Ein anderer Blick auf das Christenleben
Sie kennen doch Josef Augstein, den Herausgeber des Spiegels. Vor einigen Jahren hat er in der Berliner Kongresshalle einen Vortrag gehalten mit dem Titel „So stelle ich mir die Christen vor“.
Wie stellt man sich Christen vor? Energiegeladen, sprühend, witzig, fröhlich, charmant, glänzend, die viel können, die etwas erreichen, die die Welt verändern und Frieden halten.
Der Apostel Paulus musste sich ebenfalls mit Menschen auseinandersetzen, die eine genaue Vorstellung davon hatten, wie das Christenleben glänzen müsse. Doch er sprach ganz anders darüber.
Ich lese aus 2. Korinther 12. Wir sind ja am regulären Predigttext des Sonntags in der Sechstagewoche, im Anhang unseres Gesangbuches, falls Sie mitlesen möchten. Es ist wichtig, dass wir das Bibelwort vor Augen haben: 2. Korinther 12.
„Gerühmt muss werden“ – so will Paulus sagen: Wenn ein Augstein so große Sachen von seinen Idolchristen erzählt, dann muss auch ich ein wenig prahlen, um mithalten zu können.
„Gerühmt muss werden, auch wenn es nichts nützt.“ So will ich zu den Gesichtern und Offenbarungen des Herrn kommen.
Jetzt spricht er von eigenen Erlebnissen. Weil diese im Glauben aber leicht eine falsche Wirkung erzielen können, erzählt er es in der dritten Person:
„Ich kenne einen Menschen in Christus vor vierzehn Jahren. War er im Leib? Ich weiß es nicht. Oder war er ekstatisch außerhalb des Leibes? Ich weiß es auch nicht. Gott weiß es. Der Mensch wurde entrückt bis an den dritten Himmel.
Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib war oder außerhalb, ich weiß es nicht, Gott weiß es –, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die ein Mensch nicht sagen darf.“
Von demselben will ich mich rühmen, von mir selbst aber will ich nichts rühmen, nur meine Schwachheit.
Denn wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht, denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit mich niemand höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.
Und damit ich mich nicht überhebe wegen der hohen Offenbarungen, ist mir ein Pfahl ins Fleisch gegeben, nämlich ein Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlägt, damit ich mich nicht überhebe.
Dreimal habe ich zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Doch er hat zu mir gesagt: ‚Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in Schwachen mächtig.‘
Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi bei mir wohne.
Deshalb bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen, in Ängsten – um Christi willen.
Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark in Jesus.“
Herr, lass uns auch über unsere Schwachheit froh werden! Amen!
Die Realität der Schwäche im Leben
Vor 14 Tagen konnte ich zu Beginn des Gottesdienstes ein paar Personen da hinten begrüßen und ihnen die Hand geben. Es war schön, wenn man so ein paar Worte miteinander wechseln kann.
Was sagt man da so? „Grüß Gott, wie geht’s?“ Natürlich antwortet man: „Wunderbar!“ Und dann frage ich zurück: „Wie geht es Ihnen?“ Ein Mann, der gerade hereinkommt, antwortet: „Scheußlich, ihr habt furchtbaren Ärger.“
Ich frage weiter: „Ja, aber worüber ärgern Sie sich heute Morgen schon?“ Daraufhin sagt er: „Über mich.“ Er dreht sich um und setzt sich auf seinen Platz.
Ich war so glücklich, dass hier einmal jemand protestiert hat und sagte: „Mogelt euch doch nicht so fromm. Immerhin geht es um alles, und redet doch nicht über alle möglichen Themen. Meine Not heute Morgen ist, dass ich an mir selbst Not habe.“
Er hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich wollte doch so gern Großes leisten, aber ich kann es nicht. Ich wollte doch viel weiter wirken, ich wollte doch viel mehr mit meinem Leben anfangen. Doch ich lebe in dieser engen Begrenzung.
Ich möchte meine Predigt heute überschreiben mit dem Titel: „Wieder das fromme Mogeln.“ Mein erster Punkt lautet: Tatsachen radiert niemand aus.
