Herr Präsident! Noch einmal von hier aus: Einen schönen guten Abend!
Im vergangenen Jahr haben wir uns mit dem Thema Gemeinde beschäftigt. Wir haben darüber gesprochen, was die Ziele der Gemeinde sind, wie eine Gemeinde gesund wird und was verhindert, dass sie krank wird.
Dabei kam der Gedanke auf, und ich hatte erwähnt, dass ich an einem Buch schreibe, das „Staffelübergabe“ heißt. Und genau das habe ich im vergangenen Jahr getan. Ich habe eine Staffel mitgebracht, um deutlich zu machen, dass die Bibel das Glaubensleben durchaus als einen Wettlauf beschreibt. Zwar steht das nicht explizit von der Staffel, aber wir erkennen, dass in der Bibel vieles wie eine Staffel weitergegeben wird.
Wie ihr auf dem Büchertisch sehen könnt, habe ich nicht nur ein Buch dazu geschrieben, sondern gleich drei. Ich möchte euch erklären, warum.
Einführung in das Thema Staffelübergabe und Buchreihe
Also zuerst: Ich hatte ursprünglich vor, nur dieses Buch zu schreiben – „Staffelübergabe Gemeinde für die nächste Generation. Wie kann das geschehen?“ Aus diesem Buch werde ich an diesem Wochenende vier Vorträge halten.
Während ich daran arbeitete, überlegte ich, dass man nicht nur die Staffel übergeben sollte, sondern vorher auch mit Jüngeren und Eltern gemeinsam sozusagen ein Staffeltraining machen müsste. Das sind zwei Bücherkorn, also zwei Jüngerschaftskurse. Diese können entweder ein Älterer mit einem Jüngeren gemeinsam durchgehen, oder es können sich auch mehrere Personen zusammensetzen. Man kann das auch im Hauskreis machen oder sogar alleine durchstudieren.
Der zweite Band heißt „Wie Gemeinde morgen gelebt werden kann – ein Jüngerschaftsprogramm zum Thema biblische Gemeinde“. Mir ist nämlich aufgefallen, dass wir in einer Zeit leben, in der die Art unserer Gemeinden – ich sage mal „unsere Gemeinden“ und zähle euch mit dazu – nicht mehr so stark in Erscheinung treten wie früher. Viele wissen gar nicht mehr, warum sie überhaupt in die Gemeinde gehen.
Vor ungefähr 50 Jahren habe ich ein Büchlein geschrieben mit dem Titel „Warum gehe ich in diese Gemeinde?“ Man könnte einen Test mit euch machen, ob ihr alle wirklich wisst, warum ihr hier hingeht. Man könnte natürlich sagen: „Die Stühle sind so schön gepolstert.“ Aber das ist kein triftiger Grund.
Was sagt die Bibel über Gemeinde? Ich habe festgestellt, dass es zwar Bibelschulen gibt und dort auch Bibelschüler ausgebildet werden, aber an den Bibelschulen wird das Thema „biblische Gemeinde“ in der Regel ausgeklammert. Warum? Dort wird nur Allgemeines über christliche Gemeinde gesagt, aber nicht Spezielles. Das liegt daran, dass die Bibelschulen Schüler aus vielen verschiedenen Gemeinden aufnehmen wollen.
Wenn man sehr konkret wird, stößt man manche Einzelne vor den Kopf. Dann schicken bestimmte Gemeinden ihre jungen Leute nicht mehr zur Bibelschule. Das hat zur Folge, dass sich inzwischen so ziemlich alle Freikirchen immer mehr angleichen. Sie gleichen sich immer mehr an.
Häufig hört man von jungen Leuten, und wir haben sehr viele davon, dass sie, wenn sie ins Studium gehen oder wegziehen, sagen: „Ach, eigentlich ist das Ding gar nichts für mich. Welche Gemeinde? Ich gehe ja hauptsächlich am Sonntag hin, weil dort das Gotteswort verkündet wird. Ansonsten lebe ich, wie ich möchte.“ So wird Gemeinde auf den Sonntagsgottesdienst reduziert, und man vergisst, was die Bibel über Gemeinde sagt.
