Ja, guten Abend, liebe Geschwister! Ich freue mich, dass ich schon zum zweiten Mal in diesem Jahr hier bei euch sein darf. Heute Abend muss ich mich hoffentlich nicht mehr lange vorstellen, und wir können gleich mit dem Thema beginnen, das hier angekündigt ist.
Ich hoffe, dass ihr alles gut sehen könnt und niemand um die Ecke schauen muss – der Christ in der Beziehung zu seinen Geschwistern.
Wenn ihr euch fragt, wie ich gerade darauf komme: Nun, ich habe gehört, dass ihr plant, Gemeinderäume umzubauen. Das soll ja nicht jahrelang dauern wie bei uns in Hünfeld, wo ich gerade herkomme und wo ich heute Nachmittag aufgebrochen bin.
Wir bauen tatsächlich schon seit August 2002, also seit jetzt vier Jahren und bald vier Monaten, an einem Bau. Nicht, weil er so groß wäre wie die Hagia Sophia in Istanbul, sondern weil im Wesentlichen zwei Hände voll Brüder dieses Gemeindehaus für etwa zweihundert Personen hochgezogen haben.
Wir sind auch schon seit etwa einem Vierteljahr drin, aber es ist immer noch nicht fertig. Es gibt noch einiges zu tun. Wir haben einen Einweihungstermin festgelegt: den 14. Oktober 2007. Jetzt ist Land in Sicht, darauf arbeiten wir zu. Ich hoffe, dass ihr mit eurer Einweihung der Räume uns weit voraus seid.
Man sagt nämlich Folgendes: Wenn eine Gemeinde baut oder umbaut, dann ist sie danach nicht dieselbe. Entweder ist sie in der Bauzeit näher zusammengewachsen, oder sie ist ein bisschen auseinandergebröckelt.
Denn beim Bauen gibt es auch Brüder, die Sachverstand haben und sagen, hier muss der Pfeiler hin, hier das Fenster, und dort dies und jenes. Andere sehen das dann ein bisschen anders. Oder Schwestern, wenn es an die Ausgestaltung geht: Hier muss die Wand blau sein und dort rosa.
Dann kann es Probleme geben. Und noch etwas ist typisch: das Vergleichen. Der Bruder ist jeden Samstag und jeden Abend auf der Baustelle, diese Schwester hat schon viermal Essen gebracht, und die andere gar nicht.
Dann fängt das Vergleichen an, und daraus entsteht viel Not. Das sind alles Dinge, die hoffentlich nicht bei euch passieren werden, aber die anderswo schon vorgekommen sind.
Man darf ja auch über so ein ganz menschlich-praktisches Thema sprechen.
Einführung in den biblischen Text und geografischer Hintergrund
Wenn ihr eure Bibeln dabei habt, dann schlagt doch bitte das Buch Josua auf. Während ihr das tut, möchte ich ein paar Vorbemerkungen machen. Ihr müsst dann aber immer wieder hierher zurückschauen. Das ist nicht zwingend, aber es kann hilfreich sein.
Ihr seht hier eine echte Satellitenaufnahme des Landes Israel, die ich allerdings nicht selbst gemacht habe. Oben seht ihr den See Genezareth, unten das Tote Meer. Der See Genezareth liegt etwa zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel, das Tote Meer sogar ungefähr vierhundert Meter darunter. Der tiefste bewohnte Punkt der Erde befindet sich hier am Toten Meer.
Ihr erkennt auch den Fluss Jordan, der hier oben in den Golanhöhen entspringt. Nebenbei bemerkt ist das ein Grund, warum Israel niemals die Golanhöhen hergeben wird. Dort hängt die gesamte Wasserversorgung Israels dran. Syrien hätte das Gebiet zwar gerne zurück, aber es gehört nach biblischer Definition zu israelischem Territorium.
Der Jordan fließt von den Golanhöhen hinunter ins Tote Meer, wo das Wasser verdunstet. Als Israel aus Ägypten kam, zog das Volk hier hoch und befand sich im sogenannten Ostjordanland. In der Bibel wird dieses Gebiet Land Gilead genannt, das heutige Jordanien.
Als die Stämme Ruben, Gad und der halbe Stamm Manasse sahen, dass diese Gegend schön und zum Wohnen geeignet war, baten sie Mose: "Lass uns hier wohnen, wir wollen gar nicht ins Land Kanaan ziehen, dieses Gebiet genügt uns."
Mose erlaubte ihnen das unter einer Bedingung. Er sagte, dass sie zunächst mit den anderen Stämmen mitziehen und ihnen helfen müssten, das Land in Besitz zu nehmen. Erst wenn das Land erobert sei, dürften sie zurückkehren und sich hier ansiedeln.
Alle verstanden diese Voraussetzung. Das ist wichtig, um Josua 22 richtig verstehen zu können.
Josua ermutigt die östlichen Stämme zur Rückkehr
Lesen wir ab Vers 1 bis 6 in Joshua 22,1:
Damals rief Joshua die Rubeniter, die Gattiter und den halben Stamm Manasse zusammen. Er sprach zu ihnen: „Ihr habt alles gesehen und alles gehalten, was Mose, der Knecht des Herrn, euch geboten hat. Ihr habt meiner Stimme gehorcht in allem, was ich euch befohlen habe. Ihr habt eure Brüder nicht verlassen, diese lange Zeit bis zum heutigen Tag, und habt das Gebot des Herrn, eures Gottes, treu gehalten.
Nun aber hat der Herr, euer Gott, euren Brüdern Ruhe verschafft, wie er zu ihnen geredet hatte. Sie haben nun das Land Kanaan eingenommen. Nun kehrt um und geht wieder zu euren Zelten in das Land eures Eigentums, das Mose, der Knecht des Herrn, euch jenseits des Jordan gegeben hat – also ins Ostjordanland. Achtet dabei genau darauf, das Gebot und das Gesetz zu tun, das Mose, der Knecht des Herrn, euch befohlen hat.
Liebt den Herrn, euren Gott, und wandelt auf allen seinen Wegen. Haltet seine Gebote, hängt ihm an und dient ihm mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele.“
Joshua segnete sie, entließ sie, und sie gingen zu ihren Zelten.
Bis hierhin ist der Himmel hell, alles in bester Ordnung. Die zwölf Stämme waren in Eintracht und Harmonie. Sie hatten jetzt das Land Kanaan erreicht. Große Freude herrschte, alles schien bestens. Doch bereits ziehen dunkle Gewitterwolken am Horizont auf. Wir werden gleich sehen, wie es zu einer erbitterten Auseinandersetzung im Volk Gottes kommt und wie Spannungen entstehen – die Ursache von Spannungen.
Der Bau des Altars und seine missverstandene Bedeutung
Lasst uns weiterlesen bei Vers 9 und Vers 10:
Da kehrten die Söhne Ruben, die Söhne Gad und der halbe Stamm Manasse zurück und zogen fort von den Söhnen Israel von Silo, das im Land Kanaan liegt. Dort stand auch die Stiftshütte. Sie zogen ins Land Gilead, in das Land ihres Eigentums, in dem sie sich auf Befehl des Herrn durch Mose ansässig gemacht hatten.
Sie überquerten also jetzt den Jordan, um in ihr Gebiet östlich des Jordans zu ziehen. Als sie in die Bezirke des Jordans kamen, die noch im Land Kanaan anliegen, bauten die Söhne Ruben, die Söhne Gad und der halbe Stamm Manasse dort einen Altar am Jordan – einen Altar, groß von Aussehen.
Schauen wir uns das noch einmal an: Hier ist also das Land Israel, von Weltall aus gesehen. Hier ist das Kernland Israel, und hier drüben liegt das Ostjordanland. Die Stämme ziehen zurück und bauen dort unten in der Jordanebene – wir wissen jetzt nicht genau, ob es hier, da oder dort war, irgendwo hier unten in der Jordanebene, noch auf dem Gebiet von Israel – diesen Altar.
Was war ihr Motiv? Warum haben sie das gemacht? Sie wollten nicht etwa auf diesem Altar Opfer darbringen. Man unterscheidet im Alten Testament zwischen Opferaltären und Zeugnisaltären. Zeugnisaltäre wurden aufgerichtet, um zu bezeugen: Wir haben den lebendigen Gott erlebt, wir haben ihn erfahren in unserem Alltag, in unserem Leben. Und das sollte ein Zeugnisaltar sein, kein Opferaltar.
