getraut, es jemandem zu sagen, weil sie wusste, dass sie damit das Leben ihres Vaters zerstört hätte. Sie hatte es nie ihrer Mutter erzählt, aber sie quälte sich bis ins hohe Alter. Wir haben damals lange miteinander gesprochen. Sie sagte: „Ich habe bis heute Mühe, Gott als meinen Vater anzusehen.“
Das sind Dinge, die wir auch in der Seelsorge und in unseren Gemeinden wissen müssen. Wir hatten eine Pflegetochter, von der ich früher schon einmal erzählt habe. Sie kam aus der Drogenszene, hatte auf der Straße gelebt und war in vielen Heimen gewesen. Als Kind wurde sie auch von ihrem Vater missbraucht. Er war Alkoholiker und kam nicht aus einer Gemeinde.
Sie brauchte nur ein Plakat in der Stadt zu sehen, und ihre Gedanken machten Purzelbeine. Sie brauchte nur das Wort „Missbrauch“ in der Zeitung zu lesen, und man konnte zusehen, wie sie innerlich zusammenbrach. Danach hat sie meistens getrunken. Sie brauchte nur einen Mann zu sehen, der ähnliche Hände hatte wie ihr Vater, und sie drehte durch.
Die Frage ist: Wie kann man helfen? In einer Gemeinde fiel ein Mädchen auf, das mit ungefähr 14 Jahren immer schüchterner wurde und sich abkapselte. Sie nahm mit niemandem mehr Kontakt auf. Die Eltern wussten sich keinen Rat mehr. Endlich vertraute sie sich einer älteren Schwester an.
Danach hatten wir ein Gespräch mit den Eltern. In diesem Gespräch gestand der Vater, dass er seine Tochter im Alter zwischen acht und zehn Jahren manchmal nicht missbraucht, aber unsittlich berührt hatte. Dieses Mädchen trägt bis heute einen seelischen Schaden.
Und das ist nicht weit weg, nicht draußen in der bösen Welt, sondern auch bei uns.
Statistiken und rechtliche Grundlagen zum sexuellen Missbrauch
Was sind die Tatsachen? Wusstest du, dass nach einer Umfrage an einem amerikanischen College, bei der 1500 Frauen befragt wurden, jede vierte Frau eine versuchte Vergewaltigung hinter sich hatte? Jede achte Frau war tatsächlich vergewaltigt worden. Nur fünf Prozent davon hatten eine Anzeige aufgegeben.
In Deutschland ist die Situation ähnlich. Nach Untersuchungen ist jede vierte Frau in Deutschland als Erwachsene Opfer einer Vergewaltigung geworden. Jedes dritte Mädchen und jeder zehnte Junge wurde missbraucht. Allein 1997 registrierte die Polizei 15 Mädchen und 5 Jungen unter 14 Jahren als Opfer von sexuellem Missbrauch nach § 176.
Die Polizei registriert jährlich etwa 15 Anzeigen in dieser Hinsicht. Die Dunkelziffer ist jedoch weitaus höher. Die Täter kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Zumeist, etwa 80 Prozent der Täter, stammen aus einem vertrauten Umfeld. Es ist in der Regel nicht der böse Onkel oder der Fremde.
Vergewaltigungen sind laut Untersuchungen und Umfragen meistens genau geplant. 34 Prozent der Täter sind nahe Bekannte oder Erzieher der Opfer, 25 Prozent sind Väter, Stiefväter oder Freunde der Mutter, 23 Prozent sind Nachbarn, Bekannte oder Ärzte, 1,4 Prozent sind Opa oder Onkel, und nur 6 Prozent sind völlig Fremde.
Natürlich ist es richtig, kleinen Kindern beizubringen, nicht mit Fremden im Auto zu fahren. Aber nach der Statistik ist das nur ein sehr geringer Teil der Gefahren. Viel gefährlicher sind diejenigen, die dem Kind bekannt sind.
Im Paragraph 184 des Strafgesetzbuches steht: Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren vornimmt oder an sich von einem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wenn ein Kind dazu veranlasst wird, mit anderen Personen sexuelle Handlungen durchzuführen.
Wir können sagen: Dankbarerweise gibt es dieses Gesetz noch, auch wenn es Diskussionen gibt, es abzuschaffen. Die Moral in unserem Land entwickelt sich jedoch immer weiter bergab.
