Einführung in den aktuellen Diskurs zwischen Evangelischen und Katholiken
Fest überzeugt bin ich, dass diese Frage uns in den nächsten Jahren noch intensiv beschäftigen wird – nicht zuletzt innerhalb unserer eigenen evangelikalen Reihen. Dies zeigt sich deutlich in der öffentlichen Diskussion.
Der bleibende Konflikt zwischen evangelisch und katholisch wird von vielen heute nur noch mit einem Fragezeichen versehen. Dennoch ist es wichtig, an dieser kritischen Stelle, an der wir uns befinden, eine Bestandsaufnahme zu versuchen und zu fragen: Was sind die Konsequenzen, die wir daraus ziehen müssen?
Der Meinungsdruck wird zunehmend stärker. Hier sehen Sie die beiden führenden Repräsentanten der evangelischen und der römisch-katholischen Landeskirchen. Der Mann mit der roten Bauchbinde ist Kardinal Marx, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz. Der freundlich lächelnde Herr daneben ist Bischof Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der EKD, also der evangelischen Landeskirchen in Deutschland.
Die beiden haben mit einer gewissen menschlichen Freundlichkeit und viel Öffentlichkeitswirksamkeit dieses letzte „Ja“ bestritten und immer wieder deutlich gemacht: „Jetzt feiern wir gemeinsam. Die früheren Jubiläen dienten der Abgrenzung, aber die Zeit ist vorbei. Die Grenzen sind längst gefallen. Wir gehören doch im Wesentlichen schon längst zusammen.“
Am 31. Mai, also gestern, hat Bischof Bedford-Strohm in seiner Predigt in Wittenberg einen Gruß an Papst Franziskus gerichtet. Er sagte: „Lieber Papst Franziskus, Bruder in Christus, wir danken Gott von Herzen für dein Zeugnis der Liebe und Barmherzigkeit, das auch für uns Protestanten ein Zeugnis für Christus ist.“
Alles scheint also in Ordnung: Wir sitzen längst im selben Boot und gehen einen gemeinsamen Weg. Wenn ein Eindruck von diesen Jubiläumsfeiern zurückbleibt, dann dieser: Es gibt nur noch einen gemeinsamen Weg, evangelisch und katholisch. Wir haben so viel grundlegende, substanzielle Übereinstimmung in den zentralen Fragen, dass wir nicht mehr voneinander getrennt werden können.
Wandelnde Wahrnehmungen in evangelikalen Kreisen
Es gibt viele Anzeichen dafür, dass dieses Denken immer tiefer in unsere eigenen evangelikalen Reihen eindringt. Der alte evangelikale Konsens wird einmal von Eberhard Dahm beschrieben. Er ist der Leiter des EBTC-Verlages, stammt selbst aus einer katholischen Familie und hat lange Zeit ein katholisches Internat besucht. Aus der Sicht eines ehemaligen Katholiken schildert er die Situation folgendermaßen:
Stellen wir uns folgende Szene vor, sagt Dahm: Wir sind auf einem Schiff und kennen viele Passagiere sowie Besatzungsmitglieder persönlich. Das Schiff steuert auf einen Eisberg zu, doch die Mehrheit der Menschen will von diesem Kolosseisberg nichts hören oder wissen. Ein solches Schiff – und damit meint er die römisch-katholische Kirche – verlässt man nur schweren Herzens.
Man muss von Bord gehen, doch diese Trennung ist nicht einfach, auch wenn sie zur persönlichen Rettung gehört. Die Erinnerung an diese notwendige Trennung lässt einen später niemals los. Die Trennungsschmerzen reichen bis in die Familien hinein.
Die römische Kirche gleicht einem alten Hochseedampfer. An Bord gibt es vieles Gute – das weiß ich aus eigener Erfahrung, denn ich habe dort Menschen kennen und lieben gelernt. Doch ich habe das Schiff verlassen, wie unzählige andere auch. Manche wurden über Bord geworfen, andere sind von Bord gesprungen.
In all dem ging es um den Kurs des Schiffes, um den himmlischen Heimathafen. Aber wie gelangt man dorthin? Es geht um das Kartenmaterial zur Navigation, um die Autorität und das Kommando. Bestimmt menschliche Tradition den Kurs oder die Heilige Schrift? Wer ist der Kapitän – der Papst oder Christus?
Diese Position, die Ibrahim Adam hier in beeindruckender Klarheit beschreibt, galt bis vor einigen Jahren als evangelikaler Konsens. Inzwischen werden wir Schritt für Schritt an ganz andere Bewertungen und Bilder gewöhnt – und das wohlgemerkt im evangelikalen Kontext, nicht nur auf der EKD-Ebene.
Wir können nicht verhindern, dass diese anderen Bilder auch unsere Bewertungen und Wahrnehmungen prägen. Das Bild, das Sie hier sehen, zeigt Thomas Schirmacher gemeinsam mit Papst Franziskus. Thomas Schirmacher ist der Vorsitzende der theologischen Kommission der weltweiten Evangelischen Allianz und der Rektor des Buzer-Seminars.
Neue ökumenische Entwicklungen und ihre Protagonisten
Erst vor wenigen Tagen erschien in der Wochenzeitung Die Zeit ein Interview mit Thomas Schirmacher über sein Verhältnis zum Papst. Dieses Interview ist auch online nachzulesen. Dort wurde Schirmacher gefragt: „Ist dieser neue Papst oder erneuerte, ja nicht mehr, aber ist dieser Papst ein Geschenk für die Protestanten?“ Schirmacher antwortete: „Ja, dieser Papst sei eine einmalige Chance für die Protestanten.“ Wörtlich sagte er: „Franziskus ist vor allem ein Mann der Bibel, das macht ihn zu einem echten Erben Luthers“, so der Originalton von Thomas Schirmacher.
Im Jahr 2011, als noch der damalige Papst Benedikt Deutschland besuchte, erschien ein Buch, das von der Ehefrau Thomas Schürmachers gemeinsam mit Ulrich Barzani, Markus Spiker und anderen herausgegeben wurde. Der Titel lautete „Briefe an den Bruder in Rom“. Die einzelnen Autoren hatten 2011 den Papst eingeladen. Sie schrieben ihn als Bruder im Glauben an und baten ihn, bei der Evangelisation in Deutschland zu helfen.
Für das Jahr 2018 plant ProChrist eine große gemeinsame evangelistische Aktion, an der auch die katholische Kirche aktiv beteiligt werden soll – so wie es bei ProChrist seit vielen Jahren der Fall ist. Katholische Gemeinden wollen auf der Basis des apostolischen Glaubensbekenntnisses gemeinsam die Zeitgenossen für den Glauben gewinnen.
Wir werden immer häufiger mit dem Begriff des evangelikalen Katholiken vertraut gemacht. So bezeichnete Idea etwa den Passauer Bischof Stephan Oster, der ein ganz normaler katholischer Bischof ist. Aus der Perspektive von Idea wird er als ein Quasi-Evangelikaler gesehen, da er über viele Themen spricht, die auch den Evangelikalen am Herzen liegen. Idea widmete ihm sogar ein Titelbild mit den Worten „Journalist, Katholisch und Evangelikal“.
Ein weiterer, der in dieser Hinsicht eine weitreichende Wirkung erzielt, ist Johannes Hartl. Er wird inzwischen häufiger als Hauptredner zu klassischen evangelikalen Glaubensveranstaltungen eingeladen, wie etwa im letzten Jahr zum Männertag nach Wiedenest. Es ist erstaunlich, was Hartl mitunter zu sagen hat. Zum Beispiel dieses Zitat: „Der Mensch rettet sich eben nicht selbst, indem er an die Liebe glaubt, sondern es bedurfte des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers, um Menschen zu versöhnen, Kinder Gottes zu machen.“ So ein Wort würden Sie von Bischof Bedford-Strohm nur sehr selten hören, und das freut natürlich viele.