Das Buch ist so aufgebaut, dass ich jeweils Themen anspreche. Diese sind meistens zwei bis vier Seiten lang. Danach folgen zwei bis drei Fragen und eine Literaturliste für diejenigen, die sich intensiver damit beschäftigen möchten.
Das dritte Buch heißt „Staffeltraining – wie Glaube morgen gelebt werden kann“. Es ist ein Jüngerschaftsprogramm zum Thema biblische Lehre. Es geht darum, was wir der nächsten Generation mitgeben, damit sie auch wissen, wie sie Gemeinde weiterleben können.
So möchte ich heute Abend mit dem Thema „Staffelübergabe“ beginnen. Man kann das Thema entweder naturalistisch darstellen oder symbolisch.
Persönliches Eingeständnis und Herausforderungen in der Gemeinde
Und als ich darüber nachdachte, war mein erster Gedanke: Ich tue Buße. Ich glaube, dass sowohl ich selbst als auch viele in unseren Gemeinden in den vergangenen Jahrzehnten nicht dem entsprochen haben, was Gottes Wort von den Verantwortlichen einer Gemeinde erwartet.
Ich möchte das begründen. Ich habe den Eindruck, dass in den meisten Gemeinden – ich spreche hier von unserer Prägung – versäumt wurde, die nächste Generation darauf vorzubereiten, einmal die Staffel zu übernehmen. Wie kann das geschehen?
Ich muss dazu sagen, ich komme viel herum in verschiedenen Gemeinden, und viele Gemeinden sind sehr verschieden. Vor ungefähr zwei Jahren war ich in einer Gemeinde, und das hat mich schockiert. Es waren etwa dreißig Geschwister dort, der Jüngste war sechzig Jahre alt. Es gab nur einen Prediger. In der Regel laden sie für jeden Sonntag auswärtige Brüder zum Dienst ein.
Ich habe mit dem Bruder gesprochen, bei dem ich gewohnt habe. Eigentlich ist das eine künstliche Beatmung. Das kann nicht die Grundlage einer Gemeinde sein. Ich habe ihn gefragt: Warum habt ihr keine Kinder? Zwei Schwestern hatten vor vier Jahren mal damit angefangen, aber es gab so viel Widerstand, dass man ihnen gesagt hat: Hört auf! Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.
Ich habe den Bruder gefragt: Habt ihr euch denn schon mal Gedanken gemacht, wer hinterher das Licht ausmacht? Er sah mich verständnisvoll an und sagte: Nein, vorher kommt der Herr wieder. Man kann ihm zugutehalten, dass er in der Naherwartung lebte, aber ich fragte weiter: Warum habt ihr keine jungen Leute? Ja, die ziehen alle weg. Hier gibt es wenig Berufsmöglichkeiten, und deshalb ziehen sie weg.
Ich habe ihm gesagt: Das glaube ich nicht. Wir leben in einer Zeit, in der wir alle motorisiert sind. Und woher kommt es dann, dass die Gemeinde, die zehn Kilometer von euch entfernt ist, wächst? Das kann nicht der Grund sein, oder?
Ich weiß nicht, ob Sie mich noch einmal einladen, aber ich muss sagen, das hat mich sehr traurig gemacht, weil offensichtlich kein Blick dafür da war, wie die Gemeinde weiter existieren kann. Das ist schon eine große Herausforderung.
Wenn ich mir so die sogenannten Brüdergemeinden in Deutschland anschaue, wüsste ich auf Anhieb nur drei Gemeinden, in denen ein Generationenwechsel ohne Knirschen geschehen ist. Und das macht mich erschrocken.
Zentrale Fragen zur Staffelübergabe in Gemeinden
Deshalb ist es mir ein Herzensanliegen, dieses Thema in Gemeinden anzusprechen. Es geht um die Frage: Was geschieht, wenn die Generation der Verantwortlichen einer Gemeinde älter wird? Wenn wir, und ich selbst, alt werden, wie können dann Verantwortung und Aufgaben von Ältesten und Mitarbeitern einer neutestamentlichen Gemeinde in jüngere Hände gelegt werden, ohne dass es zu Spannungen kommt?
