Einleitung und Kontext der Frage Jesu an Petrus
Kapitel 21 im Johannesevangelium, Verse 15 bis 17:
Als sie das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als diese hier?“
Simon antwortet Jesus: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Jesus spricht zu ihm: „Weide meine Lämmer.“ Damit sind die schutzbedürftigen Schafe gemeint.
Es liegt bei Johannes viel Wert auf die Worte. Heute kommen wir gar nicht dazu, alles zu besprechen. Man könnte noch viel darüber sagen. Im Griechischen verwendet er verschiedene Worte für „lieben“ und „lieb haben“. Das eine ist die Liebe, die man für Freundschaften benutzt, das andere ist die Agape, die schenkende Liebe. Es ist ganz wunderbar, wie sich das in dem Gespräch hin und her bewegt und wie Johannes diese Feinheiten festgehalten hat. Aber die Zeit reicht heute nicht aus, um das alles zu beachten.
Jesus spricht zum zweiten Mal zu Simon: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“
Simon antwortet ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Jesus sagt zu ihm: „Weide meine Schafe.“
Zum dritten Mal spricht Jesus zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“
Petrus wurde traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal fragte: „Hast du mich lieb?“
Er sprach zu ihm: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Jesus antwortete ihm: „Weide meine Schafe.“
Die Bedeutung der Frage im Gottesdienst
Das steht heute also mitten in unserem Gottesdienst. Darum sind Sie hergekommen, um die Frage zu hören: Hast du mich lieb?
Das Bibellesen ist immer überraschend, und langweilig kann es gar nicht sein. Man darf auch alle Fragen dazu stellen. Es wäre sogar gut, wenn jetzt jemand sagen würde: „Also hört!“
Solche Fragen werden normalerweise erörtert vom schmusigen Liebespaar auf der Parkbank bei Nacht im Mondenschein: „Hast du mich lieb?“ Wenn Jesus so etwas mit dem bärtigen Fischer Petrus erörtern will, dann ist das eine Privatsache, wenn die beiden über ihre freundschaftliche Beziehung und Kameradschaft reden.
Ihr als Kirche habt einen anderen Auftrag und wichtigere Themen, als solche Privatdinge heute Morgen zu verhandeln. Das hören wir doch seit Jahren fortwährend: Die Christen müssen sich kümmern um die Probleme der Welt. Und da gibt es ja tatsächlich eine Menge – Krieg und Kriegsgeschrei, Spannungen, Armut, Hunger und Unrecht.
Die zentrale Rolle der Liebe als Wurzel der Weltprobleme
Habt ihr als Christen nichts anderes zu tun, als dass ihr heute Morgen zusammensitzt und euch an so einer Frage erbaut: „Hast du mich lieb?“ Warum kümmert ihr euch nicht mehr um die Welt?
Darum möchte ich zuerst sagen: Nichts geht so tief in den Kern der Sache unserer Welt wie diese Frage von Jesus. Denn die Wurzel allen Elends dieser Welt, aller Not, ist das böse und trotzige Menschenherz.
Viele sind schon oft davor gestanden, wenn sie versucht haben, Menschen zu versöhnen oder zu erziehen, und haben gemerkt: Da kann ich gar nichts ändern. Das Böse ist eine Macht, die Menschen gefangen hält.
Aber wie kann man das ändern? Wie kann man das böse Menschenherz ändern, das die Wurzel von allem Unrecht, von aller Gewalt, von aller Misshandlung, von all den bösen Worten und von Streit ist?
Ja, wir haben nur eine Lösung. Wir sagen immer wieder mit Anprangern: Wir müssen Stellung nehmen, wir müssen uns lossagen, wir müssen attackieren, wir müssen das Böse aufzeigen. Oder wir müssen gar mit Macht dagegen angehen, Mauern bauen und dagegen protestieren.
Das machen wir ja auch immer wieder so. Aber Jesus sagt: Nein, nur mit Liebe, nur mit Liebe.
Denn darum geht es ja in dieser Geschichte. Petrus hat sich doch schlimm an Jesus versündigt durch die Verleugnung. Und wie wird Jesus mit diesem Übelstand fertig? Wie greift er das an?
Jesu Umgang mit Schuld und Versagen
Ich wäre aus der Haut gefahren. Ich sage also zu Petrus: Noch einmal so eine Geschichte, dann sind wir miteinander fertig. So machen wir es doch im täglichen Leben: Wir hauen auf den Tisch und sagen, damit du merkst, was du gemacht hast, dass es fies und gemein war. Und ich erzähle noch einmal, warum das so tückisch war.
