Herr Präsident, verehrte liebe Brüder und Schwestern!
Es ist eine große Ehre für einen Schwaben, bei Ihrer Jubiläumskonferenz sprechen zu dürfen. Wir fühlen uns wahrscheinlich schon seit der Zeit von Christian Friedrich Spittler eng verbunden und sind dankbar für alle Hilfe, die uns von Ihnen, Edgar, von Bruder Klaus Haag und vielen anderen in all den schwierigen Jahren zuteilwurde.
Es ist erstaunlich, dass wir heute wieder ein Verhältnis zur Geschichte entwickeln. Vor zwanzig Jahren war das noch undenkbar. Zurzeit werden sehr viele Jubiläen gefeiert. In Württemberg haben wir im letzten Jahr den 250. Geburtstag von Philipp Matthäus Hahn begangen. In diesem Jahr begehen wir seinen zweihundertsten Todestag.
Philipp Matthäus Hahn war ein genialer Erfinder der Himmelsmaschinen, die den Lauf der Planeten darstellen, sowie großartiger Uhren. Er hat die gesamte Wagenindustrie um Mettingen und Ebingen mitbegründet, die heute Tausenden von Menschen Arbeit gibt.
In seiner Jugendzeit versuchte Philipp Matthäus Hahn, der geniale Pfarrer, Pietist und Erfinder, ein Perpetuum mobile zu erschaffen. Nach einigen Jahren gab er jedoch auf und stellte fest, dass ständige Bewegung ein Unding ist. Bewegung gibt es nur, wenn es neue Anstöße gibt.
Wie ein Körper sich bewegt, wenn er einen Anstoß erhält, so werden auch Seelen durch die Impulse bewegt, die Gott gibt. Wenn wir uns heute an das erinnern, was Christian Friedrich Spittler für Sie und Ihr Werk in der ganzen Schweiz, im Elsass, in Baden und in Württemberg bedeutet hat, dann wollen wir nicht allein von dieser Tradition leben. Wir brauchen die Impulse des Herrn, der auch Christian Friedrich Spittler bewegt hat.
Nichts läuft von selbst. Ständige Bewegung ist ein Unding.
Drei Hauptpunkte sind mir bei der Beschäftigung mit Christian Friedrich Spittler, dem ehemaligen Stadtschreiber und Substituten von Schorndorf, wichtig geworden. Es ist eigentlich ein Unding, dass ich hier stehe. Bruder Haag weiß so viel über die Geschichte von Spittler. Direktor Edgar Schmidt hat mich vor vielen Jahren auf die Spur gebracht. Er sagte, man müsste das einmal aufarbeiten. Seitdem gehorche ich diesem Impuls von Direktor Edgar Schmidt, wann immer ich ein wenig Zeit habe.
Die Quelle der Bewegung: Gottes Impulse und innere Ruhe
Also erstens: Wer etwas bewegen will, darf kein von Menschen Bewegter oder Gejagter sein. Das große Leitwort von Spittler lautete: Lasst uns mit dem starken, barmherzigen, treuen Jesus vorangehen. Er muss bewegen.
Die Adoptivtochter und großartige Mitarbeiterin von Spittler, Susette Spittler – oft nur Sette Spittler genannt – war es, die zusammen mit Jonathan Friedrich Bahnmeier, dem Dekan von Kirchheim, und mit Christian Friedrich Spittler, ihrem Pflegevater, den Grishona-Hügel hinaufstieg, als Spittler die Idee hatte, das zerfallene Kirchlein von Grischona wieder aufzubauen für eine Pilgermission.
Jonathan Friedrich Bahnmeier, dessen Lied wir vorher gesungen haben, „Walte, walte, la und fern“, war ein genialer Mann, der Spittler ermutigte, dies zu tun. Susette Spittler sagte immer wieder, über dem Wesen des Vaters liege eine unaussprechlich große Ruhe, ein göttlicher Friede.
Sie wies auch darauf hin, dass er in fünf Jahrzehnten seine Wohnung nicht gewechselt hatte, dort am Stapfelberg im Felckli. Er schrieb keine Bücher, unternahm keine Reisen und hielt keine Vorträge, aber er war ein christlicher Erfinder. Er ließ sich auch nicht von Menschen raten. Einmal schrieb er: „Wollte ich Menschen zu meinen Ratgebern machen, so würden sie mich nie zum Handeln ermutigen, sondern stets nur zur Klugheit und zur Vorsicht. Wenn etwas passieren soll, muss ich auf die Weisung Jesu achten, wo er vorangeht.“
Susette Spittler beschreibt, dass in den Zeiten, in denen der Vater seine Entwürfe und weitreichenden Gedanken innerlich verarbeitete und im Gebet vor Gott bewegte, eine rätselhafte Ruhe und Stille über sein Wesen ausgegossen war. Er blieb wochenlang wortkarg. Die ihm Nahestehenden wussten, dass in der Werkstatt seines Planens und Betens neue Dinge entstanden. Irgendein Anlass machte dann diese Planungen öffentlich.
Das Kabinettsgeheimnis des gesegneten Wirkens des Vaters war sein verborgener Umgang mit Gott, sein Wandel mit Gott und vor Gottes Augen. Keine Reisen, keine Bücher, keine Vorträge. Er las die Zeitung, aber litt darunter, wenn seine Zeitgenossen zu viel Zeit mit dem Lesen von Büchern verbrachten. Das gilt nicht für den Büchertisch – wir können ruhig etwas mehr lesen. Aber damals war eine richtige Lesesucht verbreitet. Wir müssen wieder darauf achten, was Gott will. Heute können wir statt der Bücher den Fernseher nehmen. Wie viel Zeit verbringen normale Menschen, besonders zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft, vor dem Bildschirm?