Wie kann die nächste Generation geschult und vorbereitet werden, damit sie die Gemeinde des lebendigen Gottes sicher weiterführen kann? Und wie können die Älteren der Gemeinde die Jüngeren an die Hand nehmen, ihnen Vorbild sein und ihnen dennoch die nötige Freiheit lassen, Gottes Wort zu erforschen und in die Praxis umzusetzen?
Das sind die Fragen, mit denen wir uns an diesem Wochenende beschäftigen wollen. Ich werde euch nicht einfach fertige Lösungen präsentieren, denn ich glaube, jede Gemeinde muss diese Fragen für sich selbst durcharbeiten, durchdenken, durchbeten und zu eigenen Entschlüssen kommen.
Zu diesem Thema habe ich in meinem Buch sieben Kapitel verfasst. Davon werde ich an diesem Wochenende vier behandeln. Heute Abend bespreche ich das Thema „Ich tue Buße“, morgen Nachmittag „Wie Paulus die Staffel übergab“ und morgen Abend „Macht zu Jüngern – ein vergessener Befehl“. Die beiden nächsten Kapitel lasse ich aus, da wäre es wahrscheinlich besser, sie in kleineren Kreisen zu behandeln. Dabei geht es darum, wie Ältere helfen können oder wie Jüngere dazu beitragen, dass die Staffel gut weitergegeben wird.
Das nächste Thema, das wir uns am Sonntag ansehen werden, lautet: Wie gehen wir mit Konflikten um? Vielleicht denkst du, das sei kein typisches Sonntagsthema, aber es gehört einfach dazu. Wie kann das konkret geschehen? Darüber müsst ihr euch dann wahrscheinlich selbst Gedanken machen.
Die Themen mit den roten Punkten werden wir also an diesem Wochenende durchgehen.
Persönliche Reflexion über das eigene Glaubensleben
Das heißt heute also, ich tue Buße. Früher gab es mal so ein Lied, ich weiß gar nicht mehr, wer es gesungen hat. Ich denke an Deutschland in der Nacht: „So bin ich um den Schlaf gebracht.“ Manchmal habe ich den Eindruck, wir müssten um den Schlaf gebracht sein, wenn wir an die Gemeinde in Deutschland denken. Mir liegt das sehr auf dem Herzen.
Wie kann Gemeinde in der nächsten Generation stattfinden? Das sind nicht einfach Fragen der Organisation. Viele Gemeinden sind heute geprägt davon, dass sie einen Verein gründen. Die Gemeindeglieder sind Mitglieder, jeder hat Mitspracherecht, und alles wird gewählt. Aber wenn die Bibel über Gemeinde spricht, spricht sie nicht von Demokratie. Daher ist es sicherlich sehr wichtig, darüber nachzudenken: Was ist nach dem Neuen Testament gemeint?
Ihr braucht mich nur anzuschauen, dann seht ihr, ich bin alt. Das kommt mit der Zeit. Und wenn man älter wird, dann ist das meistens so – ich weiß nicht, ob ihr schon in dem Alter seid – dass man immer die Zeitung hinten anliest, wo die Todesanzeigen stehen, um nachzuschauen, ob die Einschlaglöcher näherkommen. Man schaut zurück, und das Leben wirkt dann langsam wie ein Rückspiegel. Man denkt: Wo ist die Zeit nur geblieben? Ich bin jetzt fünfundsiebzig.
Wenn ich daran denke, dass ich mich mit neun Jahren bekehrt habe, dann ist das schon eine lange Strecke. Anfang des Jahres habe ich mich aus dem ältesten Kreis unserer Gemeinde abgemeldet und den Wunsch geäußert, zurückzutreten. Immerhin war ich fünfzig Jahre in dem verantwortlichen Kreis tätig. Ich glaube, es sollten Jüngere dran sein.
Ich hatte das Vorrecht, in einer Gemeinde groß zu werden. Und das wisst ihr auch: Als Jugendlicher hat man erst immer ganz hinten gesessen. Das ist anders als bei den Russlanddeutschen, da sitzen die Kinder meistens vorne. Bei uns sitzen die jungen Leute meistens hinten.
