So, Love or Die, Teil 5. Letztes Mal haben wir uns gemeinsam kurz diese dreiteilige Medizin angeschaut, die Jesus den Ephesern in Offenbarung 2,5 gibt. Diese Gemeinde steht eigentlich gut da, hat aber trotzdem ein großes Problem.
Die Medizin ist dreiteilig: Erstens, denk darüber nach, wie es früher war. Zweitens, tue Buße. Drittens, tue die ersten Werke.
Ausgehend von dieser Idee, nämlich die ersten Werke zu tun, habe ich mich gefragt, ob das eigentlich unser Thema ist.
Weil Matze so nett gebetet hat und genau an der Stelle das aufgegriffen hat, was ich in dem Moment dachte, wurde mir klar: Einfach nur zurückzugehen und zu sagen, früher war alles besser – so wie in den glorreichen Zwanzigern – und jetzt machen wir es einfach wieder so wie damals, das war mir zu wenig für uns.
Weil ich den Eindruck habe, wenn ich in die Geschichte unserer Gemeinde zurückschaue, dann kommen wir gar nicht so an einen Punkt, an dem wir sagen könnten: Da an der Stelle war es mal so richtig gut, es war vielleicht besser. Aber es ist noch nicht ganz das, was ich mir vorstelle zum Thema Liebe.
Insofern habe ich mir die Frage gestellt: Wie kann man einer Gemeinde Lust auf Liebe machen? Also biblisch gesehen vielleicht erst einmal sogar auf Bruderliebe. Wenn ich mich einem solchen Thema nähere, dann habe ich natürlich auch ein bisschen Respekt davor.
Wir haben uns zum Beispiel schon mal 1. Korinther 13 angeschaut. In dem Moment, in dem wir über Liebe reden, sprechen wir über den Aspekt unseres Lebens, der alles entscheidend ist. Paulus sagt: Wo keine Liebe ist, kannst du den Rest, den du tust, einfach in die Tonne treten.
An einer anderen Stelle, in Römer 5,5, heißt es, dass die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist. Also rede ich über etwas, was Gott mir schon geschenkt hat.
Noch an anderer Stelle, in Galater 5,22, wird die Frucht des Geistes beschrieben. Dort fragt man sich: Wo möchte Gott in meinem Leben Veränderung sehen? Und wenn man weiterliest, steht dort: Die Frucht des Geistes aber ist … Viele hören dann bei „Liebe“ auf zu lesen.
Bevor es weitergeht mit Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit und all dem, was dazu gehört, sagt Gott am Anfang: Liebe. Wenn ich eine Sache in deinem Leben fördern möchte, wenn du in irgendeiner Sache wirklich gut sein sollst, dann soll es Liebe sein.
Dann gibt es noch Lukas 6,32. Das ist eine Parallele zur Bergpredigt im Lukasevangelium, wo es heißt: „Und wenn ihr liebt, die euch lieben, was für einen Dank habt ihr? Denn auch die Sünder lieben die, die sie lieben.“
Wir merken, Liebe ist etwas so Universales, dass ich nicht einmal eine bestimmte Gruppe von Leuten, die ich gar nicht mag, ausnehmen kann.
Eine Stelle, die mir persönlich sehr gut gefällt, weil sie auch mit dem Predigen zu tun hat und genau an der richtigen Stelle greift, ist 1. Timotheus 1,5. Dort heißt es: Das Endziel der Weisung ist Liebe.
Wenn ich einen Strich unter meine Predigten machen würde – ich habe inzwischen den achten Predigtordner angefangen, also liegen ungefähr 400 Predigten bei mir zuhause in Ordnern verpackt – und ich diese acht Ordner herausnehme und irgendwo hinstelle, dann frage ich mich: Was soll das Fazit aus all diesen vielen Vorträgen und Predigten sein? Paulus würde ganz simpel sagen: Das Endziel der Weisung ist Liebe.
Er macht das noch etwas klarer: Liebe soll aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben kommen. Ich habe Respekt vor dem Thema Liebe. Ich habe etwas mit euch vor und bin selbst gespannt, wie es klappt. Ich möchte ins Alte Testament gehen, in ein Liebeslied hinein, das sogenannte Hohelied. Es beschreibt das Verhältnis von Salomo und Sulamit.
Ich möchte dieses Lied nehmen, weil es für mich der Inbegriff von gelebter Liebe ist. Ich möchte Prinzipien herausdestillieren, denn ich will keinen Ehekurs machen, sondern über Gemeinde sprechen. Ich möchte Prinzipien extrahieren und dann anwenden.
