Die menschliche Dimension der Bibel und lebendige Briefe
Dass die Bibel von Menschen geschrieben wurde, sollte niemanden überraschen. Das steht sogar selbst in der Bibel. Paulus hat zum Beispiel einen Brief geschrieben, zusammen mit Timotheus. Für ihn war es nichts Neues, dass die Bibel von Menschen verfasst wurde.
Auch Lukas berichtet, dass er sorgfältig nachgeforscht hat, wie es mit Jesus war, und dies dann aufgeschrieben hat. Johannes schreibt, wie er die Offenbarung von Gott empfangen hat. Das Entscheidende ist doch, dass Gott ganz normale Menschen wie Paulus und Timotheus gebraucht, um uns seine Gedanken mitzuteilen. Das ist etwas sehr Spannendes.
Heute bekommen wir kaum noch Briefe. In der Post ist meistens nur noch Werbung oder Drucksachen. Man schreibt kaum mehr Briefe, sondern telefoniert meistens. Früher waren Briefe oft lesenswert, heute gibt es kaum noch schöne Briefe.
Ich selbst habe meiner Brautliebe jeden Tag einen Brief geschrieben – zweieinhalb Jahre lang. Das hat sich gelohnt. Heute ruft man meist nur noch an. Diese Briefe sind aber so lebendig und zeigen, wie Gott wirklich durch menschliche Beziehungen wirkt.
Gerade deshalb haben wir durch die Paulusbriefe und die anderen Briefe des Neuen Testaments so viele lebendige Einblicke in das Leben von Christen, in die Gemeinde und in alles, was wichtig ist und dazugehört. So läuft es eben unter Christen. Das Menschliche ist bedeutsam.
Man erfährt zum Beispiel, dass Paulus weint. Manche finden das vielleicht peinlich, aber warum sollte man nicht in einer Gemeinde gemeinsam weinen, kämpfen, streiten, ringen, bitten und flehen? Erinnern Sie sich noch an den Brief an die Korinther und wie es dort zugegangen ist?
Ganz wichtig ist: Es geht um eine lebendige Gemeinschaft, die man in einer Gemeinde hat und in die wir hineinkommen wollen.
Gemeinschaft und gegenseitige Ermutigung im Glauben
Es ist immer wieder schwierig für uns, aus einer reinen Hörgemeinde eine Gemeinschaft zu machen, die auch untereinander praktisch lebt. Ich freue mich sehr, wenn die Menschen miteinander reden, wenn Freundschaften entstehen, wenn man sich gegenseitig einlädt und sich gegenseitig unterstützt.
Das Entscheidende ist jedoch: Wenn man den Glauben miteinander lebt, einander zurechthilft, aufrichtet und im Glauben tröstet.
Zunächst sehen wir, dass Paulus hier mit einem Bruder zusammen war. Im Neuen Testament erleben wir oft solche Verbindungen. Paulus und Timotheus bilden eine Zweierschaft – man könnte sagen wie Zahn und Nopper, Hanke und Kurz, Lennartz und Plein und so weiter. Verstehen Sie das wie Daimler und Benz – ein Zweckbündnis, zwei, die miteinander verbunden sind und zusammen stark sind. Nimmt man Daimler und Benz auseinander, bleibt nichts mehr übrig. Sie gehören zusammen, das ist der Copagno, der Zusammenschluss.
Paulus braucht Timotheus, und Timotheus braucht Paulus. Sie brauchen niemanden sonst. Das Solochristentum hingegen ist Unsinn, es funktioniert nicht. Man braucht immer jemanden.
Man sollte nicht träumen und sagen: „Ach, schade, dass ich niemanden habe.“ Stattdessen denke ich immer wieder, dass es so viele Möglichkeiten gibt, um zu merken, dass Gott uns zusammengeführt hat. Ich suche jemanden, mit dem ich beten kann oder dem ich meine Sorgen anvertraue.
So war es auch bei Paulus und Timotheus: Es war eine Dienstgemeinschaft, sie haben miteinander gedient.