Tatsachen radiert keiner aus
Tatsachen radiert keiner aus. Wenn wir jetzt miteinander einen schönen Naturfilm ansehen würden – also, wir könnten uns das vorstellen –, dann könnten wir zum Beispiel die Pazifikküste von Amerika sehen, wie die Wellen dort am Sand auftreffen. Ein wunderbarer Naturfilm! Wir wären alle hingerissen von den Schönheiten der Welt.
Aber wenn nachher wieder das Licht angeknipst wird und wir nach Hause gehen, dann ist alles wie vorher. Daheim warten wieder die Aufgaben auf mich. Daheim sind die schwierigen Menschen, mit denen ich zusammenleben muss. Daheim spüre ich wieder meinen schlechten Gesundheitszustand. Daheim ist die Angst wieder da, die Sorgen und all das, was mich bedrückt.
Man kann wunderbare Ausflüge machen – in Gedanken. Man kann herrliche Naturbilder sehen. Man kann sogar solche religiösen Ausflüge machen, zum Beispiel in einem Gottesdienst. Der kann uns erheben, und wir gehen heraus und sagen: „Das war wunderschön, ein Erlebnis ohnegleichen.“ Doch wenn wir zu Hause sind, ist alles wieder da.
Wer von uns hat es eigentlich nicht? Wer hat nicht schwere Lasten auf sich liegen? Wer das schon oft erlebt hat, denkt manchmal: „Ich gehe lieber gar nicht mehr hin.“ Dann wird die Kluft umso größer und umso bedrückender, was ich zu tragen habe.
Tatsachen radiert keiner aus. Man kann sich darüber hinwegmogeln, aber weg sind sie nicht. Ich möchte Ihnen sagen: Gott sei Dank sind sie nicht weg. Sie müssen einmal in Ihrem Leben alles aufarbeiten. Und dazu reden wir hier, und dazu hilft Ihnen allein Ihr Glaube.
Der Apostel Paulus sagt: Ich habe auch in meinem Leben große Dinge erlebt, die vergleichbar sind mit einem solchen wunderbaren Ausflug, den man mit Gedanken machen kann. Ich habe eine Vision, eine ekstatische Vision gehabt. Ich bin bis ins Paradies entrückt gewesen.
Er hat über diese Dinge nur einmal gesprochen, kurz bei seiner Gefangennahme, auch in Jerusalem den Juden gegenüber. Aber das war das Heiligste seines Lebens, so wie Sie Dinge erfahren haben, als Sie ganz unerwartet Gebetserhöhung erlebten oder als Gott in besonderer Weise zu Ihnen sprach.
Es gibt solche tiefen Erfahrungen, die wir vor anderen gar nicht ausbreiten, weil sie das ja gar nicht richtig verstehen können. Und der Apostel Paulus sagt: Von diesen Sondererlebnissen möchte ich gar nicht reden. Sie sind für mich wertvoll und schön, aber die Tatsachen interessieren mich in meinem Leben.
An den Tatsachen kommt man nicht vorbei, und an den Tatsachen bleibe ich immer wieder stehen. Und ich bin so froh, dass keiner die Tatsachen ausradiert. Über sie muss gesprochen werden, und die legt er auf den Tisch.
Die Tatsache heißt: Ich bin schwach. Während die anderen kühn protzen können und Großes davon reden, was ein Christ alles kann, sagt Paulus: Mal langsam, mal langsam, jetzt reden wir von dem, was in meinem Leben als Tatsache da liegt.
Dann redet er von diesen verborgenen Dingen: von meiner Angst, von meiner Sorge, von meinem Kleinglauben, von meiner Erfolglosigkeit, von meinen Enttäuschungen, von meinen Tränen, die niemand weiß, und von meiner Einsamkeit.
Ich kann so schön reden über Liebe. Wir können hier einen Lobpreis der Liebe halten und darüber sprechen, was es ist, wenn man in der Liebe lebt und sich tatkräftig der Not des Nächsten annimmt.
Aber wenn ich nach Hause komme und ich sehe genau die Menschen, die um mich herum wohnen, die schon lange nichts von dieser Liebe spüren, dann hilft das nichts.