Wir wollen immer das Böse erst dem Anderen beweisen, mit Worten angreifen und aufzeigen. Darum ist die Welt, auch die der Christen, voll von Worten über das Böse, von Klagen und dem Thema. Jesus aber ist ganz anders. Mit welch einer Liebe – obwohl er doch persönlich gekränkt und traurig war – geht er auf Menschen zu.
Mit welcher vornehmen Art und Würde begegnet Jesus schuldig gewordenen Menschen. Das muss man sich ansehen, um fasziniert zu sein, wie Jesus auf Petrus zugeht und wie sehr er ihn liebt. Er spricht zunächst gar nichts von der Sache, die belastend zwischen ihnen liegt. Es ist nur Liebe.
Man kann gar nicht genug im Evangelium lesen, um überhaupt zu verstehen, was Liebe ist: eine Liebe, die das Böse nicht zurechnet, die einen Menschen sucht und gewinnen will.
Die liebevolle Ansprache Jesu und die Verbindung von Leib und Seele
Und wie macht das Jesus? Schon wie er diese Männer anspricht, die müde nach der durchwachten Nacht ans Ufer kommen, zeigt sich seine liebevolle Art. Er sagt zu ihnen „Kinder“. Das darf ja normalerweise nur die Mutter zu ihren erwachsenen Söhnen sagen. Bei Jesus ist es ein Wort voller Liebe.
Das war uns beim letzten Mal schon wichtig, als Jesus als Erstes fragte: „Habt ihr gefrühstückt?“ Bevor Jesus auf die Frage der Schuld eingeht, fragt er: „Wie fühlst du dich? Komm, wir machen Picknick.“ Dann wird gegessen, und zwar gemeinsam.
Wissen Sie, bei Jesus fällt das nicht auseinander. Das schaffen wir Christen oft nicht so gut: das Leibliche und das Seelische ganz natürlich miteinander zu verbinden. Jesus zeigt uns die Freude an all den Gaben, die Gott uns gegeben hat.
Jesus will uns beschenken. So geht er auch auf Simon zu, obwohl zwischen Jesus und Simon noch diese alte Not besteht, die nicht bereinigt ist. Das ist die Liebe Jesu, die man nur anschauen und bewundern kann.
Die Bedeutung der Frage „Hast du mich lieb?“ heute
Jetzt möchte ich zuerst einmal über die Frage sprechen: Hast du mich lieb?
Ich wundere mich, dass diese Frage für viele von uns heute gar nicht mehr so wichtig ist. Ich kann Ihnen sagen, dass sie in den letzten Jahrzehnten sogar gezielt bekämpft wurde, auch durch bestimmte theologische Richtungen. Man sagte, das sei nur eine individualistische Erbauung, obwohl diese Frage mitten im Evangelium steht und von Jesus selbst an vielen Stellen gestellt wird.
Zum Beispiel bei der Salbung Jesu in Bethanien oder bei der großen Sünderin, die Jesus zu Füßen fällt. Auch im Johannesbrief und an vielen anderen Stellen wird deutlich, wie wichtig die Liebe ist – die Liebe zu Gott.
Im Judentum war es sogar das entscheidende Gebot: Du sollst Gott, deinen Herrn, über alles andere lieben. Warum aber kommt das bei uns heute kaum noch vor?
Wir versuchen heute, Gott intellektuell zu erfassen, und wundern uns, dass das nicht gelingt. Wo steht in der Bibel, dass man Gott intellektuell verstehen kann? Wir als Geschöpfe können den Schöpfer nicht begreifen. Das ist eine Sackgasse.
Stattdessen sollen wir ihn liebhaben. Doch diese Frage ist oft verpönt: Jesus liebhaben. Vielleicht auch, weil manche das Gefühlige an dieser Frage fürchten. Das Kitschige – und ich darf das noch einmal sagen – ist aber nicht unmittelbar mit der Liebe verbunden.
Die Verbindung von Religion und Erotik in der Tiefe der Seele
Ich denke, die Psychologen haben sicher etwas Richtiges erkannt, wenn sie uns warnen und sagen, dass in der tiefen Psychologie eine Verbindung zwischen Religion und Erotik in der Tiefe unserer Seele festgestellt werden kann.