Timotheus: Ein Sohn im Glauben und Begleiter des Paulus
Es ist natürlich viel schöner, wenn man zur zweiten Gemeinde den Spitzweg macht oder wenn man sagt, wir machen Besuche. Schön ist es auch, wenn Paulus und Timotheus zusammen erwähnt werden.
Wir kennen Timotheus nicht ganz so gut wie Paulus. Timotheus kennen wir vor allem aus den Timotheusbriefen. Die Bibelkenner erinnern sich, dass wir an zwei Stellen erfahren, dass er aus einer komplizierten Mischehe stammte. Seine Mutter und seine Großmutter waren gläubig, sein Vater hingegen glaubte nichts. Er war ein Hellenist, ein Denker, der den Glauben von sich wies.
Schon bei der Großmutter, die Lois hieß, war der Glaube lebendig. Dieser Glaube trug Früchte bei Timotheus. Paulus sagt sogar, Timotheus sei sein rechter Sohn im Glauben. Das ist ein schönes Verhältnis: Ein Älterer leitet und führt einen Jüngeren.
Wenn wir am Sonntag den Peter Hane geführt haben, dann wissen wir, dass Peter Hane lange von Gerhard Bergmann gefördert wurde. Bergmann betreute immer junge Studenten, half ihnen und öffnete ihnen die Augen. Ich denke, Peter Hane wäre nicht das geworden, was er ist, wenn Gerhard Bergmann nicht ein Vater im Glauben für ihn gewesen wäre.
Wir sollten auch die Jungen nicht einfach unbeachtet lassen. Auf dem Michelsberg sagen oft die jungen Leute, sie seien froh, dass es Ältere gibt, die sie an ihrer reichen Glaubenserfahrung teilhaben lassen. Die jungen Leute suchen oft Ältere, die ihnen etwas von ihren Erlebnissen erzählen.
So lebt Timotheus als ein Sohn im Glauben, als er Paulus zum ersten Mal begegnet. Das geschah in Lystra, wie wir in der Apostelgeschichte lesen, Kapitel 16. Danach reiste er viel mit Paulus.
Ermutigung durch Gemeinschaft und die Rolle von Timotheus
Wir treffen Timotheus
Eine Stelle, die ich besonders liebe, ist Apostelgeschichte 18. Als Paulus nach Korinth kam, verdiente er dort wieder Geld in einer Sattlerwerkstatt. Er war ja immer tätig, aber ich behaupte, dass er sich in einer gewissen Depression befand.
Dann kamen Silas und Timotheus aus Mazedonien. In der Bibel heißt es, dass Paulus dadurch neuen Schwung bekam. Er bezeugte in der Synagoge, dass Jesus der Christus sei. Als Timotheus und Silas wieder bei ihm waren, fing der alte Mann wieder Feuer.
Das ist auch bei uns so: Wir brauchen die Ermutigung durch andere. Die Freundschaft zwischen Paulus und Timotheus ist nicht bloß eine unwichtige Sache. Wir leben von den Ermutigungen anderer.
Das ist auch heute Abend für uns schön, wenn wir uns begegnen, selbst wenn wir immer wieder mit anderen zusammentreffen.
Die Selbstbezeichnung als „Knecht Christi“ und die Bindung an Jesus
Er bezeichnet sich selbst als „Knecht Christi“. Das ist ein altmodisches Wort. Heute gibt es keine Knechte mehr. Das Arbeitsamt vermittelt keine mehr, weil diese Berufsbezeichnung ausgestorben ist. Vielleicht heißen Tierpfleger oder ähnliche Berufe heute so, aber „Knecht Christi“ bedeutet im Griechischen „Sklave“.
Mit diesem Begriff will er ausdrücken, wie sein Verhältnis zu Jesus ist. Er sucht in Jesus nicht etwas Süßes oder Bequemes, sondern er sucht die Bindung. Er möchte durch Jesus geführt, geleitet und gelenkt werden. Er will sich Jesus unterordnen. Das Wort „Sklave Jesu Christi“ bringt das sehr schön und klar zum Ausdruck.
