Weihnachten? Nein danke!

"Denn euch ist heute in der Stadt Davids der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr."
Konrad Eißler
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Der Chor der Weihnachtsleute klingt laut: Weihnachten? Nein danke! Konrad Eißler kennt nur einen, der Weih­nachten wirklich will. Der alles einsetzt, um bei uns Weihnachten werden zu lassen. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


“Weihnachten? Nein danke!” So hat es einer an die Hauswand ge­sprayt. Keiner konnte diese alternative Festdekoration in der Fußgängerzone übersehen. Zwischen Tannengrün uhd Kerzengelb leuchtet es knallrot auf: “Weihnachten? Nein danke!” Ich verlangsamte mein­en Schritt, blieb für einen Augenblick stehen und überlegte: Ist diese Wandschmiererei eine Lausbuberei oder des Volkes Stimme aus der Spraydose? Auf dem Nachhauseweg ging es mir immer noch durch den Kopf: Ist diese Wandschreiberei eine Angeberei oder des Volkes Meinung aus der Menge?

Bis heute läßt mich diese Wandmalerei nicht los: Heilige Nacht, Christtag, Weihnachten? Nein danke! Wer stand überhaupt auf dieses Fest? Wer wollte überhaupt zu diesem Fest? War überhaupt jemand für dieses Fest? Schauen wir doch einen Augenblick in die damalige Zeit:

War Maria dafür? Die er­schrak zu Tode, als ihr der Engel ein Kind ankündigte. Schließlich war sie erst verlobt und noch nicht verheiratet. Ehe ohne Trau­schein oder gar außereheliche Kinder waren undenkbar. Wie sollte Maria für Weihnachten sein? Oder war Joseph dafür? Der plante den Abgang, als ihm diese peinliche Geschichte zu Ohren kam. Schließ­lich war er ein anständiger Bürger und ehrbarer Handwerker mit gutem Ruf. Solch ein Ding kann keiner auf sich sitzen lassen. Wie sollte Joseph für Weihnachten sein? Oder war Herodes dafür? Der wetzte den Säbel, als ihm Astrologen von einem neuen Stern er­zählten. Schließlich war er der Superstar und Sonnenkönig von Judäa. Männer seines Kalibers lassen sich nicht in den Schatten stellen. Wie sollte Herodes für Weihnachten sein? Oder waren die Hirten dafür? Die fuhren aus dem Schlaf, als ihnen ungewohnte Töne die Nachtruhe raubten. Schließlich waren sie fertig und hundemüde vom harten Weidejob. Am andern Morgen mussten sie wieder auf dem Posten sein. Wie sollten die Hirten für Weihnachten sein? Oder waren die Bethlehemer dafür? Die merkten gar nichts, als im Bretterverschlag eine Frau niederkam. Schließlich waren sie mit dieser Volkszählung voll im Stress. Jeder hatte alle Hände voll zu tun. Wie sollten die Bethlehemer für Weihnachten sein? Mag der Chor der Weihnachtsengel oben das neue Lied angestimmt haben, der Chor der Weihnachtsfiguren unten sang die alte Leier: Weihnachten? Nein danke!

Diese Melodie ist zählebig, denn wer steht heute auf dies­es Fest? Wer will heute zu diesem Fest? Ist jemand heute für dies­es Fest? Schauen wir doch einen Augenblick in unsere Zeit:

Sind die Klugen dafür? Sie lächeln mitleidig, wenn von Jungfrauengeburt und Hirtenromantik erzählt wird. Schließlich haben sie denken ge­lernt und wissen Sagen, Legenden und Ammenmärchen einzuordnen. Die Tiefe des Seins lässt sich nicht als Hätschelkind in Windeln wick­eln. Wie sollen die Klugen für Weihnachten sein? Oder sind die Wachen dafür? Sie werden wütend, wenn sich Festtafeln unter der Fülle von Kostbarkeiten liegen. Schließlich leben Milionen im Hunger und Hundertausende liegen auf der Straße. Der Graben zwischen reich und arm wird immer tiefer. Wie sollen die Wachen für Weihnachten sein? Oder sind die Traurigen dafür? Sie winken ab, wenn von Freude, Freude über Freude gesungen wird. Schließlich haben sie einen Lieben verloren und leiden am Heimweh. Stille Festtage machen den Schmerz nur größer. Wie sollen die Traurigen für Weihnachten sein? Und die Depressiven und die Kranken und die Verzweifelten? Der Chor der Weihnachtsleute klingt laut: Weihnachten? Nein danke!