Wenn du mich fragst, warum ich nicht 1. Korinther 13 nehme, das wäre doch naheliegender – ja, das wäre auch schön gewesen, von vorne zu beginnen. Ich sage einfach: Weil das Hohelied so viel romantischer ist. Ich finde, es trifft uns auf einer Ebene, auf der wir uns selten begegnen. Es trifft uns nicht nur im Kopf.
Natürlich kann ich sagen: Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, sie tut nichts Großes, sie bläht sich nicht auf, sie benimmt sich nicht unanständig. Alles, was in 1. Korinther 13 steht, ist richtig. Aber ich glaube, dass Liebe eine zweite Seite hat.
1. Korinther 13 beschreibt, wie sich Liebe verhält, aber nicht genau, was Liebe ist. Das ist mir schon öfter aufgefallen. Immer wenn ich 1. Korinther 13 gelesen habe, vor allem als ich es Vers für Vers studiert habe, kam ich am Ende mit der Frage heraus: Was ist eigentlich Liebe?
Mein Eindruck ist, dass auch das Hohelied vielleicht nicht genau beschreibt, was Liebe ist, aber es dringt tiefer zum Herzen des Begriffs Liebe vor als irgendein anderer Text in der Bibel.
Wenn ich das so sage, kommt sofort die Reaktion: „Jürgen, du möchtest über unser Verhältnis zueinander sprechen, über Bruderliebe. Müssten wir nicht mehr über unsere Liebe zu Gott reden? Liegt unser Problem im Miteinander nicht darin, dass wir in unserem Verhältnis zu Gott irgendwo ein Defizit haben?“
Das habe ich schon ein paarmal gehört, und ich möchte dazu folgende Antwort geben: Meine Antwort lautet, dass die Liebe zu Gott und die Liebe, die wir zueinander haben, aber genauso auch die Liebe, die wir zur Schöpfung oder zu unseren Feinden haben, zusammengehören.
Es sind nicht unterschiedliche Sorten von Liebe, sondern es ist einfach dieselbe Liebe, die sich nur verschiedenen Menschen oder Personengruppen zuwendet. Auch die Bibel verbindet den Umgang untereinander und den Umgang mit Gott immer wieder eng miteinander.
Ein Beispiel dafür findet sich in Lukas 1. Dort geht es um die Aufgabe, die Johannes der Täufer erfüllen soll. In Lukas 1 kommt der Engel Gabriel, ihr kennt die Geschichte vielleicht, in einem Tempel zu dem Vater von Johannes dem Täufer. Er beschreibt ihm ein wenig, welche Aufgabe Johannes, der noch ungeborene Sohn von Zacharias, dem Priester, haben wird.
Er sagt dann in Lukas 1, Vers 16: „Und viele der Söhne Israels wird er zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren.“ Es geht also um die Beziehung zu Gott, die Johannes herstellen soll. Gleich danach, in Vers 17, heißt es: „Und er wird vor ihm hergehen in dem Geist und der Kraft Elijas, um die Väterherzen zu den Kindern zu bekehren.“
Merkt ihr das? Hier werden zwei Arten von Bekehrung genannt. Einmal die Bekehrung meines Herzens zu Gott. Diese schlägt sich sofort nieder in meinem Verhältnis zu anderen Menschen, hier symbolisiert durch die „Kinder“.
Ich kann das nicht trennen. Wenn ich Gott anfange zu lieben, werde ich auch anfangen, Menschen zu lieben. Diese beiden Dinge gehören zusammen.
Ganz deutlich wird das, wenn man sich die Frage stellt, wie sie zusammengehören, im zweiten Petrusbrief.
In Zweiter Petrus Kapitel 1 geht es um eine Wachstumsspirale. Die zentrale Frage lautet: Wie funktioniert geistliches Leben eigentlich? Du kommst zum Glauben, ja? Aber was passiert dann, wenn du zum Glauben kommst?
Petrus schreibt in Zweiter Petrus 1,5: Wenn du zum Glauben gekommen bist, passiert im Allgemeinen Folgendes: Gott hat dich mit allem beschenkt, was du zum Leben und zur Gottseligkeit brauchst. Im Text steht „alles, was du brauchst“. Das ewige Leben hast du geschenkt bekommen, und du lebst in der Gnade. Die Frage ist nun: Wie gehen wir damit um?