Er möchte leibeigen sein, also nicht mehr selbst über sein Leben verfügen. Stattdessen will er fragen: „Jesus, was willst du?“ Diese Haltung hatte er seit seiner Bekehrung. Es ist problematisch, wenn wir Menschen bei der Entscheidung für den Glauben immer nur sagen: „Möchtest du Jesus haben? Jesus löst dir alle Probleme, Jesus hilft, dass alles gut geht.“ Das führt zu einem verweichlichten Christentum.
Stattdessen sollten wir sagen: Überlege es dir gut! Entscheide dich nicht schnell! Überlege, ob du dich wirklich mit deinem Willen an Jesus binden willst und ob du Jesus über dein Leben verfügen lassen willst.
In manchen Liedern singt man das ganz munter und fröhlich, aber im konkreten Leben ist es sehr schwierig, wenn man Jesus bestimmen lässt: „Ich will mich nicht mehr selbst führen, du sollst als Hirte mich regieren.“ Und was, wenn Jesus einen anderen Weg will?
Für Paulus war das Geheimnis, Sklave Jesu Christi zu sein, dass er sich führen lässt. Wir kennen das aus seinen Reisen. Er berichtet, dass Gott ihn manchmal ganz anders lenkte, als er selbst gedacht hatte. Man sieht das auch auf der Landkarte: Paulus zieht nach oben, dann plötzlich nach Westen, weil Gott es so will.
Lassen Sie Gott in Ihrem Leben bestimmen. Das ist zu Ihrem Glück, wenn Sie ihn bestimmen lassen.
Die Heiligen in Christus Jesus und die Gemeinde von Philippi
Er schreibt diesen Brief an alle Heiligen in Christus Jesus in Philippi.
Wer sind diese Heiligen, die in Christus Jesus heilig genannt werden? Natürlich bezieht sich das auch auf unser Lebensleben, das sich verändern muss, wenn wir zu Jesus gehören. Entscheidend ist jedoch, dass hier das Blut Jesu Christi uns heiligt und unser sündiges Leben reinigt. Es sind Menschen, die erfahren haben, wie Jesus sie erneuert und die in Christus Jesus heilig geworden sind.
Heilig sein bedeutet auch immer, in Beschlag genommen zu sein, ihm zu gehören. So wie ein Haus oder ein Tempel zu einem Heiligtum für Gott wird, soll auch mein Leben ein Heiligtum für ihn werden – selbst wenn ich in meinem ganz normalen, alltäglichen Leben stehe, soll ich heilig für ihn sein.
In Philippi wollen wir nun einmal jedes Wort durchgehen, denn das lohnt sich. Philippi kennen wir als die erste Gemeinde in Europa. Die Stadt Philippi erinnert vom Namen her an den Vater Alexanders des Großen, nach dem sie benannt wurde.
Paulus kam in diese Stadt, hatte aber einen schweren Anfang. Er wollte dort predigen und gesellte sich zu den Frauen, die am Fluss draußen saßen. Dort kam nur eine Frau zum Glauben – wir würden sagen, nur eine Frau. Doch offenbar gab es eine sehr lebendige Gemeinde. Diese Frau war Lydia, die eine tolle Boutique hatte, in der sie exquisite Stoffe verkaufte, eine Purpur-Boutique. Purpur war damals etwas besonders Kostbares, nicht etwa ein kleines, unscheinbares Lädchen, sondern Lydia war eine schicke Frau.
Gott hatte ihr Herz geöffnet, und wir erfahren auch von anderen Gemeindegliedern. So kennen wir den Gefängnisdirektor, einen starren Kommissbeamten, der pflichttreu seine Arbeit tat, sich aber offenbar mit seiner ganzen Familie der Gemeinde anschloss.
So wissen wir schon, was für Leute diese Heiligen waren: Menschen des täglichen Lebens, die erleben, dass Jesus ihr Leben erneuert und heiligt – zusammen mit den Bischöfen und Diakonen.