Ich sage das nur einmal ganz nüchtern und abstrakt, weil man im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder gesehen hat, dass gefühlige Strömungen oft in schrecklichen Verirrungen endeten. Wir wollen deshalb vorsichtig sein und nicht die Gefühle überbetonen. Das ist der Grund, warum wir nichts gegen gefühlige Liebe haben.
Allerdings muss man aufpassen. Überhaupt darf ich dazu in Klammern sagen: Es gibt einen guten Grund, warum wir sagen, dass die Liebe von zwei jungen Leuten in eine nüchterne Ordnung gehört, in eine gottesdienstliche Feier hinein. Es ist eben nicht bloß ein Gefühl, das man lebt, solange es Spaß macht. Vielmehr hat diese Liebe auch eine nüchterne Bindung an sich, die man vor Gott und Menschen eingeht.
Das ist natürlich ein klarer und durchsichtiger Vorgang. In der heutigen Kulturrevolution muss man manchmal die Fundamente wieder darstellen. Gerade in der Liebe muss man darauf achten, dass diese nicht auseinanderbricht.
Die nüchterne und feste Bedeutung von „lieb haben“ bei Jesus
Wenn Jesus von Liebe spricht, meint er keinen Gefühlsüberschwang. Bei Jesus sehe ich nie eine solche Gefühlsregung. Wenn er zum Beispiel den reichen jungen Mann ansieht, der zu ihm kommt und eigentlich gerne Jesus nachfolgen möchte, dann liebt er diesen jungen Mann nicht im Sinne von Gefühl oder Zärtlichkeit. Nein, es ist etwas ganz anderes: Er schätzt ihn.
Das ist ein Ausdruck dafür, wie wichtig jemand ist. Liebe bedeutet also nüchtern und fest zu fragen, ob wir Jesus liebhaben. Ob er den ersten Platz in unserem Leben einnimmt und ob wir alles mit ihm teilen wollen.
Darum ist die Frage berechtigt, ob wir Jesus liebhaben. Das ist mehr als nur Jesus zu bewundern oder ihn zu verehren. Jesus selbst hat Petrus nicht gefragt, ob er ihn bewundert oder verehrt, sondern: „Hast du mich lieb?“ Es kommt Jesus auf die Ausrichtung unseres Herzens an, und das will er zuerst klargestellt haben.
Wir meinen oft, Jesus sei am meisten von Sünden betroffen. Nein, viel schlimmer ist es, wenn wir ihn nicht liebhaben. Sünden können vergeben werden, aber wenn wir ihn nicht liebhaben, fehlt die Grundlage für eine Beziehung.
Zeugnis einer Begegnung über die erste Liebe zu Jesus
Ich weiß nicht, wie oft ich Ihnen schon von meiner denkwürdigen Begegnung erzählt habe, die ich einmal in einer Hausgemeinde in Shanghai mit Herrn Wang Mingtau hatte. Dieser mutige Bekenner war über zwanzig Jahre im Straflager.
Als ich ihn bat, mir ein Wort mitzugeben, das gerade für uns deutsche Christen wichtig ist, hat er nicht lange überlegt. Er sagte: „Ihr habt viele Werke, ihr tut viel! Vergesst mir die erste Liebe nicht, die Brautliebe, die reine Liebe zu Jesus.“
Er erklärte, dass ihr in eurem deutschen Kopf, das ist der Hintergrund, so viel geplant habt. Ihr habt eure Listen, was ihr alles professionell erledigen wollt. Aber vergesst doch nicht, dass die Beziehung zu Jesus, das Glaubensverhältnis, eine ganz wunderbare Brautliebe ist – ein Liebesverhältnis.
„Nichts soll mir werden, lieber auf Erden als du, der schönste Jesus mein.“ Man freut sich einfach über diese Liebe. Sie ist auch nicht zum Grübeln mit finsterer Stirn da. Das kommt immer bei unserem Denkglauben heraus.
Dieser Glaube ist wie ein Kind, das sich an den Rocksaum der Mutter klammert und sich freut: Sie ist da, und jetzt ist alles gut. Die Mutter erledigt es und macht es für mich.