In Vers 5 heißt es: „Wendet deshalb allen Fleiß auf und reicht in eurem Glauben die Tugend dar.“ Also, was nehme ich? Ich nehme, weil ich Glauben an Gott habe, die Tugend und gebe sie Gott. Tugend ist das, was ich an natürlichen Begabungen habe. Meine erste natürliche Gabe, die ich für Gott eingesetzt habe, war meine Fähigkeit, Schritte zu machen. Ich investiere das für Gott, und indem ich das tue, bleibt mein geistliches Leben nicht stecken, sondern es geht weiter.
In der Tugend aber folgt die Erkenntnis: Ich lerne Dinge dazu, ich höre Predigten. In der Erkenntnis wiederum folgt die Enthaltsamkeit: Ich werfe die Sünde aus meinem Leben. In der Enthaltsamkeit folgt das Ausharren: Ich merke, dass ich das nicht nur einmal machen soll, sondern immer wieder. So entsteht eine Gewohnheit im Ausharren.
Dann folgt die Gottseligkeit. Gottseligkeit ist in der Bibel ein Begriff für das Leben mit Gott. Es umfasst all die praktischen Dinge, die ich tue, wenn ich mit Gott lebe: in die Gemeinde gehen, singen, beten und wie sich das im Leben entwickelt. Dort, wo sich Gottseligkeit entwickelt, folgt die Bruderliebe. Aus dem Umgang und dem Erlernen eines rechten Umgangs mit Gott entsteht Bruderliebe in der Gemeinde.
Interessant ist, dass aus der Bruderliebe schließlich die Liebe entsteht. Das ist der letzte Punkt. Und dann heißt es weiter: „Wenn diese Dinge bei euch vorhanden sind und wachsen...“ Das ist eine Spirale. Diese Dinge sind schon irgendwie da, alle, aber sie wachsen auch weiter.
Ich fand es immer spannend, die Reihenfolge zu sehen. Liebe in einem breiteren Sinn, vielleicht in einem universalen Sinn, also auch die Liebe zu Gott, ist eine Funktion, die sich nicht trennen lässt von der Bruderliebe, der Liebe zu Geschwistern. Deshalb überrascht es uns nicht, wenn Johannes im ersten Johannesbrief 4,20 Folgendes schreibt:
„Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott und hasst seinen Bruder, dann ist das nicht möglich.“ Mit Hass ist hier nicht unbedingt gemeint, dass du dir vorstellst, wie du ihm ein Messer in die Brust stichst. Es bedeutet einfach nur, dass er dich nicht interessiert. Er hat eine Not, und es ist dir egal. Das sind die Beispiele, die im ersten Johannesbrief verwendet werden. Du magst ihn einfach nicht so sehr. Das ist schon Hassen in der Bibel – weniger lieben, ihn einfach links liegen lassen.
Wenn jemand sagt: „Ich liebe Gott, meine Gottesbeziehung ist in Ordnung“, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Die Begründung: Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, kann Gott nicht lieben, den er nicht gesehen hat.
Euch zu lieben ist leichter als Gott zu lieben, weil ich euch sehe. Ich bekomme mit, was ihr für Nöte habt. Ich muss vielleicht fragen, aber ich habe eine Chance, euch ganz praktisch zu lieben. Ich komme an euer Leben heran. Gott, der unsichtbar ist, ist da viel schwieriger zu greifen.
Deshalb ist die Gemeinde auch eine Art Trainingsfeld für das Erlernen von Liebe. Wir lernen im Umgang miteinander, was es heißt zu lieben.
Ich habe immer noch nicht gesagt, was Liebe genau ist. Ich gebe euch jetzt den Zwischenstand meiner persönlichen Beantwortung dieser Frage von 2010. Vielleicht gibt es später noch eine andere, aber jetzt ist das mein Stand von 2010.
Liebe ist Sehnsucht nach Beziehung. Ich wiederhole das noch einmal: Liebe ist Sehnsucht nach Beziehung.
Ich habe einmal mit der Definition begonnen, dass Liebe Tat ist. Das ist richtig, aber Liebe ist nicht nur Tat, sondern auch die Motivation hinter der Tat, die auf eine tiefe Beziehung abzielt.
Deshalb gibt es in 1. Korinther 13, wenn Paulus sagt: Wenn du das und das und das tust – das sind Taten –, aber keine Liebe hast, dann ist das völlig egal. Es gibt Taten, die so aussehen, als wären sie aus Liebe getan, dass man als Außenstehender gar nicht richtig beurteilen kann. Da gibt jemand seinen ganzen Besitz den Armen. Was will man da noch sagen? Paulus sagt aber, wenn diese Tat der Liebe keine Liebe enthält, wenn die Motivation dahinter nicht stimmt, dann vergiss es einfach. Behalte das Geld, mach dir einen schönen Tag und lass es gut sein.
