
Ich setze an zum vierten Teil des Vogelflugs durch das erste Buch Mose. Wir sind etwas tiefer geflogen, weil es in diesem Buch um die Anfänge geht. Es wird darüber informiert, wie, ich habe das schon ein paar Mal gesagt, zu Anfang geschaffen wurde und warum es nicht mehr so ist, wie es einmal war.
Darüber Bescheid zu wissen, ist eine Grundfrage des Menschen. Wir tendieren automatisch dazu, in diese Richtung zu gehen. Wenn wir keine biblische Offenbarung haben, die uns darüber Klarheit verschafft, neigen wir stark dazu, uns eigene Phantasiegeschichten zu machen.
Ja, hier kann man davon sprechen, die eigenen Mythen zusammenzusetzen – sei es auf persönlicher Art, bezogen auf das eigene Volk oder gar auf die Weltgeschichte. Wenn man sich einmal einen Blick verschafft auf Amazon oder andere Seiten, welche Bücher es alles gibt mit einem kurzen Blick auf die Weltgeschichte, sieht man das sehr oft.
Dort begegnet uns häufig der Mythos oder zumindest die Arbeitshypothese des Naturalismus mit der evolutionären Entwicklung, die ein ganz anderes Metanarrativ bieten.
Heute empfiehlt es sich, weil jeder seine eigene Geschichte zusammenbasteln kann, dass jeder sein eigenes Mikronarrativ entwickelt. Dabei entstehen Vorstellungen, die nicht mehr nur darauf basieren, woher man kommt, sondern auch darauf, wer man ist, wer man sein soll, wie man sich definieren soll und wohin man geht.
Genau diese Frage stellte der Engel des Herrn in 1. Mose 16 der Hagar. Er fragte sie: Woher kommst du und wohin gehst du?
Das ist eine der Grundfragen, die Gott stellt. Es ist eine von vielen didaktischen Fragen aus dem ersten Buch Mose.
Nachdem wir den letzten Teil betrachtet haben, kommen wir nun zu den Kapiteln elf bis fünfundzwanzig. Dort zeigt sich, wie Gott in seiner Gnade und souveränen Vorsehung in der Linie des Glaubens Abraham erwählt hat. Er macht ihm einmalige Ankündigungen und Verheißungen, die sich nicht nur auf Land und Nachkommenschaft beziehen, sondern sogar eine Segensverheißung enthalten.
Gott kündigt an, dass durch Abrahams Samen, seinen Nachkommen – und Paulus sagt in Galater 3, dass mit diesem Nachkommen Christus gemeint ist – durch diesen Nachkommen ein weltweiter Segen für alle Völker der Erde entstehen wird.
Wir verfolgen nun diese Heilsgeschichte weiter und sehen, wie sie sich entwickelt hat. Abraham ist gestorben. Im 25. Kapitel steht, dass er in einem guten Alter, lebenssatt, zu seinem Volk versammelt wurde (25,8).
Ab Vers 12 im 25. Kapitel lesen wir erneut Familiengeschichten und Chroniken. Das erste Buch Mose besteht ja im Wesentlichen aus solchen Familienchroniken. Zuerst wird die Geschichte Ismaels kurz erwähnt, ebenso sein Tod in Vers 17.
Dann sehen wir ab Vers 19, wie die Linie der Verheißung, die Linie des Glaubens, weiterverfolgt wird.
Und dass damit alles begann und es nicht die letzte Geschichte bleiben wird in der Geschichte des Volkes, in der eine Frau unfruchtbar war – diese Rebecca. Gott hatte auf wunderbare Weise Isaac zu ihr geführt. Sie war unfruchtbar, und wir sehen zweimal im fünfundzwanzigsten Kapitel am Schluss etwas ganz Wichtiges. Es ist etwas, das Gottes Volk nur zu oft nicht getan hat: Sie bittet, sie stellt sich vor Gott hin, und er bittet für seine Frau um Nachkommenschaft.
Daraufhin wird sie schwanger. Die Frau fragt Gott, als sie merkt, dass zwei Kinder in ihrem Bauch sind, was es damit auf sich habe. Beide fragen nach, und schließlich kommen diese beiden zur Welt: Esau und Jakob.
Wir wissen aus Maleachi und dem Zitat aus dem Römerbrief, Kapitel neun, dass Gott Esau gehasst und Jakob geliebt hat. Gehasst bedeutet hier, dass Esau zurückgestellt wurde. Übrigens sehen wir dasselbe Wort auch bei den Frauen Jakobs später. Lea wurde ebenfalls gehasst, das heißt, sie wurde zurückgestellt.
Warum wurde Esau zurückgestellt? Das ist Gottes verborgener Vorsatz. Wir können das nicht genau ergründen, und es ist uns auch nicht gegeben. Wir sollen nicht weitergehen, als es uns gegeben ist, aber auch nicht weniger weit.
Es steht ganz deutlich im Neuen Testament, im Hebräerbrief, Kapitel zwölf, dass Esau keinen Raum fand für die Buße. Das ist sehr eindrücklich.
Wir werden uns nun diesem Leben zuwenden, zunächst von Isaak. Im Hause Isaaks standen von Anfang an einige Dinge schief. Das hängt damit zusammen, dass Gott die beiden Söhne sehr unterschiedlich begabt hat. In wie vielen Familien hat es seit Tausenden von Jahren schon Konflikte gegeben, die ähnlich sind?
Esau war ein Jäger, jemand, der sich draußen aufhielt. Er war von seiner Konstitution her sehr robust. Jakob hingegen war eher ein feingliedriger und sanftmütiger Mann, ein ruhiger Typ, der bei den Zelten blieb und sich eher im Inneren aufhielt. Wie oft sind diese beiden, kann man sagen, prototypischen Begabungen gegeneinander ausgespielt worden?
In der Familie Jakobs beziehungsweise Isaaks führte das dazu, dass der Vater den älteren Sohn, Esau, bevorzugte, während die Mutter den jüngeren, Jakob, bevorzugte. Wenn wir dann das 27. Kapitel lesen, merken wir, dass sich dies als Keil in die Ehe von Isaak und Rebekka hineingetrieben haben musste.
