Allein der Gekreuzigte
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]
Liebe Gemeinde, Paulus schreibt also nicht: "Als ich zu euch kam, hielt ich es für richtig, die Hochschule zu besuchen. Dort debattieren die glänzendsten Rhetoriker und machen im Wettstreit den Besten unter sich aus. Schließlich bin ich kein galiläischer Hinterwäldler, der nur stottern kann, sondern römischer Rechtsgelehrter, der bei Professor Gamaliel die brillante Rede studiert hat. Auch auf diesem Parkett weiß ich mich sehr wohl zu bewegen. Mit hohen Worten, mit geschliffener Sprache, mit gedrechselten Sätzen sind sie alle zu überzeugen." Aber Paulus schreibt so nicht. Er schreibt auch nicht: "Als ich zu euch kam, hielt ich es für richtig, die Lehrhalle zu mieten. Dort philosophieren die klügsten Großmeister und führen in ihre tiefsten Geheimlehren ein. Schließlich bin ich kein zwielichtiger Wundertäter, der gar mit dem Leibhaftigen im Bunde steht, sondern göttlicher Geheimnisträger, der vor Damaskus dem Lebendigen höchstpersönlich begegnet ist. Auch in solchen Sitzungen weiß ich mit der Elite umzugehen. Mit weisen Worten, mit gnostischem Denken, mit religiösen Mysterien kann ich sie auf die höchste Stufe der Eingeweihten führen." Aber Paulus schreibt so nicht. Er schreibt auch nicht: "Als ich zu euch kam, hielt ich es für richtig, den Aphroditetempel zu reinigen. Dort erwarten 1000 Tempeldirnen die Besucher und machen die Stadt zum griechischen Sodom. Schließlich bin ich keine Unschuld vom Lande, die naiv durch die Säulenhallen streift, sondern kirchlicher Saubermann, der wie sein Meister für Sitte und Ordnung sorgt. Dieses sprichwörtliche "korinthisch leben" ist eine Schande für den ganzen Peloponnes. Mit scharfen Worten, mit geflochtener Geißel, mit heiligem Eifer sind sie zu vertreiben." Aber Paulus schreibt so nicht. Er schreibt auch nicht: "Als ich zu euch kam, hielt ich es für richtig, die Slums in der Hafenstraße kennenzulernen. Dort vegetieren die Ärmsten der Armen und nagen neben den Bonzenvillen am Hungertuch. Schließlich bin ich kein satter Etablierter, der die Lazarusse übersieht, sondern armer Wohnsitzloser, der von Ort zu Ort zieht. Irgendeiner muss doch den Mund aufmachen und Initiative zeigen. Mit starken Worten, mit gezielten Aktionen, mit lauten Demonstrationen muss Ungerechtigkeit bekämpft werden."
Aber Paulus schreibt so nicht. In seinem Brief steht es anders. Im zweiten Kapitel lesen wir vielmehr: "Als ich zu euch kam, hielt ich es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten." Und wenn sie sagen: "Weißt du denn nicht, wie wichtig das Debattieren ist für die Wahrheit?", sagt Paulus: "Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus." Und wenn sie fragen: "Weißt du denn nicht, wie wichtig das Philosophieren für die Weisheit ist?", antwortet Paulus: "Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus." Und wenn sie klagen: "Weißt du denn nicht, wie wichtig das Agieren und Politisieren und Demonstrieren für die Gerechtigkeit ist?", bleibt Paulus bei seinem Proklamieren: "Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als Jesus Christus." Er spricht nicht im Brustton der Überzeugung, sondern in Schwachheit, in Furcht und mit großem Zittern, aber in der Gewissheit, dass für die Wahrheit in der Welt, dass für die Weisheit in der Welt, dass für die Gerechtigkeit in der Welt, ja, dass für unsere ganze Seligkeit nur ein einziger Name von alles entscheidender Bedeutung ist, nämlich Jesus Christus, der Gekreuzigte. Warum? Von vielen Gründen nennt er drei:
1. Sein ist das Reich