Es geht auch noch weiter: Zum Anlass des Reformationstages hat Hartl über Facebook am 30.10., also vor wenigen Tagen, folgendes gepostet: „Das Grundanliegen der Reformation ist bleibend wichtig – die Entdeckung der Rettung aus Gnade oder durch den Glauben. Diese Grundbotschaft, dass der Mensch nicht durch Gutsein in den Himmel kommt, sondern durch das Blut Jesu.“
Viele sagen dazu: „Was habt ihr denn? Reicht euch das immer noch nicht? Ist das nicht deutlich genug?“ Dazu kommt dann die Selbstverständlichkeit ökumenischer Gottesdienste und ökumenischer Trauungen. Der wiederholte Hinweis: „Wir sprechen ja doch alle gemeinsam das apostolische Glaubensbekenntnis.“ Wenn die römisch-katholische Kirche auch das apostolische Glaubensbekenntnis sprechen kann – also „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen“ – also ein gutes Glaubensbekenntnis, dann kann doch der Graben nicht mehr so furchtbar tief sein.
Existiert er überhaupt? Wie tief ist der Graben wirklich? Ist das nicht vielleicht ein Vorurteil, das wir aus einer langen Geschichte mitschleppen?
Gemeinsame ethische Positionen und die Herausforderung durch den Islam
Und dann werden wir daran erinnert, wie nah uns Katholiken in vielen ethischen Fragen stehen. Während die EKD mit fliegenden Fahnen die Ehe für alle bejubelt hat, gab es von Seiten der römisch-katholischen Kirche wenigstens noch manchen Widerspruch dagegen, dass einfach per Parlamentsbeschluss in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Schöpfungsordnung öffentlichkeitswirksam abgeräumt wurde.
Wenigstens aus der römisch-katholischen Kirche kam einiger Widerspruch. Wir freuen uns darüber, dass die römische Kirche den Marsch für das Leben, also den Einsatz für das Lebensrecht der Ungeborenen, viel stärker unterstützt als man das jemals von der EKD erwarten könnte. Dieser Marsch für das Leben in Berlin mündet regelmäßig in einen ökumenischen Gottesdienst.
Und dann kommt das Erstarken des Islam hinzu, das von der Mehrheit unserer politischen Protagonisten zwar leichtsinnig verharmlost wird. Doch wer genauer hinschaut, sieht, welches Konfliktpotenzial sich dort weiter zusammenbraut. Viele fragen sich daher: Müssen nicht erst recht jetzt evangelische und katholische Christen zusammenhalten? Zumindest diejenigen, die sich im weitesten Sinne als christlich verstehen, sollten eine letzte Bastion gegen diese Entwicklungen bilden können.
Diese Frage ist nicht fern, sondern sehr naheliegend. Nun müssen wir uns positionieren. Wir können uns nicht einfach zurückziehen und sagen, das geht uns nichts an, und irgendwann wird der Gang dieser Diskussion über uns hinweggezogen sein.
Darum müssen wir heute Nachmittag eine substanzielle, belastbare Antwort auf diese Frage finden: Wie tief ist der Graben wirklich? Gibt es den Konflikt nun oder nicht? Und was ist unsere Verantwortung vor unserem Herrn in dieser Situation?
Historische Perspektive auf den Graben der Reformation
Die Bilder aus der Reformation vermitteln hier einen klaren Eindruck. Wir haben das gestern bereits bei der Disputation zwischen Luther und Eck in Leipzig 1519 gesehen. Dort standen die Positionen einander deutlich gegenüber: der eine an diesem, der andere am entgegengesetzten Pult. Es war ein erbitterter theologischer Diskussionskampf um die Durchsetzung der eigenen Position.
Nicht, dass sie damals nicht versucht hätten, den Graben wieder zu schließen. Es wurde zu Recht daran erinnert, dass Luther gar keine kirchliche Spaltung wollte, sondern eine innerkirchliche Verständigung. 1530 gab es in Augsburg noch die Religionsgespräche, natürlich, und dann noch einmal in den 1540er Jahren.
Doch je länger sie verhandelten, desto brutaler wurde ihnen klar, wie weit ihre Überzeugungen auseinanderlagen. Es gibt von Luther ein bewegendes Zitat, das an Melanchthon gerichtet ist. Luther konnte am Augsburger Reichstag 1530 nicht teilnehmen, weil er noch unter Acht und Bann stand und deshalb auf der Festung Coburg bleiben musste.
Dann erhielt er von Melanchthon die Information, dass dieser Eck dazu gedrängt habe, zuzugeben, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt würden. Luther schreibt an Melanchthon: „Du schreibst, Eck sei von dir zu dem Geständnis gezwungen worden, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt werden. Hättest du ihn lieber gezwungen, diese Lüge nicht auszusprechen.“
Damit will er sagen: Das ist ein fauler Kompromiss. Wenn Eck all das glaubt, was er bisher geglaubt hat und was er Luther gegenüber vertreten hat, dann kann er nicht an die Rechtfertigung aus Glauben glauben. Das ist ein taktischer Winkelzug, und du solltest ihn nicht um des lieben Friedens willen zu einem taktischen Winkelzug verleiten.
An seinen Freund Justus Jonas schreibt Luther: „Ich berste fast vor Zorn und Unwillen. Ich bitte, brecht die Verhandlung ab, hört auf, mit ihm zu unterhandeln und kehrt heim!“
Verhandlungen über die Einheit in der Lehre gefallen mir ganz und gar nicht, weil eine Einigung ausgeschlossen ist, wenn nicht der Papst sein Papsttum geradezu aufgeben will.
Damit sagt Luther: Leute, wenn wir ehrlich bleiben wollen, dann wird es keine Einigung auf dieser Basis geben können. Hört bitte auf, euch und anderen Sand in die Augen zu streuen!
Zwei gegensätzliche Deutungen der konfessionellen Spaltung
War diese Bewertung richtig? Wie tief ist der Graben wirklich?
Heute begegnen wir mehrheitlich zwei verschiedenen Deutungen, die ich hier These A und These B nenne. These A besagt, der Graben war schon damals, also zur Reformationszeit, nur ein Rinnsaal. Die konfessionelle Trennung war seiner Ansicht nach schon damals unnötig. Es handelte sich mehr um ein Problem der Kommunikation und Wahrnehmung. Wären die Beteiligten etwas besonderer miteinander umgegangen, hätte es schon damals keinen Bruch, keinen Crash geben müssen.
Diese Argumentation findet sich etwa in der Gemeinsamen Erklärung zum Jahr 2016, herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Ein Kritiker dieses Papiers, Martin Schuck, hat die These folgendermaßen beschrieben. In einem Kommentar auf seinem Blog schreibt er: „Am Ende dieses Papiers bleibt die Erkenntnis, wären die Theologen vor 500 Jahren so empathisch, also zugewandt, klug und sensibel gewesen wie die heutigen Ökumeniker – denken Sie an die beiden lächelnden Herren am Anfang –, dann hätte es keine Reformation, keine Kirchenspaltung und auch keine evangelischen Kirchen geben müssen. Die Einheit der abendländischen Christenheit wäre unter dem Papst erhalten geblieben.“
Dann fügt er mit einem Lächeln hinzu: „Das muss man als Protestant aber nicht unbedingt wollen.“
Die einen sagen also, der Graben war eigentlich gar nicht so tief. Es sei viel Ungeschicklichkeit am Werk gewesen. Er war nur ein Rinnsaal. Andere vertreten die Ansicht, These B, der Graben war schon tief. Doch inzwischen konnten wir ihn durch zähe Verhandlungen und lange Jahrhunderte weitgehend überbrücken. Die Trennung sei inzwischen unnötig geworden, weil es auch auf der römisch-katholischen Seite substanzielle Veränderungen gegeben habe.
