Schauen wir kurz noch einmal auf die letzten beiden Episoden zurück. In der ersten Episode haben wir die Frage beantwortet, warum in aller Welt, sollte ein Gebot aus dem mosaischen Gesetz uns heute als Christen noch etwas zu sagen haben?
Und die Antwort hatte damit zu tun, dass Gott sich nicht ändert. Und deshalb haben ethische Gebote im Gegensatz zu solchen, die situativ bzw. rituell sind, kein Ablaufdatum. Ich kann als Sünder heute noch das Alte Testament lesen und von den ethischen Geboten lernen, also von denen bei denen es um gut und böse geht,… von denen kann ich lernen, was Gott will und was für ihn ein Gräuel ist.
Im Detail mag es nicht immer einfach sein, die ethischen Prinzipien zu übertragen, aber das ändert nichts am Prinzip. Es gibt die ethischen Gebote, die einfach sind: Du sollst Vater und Mutter ehren! Du sollst nicht begehren, also nicht neidisch sein… usw. Und es gibt ethische Gebote, da muss man erst einmal nachdenken, was eigentlich verboten ist, bevor man die dahinter liegenden Prinzipien auf das eigene Leben überträgt.
Ein solches Gebot findet sich in 3. Mose 19,28.
Und geätzte o. tätowierte Schrift sollt ihr an euch nicht machen.
Schaut man sich dieses Gebot genauer an, dann stellt man fest, es steht in einer Reihe mit anderen Geboten, die sich auf Trauerriten beziehen. Sehr wahrscheinlich waren das heidnische Trauerriten und die Israeliten sollten damit nichts zu tun haben.
Wir haben deshalb in der letzten Episode festgehalten, dass 3. Mose 19,28 – auch weil die Übersetzung fragwürdig ist – sich nicht auf das Phänomen Tattoos bezieht, wie es heute in unserer Kultur Einzug gehalten hat.
In den kommenden Episoden wollen wir jetzt Folgendes machen.
Erstens wollen wir uns die Frage stellen, wie man 3. Mose 19,27.28 übertragen kann.
Zweitens wollen wir uns fragen, ob denn vielleicht andere Gründe dafür sprechen könnten, beim Thema Tattoos als Christ zurückhaltend zu sein.
Kommen wir aber erst einmal zu der Frage, wie man 3. Mose 19,27.28 übertragen sollte. Die Gebote sind uns auf den ersten Blick fremd, weil sie Trauerriten verbieten. Und natürlich fragen wir uns: WAS wird da eigentlich verboten?
Was ist verboten und was nicht?
Was ist erst einmal nicht verboten? Nicht verboten ist, dass ich trauere. Trauern, vor allem über den Verlust eines geliebten Menschen, ist zutiefst menschlich.
Auch nicht verboten kann sein, dass ich meiner Trauer durch äußerliche
Zeichen Ausdruck verleihe. So lesen wir:
1. Mose 37,34: Und Jakob zerriss seine Kleider und legte Sacktuch1 um seine Hüften,
und er trauerte um seinen Sohn viele Tage.
Oder Jeremia 6,26: Tochter meines Volkes, gürte dir Sacktuch um und wälze dich in Asche, trauere wie um den einzigen ⟨Sohn⟩! Stimme bittere Klage an! Denn plötzlich wird der Verwüster über uns kommen.
Sacktuch und Asche, bittere Klage als Ausdruck tiefer Trauer. Nirgends verbietet die Bibel ein solches Verhalten. Es heißt sogar im Neuen Testament: Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Es ist ein Vorrecht, vor Gott trauern zu dürfen und von ihm getröstet zu werden. Gott als ein Gott allen Trostes (2. Korinther 1,3.4) stellt sich zu den Trauernden.
Also wie übertrage ich 3. Mose 19,27.28? Verboten sind, das Haareschneiden, das Barttrimmen, das sich Ritzen und das Anbringen von Zeichen auf der Haut. Vielleicht sind nur genau diese Dinge als Zeichen der Trauer verboten? Dann steht natürlich sofort die Frage im Raum. Warum gilt das Verbot nur im Blick auf einen Trauerfall? Wenn das Haareschneiden als Ausdruck von Trauer verboten wäre, warum nicht immer? Und dasselbe gilt fürs Barttrimmen, fürs Ritzen und für die Zeichen.