In der Liebe kann der Glaube richtig sieghaft aufleben. Er braucht gar nichts mehr, er hat alles. Er ist da bei Jesus: „Ich will dich lieben, meine Stärke, ich will dich lieben, meine Zier.“
Jesu Nachfragen bohren in die Tiefe der Liebe
Hast du mich lieb?, fragt Jesus. Dabei bohrt er in die Tiefe – aber nicht in die Tiefe der Schuld. Das machen wir immer wieder: „Hör mal, Petrus, warum hat das passieren können? Jetzt wollen wir die Ursachen analysieren. Komm, lass uns noch einmal darüber reden.“
Dann muss man versprechen, dass so etwas nie wieder passiert, und man muss sich jetzt bewähren. Unsere Seelsorge ist manchmal so albern. Jesus aber hat nur eine Sache im Sinn, wenn er in die Tiefe bohrt: „Du, Simon, ist das wirklich echte Liebe bei dir?“
Ist das wirklich echte Liebe bei mir? Wenn ich Ihnen jetzt diese Frage im Namen Jesu vorlege, möchte ich Sie bitten, sich klarzumachen, wie das ist: Haben Sie Jesus lieb? Lieben Sie ihn über alles, über alle Dinge hinweg?
Die Herausforderung der Vergleichsfrage Jesu
Jetzt möchte ich die Frage weiter stellen: Hast du mich lieber, als sie mich haben?
Jesus stellt die Frage noch schwieriger. Er schaut die anderen Jünger an und sagt zu Simon: „Hast du mich lieber als die anderen Jünger?“ Ich weiß nicht, wie sie reagieren würden, wenn man sie so fragt. Sie würden wahrscheinlich sagen: „Wie kann ich die anderen beurteilen? Ich weiß es doch gar nicht.“
Jesus fragt dreimal nach, und das hat natürlich seinen Grund. Petrus hat Jesus ja dreimal verleugnet. Deshalb fragt Jesus dreimal: „Hast du mich lieb? Hast du mich lieber, als sie mich haben?“ Irgendwann muss es mal raus. Worte können das nicht ausdrücken.
Liebe, das wissen auch Verliebte, kann man gar nicht mit Worten beschreiben, was einem der andere bedeutet. Man schreibt Briefe und merkt dabei: Das ist irgendwo auch noch nicht treffend. Das ist alles nur ein schwacher Ausdruck meiner großen Liebe.
Und was soll Simon sagen? Mir geht es immer so, wenn ich zu diesem Thema predigen soll, da schäme ich mich vor ihm. Ich wollte Jesus doch ganz anders lieben. Doch da beschäftigen mich so viele Dinge in der Woche.
Wie wichtig ist mir jede Nachrichtensendung im Radio oder was die Zeitung schreibt? Wie wichtig sind mir Geld und Ehre, wenn ich Jesus lieb hätte? Wer hat doch eine ganz andere Rangfolge? Wie oft schweifen meine Gedanken beim Beten ab? Wie oft haben wir keine Lust zum Bibellesen, wenn wir Jesus lieben?
Verliebte müssen sich nicht lange sagen, dass sie sich umeinander kümmern sollen. Das ist doch die Sehnsucht. Wie wenig lebt da in uns diese Liebe? Verstehen Sie das dauernde Bohren von Jesus? Das kommt an den Grund, wo man merkt: Ich habe ja gar keine Liebe. Das ist ganz, ganz, ganz kalt bei mir.
Die Bedeutung des Sehens und Erkennens Jesu
Es beschäftigt uns sicherlich, und hoffentlich beschäftigt es Sie auch manchmal: Warum ist es bei mir so kalt?
Vor 33 Jahren haben sich meine Frau und ich verliebt. Es war nur eine ganz flüchtige Begegnung, und ich war, wie man so sagt, verknallt. Es war nur ein Blick, ein einziger Blick, und für mich war sofort alles klar. Dieses Sehen war entscheidend.
Ich denke auch an die Liebe zu Jesus: Sie müssen ihn sehen. Durch die Evangelien. Professor Otto Michel hat einmal gesagt, dass die ganzen Evangelien nur niedergeschrieben wurden, damit wir Jesus lieb haben können.
In all den verschiedenen Darstellungen, wie ein Maler uns zeigt – lesen Sie immer wieder und freuen Sie sich daran: So ist mein Herr, der den Tod besiegt hat. So vergibt er den Schuldigen. So tritt er für die Schwachen ein. So ist mein Herr. Ich darf ihn lieben.
So wie irdisch Verliebte durch das Anschauen ihre Liebe empfinden, müssen wir vielmehr erkennen, wer Jesus wirklich ist.