Diese These vertritt beispielsweise der frühere evangelische Bischof Wilckens. Auch Thomas Schirmacher geht immer wieder an die Öffentlichkeit und sagt, wir seien längst sehr viel weiter als zur Reformationszeit, sehr viel näher beieinander. Schirmacher rühmt ein Enzyklika des Papstes und bezeichnet sie fast als eine evangelikale Bibelarbeit.
Praktisch haben sich andere ebenfalls dafür entschieden zu sagen: Ja, wir können mit der römischen Kirche in der Evangelisation zusammenarbeiten. So vertritt etwa Ulrich Barzani diese Position nach wie vor.
Dies sind die beiden Deutungen, die man heute hat. Die einen sagen, der Graben war nur ein Rinnsaal. Die anderen meinen, der Graben war zwar tief, aber wir haben ihn inzwischen weitgehend überbrückt.
Nun müssen wir vorgehen, wie bei einem wissenschaftlichen Experiment, möchte man fast sagen: Wir müssen diese Behauptung prüfen.
Methodische Klärung der zentralen Streitpunkte
Im Rahmen eines Vortrags, bei dem Sie ja irgendwann auch noch nach Hause wollen, ergibt sich nun folgende Logik: Die für uns wichtigere Frage oder These von beiden ist eindeutig These B. Warum?
Wenn wir These B widerlegen würden – also, der Graben war tief, ist aber inzwischen überbrückt – dann hätten wir damit zugleich auch These A erledigt. Diese besagt, dass es eigentlich nur ein Rinnsal gewesen und nie so tief gewesen sei.
Denn wenn der Graben heute noch tief wäre, also wenn wir These B widerlegen würden, dann muss er auch damals schon ziemlich tief gewesen sein. Es sei denn, die römische Kirche hätte sich heute noch weiter von der Bibel entfernt als zur Reformationszeit. Aber das würde von den Ökumenebefürwortern ja keiner behaupten.
Also ist es methodisch angebracht, dass wir uns für den Rest dieses Vortrags auf die Klärung von These B konzentrieren. Wir fragen: Wie tief ist der Graben wirklich? Ist es gelungen, ihn zu überbrücken – ja oder nein?
Jetzt gehen wir den nächsten Schritt und fragen, an welchen konkreten Lehrpunkten wir diese These überprüfen wollen. Welche Lehrpunkte sind die Wurzel des Konflikts?
Hier haben wir die glückliche Ausgangssituation, dass sich die Konfliktparteien zur Reformationszeit darin ziemlich einig waren. Ihnen war ziemlich klar, wo die Hauptgegensätze lagen.
Die Hauptgegensätze lagen einmal bei der Frage, was die Quelle der Wahrheit ist. Die Reformatoren sagten: Die Bibel ist Gottes Wort und steht konkurrenzlos über allen Traditionen.
Ein zweites Hauptanliegen der Reformation war der zweite Hauptdifferenzpunkt: Was ist das Herzstück der Wahrheit?
Da waren sich die Reformatoren einig, und auch die römische Kirche erkannte an, dass hier in der Tat der substanzielle Gegensatz liegt. Die Frage lautete: Wie wird ein Mensch gerettet? Wie kommen wir in den Himmel? Wie bekommen wir einen gnädigen Gott?
Jetzt verrate ich Ihnen etwas, das Ihnen wahrscheinlich auch so bekannt ist: Zu diesen beiden Kernthemen äußert sich das apostolische Glaubensbekenntnis nicht.
Das Apostolikum gibt weder eine Antwort auf die Frage, was die letzte Quelle der Wahrheit ist, noch auf die Frage, wie ein Mensch gerettet wird und einen gnädigen Gott bekommt.
Deshalb sagt die Übereinstimmung im Apostolikum noch überhaupt nichts darüber aus, wie es um die Gemeinsamkeit im Hinblick auf diese beiden entscheidenden Differenzpunkte steht.
Deswegen bringt es nichts zu sagen: „Wir können gemeinsam das Apostolikum sprechen, dann können wir auch gemeinsam evangelisieren.“
Das Apostolikum sagt nichts über die Botschaft der Evangelisation, also darüber, wie ein Mensch gerettet wird und in den Himmel kommt.
Aber das sind die beiden Kernthemen gewesen: Was ist die Quelle der Wahrheit und was ist das Herzstück der Wahrheit?
Später sind dann noch weitere Gegensätze dazugekommen, neuere Dogmen der römisch-katholischen Kirche, zum Beispiel das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Marias im Jahr 1854. Dieses besagt, dass Maria ohne Erbsünde geboren wurde und selbst sündlos gewesen sei.
Dann kam das Dogma von der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes hinzu, das wurde 1869 verkündet.
Schließlich kam das Dogma von der Himmelfahrt Mariens, also 1950, durch Papst Pius XII.
Das alles ist noch dazugekommen und muss jemand glauben, der ein guter Katholik im Sinn der katholischen Kirche sein will.
Aber die beiden zentralen Gegensätze sind noch viel grundsätzlicher. Das sind diese beiden: die Frage nach der Quelle und die Frage nach dem Herzstück – wie kommt ein Sünder in den Himmel?
Darum müssen wir die vorgegebene Behauptung, dass der Graben überbrückt sei, jetzt an diesen beiden Punkten prüfen.
Prüfung der Übereinstimmung in der Frage nach der Quelle der Wahrheit
Die Behauptung lautet, der Graben zwischen evangelisch und katholisch sei inzwischen weitgehend überbrückt. Es gibt zwar noch einige Restfelder, gewissermaßen, doch insgesamt gilt, dass der Graben weitgehend überwunden ist.
Wir fragen nun nach der Quelle und wenden uns an die Tridentinische Kirche. Die Antwort darauf lautet eindeutig: Nein, das Tridentinische Konzil gilt bis heute. Im katholischen Jugendkatechismus, herausgegeben von Bernhard Meuser, finden wir einen Beleg dafür, dass dies auch jungen Katholiken aktuell nahegebracht werden soll.
In diesem bekannten Jugendkatechismus heißt es: „Woher wissen wir, was zum wahren Glauben gehört?“ Die Antwort lautet: „Den wahren Glauben finden wir in der Heiligen Schrift und in der lebendigen Überlieferung der Kirche.“ Das entspricht auch dem, was wir heute Morgen von Johannes Hartl zitiert haben: Es braucht die Kirche, um die Wahrheit vollständig zu formulieren.
Der Jugendkatechismus stellt dann eine pädagogische Zusatzfrage: „Kann sich die Kirche in Glaubensfragen irren?“ Die Antwort darauf ist: „Die Gesamtheit der Gläubigen kann im Glauben nicht irren.“ So wie die Jünger Jesus von ganzem Herzen geglaubt haben, kann sich ein Christ ganz auf die Kirche verlassen, wenn er nach dem Weg zum Leben fragt.