Spittler führte bewusst eine asketische Existenz. Der oberste Helfer Lindner von Basel sagte einmal: „Spittler, du bist ein kosmopolitischer Geist.“ Dabei wohnte Spittler lebenslang im Felckli. Wenn man heute hineinkommt, sieht man in den Museumsräumen von allen Fenstern aus nur Hausmauern. Doch der Geist Spittlers hatte Anteil am Kosmopolitismus Gottes: „Alle Lande sollen seiner Ehre voll werden.“
Deshalb reichte sein Blick weit über die Mauern Basels hinaus – zu den deutschen Auswanderern in Texas und Ohio, zu den deutschen Siedlungen im Kaukasus. Er hatte die Mission in Sierra Leone ebenso im Blick wie in Indien. Ihn bewegte die Mission unter dem Gala-Stamm in Ostafrika ebenso wie die Minderheiten der Protestanten im württembergischen Oberland, in Spanien, Portugal und Frankreich – die kleinen evangelischen Gruppen und die katholischen Christen, die sich nach dem Evangelium sehnten.
Er sorgte sich um die verarmten Judenkinder in Europa ebenso wie um die versklavten griechischen Kinder. Die in Not geratenen Armenier, schon damals, ebenso wie das unter osmanischer Herrschaft dahinsiechende Jerusalem. Die gefährdeten jungen Mädchen in den Großstädten ebenso wie die jungen Leute, die damals in die Städte strömten, ohne Familienanschluss waren. Die Taubstummen, die oft genial begabt waren und doch behandelt wurden wie die Dorfdeppen. Die Holzhauer in den Vogesen ebenso wie die alternden Knechte in einer Zeit ohne Rentenversicherung. Die geistlichen Herausforderungen in Lettland ebenso wie das geistliche Schicksal Russlands, nachdem es vom Joch Napoleons frei geworden war.
Welche Horizonte! „Alle Lande sollen seiner Ehre voll werden.“
Doktor Ostertag, der begabte Basler Missionar, sagte einmal: „Spittler ahnte aus der Beschaffenheit der Zeit die wahren Bedürfnisse der Zeit heraus. Was will denn Gott in unserer Zeit?“ Viel von dem, was unerledigte Merkposten Spittlers sind, ist über hundert Jahre alt und heute noch brandaktuell. Für uns sind sie noch Wegweisung, damit wir sie aufnehmen, wie ein Schriftgelehrter zum Reich Gottes gelehrt, der ein Hausvater ist und aus seinem Schatz Altes und Brandneues hervorholt.
Spittler wollte in seiner bewusst ergriffenen asketischen Existenz, in dieser Zurückhaltung, hellhörig sein für das, was Gott will. Er wollte wach und geschmeidig sein, den Willen Gottes zu sehen, die Möglichkeiten zu erahnen, die zur Verwirklichung nötig sind, und dann auch etwas zu tun.
Es ist eine Pfarrerskrankheit und die vieler, die in Exegese geschult werden, dass sie Texte auslegen – das ist ja nichts Schlechtes. Aber ein normaler Pfarrer ist oft gelähmt, etwas zu wollen. Wir brauchen wieder geistliches Managertum und nicht nur das Auslegen von Geschichte und Texten, sondern die Frage: Was will der Herr heute?
Spittler nahm seine Freunde im Kreis der Pfarrer oft hart in die Pflicht. Wenn ich daran denke, wie er den Fellbacher Pfarrer Karl Friedrich Werner jahrzehntelang mit der Herausgabe der Basler Sammlungen, mit neuen Veröffentlichungen und Büchern belastete – die große Gemeinde Fellbach war da mit ihren diakonischen Aufgaben gefordert. Aber er selbst wollte ein Vordenker im Reich Gottes sein.
Wir sind nicht alle dazu berufen, Vordenker im Reich Gottes zu sein. Es muss auch Leute geben, die wie Bruder Haag Bücher schreiben, es müssen Menschen da sein, die Vorträge halten. Wir müssen ein paar Brüder und Schwestern freistellen, die die Gabe haben, Vordenker zu sein. Wir sollten sie bewusst abschirmen, damit sie im Umgang mit Gott durch Veränderung ihres Sinnes erkennen können, was der Wille Gottes ist.
Wer etwas bewegen will, darf kein von Menschen Gejagter und Bewegter sein.
Eigeninitiative als Voraussetzung für Bewegung
Zweitens: Wer etwas bewegen will, muss selbst etwas in Gang setzen wollen. Bekannt ist das Wort, auf das eben schon hingewiesen wurde, das 1815 im Ferkli gesprochen wurde, im Raum Kemmerli bei dem Jungmännerkreis, der sich dort versammelt hatte.
Was hilft es, wenn wir beim warmen Ofen die Notstände der Zeit bejammern? Hand anlegen müssen wir, und sei es auch ganz im Kleinen. Oft wird das Wort so zitiert, auch bei Karl Rennstich: „Was hilft es, wenn wir beim warmen Ofen und bei einer Pfeife Tabak die Notstände der Zeit bejammern?“ Wer historisch kritisch arbeitet – und das muss man nicht immer, aber bei diesem Wort kann man es – wird merken, dass das ein sekundärer Einschub ist.
Ich nehme an, dass Christian Gottloh Barth von Möttlingen, später im Kalver Verlagsverein, diesen Zusatz hereingebracht hat, also Gemeindebildung. Denn Christian Gottloh Barth war ein großer Pfeifenraucher. Spittler selbst hat überhaupt nicht geraucht; er konnte es auch nicht leiden. Also: „Was hilft es, wenn wir beim warmen Ofen“, das hatte Spittler, „die Notstände der Zeit bejammern? Hand anlegen müssen wir, und sei es auch nur im Kleinen.“
Die Notstände der Zeit wurden bejammert in jenem großartigen Netzwerk der deutschen Christentumsgesellschaft. In diesem Jahr sind ja nicht bloß 150 Jahre Pilgermission, sondern auch 175 Jahre Basel und 210 Jahre deutsche Christentumsgesellschaft. Samuel Ulzberger hatte ein Korrespondenznetz entwickelt, von Estland bis nach Italien, von Frankreich bis nach Russland. Oberlin gehörte dazu, Philipp Matthäus Hahn, Philipp Jakobsch wie Pfarrer Schöner in Nürnberg, der uns das schöne Lied gedichtet hat: „Nur Himmel an, nur Himmel an, es soll der Wandel gehen.“ Interessante Gestalten.