Mit diesem Altar wollten sie eine Tatsache bezeugen: Wir zwölf Stämme Israels gehören zusammen, auch wenn wir jetzt in Zukunft geografisch getrennt sind durch den Jordan. Der Jordan ist eine starke geografische Grenze, das können wir uns gut vorstellen – wir als Deutsche. Wir hatten ja auch mal vierzig Jahre lang ein Volk, das getrennt lebte in Ost und West. Da war zwar kein Fluss dazwischen, sondern der sogenannte Eiserne Vorhang. Und es war doch ein Volk und gehörte zusammen. Jetzt sind wir auch wieder auf dem Papier ein Volk und zusammen. Aber es muss ja bekanntlich noch zusammenwachsen, was zusammengehört.
So war das hier auch: Sie wollten ausdrücken, dass sie zusammengehören, auch wenn sie jetzt hier auf dem Gebiet leben. Und unsere Kinder und unsere Enkel – wir wissen das ja noch –, dass wir zusammengehören. Aber werden unsere Enkel das auch noch wissen? Damit das nicht in Vergessenheit gerät, bauen sie diesen Altar als Zeugnis: Wir gehören alle zusammen.
Das war eine wunderbare Sache, ein gutes Motiv. Es war sogar edel, geistlich und ganz in Ordnung.
Die Problematik von Missverständnissen und Fehlinterpretationen
Aber habt ihr das auch schon einmal bemerkt? Man tut etwas und meint es gut, aber es wird völlig anders aufgefasst. Jemand hat einmal gesagt: Was ist das Gegenteil von gut? Gut gemeint. Manchmal meinen wir etwas gut, doch entweder ist es nicht gut gemacht, wie es in einem Lied heißt, oder es kommt ganz anders an und wird ganz anders aufgenommen.
Ich gebe euch ein paar Beispiele. Jemand grüßt den anderen besonders freundlich, ganz besonders freundlich. Der andere denkt: Warum grüßt er mich so freundlich? Will er mich auf den Arm nehmen? Will er mich provozieren? Warum grüßt er mich so auffällig freundlich? Und schon entsteht irgendwie Misstrauen, Argwohn, schlechte Gedanken. Oft denken wir gleich das Schlimmste und nehmen sofort den schlimmsten Fall an, den es geben könnte – den sogenannten Worst Case.
Ein anderes Beispiel: Jemand schenkt einem anderen ein bestimmtes Buch zum Geburtstag, zu Weihnachten oder bei einem anderen Anlass. Der Beschenkte schaut sich das Buch genau an und denkt: Was will der mir denn durch die Blume hier sagen? Er will mir doch mit dem Buch etwas sagen. Dann schaut er sich das ganze Kapitel durch, das Inhaltsverzeichnis, und denkt: Was will die mir hier durch die Blume sagen mit dem Buch? Dabei war überhaupt kein argwöhnischer Gedanke dahinter oder kein schlechter Wille.
Oder jemand übernimmt aus Liebe zum Herrn Jesus und aus Liebe zu den Geschwistern in der Gemeinde einen Dienst – irgendeinen Dienst. Und andere denken: Warum macht die das schon wieder? Die drängt sich immer nach vorne, immer schnappt sie den anderen die Sachen weg. Ganz egal, ob es ein Bruder oder eine Schwester ist.
So kann es also Dinge geben, die jemand tut, er meint es gut, er meint es sogar sehr gut, aber der andere bekommt es in den falschen Hals, wie wir sagen.
Persönliche Erlebnisse mit Missverständnissen und Konflikten
Um das noch zu übertreiben, muss ich euch erzählen, was wir einmal erlebt haben. Wir waren im Urlaub – natürlich in Österreich, in Kärnten, wo wir immer hinfahren. Das ist praktisch, weil die Schwiegereltern in einem wunderschönen Skigebiet wohnen. Andere bezahlen viel Geld, um dorthin fahren zu können.
Es war im Sommer, und wir haben eine Postkarte verschickt. Wir haben uns schon lange angewöhnt, nicht mehr allen Leuten eine Postkarte zu schicken, denn das kann ganz schön teuer werden. Aber in diesem Fall haben wir einer Schwester eine Karte geschrieben. Sie hat sich auch gefreut und die Karte an ihren Küchenschrank geheftet.
Dann kam eine andere Schwester zu Besuch. Sie war ein bisschen neugierig – wir Brüder sind wissbegierig, Schwestern sind manchmal neugierig. Sie nahm die Karte von der Wand und sah, dass wir einer Schwester eine Karte aus dem Urlaub geschrieben hatten, der anderen aber nicht. Dabei ließ sie schon ihren Unmut ein wenig durchblicken.
Als wir dann zurückkamen, machte uns diese Schwester eine Szene. Sie fragte, warum wir der einen Schwester eine Karte geschrieben hätten und der anderen nicht. Sie warf uns vor, nicht alle gleich in der Gemeinde zu behandeln. Es gab einen ziemlichen Wirbel, und wir mussten darauf achten, die Situation wieder zu beruhigen.
Ich habe hinterher zu meiner Frau gesagt: „Ist das denn möglich? Kann so etwas wirklich passieren?“ Wenn man 25 Jahre in der Gemeindearbeit steht, ist einem nichts Menschliches mehr fremd – glaubt mir, wirklich nichts. Aber das war der Gipfel der Dinge, bei denen wir uns nur noch den Kopf schütteln konnten.
So etwas ist wirklich passiert. Ich erzähle kein Märchen, das ist eine reale Begebenheit in einer tatsächlich existierenden Gemeinde. Und so ist das manchmal auch in den besten Gemeinden. In den besten Familien kann so etwas passieren: Jemand sagt etwas, tut etwas oder lässt etwas. Der andere schaut durch seine eigene Brille darauf, interpretiert es ganz anders, versteht es falsch und ärgert sich darüber.
Schon entsteht eine Spannung, die eigentlich gar nicht nötig wäre.
Die Reaktion der übrigen Stämme auf den Altarbau
Und zwei Dinge sind mir hier aufgefallen, wie es jetzt weiterging. Wir müssen erst lesen, Vers elf und zwölf. Da sind mir zwei Dinge aufgefallen.
Lesen wir weiter, Vers elf: „Und die Söhne Israel hörten sagen: Siehe, die Söhne Ruben und die Söhne Gad und der halbe Stamm Manasse haben den Altar gebaut vor dem Land Kanaan in den Bezirken des Jordan, nach der Seite der Söhne Israel. Und als die Söhne Israel es hörten, versammelte sich die ganze Gemeinde der Söhne Israel nach Silo, um gegen sie zum Krieg hinaufzuziehen. Sie haben das Kriegsbeil ausgegraben wegen dem Altar, der gut gemeint war.“
Schaut mal, liebe Geschwister, Vers elf: „Und die Söhne Israel hörten sagen.“ Merken wir uns: Die Information war sehr, sehr dünn. Sie hörten sagen. Es wird gar nicht erwähnt, von wem sie das gehört haben. Das war auf jeden Fall eine gefärbte Information. Vielleicht war es so rübergekommen: „Habt ihr schon gehört, was die da gemacht haben in der Jordanebene? Die haben einen riesigen Altar gebaut. Wer weiß, wem die da opfern wollen?“
Versteht ihr, wenn das so rübergekommen ist zu den Stämmen, die hier zurückgeblieben sind, dann verstehe ich, warum sie Alarmstufe Rot bekommen haben. Denn Israel hatte einige Zeit zuvor Götzendienst getrieben, hatte dem Baal Peor geopfert. Da hatte Gott Gericht gegeben, und es hatte viele Tausende Tote gegeben in Israel. Das saß ihnen noch im Nacken.