Folgen und Anzeichen von sexuellem Missbrauch
Was sind die Folgen? Wir haben es eben gelesen: Sexueller Missbrauch zerstört die Seele des Opfers. Tamar war verödet, verwüstet und einsam.
Zu den Folgen eines Missbrauchs gehören gesundheitliche Schäden sowie psychische Probleme. Dazu zählen zum Beispiel Zwangsverhalten, Borderline-Symptome, Magersucht, Schizophrenie, Depressionen, Albträume, Schuldgefühle und geistliche Folgen.
Es ist wichtig, Dinge zu erkennen, hellhörig zu werden und aufzupassen. Mögliche erste Anzeichen für sexuellen Missbrauch bei Kindern sind:
Das Kind verschließt sich, zieht sich zurück und wird scheu. Es bekommt schnell Angst, ist oft abwesend und hat Tagträume. Es fühlt sich wertlos und schuldig. Oft kleidet es sich dann unattraktiv. Viele Mädchen kleiden sich danach wie Jungen. Unsere Pflegetochter zum Beispiel wollte danach immer ein Junge sein. Ihr Vater hat das eine Zeit lang mitgespielt. Das ging natürlich nur bis zur Pubertät. Sie war in der Schule als Claudius statt als Claudia angemeldet.
Jungen, die missbraucht wurden, werden oft weich und mädchenhaft. In der Regel haben sie keine Hobbys mehr. Sie zeigen keine Freude mehr am Singen, haben Konzentrationsschwierigkeiten, einen Leistungsabfall in der Schule, kauen an den Fingernägeln, leiden unter Albträumen, innerer Unruhe und Angst vor der Dunkelheit.
Was mich besonders betroffen gemacht hat, ist, dass ein missbrauchtes Opfer im Durchschnitt mit sieben Personen sprechen muss, bevor ihm überhaupt geglaubt wird. Wenn ein Kind sich öffnet und jemandem etwas sagt oder nur andeutet, wird es in den meisten Fällen weggeschoben. Man denkt, das Kind habe eine schmutzige Fantasie oder schlechte Filme gesehen. Kaum jemand nimmt es ernst.
Unsere Pflegetochter sagte damals auch: „Meine Mutter und meine Großmutter wollten es nicht glauben. Und wenn ich so etwas sagte, bekam ich sogar noch Strafe dafür, dass ich etwas Böses über den Vater gesagt habe.“
Biblische Sicht auf Sexualität und Prävention
Ich denke, wir als Christen müssen genau wissen, was die Bibel überhaupt zu dem Thema Sexualität sagt. Ich glaube, wir dürfen nicht den Fehler machen, Sexualität zu verschweigen. Unsere Kinder und Jugendlichen müssen genau wissen, was die Bibel darüber lehrt.
Sexualität gehört nach den Aussagen des Wortes Gottes ausschließlich in die Ehe. Die Bibel sagt, dass jede Sexualität vor oder außerhalb der Ehe Hurerei, Unzucht und Sünde ist. Gott hat die Sexualität ausschließlich in die Ehe gelegt und dort nur mit gegenseitigem Einverständnis erlaubt. 1. Korinther 7 macht das sehr deutlich.
Auch in der Ehe darf es nicht zur Vergewaltigung kommen. Das ist heute auch strafbar in unserer Gesetzgebung. Ich darf als Mann oder Frau meine Sexualität nicht einfach ausleben, wie ich es will. Gott erwartet von mir, dass ich Enthaltsamkeit lerne und dass wir im gegenseitigen Einvernehmen miteinander Sexualität haben.
Sexualität ist etwas Schönes und Heiliges. Ich fand es immer interessant, dass unsere Pflegetochter, nachdem sie zum Glauben gekommen war, das sehr schnell begriffen hat. Sie ist nie in unser Schlafzimmer gekommen und sagte immer: „Das ist euer Heiligtum.“ Sie bekam ein Gespür dafür, was Sexualität bedeutet. Denn das Wort sagt: Wehe dem, der den Tempel Gottes verdirbt.
Das bezieht sich zum einen auf die Gemeinde, aber auch auf den Körper. Denn im Grunde wird dabei, wie ich schon sagte, nicht nur ein biologischer Vorgang vollzogen, sondern der Mensch in seiner Persönlichkeit zerstört. Das wird nur verständlich, wenn man bedenkt, was bei der Vereinigung geschieht, wie es in 1. Mose 2,28 heißt: Die beiden werden ein Fleisch sein.