Die Gefahr war nur, dass jeder in seinem Brief schrieb: „Oh, wie schlimm ist alles, und der Unglaube nimmt überhand, und die Pfarrer und die Kirchen werden leerer.“ Man kann ja als Christ so in eine Stimmung hineinkommen, dass man ein Klagelied um das andere singt.
Als dann der junge Christian Friedrich Spittler, gerade erst zwanzig Jahre alt geworden, von Schorndorf nach Basel gerufen wurde, baute er auf das auf. Er nahm die Notstände der Zeit ernst, aber fragte: Was muss denn getan werden?
Ich denke immer wieder: Wenn Spittler heute leben würde, dann würde er sagen: Leute, es genügt doch nicht, dass ihr Unterschriftensammlungen macht gegen Paragraph 218 – so heißt in Deutschland Abtreibung. Ihr müsst jetzt einen guten Regisseur finden, der einen Film dreht, den ein Fernsehsender zeigt, von einer Familie mit zwölf Kindern. Denn es gibt nichts Schöneres, als zwölf Kinder zu haben. Ihr müsst nach vorne gehen, ihr müsst Mütterkurse machen, Familienkurse, die zeigen, wie schön es ist, mit Kindern zu leben. Nicht bloß die Notstände bejammern, sondern ihr müsst Christen finden, die zwei Familienwohnungen bauen: eine für sich und die zweite Wohnung für eine kinderreiche Familie.
Das war die Idee von Spittler: Nicht bloß Notstände bejammern, sondern was machen wir denn Positives? Wo setzen wir Impulse?
Als Spittler gestorben war, ist wohl der schönste Nachruf im Heidenboten erschienen, einer Missionszeitschrift. Dort heißt es: Spittler ergriff mit fester Glaubenszuversicht und mit tatkräftiger Liebe die Kraft Gottes und die Liebe Jesu Christi. Nicht, er wurde bewegt, sondern er ergriff sie: „Lieber Gott, ich brauche dich.“
Es geht dann weiter: Hingebungsvoll, furchtlos, in hohem Grade erfinderisch, unermüdlich, unwiderstehlich, wie er von Natur schon war und durch Gottes Gnade immer mehr wurde. Es ist auch Gnade, wenn man unwiderstehlich ist. Nicht nur gründete er eine christliche Anstalt nach der anderen – insgesamt 51 –, von denen heute noch 32 existieren, zum Teil in der Hand des Staates, wie zum Beispiel die Taubstummenanstalten.
Stellen Sie sich vor: Nach 150 Jahren existieren noch 32 Einrichtungen. Eine Anstalt nach der anderen gründen, Pläne ausdenken, Freunde für sie gewinnen, Gelder sammeln, Komitees organisieren. Wenn die Sache im Gang war, zog er sich zurück. Wenn sie ins Stocken geraten wollte, trat er wieder hervor, um abermals wieder zu verschwinden.
Bis ins hohe Alter und bis auf das Sterbelager hielt er die Überzeugung fest, es könne, es solle, es müsse noch viel mehr geschehen für das Heil der Verlorenen. Und das sei sein von Gott angewiesener Beruf: fortzuwirken, solange es Tag ist, bis der Herr kommt, dessen Zukunft er ersehnte und immer näher rücken sah.
Durch Klagelieder wird die Welt nicht verändert, auch nicht durch Diskussionen. Jede Viertelstunde ist schad, die wir auf Diskussionen verwenden. Auch nicht durch Petitionen und Bittschriften wird die Welt verändert.
Der große baptistische Missionar, der am Beginn der englischen Neuen Weltmissionsbewegung stand, William Carey, hat in der berühmten Predigt von Serampore gesagt: „Wagen wir endlich für Gott Großes, erwarten wir endlich von Gott Großes!“
Das war der Geist, in dem Spittler lebte, das war die Bewegung, in der Spittler zuhause war. Besonders seitdem Doktor Karl Steinkopf, kompromissloser gleichaltriger Freund von Jonathan Friedrich Bahnmayr – übrigens Klassenkamerad von Hölderlin – an die Savoy-Kirche in London gerufen wurde.
Steinkopf war ein Pionier der Bibelverbreitung in ganz Europa. Er hat nie richtig Englisch gelernt. Als er einmal einen englischen Abendgottesdienst in London halten musste, sagte der Ortsgeistliche morgens: „Heute Abend predigt Doktor Steinkopf. Ihr werdet nicht viel verstehen, aber schon, wie ihr ihn anseht, werdet ihr unaussprechlichen Segen haben.“ Da habe ich es noch weiterhin.
Als dieser Steinkopf in London war, ein Schwabe in London, stieg er sofort in die British and Foreign Bible Society ein und benutzte seinen jungen Freund Christian Friedrich Spittler, gerade 21 Jahre alt, als Transmissionsriemen, um all die Erfindungen der englischen Erweckungsbewegung nach Westlingen, nach Europa zu übersetzen.
Im Grunde genommen hat Spittler gar nicht viel mehr getan, als dass er sehr viele dieser englischen Erfindungen nach Europa übersetzt hat. Ich meine, wir müssten auch heute aufpassen, da unsere wohlmeinenden Freunde aus Europa durchaus der Ansicht sein können, sie müssten Europa neu missionieren. Aber sie sollen uns das machen lassen, denn sie verstehen nicht, wie Europa geprägt ist durch die Aufklärung, durch den Rationalismus und wie viel man verderben kann durch frisch, fromm, fröhlich, freies Agieren.