Der Text ist so angeordnet, dass noch im 25. Kapitel eine entscheidende Szene steht. An diese erinnert sich Esau später: Jakob hat ihm das Erstgeburtsrecht weggenommen. Esau hatte in einem Moment des Hungers keine Selbstkontrolle und verkaufte sein Erstgeburtsrecht in Gedankenlosigkeit für ein Linsengerecht. Jakob, so schlau wie er ist, verschafft sich schnell Vorteile. Das zeigt sich später durch sein ganzes Leben.
Jakob bezeichnet sein Leben am Schluss vor dem Pharao, als er vor ihm steht, als ein hartes Leben. Er hat viele oft betrogen. Sein Name bedeutet ja auch Fersenhalter oder Betrüger. Diese Eigenschaften fielen dann wieder auf ihn zurück.
Auf jeden Fall sehen wir das Leben Isaaks im 26. Kapitel näher dargestellt. Einige Punkte dazu:
Das erste ist, dass in diesem ersten Buch Mose die Verheißung Gottes an die Patriarchen immer wieder erneuert wird. Dabei wird immer wieder die Fremdlingschaft betont. Die Verheißung auf Nachkommenschaft und auch die Verheißung des Landes wird sowohl an Isaak als auch an Jakob erneuert.
Zweitens sehen wir, dass Isaak stets in einer gewissen Spannung zu den Einwohnern des Landes steht. Sie haben ihm die Brunnen verstopft, weil sie eifersüchtig auf seinen Wohlstand und seinen zunehmenden Reichtum waren. Das war bereits bei Abraham der Fall, doch bei Isaak prägte sich diese Spannung noch stärker aus. Bei Jakob sehen wir sogar in den Kapiteln 34 und 35, dass seine Söhne Gräueltaten an den Einwohnern des Landes verübten und dass Jakob später um seinen Ruf fürchten musste.
Sie waren als Fremdlinge immer in einer gewissen Spannung zu den Einheimischen. Wie es im Hebräerbrief Kapitel 11 heißt, möchte ich kurz vorlesen: Sie erwarteten die zukünftige Stadt, wie ich es bereits im letzten Teil angedeutet habe. Sie waren nur Fremdlinge und Durchreisende in dieser Stadt. Es steht ganz deutlich in Hebräer 11, Vers 13: Diese alle sind im Glauben gestorben, ohne das Verheißen empfangen zu haben, sondern sie haben es nur von ferne gesehen und waren davon überzeugt. Sie haben es willkommen geheißen und bekannt, dass sie Gäste ohne Bürgerrecht und Fremdlinge auf Erden sind. Denn solche sagen von sich, dass sie ein Vaterland suchen.
So war es auch bei Isaak.
Wir erkennen drittens eine Wiederholung: In diesen Kapiteln treten familien- und generationsübergreifende Muster deutlich hervor. Besonders in den Patriarchengeschichten ist dies ein interessanter Faden, den es zu verfolgen gilt. Es zeigt sich ein familienübergreifendes Muster, auch von Sünde.
Isaak lügt weiterhin, wie sein Vater es bereits zweimal getan hatte (Kapitel 12 und Kapitel 20). Er täuscht den heidnischen Herrscher, indem er seine Frau als seine Schwester ausgibt. Auch diese Lüge wird von Gott aufgedeckt. Genau wie sein Vater wird auch Isaak von diesem heidnischen Herrscher zur Rechenschaft gezogen.
Wir sehen, dass Gott Isaak segnet (1. Mose 26,12). Das ist der vierte Punkt. Gleichzeitig ruft dies Neid und Streit hervor (Verse 14, 20 und 21). Dennoch gibt der Herr ihm in Vers 22 erneut Raum und erneuert ihm seine Verheißung (Vers 24).
Fünftens baut Isaak einen Altar. Dieses Motiv der Gemeinschaft mit Gott – des Gebets, des Altars, des Opferns und des Opferdienstes – zieht sich seit dem Garten Eden, also seit dem Sündenfall, durch die gesamte Bibel.
Ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne: Das Motiv des Opfers und der Sühne für die Sünde ist zentral. Dieses Wohlgeruch-Opfer, wie es schon in 1. Mose 8 bei Noah erwähnt wird, findet sich auch in den Opfern zu Beginn des 3. Mosebuchs. Das gesamte Thema des Opferdienstes zieht sich durch die Schrift und gibt ihr ein festes Rückgrat.
Heilsgeschichtlich deutet der ganze Opferdienst des Alten Testaments auf das einmal für alle Mal vollbrachte Opfer von Jesus Christus hin. Wer versucht, dieses herauszunehmen, dem sei gewarnt.
Wir sehen also, dass Isaak als Verheißungsträger einerseits gesegnet ist, andererseits aber vor großen, vielfachen Problemen steht. Diese Probleme setzen sich fort. Bereits bei Abraham gab es Schwierigkeiten, zum Beispiel durch Mehrehe, Neid und Streit zwischen den beiden Erben Ismael und Isaak.
Bei Jakob und Esau spitzt sich die Lage weiter zu. Am Ende des 26. Kapitels sehen wir Hinweise darauf, dass Esau einfach zwei Frauen aus der Umgebung nimmt. Diese Frauen bereiten Isaak und Rebekka viel Herzenskummer. Das wird in Vers 35 besonders deutlich und ist auch für die gesamte Theologie der Familie von Bedeutung.
Im 28. Kapitel sagt Rebekka sogar, dass sie durch die Belastung dieser beiden Frauen lebensmüde geworden ist. Am Ende von Kapitel 27 heißt es: „Mir ist das Leben verleidet wegen der Töchter Hetz.“ Jakob empfängt dann durch Betrug den Erstgeburtssegen.
Dabei sehen wir im 27. Kapitel ein Beispiel für die Folgen des Sündenfalls. Zwar hat der Mann die Führung über die Familie, doch er versinkt in einer gewissen Passivität. Das sieht man sehr oft im Alten Testament, zum Beispiel bei Eli, David, Salomo und anderen Männern. Auch bei Isaak wird dies deutlich.
Fast sinnbildlich ist, dass Isaak ein schwaches Augenlicht hat. Das scheint auch auf ein schwaches geistliches Unterscheidungsvermögen hinzuweisen. In dieser Situation spinnt die Frau im Hintergrund die Fäden und manipuliert ihren Mann.