Und wie sagt man: Wenn man in einer Brüdergemeinde groß wird und nicht aufpasst, kommt man an alle Aufgaben dran. Das heißt also: Sonntagsschule, Jugendkreis, Männerkreis, Brüderstunde, Dienst am Wort. Und dann denkt man nach einer Zeit so: Und das war’s jetzt? Irgendwann gehst du in Rente.
Dann stellst du fest: Bei mir in Jesus gibt es keine Rente. Also weitermachen! Außerdem ist man natürlich berufstätig. Ich war Grafiker, dann selbständig. Ich habe meinen Beruf geliebt, ich habe meine Frau geliebt, ich habe meine Familie geliebt, und ich habe den Herrn Jesus geliebt und die Gemeinde.
Wer das so tut, der weiß, dass man keine Langeweile hat. Däumchen drehen war nicht drin. Es gab immer etwas zu tun. Und dann wird man älter, wird überörtlich tätig, wird eingeladen. Ich war in vielen Gremien, Vereinen und Arbeitskreisen.
Dann wird man älter und denkt: Und, war’s das? Manche von euch sind noch nicht so alt, vielleicht fragt ihr euch das ein bisschen früher als ich. Wenn man zurückschaut auf das Leben, ich weiß nicht, wie es euch geht, dann merkt man doch auch seine Versäumnisse. Habe ich wirklich alles getan?
Rückblick auf das eigene Wirken und Versäumnisse
Das Lied, das wir eben gesungen haben, ist wirklich eines meiner Lieblingslieder: „Ein Leben gegeben für den Herrn der Welt.“ Wenn man dann zurückblickt, fragt man sich: War es das wirklich? Oder habe ich dem Herrn nur sonntags gedient – und mittwochs abends?
Wenn ich so zurückschaue, muss ich sagen: Ich habe manchen geholfen, viele beraten, viele ermutigt, belehrt und missioniert. Ich habe viele schöne Dinge erlebt, auch mit dem Herrn. Jedes Jahr war ich mindestens 14 Tage mit dem mobilen Treffpunkt unterwegs und habe erlebt, wie in Süddeutschland Gemeinden entstanden sind. Ich weiß von vielen, die zum Glauben gekommen sind.
Wenn ich an den ersten Einsatz in ungarischen Gefängnissen denke, war das unglaublich. Ich dachte, ich sei im Film: Da sitzen 150 Inhaftierte, ich sollte predigen. Zum Glück wurde das übersetzt, so hatte ich Zeit, zu überlegen, wie es weitergeht. Danach fragte der ungarische Bruder die Inhaftierten auf Ungarisch etwas, was ich natürlich nicht verstand. Die Hälfte der Inhaftierten meldete sich.
Ich fragte ihn, was er gefragt hatte. Ob er sich eine Tafel Schokolade versprochen hatte. Er sagte nein, er hatte gefragt: „Wer will jetzt Jesus annehmen?“ Und ich muss sagen, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Dann stand ich da und dachte: Was habe ich denn gepredigt?
Ihr könnt euch vorstellen, dass es in der ganzen Woche in jedem Gefängnis in Ungarn so war. Das war direkt nach der Wende 1990, und viele kamen zum Glauben. Ich kam nach Hause und erzählte am nächsten Sonntag in der Gemeinde davon. Die Geschwister sagten: „Eberhard, komm wieder runter auf den Teppich, du wirst ja charismatisch.“ Ich war einfach so begeistert.
Etliche der Jüngeren kamen und fragten: „Wann fahren wir nach Ungarn? Wir wollen auch in die Gefängnisse.“ So ist Gefährdetenhilfe entstanden und so sind die Missionsreisen nach Ungarn entstanden.
Ja, man hat viel getan. Aber mir ist in den letzten Jahren bewusst geworden, dass ich etwas Gravierendes versäumt habe: Ich habe keine Menschen zu Jüngern gemacht. Ich habe das Evangelium verkündigt, Bibelschulunterricht gegeben und in den Gemeinden biblische Lehre verkündet. Aber ich habe keine Menschen zu Jüngern gemacht.
Und das gehört zu dem Vermächtnis des Herrn Jesus, wie es in Matthäus 28 heißt: „Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern.“ Die Frage ist: Woher kommt es, dass wir in unseren Kreisen zwar missioniert und evangelisiert haben, Menschen zum Glauben gekommen sind, aber keine Jünger gemacht wurden?
