Was soll ich tun?

Konrad Eißler
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Wer zum Leben keinen Mut mehr hat, der frage mit dem reichen jungen Mann: “Was soll ich tun, damit ich ewig lebe?” Aber Jesus konsultieren und die Gebote akzeptieren reicht nicht. Wir werden getestet, ob wir kapitulieren und ob dieser Herr bei uns über alles geht. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Was soll ich tun, dass ich glücklich lebe? So fragt doch ein jüngerer Mensch. Er sieht, dass einem das Glück nicht unbedingt am Stiefel klebt. Viele sind geradezu vom Pech verfolgt. Soll ich mein Glück in der Ehe suchen und das Wagnis einer lebenslangen Bindung eingehen, oder soll ich es lieber mit einer Freundin versuchen und nur in freier Partnerschaft leben? Soll ich mein Glück in der Ferne suchen und mir den Duft der großen weiten Welt um die Nase wehen lassen oder soll ich lieber bei Muttern bleiben und nur spießig daheim hocken? Soll ich mein Glück im Geld suchen und mich vom Goldfieber anstecken lassen, oder soll ich lieber mit einem schäbigen Stundenlohn versuchen und auf keinen Fall ein elender Geizkragen werden? Was soll ich tun, damit ich glücklich lebe? Aber die Frage nach dem glücklichen Leben wird hier nicht gestellt.

Oder was soll ich tun, damit ich gesund lebe? So fragt doch ein nachdenklicher Mensch. Er merkt, dass einem die Gesundheit abhandenkommen kann. Viele haben mit Krankheiten zu kämpf­en. Soll ich meine Gesundheit mit Biokost pflegen und im Reform­haus die ungespritzten Lebensmittel einkaufen oder soll ich es lieber mit der Mäßigkeit halten und nur halbe Portionen zu mir nehmen? Soll ich meine Gesundheit mit Waldläufen pflegen und in Gottes freier Natur neue Kraft tanken oder soll ich es lieber langsam angehen lassen und regelmäßig die Füße hochlegen? Soll ich meine Gesundheit mit Medikamenten pflegen und die Tropfen, Kapseln, Tabletten regelmäßig schlucken oder soll ich alle Arzneien absetzen und auf die ganze Chemie verzichten? Was soll ich tun, damit ich gesund lebe? Aber auch die Frage nach dem gesunden Leben wird hier nicht gestellt.

Oder was soll ich tun, damit ich einfach lebe? So fragt doch ein zeitgenössischer Mensch. Er spürt, dass einem Einfachheit verschütt gehen kann. Viele kommen mit der Fülle nicht mehr zurecht. Soll ich meine Einfachheit im Radfahren zeigen und auf das schöne Auto pfeifen oder soll ich lieber umsteigen und nur noch einen Kleinwagen fahren? Soll ich meine Einfachheit in der Garderobe zeigen und die teuren Stücke verschenken oder soll ich lieber den Bestand auftragen und keine Boutique mehr betreten? Soll ich meine Einfachheit im Reiseverzicht zeigen und nur noch im Schönbuch oder Schwarzwald wandern, oder soll ich lieber in Drittländer reisen und mit denen dort einfach leben? Was soll ich tun, damit ich einfach lebe? Aber auch die Frage nach dem einfachen Leben wird hier nicht gestellt.

Der junge Mann fragt vielmehr: Was soll ich tun, damit ich ewig lebe? Diese Frage ist gut, denn was nützt ein glückliches Leben, wenn es doch nur auf einige Jährlein befristet ist? Was soll ich tun, damit ich ewig lebe? Diese Frage ist richtig, denn was nützt ein gesundes Leben, wenn es doch nur vom Schnitter Tod kassiert wird? Was soll ich tun, damit ich ewig lebe? Diese Frage ist notwendig, denn was nützt ein einfaches Leben, wenn es schlussendlich einfach aus ist? Der junge Mann will ganz leben und sich nicht mit einem Achtel oder einem Viertel abspeisen lassen. Der junge Mann will richtig leben und sich nicht mit Teilaspekten genügen lassen. Der junge Mann will Leben in seiner ganzen Fülle. Und wer dies auch will, weil er am Leben verzweifelt ist, weil er im Leben enttäuscht worden ist, weil er zum Leben keinen Mut mehr hat, weil er über allem Erleben bekennen muss: “Das ist doch kein Leben mehr!”, der frage mit ihm: Was soll ich tun, damit ich ewig lebe? Drei Antworten höre ich heraus.