Paulus war arm. Bei seiner Ankunft in Korinth stand kein Hotelzimmer bereit. Die Leute ließen ihn buchstäblich im Regen stehen. Draußen vor der Tür, das war sein Platz. Gott sei Dank fand sich doch noch ein Eckchen bei einem jüdischen Flüchtlingspaar. Als er dann die Synagoge besuchte, bekam er neue Schwierigkeiten. Die Predigt vom Kreuz war nicht nach dem Geschmack der Leute. Ohrenschmaus ist in der Kirche gefragt und keine Gewissensbisse. Paulus stand wieder auf der Straße. Schließlich schleppten sie ihn vor den Statthalter. Gallio sollte kurzen Prozess mit diesem Unruhestifter machen. "Weg mit ihm", schrien sie wie mit einer Stimme. Doch, Paulus war arm, so arm wie sein Meister. Bei Jesu Ankunft in der Welt stand auch keine Hotelsuite bereit. Die Leute ließen den Sohn Gottes im Regen stehen. Draußen vor der Tür, das war sein Platz. Gott sei Dank fand sich doch noch ein Stall bei einem Wirtsehepaar. Als er dann in die Synagoge ging, blies ihm der Wind direkt ins Gesicht. Die Predigt von Buße und Glaube war nicht nach dem Geschmack der Leute. Wer nicht nach dem Munde redet, soll bitte den Mund halten! Jesus hatte nichts, wo er sein Haupt hinlegte. Schließlich schleppten sie ihn vor den Statthalter. Pilatus sollte kurzen Prozess mit diesem Unruhegeist machen. "Lass ihn kreuzigen!", schrien sie unisono (mit einer Stimme). Doch, Jesus war bettelarm sogar, aber im Gewand dieser Armut der Reiche in Person. Gott hat ihm alle Schätze des Himmels in die Hände gelegt. Alle Herrscher der Welt sind arme Waisenbürschlein im Vergleich mit diesem Herrscher des Himmelreiches. Gewiss ist das mit unserem klugen Geist nicht zu packen. Wen aber der Heilige Geist packt, und darum kann man bitten, der wird alle andern Namen wegpacken und bei diesem Herrn zupacken. So wie Paulus, der in all seiner Armut durch Jesus reich ausgestattet wurde. Da mag man im Regen stehen, weil einem die Eigenen die Tür vor der Nase zugeschlagen haben, er sorgt für die trockenen Füße: "Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: "Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe." Da mag einem der Wind ins Gesicht blasen, weil man den Mund nicht halten konnte über diesem weltbewegenden Evangelium, er sorgt schon für den passenden Schutz. "Der Herr ist meine Stärke und mein Schild." Da mag einen die Nacht umhüllen, weil man Unglück und Leid gestürzt wurde, er sorgt schon für den einzigen Trost: "Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, die Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben." Da mag einen das Gericht schrecken, weil man Schuld um Schuld auf sich geladen hat, er sorgt schon für den richtigen Anwalt: "Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben und auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt." Deshalb will Paulus nur von diesem Namen wissen: Jesus Christus, der Gekreuzigte. Sein ist das Reich.
2. Sein ist die Kraft
Paulus war schwach. Bei seiner Ankunft in Korinth konnte er nicht den starken Mann spielen. Niemand war beeindruckt von seinen Muskeln. Schwach wie ein Kind, das war sein Los. Immer mehr machte ihm seine körperliche Not zu schaffen. Der Pfahl im Fleisch, wie er sagte, brannte heiß. Die Fäuste des Satans, wie er schrieb, trafen hart. Die Schmerzen im Kopf oder Rücken, man weiß es nicht genau, nahmen zu. Paulus ist auf die Knie gegangen: "Warum bin ich so gehemmt? Herr heile mich!" Und Gott hat ihn nicht geheilt. Wieder kniete er nieder: "Warum bin ich so blockiert? Herr, kräftige mich!" Und Gott hat ihn nicht gekräftigt. Ein drittes Mal lag er auf den Knien: "Warum bin ich so behindert? Herr mach mich gesund!" Und Gott hat ihn nicht gesund gemacht. Schließlich wurde er so elend und krank, dass er nach Thessalonich schrieb: "Schon zweimal wollte ich kommen, aber der Satan hat es verhindert." Doch, Paulus war schwach, so schwach wie sein Meister. Bei Jesu Ankunft in der Welt konnte er auch nicht den starken Mann spielen. Niemand war beeindruckt von irgendwelchen Muskelspielen. Schwach wie ein Kind, das war sein Los. Immer mehr machte auch ihm körperliche Not zu schaffen. Müdigkeit überfiel ihn. Zerschlagenheit nagte an ihm. Erschöpfung ließ ihn auf offener Straße zusammenbrechen. In der Frühe bat er um Hilfe. In der Wüste rang er um Stärkung. Auf dem Ölberg tropfte der Schweiß wie Blut von der Stirn: "Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir." Und Gott hat ihn nicht weggenommen. Schließlich hing er ausgelaugt am Kreuz. "Er war voller Schmerz und Krankheit. Er war der Allerelendeste und