Das ist mir in den letzten Jahren aufs Herz gefallen, und ich muss das einfach weitergeben. Deshalb kam ich auf den Gedanken der Staffelübergabe: Wie kann ich das, was der Herr mir in seinem Wort groß gemacht hat, an die nächste Generation weitergeben?
Ich habe darüber nachgedacht. Auch die Brüder vor mir haben das nicht getan. Sie hielten Bibelwochen, mein Vater machte Hausbesuche, aber Jünger machen? Indirekt kann ich sagen, ich bin vielleicht ein Jünger von ihm geworden – aber nur dadurch, dass ich immer gefragt habe.
Ich weiß nicht, wie das bei euch ist. Ich las ein Buch von Ralph Chalice, einem ehemaligen Missionar in Marokko. Er schreibt über Jüngerschaft: „Von wem bist du der Timotheus? Und für wen bist du der Paulus?“
Morgen werden wir uns damit beschäftigen, wie Paulus das gemacht hat, wie Jesus das gemacht hat und wie Johannes es tat. Jesus sagte in Matthäus 28: „Macht zu Jüngern, indem ihr sie tauft und lehrt, alles zu bewahren, was ich euch gesagt habe.“ Wie kann das geschehen?
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Daran habe ich gemerkt, dass ich in meinem Leben etwas versäumt habe. Deshalb bitte ich Jesus und euch um Vergebung. Ich muss sagen, durch diese drei Bücher versuche ich, das ein wenig nachzuholen.
Historischer Rückblick und Generationenverständnis
Ich schaue zurück. Man blickt inzwischen auf ein langes Leben zurück, und in diesem Leben ist viel geschehen – gerade hier in Deutschland.
Wenn ich mich damit beschäftige, muss ich sagen, dass ich die Generation vor mir, die sogenannte Kriegsgeneration, nicht beneide. Ich wurde zwar noch im Krieg geboren, war aber Kleinkind und habe davon nicht viel mitbekommen – zumindest nicht bewusst.
Wenn ich zurückblicke und meinen Vater manchmal frage, wie das damals war, beneide ich sie nicht. Ihre Weltbilder sind zerbrochen, ihre Illusionen sind geplatzt. Viele von ihnen haben ihre Heimat verloren, ihr Hab und Gut und ihr Haus, viele sind ausgebombt worden.
Allein in Wuppertal gab es zwei Angriffe. Manche Menschen wurden bei dem ersten Angriff ausgebombt und zogen in einen anderen Stadtteil. Nur wenige Wochen später wurden sie dort erneut ausgebombt. Wie viele haben Angehörige im Krieg verloren? Flucht, Vertreibung, Tod, Elend und Not waren allgegenwärtig.
Wenn ich dann zurückblicke, habe ich den Eindruck, dass wir, die nächste Generation, damals kaum verstanden haben, was die Generation vor uns durchgemacht hat. Wie oft haben wir damals als Jüngere Vorwürfe gemacht: Wie konntet ihr nur darauf kommen?
Trotz allem muss man sagen: Diese Generation hat an ihrem Glauben festgehalten. Sie haben Gemeinde gelebt, trotz aller Schwierigkeiten – auch während des Verbots der Brüdergemeinde 1939. Ich habe mir erzählen lassen, wie es war, als plötzlich der Gemeindesaal von der SS versiegelt wurde und niemand mehr hineindurfte.
Heute sind wir so daran gewöhnt, dass wir Freiheit haben. Wir würden vielleicht belächelt, wenn wir von Gewalt bei uns sprechen. Ich frage mich, was diese Generation damals im Herzen hatte, dass die Gemeinde trotzdem weitergelebt hat.
Dann folgten der Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder, eine neue Staatsform und neue Strukturen – plötzlich war alles anders. Aus den primitivsten Anfängen haben sie gebaut. Sie errichteten Gemeindesäle und bauten Gemeinde auf.
Nach dem Krieg kamen viele zum Glauben. Ich erinnere mich an eine Evangelisation mit Werner Heuckelbach. Wir Jugendlichen saßen auf den Fensterbänken, es war rappelvoll.