Also noch einmal: Meine derzeitige Definition lautet – Liebe ist Sehnsucht nach Beziehung.
Und ich werde unterstützt von einem Vers aus Johannes 14, Vers 21. Es ist ein Vers, den man an dieser Stelle wahrscheinlich nicht erwartet hätte: Johannes Evangelium 14,21. Ich habe mich immer gefragt: Wie funktioniert geistliches Leben? Das finde ich total interessant. Und Johannes 14,21 hilft mir da extrem weiter, und zwar aus zwei Gründen.
Zum einen, weil ich dadurch eine neue Idee zum Thema Liebe bekomme, und zum anderen, weil ich erkenne, worauf es beim Christsein eigentlich ankommt.
Also Johannes 14,21: Der Herr Jesus sagt: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt.“
In der Zeit, in der wir über die fünf Sprachen der Liebe reden – ja, da ist der Geschenketyp, der Kuscheltyp – und ich bin total dafür, dass wir wissen, wie wir einander mit Liebe beschenken können und wo wir empfänglich sind, ist Jesus ein Gehorsamstyp. Interessanterweise taucht Gehorsam bei den fünf Sprachen der Liebe nicht auf, ist aber trotzdem so.
Jesus sagt: Wenn du mir Liebe zeigen möchtest, wenn du zeigen willst, dass du mich richtig liebst, dann stehe ich auf Gehorsam. Also: Wer meine Gebote hat – wenn du schon ein bisschen mitgedacht hast und schon etwas weißt – und sie hält, der ist es, der mich liebt. Das mag ich.
Wenn der Vers hier enden würde, hätte ich ihn nicht gebracht. Viel spannender ist, was jetzt passiert, was der Gehorsam, was die Tat der Liebe bewirkt. Es geht nämlich weiter:
„Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden.“
Merkt ihr das? Ich investiere mich mit einer Tat der Liebe in eine Beziehung zu Gott, und plötzlich kommt etwas zurück: „Der wird von meinem Vater geliebt werden.“ Und dann geht es weiter: „Und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren.“
Ich gehorche aus Liebe. Diese Tat der Liebe ist die Voraussetzung dafür, dass eine tiefe Beziehung entsteht – eine Beziehung.
Ich bin kein Handwerker, aber ich habe in meinem Leben schon mal eine Spax-Schraube gesehen. Das sind diese spitzen Dinger, die man in Bretter bohren kann. Beziehung ist wie so eine Schraube: Ich drehe sie immer tiefer rein.
Beziehung läuft nicht so, dass man einmal ein Gespräch führt und dann ist es gut. Ich investiere mich mit einer Tat der Liebe, und dann sagt Jesus: „Ich werde mich offenbaren.“ Weißt du, was das bedeutet? Das heißt: Ich bin von meiner Seite aus bereit, dir etwas von meinem Herzen zu zeigen.
Du möchtest eine tiefe Beziehung zu Jesus haben? Dann denke daran, dass das etwas ist, was man nicht mit einem Schritt schafft, sondern etwas, in das man investiert – Liebe, weil man es auf die Beziehung anlegt.
Und Jesus öffnet sein Herz. Indem ich die Tat der Liebe tue, bekomme ich Zugang zu seinem Herzen und finde plötzlich neue Möglichkeiten, ihn zu lieben. Und indem ich das immer wieder tue, öffnet er sich weiter.
Von daher ist Christsein nicht einfach nur eine Kulturerscheinung, nach dem Motto: „Ich habe das richtige Glaubensbekenntnis“, sondern im innersten Kern ist es eine Liebesbeziehung zum Herrn Jesus, die dadurch entsteht, dass ich mich immer wieder in diese Beziehung investiere.
Daher meine Definition: Liebe ist Sehnsucht nach Beziehung, die sich in Taten der Liebe ausdrückt. Aber dahinter steckt diese Sehnsucht. Ich will eigentlich die Beziehung.
Und deswegen sind Salomo und Sulamit im Alten Testament unser absolutes Traumpaar. Das ist Kuschelrockcharts ganz oben: Das Lied der Lieder, das absolut schönste Lied, das jemals geschrieben wurde, und das in der Bibel.