Das heißt, als Ehepaar verschmilzt man miteinander. Gott möchte uns als eine Einheit sehen. Daher wird auch jede andere Fehlsexualität, wie zum Beispiel Ehebruch, im Grunde diese Einheit zerstören. Besondere Abschnitte dazu finden wir in 1. Korinther 3 bis 10, Epheser 5,3, Kolosser 3, Hebräer 13 und 1. Thessalonicher 4.
Ich gehe jetzt nicht näher darauf ein, aber ihr könnt euch die Stellen notieren, um sie zu Hause weiter nachzuschlagen.
Prävention und Erziehung im biblischen Kontext
Wie können wir vorbeugen oder helfen?
Ich glaube, dass wir unsere Kinder durch eine gute biblische Erziehung stark machen können. Dabei sollten wir auch schwierige Stellen in der Bibel nicht aussparen, sondern sie gerade dann thematisieren, wenn die Kinder älter geworden sind und mehr Verständnis entwickeln.
Unsere staatlichen Stellen meinen, dass sie mit der Sexualaufklärung schon im zweiten Schuljahr beginnen können. Ich denke, dass wir als Eltern auf jeden Fall vorbeugen müssen. Wie wir gestern im Gesprächskreis gesagt haben: Wir müssen als verantwortliche Eltern früher dran sein als die Schule. So können wir unsere Kinder „impfen“ und sie für das Thema sensibilisieren.
Sexualität sollte nicht nur als ein biologischer Vorgang wertneutral vermittelt werden, sondern mit den Werten der Bibel, so wie Gott sich das vorstellt. Daher müssen unsere Kinder wissen, wie die Bibel darüber denkt.
Wir sollten bei unseren Kindern auf ihre Scham achten. Gott hat uns Menschen nach dem Sündenfall die Scham gegeben. Diese Scham ist eine Schutzmauer, eine Schutzmauer vor seelischer Verwundung. Unsere Kinder müssen auch an uns merken, dass wir schamhaft leben und uns entsprechend kleiden. Wir sollten Keuschheit und Enthaltsamkeit vorleben.
Das heißt also, wir müssen auf vieles achten, zum Beispiel auch darauf, wo wir Urlaub machen. Dazu komme ich gleich noch. Wichtig ist auch, im offenen Dialog mit unseren Kindern zu sein. Wenn wir mit ihnen im Vertrauen sprechen, werden sie sich öffnen, wenn sie Fragen haben.
Wie kleiden wir uns und wie kleiden wir unsere Kinder? Oft bin ich schockiert, wenn ich die Prospekte von Textilunternehmen sehe. Dort werden aus kleinen Kindern schon Erwachsene gemacht, und man versucht, sie sexuell erotisch anzuziehen.
Aus diesem Grund bin ich total gegen bauchfreie Kleidung, zum Beispiel. Abgesehen davon, dass die meisten Bäuche nicht gut aussehen, ist das nicht nur ungesund – gerade für Mädchen, weil die empfindlichen Organe in der Zone unterkühlt werden – sondern es wirkt sich auch auf die Jungs in der Klasse aus.
Natürlich ist es für ein Mädchen interessant, auszutesten, wie die Wirkung ist, aber dann wundern sie sich hinterher, dass sie es nicht bremsen können. Schamhaftigkeit und Keuschheit sind Dinge, die wir nach der Bibel, zum Beispiel in Galater 5, lernen müssen. Diese Werte müssen wir auch unseren Kindern beibringen.
Was lesen und sehen wir und unsere Kinder? Welche Zeitschriften haben wir zu Hause? Welche Bücher? Unsere Kinder wissen auch, welche Bücher in der zweiten Reihe im Bücherschrank stehen. Wir sollten sehr genau überlegen, welche Filme wir anschauen. Auch hier tragen wir Verantwortung.
Unsere Kinder merken, ob wir vielleicht das Fernsehen nach elf Uhr abends noch anhaben. Und sie werden das nachmachen.
Wo machen wir Urlaub? Im Gesprächskreis wurde auch schon gesagt: keine gemischte Sauna, möglichst kein FKK-Strand. Denn dadurch wird die Scham abgebaut.