Ich glaube, das 27. Kapitel ist ein Beispiel für die Manipulation durch die Frau, wobei der Mann keineswegs unschuldig ist. Er ist vielmehr zuerst sündig, weil er die Führung des Hauses nicht übernimmt und gewisse Kinder bevorzugt, wie im Fall von Esau.
Wir sehen, dass Rebekka und Jakob zusammenspielen und sich den Segen erschleichen. Gleichzeitig ist dies Gottes Plan. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Sünde von Rebekka und Jakob gerechtfertigt wäre – im Gegenteil. Auch Isaak ist nicht unschuldig.
Esau zeigt in diesem Moment seinen Charakter: Er schreit auf, ist sehr zornig und will seinen Bruder töten. Diese Feindschaft, die durch die Bevorzugung entstanden ist, setzt sich fort und intensiviert sich bis hin zu einem potenziellen weiteren Brudermord.
Esau bereut den verlorenen Segen, doch die Reue legt sich später wieder. Er zeigt keine nachhaltige Buße, sondern eher ein Bereuen dessen, was geschehen ist und was er im Moment nicht mehr erreichen kann.
Jakob flieht zu seinem Onkel Laban und macht dort viele Erfahrungen. Bereits auf der Reise begegnet er Gott persönlich. Zwischendurch sehen wir, dass Esau und auch Isaak die beiden Frauen Jakobs nicht gerne sahen. Jakob wurde in die Heimat geschickt, um eine Frau zu holen. Doch er nimmt sich einfach noch eine dritte Frau dazu – eine Kurzschlusshandlung, die in 1. Mose 28,8 nachzulesen ist.
Jakob begegnet also dem Gott der Väter. Interessanterweise gibt es immer wieder dieses Zusammenspiel von Engeln, die erscheinen, und Träumen, die Menschen haben, besonders im ersten Buch Mose. Wir sehen auch die Reaktion des Menschen, die sich im Opferdienst zeigt. In diesem Fall ist es ein Stein, der mit Öl gesalbt wird. Außerdem wird ein Versprechen, ein Schwur abgelegt.
In 1. Mose 28,20 sagt Jakob: „Wenn Gott mit mir sein und mich behüten wird auf dem Weg, den ich gehe, dann werde ich ihm gewisslich den Zehnten geben.“ Hier sehen wir eine bedingte Zusage Jakobs an den Gott, der ihm erstmals begegnet war. Das ist sehr interessant, denn Gott begegnet immer wieder einer neuen Generation auf neue Weise. Das sehen wir besonders im 28. Kapitel. Dieses Thema wäre für sich genommen sehr umfangreich.
Jakob kehrt in sein Heimatland zurück, das Heimatland seiner Vorfahren. Dort trifft er in einer Szene, die man fast als Shakespeare-Szene bezeichnen könnte – eine Herden- und Weideszene – auf die Frau seines Lebens.
Im neunzehnten Kapitel wird ein scharfes Charakterporträt geschildert. Es wird erzählt, wie Jakob plötzlich eine unglaubliche Kraft bekommt, um einen schweren Stein wegzurollen. Er verliebt sich Hals über Kopf in die schöne Rahel. In Vers 18 heißt es, dass er sie liebte.
Jakob wird von seinem Onkel angeheuert, der ihm einen Lohn verspricht – seine Tochter. Dafür muss Jakob sieben Jahre dienen. Man erkennt nun, wie sich das Verhältnis zu drehen beginnt: Jakob, der bisher immer die Dinge zu seinem Vorteil manipulierte und von seiner Mutter das „Wolf“-Verhalten gelernt hatte, wird nun selbst manipuliert. Er gerät in ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem ihn erst Gott befreien kann. Dies sehen wir im 31. Kapitel.
Im 29. Kapitel entfaltet sich eine beispiellose Geschichte, die zeigt, dass Gott die Mehrfachehe nicht angeordnet hatte. Vielmehr wurde Jakob von seinem Onkel betrogen, der vor allem auf die Vermehrung seines Besitzes aus war. Auch die Söhne von Laban wurden eifersüchtig, weil sie dachten, Jakob nehme ihrem Vater alles weg, da er so gesegnet wurde.
Zwischen den beiden Frauen beginnt sich ein großer Streit und eine Bitterkeit zu entwickeln. Wir sehen Lea, die mehrere Söhne bekommt. Das Problem war, dass Jakob Rahel lieber hatte als Lea (29,30). Immer wieder, wie in 29,31, wird deutlich, dass Gott das Elend dieser Frau sieht. So wie er schon das Elend von Hagar zweimal gesehen hatte, sieht er hier das Elend von Lea, öffnet ihren Mutterleib. Jedes Mal, wenn sie ein Kind bekommt, reagiert sie mit einem Ausspruch aus ihrer Perspektive.
Auch in 30,22 sehen wir, dass Gott an Rahel gedacht hat und ihren Mutterleib öffnet. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mehrfachehe vor Gott in Ordnung gewesen wäre. Vielmehr entwickelte sich daraus viel Streit, Neid und vor allem Eifersucht. So wird in Vers 1 berichtet, dass Rahel eifersüchtig auf ihre Schwester wurde. In Vers 4 gibt sie, wie es damals schon Ditte und Großvater Abraham getan hatten, ihre Magd Bilha ihrem Mann zur Frau. Lea tut es ihr gleich und gibt ihre Magd Silpa ebenfalls zur Frau.
Aus diesen Verbindungen werden zwölf Söhne und eine Tochter geboren. Im zweiten Teil des Kapitels sehen wir, dass Gott, wie schon den Vater Isaak und den Großvater Abraham, auch Jakob finanziell gesegnet hat. Dies zeigt sich besonders in Bezug auf die Herden und sein allgemeines Wohlergehen.
Jakob wird im 30. Kapitel zudem als findiger Mann dargestellt, der durch bestimmte Techniken und Vorgehensweisen einen Vorteil bei seinem Lohn sichert. Er nimmt aus der Herde die stärkeren Schafe zu sich. Dies führte dazu, dass die Söhne von Laban sagten, Jakob habe alles genommen, was ihrem Vater gehört (30,41). So wurde Jakob außerordentlich reich.
Wir sehen, dass Gott Jakob begegnet und ihm sagt: Geh zurück. Jakob versagt jedoch zunächst.