Mir scheint, dass diese Dinge eher für etwas stehen als dass sie aus sich heraus verboten sind. Frage: Wofür könnten sie stehen? Und jetzt wird es tatsächlich spekulativ. Es tut mir leid, wenn ich das sage, aber uns fehlt im Umgang mit alttestamentlichen Geboten manchmal etwas kultureller Hintergrund, um sie abschließend übertragen zu können. Schauen wir uns also heidnische Trauer am Beispiel der Moabiter an: Das Anlegen von Sacktuch (Verzicht auf Annehmlichkeiten) ist DAS Traurzeichen in der Bibel!
Jeremia 48,37.38: Ja, jedes Haupt ist kahl und jeder Bart abgeschoren. Auf allen
Händen sind Ritzwunden, und Sacktuch ist an den Hüften. 38 Auf allen Dächern
Moabs und auf seinen Plätzen ist lauter Klage. Denn ich habe Moab zerbrochen
wie ein Gefäß, an dem man kein Gefallen hat, spricht der HERR.
Haareschneiden, Barttrimmen, sich ritzen… wir kennen das schon. Hier bringen Menschen, die keine Hoffnung haben (Epheser 2,12; 1. Thessalonicher 4,13), ihre Verzweiflung zum Ausdruck. Interessanter Weise taucht hier auch das Sacktuch auf. Es gibt also Trauerriten, die Heiden und Juden miteinander teilen! Es ist deshalb wahrscheinlich zu kurz gegriffen, wenn man pauschal formuliert: Jeder heidnische Trauerritus ist verboten. Und doch gibt es Trauerriten, die sind heidnischer als andere.
Lasst mich, um
diesen Gedanken zu unterstreichen, noch einmal 3. Mose 21 lesen.
3. Mose 21,5.6a: Sie (die Priester im Trauermodus) sollen keine Glatze auf ihrem
Kopf scheren, und den Rand ihres Bartes sollen sie nicht abscheren, und an ihrem
Fleische sollen sie keine Einschnitte machen. 6 Sie sollen ihrem Gott heilig sein,
Dieser letzte Satz macht für mich etwas deutlich. Es geht um Heiligkeit bzw. um Loyalität. Mit meiner Art, zu trauern, bringe ich zum Ausdruck, welchem Gott ich folge. Das mag nicht mit jedem Trauerritus gleich deutlich sein, es gibt einen Unterschied zwischen dem Sacktuch und dem Ritzen. Das Sacktuch ist eine kulturübergreifende Tradition, das Ritzen erinnert doch sehr an das Verhalten der Baalspriester in der Auseinandersetzung mit Elia.
1. Könige 18,28: Da riefen sie mit lauter Stimme und ritzten sich, wie ⟨es⟩ bei ihnen
Brauch ⟨war⟩, mit Messern und mit Spießen, bis das Blut an ihnen herabfloss.
Es ist ein großer Unterschied, ob ich Sacktuch anlege und auf bequeme Kleidung (o. Essen, Schminke…) verzichte, oder ob ich ein Blutopfer bringe und mich selbst verstümmele. Ich sehe persönlich in 3. Mose 19,27.28 ein Verbot, solche Trauerrituale zu praktizieren, die mich in große Nähe zu heidnischen Praktiken bringen.
So nahe, dass meine Loyalität zu dem Gott der Bibel in Frage gestellt wird. Und weil wir in einer post-christlichen Kultur leben, die den Tod ausblendet, ist es gar nicht so einfach, dieses Verbot zu übertragen: Beispiele wären mich für Dinge wie Gottesdienste, in denen Fürbitte für Verstorbene getan wird.
Grabsteine mit heidnischen Symbolen wie das Ying und Yang-Zeichen, oder jegliches Jetzt-geht-es-ihm-besser-Geschwafel, wenn doch ganz klar ist, dass es mir nicht nur besser geht, sondern dass ich am Ziel bin.
Anwendung
Was könntest du jetzt tun?
Du könntest darüber nachdenken, welche Wucht das Verbot heidnischer Trauerriten in einem heidnisch-missionarischen Kontext entfalten kann.