1. Konsultiere!

Konsultieren heißt befragen. Dieser junge Mann war wach. Er kannte den kirchlichen Betrieb. Im Jerusalemer Tempel wimmelte es von Seelsorgern. Er hätte also zum Rabbi gehen können und ihn zum ewigen Leben befragen. Dem wäre speziell zu diesem Thema eine ganze Bibliothek von Schriftrollen zur Verfügung gestanden und die seelsorgerliche Aussprache hätte eine lange Nacht in Anspruch genommen. Aber der junge Mann ging nicht zum Rabbi. Außerdem war er groß. Als Oberster, wie er bei Lukas bezeichnet wird, hatte er studiert. In der Gelehrtenschule fühlte er sich zuhause. Er hätte also zum Philosophen gehen können und mit ihm über ewiges Leben reden. Der wäre über seine stoischen Weisheiten ins Schwärmen geraten und hätte ihn umfassend orientiert. Aber der junge Mann ging nicht zum Philosophen. Dann war er klug. Der kleinasiatische Städtename Laodicea sagte ihm viel. Dort gab es eine weltberühmte medizinische Akademie. Er hätte also zum Mediziner gehen können und mit ihm über ewiges Leben diskutieren. Der hätte ihm sofort eine lebensverlängernde Wasserkur im benachbarten Heilbad Hierapolis verordnet und ihm die neuesten Produkte aus der Pharmaindustrie Laodiceas verschrieben. Aber der junge Mann ging nicht zum Mediziner. Wohl waren das alles gute Adressen, aber nicht die richtige Adresse. Rabbinische Theologie in allen Ehren, aber bei diesem Kapitel ist sie überfordert. Stoische Philosophie in allen Ehren, aber bei diesem Problem muss sie passen. Phrygische Medizin in allen Ehren, aber bei diesem Fall muss sie ihr “ignoramus” (“wir wissen nicht”) bekennen. Bis heute gibt es keine neuen Adressen, die in Sachen “ewiges Leben” kompetent wären. Die asiatischen Gurus mit ihren Wiedergeburtslehren und die europäischen Naturapostel mit ihren Gesundheitsrezepten und die amerikanischen New-Age-Sirenen mit ihrer Zukunftsmusik sind morgen schon wieder außer Mode.

Der junge Mann ging zu Jesus. Dort beugte er sich. Dort fiel er nieder. Dort stellte er die bedrängende Frage: “Was soll ich tun, damit ich ewig lebe?”

Jesus ist der Fachmann für Leben, der sagt: “Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen.” Jesus ist der Wegweiser zum Leben, der sagt: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.” Jesus ist das Leben selbst: “Ich bin die Auferstehung und das Leben.” Wer in Sachen Leben Bescheid wissen will, der diskutiere und meditiere und recherchiere nicht, sondern der konsultiere ihn. Das ist die erste Antwort.

2. Akzeptiere!

Akzeptieren heißt annehmen. Dieser junge Mann war auch fromm. Schon als Bub hatte er die Gebote Gottes gehört und gelernt. Und mit 16 packte er sie nicht mitsamt seinem Kinderglaub­en weg, um nach eigenen Spielregeln die Regie seines Lebens zu übernehmen. Er blieb bei dem Grundgesetz Gottes. Er wusste, das ist die Leitplanke an den gefährlichen Kurven meines Lebens, die mich vor dem Absturz bewahren kann. Er merkte, das ist der Mittelstreifen auf dem Weg zum Leben, der mich vor der Kollision schütz­en kann. Er glaubte, das ist die Ampel an der Kreuzung, die rechtzeitig Rot gibt und mich stoppen kann.

Es ist geradezu böswillig, diese Gottesgebote als lästiges Joch, als autoritäres Druckmittel oder als überholte Moralvorstellung abzutun. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind keine Freudenverbote, sondern Lebensangebote zum Beispiel für die Gestressten, die von Montag bis Freitag im Geschäft stehen und am Wochenende noch tausend Dinge erledigen wollen. “Du sollst den Feiertag heiligen.” An dem Segen des Sonntags ist einfach etwas dran. Lebensangebote zum Beispiel für die Heranwachsenden, die mit ihren Eltern übers Kreuz kommen und am liebsten die Koffer packen würden und eine eigene Bude beziehen: “Du sollst Vater und Mutter ehren.” Mit Ehrerbietung ist noch keiner schlecht gefahren. Lebensangebote zum Beispiel für die Ungeborenen, die unter dem Herzen der Mutter heranwachsen und durch 1000 Schwangerschaftsabbrüche pro Arbeitstag in der Bundesrepublik aufs höchste gefährdet sind: “Du sollst nicht töten.” Der § 218 in seiner jetzigen Form ist eine schwere Hypothek auf unserem Volk. Lebensangebote zum Beispiel für die Verheirateten, die ihre Ehe satthaben und mit einem Freund die fehlende Liebe suchen: “Du sollst nicht ehebrechen.” Alternative Eheformen zerstören die menschliche Gesell­schaft. Lebensangebote zum Beispiel für Meinungsmacher, die mit Sensationen die Öffentlichkeit suchen und sehr schnell im Urteilen, Verurteilen oder Vorverurteilen sind: “Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.” Rufmord, Ehrabschneiderei, Denunziation sind Metastasen eines üblen Krebsgeschwürs.