Dann kam die Generation 68 mit einer neuen Gesellschaftsform, Evolution und moderner Theologie. Im Nachhinein frage ich mich, wie man das alles verkraftet.
Selbstkritik und Herausforderungen der eigenen Generation
Und deswegen möchte ich auch um Vergebung bitten. Ich möchte nicht hart mit Ihnen ins Gericht gehen oder Ihnen Dinge vorwerfen, die Sie vielleicht nach unserer Auffassung falsch gemacht haben.
Ich beneide auch nicht meine Generation. Wir sind nach dem Krieg groß geworden – im Kapitalismus, in der Demokratie und im Wirtschaftswachstum. Man hat sich beruflich engagiert, um Karriere zu machen. Dann wurden alle Werte hinterfragt.
Wenn ich daran denke: Als ich verlobt war, war es in Deutschland unmöglich, dass ein nicht verheiratetes Paar ein Hotelzimmer bekam. Ein Hotelier wäre der Kuppelei angeklagt worden. Heute wird ein Hotelier angeklagt, wenn er ein Zimmer nicht an Unverheiratete vermietet.
Was hat sich alles verändert: freie Liebe, Wertewandel, Relativierung der Wahrheit. Ich habe den Eindruck, dass das den meisten, auch den meisten Geschwistern, gar nicht bewusst geworden ist. Seit der 68er-Revolution gibt es eine Relativierung der Wahrheit.
Früher war es so: Wenn man sagte, das ist Wahrheit, dann war das andere Lüge. Heute sagt man: Das ist deine Wahrheit, und das ist meine Wahrheit. Du siehst das eben so, ich sehe das so. Heute gibt es nicht mehr eine Wahrheit.
Und das macht es schwierig, überhaupt die Bibel zu lesen, oder? Wenn der Herr Jesus sagt: Ich bin die Wahrheit, dann ist das anstößig. Wenn das heute jemand sagt, dann gilt er als Fundamentalist.
Wie vieles hat sich verändert: die Entmythologisierung der Bibel, die Ökumene, falsche Lehren – und nicht nur auf diesem Gebiet. Die Medienrevolution mit Fernsehen, Computer und Internetvernetzung sowie in allen Bereichen die Neuorientierung in Kunst und Musik.
Und die Frage ist: Wo geht es hin? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich habe den Eindruck, wir leben nicht in einer heilen Welt. Deshalb bitte ich für uns um Vergebung.
Herausforderungen der kommenden Generation
Ich beneide die nächste Generation nicht, obwohl ich manchmal denke: Ich bin froh, dass die Zeit der Erziehung für mich vorbei ist. Aber ich beneide nicht meine Kinder, die jetzt ihre Kinder erziehen müssen.
Wir leben in einer Welt der Säkularisierung, in einem sogenannten nachchristlichen Zeitalter – ohne Werte. Es wird immer wieder gesagt, dass wir wieder Werte brauchen. Doch niemand kann sie wirklich definieren. Zerstörerische Weltbilder, Gender-Mainstreaming, Generation Y – all das muss man erst bei Wikipedia nachlesen, um zu verstehen, was gemeint ist. Man hat den Eindruck, dass auch unsere Politiker nicht genau wissen, worum es geht.
Dann gibt es die sexuelle Vielfalt, mit der Kinder schon im Kindergartenalter konfrontiert werden. Esoterik, Islamisierung, Buddhismus, Yoga und im christlichen Bereich die Psychologisierung, Bibelkritik und Gesetzlosigkeit. Dazu viele Fremdworte wie emergente Bewegung, Charismatik, Kontextualisierung, soziales Evangelium. Wenn ich euch all das jetzt erklären wollte, würde der Abend sehr lang werden. Ich werde euch später die Präsentation geben, und dann könnt ihr in Wikipedia nachschauen, was damit gemeint ist.
Wie kann die nächste Generation Gemeinde nach dem Neuen Testament leben? Sie werden nicht alles richtig machen, und deshalb bitte ich auch um Vergebung für sie. Wir müssen uns fragen, was sich ändern müsste und worauf wir als Gemeinde Wert legen sollten.