Der katholische Jugendkatechismus aus dem Jahr 2012 argumentiert bis heute an dieser Stelle ähnlich wie Luthers Zeitgenossen, etwa Erasmus von Rotterdam, oder wie wir es heute Vormittag bei Johannes Hartl gelesen haben: Es braucht eine Instanz. Es wird gesagt: „Ihr seht doch, wo ihr hinkommt mit eurer direkten Bibelberufung. Das gibt doch ein Chaos. Wer ordnet das denn bitte schön?“ Diesen Vorwurf hat man schon gegen Luther erhoben.
Martin Luther hat darauf sinngemäß etwa so geantwortet: „Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenschlagen und es klingt hohl, dann muss das nicht am Buch liegen.“ Das ist meine Formulierung, aber ich glaube, Luther hätte sich darüber gefreut. Ich habe sie auch irgendwo mal gehört.
Damit will man sagen: Wenn sündige und irrtumsfähige Menschen die Bibel lesen, wird es immer wieder Verwirrung und Irrtümer geben. Das liegt nicht an der Bibel, sondern an den sündigen Menschen. Aber die Köpfe des römischen Lehramtes sind doch mindestens genauso fehlbar wie die Köpfe der einzelnen evangelischen Christen, also genauso fehlbar.
Deshalb sind wir alle darauf angewiesen, dass die Bibel sich uns in ihrem Wortsinn selbst erschließt und erklärt. Wir lösen das Problem nicht, indem wir sagen, eine Kommission unter der Leitung des Papstes müsse entscheiden. Die Bibel hat versprochen, sich uns auszulegen. Gott hat gesagt: „Ja, ich rede zu euch, die Schrift ist klar.“
Der Zentralismus des katholischen Lehramtes kann eine Einheitsmeinung machtpolitisch erzwingen, aber er kann keine Wahrheit garantieren. Das musste zum Beispiel Galileo Galilei schmerzlich erfahren. Auch dort hat das katholische Gremium entschieden und gesagt: „Es ist wahr, dass Galileo Galilei sich geirrt hat.“ Doch das war keine Wahrheit, sondern eine machtpolitische Entscheidung.
So waren die Reformatoren überzeugt von der Selbstdurchsetzungskraft der Bibel. Ich erinnere noch einmal an den Begriff der Efficacia Scripturae – die Schrift setzt sich durch.
Für den ersten Testfall haben wir die These B eindeutig widerlegt. Der Gegensatz im Hinblick auf die Quelle der Wahrheit – ob es die Schrift allein ist oder ob kirchliche Traditionen, das päpstliche Lehramt und Entscheidungen von Konzilien das gleiche Gewicht haben – ist heute genauso tief wie im 16. Jahrhundert.
Dass dies viele Vertreter der evangelischen Seite nicht so sehr stört, liegt daran, dass sie sich an diesem Punkt selbst weit von der reformatorischen Position entfernt haben. Inzwischen gibt es auch fast in der evangelischen Kirche so etwas wie ein neues Lehramt, das über die Auslegung der Bibel entscheiden soll: die historisch-kritische Theologie.
So haben sich maßgebliche Funktionäre der EKD inzwischen selbst durch einen tiefen Graben von der Reformation getrennt. Das zeigt auch die Denkschrift zum Jubiläum „Rechtfertigung und Freiheit“. Dort heißt es, die Frage der Rechtfertigung, wie der Mensch als Sünder vor Gott gerettet wird, gehöre eigentlich ins Mittelalter und sei für uns heute nicht mehr so relevant.
Man sagt, die Bibel könne man nicht mehr als Gottes Wort bezeichnen, wie es die Reformatoren taten. Und was man dazu sagt, dass Jesus als einzige Wahrheit verkündigt werden dürfe, haben wir heute Vormittag gesehen. Damit hat man sich selbst von den Grundeinsichten der römischen Kirche und der reformatorischen Kirche entfernt.
Wer aber gemeinsam mit den Reformatoren – und ich unterstelle, dass das unser Motiv ist – und wer gemeinsam mit Jesus daran festhält, dass die Bibel die letzte Autorität und die höchste Instanz ist, befindet sich nach wie vor in einem tiefen Gegensatz zur aktuellen römisch-katholischen Kirche.
Prüfung der Übereinstimmung in der Frage der Rechtfertigung
Und jetzt müssen wir noch den zweiten Punkt klären. Sie sehen, wir arbeiten das ganz systematisch ab, Fragen anhand der einzelnen Parameter. Gibt es nun Übereinstimmung oder gibt es sie nicht?
Und jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt: Wie steht es mit dem Herzstück des Gegensatzes? Wie steht es mit dem Evangelium selbst, mit der Frage, wie kommt einer in den Himmel oder in die Hölle? Konnte wenigstens hier der Graben zugeschüttet werden?
Auch hier hatte das Konzil von Trient die reformatorische Überzeugung im sechzehnten Jahrhundert glasklar zurückgewiesen und gesagt: Wer das lehrt, dass man allein durch das Vertrauen zu Jesus gerettet wird, der sei Anathema, der steht also unter dem Verdammungsurteil.
Wie steht es nun um diese Rechtfertigung? Jetzt sind wir an der Schlüsselfrage zum Schluss angelangt, und ich bin so frech, das noch mal zu nutzen als kleinen Werbeeinschub, nämlich zu einem Buch, das innerhalb der nächsten Wochen, wahrscheinlich im nächsten Monat, erscheinen wird: "Wann ist ein Christ ein Christ – der Kampf um die Rechtfertigung". Das ist erschienen im EWTC Verlag, und dort versuche ich diese Fragestellung noch einmal in ihrer biblischen Verankerung und in ihrer Aktualität zu entfalten.
Wir müssen das nun klären: Wie steht es um die Rechtfertigung? Was ist Rechtfertigung nach dem Neuen Testament? Wie findet der Sünder einen gnädigen Gott? Was hat Paulus entfaltet, als er das im Römerbrief und im Galaterbrief im Auftrag des Herrn offenbarte?
Hier an diesem Punkt – und, liebe Geschwister, das müssen wir deutlich sehen – entscheidet sich das Christsein eines Menschen nach Aussage der Bibel. Hier an diesem Punkt entscheidet sich Heil oder Verdammnis.
Deswegen können wir nicht einfach durch die Finger sehen und sagen: Na ja, man wird es schon nicht so genau nehmen müssen, wir müssen da eben etwas lockerer sein. Die Reformatoren wussten, wofür sie sich einsetzten und wofür sie auch ihr Leben riskierten.
Rechtfertigung nach dem Neuen Testament heißt Solus Christus: Allein durch Jesus Christus wird der Sünder mit Gott versöhnt und durch niemanden sonst. Das heißt zugleich sola gratia: Allein aus Gnade schenkt Gott dem Verlorenen Rettung und Gottes Kindschaft und ewiges Leben. Und das heißt schließlich solafide: Allein durch den persönlichen Glauben an Jesus Christus ergreift der Sünder die Gnade und empfängt die Rettung als Geschenk.
Damit ist zugleich gesagt, was Rechtfertigung nicht bedeutet. Allein Christus heißt, alle zusätzlichen Mittler zwischen Gott und Mensch – seien es Kirche, Maria oder vermeintliche Heilige – sind damit ausgeschlossen. Die Menschwerdung Gottes erfährt keine Fortsetzung in der Kirche. Die Kirche ist nicht die Fortsetzung der Menschwerdung Gottes in Jesus.