Und wenn wir hier groß reden – wir sagten das schon am letzten Sonntag – über die Welterneuerung und über die Gerechtigkeit, und mich klagt doch mein Gewissen immer an, dass ich gar nicht gerecht bin.
Tatsachen radiert keiner aus. Gott sei Dank müssen wir uns diesen Tatsachen stellen.
Die Herausforderung, die eigene Schwäche anzunehmen
Da sind wir beim zweiten Punkt: wagt den Blick in die Tiefe. Der Apostel Paulus muss sich auseinandersetzen, und in solchen Gesprächen und Diskussionen besteht immer wieder die Gefahr, dass wir anderen gegenüber auf große, schöne und erfolgreiche Dinge verweisen. Doch Paulus wusste um diese Gefahr. Er sagte: „Immer müsst ihr es wissen, mein Leben ist gezeichnet von Schwäche.“
Wenn Sie sich jetzt zu Ihrem Nachbarn umdrehen oder zu mir hochschauen, dann müssen wir uns einmal richtig betrachten – wir, die Christen sind. Unser Leben ist gezeichnet von Schwäche und peinlichen Enttäuschungen. Wir erleben das immer wieder bei jungen Menschen, die aus der Gemeinschaft ausbrechen, weil sie Enttäuschungen erleben. Vielleicht, weil sie viel verlacht werden, auch im Kreis ihrer Kameraden, weil sie nicht so geschickt sind im Umgang oder im Sport.
Da finde ich es großartig, dass Paulus sagt: Reden wir doch nüchtern davon! Unser aller Leben ist gezeichnet von Schwäche, von Versagen und von Enttäuschungen. Paulus wollte doch als Prediger weit wirken, er wollte Erfolg haben und Anerkennung. Schön, dass Sie da sind und wir eine volle Kirche haben. Aber stellen Sie sich mal vor, die Kirche wäre halb voll oder nur zu einem Viertel gefüllt, vielleicht wären nur noch vier Leute da. Das hat Paulus durchmachen müssen, und wer weiß, ob wir das nicht auch noch durchmachen müssen.
Er hatte viel Misserfolg. Als er in Lystra predigte, hat er alles richtig gemacht. Paulus war natürlich viel netter als wir, viel mehr von Liebe und viel verständnisbereiter für die Menschen, viel geduldiger – und trotzdem haben sie ihn gesteinigt, und er konnte nur noch fliehen aus Lystra. In Korinth konnte er nur im Tumult entkommen. Da ist es so leicht, wenn jemand sagt: „Wir müssen eben Liebe ausstrahlen.“ Paulus sagt: „Ich wollte Liebe ausstrahlen, und ich brachte es nicht fertig, Disharmonien zu überwinden.“ So wie wir, wo es Spannungen gibt und nichts geschieht.
Es ist so schön, wenn andere sagen, es muss harmonisch sein unter Christen. Paulus hat auch darunter gelitten, insbesondere unter dem Apostelkonzil, wo es Spannungen gab zwischen Petrus und ihm. Sie gerieten hart aneinander. Er war doch nicht stolz darauf. Andere sagten: „Er ist ein Choleriker.“ Aber er hat darunter gelitten. Er wusste, er kann nicht anders, denn sein Gewissen ist gebunden, und doch muss er diesen Weg gehen.
Sogar mit seinem besten Freund, Barnabas, der ihn einst in die Gemeinde in Antiochien geholt hatte, musste er sich entzweien. Es ging um die Frage, wie man einen jungen Mitarbeiter namens Markus richtig behandelt. Verstehen Sie, wie sehr Paulus an seiner Amtsführung gelitten hat? Er wollte doch ein besserer Christ sein, der das auch verwirklicht und kann.
Und er sagt doch: „Liebe Korinther, das müsst ihr lernen, anders kommt ihr nicht zum Glauben.“ Wagt den Blick in eure Tiefe, in die Tiefe eures Lebens, lotet euren Charakter aus. „Ich bin schwach, ich bin schwach, ich habe Misserfolg, ich lebe in Enttäuschungen.“ Soll niemand höher von mir denken, als er sieht.