Der Höhepunkt ist, wenn ich immer wieder ans Kreuz blicken darf. Dann sehe ich nicht nur das kahle Kreuz, sondern das Gesicht Jesu mit der Dornenkrone. Ich sehe den sterbenden Jesus, der sagt: „Ich bin für dich in den Tod gegangen, damit deine Schuld gesühnt sei. Damit du weißt: Nichts kann dich mehr von der Liebe Gottes trennen.“
Das lässt unser kaltes Herz auftauen. Selbst ein Eisklotz muss vor dieser wunderbaren Liebe schmelzen.
Die Liebe Gottes als Ursprung und Antwort
Und das kommt immer wieder im Neuen Testament vor: „Ich habe die Liebe nicht.“
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wir können die Liebe nur als Echo erwidern. Die Liebe Gottes ist in unser Herz ausgegossen, die Liebe Gottes durchdringt uns. Nehmt viel von dieser Liebe auf und lasst sie in euch wirken.
Dann erlebt man die Liebe auf wunderbare Weise, besonders in der Vergebung. So wie Simon es weiß: Wenn man belastet ist, sollte man es heute einfach festmachen und sagen: Herr, deine Liebe wird ganz wunderbar, auch dort, wo ich unwürdig bin – und das sind wir alle – und wo wir dich gekränkt und verletzt haben. Dort willst du deine herrliche Liebe zeigen. Ich darf dich einfach nur lieben, sonst nichts.
Noch einmal: Jesus fragt nicht nach den Werken, Jesus fragt nicht nach der Leistung. So wollen wir es immer sehen: Du musst dich zuerst bewähren? Nein. Er fragt auch nicht: Hast du genügend geweint? Hast du tüchtig Buße getan? Es gibt Christen, die sich quälen und wochenlang nur Buße tun. Das ist unnütze Zeit, anstatt Jesus einfach zu lieben – einfach von einem Moment zum nächsten.
Jesus will nicht einmal sagen: „Aber sechs Wochen musst du jetzt ein bisschen gedämpft laufen, den Kopf senken und so weiter.“ Das ist alles menschliche Frömmigkeit, es steht nichts dergleichen in der Schrift.
Liebe ihn, liebe ihn, danke für das, was er gegeben hat. „Bleibt in meiner Liebe“, sagt Jesus. Und dann sagt er: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und wird kommen und Wohnung bei mir machen, wer mich liebt.“
Die Kraft der Liebe im Glaubensleben
Da kehrt Jesus ein, und interessanterweise lösen sich auch die Nöte unseres trotzigen Herzens.
Wer mich liebt, der hält meine Gebote, sagt Jesus in Johannes 14,15. Wenn die Menschen ihre Bibel dabei haben, lesen sie: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“
Durch diese Liebe werden Menschen bis in die Verästelungen ihres Wesens verwandelt. Jesus tritt als Herr in unser Leben ein und wandelt uns um. Diese Liebe ist nicht bloß ein Gefühl, sondern eine starke, nüchterne Macht, die uns mutig und tapfer macht.
Ich möchte Ihnen erzählen, wie Menschen auf den Scheiterhaufen gestiegen sind, weil sie Jesus liebten. Sie hatten keine Freiheit, doch sie gaben ihr Leben für ihn her. Manche zogen in ferne Länder, erlitten alle möglichen Krankheiten und taten das gerne.
Die gesamte Diakonie lebte davon, dass Menschen von der Jesusliebe angestoßen waren. Das war ihr pädagogisches Konzept: Menschen die Jesusliebe spüren zu lassen. Nichts weiter als die Freude erziehen – und dann sagt Jesus: „Weidet meine Schafe, weidet meine Lämmer.“
Jesu Vertrauen trotz Versagen von Petrus
Der Petrus hat versagt. Ich wundere mich immer noch, wie offen die Jünger Jesu damals im Evangelium ihre Fehler und ihre Untreue festgehalten haben. Wir sind ja oft ganz geniert.
Ich glaube, jeder von Ihnen hätte jetzt Scheu, wenn ich Sie bitten würde, doch einmal vorzutreten und von Ihrem Versagen zu erzählen – ich selbst übrigens auch. Das ist aber auch gut so. Denn über all dem liegt der Schleier der Vergebung. Jesus schützt auch unsere persönliche Sphäre, und das ist wunderbar.