Und jetzt hören sie, die haben schon wieder einen Altar gebaut. Da geht schon wieder so etwas los. Deswegen waren sie alle sofort auf hundertachtzig. Das könnte sein, wenn es so rübergekommen ist. Auf jeden Fall ist es nicht ungefährlich, diese Informationsquelle. „Hast du schon gehört? Weißt du schon das Neueste? Hast du schon mitgekriegt, was die gemacht haben?“ Wie viele Spannungen gibt es auch manchmal unter uns, weil irgendjemand gesagt hat: „Hast du schon gehört?“
Wie viel Klatsch wird weitergegeben, wie viel ungesichertes Gerede, wie viel unverbürgte Information, wie viele Vorurteile! Ein Mann, der beim Evangeliumsrundfunk lange Zeit für die Seelsorgeabteilung zuständig war, war Kurt Scherer. Er sagte in einem seiner Bücher diesen Satz: „Die üble Nachrede durch Christen ist auf dem besten Wege, Satans wirkungsvollste Waffe zu werden, um die Gemeinschaft innerhalb der Gemeinde Jesu zu zerstören.“
Üble Nachrede, böses Reden über Geschwister, mit denen man am Sonntagmorgen noch beim Brotbrechen zusammen war, aber am Nachmittag kann man sie bei einer guten Tasse Kaffee total durch den Kakao ziehen. Das bringen wir fertig. Das habe ich auch schon geschafft. Und das fällt gar nicht so schwer, weil Leute, die nicht da sind, über die kann man so leicht negativ reden. Dabei stehen nicht anwesende Geschwister immer unter dem Schutz Gottes.
Da müssen wir aufpassen, wenn es heißt: „Hast du schon gehört?“ Ich habe da auch so einen Spezialisten. Wenn der anruft, gehe ich innerlich schon in Habachtstellung, weil ich genau weiß, jetzt kommen wieder die ganzen Verkehrtheiten von allen Christen und Leitern und so weiter. Ja, und ich habe ihm schon gesagt: „Hör auf, ich will das nicht mehr hören. Lass uns über etwas Vernünftiges reden.“
Die Bibel sagt: Was gut ist, was Segen bringt, was nützlich ist, was fördert, was wohllautet, darüber sollen wir reden. Das ist so eine Sache mit unserem Reden. Es ist nicht mein Thema heute Abend, aber einen Satz will ich euch noch sagen.
Mutter Eva von Thiele-Winkler hat mal Hudson Taylor in China besucht. Dann kam sie zurück nach sechs Wochen Gemeinschaft mit Hudson Taylor. Sie sagte: „Ich habe in Hudson Taylor den vollkommen geheiligten Christen kennengelernt, denn er hat in diesen sechs Wochen kein einziges Mal positiv über sich und kein einziges Mal negativ über andere Menschen gesprochen.“ Sechs Wochen lang Hudson Taylor.
Ich weiß nicht, ob ich das schon mal geschafft habe, sechs Wochen lang nicht negativ über andere zu reden. Versteht mich nicht falsch: Manchmal müssen Dinge gesagt werden, auch in der geistlichen Beurteilung über Geschwister, wenn man in Verantwortung steht. Man muss manchmal über solche Dinge reden. Aber dann kommt es immer noch darauf an, mit welcher Herzenshaltung wir das tun.
Also schauen wir: Üble Nachrede, Afterreden hat man das früher genannt, hinter dem Rücken böse Reden – das ist nicht in Ordnung.
Die Gefahr von vorschnellen Reaktionen und der Umgang mit Kritik
Und noch etwas ist mir aufgefallen: Da versammelte sich die ganze Gemeinde Israel in Silo, um gegen sie zu Felde zu ziehen. Auf die unsichere Information folgte eine viel zu schnelle Reaktion. Sie haben spontan reagiert, sofort mit dem Säbel losgerasselt.
Ist das nicht bei uns manchmal ähnlich? Irgendetwas Unerfreuliches trifft auf unser Auge oder an unser Ohr, und wir reagieren spontan. Eine gesunde Spontanität ist in Ordnung, aber diese Spontanreaktionen sind meistens falsch. Sie kommen viel zu leicht aus dem Fleisch, aus dem alten Menschen. Oft sind sie unangemessen. Dann wird ganz schnell mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Und dann herrscht auch schnell der Grundsatz „Wie du mir, so ich dir.“
So ist das doch, da müssen wir ehrlich sein, liebe Geschwister.
Ich möchte auch noch zwei Dinge sagen, die mir schon oft geholfen haben. Das eine habe ich von König Saul gelernt. Jawohl, man kann auch von Saul etwas lernen. Der junge Saul war in vielen Dingen positiv und vorbildlich. Der alte Saul ist dann böse abgestürzt, aber der junge Saul – von dem heißt es, als er zum König gesalbt wurde – da gab es ja auch einige Kritiker. Es ist immer so: Diese Welt hat noch nie etwas angenommen, was sie nicht zuvor abgelehnt hätte.
Und auch wenn jemand in ein Amt gesetzt wird, gibt es immer Kritiker. Immer. Bei Saul gab es auch Kritiker, die sagten: „Was soll der uns helfen? Na, da habt ihr gerade den richtigen ausgewählt, der hat den Bock zum Gärtner gemacht. Was soll der uns helfen?“ Sie verachteten ihn, heißt es in 1. Samuel 10,27.
Dann steht ein großer Satz über Saul, ein echt großer Satz: „Aber er tat, als hörte er es nicht.“ Er hat die Ohren auf Durchzug geschaltet. Er sagte: „Ach komm, ich habe doch auch schon Blödsinn geredet über andere. Jetzt nehme ich das mal nicht so hoch. Jetzt hänge ich das nicht so hoch. Jetzt lasse ich das mal gerade großmütig durchgehen.“
Und ich sage ganz bewusst, liebe Geschwister: Bei kleinen Sachen, wenn man mal hört, jemand hat irgendetwas Dummes gesagt, dann sollten wir großzügig sein und sagen: „Ach komm, er tat, als hörte er es nicht.“ Ich rede jetzt nicht von Dingen, bei denen wir den anderen konfrontieren müssen, wo wir ihn wirklich zur Rede stellen müssen – das werde ich gleich noch ansprechen. Ich meine jetzt Sachen, die so durchgehen können, bei denen man auch mal großzügig sein kann.
Noch etwas hat mir geholfen, außer dieser Reaktion von Saul: etwas, das habe ich bei der Bundeswehr gelernt. Sogar da kann man etwas lernen. Und zwar: Bei der Bundeswehr kann sich jeder Soldat gegen Vorgesetzte beschweren, auch gegen einen General, aber erst nach Ablauf einer Nacht.
Sehr weise, nach Ablauf einer Nacht. Warum? Wenn man über eine Sache geschlafen hat, sieht die Welt am nächsten Morgen schon ganz anders aus. Man hat Abstand zu der Sache bekommen und denkt: „Ach komm, das ist doch gar nicht wert. Ja, lass gut sein.“
Ich glaube, diese Regel filtert einen Großteil der Beschwerden heraus, die werden schon gar nicht mehr geschrieben. Aber ich war lange genug bei dem Haufen. Ich weiß auch, dass manche Leute die Beschwerde sofort schreiben und sie dann erst am nächsten Tag abgeben. Ja, das kann man dann auch nicht ändern. Aber egal, es ist eine gute Regel: nach Ablauf einer Nacht.
Und so sollten wir das auch halten. Wenn unerfreuliche Dinge kommen – manchmal bekommt man auch einen Brief.
Umgang mit Konflikten und Versöhnung
So ging es mir neulich. Ich habe einen Brief bekommen und war ganz perplex. Ich konnte gar nicht fassen, was ein Bruder da geschrieben hatte. Dann bin ich niedergekniet wie König Ischia, habe den Brief vor dem Herrn auf meinem Büroboden ausgebreitet und gesagt: Herr, sieh mal, was der Bruder hier schreibt.
Dieser Brief kam per E-Mail. Ich hätte ihn mit ein paar Mausklicks an Hunderte Leute weiterleiten können. Das ist sehr gefährlich, denn so verbreitet sich der Streit schnell und vervielfacht sich. Aber das habe ich nicht getan. Stattdessen habe ich ein paar Tage lang nur gebetet und darüber nachgedacht, wie ich ihm antworten kann.
Schließlich habe ich ihm geschrieben und um ein Gespräch gebeten. Einige Tage später haben wir eine Stunde lang telefoniert. Das Gespräch ging von Amerika nach Deutschland und zurück. Es war gut, und wir konnten die Sache klären. Der Streit war aus der Welt geschafft. Dafür bin ich dankbar.
Also bitte nicht sofort spontan reagieren, sondern weise und besonnen handeln. Ich will nicht behaupten, dass mir das immer gelingt – ich muss ja auch erst lernen. Aber ich hoffe, ich habe diese Lektion verstanden. Passt gut auf, wenn so etwas passiert!