Unwerteste, dass man das Angesicht vor ihm verbarg." Doch, Jesus war schwach, ganz schwach sogar, aber in der Gestalt dieser Schwachheit der Starke in Person. Gott hat ihn mit solcher Kraft ausgestattet, dass andere Mächte kapitulieren mussten. Nun gibt es keine Kräfte und Mächte mehr, die der Jesuskraft gefährlich werden könnten. Gewiss ist das wiederum mit unserem klugen Geist nicht zu fassen, wen aber der Heilige Geist erfasst, der wird bei Jesus, der ausgestreckten Hand Gottes, zufassen. So wie Paulus, der in all seiner Schwachheit durch Jesus erfuhr: "Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Meine Kraft ist in den Kaputten lebendig. Meine Kraft kommt erst in den Erschöpften voll zum Zug. Quer durch die Kirchengeschichte hat der Herr seine größten Taten durch Menschen getan, die körperlich ein Wrack waren. Ein Martin Luther, mit 44 Jahren körperlich ein Wrack, aber ganz Deutschland wachte auf. Ein Heinrich Wiechern, mit 55 Jahren körperlich schwer angeschlagen, aber eine ganze Generation entdeckte die Diakonie. Ein Ludwig Hofacker, mit 29 Jahren körperlich fix und fertig und mit 30 Jahren schon tot, aber durch unser Württemberger Land fließt ein Segensstrom bis heute. Es darf sich keiner abgeschrieben vorkommen, wenn er durch Krankheit belastet ist. Es darf sich keiner zurückgesetzt vorkommen, wenn er durch Schwachheit seiner Arbeit nicht mehr nachkommt. Es darf sich keiner weggeschoben vorkommen, wenn er durch körperliche und seelische Not auf die Seite genommen ist. Jedem Kraftlosen und oft genug auch Hoffnungslosen gilt diese mit Blut versiegelte Verheißung: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Deshalb will Paulus nur von diesem Namen wissen: Jesus Christus, der Gekreuzigte. Sein ist die Kraft, und auch das Dritte:
3. Sein ist die Herrlichkeit
Paulus war am Ende. Bei seiner Ankunft in Korinth ging die Leidensgeschichte los. Sie ließen ihn gar nicht zum Zuge kommen. Viele Notizen in seinen Briefen lassen auf Sturm schließen, der ihm immer mehr zusetzte. Schließlich stand er in höchster Todesgefahr. Doch Paulus war am Ende, so am Ende wie sein Meister. Bei Jesu Ankunft in der Welt ging die Passionsgeschichte los. Kaum geboren, musste er durch Flucht sein Leben retten. Viele Berichte in den Evangelien beschreiben den Sturm, der sich gegen ihn erhob. Schließlich hing er zum Tode verurteilt am Kreuz. Doch Jesus war am Ende, ganz am Ende sogar, aber in diesem Leib der Sterblichkeit die Herrlichkeit in Person. Gott hat ihn nicht dem Tode überlassen, sondern ihn herausgerissen und ihn zu seiner Rechten gesetzt, bis zum Tag seiner Wiederkunft in Herrlichkeit. Gewiss ist das noch einmal nicht mit unserem Geist zu begreifen. Wen aber der Heilige Geist ergreift, der wird nach diesem Jesus greifen. So wie Paulus, der sich angesichts des Todes der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit rühmte, denn "wenn wir leiden, werden wir mit ihm zur Herrlichkeit erhoben".
Liebe Freunde, wer von uns leidet nicht unter der Gebrechlichkeit? Keiner ist so stabil gebaut, dass er die Jahre ohne Risse und Zerbrüche überstehe könnte. Jedes noch so stolze Lebenshaus ist nur eine Hütte auf auf Zeit. Wer von uns leidet nicht unter der Vergänglichkeit? Alles, was wir festhalten wollen, unsere Jahre, unsere Kinder, unser Glück, rinnt uns wie der Sand durch die Finger. Panta rei, alles fließt, alles. Wer von uns leidet nicht unter der Sterblichkeit? Allernächste Freunde und Bekannte werden zu Grabe getragen. Jeder Tag bringt uns ein Stück diesem bitteren Ende näher. Aber hören wir’s doch: Gebrechlichkeit, Vergänglichkeit, Sterblichkeit ist nicht das Letzte. Herrlichkeit ist denen versprochen, die ihn Herr sein lassen. Dann stimmt schon, was auf der Todesanzeige eines Christen zu lesen war: Heimkehr zum Fest. Deshalb will Paulus nur von dieser Namen wissen: Jesus Christus, der Gekreuzigte. Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. "Jesus Christus, König und Herr, sein ist das Reich, die Kraft, die Ehr, gilt kein anderer Name, heut und ewig. Amen."