Salomo und Sulamit sind der Prototyp für einen liebevollen Umgang miteinander. Und meine Hoffnung ist, dass wir, wenn wir uns ein bisschen an ihnen orientieren, besser verstehen, was mit Liebe gemeint ist.
Ein Hinweis: Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Art der Beziehung unterschiedlich ist, je nachdem, mit wem ich sie habe. Wenn ich von Liebe in einer Beziehung spreche und dabei Salomon und Sulamit vor Augen habe, dann ist eine andere Qualität und Form von Beziehung gemeint, als wenn ich von Liebe zu den Feinden spreche.
Ich möchte betonen, dass Beziehung unterschiedlich gelebt werden kann. Die entscheidende Frage ist, ob ich überhaupt in irgendeiner Form eine Beziehung eingehe. Beziehung wird auch vom Gegenüber mitgeprägt. Ich habe nicht die Möglichkeit, in jede Beziehung beliebig tief einzusteigen.
Trotzdem möchte ich die Frage stellen: Mit welcher Motivation gehen wir auf Menschen zu? Dass es sich im Hohelied tatsächlich um Liebe dreht, erkennt man schon nach einmaligem Durchlesen. Wenn ihr es noch nie gelesen habt, werde ich euch heute nicht mit Strukturfragen und Ähnlichem belasten. Lest es einfach einmal durch.
Einmal, ich weiß, mp3-Player, plapp, dauert ungefähr eine Viertelstunde, dann seid ihr problemlos durch. Oder lest es einfach einmal, oder noch besser, lasst es euch vorlesen. Es macht einfach Spaß.
Zwei Stellen aus dem Hohelied zeigen uns, dass Liebe tatsächlich das zentrale Thema ist, sodass ich mir da nichts einbilde. Am Anfang, wie gesagt, haben die beiden einander lieb und sagen einander auch, wie sehr sie sich lieben.
Dann sagt sie etwas zu ihm. Wer mitlesen möchte: Das ist Hohelied 2,4. Dort spricht sie zu ihm und sagt: „Er hat mich ins Weinhaus hineingeführt, und sein Zeichen, sein Feldzeichen über mir ist Liebe.“
Wein steht im Hohelied immer für Freude – und zwar für jede Art von Freude. Sie charakterisiert hier ihre Beziehung und sagt, dass ihr Mann, Salomo, sie ins Weinhaus geführt hat, also an den Ort, an dem Freude in ihrer reinsten Form und in Fülle vorhanden ist. So empfindet sie ihre Ehe: als Freude.
Dann benutzt sie das Wort „Feldzeichen“. Sie sagt: „Und sein Zeichen, sein Feldzeichen oder auch sein Panier über mir ist Liebe.“ So sprechen wir heute nicht mehr, aber ich möchte das kurz erklären.
Im Alten Testament wurden Feldzeichen für die Stämme verwendet. Jeder Stamm hatte sein eigenes Feldzeichen. Diese Feldzeichen dienten dazu, die Lagerordnung einzuhalten. Wenn die Trompeten bliesen und das ganze Volk, zig Hunderttausend Menschen, aufbrechen sollte, wurde alles geordnet arrangiert. Dann konnte nicht jeder sagen: „Oh, ich schlafe noch eine halbe Stunde, ich komme später.“ Jeder musste genau wissen, wann er dran war, welcher Stamm wann aufbrechen sollte.
Damit das geordnet ablief, gab es eine Lagerordnung, stämmeweise. Und damit jeder wusste, wo er sein Zelt aufschlagen sollte – das kennt jeder, der schon einmal einen Sola gemacht hat –, gab es ein Feldzeichen. So wusste man, wo die eigene Zeltgruppe war.
Das Feldzeichen bringt Ordnung hinein. Es ist das ordnende Prinzip, das uns verbindet, zusammenhält und uns Stabilität und Struktur gegen das Chaos gibt. Sulamit sagt: „Sein Feldzeichen über mir ist Liebe.“ Das bedeutet, das, was ihre Beziehung ausmacht, ist die Liebe.
An einer anderen Stelle, in Hohelied 8, drückt sie das noch weiter aus. Dort, in Vers 6, sagt sie zu ihm: „Lege mich wie ein Siegelring an dein Herz, wie ein Siegelring an deinen Arm.“
Das ist ein wunderschönes Bild: ein Siegelring. Vielleicht habt ihr schon einmal solche Ringe gesehen. Wenn man weichen Ton hat, kann man einen Ring darüberrollen, um ein Siegel einzudrücken.