Lesen wir noch drei Verse, dann haben wir den Bibeltext für heute Abend durchgearbeitet. Ich möchte aber noch nicht schließen, denn ich habe noch etwas zu sagen.
Vers 13 bis 15: Die Söhne Israels sandten zu den Söhnen Ruben, zu den Söhnen Gad und zu dem halben Stamm Manasse ins Land Gilead Pinhas, den Sohn des Priesters Eleasar – also den Enkel Aarons, des Hohenpriesters – sowie zehn Fürsten mit ihm. Je einer von ihnen war das Haupt seines Vaterhauses in den Tausendschaften Israels. Sie kamen zu den Söhnen Ruben, zu den Söhnen Gad und zu dem halben Stamm Manasse ins Land Gilead und redeten mit ihnen.
Stellt euch vor: Bevor sie sich die Köpfe eingeschlagen haben, haben sie miteinander geredet. Das ist gewaltig!
Die Bedeutung des klärenden Gesprächs
Und damit sind wir schon beim zweiten Punkt, der mir heute Abend wichtig ist: das Überwinden von Spannungen. Wir sahen bereits, dass die Spannungen innerhalb des Volkes Israel auf ein reines Missverständnis zurückgingen. Beide Seiten meinten es im Grunde gut, es fehlte nur das klärende Gespräch.
Vielleicht hätte dieser Konflikt auch verhindert werden können, wenn die heimziehenden Stämme eine kurze Nachricht hinterlassen hätten. Wenn sie an Josua eine Nachricht gesandt hätten: „Josua, wir ziehen jetzt über den Jordan, aber wir bauen hier einen Altar. Bleibt ganz ruhig, braucht keine Sorge zu haben. Wir wollen hier keinen Götzendienst betreiben, wir wollen nicht vom Herrn abfallen. Im Gegenteil: Wir wollen ausdrücken, dass wir alle zusammengehören, wir zwölf Stämme.“ Dann hätten die gesagt: „Wunderbar, macht das, der Herr segne euch, zieht in Frieden!“ Und alles wäre gut gewesen.
Mit anderen Worten: Hier fehlte auch ein bisschen die Kunst, sich in den anderen hineinzuversetzen. Das war jetzt ein langes Wortgebilde, aber egal – sich in den anderen hineinzuversetzen. Es gibt ja Menschen, die mögen das nicht. Sie sagen: „Es ist mir doch egal, was der andere denkt. Ich gehe meinen Weg.“ Und dann gehen sie ihren Weg wie eine Planierraupe, walzen alles platt, rechts und links gibt es nur verbrannte Erde. Hauptsache, sie gehen ihren Weg.
Ja, das kann man machen, aber ich weiß nicht, ob das so geistlich ist und wie viele Scherben da dann am Wegesrand liegen bleiben. Es ist doch nicht ungeistlich, mal zu überlegen: Wie kommt das an, was ich tue, was ich sage, was ich schreibe? Wie kommt das an? Das muss man doch. Das gehört doch zur Reife und zur Liebe, zur Nächstenliebe, auch zu überlegen: Ich will doch niemanden in ein Missverständnis bringen oder gar verletzen oder vor den Kopf stoßen. Ich will das doch nicht.
Aber wie gut, dass Israel nun zuerst den Priester Pinhas mit diesen zehn Leuten sandte. Durch das Gespräch wurden die Motive der Stämme offenbar, die den Altar gebaut hatten. Schon konnten die Spannungen überwunden werden.
Liebe Brüder und Schwestern, ich kann es heute Abend gar nicht deutlich genug machen, wie wichtig es ist, miteinander im Gespräch zu bleiben. Das gilt für alle Ehepaare unter uns, das gilt für alle Familienglieder, auch zwischen den Generationen: im Gespräch bleiben. Auch die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter im Gespräch bleiben.
Manche denken ja: Was ist flüssiger als Wasser? Schwiegermutter ist überflüssig. Passt auf mit solchen Gedanken! Pflegt eine gute Beziehung zur Schwiegermutter und auch zum Schwiegersohn, Schwiegervater. Da ist viel Musik drin in diesen Beziehungen. Die Schwiegertochter hat immerhin den Sohn weggeheiratet, und das ist für jede Mutter eine große Herausforderung. Passt gut auf diese Beziehung! Pflegt sie zwischen Schwiegermutter, Schwiegervater, Schwiegertochter und Schwiegersohn.
Pflegt das gut! Aber auch sonstige Beziehungen, auch in der Gemeinde und darüber hinaus – am Arbeitsplatz, mit den Nachbarn, mit allen Menschen auf der Erde. Ich kann euch wirklich sagen: Ich möchte von mir aus mit allen Menschen Frieden haben, so viel an mir ist. Ich möchte auf dem ganzen Erdboden niemanden haben, mit dem ich nicht im Frieden wäre, von mir aus gesehen.
Die Bibel sagt: „Jagt dem Frieden nach.“ Und so viel an euch ist: Habt mit allen Menschen Frieden! Ja, wenn der andere partout nicht will, hat schon Schiller gesagt: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Ja, wenn der andere die Faust ballt und du reichst ihm die Hand hin, die offene Hand, und er ballt die Faust, verschränkt seine Arme und schlägt nicht ein, dann hat er den schwarzen Peter, dann ist er auf seiner Seite. Aber meine Hand bleibt ausgestreckt, sie bleibt ausgestreckt, solange ich lebe.
Und ich möchte niemals über einen Menschen sagen: „Mit dem bin ich jetzt aber fertig, der ist jetzt gestorben für mich.“ Solche Formulierungen gibt es für einen Christen nicht. Und den grüße ich nicht mehr, mit dem rede ich nicht mehr, den schaue ich nicht mehr an – das gibt es nicht für Christen. Es darf nicht sein.
Konflikte in Familien und Gemeinden – Beispiele und Konsequenzen
Auch in Familien – ich weiß, was da alles vorfallen kann – kann der Familienfrieden zwanzig Jahre lang völlig unangetastet bleiben. Doch irgendwann kommt das Erben, und dann ist Alarmstufe Rot.
Dann erbt der eine dreitausend Euro mehr als der andere, der bekommt ein Äckerle mehr, der andere einen Schrank mehr, und so weiter. Am Ende wird gestritten, es geht vor den Rechtsanwalt wegen hundert Euro. So zerbricht der Familienfrieden.
Auch mit den Nachbarn gibt es solche Fälle. Ein Nachbar hat zehn Zentimeter über die Grenze gebaut. Das darf man nicht, das ist wirklich falsch. Aber wisst ihr, was ein gläubiger Bruder hier in Württemberg gemacht hat? Er hat die Mauer abreißen lassen, die Fundamente ausgraben lassen und die Mauer zehn Zentimeter zurücksetzen lassen.
Die brauchen in diesem Ort hundert Jahre lang keine Evangelisation mehr. Das wissen noch die Urenkel und erzählen es weiter, was mit der Mauer passiert ist. Ich sage noch einmal: Es ist nicht richtig, über die Grenze zu bauen. Aber die Frage ist immer, wie man auf etwas Falsches reagiert. Besonnen und angemessen zu reagieren, das hätte bestimmt eine andere Möglichkeit eröffnet, sich zu einigen.
Ich habe diesen Vorfall nicht selbst miterlebt, aber die Folgen davon. Es gab eine Gemeinde, die einen Gemeindetag veranstaltete. Alle waren zusammen, und am Nachmittag sollte es Kaffee geben. Zwei Schwestern waren in der Küche beschäftigt, um den Kuchen aufzuschneiden, den andere Schwestern mitgebracht hatten.
Dann kamen sie beim Kuchenschneiden aneinander, weil die eine meinte, der Kuchen müsse in zwölf Stücke geschnitten werden, die andere aber sagte, in sechzehn Stücke. Ich kenne mich darin nicht aus, aber sie wurden laut.
Dann kamen ihre Männer dazu, und die Männer gingen sich gegenseitig an die Gurgel. Sie wurden handgreiflich wegen des Kuchens. Zuerst ist das vielleicht zum Lachen oder Schmunzeln, aber was daraus wurde, ist zum Weinen.