Gottes Gebote sind keine Freudenverbote, sondern Lebensangebote

Also zehnmal Ja zum Leben, zehnmal Hilfe zum vollen Leben, zehnmal Wegbegleitung zum ewig­en Leben. Kein Wunder, dass der junge Mann bekennt: “Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.” Wer in Richtung Leben marschieren will, der negiere und retuschiere und manipuliere nicht, sondern der akzeptiere die Gebote. Das ist die zweite Antwort, aber sie reicht immer noch nicht aus. Auch durch das pünktliche Einhalten der Gebote erreicht kein Mensch das letzte Ziel, weil wir immer hinter den Forderungen zurückbleiben. Deshalb noch eine dritte Antwort:

3. Kapituliere!

Kapitulieren heißt sich übergeben. Dieser junge Mann war also wach, groß, klug, fromm - und reich. Ob er gut gearbeitet, gut geheiratet oder gut geerbt oder alles drei miteinander gut gemacht hat, wissen wir nicht. Jedenfalls hatte er schon in jungen Jahren sein Schäflein im Trockenen. Ihm fehlte nichts. Und Jesus sagt ihm: “Eines fehlt dir. Geh hin und verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen.” Jetzt zuckt er zusammen. Ist das ein elftes Gebot für Leistungsträger - alles verscherbeln? Ist das ein Sondergesetz für Superfromme - alles verramschen? Ist das die Spitzenleistung für die ewigen Sieger? Nein, Jesus führt keine Sonderprüfung für Betuchte ein. “Verkaufe alles, was du hast” ist ganz schlicht ein Test. Am ersten Gebot soll getestet werden, ob er Gott über alle Dinge fürchtet, über alle Dinge liebt, über alle Dinge vertraut, über alle Dinge. Gott will nicht unter “ferner liefen” in unsere Gedanken eingereiht werden, sondern will den ersten Platz in unserem Denken einnehmen. Er will nicht nur an der Peripherie unseres Lebens eine Rolle spielen, sondern im Zentrum beheimatet sein. Er will nicht nur eine registrierbare Loyalität feststellen, sondern einen ganzen Gehorsam spüren.

Deshalb ist das der Test auch für uns. Nicht darauf kommt es an, ob wir alles weggeben. Nicht jeder ist Franz von Assisi oder Petrus Waldus. Paulus sagt: “Wenn ich meine ganze Habe den Armen gäbe und hätte die Liebe nicht, dann wär’s nichts nütze.” Aber danach werden wir getestet, ob dieser Herr bei uns über alles geht. Vielleicht denken Sie einen Augenblick an das Liebste in Ihrem Leben. Denken Sie an Ihre Familie, an Ihre Frau, an Ihr Kind. Denken Sie an Ihr Grundstück, ihren Garten, an Ihr Haus. Denken Sie an Ihren Schmuck an Ihre Wertpapiere, an Ihr Geld. Denken Sie daran und dann frage ich Sie: Könnten Sie dieses um Jesu willen lassen? Er will nur solche, die ganz sein sind oder es ganz sein lassen.

Natürlich befiehlt er das nicht. Er kommandiert so etwas nicht. Von irgendeinem Zwang kann gar keine Rede sein. “Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb.” Er liebte den Wachen, der im Tempel großgeworden war. Er liebte den Großen, der an der Universität studiert hatte. Er liebte den Klugen, der einen weiten Horizont besaß. Er liebte den From­men, der sich im Gesetz auskannte, er liebte den Reichen, der so viele Güter besaß, so wie er heute den Starken liebt, der sein Leben selber meistern will, so wie er heute den Schwachen liebt, der am Ende seiner Kräfte vegetiert, so wie er heute den Traurigen liebt, der über den Verlust eines Lieben nicht hinwegkommt, so wie er heute den Verzweifelten liebt, der einfach keinen Ausweg mehr sieht. Jesus sieht jeden an und gewinnt ihn lieb. Keiner muss ungeliebt seines Weges ziehen. Seine Liebe ist so überwältigend, dass sie jeden überwältigen will.

Der junge Mann schlich sich heim­lich, still und leise davon. Der Einsatz einer ganzen Hingabe war ihm für das ewige Leben zu hoch. Aber ohne die Kapitulation geht es nicht: “Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.”

Amen


[Predigt-Manuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]