Sie sagt: „Lege mich wie ein Siegelring an dein Herz.“ Man konnte diesen Siegelring mit einer Schnur um den Hals tragen, dann lag er am Herzen. Oder man konnte ihn wie einen Ring am Finger tragen. Besser übersetzt heißt es hier „an deinen Finger“.
Was Sulamit hier ausdrückt, ist Folgendes: Ein Siegelring stand damals für den Besitzer. Wenn ich irgendwo ein Siegel aufdrückte, sagte das: „Das ist meins.“ Ein Siegel bestätigte Eigentumsrechte.
Wenn sie also sagt: „Ich möchte wie ein Siegelring in deinem Herzen liegen“, bringt sie zum Ausdruck: „Ich möchte eins werden mit dir. Ich möchte deine Identität teilen. Ich möchte so eng wie möglich mit dir verschmelzen.“
Und die Frage ist: Wie kommt jemand dazu? Die Antwort lautet: Dort, wo echte Liebe ist, kann man sie nicht nur ein bisschen leben – echte Liebe ist mehr als das.
Spannend ist, dass dort, wo echte Liebe vorhanden ist, eine Macht wirkt, die einen Menschen nicht mehr unter Kontrolle bringen kann. Echte Liebe zieht mich zum Geliebten hin. Die Liebe wird beschrieben als gewaltsam wie der Tod, ein unüberwindbarer Gegner, hart wie der Scheol. Wenn das Totenreich dich einmal in seinem Griff hat, lässt es dich nicht mehr los. Die Eifersucht der Liebe ist ebenfalls hart wie der Scheol, ihre Glut sind Feuergluten, eine Flamme Jahs.
Woher speist sich echte Liebe? Die Antwort ist direkt aus Gottes Charakter. Die Glut echter Liebe ist eine Flamme Jahs – eine Flamme, die ihren Ursprung in Gott findet. Gott wird beschrieben als derjenige, der Liebe ist. Deshalb zeigt echte Liebe immer etwas vom Charakter Gottes. Eine halbe Liebe oder jede Form von Berechnung, Zurückhaltung oder Zwang ist für einen wahrhaft Liebenden nicht möglich.
Wenn wir über Liebe sprechen, wollen wir dorthin, wo Liebe ihren Ursprung nimmt – und das ist die Liebe Gottes. Echte Liebe ist deshalb auch eifersüchtig wie der Scheol, der niemanden mehr hergibt. Wahre Liebe ist, wie es hier heißt, Feuergluten, vergleichbar mit einem Lavastrom, der alles in Brand setzt, verzehrt und durchdringt.
In Vers 7 heißt es: Große Wassermassen vermögen die Liebe nicht auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht. Wunderbar, denn wo wirklich Liebe ist, können Schwierigkeiten kommen – diese großen Wasser symbolisieren alle möglichen Arten von Schwierigkeiten und Problemen. Doch sie werden die Liebe nicht auslöschen, Ströme werden sie nicht überfluten.
Wir haben gerade wieder ein wenig von Überflutungen gehört und wissen, was das bedeutet: Zerstörung, unterspülte Fundamente, weggeschwemmte Häuser, nachhaltiger Schaden. Doch wo wirklich Liebe ist, passiert das nicht. Große Wassermassen vermögen die Liebe nicht auszulöschen.
Ich muss ehrlich zugeben, als ich das für mich selbst studiert habe, hat mich das ganz schön herausgefordert. Ich habe mir die Frage gestellt, zunächst im Hinblick auf meine eigene Ehe, aber dann auch darüber hinaus: Wie steht es um diese Qualität von Liebe in meinem Leben? Ist sie da?
Mich fordert das Hohelied heraus, wenn ich es lese. Am liebsten würde ich einfach sagen: Na ja, komm, let it be. Sulamit war halt ein bisschen naiv und gefühlvoll, so wie Frauen manchmal sind, und hat dann ein paar Sachen geschrieben, na ja, komm, so ist das eben. Aber das kann ich nicht machen, weil das Gottes Wort ist.
Ich habe gemerkt, dass ich dazu neige – und vielleicht ihr auch –, mich mit anderen in meiner Liebesfähigkeit zu vergleichen. Dann denke ich mir: Ach, so schlecht bin ich doch gar nicht. Und dann bin ich zufrieden. Aber wenn dann so eine Salomitsula-Beziehung daherkommt, wie eine Dampfwalze, die uns einfach mal zeigt, was wirklich Sache ist, so ein bisschen, wo der Hammer hängt, dann fürchten wir uns plötzlich und sagen: Ach, weißt du, für dieses Thema Leidenschaft, wahre Liebe, Romantik ist jetzt irgendwie keine Zeit.