Diese Sache wurde geistlich nie geklärt. Die Ehepaare blieben zerstritten, und es ging weiter über die Kinder. Die ganze Gemeinde wusste davon, und ein Mehltau der Unversöhnlichkeit breitete sich aus. Am Ende sind beide Familien weggegangen.
Ich habe eine der betroffenen Personen erst in diesem Monat auf einer Beerdigung getroffen. Die Sache ist bis heute nicht geklärt. Eine von den vier Beteiligten lebt schon nicht mehr, eine der Schwestern, die beim Kuchenschneiden stritten, ist bereits verstorben.
Ich konnte die Situation auch nicht klären, obwohl ich es versucht habe. Ich weiß genau, wovon ich spreche.
Der Teufel hat viele Gesichter, liebe Geschwister. Wenn er uns nicht von Christus trennen kann – was er nicht kann – dann versucht er, uns vom Bruder und von der Schwester zu trennen. Am Ende hat er dann doch sein Ziel erreicht.
Dann ist auch der Kreislauf der Liebe, von dem der erste Johannesbrief besonders spricht, getrennt und zerstört. Gott liebt den Bruder, und Gott liebt mich. Ich soll den Bruder lieben, und der Bruder soll mich lieben. Das ist ein Kreislauf, der an keiner Stelle durchbrochen werden darf.
Solche Dinge kommen vor, und dann entsteht eine bittere Wurzel, die ganze Gemeinden befallen kann.
Falsche Reaktionen auf Konflikte und der Weg zur Versöhnung
Wie sieht das Verhalten in einem Konflikt aus? Man kann immer falsch reagieren, das ist klar. Aber in diesem Fall kann man sogar doppelt falsch reagieren.
Eine Fluchtreaktion ist die Verdrängung. Man redet nicht darüber, kehrt das unter den Teppich, lässt Gras darüber wachsen. Man sagt: „Komm, Zeit heilt Wunden“ und all diese Sprüche. Man packt die Sache nicht an, sie wird nicht wirklich geklärt, sondern verdrängt. Es ist zu schwerwiegend, man kann nicht so tun, als höre man es nicht. Etwas ganz Konkretes ist vorgefallen, aber es wird verdrängt.
Oder es kommt zur Flucht: Man geht weg. Am Ende verlassen die Leute die Gemeinde und gehen in die nächste Gemeinde, weil dort biblisch nicht geprüft wird. Dort wird nicht gefragt: Wo kommst du her? Wohin gehst du? Was bringst du mit? Bei uns nimmt niemand ohne vorheriges Nachfragen in der Gemeinde auf. Wir rufen dort an und die Verantwortlichen fallen aus allen Wolken, wenn wir anrufen. Wir wollen nur wissen, ob die Geschwister, die so viel an ihnen gelegen haben, im Frieden gegangen sind. Mehr interessiert uns nicht. Wir wollen nicht wissen, ob sie dort Geld gespendet haben und wie viel – das ist uns egal. Wir wollen nur wissen, ob sie im Frieden gegangen sind und keine Probleme mitbringen.
Flucht – und jetzt nicht erschrecken – aber es gibt einen großen Sprung hier. Da müsste ich mir Platz lassen. Das letzte Glied in dieser falschen Kette ist Selbstmord. Es hat schon Geschwister gegeben, die sich das Leben genommen haben, Gläubige. In der Ewigkeit wird offenbar werden, dass ungelöste Konflikte mit Geschwistern in der Gemeinde sie am Ende dahin getrieben haben. Bitte, das wollen wir gleich vergessen.
Auf der anderen Seite gibt es aggressive Reaktionen. Diese sind eher nach innen gerichtet, depressiv oder aggressiv: „Das lasse ich mir nicht gefallen, gegen den gehe ich vor Gericht, die zeige ich an.“ Heute gehen ganze Missionswerke vor weltlichen Gerichten gegeneinander vor. Paulus sagt: „Ist nicht ein Weiser unter euch, der könnte schlichten?“ Stattdessen gehen sich die Brüder an den Hals. Das sei ihm nicht gefallen.
Auch hier wieder ein großer Sprung: Der letzte Schritt in dieser Kette wäre am Ende Mord. Damit sich das nicht einprägt: Falsch ist beides, das eine so falsch wie das andere. Das ist nicht die richtige Reaktion in einem Konflikt.
Ich habe das aus dem Buch von Ken Sandy „Sei ein Friedensstifter“. Dort bringt er noch Versöhnungsreaktionen. Zum Beispiel die Sache übersehen, wie bei Saul, bei kleinen Dingen. Oder bei Bagatellen offen und direkt darüber sprechen – und zwar mit dem Verursacher, mit dem Betreffenden.
Manchmal reden wir mit allen anderen über die Sache, aber nicht mit dem, mit dem es eine Spannung gibt. Offen und direkt darüber sprechen, über die Sache verhandeln. Es kann sein, man spricht ihn oder sie darauf an und er sagt: „Mensch, bin ich dankbar, dass du mir das sagst, ich habe das gar nicht gemerkt. Du, das ist gut, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Komm, bitte verzeih mir, das wollen wir sofort aus der Welt schaffen. Lass uns zusammen beten, wir bringen das vor den Herrn, und das soll sofort ganz aus der Welt sein.“ Ja, das könnte sein, wunderbar – kommt ab und zu vor.
Es könnte aber auch sein, dass derjenige sagt: „Was? Das soll ich gesagt haben? Na, das kann nicht sein, das stimmt nicht.“ Dann sagt man: „Du, ich habe aber einen Zeugen dafür oder eine Zeugin, die das auch gehört hat. Darf ich dich mal da gegenüberstellen? Darf ich die Schwester bitten, dass sie dir bezeugt, dass sie das gehört hat, dass du das gesagt hast?“ So verhandelt man über die Sache miteinander.
Einen Vermittler einschalten – das steht hier so einfach. Ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Aber ich wurde in den letzten Jahren einige Male als Vermittler gerufen. Dabei kann man sich nicht mit Ruhm bekleckern. Man verliert auf beiden Seiten Federn, weil man in der Sache dem auf den Deckel geben muss und sagen: „Guck mal, das ist nicht richtig, was du da machst.“ Man muss denjenigen ermahnen. Dabei verliert man Sympathien auf beiden Seiten. Aber das ist nicht schlimm. Hauptsache, man kann helfen.
Ich wurde einmal gerufen, weil die Frau eines Ältesten und die Frau eines Diakons hintereinander geraten waren. Da war auch „Musik drin“. Ich wusste, was auf dem Spiel stand. Ich sagte: „Ich komme nur, wenn die Männer dabei sind.“ Die Männer mussten dabei sein. Sie waren einverstanden. Dann saßen wir den ganzen Abend zusammen: die beiden Ehepaare und ich. Ich habe viel für den Abend gebetet.
Nach etwa einer Stunde dachte ich: „Jetzt ist es gleich zu spät, jetzt wird gleich einer aufstehen und den Raum verlassen, und die Sache bricht auseinander.“ Es hing an einem Faden. Es sah gar nicht gut aus. Aber dann hat der Herr die Wände gesprengt, und es kam zur Klärung der Sache, zur Versöhnung. Ich habe gesehen, wie sich die beiden Schwestern später unter Tränen umarmten, und auch die Männer. Es ging wirklich gut aus in diesem Fall, dem Herrn sei Dank.
Ich habe andere Fälle erlebt, da ging es nicht gut aus. Hier aber ging es gut aus zwischen diesen beiden Schwestern. Darum: Einen Vermittler einschalten. Das muss nicht ein Ältester sein, nicht ein Bruder, der von irgendwoher eingeflogen wird, aus Rom oder Wittenberg oder woher auch immer. Nein, das kann ein ganz schlichter Bruder sein, aber ein bewährter Bruder, der im Herrn steht und die Schrift kennt.
Die Sache schlichten, wenn möglich. Und wenn das nicht möglich ist, zum Beispiel wenn einer festhält an seiner Sünde, am Bösen, dann muss in letzter Konsequenz Gemeindezucht geübt werden.
Ich finde das gut. Gemeindezucht ist eine Versöhnungsreaktion. Wir üben niemals Gemeindezucht, um irgendjemanden loszuwerden. „So, den sind wir jetzt los.“ Niemals. Gemeindezucht bedeutet ausschließlich Ausschluss aus der Gemeinschaft. Er oder sie soll zur Besinnung kommen. Oder er oder sie will an der Sünde festhalten und dabei die Gemeinschaft mit so vielen Geschwistern verlieren. Oder er oder sie will die Sünde aufgeben und die Gemeinschaft mit den Geschwistern erhalten.