Solche Menschen setzt Jesus ein. Er fragt nicht: Bist du bewährt? Kannst du etwas? Taugst du etwas? Oder hast du das schon unter Beweis gestellt? Nein, er fragt nur, ob wir ihn liebhaben.
Menschen, die Jesus liebhaben, die kann er brauchen. Und diese setzt er ein als Hirten.
Das Hirtenamt als Dienst der Liebe
Das Hirtenamt ist das schönste Amt neben dem Evangelistenamt in der neutestamentlichen Ämterordnung. Ich glaube, viele von Ihnen sind von Jesus schon als Hirten ausersehen worden. Ein Hirte trägt das Schwache. So sollen sie nach den Kranken schauen und sich um die Schwachen kümmern – einfach lieben und tragen. Die Lämmer auf den Arm nehmen und merken, wenn das kleine Lamm nicht mehr kann. Dann trägt man es ein Stück.
Mit dem Hirtenamt ist leider oft böse Schindluder getrieben worden. Man verwendet den Begriff ja für die Pastoren, was der lateinische Name für Hirte ist. Ich muss das so sagen, weil wir im Beamtenfachdienst das Hirtenamt zu einer Befehlsstruktur umgewandelt haben. Ich höre immer wieder, dass die meisten Probleme, auch wenn zwei oder drei Pfarrer zusammenarbeiten, immer wieder auftauchen. Das liegt daran, dass wir oft meinen, das Entscheidende am Hirten sei: Alles hört auf mein Kommando. Du musst dich von mir weiden lassen, und wehe dem, der sich meinem Hirtenstab entzieht. Mein Herd, ich muss sie zusammenhalten.
Darum entsteht das Unglück der konfessionellen Absplitterung und der aufgerichteten Zäune. Übrigens ist das nicht nur ein Problem der Landeskirchen, auch wenn man es dort leichter aussprechen kann. Es ist genauso in den Freikirchen, in freien Gruppen und sogar in Sondergruppen. Überall gilt: Nur wo ich bin, ist das richtige Hirtenamt. Wir Menschen überschätzen uns da. Jesus hat das nie gemeint.
Petrus hat es im ersten Petrusbrief Kapitel 5 noch einmal schön beschrieben. Der Erzhirte hat uns eingesetzt, um Hirten zu sein, damit wir Barmherzigkeit leben. Das wunderbarste Zeugnis, das wir in dieser Welt geben können, ist, die Liebe Jesu weiterzugeben.
Die Liebe als Kern christlicher Gemeinde und Zeugnis
Darum trifft die Frage Jesu den Kern dessen, was eine christliche Gemeinde ausmacht – besonders wenn es darum geht, wie wir in dieser chaotischen Welt noch ein Zeugnis sein können.
Nur durch verströmte Liebe, die weitergegeben wird, können wir dieses Zeugnis leben. Ich möchte Sie bitten, in Ihrem Umfeld Ihr Hirtenamt wahrzunehmen. Wenn Jesus uns einsetzt und sagt: „Da habe ich dir Menschen anvertraut“, dann meint er die Menschen in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Verwandtschaft – alle seine Lämmer.
Hier liegt der entscheidende Unterschied: Es sind niemals unsere Lämmer. Unsere Pfarreien und Gemeinden sind nie unsere Untertanen. Es sind immer Jesu Schafe, Jesu Lämmer, die wir weiden und in seinem Auftrag betreuen dürfen.
Daran liegt das Entscheidende. Aber ob wir Liebe haben – ob du mich liebst, ob du mich wirklich liebst – das ist das Einzige, was zählt. Mehr ist nicht nötig.
Die Liebe als Erfüllung des Gesetzes
Paulus sagt: Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes. Wenn ihr in der Liebe lebt, habt ihr alles erfüllt, was das mosaische Gesetz an Liebe fordern könnte.
Oder anders gesagt: Die Hauptsumme aller Unterweisung – sei es in der Ausbildung, in der Lehre, im Bibelschulwissen, in der Theologie oder im Konfirmandenunterricht – ist die Liebe.
Diese Liebe kann man nur lernen, wenn man Jesus ins Herz blickt. Nur als jemand, der sich seiner Schuld bewusst ist und Vergebung für seine Sünden empfängt, kann man danken und ein Leben lang von dieser Liebe bewegt sein.
So wird man befähigt, diese Liebe einfach weiterzugeben. Amen!