In 1. Mose 31,12 heißt es: „Ich habe alles gesehen, was Laban antut.“ Das ist ein interessantes Thema in Bezug auf Arbeit nach dem Sündenfall. Das Beispiel der Arbeit Jakobs bei Laban zeigt, wie Arbeit nach dem Sündenfall von Manipulation, Ausbeutung, Vorteilserschleichung und ungelösten Konflikten geprägt ist. All das ist bereits in der Geschichte Jakobs angelegt.
Jakob wählt keinen geraden Weg. Er erzählt seinem Onkel nichts, sondern flieht mit seiner Familie heimlich zurück, als Laban nicht da ist. Laban möchte ihn gewaltsam zurückholen, wird aber von Gott daran gehindert.
Hier zeigt sich immer wieder die souveräne Führung Gottes und die Linie der Verheißung. Diese Linie stellt die Beteiligten nicht als Helden dar, sondern durchzieht sie als Sünder. Wäre es nach menschlichem Ermessen gegangen, hätte Jakob sich längst selbst blockiert, ausgelöscht oder auf das Abstellgleis gestellt.
Es ist allein der Gnade und der Vorsehung Gottes zu verdanken, dass die Geschichte überhaupt weitergehen konnte. Dies wird besonders deutlich im 31. Kapitel am Beispiel Jakobs.
Was ich auch sehr interessant finde, ist der Hinweis auf den Götzendienst bei Abraham. Es wird gesagt, dass seine Vorfahren Götzendiener waren. Dies erwähnt Josua im Buch Josua 24.
Ein weiteres Beispiel ist Jakob. Seine Lieblingsfrau Rahel stiehlt die Hausgötter von Laban. Anschließend verleugnet sie ihren Vater. So sehen wir, dass dieser Götzendienst auch auf subtile Weise in die Linie der Verheißung Eingang fand.
Solche feinen Hinweise im Text sind wichtig zu beachten.
Am Schluss kehrt Jakob zurück. Auf dieser Rückkehr erwartet ihn eine weitere langfristige Überraschung: Esau macht sich auf, ihm zu begegnen.
Wir sehen Jakob, der immer wieder ausweicht, manipuliert und betrügt. Er wird immer wieder mit den Folgen und Konsequenzen seines Handelns konfrontiert. Er kann der Realität nicht ausweichen. Im 32. Kapitel zeigt sich dieser große Zwiespalt deutlich.
Auf der einen Seite steht die Angst vor der Begegnung. Diese Angst veranlasst Jakob zu einem neuen Plan: Er teilt seine Familie in Gruppen auf und schickt Geschenke voraus. Alles wird genau überlegt, um die möglichen Folgen zu entschärfen. Dabei schätzt er seinen Bruder und dessen langfristigen Charakter völlig falsch ein.
Esau hat bereits alles vergessen und befindet sich in einer ganz anderen Lebensphase. Er begegnet seinem Bruder erstaunt und wird von den Geschenken überrascht.
Das ist nur die eine Seite: das Manipulative, das immer seine eigenen Pläne, Ziele und Projekte verfolgende, manipulierende und betrügende Jakob.
Auf der anderen Seite sehen wir Gottes Erziehung seines Kindes, Jakobs, seines Gläubigen. Dies zeigt sich in einem spektakulären Ringkampf in der Nacht, als Jakob über den Jabok zurückkehrt.
Jakob ist allein und ringt die ganze Nacht hindurch (siehe 1. Mose 32,25). Dann ringt ein Engel mit ihm, möglicherweise eine präinkarnatorische Erscheinung von Christus selbst. Jakob wird an der Hüfte gelähmt oder behindert, also berührt, aber auch gesegnet (Vers 30).
Hier sehen wir den Hinweis des Redaktors, der höchstwahrscheinlich Mose war: Darum essen die Kinder Israels bis zum heutigen Tag die Sehne nicht, die vom Engel bei Jakob berührt wurde.
Jakob versöhnt sich mit Esau im 33. Kapitel. Diese Szene wird sehr ausführlich geschildert. Bereits in Vers 2 ordnet Jakob seine Kinder an. Dabei zeigt sich erneut ein Muster: Joseph wird zum Lieblingskind von Jakob. Dieses Lieblingskind führt zu den nächsten Konflikten in der Familie und zieht sich als generationsübergreifendes Muster durch die Geschichte.
Jakob verhält sich seinem älteren Bruder gegenüber äußerst servil und dienstfertig. Er überhäuft Esau mit Geschenken, sodass Esau ihn fragt: „Was willst du denn mit diesem ganzen Heer, dem ich begegnet bin?“ (Vers 7). Jakob begegnet ihm daraufhin mit süßen Worten: „Du bist so freundlich gegen mich“ (Vers 10). Gleichzeitig sucht er Ausflüchte, um Esau nicht länger begegnen zu müssen, da er ihm nicht traut (Vers 13).
Es ist sehr interessant, die Taktik zu verfolgen, die Jakob hier anwendet. Ebenso faszinierend ist es, die charakterlichen Porträts in diesem ersten Buch Mose nachzuverfolgen. Gerade das macht das Buch so anschaulich. Man darf jedoch nie aus den Augen verlieren, dass es nicht um Heldengeschichten oder schöne Stories geht.
Vielmehr geht es um die Schilderung, wie Gott durch seine Vorsehung die Linie des Glaubens in diesem Raum, in dieser Zeit und in dieser Geschichte mit den Menschen lenkt. Dies geschieht mit dem Ziel, dass er eines Tages diesen Nachkommen, in der Fülle der Zeit, den senden wird, der der Schlange den Kopf zertreten und den Bruch, der durch die Sünde entstanden ist, wiederherstellen wird.
Wir sehen die nächste Katastrophe in Vers 34, die sich durch den abenteuerlichen Ausgang des Ereignisses mit Dina anbahnt. Dina geht hinaus, um die Töchter des Landes zu sehen (34,1). Dann wird sie von einem Fürsten, einem Stadtfürsten, entjungfert. Dieser bittet um ihre Hand.
Die Brüder rächen die Schande, die durch die Entjungferung entstanden ist. Sie bringen die gesamte männliche Bevölkerung dieser Stadt um. Jakob fürchtet sich um seinen Ruf. Die beiden Brüder Simeon und Levi dringen überraschend in die Stadt ein, nachdem die ganze Stadt sich beschneiden lassen musste (34,25). Sie töten die Männer und plündern die Stadt.