Ich glaube nicht, dass es reicht, sonntags eine Predigt zu halten und den Geschwistern Trost mitzugeben, damit sie durch die Woche kommen. Das ist zu wenig. Was muss ich lehren und bewusst Jüngeren beibringen, damit sie standhaft bleiben bei allen Veränderungen in dieser Welt?
Wir müssen, glaube ich, neu lernen, wie der Herr Gemeinde gedacht hat. Deshalb habe ich das zweite Buch geschrieben. Wir müssen miteinander lernen, wie wir miteinander umgehen können. Gemeinde bedeutet nicht, dass ich einfach bewahre, wie es immer war. Unsere Väter haben es so gemacht, das kann doch nicht verkehrt sein, also machen wir es weiter – das ist keine Begründung.
Also geht es nicht nur ums Bewahren, sondern auch ums Bewegen. Wie können wir wirklich fest auf dem Boden der Schrift stehen, aber beweglich sein, wo wir beweglich sein dürfen? Das finde ich sehr interessant. Gottes Wort gibt uns bestimmte Prämissen, wie Gemeinde nach seinen Vorstellungen aussehen soll. Gleichzeitig lässt er uns aber auch Freiheiten.
Das fasziniert mich immer wieder, wenn ich über Gemeinde nachdenke. Gemeinde kann unter jeder Regierungsform gelebt werden. Gemeinde existiert sogar in Nordkorea. Natürlich haben sie dort keine Freiheit, und natürlich werden sie verfolgt und müssen sich heimlich treffen. Nicht jeder hat seine Gideon-Bibel dabei. Aber Gemeinde existiert.
Oder denken wir an die Situation in China: Dort explodieren die Gemeinden. Man sagt heute, die meisten Christen weltweit sind Chinesen. Das ist so weit weg von uns – und doch baut Gott Gemeinde. Wir dürfen darum beten, dass Gott das auch hier in Deutschland wieder tut.
Wir müssen darüber nachdenken: Herr, wie kann es geschehen, dass die nächste Generation nicht an Gewohnheiten hängt, sondern am Wort Gottes? Das bewegt mich sehr, wenn ich sehe, wie Gott seine Gemeinde auf der ganzen Welt baut – in verschiedenen Staaten und Ländern, unter verschiedensten Religionen und Staatsformen.
Manchmal wünsche ich mir, wir hätten den Blick, den Jesus hat – der von oben sieht und genau weiß, wo seine Seinen sind. Dafür möchte ich beten.
Vielleicht regt das zum Nachdenken an. Ihr habt eine ganze Nacht vor euch, um darüber nachzudenken, wie die Gemeinde hier in Dortmund weiter existieren kann. Ihr sagt, ihr seid eine Autogemeinde. Das bedeutet doch, dass das Hauptanliegen sein muss, dass Menschen in der nächsten Umgebung zum Glauben kommen und dass hier eine Gemeinde vor Ort entsteht.
Uns bewegt das auch. Wir sind in den letzten Jahren verhältnismäßig gewachsen und haben eine missionarische Arbeit im nächsten Stadtteil begonnen. Manche fragen: Warum teilt ihr euch nicht und schickt 50 Leute dorthin? Das wäre einfach, aber künstlich. Unser Anliegen ist, dass in diesem Stadtteil Menschen zum Glauben kommen und dort Gemeinde entsteht – nicht als Transplantation.
Ich glaube, uns muss der Gedanke von Gemeinde neu aufs Herz gelegt werden. Nicht nur, dass wir selbst eine Gemeinde haben, zu der wir gehen, sondern dass unsere Herzen brennen: Herr, wie kann Gemeinde heute existieren?
Ich gebe euch das als Überlegung mit in die kommende Nacht. Morgen wollen wir uns weiter damit beschäftigen: Wie hat Paulus das gemacht, wie hat Jesus das gemacht, wie hat Johannes das gemacht? Was können wir davon lernen?
Vielleicht kann dadurch auch hier etwas Neues entstehen, dass Menschen sich zusammentun. Wie jemand einmal sagte: Jünger machen Jünger, die wiederum Jünger machen.
Und auch das ist ein netter Spruch: Alle Menschen werden älter, nur Christen werden jünger – und zwar großgeschrieben.
Nehmt das vielleicht mit als Anregung und Gedankenstoß bis morgen um siebzehn Uhr.
