Einleitung und Kontext der Erzählung
Gott wird Mensch
Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 437
Die Ehebrecherin Teil I
In dieser Episode kommen wir zu einem Text, den ich mit Vorsicht auslegen möchte. Ganz einfach deshalb, weil ich ihn nicht für inspiriert halte. Der Text ist allerdings sehr bekannt, weil er eine Begebenheit schildert, die sehr emotional ist.
Jesus stellt sich auf die Seite einer Ehebrecherin und rettet sie vor der Steinigung.
Johannes 8,1-12:
Jesus aber ging nach dem Ölberg. Früh morgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte sie.
Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber brachten eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellten sie in die Mitte. Sie sagten zu ihm: „Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Im Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Was sagst du nun?“
Dies aber sagten sie, um ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen.
Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“
Und wieder bückte er sich nieder und schrieb auf die Erde.
Als sie dies hörten, gingen sie einer nach dem anderen hinaus, angefangen von den Älteren. So wurde er allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand.
Jesus richtete sich auf und sprach zu ihr: „Frau, wo sind sie? Hat niemand dich verurteilt?“
Sie antwortete: „Niemand, Herr.“
Jesus aber sprach zu ihr: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr.“
Zweifel an der Inspiration und Herkunft des Textes
Wie gesagt, der Text ist bekannt und durchaus beliebt, aber meiner Meinung nach gehört er nicht in die Bibel. Nun stellt sich die Frage, warum nicht – immerhin steht er doch in der Bibel. Ich habe den Text gerade nach der Elberfelder Bibel zitiert.
Die Antwort auf diese Frage lautet ungefähr so: Der Text taucht bis zum fünften Jahrhundert in den frühen Ausgaben des Neuen Testaments nicht auf. Er ist also in den ganz frühen Texten einfach nicht enthalten. Wenn er dann erscheint, steht er nicht immer an derselben Stelle. Man findet ihn zum Beispiel im Anschluss an Johannes 7,36, 7,44 oder 7,52. Oder auch ganz am Ende des Johannesevangeliums. Ja, sogar im Anschluss an Lukas 21,38.
Untersucht man den Stil dieser Perikope, fehlen ihr typische johannäische Züge. Der erste griechische Kirchenvater, der Johannes 8,1-12 zitiert, stammt aus dem vierten Jahrhundert nach Christus.
Daher gehe ich davon aus, dass es sich hier um einen Text handelt, der ursprünglich nicht Teil des Neuen Testaments war, sondern aus einer anderen Quelle stammt. Das bedeutet nicht, dass die Begebenheit nicht so passiert sein kann, wie sie geschildert wird. Das kann sein. Deshalb werde ich Johannes 8,1-12 auch auslegen. Aber ich tue das mit Vorsicht.
Für mich ist dieser Text nicht Wort Gottes. Ich behandle ihn so, wie man eine gute Predigt oder einen guten Bibelkommentar behandelt. Ich nehme ihn ernst, denke darüber nach und will ihn verstehen. Aber ich halte ihn nicht für inspiriert und fühle mich ihm nicht in letzter Konsequenz verpflichtet.
Die Szene im Tempel und die Anklage gegen die Frau
Schauen wir uns den Text an: Johannes 8,1-5.
Jesus ging zum Ölberg. Frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und das ganze Volk versammelte sich um ihn. Er setzte sich und lehrte sie.
Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, und stellten sie in die Mitte. Sie sagten zu ihm: „Lehrer, diese Frau wurde auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. Im Gesetz hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Was sagst du dazu?“
Jesus lehrt, während die Schriftgelehrten und Pharisäer eine Frau bringen – nicht irgendeine Frau, sondern eine, die beim Ehebruch ertappt wurde.
Das Erste, was hier auffällt, ist, dass etwas fehlt. Wenn ich eine Ehebrecherin beim Ehebruch erwische, dann gibt es immer auch einen Mann. Doch dieser Mann ist hier aus welchen Gründen auch immer nicht dabei.
Das ist für mich ein Punkt, der die ganze Sache irgendwie verdächtig macht. Hier sind Leute, die Jesus versuchen wollen. Kann es sein, dass die Sache mit der Ehebrecherin bewusst eingefädelt wurde? Ich frage mich das schon.