Die Ämter in der Gemeinde: Bischöfe, Hirten und Diakone
Das, was wir heute mit Bischof bezeichnen, entspricht nicht genau dem neuntestamentlichen Begriff. Im Neuen Testament bedeutet Bischof einfach Aufseher. Ein anderes Wort dafür könnte auch Hirte sein.
In den Gemeinden brauchen wir verschiedene Funktionen, und das Hirtenamt ist dabei ganz wichtig. Manchmal erkennen wir, wie wichtig es ist, zu evangelisieren. Es ist entscheidend, den Ungläubigen das Evangelium zu predigen. Gott hat die Gaben verschieden gegeben, aber das Hirtenamt ist ganz anders strukturiert als das Evangelistenamt.
Der Hirte ist jemand, der nicht so viel redet, sondern vor allem Seelsorger ist. Er geht geduldig auf Menschen zu, bringt sie auf den richtigen Weg zurück und sorgt dafür, dass alle gut betreut sind. Es ist jetzt sehr wichtig, dass all die verschiedenen Ämter in einer Gemeinde zur Entfaltung kommen.
Am idealsten wäre es nach der neuösterreichischen Gemeindeordnung, wenn der Kirchengemeinderat aus lauter Hirten und Evangelisten bestehen würde. Das biblische Ältestenamt geht davon aus, geduldig auch diejenigen anzunehmen, die auf einem falschen Weg sind, und sie zurückzuführen. Es ist ein Seelsorgeamt, das alte Bischofsamt.
Die Diakone kennen wir auch wieder. Sie sind diejenigen, die den Dienst tun. Es ist schon etwas Großes. Schwester Marke habe ich erlebt, wie sie am frühen Morgen einen Menschen bis zum Tod begleitet hat. Dabei habe ich gemerkt, dass wir vielleicht wachsam sein sollten, wenn es darum geht, auch an Sterbebetten zu sitzen und bei der Pflege zu helfen.
Wir sollten uns nicht schockieren lassen. Es gibt immer wieder Pflegesituationen, in denen Menschen alles und jedes fordern. Da sollte man gleich am Anfang sagen, dass das nicht geht und dass es dafür Pflegeheime gibt. Aber es gibt auch viele Fälle unter uns, in denen Alleinstehende plötzlich krank werden. Oft reicht schon eine kleine Erkrankung, und dann braucht man Hilfe von Haus zu Haus.
Das diakonische Amt ist ein urchristliches Amt. Wir wissen von Stephanus, dass die Diakone gleichzeitig evangelisiert haben. Dieser Dienst gehört zusammen: der Liebesdienst in Tat und Wort. Heute ist es sehr wichtig, diesen Dienst in den Häusern zu tun.
Auch neben unseren offiziellen diakonischen Beauftragten möchte ich nicht, dass die Verantwortung nur auf eine Amtsperson geschoben wird. Das betrifft mich im Hirtenamt genauso wie unsere Schwester mit ihrem diakonischen Amt. Wir können das nur tun, wenn wir wirklich da sind.
Ich freue mich über jeden Hauskreis und über alle Hirtendienste, die dort geschehen. Wie viel Hirtenarbeit Sie auch im Verborgenen leisten, freut mich sehr. Ich weiß, wie viele Menschen Sie betreuen, wenn Sie sagen: „Ich kümmere mich um den und ich rufe ihn mal an.“ Ich habe die Augen offen. Beim Gebet habe ich mich gefreut, als jemand sagte: „Ich habe den schon länger nicht mehr gesehen. Wie geht es ihm?“ Genau das ist nötig, um das Ältestenamt zu üben.
Die Frage ist, ob man das immer so strukturieren kann oder ob uns Gottes Geist gerade leitet. Ich habe den Eindruck, dass das wunderbar funktioniert. Sicher bleibt in vielem noch einiges zu tun, aber das soll Ihnen Mut machen.