In Vers 31 zeigen sie keine Reue. Sie sagen: „Soll man denn unsere Schwester wie eine Hure behandeln?“ Hier sehen wir erneut diese Sünde in dieser Familie, in dieser Linie des Glaubens. Es ist noch nicht der verheißene Retter. Im Gegenteil: Jakob und seine Söhne suchen durch ihren Eigenwillen und ihre Sünde ihren eigenen Weg. Gott interveniert immer wieder dazwischen.
35 Vers 1: Er erscheint Jakob und sagt: „Zieh hinauf nach Bethel! Baue dort einen Altar!“
Dann sehen wir Jakob in einer Bußhandlung, wahrscheinlich auch gefördert durch das schreckliche Verbrechen seiner Söhne. Er sagt: „Tut die fremden Götter von euch weg!“ Seine ganze Familie muss sich reinigen.
Inwiefern das ihre Herzen reinigte, lasse ich mal dahingestellt. Ich glaube nicht, dass das wirklich geschah. Aber immerhin ist das ein Aufruf von Jakob, der nun aktiv wird. In Vers 7 baut er einen Altar.
Gott bewahrt einmal mehr diesen Samen, diese Linie der Verheißung des Glaubens, indem er einen Schrecken auf die umliegenden Stätte legt (35, Vers 5). Gott spricht zu ihm: „Ich bin Gott der Allmächtige“ (Vers 11) und segnet ihn (Vers 9).
Rahel stirbt bei der Geburt des zweiten Sohnes, des jüngsten, Benjamin.
Wir sehen dann, wie es in dieser Familie weitergeht mit der Sünde und wie sie Zerrüttung bringt. Ruben, der Älteste, geht zur Nebenfrau seines Vaters, Bilha. Sein Vater erfährt davon, und Ruben verliert dadurch eigentlich auch sein Erstgeburtsrecht. Das sehen wir am Schluss bei den Segnungen, die Jakob den anderen zuteilwerden lässt.
Wir sehen hier wieder kurz eingeflochten, wie schon im 25. Kapitel, die Nachkommenschaft Ismails. Ebenso wird die Geschichte oder die Nachkommenschaft Esaus dargestellt.
Auch hier ist Esau ein Gesegneter. Er wird zum Haupt eines Volkes und besitzt, wie in 1. Mose 36,7a beschrieben, eine große Habe. Das erinnert an die Darstellungen von Lot und Abraham.
Mir fällt immer wieder auf, wie sich diese Kontrastbilder ziehen: zwischen Abraham und Lot, zwischen Ismael und Isaak, zwischen Jakob und Esau.
Wir sehen, dass sich diese Gegensätze auch im weiteren Verlauf fortsetzen. Zum Beispiel im 38. und 39. Kapitel, wo Joseph und Juda gegenübergestellt werden. Juda geht eine Beziehung zu seiner Schwiegertochter ein und begeht Hurerei, also Prostitution. Joseph hingegen entzieht sich dem Zugriff der Frau seines Herrn und lebt gottesfürchtig vor ihm.
Diese Kontrastbilder ziehen sich immer wieder durch das erste Buch Mose.
Und so werden wir in Kapitel 37 zur Geschichte Josefs geführt, beziehungsweise zur Familienchronik der Geschichte Jakobs. Dabei wird im Vers 1 von Kapitel 37 erneut betont, dass Jakob ein Fremdling im Land war.
Diese wiederholte Betonung wirft ein ganz anderes Licht auf die Geschichte. Sie waren nicht die Eigentümer oder Besitzer des Landes, sondern Fremdlinge ohne Bürgerrecht. Sie lebten mit der Aussicht auf die Verheißung, die noch kommen würde.
Dieser Status entspricht auch dem des neutestamentlichen Volkes. Paulus beschreibt dies zum Beispiel in Philipper 3,20-21. Dort heißt es, dass wir Fremdlinge sind, die ein bürgerrechtliches Himmelreich erwarten. Ebenso betont der Schreiber des Hebräerbriefs im elften Kapitel, dass wir durch Glauben leben. Wir sind noch nicht am Ziel, sondern blicken auf die ewige Ruhe, die vollständige Wiederherstellung und das ganze Heil.
Insofern können wir auch profitieren. „Providieren“ bedeutet, durch das Lernen aus diesen patriarchalen Geschichten ein Leben vor Gott zu führen.
Im 37. Kapitel zeigt sich erneut sehr ausführlich und gekonnt dargestellt vom Erzähler, wie sich der Familienkonflikt auf die nächste Generation ausweitet – besonders auf das Lieblingskind Joseph. Joseph ist der erste Sohn von Rahel, die ja während der Geburt von Benjamin gestorben war.
In Vers 3 wird betont, dass Joseph von Jakob mehr geliebt wurde als alle anderen Söhne, weil er in Jakobs höherem Alter geboren wurde. In Vers 4 hassen seine Brüder ihn, und dieser Hass verstärkt sich noch nach dem Traum, den Joseph hatte. In Vers 11 wird deutlich, dass sie eifersüchtig auf ihn sind. Diese Bevorzugung führt zu Hass, der sich weiter steigert, und zu Eifersucht. Die Familie wird dadurch zerrüttet, und die Entzweiung bringt viel Leid mit sich.
Wir sehen dann, wie Josef von seinem Vater ausgesandt wird, um nach seinen Brüdern zu sehen. Diese nutzen die Gelegenheit, um ihn auszuschalten. In Vers 18 wollen sie ihn heimlich umbringen. Ruben, der wahrscheinlich noch ein schlechtes Gewissen wegen seines Ehebruchs mit Bilha hat, versucht ihn zu retten. Dabei übernimmt er jedoch eine Teilverantwortung als Ältester, was sehr interessant zu verfolgen ist.
Statt Josef zu töten, werfen sie ihn in eine Zisterne. Später verkaufen sie ihn in der Abwesenheit von Ruben für zwanzig Silberlinge als Sklaven nach Ägypten und sind ihn damit losgeworden. Jakob wird am Ende des 37. Kapitels nicht nur von Laban, sondern auch von seinen Söhnen betrogen. Man lässt ihn glauben, dass Joseph von einem wilden Tier zerrissen worden sei.