Darum geht es: Gemeindezucht üben in letzter Konsequenz. Aber ich sage euch auch dazu: Bei all den Fällen, von denen ich gehört habe, wo Gemeindezucht geübt wurde, kommen selten Geschwister wieder zurecht – selten, hier und da.
Der Stolz ist so groß, und der Betrug des Teufels so raffiniert, dass die meisten, die ausgeschlossen werden, ihre eigenen Wege gehen. Sie gehen gar nirgendwo mehr hin oder schleichen sich durch die Hintertür in eine andere Gemeinde, wo sie wieder willkommen geheißen werden.
Ja, das alles passiert heute leider. Man muss kein Empfehlungsschreiben mehr mitbringen, und all diese Dinge sind über Bord gegangen. Ich rede nicht von euch, ich rede allgemein von Fällen, die es leider in der Christenheit gibt.
Gemeindezucht als letzte Konsequenz und Vermittlung bei Konflikten
Ich habe noch einen dritten und letzten Punkt: das Vermeiden von Spannungen.
Mit Spannungen ist es wie mit Müll – besser als Müll. Entsorgen und Verbrennen ist Müll vermeiden. Darauf werden wir doch ständig getrimmt, Müll zu vermeiden. Das ist ja auch richtig so, aber ganz können wir ihn eben nicht vermeiden. Habt ihr auch vier Mülltonnen stehen? Wir haben vier Mülltonnen: Papier, Plastik, Restmüll und Bio. Vier Tonnen stehen bei uns vorm Haus, und das ist ja gut so, hat alles seine Berechtigung. Also am besten wäre es, Spannungen zu vermeiden.
Ich sage noch einmal: Wir leben außerhalb des Himmels, wir leben in einer gefallenen Welt. Ganz werden wir Spannungen nicht vermeiden können. Aber wir wollen alle hoffentlich wirklich darauf ausgerichtet sein, so weit wie möglich Spannungen zu vermeiden. Und das geht so, auch aus dem Buch von Kurt Scherer „Vergebung – das zentrale Problem“.
Als Erstes wollen wir unser eigenes böses Herz erkennen, das zu allem fähig ist. Dann werden wir nämlich beten: Herr Jesus, bewahre mich davor, dass ich zu Spannungen Anlass gebe, dass ich ein Spannungserzeuger bin bei uns in der Gemeinde und die anderen Geschwister beschwere und belaste. Dass sie Mühe mit mir haben und die Brüder kommen müssen, mich mehrmals besuchen und ermahnen und so weiter. Bewahre mich davor, mein eigenes böses Herz.
Alfred Kullen sagte: „Ich habe aller Menschen Herz an meinem eigenen erkannt.“ Mein eigenes Herz, mein böses Herz – wie schnell ich in der Lage bin, über andere böse zu denken, böse zu reden und ihnen vielleicht sogar ins Gesicht böse Dinge zu sagen.
Dann sollten wir uns alle strikt weigern, üble Nachrede zu praktizieren und anzunehmen. Wenn wir da wachsamer wären, dann würden Schwätzer in unserer Gegenwart schnell verstummen. Nicht böse über andere reden, uns wirklich in Zucht nehmen, wenn wir etwas über einen anderen Bruder oder eine Schwester sagen. Wir sollten es so gut wie möglich darstellen. Und wenn es wirklich etwas Böses ist, das gesagt werden muss, dann zählt noch unsere Haltung. Wir sollen uns nicht erheben, triumphieren und uns abheben, so wie wir es gerne machen, wenn wir die Schwächen der anderen anprangern.
Das wäre wichtig: dass wir uns weigern, das zu praktizieren und anzunehmen.
Häufig entstehen Spannungen durch hartes, liebloses Kritisieren. Im Kritisieren gelten wir Deutschen weltweit als Spitzenreiter. Wir sind Weltmeister im Kritisieren, wirklich. Das sagen uns die Amerikaner, die Franzosen und andere Nationen. Sie sagen: „Mensch, ihr Deutschen, ihr seid so gründlich, ihr seid das Volk der Dichter, Denker und Ingenieure, alles ganz, ganz gründlich und ganz klein.“ Und so sind wir auch. Das macht uns in vielem so kritisch.
Das hat wieder seine Berechtigung, aber das kann man auch alles übertreiben. Wisst ihr, wie die Österreicher über uns Deutsche denken? Sie sagen, wir hätten kein Blut in unseren Adern, sondern Korrekturflüssigkeit. Das denken die Österreicher über uns Deutsche, weil sie jahrhundertelang von uns immer gesagt bekommen haben: Das könnt ihr nicht, das geht nicht so, das ist nicht richtig. Sie denken so über uns, weil wir so besserwisserisch, rechthaberisch und kritisch mit allen anderen sind.
Also bitte, lasst uns aufpassen mit dem lieblosen Kritisieren.
Ich will jetzt nicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen. Man muss auch berechtigte Kritik üben dürfen, das mache ich auch. Man muss das dürfen, aber in der richtigen Haltung. Und auch in unseren Ehebeziehungen sollten wir viel mehr loben, viel mehr anerkennen und danken, bevor wir anfangen zu kritisieren.
Wenn eine spannungsreiche Situation entsteht, wollen wir um jeden Preis das Gespräch suchen und im Gespräch bleiben. Lieber einmal zu viel versuchen zu reden als zu wenig. Nicht gleich denken: „Ach komm, da ist Hopfen und Malz verloren, da gibt’s nichts, das ist sinnlos.“ Wir sollen in der Geduld bleiben, in der Offensive der Liebe bleiben und mit den anderen reden.
Wenn etwas zu bereinigen ist, wollen wir einander vor Christi Angesicht betend vergeben. Wo habe ich diese Formulierung her? „Vor Christi Angesicht“ – im 2. Korintherbrief schreibt Paulus: „Auch ich habe, wenn ich etwas zu vergeben hatte, den Korinthern euch vergeben vor Christi Angesicht.“ Schaut mal diese Formulierung.
Das bedeutet, er hatte seinen Herrn vor Augen, den Herrn, der für unser aller Schuld am Kreuz gestorben ist. Der das alles auf sich geladen hat: unsere bösen Worte, Gedanken, Taten und Unterlassungen. Den hatte er vor Augen, der ihm seine ganze Lebensschuld vergeben hatte. Und wenn man ihn vor Augen hat, kann man dem anderen seine fünfzig Cent nicht aufrechnen. Eine Million hat er uns vergeben an Schuld, und dann wollen wir dem anderen die 50 Cent nicht vergeben.
Dann sind wir der Schalksknecht, dann sind wir der böse Knecht aus Matthäus 18. Aber wenn wir Christi Angesicht sehen, sein großmütiges Angesicht, dann können auch wir großmütig vergeben.
Liebe Brüder und Schwestern, ich kann euch ehrlich sagen: Ich möchte lernen, einem anderen zu vergeben. In dem Augenblick, wo er an mir schuldig wird, möchte ich schon bereit sein, ihm zu vergeben. Ich habe nicht gesagt, dass ich das schon kann. Ich habe gesagt, ich möchte das gerne lernen.
In dem Moment, wo er an mir schuldig wird, möchte ich schon bereit sein zu vergeben und nicht denken: „Oh, was hat er da gesagt? Ja, der hat über mich sowas gesagt, was erlaubt er sich?“ Dann kommt der ganze Stolz raus und Nein.
Wir wollen lernen zu vergeben und wirklich in Gnade miteinander umgehen, in Gnade. Der Herr geht in Gnade mit uns um, und wir wollen immer mit dem anderen nicht nach Recht, sondern in Gnade umgehen. Und dann vergebe ich ihm auch.
Noch etwas: Wo Spannungen lange währen und die Gemeinde befleckt haben, ist eine öffentliche Bekanntgabe der Versöhnung notwendig. Da, wo es lange währte und die Gemeinde davon erfahren hat, wie in dem Fall, den ich eben erzählt habe.