Sagen Sie sich: „Da fühle ich mich heute Abend ermutigt, viel treuer meinen Bereich zu sehen.“ Das muss gar nicht immer sichtbar sein. Nehmen Sie das heute auch als einen Auftrag mit: Wo sind Menschen, um die ich mich kümmern kann? Sei es diakonisch, sei es hirtenmäßig oder sei es evangelistisch. Die drei verschiedenen Ämter stehen im Neuen Testament nebeneinander.
Der Gruß des Paulus und die Bedeutung von Gnade und Frieden
Und dann kommt dieser Gruß: Gnade sei mit euch und Friede von Gott und seinem Vater, dem Herrn Jesus Christus.
Ich habe ja auch so meine Schwierigkeiten mit Grüßen, weil sie manchmal so entwertet werden und nichts mehr bedeuten. Dennoch ist es etwas Schönes, wenn man von Herzen jemandem etwas wünscht. Dabei geht es nicht nur darum, einfach alles Gute oder einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen – das sind ja eher oberflächliche Wünsche.
Viel wichtiger ist es, wenn man sagt: Ich wünsche dir, dass du die Gnade erfährst. Sagen Sie das doch zum Geburtstag! Die Gnade bedeutet, dass du jeden Tag in deinem neuen Lebensjahr die Güte Gottes erfährst und seine Liebe spürst. Dass er dich schützend begleitet. Das ist ein schönes Wort.
Der Vater mit seiner Güte und Jesus Christus, der uns seinen Frieden schenkt – gerade Paulus, der diesen Gruß aus dem Gefängnis schreibt, weiß, wie wichtig das ist. Nur in Jesus können wir wirklich Frieden haben.
Ordnung und Ämter in der Urchristenheit
Zu den Ämtern: Ich sehe gerade auf meinem Zettel, dass dort steht, es gab schon in der Urchristenheit geordnete Ämter. Es ging nicht alles spontan.
Es ist immer wieder eine Frage, ob das nicht alles irgendwie so war. Manche meinen, in der Urchristenheit sei es wie ein Vulkan gewesen. Das stimmt nicht. Die Christen haben sehr früh eine Ordnung eingeführt, damit nicht zu viele übersehen wurden.
Wir wissen das zum Beispiel von den Diakonen. Dort heißt es, man müsse sogar einteilen und die Gemeinden in Bezirke gliedern. Die Ordnung steht dem Glauben nie entgegen.
Einmal gab es bei uns einen Mann, der im Gottesdienst immer wieder mit seinen spontanen Einfällen störte. Ich sagte zu ihm, wir haben hier eine Ordnung. Er erwiderte, die Bibel sei dagegen. Aber in der Bibel ist nie gegen die Ordnung.
Wir sprechen hier über die Ordnung. Darüber kann man sich nicht streiten. Bei uns ist es nun so geordnet, dass wir den Gottesdienst auf eine bestimmte Weise feiern. Darüber kann man diskutieren und auch Änderungen vornehmen. Aber es ist nicht so, dass das Spontane immer gut ist.
Manche Menschen werden misstrauisch, wenn jemand spricht, und sagen: „Das war doch von Gott.“ Sie denken oft, dass alles, was aus der Ordnung fällt, automatisch vom Geist Gottes kommt. Sicher kann eine Ordnung auch ersticken. Doch ich kann nicht grundsätzlich sagen, dass alles Spontane von Gott ist.
Es ist gut, dass es Ordnungen gibt. Aber wir sollen diese Ordnungen immer wieder auf ihre Effektivität überprüfen. Das ist vielleicht auch das neutestamentliche Leitbild, das man in vielen Briefen sehen kann. Ordnungen und Ämter müssen Frucht tragen. An dem Erfolg muss man sie messen.
Das ist ein ganz marktwirtschaftliches Prinzip: Wirkt das? Wie kommen die verschiedenen Gaben zur Geltung?
Mir ist wichtig, dass in der Gemeinde nicht zu viel reglementiert wird – auch wenn ich manchmal vielleicht etwas herrisch bin. So können sich viele Gaben freier entfalten. Manche sagen dann: Ich kann in aller Ruhe meinen Hauskreis leiten und mache das ein bisschen anders als beim Bibeltraining. Ich gehe meinem Dienst so nach, dass die verschiedenen Gaben reich entfalten können, jede in ihrer besonderen Prägung.