Allein aus Gnade heißt zugleich: Es bedarf zur Gewährung des Heils keiner zusätzlichen Wohltaten oder Heilzuwendung, die durch das sakramentale Handeln der Kirche erfolgen. Sola gratia heißt, jedes menschliche Verdienst – sei es vonseiten eines anderen Menschen oder sei es vonseiten des Sünders selbst – jedes menschliche Verdienst, das die Gewährung von Gottes Gnade vorbereiten oder begünstigen könnte, ist völlig ausgeschlossen.
Und allein durch den Glauben bedeutet: Es bedarf zum Empfang und zur Bewahrung des Heils keiner guten Werke, keiner Rituale und keiner Sakramente. Sie sind nicht heilsnotwendig.
Wer den Glauben zur Erlangung des Heils durch menschliche Leistungen ergänzen und vervollständigen will, der zerstört ihn damit!
Paulus entfaltet das ausführlich in Galater 2,15-20, wo er sagt: Wenn ihr zusätzlich die Beschneidung fordert und sagt, es sei notwendig zur Rettung, dann zerstört ihr alles! Dann habt ihr nicht nur einen theologischen Fehler begangen, sondern habt Christus selbst verloren. Dann ist er für euch umsonst gestorben, weil ihr ja damit sagt, es reicht nicht aus, was er getan hat.
Das sind die Solarbestimmungen und was sie zugleich ausschließen. Und genau so haben es die Reformatoren dann gesagt.
Das Konzil von Trient hat klar geantwortet und gesagt: Wer behauptet, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes als das Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, die um Christi willen die Sünden nachlässt, also vergibt, oder dieses Vertrauen allein sei es, wodurch wir gerechtfertigt werden – und in der Tat, das behauptet das Neue Testament, in der Tat, das behauptet Paulus, in der Tat, das behaupten auch die Reformatoren –, der sei anathema, der sei ausgeschlossen.
Und das Trienter Konzil gilt bis heute. Die römisch-katholische Kirche kann und will es nicht zurücknehmen, weil sie sich damit quasi selbst auflösen würde.
Und jetzt schauen wir mal, was dagegen das zentrale Bekenntnis der Reformation sagt, die Augsburger Konfession von 1530, hier abgekürzt als CA 4, weil der vierte Artikel von der Rechtfertigung handelt.
Da heißt es: Weiter wird gelehrt, dass wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen mögen durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern dass wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christi Willen durch den Glauben, so wir glauben, dass Christus für uns gelitten hat und dass uns um seinet Willen die Sünden vergeben und Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott für Gerechtigkeit vor ihm halten und zurechnen, wie Sankt Paulus sagt.
Das ist noch einmal eine schöne zusammenfassende Rechtfertigung.
Sie müssen wissen, das Augsburger Bekenntnis war zweisprachig. Es gilt also sowohl in seiner deutschen als auch in seiner lateinischen Fassung. Ich sage das deshalb, weil in der lateinischen Fassung dieses wunderschöne Wort, das den Sinn so hervorragend herausmeißelt, auftritt: gratis.
Wir alle schätzen, dass wir hier manches gratis bekommen haben in diesen Tagen. Das heißt umsonst, ohne Verdienst.
Und diese Kernformulierung „aus Gnade um Christi Willen durch den Glauben“ heißt in der lateinischen Fassung „gratis justificamur propter Christum per fidem“. Das heißt, wir werden gratis gerettet wegen Christus durch den Glauben, weil wir ihn im Glauben ergreifen.
Und das ist ein eindeutiger Befund: Was CA 4 als Wahrheit lehrt, muss Trient als Ketzerei ausschließen. Und umgekehrt: Was Trient als wahre Lehre fordert, muss CA 4 als ein anderes Evangelium ablehnen, so wie es Paulus in Galater 1,6-9 gesagt hat.
Wer das vertritt, was ihr hier vertretet – das waren die Leute, die das Solus Christus ergänzen wollten durch die Beschneidungsforderung –, der hat ein anderes Evangelium, der hat ein Pseudoevangelium, das ihn nicht retten kann.
Konsequenzen der theologischen Differenzen heute
Und jetzt wird es spannend, denn nun müssen wir fragen: Was folgt aus diesem Befund heute? Das Tridentinum ist ja nicht nur eine historische Position, also das Trienterkonzil. Es ist nicht nur eine theologische Momentaufnahme, sondern das Trienterkonzil stellt die aktuell gültige römisch-katholische Lehre dar, auf die jeder Priester verpflichtet wird.
Wenn man sich den aktuellen Katechismus der katholischen Kirche aus dem Jahr 1993 anschaut, sieht man, dass dort Trient natürlich bekräftigt, wieder aufgenommen, zitiert und bestätigt wird. Deshalb hatte Luther auf dieser Abgrenzung Bestand, weil er sagte: Wenn wir das aufgeben, verlieren wir die freie Gnade. Er machte deutlich, dass es hier nicht um die Abgrenzung gegen Menschen oder Menschengruppen geht, sondern um eine Abgrenzung in der Sache. Es handelt sich um eine Abgrenzung gegen eine falsche Lehre, gegen ein falsches Lehrsystem.
Lassen Sie mich das hinzufügen: Es ist heute gegenüber der römisch-katholischen Kirche sowohl ein Gebot des gegenseitigen Respekts als auch ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit, dass wir einander eingestehen, dass die beiden gegenüberstehenden Konzepte nicht gleichzeitig wahr sein können. Der zentrale Gegensatz zwischen evangelisch und katholisch liegt nicht in einer Nebenfrage. Er pulsiert, er pocht im Herzen der neutestamentlichen Botschaft, nämlich der Rechtfertigung.
An diesem Punkt müssen wir, wenn wir für die Debatten gerüstet sein wollen, natürlich mit einem vehementen ökumenischen Einspruch rechnen. Dieser ökumenische Einspruch, dieser ökumenische Optimismus beruft sich seit 18 Jahren auf ein Zauberwort, das wie ein Mantra ständig wiederholt wird: die gemeinsame Erklärung, die ebenfalls in Augsburg verabschiedet wurde – nicht zu Reformationszeiten, sondern im Jahr 1999. Es handelt sich um die Gemeinsame Erklärung von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund zur Rechtfertigungslehre.
Wenn wir das noch geschafft haben, dann haben Sie heute Nachmittag richtig gut gearbeitet. Mit dieser Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre sei doch wohl der Nachweis erbracht, dass wir an diesem Herzstück keinen Gegensatz mehr haben. Es gäbe jetzt eine substanzielle Übereinstimmung. Das hat ja auch Hartl noch einmal gesagt: Es gebe jetzt eine substanzielle Übereinstimmung darüber, wie der Sünder in den Himmel kommt.
In Artikel 5 dieser Gemeinsamen Erklärung heißt es: Sie will zeigen, dass aufgrund des Dialogs die unterzeichnenden lutherischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche nunmehr imstande sind, ein gemeinsames Verständnis unserer Rechtfertigung durch Gottes Gnade im Glauben an Christus zu vertreten. Es gibt ein gemeinsames Grundverständnis über Rechtfertigung, Glauben und Gnade.
Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn wir den Graben überbrücken können, dann werden wir langfristig auch jeden anderen Graben überbrücken. Dann ist es auch berechtigt, gemeinsam zu evangelisieren, denn dann haben wir auch wirklich ein gemeinsames Evangelium.
Wer sich jetzt, nachdem diese Gemeinsame Erklärung – manche sagen GE und manche GER, was jeweils dasselbe Dokument meint – immer noch gegen die Einheit der Konfession wehrt und weiterhin auf Abgrenzung gegenüber der römisch-katholischen Kirche besteht, dem mangelt es entweder an Gutwilligkeit oder er zeigt damit nur seine konfessionalistische Borniertheit und Unbelehrbarkeit.