Und ich glaube, das ist ganz, ganz falsch. Es ist deshalb falsch, weil Gott uns so leidenschaftlich liebt wie Salomo Sulamit. Du glaubst das nicht? Schade. Dann musst du Epheser 5 lesen, wo Paulus plötzlich sagt: Wenn ein Mann und eine Frau, wenn es da so richtig zwischen den beiden stimmt, dann ist das irgendwie ein Geheimnis. Ich weiß gar nicht, womit ich das vergleichen soll, wofür dieses Geheimnis stehen könnte.
Ich glaube, das Einzige, was mir einfällt, wo es noch einmal etwas Vergleichbares gibt – leidenschaftlich, intensiv, verzehrend, sich hingebend, alles investierend – das müsste ich mit Christus und der Gemeinde vergleichen. Und da merke ich auf einmal: Da ist eine Parallele. Offenbar sieht Paulus diese Parallele.
Ich tue mich schwer, möchte mich aber von dieser leidenschaftlichen Liebe anstecken lassen, weil wahre Liebe so wertvoll ist. Es heißt ja am Ende in Vers 7: Wenn ein Mann allen Reichtum seines Hauses für die Liebe geben wollte, würde man ihn nur auslachen. Du kannst diese Liebe nicht kaufen, sie ist so wertvoll. Du kannst sie tatsächlich nur geschenkt bekommen.
Die Frage an dieser Stelle ist, ob wir uns solche Liebe schenken wollen. Wohin ich möchte: Wir lesen hier von leidenschaftlicher Liebe füreinander. Und wir erleben untereinander gerade ein Stückchen Rückzug. Aber hier kommt jemand und sagt: Liebe, Liebe möchte sich verschenken. Liebe hat einen Zug hin zum Geliebten, sie kann gar nicht anders.
Wahre Liebe will sich investieren, will den anderen erkennen, will ihn lieben. Das passt nicht zu dem Ich-lebe-auf-meiner-einsamen-Insel-und-gehe-jeden-Sonntag-mal-runter-und-schau-mal, ob im Gottesdienst noch jemand sitzt, den ich mag, und dann gehe ich wieder auf meine einsame Insel-Mentalität.
Ich habe das Hohelied für mich studiert, um diese Vorträge vorzubereiten. Dabei habe ich zehn Punkte gefunden, in denen die Liebe zwischen Salomo und Sulamit uns als Vorbild dienen kann. An diesen Stellen merken wir, dass zwischen den beiden etwas passiert, und wir können uns ehrlich die Frage stellen: Passiert das bei uns auch?
Ich möchte euch eine abschließende Frage stellen: Was ist der höchste Ausdruck von Liebe zwischen zwei Personen?
Manchmal, wenn ich die Erfahrungen aus der Gemeinde betrachte, habe ich den Eindruck, dass der höchste Ausdruck von Liebe unter uns Kritik ist. Für mich steht das ganz oben. Ich liebe den anderen so sehr, dass ich, wenn ich in seinem Leben etwas sehe, das nicht stimmt, hingehe und es ihm sage. Dabei ist es egal, ob ich vorher eine Beziehung zu ihm hatte oder nicht. Das scheint mir der wichtigste Punkt zu sein.
Ein weiterer Bereich, in dem wir stark sind, ist praktische Hilfe. Wenn jemand umzieht, sind oft immer dieselben Leute zur Stelle, aber sie helfen. Was ich selbst von euch ganz besonders erlebt habe, ist die finanzielle Unterstützung. Wenn jemand in Not ist, überlegen wir, ob wir ihm helfen können. Wir sind freigiebig.
Wenn ich mir das Hohelied anschaue, muss ich sagen, dass das dort nicht so deutlich vorkommt. Der höchste Ausdruck von Liebe im Hohelied ist für mich: „You are so beautiful to me“ – Du bist so schön für mich. Das ist Liebe.
Ich finde es schön, wenn du mir Geld gibst, ich finde es schön, wenn du mir praktisch hilfst. Und wenn du Kritik an meinem Leben hast, ist das auch gut. Aber der höchste Ausdruck von Liebe, ganz oben im Hohelied, ist Bewunderung.
Wenn du das Hohelied studierst und alle Verse herausnimmst, in denen sie etwas in Liebe miteinander tun, und diese in zehn Punkte gruppierst, dann steht mit weitem Abstand ganz oben ein Punkt, der Liebe zur Liebe macht – wo Liebe überhaupt erst anfängt. Dieser Punkt lautet: Bewunderung.