Wir leben in einer sexualisierten Umwelt. Natürlich können wir nicht mit Scheuklappen herumlaufen, aber wir müssen diese Entwicklung nicht fördern.
Welchen Umgang und welche Freunde haben unsere Kinder? Wie sprechen wir miteinander? Wir tragen als Eltern die Verantwortung für unsere Kinder. Deshalb ist es wichtig, für unsere Kinder zu beten.
Deswegen habe ich es so unterstrichen: Gebet, Gebet und nochmals Gebet – miteinander und füreinander.
Umgang mit Opfern von sexuellem Missbrauch
Wie können wir helfen – nicht nur präventiv, also vorbeugend, sondern auch denen, die missbraucht oder vergewaltigt worden sind?
Ich denke, es ist sehr wichtig, wirklich zuzuhören und jemanden reden zu lassen. Oft braucht es Zeit, einfach still dabei zu sitzen, wenn der andere weint. Man sollte nicht hineindrängen und ständig fragen: „Was ist denn? Was ist denn?“ Stattdessen sollte man den anderen weinen lassen und ganz einfühlsam zuhören. Verständnis zu zeigen ist entscheidend, und man darf das Erlebte nicht kleinreden – so wie Absalom es bei Tamar gemacht hat. Er sagte: „Ist nicht so schlimm, komm, war nur dein Bruder.“ Außerdem nahm er den Spottnamen seines Bruders, um ihn verächtlich zu machen.
Auf jeden Fall ist es wichtig, mit den Betroffenen zu beten. Ich hatte eben dieses Plakat gesehen, auf dem stand: „Sexueller Missbrauch macht sprachlos.“ Und mir geht es oft genauso. Wenn jemand sich öffnet, fehlen einem die Worte. Aber oft braucht man auch nicht viel zu sagen. Dann ist es gut, gemeinsam zu beten und einfach zu sagen: „Herr Jesus, es macht uns betroffen, ich kann dazu nichts sagen, aber du kennst es, Herr Jesus. Jetzt weinen wir einfach vor dir.“ Das macht deutlich, dass man betroffen ist.
Für mich war es immer sehr schwierig, besonders bei unserer Pflegetochter. Ich merkte jedes Mal, wie innerlich der Hass gegen solche Männer in mir hochstieg. Ich habe mich für uns Männer geschämt. Aber man muss leider sagen: Es ist nicht nur so, dass Männer Frauen oder Mädchen etwas antun, sondern es gibt es auch umgekehrt. Wie viele junge Männer sind zerstört worden, und wie wenige sind wirklich frei geworden?
Vor einem Jahr hatten wir einen Zeugnisabend in unserer Teestube im JWD. Einer unserer Mitarbeiter erzählte, wie er als Kind missbraucht wurde und wie lange es gedauert hat, bis er das wirklich beim Herrn Jesus abgeben konnte. Manchmal verhalten sich Jungs dann völlig unbegreiflich, und wir rätseln, was geschehen ist und woher das kommt. Die wenigsten Jungs öffnen sich. In der Regel versuchen Kinder sexuellen Missbrauch zu verdrängen. Meist kommt es erst während der Pubertät oder erst in der Zeit der Heirat an die Oberfläche.
Wir sollten mit den Opfern diese inneren Nöte beim Herrn Jesus abgeben. Auf jeden Fall sollten wir auch mit den Tätern sprechen. Ich komme gleich noch darauf, wie wir mit Tätern umgehen sollten. Es ist wichtig, Hass und Ängste aussprechen zu lassen und im Gebet abzugeben. Man hört manchmal: „Wenn ich ihn jetzt treffen würde, würde ich ihn umbringen.“ Darauf sollte man nicht mit dem Satz reagieren: „So etwas sagt man doch nicht als Christ.“ Stattdessen kann man sagen: „Ich kann dich verstehen, aber wir wollen diesen Hass und Ärger bei Jesus abgeben.“
Oft haben solche Menschen Schuldgefühle. Wenn zum Beispiel der Vater der Täter war, hassen sie ihn einerseits, lieben ihn aber andererseits. Diese Spannung zerreißt einen jungen Menschen. Dadurch entstehen Schuldgefühle, und viele meinen, sie seien selbst schuld daran, dass sie missbraucht wurden.