Die Presse zeigt uns dazu entsprechende Bilder guten Willens. Es gibt einen Konsens in Grundwahrheiten, es gibt keinen Anlass mehr für Lehrverurteilungen. Ein solches Konsensbild sehen Sie rechts: Anselm Grün sitzt dort, der bekannte Benediktinerpater, daneben der inzwischen pensionierte Kardinal Kasper, einer der Ökumenexperten der römisch-katholischen Kirche, und rechts davon Steffen Kern, der Leiter der Apis, also der Pietisten in Stuttgart, und einer der Sprecher der Evangelikalen in der württembergischen Landessynode.
Kern und Anselm Grün haben bei den Ökumenischen Medientagen 2016 eine Bibelarbeit gehalten. Steffen Kern sagte dabei: Immerhin, das ist es doch, was uns entscheidend verbindet, dass wir gemeinsam predigen, dass der Mensch nur durch den Glauben an Jesus gerettet werde. Auch Steffen Kern geht also davon aus, dass die Gemeinsame Erklärung offensichtlich das Problem nun gelöst hat.
Kritische Analyse der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Was aber hat die Gemeinsame Erklärung (GE) zur Rechtfertigungslehre wirklich erbracht? Worin besteht ihr theologischer Ertrag?
Da steht es, aber jetzt gehen wir noch einmal durch. Ich muss mich natürlich auf einige Hinweise beschränken, aber man kann im Jahr 2017 nicht über dieses Thema sprechen, ohne das GE-Problem aufgezeigt zu haben. Ich erinnere noch einmal daran, was das Konzil von Trient lehrte: Allein der Glaube genügt nicht. Wer das behauptet, steht unter dem Verdikt des katholischen Glaubens und ist anathema.
Jetzt müssen Sie sich Folgendes klarmachen: Glaube im katholischen System bedeutet nicht einfach Vertrauen auf Jesus. Nach katholischer Dogmatik ist Glaube eine Tugend. Diese Tugend wird dem Menschen durch die Taufe verliehen, genauso wie die Liebe und die Hoffnung. Diese Tugend Glaube wird nun durch Gottes Gnade unterstützt.
Dadurch, dass die Tugend durch die Gnade unterstützt wird, kann der Mensch Werke vollbringen. Durch diese Werke, die er aus der Kombination von Tugend und Gnade gewissermaßen erarbeiten kann, verdient er sich letztlich den Eintritt in Gottes Reich. Das ist die klassische Position: Glaube ist eine Tugend, die durch Gottes Gnade unterstützt wird – auch durch die Hilfsmittel der Kirche, durch die Beichte, die Eucharistie und so weiter. Auf diesem Wege wird der Mensch dazu gebracht, entsprechende verdienstliche Werke zu vollbringen, und dadurch wird gewährleistet, dass er in den Himmel kommt.
Das ist das katholische Verständnis von Glauben: Glauben als Tugend, unterstützt durch die Hilfsmittel. Logischerweise muss Trient dann das sola fide strikt ablehnen, weil dort nichts von Glaube plus Gnade, Tugend plus Gnade plus Werke vorkommt. Dort heißt es allein Christus, er reicht, allein was er am Kreuz von Golgatha getan hat.
Ich denke, jetzt wird deutlicher, wo der entscheidende Unterschied zwischen evangelisch und katholisch liegt. Das ist wirklich das Herzstück des Gegensatzes. Evangelisch definiert die Rechtfertigung exklusiv sola fide – allein durch den Glauben und nicht sonst. Katholisch dagegen definiert die Rechtfertigung inklusiv, das heißt durch den Glauben plus Werke, durch den Glauben plus Verdienst – nicht sola fide, aber fide.
Deswegen kann jeder gute Katholik auch sagen, dass der Mensch durch den Glauben gerettet wird, weil der Glaube ja dazugehört, aber eben nicht durch den Glauben allein. Verstehen Sie?
Die bekannte Kirchengeschichtlerin Dorothea Wendeburg hat diesen Unterschied in einem populärwissenschaftlichen Vortrag einmal nicht ohne Humor so beschrieben: Sie sagt, bei jedem Einkauf im Supermarkt wissen wir sehr wohl zu unterscheiden zwischen einem Obstsaft, auf dem geschrieben steht „mit frischen Orangen“, und einem, bei dem es heißt „ausschließlich aus frischen Orangen“. Das eine ist inklusiv und das andere exklusiv.
Rechtfertigung exklusiv wäre also „ausschließlich frische Orangen“, nur frische Orangen, sola frische Orangen, wenn man so will, sola fide. Inklusiv wäre „mit frischen Orangen“ – ja, Glaube plus Werke, Glaube plus Verdienst. Und das ist der zentrale Gegensatz. Sie fügt hinzu: Bei den Orangen wissen wir zu unterscheiden und zu wählen. Sollten wir ausgerechnet dort, wo es um unsere Grundlage im Leben und im Sterben geht, weniger unterscheidungsfähig und weniger wählerisch sein?
Also noch einmal: Evangelisch exklusiv heißt, wir werden gerettet ausschließlich durch den Glauben an Jesus. Katholisch inklusiv heißt: Ja, wir werden gerettet, natürlich nur mit Glauben an Jesus, aber eben auch mit guten Werken, die ebenfalls erforderlich sind. Ich denke, der Gegensatz ist deutlich geworden.
Und genau dieser Gegensatz wird durch die gemeinsame Erklärung nicht ausgeräumt. Was macht die GE? Die GE stuft das sola fide zu einer protestantischen Sonderlehre herab und sagt: Nein, das ist keine Grundwahrheit, die zum Wesen der Rettung gehört. Das sola fide ist keine Wahrheit, über die man sich einigen muss, wenn man die Rechtfertigung trotzdem gemeinsam bekennen will, wenn man trotzdem gemeinsam evangelisieren will. Das dürfen die Evangelischen gern behalten. Das ist so ihr evangelischer Spezialstallgeruch, den dürfen sie ruhig noch haben, aber der ist nicht entscheidend für die Rechtfertigung.
Ja, dass Glaube dazugehört, das muss man bekennen, um Christ zu sein. Aber dass wir allein im Glauben gerechtfertigt werden und dass der Glaube folglich die Gewissheit unseres Heils im Leben und im Sterben ist, das, sagt die GE, gehört nicht unbedingt zum Grundbestand dazu.
Nun folgert man: Okay, ein gemeinsames Bekennen von Rechtfertigung wird dadurch möglich, dass die evangelische Seite hinnimmt, dass sie das „allein“ für verzichtbar erklärt. Und genau das ist in der gemeinsamen Erklärung geschehen. In der gemeinsamen Erklärung hat sich die katholische Position voll durchgesetzt, und die evangelischen Vertreter haben es trotzdem unterschrieben.
Warum? Dann sind beide vor die Presse getreten und haben freudestrahlend verkündet: Auf der Basis dieser neuen Erklärung sind die alten Lehrverurteilungen nicht mehr gültig. Thomas Schirrmacher zieht durch die Lande und sagt, es gibt die GE, und die alten Lehrverurteilungen sind nicht mehr gültig.
Nun, für die römisch-katholische Kirche war das kein Kunststück, denn die Evangelischen hatten sich ja unterworfen. Man hatte ja das sola fide in seiner Exklusivität zurückgenommen. Für die Evangelischen aber war das ein Akt der Selbstaufgabe. Sie haben gesagt, wir nehmen im Endergebnis unseren Einspruch zurück, obwohl die katholische Kirche bei ihrer alten Linie bleibt. Damit haben die evangelischen Vertreter zugegeben, es gibt echte Rechtfertigung ohne sola fide.