Deshalb rede ich nicht so viel von meinen Gebetserhörungen und von meinen frommen Erkenntnissen. Stattdessen spreche ich viel über meine notvollen Enttäuschungen. Wunderbar, dass uns Paulus so tief in seine Not blicken lässt.
Manche meinen, Paulus habe an einer besonders schweren Krankheit gelitten. Sie haben sich Gedanken gemacht, um was es sich handeln könnte. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Es könnte natürlich sein.
Die Kranken hören heute unsere Predigt mit, und wir grüßen sie an ihren kranken Betten. Sie müssen das auch einmal mitleiden, diesen Blick in die Tiefe. Ich verstehe, dass kranke Menschen oft sagen: „Ach, hoffentlich habe ich es bald hinter mir.“ Sie denken immer nur daran, die Schwäche zu überwinden und merken gar nicht, dass Gott es als den Normalzustand für uns bemessen hat, schwach zu sein.
Ich verstehe auch, dass 85-jährige Menschen nicht aufhören wollen zu arbeiten, weil sie sich betäuben wollen und nicht wissen, dass vor Gott letztlich alles Schwäche ist. Und ein junger Mensch, der voller Energie sein Leben in die Hand nimmt und sich an unermesslichen Möglichkeiten freut, stößt bald auch auf diese Schwachheit.
Es gibt keine Jugendentwicklung, ohne das Spüren, dass man seine eigenen Körpertriebe nicht bändigen kann, dass sie einem viel Not machen und dass man ein zerrissener Mensch ist. Wenn man älter wird, fangen die Nerven an, einem die Grenze zu zeigen. Alles Reden über andere Themen ist doch ein Drüberwegmogeln über diese Dinge, die Paulus aufdeckt: „Ich bin schwach.“
Wenn ein Kranker sich nicht hineinfallen lassen kann, gehört natürlich auch ein Wille zur Gesundung dazu. Der ist auch gerechtfertigt. Wenn ein Kranker nicht mitmacht bei seiner Gesundung, wissen das die Ärzte, dann kann man ihn nicht heilen. Aber es gibt auch dieses Anrennen, bei dem man sich nur Beulen holt und sich selbst Schmerzen zufügt, wenn man gegen eine Wand rennt. Denn: „Ich bin einmal schwach und bekomme nicht mehr die Kraft von früher.“
Paulus sagt: „Ich bin schwach, wage den Blick in die Tiefe, mir ist gegeben ein Pfahl ins Fleisch, der mich mit Fäusten schlägt.“ Es kann natürlich Krankheit sein. Das ist bei jedem von uns verschieden. Es könnte genauso ein Mensch sein, der uns mit Fäusten schlägt und uns Not macht. So war es bei Paulus der Pfahl im Fleisch, den Gott ihm nicht wegnahm. Oder Schwierigkeiten im Beruf, an denen wir fortwährend zerbrechen und müde werden.
Natürlich wollte ich gern ein strahlender Christ sein, aber in diesen Verhältnissen, in diesen Aufgaben, in dieser Gemeinde, mit den Freunden zusammen, mit diesem Leib – das ist der Pfahl im Fleisch.
Paulus sagt: „Wagt den Blick in die Tiefe, mir ist gegeben der Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlägt, damit ich mich nicht überhebe.“ Das Gefährlichste ist, darüber hinwegzumogeln. Das Gefährlichste ist, wenn Menschen meinen, Christsein bedeute, man könne seine Schwäche überspielen. Paulus sagt, dass man bis an sein Sterbebett an seiner Schwachheit steht.
Wir wollen keinen Hehl daraus machen, dass wir auch in der Kraft unseres Glaubens nicht an Gräbern stehen können, als seien wir die lebendigen Denkmäler Gottes. Sondern unser Herz zerbricht eben auch, wie bei allen anderen Menschen.