Kennen die Ankläger vielleicht den Ehebrecher?
Die Herausforderung an Jesus und die Gesetzeslage
Die Schriftgelehrten und Pharisäer stellen Jesus nun eine Frage. Im Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Du nun, was sagst du?
Eine gute Frage. Sie haben natürlich Recht. Das Alte Testament fordert die Todesstrafe für Ehebruch.
Im 3. Mose 20,10 heißt es: Wenn ein Mann mit einer Frau Ehebruch treibt, wenn ein Mann Ehebruch mit der Frau seines Nächsten begeht, müssen der Ehebrecher und die Ehebrecherin getötet werden.
In Vers 13 steht: Wenn ein Mann bei einer Frau liegend angetroffen wird, die einem anderen Mann gehört, dann sollen sie beide sterben – der Mann, der bei der Frau lag, und die Frau. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen.
Das Gesetz des Mose verbietet Ehebruch, und auf Ehebruch steht die Todesstrafe.
Die Intention der Gegner und die mögliche Falle für Jesus
Frage: Warum wollen die Schriftgelehrten und die Pharisäer die Meinung von Jesus wissen?
Antwort: Johannes 8,6: Dies aber sagten sie, ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen.
Seine Gegner wollen ihn also anklagen. Inwiefern denken sie, dass die Situation, die sie geschaffen haben, für Jesus schwierig werden könnte?
Ich denke, sie nehmen Jesus als jemanden wahr, der sich nicht wirklich an das Gesetz hält. Sein Umgang mit dem Sabbat war ihnen bereits ein Dorn im Auge. Auch seine Nähe zu Menschen mit einer sündigen Vergangenheit machte ihn suspekt.
Seine Gegner gehen wohl davon aus, dass Jesus sich gegen eine Steinigung aussprechen muss. Sie halten ihn nicht für wirklich gesetzestreu. Vielleicht denken sie auch, dass er seine Anhänger, von denen viele ehemalige Ehebrecher sind, nicht verprellen will.
Aber es ist natürlich so: In dem Moment, in dem Jesus sich gegen die Steinigung ausspricht, können die Schriftgelehrten und Pharisäer ihn anklagen. Sie könnten ihn als jemanden darstellen, der sich nicht ans mosaische Gesetz hält. Was soll das für ein Rabbi sein, der sich gegen das Gesetz des Mose ausspricht?
Doch was wäre, wenn Jesus einfach das Gesetz des Mose bestätigt? Er könnte sagen: „Ganz genau, das mosaische Gesetz fordert die Todesstrafe für Ehebrecher. Das hat mit der Heiligkeit der Ehe zu tun. Holt schon mal die Steine, ich warte hier auf euch.“
Was, wenn Jesus das sagt? Dann können die Schriftgelehrten und Pharisäer ihn ebenfalls anklagen, diesmal aber vor Pontius Pilatus. Sie könnten ihn als Aufrührer darstellen, der nicht bereit ist, sich an das römische Recht zu halten.
Dazu muss man wissen, dass die Juden viele Freiheiten hatten, sich selbst zu regieren. Der Hohe Rat konnte Gerichtsurteile fällen und Strafen verhängen, aber die Todesstrafe war davon ausgenommen.
Versteht ihr das Problem? Wenn Jesus einfach sagt: „Ja, steinigt sie ruhig, das ist völlig in Ordnung“, dann könnten seine Gegner zum römischen Statthalter gehen und Jesus als einen galiläischen Aufrührer verunglimpfen. Einen, der sich nicht an geltendes Recht halten will.
Also egal, was Jesus jetzt sagt, seine Gegner haben die Möglichkeit, ihn anzuklagen. Was soll Jesus jetzt tun? Das schauen wir uns in der nächsten Episode an.
Abschluss und Ausblick
Was könntest du jetzt tun? Denke darüber nach, welche positiven Folgen es für eine Gesellschaft haben kann, wenn weniger Ehebruch geschieht.
Das war's für heute.
Falls du noch nicht Mitglied einer bibeltreuen Gemeinde bist und dort mitarbeitest, dann ändere das doch.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.