Es gibt echte Rechtfertigung ohne sola fide – Hauptsache fide ist dabei. Liebe Geschwister, der Apostel Paulus hätte diese Erklärung niemals unterschrieben. Der Apostel Paulus hätte auf diese Erklärung mit dem Galaterbrief geantwortet, weil es dort im Prinzip um die gleiche Fragestellung ging: Reicht der Glaube an Jesus allein oder reicht er nicht?
Wir wissen, was der Apostel Paulus geschrieben hat: Galater 1,6-9: „Mich wundert, dass ihr euch so schnell abwenden lasst von dem, der euch durch die Gnade des Christus berufen hat, zu einem anderen Evangelium, während es doch kein anderes gibt. Nur sind etliche da, die euch verwirren und das Evangelium von Christus verdrehen. Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch etwas anderes als Evangelium verkünden würden, als das, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht.“
Nun könnte man einwenden, Frau Wendeburg sei evangelisch parteiisch und habe die GE zu kritisch gedeutet.
Dass dies nicht so ist, lässt sich mit einer Stellungnahme von der Gegenseite belegen, die beweist, dass Frau Wendeburg die GE richtig verstanden hat. Professoren wie Bauer, Slenska und andere unterstützen diese Sicht.
Der Vatikan hat in diesem Drama noch ein weiteres Dokument gefordert, mit dem er sicherstellen wollte, dass die GE auch von allen Beteiligten richtig verstanden wird. Deswegen hat er darauf bestanden, die gemeinsame Erklärung vor der Unterzeichnung noch durch eine gemeinsame offizielle Feststellung zu ergänzen – die sogenannte GOF.
In der GOF wird nun noch einmal bekräftigt – und das ist wichtig: Die Beteiligten sagen, dass die alten Verwerfungen zurückgenommen werden, das gilt aber ausschließlich für jene Version der Rechtfertigung, die in der GE formuliert wurde. Es gilt nicht für die Rechtfertigung generell, sondern ausschließlich für jene Fassung, die in der GE formuliert wurde.
Auf Deutsch heißt das: Es gilt nicht für die frühere Rechtfertigungslehre der Reformatoren. Für Rom ist das kein Kunststück, die Verwerfungsandrohung gegen die GE zurückzunehmen, weil das ja sowieso die katholische Position ist.
Die GOF bekräftigt also nur in der gezähmten, verharmlosten Version der GE kann die römische Kirche auf ihre Lehrverurteilungen verzichten. Trotzdem haben die evangelischen Vertreter unterschrieben. Damit bestätigt der Vatikan exakt das, was Frau Wendeburg herausgearbeitet hat: Die Rechtfertigungslehre der GE ist eine andere als die Rechtfertigungslehre der Reformation und des Apostel Paulus.
Die Rechtfertigungslehre der GE sagt „mit echten Orangen“, und die Reformatoren hatten gesagt „nur echte Orangen“.
Wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dann hat ihn damals noch Kardinal Ratzinger erbracht. Er war noch nicht Papst, antwortete in Ihnen auszeichnender Klarheit auf die Frage, was denn nun nach der GE aus den alten Verwerfungen des Trienter Konzils geworden sei, ob diese denn nun noch gelten würden oder nicht.
Wissen Sie, was Ratzinger sinngemäß geantwortet hat? „Na klar, was denn sonst?“ Er berief sich auf ein Communiqué des Einheitsrates vom Juni 1999, worin es heißt: Das Dokument sagt, dass die Verwerfung von Trient auf diesem Gebiet der Rechtfertigungslehre die Lehre so, wie sie heute in der GE dargelegt wird, nicht trifft. Gleichzeitig aber bleibt der Wahrheitswert der Exkommunikation bestehen. Wer der Lehre des Konzils von Trient widerspricht, widerspricht dem Glauben der Kirche.
Damit ist noch einmal ganz klar gesagt: Natürlich gilt Trient nach wie vor. Die GE wird nur deshalb von uns akzeptiert, weil sie sich letztlich mit Trient vereinbaren lässt. Das ist gut katholisch.
Schauen Sie, genau das ist die Position von Johannes Hartl. Johannes Hartl vertritt genau diese Position in der GE, und so ist das auch in seinem Facebook-Eintrag völlig deutlich. Ich denke, Sie verstehen jetzt die Differenzierung, wenn er sagt: Das Grundanliegen der Reformation ist bleibend und wichtig – die Entdeckung der Rettung aus Gnade durch den Glauben, diese Grundbotschaft, dass der Mensch nicht durch Gutsein in den Himmel kommt, sondern durch das Blut Jesu.
Worum geht es? Die Entdeckung der Rettung aus Gnade durch den Glauben. Genau das lehrt die GE. Aber eben nicht allein aus Gnade und allein durch den Glauben. Die Position, die Hartl hier in seinem Facebook-Beitrag präsentiert, ist genau die Position der GE. Ja, es braucht Glauben, es braucht, dass Jesus sein Blut vergoss, es braucht Gnade. Aber Klammer auf Trient gilt: Glaube ist Tugend, und diese Tugend bedarf der Unterstützung durch die Gnade, damit sie Werke vollbringen kann, die schließlich den Eintritt in den Himmel ermöglichen.
Das ist die klassische römisch-katholische Position. Deswegen wundert es uns auch nicht, dass das Bistum Augsburg am 2. Januar dieses Jahres nach einer Prüfung des Gebethauses in Augsburg, weil es dort wohl einige Unruhen gegeben hatte, eine offizielle römisch-katholische Kommission damit beauftragt hat, zu überprüfen, was Hartl dort im Gebetshaus lehrt.
Nach dieser Prüfung gab es ein Gutachten und eine offizielle Mitteilung, in der das Bistum Augsburg Folgendes erklärte: Sie sagen, dass sie einen längeren Prüfungsprozess durchgeführt hätten und dann folgendes Ergebnis verkünden: Als Ergebnis dieser Prüfung wurde festgestellt, dass im Gebetshaus nichts gelehrt und verkündet wird, was im Gegensatz zur Lehre der katholischen Kirche steht.
Das ist also noch einmal die offizielle Bestätigung durch das Bistum Augsburg für das, was ich Ihnen gesagt habe. Johannes Hartl ist jemand, der ganz treu in Übereinstimmung mit der römisch-katholischen Kirche lehrt, der ganz treu in Übereinstimmung mit dem Trienter Konzil lehrt.
Er lehrt ganz treu, für einen Katholiken treu, dass wir eben nicht gerettet werden allein durch Christus, allein durch den Glauben, allein aus Gnade. Deshalb betrachtet er auch, wie ich Ihnen heute Morgen gezeigt habe, etwa die Marienverehrung für sinnvoll und geistlich geboten.
In diesem Facebook-Beitrag hat Hartl sich über diejenigen beklagt, die gewissermaßen diesen Einigungsprozess behindern. Er hat gesagt: Wir müssen noch miteinander der Welt von Jesus erzählen, miteinander beten. Das Allerletzte, was diese zersplitterte und verwirrte Welt braucht, sind Christen, die ihre Energie darauf verwenden, die Haare in der Suppe des anderen zu suchen.