Wir wissen auch, dass die Liebe erkalten kann, wie wir am Anfang unseres Liedes gesungen haben: „Morgen Glanz der Ewigkeit“. Paulus sagt: „Ich bin froh“, und das muss immer heraus, wie er zu Beginn des Gottesdienstes sagt. „Ich ärgere mich an mir.“ Warum? Weil er sich freut, dass Herr Jesus Christus ihm heute Morgen seine Begnadigung zuspricht, dass es heute Morgen offenkundig wird: „Dich habe ich angenommen, dich habe ich lieb, dir vergebe ich deine Schuld.“
Und dieses Kreuz, das in der Mitte unserer Kirche steht, dürfen wir nie vergessen: Meine Schwachheit hat er angenommen, mich hat er geliebt in meinem Versagen. Er kennt meine geringe Kraft, er weiß, wie wenig ich ausstrahle, und mich ruft er, mich will er haben, mich braucht er.
Das sollen wir heute in diesem Gottesdienst hören: „Lass dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in Schwachen mächtig.“ Er ruft uns, er will uns haben, er braucht uns.
Die Kraft Gottes in der Schwäche
Da sind wir beim Letzten. Er ist stärker als unsere Schwäche.
Darf ich noch einmal rekapitulieren? Wir sprachen davon, nicht hinwegzumogeln, nicht fromm hinwegzumogeln. Das Erste war: Tatsachen kann man glücklicherweise nicht ausradieren. Und zweitens: Wagt den Blick in die Tiefe, wagt den Blick in die Tiefe.
Und nun noch das Letzte: Er ist stärker als unsere Schwäche, er ist stärker als unsere Schwäche. Paulus sagt: In meinem Leben gehe ich nicht von meiner Schwäche aus. Er eilt weiter als ein Missionar und stellt sich Aufgaben, die eigentlich ein Mensch mit seiner geringen körperlichen Kraft gar nicht bewältigen kann.
Er stellt sich den Aufgaben und erlebt, dass die Kraft Jesu in seinem sterblichen Leib mächtig wirkt. Das werden wir ja in der Gemeindearbeit oder dort, wo Sie sind – in der Krankenpflege oder wo Sie Dienst tun, in der Familie – fortwährend merken. Manchmal sind wir ganz depressiv und niedergedrückt über die Erfahrungen unseres Unvermögens.
Und auf einmal lernen wir das wieder: still zu werden und die Knie zu beugen. Ich halte viel vom knienden Gebet, das haben Sie vielleicht schon gemerkt. Denn das ist eine Haltung vor Gott, in der der stolze, große Mensch niederkniet, die Füße einzieht und den Kopf beugt.
Auf einmal merkt man, wie sich Schwierigkeiten lösen können, wie Türen aufgehen. Es gibt gar keine erfolgreiche Jugendarbeit im Namen Jesu in der ganzen Welt, die man anders betreiben kann. Vielleicht kann man vor zwei Jahren einen interessanten Betrieb aufziehen. Aber ob wirklich Menschen zum Glauben kommen, ob Mitarbeiter gewonnen werden, ob es Dienstbereitschaft gibt – das kommt immer nur dort, wo Menschen im Bewusstsein ihrer Schwäche auf Jesus blicken.
Mir ist das so wichtig, auch für uns als Ludwig-Hofacker-Gemeinde, ob wir so unsere ganze Gemeindearbeit verstehen. Dass wir doch nie darüber andere Gedanken machen, dass wir auf allen Gebieten unfähig sind und da so viel schlecht ist, aber dass wir Jesus bei seinen Verheißungen und Versprechungen nehmen dürfen.
Mir scheint das so eine Gefahr in unseren Tagen zu sein, dass Christen zu viel Selbstgefühl haben, zu viel von ihrer Kirche reden, von ihrem Vermögen, von diesen Christen, die dort wirken. Anstatt von Jesus, dem Sohn Gottes, zu reden, der Schwache stark macht.
Als Gideon berufen wurde, das Volk Israel zu befreien, da hat er 30.000 Soldaten auf die Füße gebracht. Das war eine Sache. Und dann sagt Gott: Das Volk ist zu viel. Er schickt sie weg, zuerst diejenigen, die müde und verzagt sind. Zehntausend bleiben übrig. Das Volk ist noch zu groß.
Dann bleiben 300 Mann übrig. Und als Führer einer, der sagt: „Mein Geschlecht ist das geringste in Manasse, und ich bin der Jüngste in meines Vaters Hause.“ Gott erwählt ihn zum Zeugnis. So ruft er sie als Schwachen, weil er durch sie große Siege tun will.