Ich möchte Ihnen noch einmal Mut machen: Tun Sie das so, wie es auch unsere jungen Leute in der Gemeinde immer getan haben – in der großen Harmonie des einen Gottesvolkes, aber doch nach ihrer eigenen Art. Die jungen Menschen werden erwachsen, und es sieht anders aus. Sie werden anders sein. Aber als Hirten, Diakone und Evangelisten werden wir unseren Platz finden.
Die Bedeutung der Gemeinde als lebendige Gemeinschaft
Und jetzt folgt die schöne Beschreibung dessen, was die Gemeinde für Paulus bedeutet. Hier haben wir oft Nachholbedarf. Wir empfinden es vielleicht nicht so deutlich, aber vielleicht haben manche von Ihnen es auch erlebt: Wenn Sie in Ihrer Heimatgemeinde Menschen von außen kommen und sagen, sie hätten keinen Anschluss gefunden. Sie suchen eigentlich das Gefühl, in Wärme und Liebe aufgenommen zu werden.
Paulus sagt: „Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke.“ Beten Sie auch dankbar für die Menschen, denen Sie sonntags im Gottesdienst begegnen, neben denen Sie sitzen. Mir hat jetzt jemand geschrieben, der von unserer Gemeinde weggezogen ist. In seiner neuen Gemeinde sei es sehr kühl. Er war neulich im Gottesdienst und saß neben einem Ehepaar. Als er zu seiner Frau zurückgehen wollte, sagte die Frau: „Ach, das ist aber schade, es war so schön, wie Sie hier saßen.“
Man spürt direkt, dass die Leute in der Gemeinde nach Nähe suchen, doch oft überwindet man die Steifheit nicht. Das ist sicher auch unsere deutsche Art, die uns manchmal schwerfällt. Wir sollten anfangen, in unseren Gebeten Gott dafür zu danken, dass wir hier so viele liebe Menschen treffen. Nicht nur hier, sondern auch in der Allianz-Gebetswoche in der letzten Woche und überhaupt in der Gemeinde, in der großen, weiten Gemeinde Jesu.
Mich hat es gefreut, wie eine schwer kranke Frau im Krankenhaus sagte, sie hätte sich so gefreut, als sie Willy Ehret letzte Woche auf der Titelseite unseres Gemeindeblatts gesehen hat. Das sind alles Menschen, die uns den Glauben vermitteln, mit denen wir verbunden sind. Für sie beten wir, es entsteht ein Hin und Her. Da ist eine Familie, und das war Paulus im Gebet immer wieder ein Anliegen.
Wir denken oft darüber nach, mit wem wir reden. Paulus hat mit Gott über die Menschen gesprochen, mit denen er verbunden war. Er sagt, dass er das allezeit tut – also unterwegs, in Pausen, beim Kochen oder wo auch immer. Er freut sich an der Gemeinschaft und betet in allen seinen Gebeten für alle.
Es gibt ja manche, die uns auf die Nerven fallen, aber wir sollen auch für sie danken. Manchmal brauchen wir das sogar, dass uns jemand auf die Nerven fällt. Es gibt auch Schleifsteine, die uns ein bisschen zurechtreiben – auch das gehört dazu. Paulus dankt für alle. Wir sollen das genießen, denn wir haben Schwestern und Brüder um uns herum. Gehen Sie auf sie zu.
Im Moment bitte ich Sie nur: Reden Sie im Gottesdienst nicht so viel mit Ihren Familien. Die anderen empfinden das oft schwierig. Deshalb sage ich immer: Reden Sie lieber mit denen, die Sie nicht kennen. So fühlen sich die anderen nicht ausgegrenzt. Gerade dort freuen sich manche sehr und spüren, wie Begegnung möglich wird.