Liebe Freunde, ich kenne nur einen, der Weih­nachten wirklich will. Ich kenne nur einen einzigen, der Weihnachten wirklich wünscht. Ich kennen nur einen einzigen in der Welt, der alles einsetzt, um bei uns Weihnachten werden zu lassen. Und das ist der lebendige Gott. Warum? Er sieht nämlich den trüben Strom der Zeit, der durch die Jahrhunderte geht. Mitten drin kämpfen wir um unser Leben, weil uns das Wasser schon bis zum Halse geht. Mitten drin bekommen wir gar keinen Boden unter die Füße, weil die Zeit- und Denkströmungen zu stark sind. Mitten drin erreichen wir gar keinen Halt mehr mit den Händen, weil die Wellen, Protest- und Nostalgiewellen, uns hin- und herwerfen. Da mittendrin haben wir den sicheren Tod vor Augen. “Es fallen Menschen, blindlings von einer Stunde zur andern, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, jahrlang ins Ungewisse hinab” schrieb Hölderlin in Tübingen. Aber, das ist das Evangelium, die frohe Botschaft, die gute Nachricht, Gott behält uns im Auge. Diesem Herrn sind wir nicht gleichgültig. Ihm schneidet unsere verzweifelte Lage ins Herz. “Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen.”

Darum ruft er uns keine grimmingen Parolen zur Lebensbewältigung zu. Große Worte bringen nichts. Darum wirft er uns keine handgedrehte Leine von Ideologien übers Wasser. Gescheite Gedanken nützen nichts. Nein, dieser Gott entledigt sich seiner Kleider. Er zieht den Königsmantel aus, der ihn als König aller Könige ausweist. Er setzt die Königskrone ab, die ihm Macht über alle gekrönten Häupt­er der Welt gibt. Er läßt das Königszepter fallen, mit dem er die Reiche dieser Erde regiert. Er äußert sich all seiner Gwalt, wird niedrig und gering. So springt er uns nach. So taucht er elend, nackt und bloß unter. So will er im Strom von Leid und Tränen, Traurigkeit und Einsamkeit zum Retter werden. Vom ersten Tag an kämpfte er um unser Leben. Er schwimmt gegen den Strom. Er mobili­siert alle Energien. Er ruft über das Wasser: Kommet her zu mir! Schließlich macht er seine Arme ganz breit. Am Kreuz sind sie bis zu den Ufern ausgereckt. Er will jeden greifen. Er will jeden herausretten. Jesus ist der einzige, der die notwendige Kraft dazu hat.

Keiner muss im Strom der Zeit versinken. Wenn Ihnen die Ver­gangenheit zu schaffen macht, die einen in solchen Stunden ein­holt und die Schamröte ins Gesicht treibt, dann hören Sie: “Meine Schuld kann mich nicht drücken, denn du hast meine Last, alle auf dem Rücken.” Keiner muss im Strom des Leids untergehen. Wenn Ihnen die Gegenwart zu schaffen macht, die seit dem Tod des Mannes oder der Mutter so entsetzlich leer geworden ist, dann hören Sie: “Die ihr schwebt in großem Leide, sehet hier ist die Tür, zu der wahren Freude.” Keiner muss im Strom der Angst verlorengehen. Wenn Ihnen die Zukunft zu schaffen macht, die so dunkel und bedrohend ist, dann hören Sie: “Mit dir will ich endlich schweben, voller Freud, ohne Leid, dort im andern Leben.”

Liebe Freunde, kein Knabe im lockigen Haar, aber Christ der Retter ist da. Deshalb möchte ich die Wandschreiberei überpinseln: nicht “Weihnachten, nein danke!”, sondern: “Rettung? Ja bitte!” “Rettung, ja bitte, dass es bei mir Weihnachten werde!”

Amen