So sehen wir, wie Gott immer wieder Jakobs eigenes Verhalten auf seinen Kopf zurückkehren ließ. Dies trug dazu bei, dass Jakobs Leben insgesamt als ein hartes Leben wahrgenommen wurde.
Sehr erstaunlich ist, dass im 38. Kapitel die Geschichte von Juda eingeschoben wird. Juda, der Verheißungsträger, von dem nach 1. Mose 49,10 der Löwe hervorkommen wird. Das bedeutet, dieser Verheißungsträger, dieser Löwe aus dem Stamm Juda, wird gemäß Offenbarung 5 erscheinen.
In 1. Mose 49,10 heißt es: „Das Zepter wird nicht von Juda weichen, noch der Herrscherstab von seinen Füßen.“ Warum? Weil durch ihn der Sohn Davids hervorgehen wird. Wie Lukas 1,35 sagt, wird dieser Sohn Davids auf seinem Thron sitzen – in Ewigkeit. Es ist Jesus, der sein Volk von seinen Sünden retten wird.
Was für eine Geschichte! Wiederum eine Geschichte von Prostitution, von Sünde und von fehlender Selbstkontrolle – auch im Falle von Juda. Umso erstaunlicher ist es, im Geschlechtsregister Jesu Christi, des Sohnes Davids und des Sohnes Abrahams, in Matthäus 1 zu lesen, dass Juda den Perez zeugte, den er mit Thamar hatte.
Auch Thamar findet Eingang in diesen Stammbaum. Das rechtfertigt keineswegs die Sünde Judas und soll nicht von dem verheerenden Bild ablenken.
Wenn es nach den Menschen gegangen wäre, hätten sie sich schon längst verabschiedet und wären unbrauchbar geworden. Nur Gottes Gnade und Zuwendung halten sie am Leben.
Im fünften Buch Mose, Kapitel 7 und 9, heißt es: „Weil ich euch liebte, nicht weil ihr besser gewesen wäret, habe ich euch erwählt.“ Es geht hier um Gottes Heilsplan. Gott sucht vor allem sich selbst und möchte seinen Ratschluss erfüllen. Er hat sein Volk geliebt, nicht weil es besser oder zahlreicher gewesen wäre (5. Mose 7,7), sondern weil der Herr sie liebte und seinen Eid halten wollte. Darum hat er sie aus dem Haus der Knechtschaft erlöst.
Dieses Motiv finden wir schon sehr stark vorgebildet im ersten Buch Mose, Kapitel 38. Wie ich bereits sagte, dient es auch als Kontrastbild zur Magie in der Geschichte von Joseph. Ab Kapitel 39 zeigt sich, wie Joseph nach Ägypten kommt und dort eine Art Schule durchläuft. Psalm 105 gibt darauf rückblickend Hinweise. Dort steht, dass Joseph in eine Notlage geriet. Psalm 105, Vers 17 sagt: „Er sandte vor ihnen einen Mann, Joseph, den er erwählte.“ Durch Gottes Vorsehung und souveräne Führung wird Joseph trotz seiner schwierigen Lage vorbereitet.
Joseph wurde als Knecht verkauft, seine Füße wurden in Fesseln gelegt, sein Hals in Eisen, bis der Zeitpunkt kam, an dem Gottes Wort eintraf und der Ausspruch des Herrn ihn geläutert hatte. Joseph wird zubereitet und geläutert. Manche Ausleger vermuten, dass dies auch eine Folge seiner Überheblichkeit war, da er als Lieblingssohn verhätschelt wurde. Diese Interpretation lasse ich hier offen, denn es gibt auch andere Deutungen der Kapitel.
Jedenfalls betont Kapitel 39 des ersten Buches Mose, dass Gott mit Joseph ist. In Vers 2 heißt es, dass ihm alles gelingt. Auch in Vers 3 wird beschrieben, dass Gott alles in seiner Hand gelingen lässt. In Vers 5 segnet Gott das Haus des Ägypters um Josephs Willen. Joseph erhält schnell Führungsverantwortung. Er muss auch der Versuchung widerstehen, bei der Frau seines Herrn zu liegen. Er weigert sich und betrachtet dies in Kapitel 39 als Sünde vor Gott.
Jede Sünde, insbesondere zwischenmenschliche, wird im ersten Buch Mose als Sünde vor Gott dargestellt. Joseph widersteht Tag für Tag der Versuchung und gerät dadurch ungerechterweise ins Gefängnis. Obwohl er alles richtig macht, gerät er noch stärker unter Druck. Doch auch dort, im Gefängnis, ist Gott mit Joseph. In Vers 21 verschafft Gott ihm Gunst beim Kerkermeister. In Vers 23 heißt es: „Der Herr war mit ihm und ließ ihm alles gelingen.“
Dies ist der rote Faden, der sich durch diese Kapitel zieht: Gott führt Joseph souverän und läutert ihn. Er schickt ihn voraus, um sein Volk zu erhalten, wie wir in Kapitel 45 und den folgenden Kapiteln sehen werden. Gott ist mit Joseph auch in den Schwierigkeiten und diesem Läuterungsprozess – oder, wie wir heute sagen würden, in seinem Heiligungsprozess.
Joseph deutet dann Träume im vierzigsten Kapitel, als er für Hofbeamte arbeitet. Das Thema der Träume ist sehr interessant, da es sich durch das erste Buch Mose hindurchzieht. Wir sehen, dass Joseph trotz seiner Fähigkeit zur Traumdeutung am Ende zunächst vergessen wird. In Vers 23 wird berichtet, dass der oberste Mundschenk, der nach seiner Entlassung zurückkehrt und durch Joseph eine Zusage und Prophezeiung erhalten hatte, ihn vergisst.
Doch einer vergisst Joseph nicht: Gott. Dieser führt alles souverän nach seinem Plan. So geschieht es nach zwei Jahren, dass auch der Pharao einen Traum hat (1. Mose 41,1). Joseph deutet den Traum des Pharaos und wird durch Gottes Vorsehung von einem Moment zum anderen an den Hof des Pharao gerufen. Dabei legt Joseph ein klares Bekenntnis ab. Er betont, dass die Deutung nicht von ihm stammt, sondern von Gott. Er sagt, Gott wird dem Pharao verkünden, was zu seinem Wohl dient.