Wenn Sie diese Gemeinschaft nicht haben, müssen Sie ihnen zu Recht helfen. Wenn Ihnen jemand einmal eine unpassende Antwort gibt, haben Sie Barmherzigkeit. Das macht doch nichts aus. Mir passiert es jeden Sonntag ein paarmal, dass mir jemand sagt: „Jetzt geben Sie mir schon zum zweiten Mal die Hand.“ Wie soll ich das in meinem schwachen Hirn registrieren? Wenn man es mir sagt, fühle ich mich gleich wie ein begossener Pudel. Vielleicht ist man zu sensibel, aber das macht doch gar nichts.
Wir gehen aufeinander zu und freuen uns an jedem. Wenn jemand mal schnell zurückschreckt, macht das nichts. Wir gehen fröhlich auf ihn zu. Ich denke immer wieder daran, wie viel es für Sie bedeutet hat, Menschen zu treffen, die sich an Ihnen freuen. Auch wenn man sich in einer Gemeinde manchmal auf die Nerven fällt – und vielleicht auch wirklich fällt.
Es ist immer wieder wunderbar, dass Gott uns den Frieden und die Harmonie erhält. Aber es kann auch mal reiben – das macht nichts. Wir danken Gott und freuen uns aneinander, auch wenn wir uns reiben müssen. Wir müssen oft verschiedene Meinungen ertragen. Wir freuen uns aneinander und beten füreinander.
Das Gebet als Ausdruck von Freude und Gemeinschaft
Wir beten füreinander, und er tut das Gebet mit Freude. Beten Sie auch mit Freude. Das ist ein ungewöhnlicher Ausdruck. Ich habe nie daran gedacht, dass Sie sich beim Gebet freuen sollen. Beim Vorbereiten war ich deshalb überrascht.
Paulus meint es ja richtig, wenn er sagt, dass er das Gebet mit Freude tut – nicht aus Pflicht, sondern weil es schön ist, wirklich mit Gott reden zu können, wenn eine Tür offensteht.
Heute darf ich eine Geschichte erzählen: Meine liebe Schwiegermutter hat heute so freundlich Dankbriefe ausgefüllt und unterschrieben. Vor zwei Tagen habe ich aus Nachlässigkeit noch einige Briefe liegen lassen, die noch nicht unterschrieben waren. Diese wurden heute ausgefüllt. Stellen Sie sich vor, wie das aussieht, wenn die Briefe ankommen und nicht unterschrieben sind.
Wir hatten große Kisten mit den Dankbriefen. Wir schauten vorne und hinten nach, öffneten die Briefe noch einmal – die fehlenden Unterschriften waren nicht dabei. Schließlich suchten wir unter Hunderten von Briefen. Dann griff sie hinein, und der erste Brief, den sie herausnahm, war ein ununterschriebener. Dahinter lagen genau neun weitere ununterschriebene Briefe. Wir konnten sie herausnehmen. Sie wusste, wie sie es gemacht hatte, und sagte: „Ach, ich habe gebetet.“
So etwas erlebt man nur, wenn man auf Gottes Hilfe vertraut. Das ist ein Wundergebet, eine freudige Sache. Manchmal geht es zwar schwieriger, aber wir erleben so viel Ermutigung. Gott lässt uns den Schlüsselbund wiederfinden, und es geschieht viel.
Frau Helle ist heute fast unter eine Straßenbahn geraten. Die fahren ja oft sehr schnell. Sie wollte über die Straße gehen, und eine Bahn kam mit Klingeln. Sie sprang zurück. Dann kam direkt dahinter ein anderer Wagen sehr schnell, einer der gefährlichen Fahrer. Wenn wir nicht unter Gottes Schutz stehen würden, wäre etwas Schlimmes passiert. Ich schrie aus Leibeskräften.
Dass das Gebet etwas Freudiges ist, zeigt sich darin, dass Gott uns hört. Wir können ihm unsere Sorgen für die Kinder und alles, was uns bedrängt, anvertrauen. Er sorgt für uns.
Entschuldigen Sie, wenn es so persönlich wird, aber es soll ja praktisch sein.