Spittler hat das auf Europa übersetzt, und dafür war das Dreiländereck Basel natürlich ein idealer Ausgangspunkt. Natürlich hat es Spittler geschmerzt, dass der große Tübinger Bibeltheologe Johann Tobias Beck mit schneidender Schärfe das englisch-methodistische Christentum schlecht gemacht hat.
Er hat immer wieder gesprochen, der Bibeltheologe Johann Tobias Beck, von einer unlauteren Macherei und Treiberei. Oft tun wir uns, die wir die Bibel lieb haben, gegenseitig am meisten weh. Aber Spittler hat sich nicht davon abbringen lassen und hat nur das Wort gesagt: „Unser Herr soll uns, wenn er wiederkommt, an der Arbeit finden. Wir wollen nicht untätig sein.“
Es ist mir immer interessant, dass Spittler auch bereit war, das Stoppzeichen Gottes ernst zu nehmen. Er wollte nie seinen Weg mit der Brechstange bahnen. Es hat ihn immer wieder bewegt, ob nicht das Wasserschloss in Inzlingen dahinten eine Stätte sein müsste für eine Missionarsanstalt, für eine Anstalt für Griechenkinder, mit immer wieder neuen Ideen.
Kann das nicht in Inzlingen sein? Bis er am Schluss den Plan Inzlingen begraben hat. „Ich will doch nicht von mir etwas durchkämpfen!“ Das hat mich so vorher bewegt, wie Bruder Direktor Edgar Schmick sagte, wie oft es ihn über die Baugeschichte bewegt hat: „Ist das nicht ein Stoppzeichen Gottes?“ Und dann kamen wieder die Ermutigungen.
Wer hellhörig sein will auf die Weisungen Gottes, geht auch oft durch dunkle Zeiten hindurch. Ist es der Wille des Herrn, wartet man sehnlich darauf, dass unser Herr auch ein grünes Licht gibt: „Mach weiter!“
Die Herausforderung von Konkurrenz und Zusammenarbeit im Reich Gottes
Eines konnte Spittler nicht hinnehmen. Und jetzt kommen wir zu einer ganz wesentlichen Sache: das Platzhirschgehabe im Reich Gottes. Hier sind wir, und neben uns darf es niemand geben. Spittler war überzeugt, dass es im Reich Gottes keine Monopole gibt, aber auch keine Kartelle.
Das begann schon 1815, als Spittler – noch aus Hüningen kommend – Granaten in Basel einschlagen sah, die die Basler Mission gegründet hatte. Die alten Herren der Christentumsgesellschaft rangen sich die letzten Haare. „Das ist doch unser Sekretär von der Christentumsgesellschaft, und jetzt macht er eine neue Firma auf, das gibt es doch gar nicht! Da geht uns das Opfer verloren. Wer sieht am Schluss noch durch, wer was ist?“ – Parallelstrukturen! So haben sie damals nicht gesagt, aber so war es verständlich gemeint.
Spittler schreibt als alter Mann: Die alte Christentumsgesellschaft jammerte damals. Als ich bei der Entstehung der Basler Missionsgesellschaft tätig Hand anlegte, behauptete sie, dies sei ihr Tod. Aber durch den Tod ging es zum Leben. Fast dieselbe Klage führt jetzt, als Sankt Grischona gegründet wurde, die Pilgermission, das gute Basler Missionskomitee, dem ich doch aufs Innigste zugetan bin. Die Basler Mission klagt über die so arme Pilgermission. Das Komitee der Basler Mission will es sich nicht nehmen lassen, zu sagen, dies schade ihr. Aber ich glaube genau das Gegenteil und fahre ruhig fort.
Es war hart für Spittler. Man warf ihm Egoismus und Eitelkeit vor. Er habe eine krankhafte Wichtigtuerei mit dem Gründen neuer Einrichtungen, es sei bei ihm eine Manie, und er sei schon gar nicht mehr ernst zu nehmen. Selbst Christian Gottlob Barth, sein Missionsfreund, sagte einmal: „Jetzt hat also der alte Spittler, der eigentlich schon längst ins Pflegeheim gehört, der Spittler, der Spitalbewohner, wieder einen Plan ausgeheckt. Wenn er gelingen sollte, so liegt es bestimmt nicht an Spittler.“ Spittler hätte gesagt: „Das ist der Einzige, der mich verstanden hat.“ Es sollte nicht gelingen, weil ich es ausgedacht habe, sondern wenn es der Herr will.
Spittler kam in den Ruf eines eigensinnigen und unvorsichtigen Mannes. Dabei war die Basler Mission – stellen Sie sich vor – auf den Namen Christian Friedrich Spittler 1815 durch Staatsrat Ochs genehmigt worden, nicht als Basler Mission, sondern auf den Namen Spittler. Es war eigentlich seine Mission.
Und 25 Jahre später machte das Missionskomitee der Basler Mission ihm den Vorwurf: Erstens, du spaltest die Opfer. Ihr kriegt 50, ich 54 – mehr Opfer gibt es nicht. Ihr spaltet die möglichen Missionskandidaten, wir kriegen unsere Klassen nicht voll, und ihr spaltet unsere Anhängerschaft.
Ich muss gerade mal lesen, was in Basel gesagt wurde: Die Missionsfreunde werden geteilt in zwei Lager, weil Menschen, sogar auch Christen, sich gerne auf etwas Neues stürzen und dabei dann etwas Nachteiliges am bisherigen zu finden suchen – klar erkannt vom Missionsspektrum, nicht klar erkannt. Bei uns heißt es immer so: Kirche ist nichts, aber die charismatische Bewegung ist jetzt das Neue. Das Bisherige ist immer nichts.
Weil es so ist, dass Christen sich gerne auf etwas Neues stürzen und dabei zu leicht etwas Nachteiliges am Bisherigen finden, wirkt die Gründung einer zweiten Missionsanstalt in Basel in jeder Beziehung schädlich und spaltend. Zwei Missionsanstalten, dazu noch am gleichen Ort, dazu noch nach unterschiedlichen Systemen eingerichtet, können nicht ohne Nachteile und ohne Zersplitterung der Kräfte beieinander bestehen.