In Vers 28 heißt es, dass Gott dem Pharao gezeigt hat, was er tun will. Die Sache ist in Vers 32 bei Gott fest beschlossen. Daraufhin setzt der Pharao Joseph als seinen Stellvertreter und Projektleiter für die kommende Hungersnot ein. Er erkennt, dass Gott Joseph alles mitgeteilt hat und dass niemand so verständig und weise ist wie er.
Joseph handelt sehr klug: Er schafft Vorratsräume und sammelt während der sieben fetten Jahre zahllose Vorräte an. So bereist er das Land und bereitet es auf die kommende Hungersnot vor. In 1. Mose 41,57 wird bereits angedeutet, was auch der Messias tun würde – nämlich Retter der ganzen Welt zu sein.
Alle Welt kam nach Ägypten, um bei Joseph Korn zu kaufen. So ist es bis heute geblieben: Die Botschaft wird in alle Welt verkündet. Jesus Christus, der Retter, der der Schlange den Kopf zertreten hat, wird zum Retter für die gesamte Welt.
Auch seine Brüder kommen im 42. Kapitel infolge der Hungersnot zu ihm. Gott fügt es so zusammen, dass die Brüder zu Joseph gehen. Nicht nur Joseph durchläuft einen Läuterungsprozess, auch Jakob wird für seine manipulative Art und seinen ständigen Betrug gedemütigt. Ebenso werden die Brüder durch einen Prozess der Läuterung geführt.
Joseph verstellt sich, wie in 42,7 beschrieben, und prüft ihre Worte. Er stellt sie auf die Probe. Er lässt sie nicht einfach zu sich kommen und enthüllt nicht sofort seine wahre Identität. Stattdessen möchte er sehen, wie sie sich verhalten.
Man erkennt bereits am dritten Tag, in 42,18 beziehungsweise 42,21, dass sie sich ihrer Schuld wegen ihres Bruders bewusst werden. Sie dachten, die Schuld sei längst vergessen, doch sie holt sie wieder ein. Dieses Thema zieht sich dominant durch die Kapitel.
Ihnen vergeht der Mut, wie in 42,28 zu lesen ist, und sie erkennen an, dass Gott hinter allem steht. Sie fragen sich: „Was hat Gott uns da angetan?“ Sie müssen nach Hause zurückkehren, haben wieder einen Bruder weniger und sollen Benjamin mitnehmen.
Die zweite Reise zieht sich hinaus, doch die Hungersnot wird stärker. Daher lässt Jakob auch den jüngsten Sohn mitgehen. Mit dem Aufruf „Gott der Allmächtige“ – so wird er oft im ersten Buch Mose vorgestellt – bittet er in 43,14: „Gott der Allmächtige, gebe euch Barmherzigkeit vor dem Mann.“
So sehen wir, dass die Brüder ein zweites Mal bei Joseph sind. Joseph ist sehr bewegt und aufgewühlt. In 43,30 weint er und wird von seinen Gefühlen überwältigt.
Sie werden erneut auf die Probe gestellt, indem ihnen das Geld wieder mitgegeben wird und sie zurückkehren müssen. Auch hier hat Juda weiterhin den Eindruck, dass Gott die Schuld der Brüder gefunden hat, wie in 44,16 beschrieben.
Gott prüft sie, läutert sie und bringt ihnen ihre Schuld gegenüber ihrem Bruder zum Bewusstsein. So geschieht es auch bei einem Menschen, der von Gott geführt wird zur Erkenntnis seiner eigenen Schuld. Es ist nicht so, dass der Mensch sich selbst für Gott entscheidet oder den Weg zurückgeht. Vielmehr macht Gott ihm das Bewusstsein der Schuld klar – so wie damals den Brüdern Josefs.
Wir sehen auch, wie Juda, der damals federführend war, um Joseph zu beseitigen, sich nun für den Bruder Benjamin und den Vater einsetzt. Joseph erkennt dadurch, dass seine Brüder ihre Gesinnung wirklich gewandelt haben.
In 45,1 kann er sich nicht länger zurückhalten. Er weint laut und macht den Brüdern keine Vorwürfe. Er möchte zunächst den Gesinnungswandel deutlich erkennen. Das ist ein beeindruckendes Beispiel für Konfliktbewältigung.
Später ist er auch nicht nachtragend. In 45,5 sagt er: „Macht euch keine Vorwürfe, Gott hat mich zur Lebensrettung vor euch hergesandt.“ Im Rückblick wird ihm die Bedeutung seines Lebenswegs klar. Er versteht, warum er als Knecht nach Ägypten verkauft wurde.
In 45,7 erklärt er: „Gott hat mich vor euch hergesandt, um euch am Leben zu erhalten.“ In Vers 8 sagt er weiter, dass Gott ihn zum Vater des Pharao und zum Herrn über ganz Ägypten gemacht hat. Nun sollen die Brüder nahe bei ihm sein.
Das ist eine Vorschattung der Erlösung: Wir, die wir es nicht verdient haben und die wir Gott abgelehnt haben, dürfen nahe bei ihm sein, seine Herrlichkeit schauen, wie in 45,13 beschrieben. Außerdem dürfen wir das Beste des Landes genießen, wie es in 45,18 heißt.
Man kann hier durchaus von einer Vorschattung sprechen, insbesondere von der Versöhnung – nicht nur von Josef mit seinen Brüdern, sondern auch von Josef mit dem Herrn, wie es in Hebräer 2,10 beschrieben wird. Dort wird gezeigt, wie er zur Herrlichkeit führt.
Jakob und seine Familie ziehen nach Ägypten. Jakob bringt erneut ein Opfer dar, und Gott erscheint ihm wieder. In Vers 46 ruft Gott: „Jakob, Jakob!“ und stellt sich ihm als der starke Gott vor. Dies ist eine erneute Offenbarung seines Wesens.
Wenn man die Gottesnamen in diesem Buch näher betrachtet, wird deutlich, wie wunderbar sie sind. Gott zeigt sich als der Allmächtige, als der Gott, der sich offenbart, als der starke Gott, als Yahweh Zebaoth und als Yahweh Elohim – der alles geschaffen hat. Er bringt seinen Plan trotz des Ungehorsams der Menschen zur Erfüllung. Dabei bewahrt er auch jene, die ihm gehören und die er erwählt hat, bis zum Schluss.