Hier sehen wir bei Tamar, dass sie sich eigentlich korrekt verhalten hat. Sie war naiv, ja, aber das kann man ihr nicht als Schuld anrechnen. Deshalb sollte man sagen: Gib das bei Jesus ab, er kennt dein Herz.
Wir müssen über Vergebung sprechen und zumindest die Bereitschaft dazu bei den Betroffenen wecken. Das ist ein schwerer Weg. Ein Mensch, der missbraucht wurde, muss innerlich so weit kommen, dem Täter vergeben zu wollen. Dazu braucht es geistliche Reife, geistliches Wachstum und ein Leben mit dem Herrn Jesus.
Oft geschieht es aber auch nicht, und dann ist es wichtig, dass Betroffene lernen, immer wiederkehrende Empfindungen und Gefühle nicht weiter zu verfolgen. In meinem Buch erläutere ich, wie man einen sogenannten Gedankenstopp lernen kann. Wenn man merkt, dass Gedanken immer wieder kommen und einen gefangen nehmen, kreisen und kreisen, sollte man lernen, einen Gedankenstopp zu machen: „Herr Jesus, jetzt nimm meine Gedanken in deine Hände und bring mich auf andere Gedanken.“
Man muss lernen, den Hass und all die schlechten Gefühle bei Herrn Jesus abzugeben. Ein Mensch, der missbraucht wurde, braucht die Nähe des Herrn Jesus. Ich habe festgestellt, dass nur dort, wo jemand wirklich nah mit dem Herrn Jesus lebt, innere Freiheit möglich ist.
Man darf die Vergangenheit bei Jesus abgeben und sozusagen bei ihm lassen. Wichtig ist auch, nach vorne zu schauen – vor allem von sich selbst weg. Psychologen sagen oft: „Bespiegel dich selbst, schau in dich hinein.“ Aber ich sage: „Mein Jesus, darf ich nach vorne schauen und meinen Blick auf andere richten.“
Und noch einmal: Gebet, Gebet und nochmals Gebet.
Umgang mit Tätern und gesellschaftliche Verantwortung
Wie gehen wir mit Tätern um?
Ich war zwei Jahre in diesem psychologischen Gefängnis in Gelsenkirchen. Dort hat jeder Inhaftierte seinen Psychologen. Viele der Insassen waren Sexualstraftäter. Für die meisten Menschen ist das ein Thema, das Hass hervorruft. Man möchte die Täter wegsperren und denkt, damit sei die Sache erledigt. Doch auch diese Menschen sind Menschen. Sie brauchen Vergebung.
In der Regel habe ich erlebt, dass sie genauso darunter leiden. Das, was hier von Amnon berichtet wird – was nach der Tat geschah – zeigt, wie Liebe oder Begierde in Hass umschlägt. Was für ein Hass ist das? Es ist nicht der Hass gegen Tama, sondern gegen sich selbst. Nicht selten sind solche Menschen sogar selbstmordgefährdet, weil sie ihr Leben durch die Tat zerstört haben. Sie fühlen sich vor allen Leuten blamiert, fragen sich: „Wie konnte ich nur?“ und sehen keinen Ausweg.
Im Gefängnis stehen diejenigen, die Kinder missbraucht haben, ganz unten. Sie werden von den anderen Gefangenen verachtet. Ein Mörder gilt dort als Gentleman im Vergleich zu ihnen. Diese Täter brauchen eine Hinführung zur Erkenntnis ihrer Schuld, zur Reue, Buße und Umkehr.
Oft waren die Täter selbst Opfer. Sie haben in ihrer Kindheit Missbrauch erlebt und rächen sich. Häufig sind es Menschen, die unterdrückt wurden. Es sind keine Machtmenschen, sondern eher weiche Persönlichkeiten, die keine Möglichkeiten hatten. Sie suchen sich dann jemanden, der noch schwächer ist, um Macht auszuüben.
Auch hier gilt: Zuhören und Ängste aussprechen lassen. Einer dieser Täter sagte mir: „Ich kann mich in meinem Heimatdorf nicht mehr sehen lassen.“ Selbst der katholische Pfarrer, der sich um ihn kümmerte und ihn im Gefängnis besuchte, wurde von der Dorfgemeinschaft gemobbt und musste seinen Dienst aufgeben.