Meine Frau war vor zwei Jahren in Chur eine Woche lang auf der Hensoldshöhe in Gunstenhausen. Dort ging sie in einen Gottesdienst einer Freikirche. Am Sonntagmorgen erlebte sie, wie ein Bruder vor der ganzen Gemeinde aufstand und sagte: „Liebe Geschwister, bevor wir mit dem Gottesdienst anfangen, habe ich noch etwas zu sagen. Am letzten Mittwochabend hatten wir hier eine Bruderratssitzung oder so ähnlich. Wir waren beieinander und sind hintereinander gekommen. Also wir haben uns gestritten, wir haben uns gegenseitig harte Sachen an den Kopf geworfen, und das wissen auch unsere Frauen. Sicher ist das schon herum erzählt worden. Aber wir wollen euch heute Morgen sagen, dass wir uns versöhnt haben, wir haben uns ausgesprochen, wir haben einander vergeben, es ist wieder alles bereinigt.“
Liebe Geschwister, Hut ab! Hut ab vor diesem Bruder und seinen Mitbrüdern!
Einen geistlichen Menschen erkennt man doch nicht daran, dass er keine Fehler mehr macht, sondern hoffentlich daran, dass er zu seinen Fehlern stehen kann, dass er so etwas machen kann.
Warum erleben wir das so selten, dass mal einer zu dem anderen hingeht und sagt: „Du, es tut mir leid, was ich da gestern gesagt habe, das war nicht in Ordnung. Ich habe mich gehen lassen, mit mir ist der Gaul durchgegangen.“ Warum kriegen wir das so schwer hin?
Oder in den Ehen: Zu mir sagt eine Frau: „Ich bin jetzt zwanzig Jahre verheiratet mit meinem Mann, und mein Mann hat sich in zwanzig Jahren noch nicht ein einziges Mal entschuldigt.“ Ich frage dann: „Wie hast du das ausgehalten, zwanzig Jahre lang? Wie hast du das ausgehalten?“
Liebe Brüder, liebe Schwestern, liebe junge Leute hier, junge Erwachsene und Teenager: Wir müssen lernen, uns zu entschuldigen, bei den Eltern oder die Eltern bei den Kindern. Wir müssen uns auch oft genug bei unseren Kindern entschuldigen, das müssen wir lernen.
Also, eine Bekanntgabe der Versöhnung ist notwendig, wenn es Vorfälle gegeben hat, vielleicht sogar in der Ehe.
Ich weiß auch von einer Ehe, wo Menschen aus Liebe geheiratet hatten. Da kommt mal was, es gibt Christen, die streiten ja nicht, sie haben nur kleine, mittlere oder größere Wortwechsel. Ja, da gibt es mal so einen mittleren Wortwechsel, dann wird man mal laut miteinander, dann geht es mal hektisch zu. Aber es kann auch schlimmere Dinge geben. Es kann sogar bis zur Untreue kommen, und das ist kein Kavaliersdelikt, ihr lieben Geschwister.
Ich will euch ein Beispiel zeigen, wir kommen gleich zum Schluss.
Im Jahr 1571 wurde Jan Rubens wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt. Damals stand auf Ehebruch noch die Todesstrafe. Er kam ins Gefängnis in Antwerpen, Belgien. Seine betrogene Ehefrau schrieb ihm aus dem Gefängnis einen Brief mit folgenden Worten:
„Mein sehr geliebter Mann, ich vergebe euch jetzt und immer. Ehebruch. Ihr seid in so großen Ängsten, aus denen ich euch gerne mit meinem Blut erretten würde. Könnte da überhaupt Hass sein, dass ich eine so kleine Sünde gegen mich nicht vergeben könnte?“
Merkt ihr, sie nennt den Ehebruch ihres Mannes eine kleine Sünde. Das ist keine kleine Sünde, das ist kein Kavaliersdelikt. Das reißt ganz, ganz schwere Wunden. Aber sie nennt es eine kleine Sünde, verglichen mit den großen Sünden, für die sie alle Tage Vergebung bei ihrem himmlischen Vater erfleht.
Das war die richtige Perspektive.
Sie schreibt weiter: „Ich, unwürdiger Mann, es ist euch alles vergeben.“ Ihre treue Ehefrau Marie Rubens.
Kraft ihrer Fürbitte und Intervention kam ihr Mann frei. Er wurde nicht zum Tode verurteilt, sondern nach zwei Jahren kam er aus dem Gefängnis frei. Das Ehepaar Rubens siedelte um, zog nach Siegen in Nordrhein-Westfalen, wo einige Zeit später ihr Sohn Peter Paul Rubens geboren wurde, der jener weltberühmte Maler werden sollte.
Das ist ein Selbstporträt von ihm. Ich weiß nicht, ob er ein guter Maler war oder schlecht. Ich meine, er war schon ein guter Maler, sonst hätte er das nicht malen können. Aber es hätte ihn nie gegeben, wenn seine Mutter ihrem Vater den Ehebruch nicht vergeben hätte. Das ist gewaltig!
Oder habt ihr von Corrie ten Boom gehört? Sie hatte mit ihrer Familie Juden im Dritten Reich in Holland vor der Gestapo, vor Eichmann und Genossen versteckt. Dann wurden sie verraten, verpfiffen, denunziert und kamen ins KZ. Sie haben Schreckliches erlebt, schrecklich. Der Vater ten Boom kam um, die Schwester ten Boom kam um, Corrie ten Boom war abgemagert bis zum Skelett.
Im Januar 1945 wurde sie auf unerklärliche Weise aus dem KZ entlassen. Niemand konnte erklären, warum sie freikam. Sie bekam ihre Akte in die Hand und sah, wer sie verraten hatte. Da hätte sie einen furchtbaren Groll und Hass gegen diesen Mann haben können, der schuld war an dem Unrecht, das sie erlebt hatten.
Aber sie ging zu diesem Mann, zerriss den Ordner vor seinen Augen – das Bild habe ich vor zwei Jahren in Auschwitz aufgenommen, so sah es in den KZ, auch in den Frauenlagern – und sagte: „Ich vergebe dir um Jesu Willen.“
Liebe Geschwister, mir ist klar, dass auch von euch einige Unrecht erlitten haben. Das kommt vor. Man erleidet Unrecht in der eigenen Familie, im Betrieb, Mobbing und all die Dinge, die da heute passieren. Und sogar in der Gemeinde kann man Unrecht erleiden.
Aber lasst uns doch diese Haltung haben: Ich vergebe dir um Jesu Willen. Ich ziehe da einen Strich und gehe nicht zurück.
Wir werden den Himmel zusammen verbringen. Darum will ich auch hier Vergebung leben und will dir in Gnade begegnen. Alles andere wird Gott einmal richten. Das gebe ich ab.
Ich möchte mit keinem Menschen auf dieser Erde in einem Spannungsverhältnis stehen, so viel an mir liegt.
Praktische Schritte zum Zusammenwachsen in der Gemeinde
Ich schließe mit diesen beiden letzten Folien meine letzten Gedanken ab.
Es geht nicht nur darum, wie wir Spannungen verhindern, vermeiden oder minimieren können. Wir wollen ja nicht nur Spannungen vermeiden, sondern zusammenwachsen im Miteinander. Wir wollen herzlich als Geschwister miteinander umgehen.
Vor einiger Zeit habe ich einmal die sogenannten „Einanderstellen“ nachgeschlagen. Das kann man ja ganz einfach mit dem Computer machen: Man gibt das Wort in ein Suchprogramm ein, und es spuckt alle Stellen aus. Das Wort „einander“ kommt im Neuen Testament vor. Es gibt es auch im negativen Zusammenhang, zum Beispiel „einander beißen“ oder „einander fressen“. Das lasse ich jetzt mal weg.
Vielmehr geht es um die positiven Stellen. Darum geht es ja. Schaut euch das mal an. Das ist die Antwort auf die Frage: Wie können wir als Gemeinde wachsen? Hier in Hünfeld oder auch ihr hier in Steinen – wie können wir im Miteinander wachsen?
Der Herr sagt: Nehmt einander auf. Paulus schreibt das: Ja, nehmt einander auf! Damit beginnt es. Ich nehme den anderen auf und an als Bruder und Schwester. Ganz gleich, wie der aussieht, ganz gleich, wie der riecht – ob der manchmal nach Knoblauch riecht oder nicht – ich nehme ihn auf und an. Wie er spricht, welchen Dialekt er hat, ist ganz egal. Ich nehme den anderen auf.