Und so sehen wir das Wiedersehen Josephs mit Jakob. Das Weinen wird in diesen Kapiteln besonders betont: weinende Männer, Jakob vor dem Pharao im 47. Kapitel. Dort segnet Jakob den Pharao.
Aus dem Neuen Testament wissen wir, dass der Geringere vom Größeren gesegnet wird. Jakob erkennt in Vers 9, was ich schon mehrmals angedeutet habe: „Wenig und böse sind meine Lebensjahre gewesen.“
Joseph wird somit nicht nur zum Versorger Ägyptens, sondern auch zum Versorger der anderen Völker und seiner eigenen Brüder sowie seiner Familie. Wie Gott Abraham im 15. Kapitel angekündigt hatte, beginnen nun die vierhundert Jahre, die mit fetten Jahren starten. Die Brüder kommen in das Land Gosen und können dort ihren Besitz mehren.
Doch wir wissen aus dem Buch Exodus, dass sich dieses Blatt sehr schnell gegen sein Volk wenden konnte. Ein Nachfolger stand auf, der Joseph nicht kannte. Er fürchtete sich vor dem schnellen Wachstum dieser Fremdlinge, dieser Ausländer, die ihm gefährlich werden konnten.
Jakob kommt zum Ende seines Lebens und möchte den Segen aussprechen. Im 48. Kapitel wird Gott nochmals als der Allmächtige erwähnt, dieser Gottesname erscheint erneut in 48, Vers 3.
Trotz seiner Kurzsichtigkeit – wir erinnern uns an die Szene mit seinem Vater Isaak – segnet Jakob die Söhne Josephs, nämlich Manasseh und Ephraim, indem er seine Hände übers Kreuz legt. Ephraim erhält dabei eine Vorrangstellung, die er später innerhalb des Volkes Israel einnehmen wird. Josef versucht noch, dies zu ändern (Vers 14), doch Jakob bleibt dabei.
Jakob sieht sich vor Gott, „vor dessen Angesicht meine Pfade gewandelt haben“. Das entspricht genau dem, was im ersten Buch Mose erklärt wird: Unser Leben spielt sich vor Gott ab. Auch bei Abraham heißt es in 17, Vers 1: „Der Gott, vor dem du stehst, vor dem du wandelst.“ Das ist „coram Deo“, ein Leitprinzip, das nicht nur für mein Leben gilt, sondern auch schon für die Reformatoren.
Daher lautet die Aufforderung: „Wandle vor mir und sei untadelig“ (17,1). Unser Leben findet vor seinen Augen statt, und das ist sich auch Jakob am Ende seines Lebens bewusst.
Er segnet seine Söhne mit einem prophetischen Segen, der zukünftige Tage betrifft (49,1). Dabei verflucht er seinen Erstgeborenen Ruben (49,4), denn unsere Taten und Sünden haben Konsequenzen. Ruben hatte Ehebruch begonnen. Auch Simeon und Levi verflucht er, weil sie mit waffengewalt und beispiellosem Zorn ein Massaker angerichtet hatten.
Interessanterweise segnet er Juda und verheißt ihm den Herrscherstab. Tatsächlich stammt aus Juda David, und aus David der Messias, der Nachkomme Davids.
Wir sehen, wie Jakob jedem seiner Söhne einen Segen zuspricht – ähnlich wie Mose am Ende seines Lebens dem Volk Israel im fünften Buch Mose. Dort, in 5. Mose 33, spricht Mose jedem einzelnen Stamm einen Segen zu.
Jakob wird dann beerdigt und stirbt. Das Thema ist: Gott schenkt Leben und gestaltet eine Bundesbeziehung zum Menschen. Der Mensch fällt aus diesem Gehorsam, wendet sich gegen Gottes Bundesbeschluss und wird mit Sanktionen belegt – jedoch nicht mit dem sofortigen Tod.
Wir sehen immer wieder, dass Adam starb, Noah starb, Abraham starb, und so auch Jakob. Am Schluss des 50. Kapitels sehen wir sogar, dass Joseph starb. Das erste Buch Mose endet mit einem Sarg.
Dies ist die Folge der Sünde des Menschen. In Römer 6,23 heißt es: „Die Folge der Sünde ist der Tod.“ Gleichzeitig sehen wir am Ende des 50. Kapitels eine wunderbare Stelle. Joseph sagt, als seine Brüder nach dem Tod Jakobs Zweifel bekommen, ob er sich nicht doch an ihnen rächen könnte: „Bin ich denn an Gottes Stelle?“ (Vers 19).
Diese Aussage lässt sich auf das gesamte Wirken des Menschen beziehen. Schon in Kapitel 6 und 8 wurde gesagt, dass das Wesen oder das Wirken des menschlichen Herzens von seiner Jugend an böse ist.
Wir sehen erneut: „Ihr zwar dachtet, mir Böses zu tun, aber Gottes souveräne Führung dachte es gut zu machen.“ So führt Gott alles hinaus, wie es heute zutage liegt, um ein zahlreiches Volk am Leben zu erhalten – zu seiner Ehre.
Das ist die große rote Linie der Heilsgeschichte: Gott erhält durch den wahren Abraham, den wahren Joseph und den wahren David, seinen Nachkommen, ein Volk am Leben.
Wie Johannes, der Täufer, dessen Vater in Lukas 1 sagt, besucht Gott am Schluss von Lukas 1 sein Volk, um „durch die Vergebung ihrer Sünden Erkenntnis des Heils zu geben“ (1,77). Dies geschieht „um der herzlichen Barmherzigkeit unseres Gottes willen, durch die uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe, um denen zu scheinen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu richten.“
Dieser Ausblick auf den Frieden, trotz der Folge der Sünde und des Todes, zeigt sich schon im ersten Buch Mose. Es zeigt, wie alles begann, wie der Mensch durch seine Sünde vieles zerstörte, Gott jedoch seinen Plan im Auge behielt und souverän führte – durch die Erwählung Abrahams, durch den er einen weltweiten Segen ankündigte, durch dessen Nachkommen alle Völker gesegnet werden.