Das ist eine Frage an die Christenheit und an ihr eigenes Leben, an ihre Schwächen. Ob Sie erkennen, was Gott aus Ihrem Leben machen will, dass Sie wirken können in Ihrer Schwachheit, aber berufen von ihm!
Ludwig Hofacker als Vorbild der Schwachheit und Kraft
Was soll ich jetzt anderes tun, als noch von Ludwig Hofacker zu sprechen, wo wir in dieser Kirche sind, die seinen Namen trägt? Gott hat vor 150 Jahren die Erweckung durch einen Mann geschenkt, den man mit 28 Jahren pflegen musste – genauso wie hier. Nur ganz schwer bettlägerige Kranke konnten so gepflegt werden.
Dieser Mann konnte kaum auf der Kanzel stehen, und seine Stimme war kaum zu verstehen. Doch seine einzige Botschaft war dieses Wort von Paulus: „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Er wusste, dass Gott auch für ihn der Gott ist, der ihn aus dem Tod gerissen hat.
Und dann hat er es gewagt und hat den Schrei getan – für die kurze Zeit seines Lebens, die ihm noch blieb. Gott konnte wirken: „Lass dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in Schwachen mächtig.“ Lassen Sie sich doch daran genügen.
Paulus sagt: „Ich bin so unheimlich fröhlich“, obwohl er in großer Gefahr stand, ja in Todesgefahr. Kein Mensch musste so tiefe Abgründe durchleben wie Paulus, keiner von uns hier. Keiner war so verlassen von Freunden wie er, keiner war wahrscheinlich körperlich so angeschlagen wie er.
Und dann sagt er: „Ich bin guten Mutes in Misshandlungen, in Schwachheit, in Nöten.“ So gehen Sie doch heute Mittag bei einem Kranken in Ihrer Nachbarschaft vorbei und versuchen ihm das einmal zu erklären: „Ich bin fröhlich, auch in Schwachheit, auch wenn ich liege, auch wenn ich nicht aufstehen kann, in Ängsten um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark in Jesus.“
Dann kann er wirken. Dann kann ich mich nur wie einer, der sonst gar nichts mehr kann, an ihn festkrallen und ihm vertrauen. Amen!
Gebet und Segen
Wollen beten! Herr, das ist Hochmut, wenn wir oft vor dir stehen und deinen Namen in Anspruch nehmen. Herr, das ist Hochmut, an dem wir oft genug zerbrochen sind, wenn wir an die Aufgaben gegangen sind, die du uns gestellt hast.
Wir wollen dir, wenn auch unter Schmerzen, danken, dass du uns zerbrochen hast. Und dass wir in großer Not oft genug zu dir gekommen sind – mit unserer Kraft, mit unserem Vermögen, mit unseren Worten, die wir gesprochen haben, mit unseren Diensten, mit unseren Veranstaltungen, die wir planten, und mit unserem Betrieb, den wir machten.
Lehre uns diesen einen Glauben, der an dir und deinen Verheißungen hängt und nur dir vertraut. Gib uns immer wieder diese Blickrichtung miteinander, damit wir uns daran halten und uns gegenseitig ermuntern.
So wollen wir uns auch von dir neu senden lassen in diese Woche hinein, in all die Aufgaben, die vor uns stehen. Wir bitten dich für alle, die in deinem Namen tätig sind – in der Diakonie, im Predigtamt, in der Kirchenleitung, in der Mission und an den Ausbildungsstätten. Gib ihnen das Wissen um die Vollmacht, die von dir kommt.
Wir danken dir, dass wir immer wieder zu dir umkehren dürfen und neu deine Vergebung in Anspruch nehmen können. Sei jetzt auch bei denen, die nicht unter uns sein können. Richte sie auf und lass sie wissen und hören, dass deine Kraft in Schwachen mächtig ist.
Lasst uns gemeinsam beten: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Nun wollen wir um den Segen Gottes bitten: Herr, segne uns und behüte uns. Erlaß dein Angesicht, leuchte über uns und sei uns gnädig. Herr, hebe dein Angesicht auf uns und gib uns Frieden!