Gemeinschaft am Evangelium und die verbindende Kraft des Glaubens
Und ich danke für die Gemeinschaft am Evangelium – vom ersten Tag an bis heute. Die Gemeinschaft untereinander entsteht eben nicht bloß, weil wir uns nette Sachen sagen. Das schließt uns gar nicht zusammen. Vielmehr entsteht sie, weil wir miteinander etwas erlebt haben.
Es ist ja bei vielen von uns so, dass wir miteinander etwas erlebt haben. Und wenn es nur ist, dass wir zusammen auf der Freizeit waren, das Wort gehört haben und miteinander gebetet haben. Die Versuche, mit äußeren Tricks Gemeinde herzlich zu machen, sind immer schwierig. Ein Kaspertheater aufzubauen und Kaffee zu trinken, ist zwar schön und gut, aber das kann immer nur die Folge sein.
Die Gemeinschaft entsteht vielmehr, wenn man miteinander gebetet hat. Sie entsteht, wenn man das Wort ausgeteilt hat und einander geholfen hat, auch geistlich, in seinen Glaubensnöten. Paulus hatte diese enge Gemeinschaft am Evangelium mit der Gemeinde. Und das verbindet im Allertiefsten. Es ist diese herzliche, wunderbare Gemeinschaft, die uns auch mit vielen fremden Leuten zusammenführt, die man sonst noch gar nicht kennt.
Man kann unterschiedliche politische Meinungen haben oder der eine ist in der Gewerkschaft, der andere nicht – das macht alles gar nichts aus. Die wichtige Sache ist: Man ist in Jesus eins und man liebt sich. Das ist so stark, so kräftig und so wunderbar.
Paulus ist guter Zuversicht, dass Jesus das, was er angefangen hat, bis ans Ziel vollenden wird. Wie das mit meinem Glauben weitergeht, das muss Jesus voll zu Ende führen. Paulus sagt, das ist ein großes, weites Ziel, und er ist froh, dass Jesus ihn zur Vollendung seines Glaubens führt.
Ich möchte über dieses schöne Wort jetzt nicht weiter reden, weil es so verständlich ist: In der Mitte des Glaubens steht Jesus, der uns vollendet und uns weiterführt.
Paulus’ Liebe zur Gemeinde und das Wachstum in der Liebe
Und dann spricht er aus seinem Herzen, wie er alle Menschen in seiner großen, großen Liebe trägt. Er trägt sie wirklich im Herzen. Es kommt von innen heraus bei ihm. Er denkt an die Menschen mit ihren Nöten. Ach, da schäme ich mich oft, weil ich so viel vergesse und an den Menschen einfach vorübergehe. Aber er ist ein Mensch mit Gefühl, mit Liebe.
Er sagt, wie sie überhaupt auch an ihm denken und an allem teilhaben. Er betet darum, dass sie noch viel mehr von der Liebe erkennen – viel, viel mehr von der Liebe, an Erkenntnis und an Erfahrung. Die Liebe soll immer weiter wachsen.
Das war für Paulus immer die größte Auswirkung des neuen Christuslebens. Nicht die großen, sensationellen Dinge. Sie wissen auch, wie aus der schwärmerischen Gemeinde von Korinth immer wieder gesagt wird: An der Liebe bewährt sich alles, nicht am Geistesgarten. Die Liebe ist das Größte.
Wenn ihr in der Liebe immer reicher werdet, an Erkenntnis und Erfahrung, und immer mehr entdeckt, dann seid ihr auf dem Weg. Die Liebe Jesu strömt über und wird immer mächtiger. So seid ihr das Beste und lebt lauter und unanstößig für den Tag Christi.
Da liegt ein weiter Weg der Reife vor einem. Ich möchte in meinem Glaubensleben immer völliger werden. Paulus skizziert das noch einmal so schön, wie das Wachstum bei uns geschehen darf. Wir sollen Früchte der Gerechtigkeit hervorbringen, zum Lob Gottes.
Unser Leben darf auch ein Lobpreis Gottes werden.