Die Konkurrenz auf geistlichem Gebiet bringt Trivialität, Opposition und Zwietracht. Dazu werden immer neue Aktionen dasselbe nachahmen. Darüber wird die Christenheit immer mehr zersplittert, anstatt ihr zur Konzentrierung geholfen zu werden.
Wir kennen diese Argumentation aus dem Streit, der auch in unseren Tagen neu vom Zaun gebrochen wurde – völlig unnötigerweise – über die sogenannten Parallelstrukturen. Dabei war das schon im letzten Jahrhundert ein Streit um des Kaisers Bart und damit ein äußerst unnützer, müßiger Streit.
Aber Spittler hat Konsequenzen daraus gezogen: Wenn Gott Bergwerke öffnet, dann haben die Schmelzwerke zu tun. Dann gibt es ja irgendwo Gold. Oder als die Eisenbahnlinie zum Hauenstein gebaut wurde: Bei den Eisenbahnen geht es jetzt bekanntlich alles geschwind. Ihre Gesellschaften finden im Unglauben Millionen von Franklin. Sollten wir nicht im rechten Glauben Tausende von Franklin finden?
Er hat die ersten großen Geldspenden für Sankt Grischona in England erbeten. In Württemberg wurde am Anfang nicht für Sankt Grischona gesammelt. Er wollte der Basler Mission nicht ins Gehege kommen und ihr nicht finanziell Wasser abgraben.
Und er hat zweitens bei der Werbung der Missionszöglinge Rücksicht genommen. Sie wissen, wie es hier losging mit Brüdern, die in Basel abgewiesen waren, weil ihr Kenntnisstand nach der Meinung der Basler ungenügend war. Er wollte keinen abwerben, der eventuell auch Kandidat für die Basler Missionsanstalt gewesen wäre.
Im Grunde genommen – davon will ich nachher noch schnell reden – ist Spittler dadurch auf die Idee gekommen, der Laienmissionare – wir würden heute sagen: der Entwicklungshelfer, der Handwerkermissionar – zu fördern. Ich will doch denen nicht personell Konkurrenz machen.
Er ging, soweit er nur konnte, auf die Vorwürfe ein. Wenn wir vorhin das Wort hörten: „Ich glaube genau das Gegenteil und mache getrost weiter“, so hieß das bei ihm nicht: „Ist mir ganz egal, was daraus wird.“ Er hat auch auf die Brüder der Basler Mission Rücksicht genommen und auf ihre Ängste.
Aber noch einmal: Im Reich Gottes geht es nicht um Selbstbehauptung und um Renommee. Wenn wir das Wort von der Mission Dei recht verstehen – es wird ja heute so gebraucht, als ob wir alle fließend Lateinisch sprechen würden – nicht von der Mission Gottes, dann ist das weder die Mission des Evangelischen Missionswerks von Württemberg, noch die Mission der Basler Mission, noch die Mission der Pilgermission Sankt Grischona.
Es ist Gottes Mission. Dann habe ich darauf zu achten, wo Gott heute mir seine Herausforderungen gibt und ob diesen Herausforderungen begegnet wird.
Das hat Spittler umgetrieben. Sie kennen das Wort: „Blicken wir hinein in den Zustand der Christenheit, so sind so viele Wunden weder geheftet, noch genäht, noch gepflastert, noch mit Öl versorgt.“ Er denkt an den barmherzigen Samariter.
Und wenn wir dann erst hineinsehen in die Welt der Völker, hin zur orientalischen Kirche und denken wir an die vielen heidnischen Menschen in aller Welt, die das Evangelium vom Reich Gottes noch nicht kennen, so müssen wir ausrufen: „Was sind die Missionare unter so vielen! Sie sind wie ein Tröpflein am Eimer.“
Lasst uns doch den Herrn bitten, dass er uns Brüder zuweise, welche er erwählt hat, dass er sie ausrüste mit Waffen des Lichtes, um gute Ritterschaft zu üben!
Wenn wir bereit wären, aus der Vergangenheit nur ein klein wenig zu lernen, dann müsste der Streit um die sogenannten Parallelstrukturen ganz rasch aufhören.
Wache Christen wie Spittler haben zu allen Zeiten zusätzliche Aktionen ins Leben gerufen, wenn Notwendigkeit dazu bestand. Spittler hat gesagt: „Ich traue es dem treuen und reichen Herrn und Heiler zu, dass er noch viele andere wohltätige Anstalten in unseren letzten betrübten Zeiten nah und fern erhalten und herrlich durchbringen kann.“
Bei allen wahrhaft christlichen Anstalten ist ein kindlicher Glaube nötig. Aber mit diesem Glauben können gar nie zu viele Anstalten entstehen.
Noch viel mehr los!
Wir dürfen uns heute nicht mit der Pflege des Überkommenen begnügen. Unser Herr hat doch auch heute so viele neue Herausforderungen für uns bereit.
Wir haben es in Württemberg gemerkt, als „Hilfe für Brüder“ entstand, als die Galakirche bei den Oromos in Äthiopien 1971 an die westlichen Kirchen gebeten hat: „Wir kriegen Geld für Brunnen, für Mechanikerwerkstätten, für Hospitäler, aber wir wollen unserem Volk Jesus verkündigen, weil unser Volk Jesus braucht. Gebt uns doch auch Geld dafür!“ Und es war nur Geld da für entwicklungsrelevante Maßnahmen.
Da wir wahrscheinlich schon viel zu spät diese Aktion „Hilfe für Brüder“ gestattet haben, für pastorale Anliegen der Kirchen in der Dritten Welt – als Jean Coteau von Kamerun, ein großer Mann, so wie die kamerunischen Fußballspieler wie Millard, uns sagte: „Ihr schickt uns liebenswerte Entwicklungshelfer aus Europa, tüchtige Leute! Aber wenn wir dann morgens in unseren Schulen Andacht halten und Gebetsgemeinschaft, dann stehen die draußen und rauchen ihr Zigarettchen.“
Wir brauchen Entwicklungshelfer, die bereit sind, mit Christen der ersten Generation zu beten und Bibel zu lesen. Und da haben wir in schwachen Anfängen in Württemberg die Einrichtung „Christliche Fachkräfte International“ geschaffen. Und es ist ein reicher Segen auch wieder auf uns zurückgekommen.