Wir werden das sehen: Wenn ich dich anschaue, wenn ich deinen Charakter erlebe, bist du so schön, und ich möchte dir das sagen. Das ist Liebe. Und ich glaube, das ist erst einmal die wahre Liebe. Wir können über die anderen Dinge noch reden, aber an dieser Stelle passiert etwas Entscheidendes: Bewunderung.
Ich möchte fast sagen, Bewunderung ist der Inbegriff von Liebe. Das finde ich auch im biblischen Konzept schön: Was ich liebe, finde ich schön. Ich liebe nicht, was ich schön finde, sondern ich finde schön, was ich liebe.
Ich könnte euch jetzt Stellen aus dem Hohelied vorlesen, wo die beiden voneinander schwärmen, zum Beispiel:
„Du Schönste unter den Frauen, geh hinaus zu den Spuren der Herde, wie eine Stute an den Prachtwagen des Pharao vergleiche ich dich, meine Freundin. Anmutig sind deine Wangen zwischen deinen Schmuckkettchen, dein Hals mit der Muschelkette. Eine Blütentraube vom Hennerstrauch ist mir mein Geliebter auf den Weinbergen von Engedi. Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön, deine Augen sind Tauben. Siehe, auch du bist schön, mein Geliebter und hold, und unser Lager ist frisches Grün.“
Ich möchte euch jetzt nicht mit noch mehr solchen Passagen langweilen, aber sie finden sich immer wieder. Ich würde sagen, die Hälfte des Hohelieds besteht aus solchen Versen, in denen sie sagen: „Du bist schön“, „so beautiful“ – und sie meinen das wirklich so. Das ist nicht einfach nur ein Lied, nein, nein, nein, nein!
Liebe lebt davon, dem anderen zu sagen: Du bist schön. Wo Liebe gelebt wird, findet Bewunderung statt.
Das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die ich aus diesen 117 Versen des Hohelieds gezogen habe.
Wo Liebe gelebt wird, bleibt der Nächste ein Wunder. Er bleibt schön, besonders und bemerkenswert. Wo Bewunderung füreinander fehlt, wird der andere zum Objekt. Er wird vielleicht zu einer Nummer oder einem Fall, aber er verliert seine Persönlichkeit.
In dem Moment, in dem ich mir vornehme, den anderen zu bewundern und ihm das zu sagen – was mir an ihm gefällt –, da liebe ich. Und in diesem Moment lege ich es auf Beziehung an.
Bewunderung ist die Fähigkeit, den Nächsten mit den Augen Gottes zu sehen. Vielleicht sagst du: „Ich weiß gar nicht, was an dem Kerl so bewundernswert sein soll.“ Dann liegt das Problem nicht beim Nächsten, sondern daran, dass du keine Augen hast, zu sehen, wer da vor dir steht.
Vor dir steht ein Mensch, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, mit Begabungen und unendlichem Wert. Das Größte, was es überhaupt an Preis gibt, wurde für ihn bezahlt. Jemand, der sich müht, der kämpft, der charakterlich schön ist und Stärken hat. Oft können wir das nicht sehen. Wir sehen die Schwächen, aber nicht das Schöne.
Ich wünsche mir für mich selbst, dass ich lerne, mit den Augen Gottes den anderen in seiner Schönheit zu sehen. Und dann den Mund aufzumachen und dem anderen zu sagen, was an ihm schön ist, wo er heraussticht und was ich wahrnehme.
Soweit ich das sagen kann, ist das die Grundlage für eine tiefe, verzehrende Liebe. Es ist mindestens die Grundlage für eine gute Ehe. Das ist das absolute Ultraminimum.
Du sagst deiner Frau dreimal am Tag, dass sie schön ist. Du investierst dich, du freust dich an dem anderen, und du bist auch ehrlich und direkt. Das ist das Minimum.
Ich möchte dieses Prinzip übertragen und sagen: Unter uns ist es nicht anders. Wenn wir ohne Bewunderung miteinander umgehen, wird Liebe nicht wachsen.
Aber wenn wir anfangen, einander zu bewundern, wenn wir sehen, was im anderen schön ist, uns aufrichtig daran freuen und es ihm sagen – und ich habe das in meiner eigenen Ehe erlebt, als ich damit angefangen habe –, dann wächst tatsächlich Liebe.
John Cocker kann das vielleicht besser ausdrücken als ich: beautiful!
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