Wir in der Gemeinde sind eine hochexplosive Mischung: 50 Russlanddeutsche, 45, die wir als Deutschlandsdeutsche bezeichnen, und noch 5 Amerikaner in einer Gemeinde zusammen. Wenn wir Gemeindetag haben, bringen die Hessen ihre hessischen Spezialitäten mit, die Russlanddeutschen kochen Borschtsch und bringen russlanddeutsche Sachen mit, und die Amerikaner bringen Popcorn. Also wunderbar, passt doch alles zusammen.
Wir haben eine besondere Gelegenheit, dieses Zusammenwachsen zu üben. Es sind ganz verschiedene Kulturen, Denkweisen und Gemeindehintergründe. Was meint ihr, was da für Spannungen hochkommen können? Und dann bauen wir auch noch seit vier Jahren. Aber der Herr hat Gnade gegeben, die Gemeinde ist immer noch zusammen – trotz des Baus. Ich hoffe, wir haben das auch bald überwunden.
Den anderen aufnehmen – damit fängt es an. Den anderen lieben, das steht in Johannes 13, wie wir wissen, und an elf weiteren Stellen im Neuen Testament: einander lieben. Grüsst einander mit heiligem Kuss! Das heißt, einander wirklich herzlich begrüßen. Manche machen das ja wirklich in den russlanddeutschen Gemeinden, den heiligen Kuss. Aber wir können das auch leben, indem wir einander herzlich begrüßen. Nicht aneinander vorbeilaufen oder einfach so auseinander schlappen, sondern wirklich einander herzlich begrüßen und verabschieden.
Auf dass die Glieder dieselbe Sorge füreinander haben. Da könnte ich jetzt noch eine Stunde reden, aber ich mache es nicht, keine Sorge. Dieselbe Sorge füreinander haben heißt: keine Lieblinge in der Gemeinde haben, keine Favoriten. Dieselbe Sorge füreinander haben heißt: Warum laden wir immer nur dieselben Leute ein? Warum reden wir immer nur mit denselben Leuten? Ich weiß, dass man mit einigen enger zusammenarbeiten muss, das geht nicht anders. Aber bitte, achten wir darauf.
Als wir in Mannheim waren, haben wir zehn Jahre lang wirklich darauf geachtet, alle Geschwister richtig nach der Liste einzuladen. Alle nacheinander, nicht die einen vorzuziehen und die anderen nicht, sondern alle nach der Liste eingeladen. Gut, das geht nicht immer so, und das muss man auch nicht so machen. Aber dieselbe Sorge füreinander haben.
Durch die Liebe einander dienen – das kommt jetzt x-mal. Bitte schreibt nur die Stellen auf. Wenn jemand schreibt „einander dienen“, schreibt auch „Petrus“ oder „einander die Füße waschen“. Nicht die Köpfe, sagt der Herr Jesus. Fähig sein, einander zu ermahnen, ermuntern, trösten.
All die verschiedenen Charaktere von „einander ermahnen“: einander ermahnen und erbauen. Oder wenn etliche die Zusammenkünfte verlassen, einander ermuntern, ihnen nachgehen – den Thomas-Seelen. Thomas hatte sich auch entfernt, aber wie gut, dass die anderen Jünger zu ihm gegangen sind.
Mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut einander ertragen. Wir geben alle einander zu tragen auf, mehr oder weniger. Wir geben alle einander zu tragen auf. Schwächen des anderen müssen wir tragen, Sünden des anderen müssen wir vergeben.
Das ist der Unterschied: Ich muss nicht die Schwäche vergeben, die muss ich tragen. Aber Sünden muss ich vergeben, wenn ich biblisch leben will. Gleichwie Christus euch vergeben hat – Gott in Christus euch – so auch ihr.
Einander die Vergehungen bekennen und füreinander beten. Ihr seht diese „Einanderstellen“. Das war jetzt nur im Schweinsgalopp, das ist mir klar. Aber ihr könnt selber nachstudieren, mit einer Konkordanz oder mit einem guten Bibelprogramm. Dann seht ihr diese Stellen.
Persönliche Erfahrungen und die Bedeutung von gesunden Beziehungen
Und ich schließe mit dieser letzten Folie. Ich möchte euch sagen, was ich aus 15 Jahren Gemeindearbeit, vor allem aus den zehn Jahren in Mannheim, gelernt habe. Das Letzte, was ihr heute Abend hier seht, ist das Ergebnis dieser Erfahrung.
Ich habe Lehrgeld bezahlt in Mannheim, ich habe wirklich Lehrgeld bezahlt. Gemeinden werden nicht nur durch Zustimmung zu gemeinsamen Lehrsätzen aufgebaut, sondern auch durch herzliche, gesunde Beziehungen der Geschwister untereinander.
Wer mich kennt, weiß, dass mir gesunde Lehre sehr wichtig ist. Sie ist wichtig, unserem Herrn wichtig, den Aposteln wichtig, und sie sollte auch uns wichtig sein. Aber man darf nicht das eine so hochheben, dass das andere darunter leidet. Wir müssen erkennen: Das eine ist Lehre, gesunde Lehre, aber das andere sind gesunde, herzliche Beziehungen der Geschwister untereinander.
Ich will euch sagen, wo ich da nicht aufgepasst habe: Es waren nicht unsere Gottesdienste, die liefen wunderschön ab, sondern unsere sogenannten Gemeindestunden. Wenn wir so zusammenkamen, alle, die wirklich verbindlich zur Gemeinde gehörten, um einige Anliegen zu regeln – das haben wir nur drei- bis viermal im Jahr gemacht –, da gab es Zusammenkünfte, bei denen einige meinten, sie könnten mal so richtig vom Leder ziehen und die anderen runterputzen.
Da fielen harte Worte. Schwestern gingen heim und konnten die Nacht nicht schlafen oder lagen weinend auf dem Kissen, weil so harte Worte gefallen waren. Und ich hatte nicht rechtzeitig genug eingegriffen. Ich rede jetzt von mir, weil ich damals die Verantwortung hatte. Es gab noch keine Ältesten, und ich hatte die Hauptverantwortung als derjenige, der die Gemeindearbeit begonnen hatte. Ich hätte früher einschreiten müssen, habe es aber nicht getan.
Dann sind unschöne Dinge passiert, und einige haben die Gemeinde verlassen. Das war nicht gut, bis ich begriffen hatte, dass es hier nicht nur um Lehre geht, sondern auch um die Beziehungen der Geschwister untereinander.
Wenn ich heute eine solche Gemeindestunde in Hünfeld leite – wir sind dort vier Brüder, die uns abwechseln –, dann sage ich vorher: Liebe Geschwister, wenn wir heute Abend zusammen sind, wollen wir in der gleichen Haltung und im gleichen Geist zusammen sein wie heute Morgen, als wir das Brot gebrochen und uns versammelt haben. Als gottesdienstliche Versammlung im gleichen Geist.
Ich werde es nicht zulassen, dass sich irgendjemand danebenbenimmt oder verbal entgleist. Es gibt die gelbe Karte und, wenn es sein muss, die rote Karte. Das habe ich deutlich genug gesagt.
Ich kann euch sagen: Im ganzen letzten Jahr und auch dieses Jahr hatten wir gute, harmonische, offene Stunden in dieser Weise. Es hat keine Entgleisung mehr gegeben. Das liegt nicht daran, dass ich das sage, sondern weil der Herr es gebraucht hat, um den Geschwistern klarzumachen: Passt auf, wir sind hier als Geschwister zusammen und nicht in einer Vereinsmeierei, wo jeder auf den anderen eindreschen kann.
Ich habe nur von uns gesprochen. Ich weiß überhaupt nicht, ob ihr solche Zusammenkünfte macht. Ich habe mich nicht erkundigt, wie es bei euch ist. Dürft ihr mir wirklich glauben?
Also, wollen wir das mitnehmen? Wir sind von Joshua hergekommen. Wir haben gesehen, dass es auch im Volk Israel schon Spannungen gab, die aber durch Gespräch geklärt werden konnten. Wir haben jetzt noch über das Vermeiden von Spannungen gesprochen, und ich habe den Gedankengang noch weitergeführt.
Wir wollen nicht nur Spannungen vermeiden, sondern herzlich miteinander, ungefärbt und ungetrübt, in guten Beziehungen leben.