Liebe Brüder und Schwestern, es gibt heute so viele Anliegen. Wir müssen doch bloß in die Christenheit hineinhören, was gerufen wird, wo Not ist. Und wenn Gott Bergwerke öffnet, haben die Schmelzöfen genug zu tun.
Unerledigte Aufgaben und Herausforderungen aus Spittlers Nachlass
Mein eigentliches Unterthema heute Abend sind Merkposten aus dem Nachlass Spittlers, die noch nicht abgehakt werden dürfen – unerledigte Merkposten. Ich möchte einige Bereiche nennen.
Zunächst der Bereich der evangelischen Pädagogik: Es reicht nicht aus, nur über die Anthroposophie zu schimpfen und über Waldorfschulen zu klagen. Wo ist die evangelische Konzeption einer Pädagogik? Es gibt freie Schulen in Bremen, Reutlingen und einige freie evangelische Schulen. Aber was hat Christian Heinrich Zeller in Beugen begonnen? Innerhalb von zehn Jahren strahlte seine pädagogische Konzeption bis nach Lettland aus.
Wo folgen wir dem Lehrer nach? Was bedeuteten Lehrer in der Schweiz, bei uns in Württemberg und im Elsass als geistlicher Mittelpunkt einer Gemeinde? Wie gehen wir seelsorgerlich mit einer neuen Arbeit für Lehrer um, wie es in Württemberg die württembergische Lehrergemeinschaft tat?
Mir war es immer wichtig, bei Spittler zu sehen, wie er Europa im Blick hatte. Wo müssen wir evangelistische und evangelische Vorposten schaffen – im weithin katholischen und säkularisierten Umland? Belgien, das flämischsprachige Belgien, Frankreich, dann Portugal, Spanien, Italien bis nach Griechenland.
Müssten wir nicht viel mehr tun, um das Evangelium bekannt zu machen? Müssten wir nicht Kontakte schaffen? All das geht auf Anregungen von Spittler zurück: brüderliche Kontakte zu evangeliumsgemäß denkenden Pfarreien der katholischen Kirche. Spittler widmete einen großen Teil seines Lebens dem Briefwechsel mit evangelisch denkenden katholischen Priestern und der Schaffung evangelistischer Zentren in den Hauptstädten Europas.
Was tun wir für Brüssel? Arbeiten wir seelsorgerlich mit denen, die seit 20 Jahren die Einigung Europas vorantreiben? Wo gibt es Bibelstunden? Die Männer, die ausbluten und oft an großen Problemen verzweifeln – haben wir ein geistliches Netzwerk? Ein Netzwerk von Schlüsselpersonen der Evangelisation und der seelsorgerlichen Diakonie quer durch Europa?
Wie können wir die modernsten Medien für die Verbreitung des Evangeliums nutzen? Ich freue mich immer, wenn am Sonntagmorgen Anton Schulte bei Sat.1 oder anderen Sendern spricht. Der Mann hat eine tolle Begabung fürs Fernsehen und ist besser als viele Fernsehsprecher. Wie nehmen wir das auf? Spittler gründete damals Zeitschriften – das war das, was man damals gelesen hat. Heute stapeln wir sie auf dem Nachttisch und denken im Urlaub: „Ich nehme es mit und lese es dann.“ Doch oft lesen wir es nie wieder.
Wir müssen heute neue Medien nutzen. Vielleicht sind das nicht mehr Bücher. Ich habe es schon gesagt: Jeder, der Auto fährt, hat ein Kassettenradio. Vielleicht müssten wir viel mehr gute Botschaften auf Kassetten bringen – auch das, was wir in Büchern verarbeiten.
Wir brauchen Wachheit für das Aufkommen neuer sozialer Randgruppen. Die freiwillige Zwangsanstalt Mayenbühl – damals hat man darüber gelacht: freiwillig oder Zwangsanstalt? Das war die tollste Idee. In der heutigen Trinker-Seelsorge ist das Konzept, das Spittler vor 150 Jahren geahnt hat, dass jemand freiwillig dorthin gehen muss, aber dann unter einem harten Zwang, damit er wieder von seiner Krankheit loskommt.
Was tun wir heute für alleinerziehende Mütter, die es schwer haben in unseren Gemeinschaften und Gemeinden? Was tun wir für alleinerziehende Väter? Was tut der Vater, der geschieden ist und mit zwei Kindern dasteht? Wir können nicht einfach jemanden vom Gemeindedienst hinschicken. Es ist schwierig, wenn ich als Frau zu dem geschiedenen Mann gehe. Was machen wir da? Spittler hätte längst Ideen gehabt und etwas aufgebaut.
Wir müssen die neuen sozialen Randgruppen sehen und Gedanken für Hilfe haben. Wie hat Spittler um den theologischen Lehrer de Wette gerungen, mitten in seinem Unglauben. Ringen wir heute noch um Männer und Frauen, die theologische Lehrer sind und vielleicht total abstruse Meinungen vertreten? Beten wir für sie und haben wir die Hoffnung, dass Gott sie verändern und uns zu Brüdern und Schwestern machen kann?
Das alles macht deutlich: Wer etwas bewegen will, muss bereit sein, im Gehorsam gegen Gottes Willen auch Ungewohntes zu bedenken und Neues zu wagen. In Spittlers Tagen war es Phantasterei, Leute in die äußersten Zipfel des Osmanischen Reiches nach Palästina zu entsenden. Was sollten die dort tun?