Das, was wir jetzt gemacht haben, wäre nach Bewertung Hartls, dass wir die Haare in der Suppe des Anderen gesucht haben. Was für Hartl das Haar in der Suppe ist, daran hängt für den Apostel Paulus das ewige Heil, Himmel oder Hölle, Rettung oder Verlorenheit – und nicht das Haar in der Suppe.
Wir müssen uns nun fragen, ob wir dem Apostel Paulus folgen wollen oder Johannes Hartl.
Professor Bauer, der Göttinger Systematiker, hat in einem Artikel gezeigt, warum die GE ein anderes Evangelium präsentiert. Er hat sehr eindrücklich gesagt: Hier siegt die Macht der Meinung, Gott der Gute könne nur den Guten, insofern sie gut gemacht würden, das Ja zusprechen. Also der Mensch muss erst gut gemacht werden, bevor Gott ihm vergeben kann.
Diese Macht der Meinungsabbauer hat verhindert, dass in der GE gemeinsam bekannt wurde, was in Sachen Rechtfertigung zuvor und zuletzt zu bekennen ist: „Gott sei mir Sünder gnädig.“
Deshalb, liebe Geschwister, ist diese theologische, geistliche Front, an der wir uns heute Nachmittag bewegt haben, so wichtig. Es geht nicht um theologische Spezialfragen. Es geht nicht um intellektuelles Fingerhakeln. Es geht um die Frage, mit welchem Glauben wir auf ewig in den Himmel kommen und mit welchem Glauben wir auf ewig verloren gehen und verdammt werden.
Um diese Frage geht es und um nicht weniger.
Deswegen möchte ich als vorletztes Zitat Ihnen eine Formulierung bringen, die Professor Reinhard Slenska, der sich ebenfalls sehr kritisch mit der gemeinsamen Erklärung auseinandergesetzt hat, wie Professor Reinhard Lenz gefunden hat, in der er uns noch einmal vor Augen führt, was hier wirklich auf dem Spiel steht.
Er sagt: Das Geschehen der Rechtfertigung steht bleibend unter dem Wort Gottes, das als Gesetz die Sünde und den Zorn Gottes, als Evangelium die Gnade und Gerechtigkeit Gottes mitteilt.
Deshalb ist Rechtfertigung nicht ein Lehrstück neben anderen. Rechtfertigung ist auch nicht ein Gegenstand der Interpretation im geschichtlichen Wandel von Verstehensvoraussetzungen. Vielmehr geht es hier um den Grund und Maßstab für das, was die christliche Gemeinde als Gemeinschaft in Jesus Christus ausmacht.
Es geht darum, was die wahre von der falschen Kirche unterscheidet, den rechten vom falschen Glauben. Und dies deshalb, weil es dabei um ewiges Heil und ewige Verdammnis geht.
Den rechten Glauben haben heißt, durch den Glauben an Jesus Christus gerecht zu werden.
Darum schließt sich hier der Kreis mit Lukas Cranach, dessen Bild ich gestern Abend schon einmal gezeigt habe. Nicht alle waren dabei, aber dieses Bild fasst noch einmal zusammen, was hier auf dem Spiel steht.
Er zeichnet sich selbst – das ist der Mann rechts in der Mitte unter dem Kreuz. Links von ihm Johannes der Täufer, der auf Christus hinweist: „Siehe, das ist das Lamm Gottes.“ Rechts neben ihm Martin Luther, der auf die Bibel verweist und sagt: „Hier, hier steht es!“
Das ist Lukas Cranach. Er steht unter diesem Kreuz, und wenn Sie genau hinsehen, dann trifft dieser Blutstrahl vom Kreuz Christi direkt auf seinen Kopf. Das ist die gemalte Rechtfertigung: Christus starb für mich, er hat alles getan, und ich darf deshalb Gottes Kind sein, weil er mich gerettet hat.
Es bedarf dafür auch keiner kirchlichen Vermittlung, es bedarf keines Priesters, es bedarf keiner Maria – die findet man auf diesem Bild nicht. Der Weg führt direkt von Christus und seinem Kreuz auf das Haupt des Lukas Cranach.
Ich stehe hier unter seinem Kreuz, weil er für mich starb, und ich darf gerettet werden und leben, weil er sein Leben für mich gab und weil das, was er getan hat, genug ist und völlig ausreicht, um Sünder auf ewig in den Himmel zu bringen.
Das ist Rechtfertigung allein durch den Glauben, allein aus Gottes Gnade, ohne Werke, ohne Kirche, ohne Vermittlung – nur Christus selbst.
So schließe ich, und das ist nun das allerletzte Zitat, mit dem, was Luther in einer Situation gesagt hat, worauf er denn nun hoffen wolle, wenn es darauf ankomme.
Er hat seine Position mit diesen dann berühmt gewordenen Worten beschrieben:
„Mir ist es wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen. Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott mir um Christi willen dies täglich Beweinte zurückbleiben vergebe – also um Christi willen, solus Christus, sola fide – wenn ich das nicht glauben könnte, so ist es aus mit mir, ich muss verzweifeln. Aber das lasse ich bleiben, wie Judas an den Baum mich hängen, das tue ich nicht.
Ich hänge mich an den Hals oder Fuß Christi wie die Sünderin, ob ich auch noch schlechter bin als diese, ich halte meinen Herrn fest. Und dann spricht er zum Vater: Vater, dies Anhängsel da, das muss auch durch. Er hat zwar nichts gehalten und alle deine Gebote übertreten, aber er hat sich an mich gehängt. Was willst du, Vater? Ich starb auch für ihn, lass ihn durchschlüpfen.
Das soll mein Glaube sein.“
Und die Frage an Sie heißt: Ist das auch Ihr Glaube?
Es ist nicht der Glaube der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung von 1999. Das ist es wahrlich nicht. Aber es ist der Glaube, den Herr Jesus uns durch seinen Boten Paulus offenbart hat.
Mit diesem Glauben und nur mit diesem Glauben, nur mit Christus allein, können Sie getrost leben und getrost sterben.
Herr Jesus, wir danken dir dafür, dass du alles getan hast, was nötig war, und dass es deshalb Gewissheit gibt an deinem Kreuz.
Herr, du hast gesehen, was in einer langen Kirchengeschichte an Verwirrungen, Verzerrungen und Verdrehungen passiert ist. Ach Herr, erbarme dich über uns und schenke Klarheit.
Herr, wir wollen, auch wenn heute über manches kritisch gesprochen wurde, wissen, dass wir nicht besser sind als diejenigen, die in diesem alten System noch verhaftet sind. Herr, wir sind hundertprozentig angewiesen auf deine Gnade.
Ich möchte dich auch für all diejenigen bitten, über die ich heute kritisch gesprochen habe, dass du dich auch ihrer erbarmst, dass du sie erkennen lässt, dass alles, was wir Menschen beitragen können, nicht reicht, um gerettet zu werden. Aber dass du genügst.
Herr, wir wollen uns an dich klammern, wir wollen uns an dich klammern wie die Kletterin ans Kleid und allein auf dich vertrauen für Zeit und Ewigkeit.
Wir bitten dich für unser Volk, wir bitten dich für die gesamte theologische Diskussionslage in unserem Land, wir bitten dich für die Situation in den evangelikalen Gemeinden und vielen evangelikalen Verbänden.
Herr, du siehst, an wie vielen Stellen Verwirrung um sich greift, du siehst, an wie vielen Stellen dein Evangelium vermischt wird mit menschlichen Werken.
Ach bitte, erbarme dich doch, Herr, und schenke Klarheit allein durch dein Wort.
Dich loben und ehren wir, und dir soll unser ganzes Leben gehören in Zeit und Ewigkeit. Amen.