Für viele gibt es kein Verständnis dafür, dass auch Täter Opfer sind und Hilfe brauchen. Wir meinen oft, eine Bestrafung reiche aus. Doch damit ist einem Menschen nicht geholfen. Man kann jemanden bestrafen, aber dadurch gewinnt man nicht sein Herz.
Es ist wichtig, Hass und Verachtung gegen sich selbst aussprechen zu lassen. Schuldgefühle sollen geäußert und anhand der Bibel besprochen werden. So kann der Weg zur Vergebung aufgezeigt werden. Dabei soll in dem Täter die Bereitschaft geweckt werden, den Herrn Jesus um Vergebung zu bitten.
Auch hier gilt es, den Gedankenstopp einzuüben und ihnen das Leben mit Jesus Christus zu zeigen. So kann ein neues Leben beginnen. Solche Menschen brauchen ebenso Begleitung und Gebet – genauso wie die Opfer.
Wenn wir merken, dass ein Kind missbraucht wurde, müssen wir das anzeigen. In christlichen Kreisen wird das meistens nicht getan. Man scheut sich aus Angst vor dem Urteil anderer: „Was sollen die Leute sagen, wenn das in unserer Gemeinde passiert ist?“ Dabei muss man wissen: Im Grunde wissen die Menschen oft viel mehr, als wir glauben. Man kann nichts zudecken, ohne dass darüber gesprochen wird. Dann heißt es: „Die decken das.“
Es gibt jedoch eine Möglichkeit der Vergebung. Wenn wir 1. Korinther 6 lesen, schreibt Paulus, was für Menschen in der Gemeinde von Korinth waren. Da sträuben sich einem die Haare: Kinderschänder, Weichlinge und ähnliches. Solche Menschen waren viele von ihnen. Aber Paulus sagt: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt im Namen unseres Herrn Jesus.“
Das zeigt: Es gibt eine Möglichkeit, durch das Evangelium frei zu werden – sowohl für Opfer als auch für Täter. Oft ist es ein langer Weg, aber es gibt ihn. Gerade christliche Gemeinden müssen das deutlich machen.
Gleichzeitig dürfen wir nicht verschweigen, dass es sich um eine Straftat handelt. Wir müssen das Opfer vor dem Täter schützen. Das ist oft das Schwierigste, besonders bei Kindern aus gläubigem Elternhaus, wenn ein Täter aus der Verwandtschaft oder Bekanntschaft stammt. Dort wird oft zugedeckt, und das Kind soll weiter mit dem Täter unter einem Dach leben.
Das ist eine Vergewaltigung.
Hilfsangebote und biblischer Trost
Vielleicht einige Links im Internet, wo man Hilfe erfahren kann. Einmal wäre das vielleicht das Help Center in Dortmund. Dann habe ich noch ein paar Adressen; das sind keine christlichen Adressen, aber man kann sich dort informieren.
Zum Beispiel: www.die-schattenseiten.de, www.borderline-selbsthilfe.de, www.dunkelziffer.de, www.kindernotdienst.de, www.wildwasser.de. Wie gesagt, das sind keine christlichen Einrichtungen, aber es gibt viele gute Hinweise und Informationen, auch gerade für Opfer und für Täter.
Das Wichtigste ist natürlich für uns die Bibel. Ich möchte uns als Abschluss diesen Vers aus Jesaja 54,4 mitgeben:
„Fürchte dich nicht, denn du wirst nicht zu Schanden, und schäme dich nicht, denn du wirst nicht beschämt dastehen, sondern du wirst die Schande deiner Jugend vergessen und nicht mehr an die Schmach denken.“
Dieser Vers ist unserer Pflegetochter damals sehr wichtig geworden. Ich muss sagen, ich habe ihn immer überlesen, aber das ist ein Vers, der Mut macht. Mut macht, mit Gottes Hilfe nach vorne schauen zu können und dass es durchaus sein kann und wird, dass sich die Schande vergessen kann.
Ich habe euch schon einmal erzählt, dass ein Mädchen von der Gefährdetenhilfe gesagt hat: „Weißt du, ich bin früher auf den Strich gegangen, aber Gott hat mir die Ehre als Frau wiedergegeben.“ Das gibt es nicht in dieser Welt.
Ich möchte Mut machen, dass wir mit solchen Menschen seelsorgerlich und vorsichtig umgehen und sie zu Herrn Jesus führen. Denn Jesus kann unsere Herzen freimachen, sowohl die der Opfer als auch die der Täter.