Heute sagt Professor Dr. Alex Carmel, ein Israeli: Christen als Pioniere im Heiligen Land – die Christen haben uns erst wieder gelehrt, was das Heilige Land ist. Das war eine Vision.
Als Spittler seine Apostelstraße plante, zusammen mit Ludwig Krapf, damit das Evangelium zu den Galla- und Oromo-Stämmen kommt, hatte Krapf, der fünfmal in Afrika war, keinen einzigen Oromo getauft. Doch Krapf sagte: Wenn das Evangelium einmal bei den Oromos Fuß fasst, geht es sprunghaft vorwärts.
Heute sind das die Stämme in Äthiopien, Tansania und Kenia, bei denen die ostafrikanische Erweckungsbewegung ist.
Lasst uns wieder solche Vordenker bitten, Gott zu geben, die Visionen haben – nicht komische Prophetien, sondern die etwas vom Willen Gottes wissen und dann auch etwas wagen, ins Werk zu setzen.
Wir bleiben einer nach Jesus und seiner Hilfe hungernden Menschheit entscheidend schuldig, wenn wir darauf warten, dass bisher bestehende Organisationen diesen Arbeitszweig eventuell zusätzlich übernehmen.
Spittler hatte Recht: Wer etwas bewegen will, muss auch Neues selbst wagen – auch wenn es den bisherigen Institutionen wehtut.
Die Bedeutung der Laienmissionare für die Bewegung des Reiches Gottes
Drittens: Wer etwas bewegen will, muss verstärkt Laienmissionare ernst nehmen.
Bei der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation spricht man von den Tentmakers, den Zeltmachern. Man denkt an den Apostel Paulus, der seinen Lebensunterhalt selbst verdient hat und abends noch das Evangelium weitergesagt hat. Diese Idee hat Spittler seit 1810 nicht losgelassen.
Wir dürfen nicht einfach nur Verkündiger losschicken, sondern Menschen, die bereit sind, in ihrem Beruf zu arbeiten – als Bäcker, Schuhmacher oder Schreiner – und dann abends ein paar Leute zum Bibellesen versammeln. Das war die Idee der Apostelstraße quer durch Afrika.
Wenn ich es richtig sehe, würden richtige Historiker mich dafür vielleicht in Grund und Boden verdammen. Das kann sein, und das ertrage ich auch noch. Aber ich glaube, der entscheidendste Anstoß war, als die Basler Mission Angst hatte, Spittler könnte mit der Pilgermissionsanstalt auf der Grishona ihre möglichen Kandidaten abwerben.
Daraufhin hat Spittler sich auf einen ganz anderen Typ von Missionar festgelegt. Schon 1827 hatte er mit ein paar jungen Männern, die er vom Basler Jünglingsverein ausgesandt hatte – den er ebenfalls leitete –, einen Versuch unternommen. Diese wurden nach Österreich, Rumänien und Osteuropa geschickt. Sie sollten als Handwerker arbeiten und daneben Traktate und Bibeln verteilen, um die Menschen für die Bibel zu begeistern.
Dabei wurde ihm klar: Sie müssen eine gewisse biblische Schulung haben. Ein bisschen Liebe zur Bibel genügt nicht. Freunde warnten Spittler zunächst, wenn er Handwerksburschen auch noch biblisch schult, könnten sie in einen unerträglichen und unausrottbaren geistlichen Stolz verfallen.
Das ist bei jeder Ausbildung so, besonders im geistlichen Bereich. Es ist die Pfarrers- und Predigerskrankheit: Wer eine geistliche Ausbildung durchläuft, kann in Stolz verfallen. Aber Gefahr ist kein berechtigter Begriff im Reich Gottes. Ein zweijähriges Kind ist überall gefährdet – am Herd, am Ofen, an der Steckdose. Ein totes Kind hingegen ist keine Gefahr mehr. Wo vitales Leben ist, gibt es immer Gefahren.
Wir müssen sehen: Es besteht eine Gefahr bei denen, die für den geistlichen Beruf ausgebildet werden. Spittler aber sagte, die körperliche Berufsarbeit wird sie auf dem Boden halten. Ihm fiel auch ein, dass die erste Mission in Europa durch Laienmissionare geschah – durch Kilian und Gallus, durch die iroschottischen Mönche. Sie kamen aus dem letzten Keltenland und bauten in den Urwäldern Europas kleine Zellen, bewirtschafteten ein paar Äcker und machten die umliegenden Heiden langsam mit ihrer Andacht vertraut, ohne viel zu missionieren.
In Spittlers Anweisungen für die Laienmissionare der Äthiopien-Mission, die merkwürdigerweise nach einigen Jahren von der Basler Mission übernommen wurde, war die Basler Mission froh, dass auf der Grishona auch Brüder ausgebildet wurden, die man brauchen konnte. Spittler sagte damals – und das war natürlich ein harter Brocken für die Basler Mission zu verdauen: Nicht Wien, Indien oder Westafrika.
Die Missionsarbeit soll nicht mit öffentlichem Auftreten der Missionare, nicht mit Gottesdiensten und Schulen begonnen werden, sondern mit stiller Arbeit, mit Ackerbau und Viehzucht. Arbeit war nie unter der Würde des besten und edelsten Menschen. Sogar der große Apostel Paulus gab uns das Vorbild des Arbeitens.
Pilgermissionare können nichts Rechtes tun, bevor sie sich nicht vor den Augen und im Gewissen des Volkes als wahre Jünger Jesu erwiesen und legitimiert haben.
In unseren Tagen erschallt in den Kirchengemeinden, aber auch in pietistischen Gemeinschaftsverbänden, der Ruf: „Gebt uns doch endlich mehr hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!“
Ich bin überzeugt, dass Spittler darüber die Stirn runzeln würde. Er würde sagen: Laien sind doch die auserwählten Rüstzeuge Gottes. Helft doch den Laien, die in ihrem irdischen Beruf stehen und von ihrem Beruf leben, zu einer einfachen, gründlichen biblischen Schulung. Aber erwartet nicht zu viel vom Fortgang des Reiches Gottes, wenn ihr noch mehr Hauptamtliche anstellt in Kirchen und Gemeinschaften.
