Eröffnung und Gebet zum Beginn der Bibelstunde
Zu Beginn wollen wir beten, um uns zu sammeln und einzustimmen. Wir danken dir, Jesus, für das Blut, das du vergossen hast, für die Erholung und auch dafür, dass wir uns jetzt wieder hier treffen dürfen, um dein Wort besser kennenzulernen.
Wir danken dir auch für die Gemeinschaft untereinander, für den Glauben und die Verbundenheit durch deinen Geist. Wir bitten dich, Herr, dass du uns Aufmerksamkeit schenkst, damit wir gut folgen können und vor allem Nutzen daraus ziehen – für unser weiteres Bibelstudium und für unser Leben.
Wir bitten dich, Herr, dass du diesen Morgen segnest, dass du Gnade zum Hören und Gnade zum Verstehen gibst. Amen.
Dann möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Wie gesagt, hinten ist die Kasse. Was in die Kasse gegeben wird, nimmt Thomas mit; das ist für seine Familie.
Außerdem habe ich gestern vergessen zu sagen: Wenn ihr dort Bücher seht, die liegen, könnt ihr sie gerne mitnehmen. Sie sind kostenlos. Ich sortiere gerade aus meinem Schatz aus, um wieder Platz zu schaffen. Es sind einige sehr gute Bücher dabei, aber natürlich auch einige mittelmäßige. Wer die Bücher annimmt, ist dadurch nicht davon entbunden, auch selbst zu lesen und zu lernen. Die meisten Bücher sind aber in Ordnung.
Wir machen dann eine Pause, vielleicht um dreiviertel elf, für eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten. Danach können wir runtergehen. Ich habe Brezeln dabei, und es gibt Kaffee.
Schön, okay. Thomas, danke.
Einführung in die Auslegung von Daniel Kapitel 9
Ja, wir sind gestern mit ziemlich viel Elan gestartet, und es war nicht gerade einfach. Einige Dinge werde ich jetzt noch einmal wiederholen, und zwar zu Daniel Kapitel 9. Wir sind mit Daniel 9,24-27 noch nicht fertig.
Wir lesen zuerst Vers 25: „So wisse denn und verstehe: Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis zu dem Gesalbten, dem Fürsten.“ Ja, hier habe ich noch eine alte Übersetzung: „Bis zu einem Gesalbten, einem Fürsten, sind es sieben Wochen.“ Im Griechischen und Hebräischen steht hier kein Artikel. Früher habe ich das mit Artikel übersetzt, daher habe ich noch eine alte Folie, aber ich musste das ändern. Es geht hier um „einen Gesalbten“, nicht „den Gesalbten“.
Das glaube ich auch bei „der Schlacht“ ist der bestimmte Artikel vorhanden, oder? Stimmt das? „Dem Gesalbten, der Schlachter.“ Jedenfalls sollte es „Eingesalbter“ heißen, denn wenn hier kein Artikel im Hebräischen steht, hat das eine Bedeutung. Hier müsste unbedingt ein Artikel stehen, wenn ein ganz bestimmter Gesalbter gemeint wäre, den man schon lange erwartet, auf den alle Juden gewartet haben – den großen König, den Sohn Davids. Aber hier steht einfach: „Bis zu einem Gesalbten, einem Fürsten, sind es sieben Wochen.“
Und 62 Wochen lang wird Platz und Graben wiederhergestellt und gebaut, und zwar in bedrängnisreichen Zeiten.
In Vers 26 heißt es weiter: „Nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet, und für ihn wird keiner sein.“ Was immer das auch heißt. „Für ihn wird keiner sein“ oder „wird nicht sein“ – ein schwieriger Ausdruck, auf den wir noch eingehen werden.
Dann heißt es: „Die Stadt und das Heiligtum wird das Volk des Fürsten verderben, welcher kommt, und sein Ende ist in der Überflutung.“ Bis zum Ende ist Krieg, Verwüstungen sind beschlossen.
Und dann heißt es: „Wir machen da einen Bund mit den Vielen eine Woche lang, und eine halbe Woche lang oder die Hälfte der Woche hindurch wird er Ruhe machen oder aufhören lassen Opfer und Gabe.“
„Und auf Flügeln von Gräueln wird ein Verwüster sein.“ Wörtlich heißt es: „wird es oder irgendjemand verwüstend sein“, vermutlich bezogen auf dieses Götzenbild, auf das wir noch zu sprechen kommen.
„Bis zum vollendeten und fest Beschlossenen wird sich der Verwüster ergießen.“
Also, das ist der schwierige Text. Ich habe gestern schon gesagt: Die ersten sieben Wochen sind der erste Abschnitt, dann folgen 62 Wochen, dann eine Woche – insgesamt also drei Abschnitte: sieben plus zweiundsechzig plus eins.
Die ersten sieben Wochen führen zum Erscheinen eines Gesalbten, eines Fürsten. Am Ende dieser sieben Wochen klingt alles sehr positiv. Danach klingen die zweiten zweiundsechzig Wochen negativ. Es heißt, in bedrängnisreichen Zeiten wird gebaut – eine schwierige Zeit.