Das sage ich als einer, der hauptamtlich tätig ist. Und wir Hauptamtlichen denken oft: So viele Hauptamtliche braucht es nicht – außer mir, versteht sich. Aber ich möchte keine falsche Front aufreißen zwischen Hauptamtlichen und Laien. Es kann heute nicht um ein Entweder-oder gehen.
Wir müssen jedoch wegkommen von der merkwürdigen Vorstellung, dass der theologisch ausgebildete Prediger und Pfarrer der Trainer der Laien sein soll. Nein, wenn heute Leute überhaupt noch verstehen sollen, was Jesus ist und was er uns zu geben hat, dann müssen wir Geschulten bei den Laien in die Schule gehen. Die Laien müssen unsere Trainer sein und uns sagen, was heute ankommt und was nicht. Wo heute die seelsorgerlichen Nöte der Menschen sind, in die wir das Evangelium hineinsprechen müssen.
Auch das Leitbild für den Einsatz des Christen darf nicht eine Gewerkschaftsforderung von 35 oder 40 Stunden Wochen sein. Der Einsatz der Laien in unseren Gemeinschaften und Gemeinden sieht oft so aus, dass sie nach einer sehr stressigen Woche noch im Posaunenchor, im Chor oder im Besuchsdienst stundenlang Dienst tun und insgesamt auf eine 70-Stunden-Woche kommen.
Das sollte das Vorbild für uns Hauptamtliche sein: der Laieneinsatz im Reich Gottes.
Wenn das Evangelium von Jesus heute vermehrt zu Menschen kommen soll, die nichts vom Evangelium wissen, dann brauchen wir Dienerleihen, die willens und fähig sind, ihren Glauben weckend und einladend zu bezeugen.
Jetzt sage ich einen harten Satz: Wenn im Reich Gottes etwas bewegt werden soll, dann brauchen wir bewusst eine Verringerung des Beamtenapparats und eine Stärkung des Laienelements in Gemeinschaft und Kirche.
Wenn ich sehe, was mein Bruder Kurt, ein Manager, für das Reich Gottes in der Gnade Gottes leisten konnte, bekomme ich manchmal Zweifel, ob ich den richtigen Beruf gewählt habe.
Was wir brauchen: In Kirche und Gemeinschaft schaufeln wir immer wieder dieselben Leute um. Wen erreichen wir denn neu? Wo kommen wir an die Zahnärzte, Chefärzte, Rechtsanwälte, Vorarbeiter in den Betrieben oder Gewerkschaftssekretäre? Das ist ein Bereich, der uns bisher verschlossen ist.
Wir müssen doch die Leute gewinnen, zum Beispiel den christlichen Zahnarzt, der vier Kollegen einlädt, damit ein Hauskreis entsteht. Wir brauchen den Laien, und wir brauchen eine Vernetzung der Laien.
In Stuttgart gibt es in den Ministerien jetzt einen Bibel- und Gebetskreis, in dem sich Leute aus dem Innenministerium und der Verwaltung treffen. Vielleicht müssen wir helfen, die Leute zusammenzuführen.
Mein Sohn arbeitet in einer Bauberufsgenossenschaft. Dort wurde plötzlich am schwarzen Brett ein Zettel aufgehängt: „Gibt es hier Christen?“ Neun Leute meldeten sich, die nichts voneinander wussten. Der Direktor der Bauberufsgenossenschaft sagte, sie könnten doch die Weihnachtsfeier gestalten. So konnten sie ihr Zeugnis geben.
Wir brauchen eine Vernetzung der Christen in einzelnen Einrichtungen und Großbetrieben. Wir brauchen draußen in der weltweiten Christenheit eine Vernetzung der Techniker, Mediziner, Verwaltungsleute und der Leute im konsularischen Dienst, die in Jakarta oder anderswo sitzen und nichts voneinander wissen. Nur so kann die Mission Jesu weitergetrieben werden.
Drei Teile: Wer etwas bewegen will, darf selbst kein von Menschen Gejagter und Bewegter sein. Wer etwas bewegen will, muss selbst etwas bewegen wollen. Und wer etwas bewegen will, muss ganz stark an die Laienmissionare denken.
Nichts läuft von selbst. Ständige Bewegung ist ein Unding, aber es muss auch nichts von selbst laufen.
Wie arm wären wir in der Pilgermission Sankt Grishona, die Gott so gesegnet hat, wenn es weiterlaufen müsste wie bisher. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu – brandaktuell!
Und die Fantasie und die Liebe Gottes auch, lieber Bruder Bayer, auch in der DDR. Das ist unsere Hoffnung alle Morgen, auch am 2. Juli, neu, dass ein neuer Abschnitt aufgeschlagen wird – der Gemeinschaftsbewegungen Kirche in der DDR.
Spittler wollte nichts anderes sein als ein Handlanger Jesu: Er der Meister, ich der kleine Hilfsarbeiter.
Unter den vielen schönen Gesangbuchversen von den Pilgern Gottes ist das vielleicht der wichtigste: „Ich auch auf der tiefsten Stufen. Ich will glauben, reden, rufen, ob ich schon noch Pilgrim bin. Jesus Christus, der ist doch da, und er herrscht als König; alles wird ihm untertänig. Ehret, liebet, lobet ihn, wollen beten.“
Herr, wir danken dir, dass du bewegt hast und dass du heute bewegen kannst. Lass uns nicht darüber verzagen, dass alles im alten Trott weitergehen muss.
Wir können gespannt darauf warten, was du an Neuem für uns bereit hast – an neuer Kraft, an einer neuen Schau, auch an neuer Ruhe zum Hören auf dich.
Wenn du in unser Leben kommst, dann ist Neues geworden. Schenk es uns und schenk es dieser gesegneten Pilgermission Sankt Grishona alle Morgen neu.
Amen.