Sie enden ganz, ganz negativ, denn ein Gesalbter wird ausgerottet. Dann heißt es weiter, die Stadt und das Heiligtum wird der Fürst verderben, welcher kommt. Also irgendein Fürst kommt und verwüstet die Stadt und das Heiligtum. Das endet sehr, sehr schlecht.
Dann kommt der dritte Teil, eine Woche. In dieser einen Woche steigert sich die Bedrängnis noch mehr. So weit waren wir gestern gekommen.
Analyse der Gesalbten und der Zeitabschnitte
Jetzt müssen wir uns noch einige Details aus dem Text anschauen, die uns weiterhelfen, zu erkennen, um wen es hier eigentlich geht. Gibt es noch weitere Hinweise, die uns etwas mehr Klarheit verschaffen?
Gesalbter – ich gehe zurück zu Vers 25. Dort heißt es: „Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis zu einem Gesalbten.“ Gesalbter ist kein Eigenname, sonst müsste hier unbedingt ein Artikel stehen. Außerdem wird das Wort sonst nicht als Eigenname gebraucht. Es handelt sich also um eine Titelbezeichnung.
Ich habe gestern schon gesagt, dass eigentlich nur ein Priester in Frage kommt. Denn dieser Gesalbte ist zugleich auch ein Fürst. Es sind also zwei Dinge: Er ist gesalbt und er ist ein Fürst. Das bedeutet, es handelt sich hier um etwas ganz Besonderes. Der Gesalbte ist zugleich ein Fürst. Das heißt, die Salbung bezieht sich wohl auf die Priestersalbung. Zugleich ist dieser gesalbte Priester auch ein Fürst oder ein Führer des Volkes – also ein ziviler Führer, nicht nur ein religiöser Gottesdienstleiter oder jemand, der für den Tempelgottesdienst zuständig ist, wie der Hohepriester. Sondern jemand, der auch für das Volk verantwortlich ist und es leitet.
Am Ende der sieben Wochen kommt ein Gesalbter. Nach 62 Wochen lesen wir dann in Vers 26: „Nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet.“ Das kann nicht derselbe sein, denn so lange lebt er nicht. Die 62 Wochen sind hier keine wirklichen Wochen, sondern Jahre. Das heißt, es sind auf alle Fälle etwa 400 Jahre oder mehr. So lange lebt niemand. Es muss also eine andere Person gemeint sein.
Und wenn es dieselbe Person wäre, würde auch der Artikel stehen. Hier steht wieder nicht der Artikel. Nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet – nicht der Gesalbte, von dem wir gerade gesprochen haben, sondern ein anderer, irgendein Gesalbter. Jetzt haben wir also zwei Gesalbte. Wir müssen herausfinden, wer diese Personen sind.
Jedenfalls wird einer ausgerottet. Das kann entweder bedeuten, dass er getötet oder abgesetzt wird, vielleicht irgendwie abgeschafft oder entfernt. Hier ist aber wahrscheinlich das Töten gemeint. Das Wort „ausgerottet“ kommt sehr oft in der Bibel vor und bezieht sich meist auf Töten. „Er wird aus dem Volk ausgerottet“ bedeutet also, er wird getötet.
Der Herr Jesus Christus kann nicht mit diesem Gesalbten gemeint sein. Warum nicht? Weil er dann einen Artikel tragen müsste. Er ist der bekannte Gesalbte aus Psalm 2, der Sohn Davids. Es wäre merkwürdig, wenn er hier so unbestimmt genannt würde.
Außerdem ist es schwierig, weil im Zusammenhang mit diesem Gesalbten steht, dass die Stadt und das Heiligtum verwüstet werden. Als der Herr Jesus kam, wurde die Stadt nicht verwüstet und das Heiligtum auch nicht. Das geschah erst 40 Jahre später. Damals gab es die Zerstörung Jerusalems und des Tempels.
Aber 40 Jahre später ist eine lange Zeit. Hier steht jedoch, dass nach den 62 Wochen der Gesalbte ausgerottet wird und die Stadt und das Heiligtum verderben. Ein Fürst kommt oder das Volk eines Fürsten, der kommt.
Wir haben bereits festgestellt, dass die Wochen hier nicht unterbrochen werden, sondern weitergezählt wird. In Vers 27 heißt es: „Und stark machen wird er einen Bund den vielen eine Woche lang.“ Das ist die siebzigste Woche.
Wir können also keine Lücke von 40 Jahren zwischen der siebten und der zweiundsechzigsten Woche einsetzen und dann weitermachen. So funktioniert das nicht. Wir müssen annehmen, was jeder, der den Text liest, auch sofort annimmt: Die siebzig Wochen sind tatsächlich siebzig Wochen und sie folgen unmittelbar aufeinander. Es gibt keine Unterbrechung.
Deshalb ist es schwierig, das Ganze auf Jesus Christus zu beziehen, obwohl viele das tun. Ich habe zwei Argumente dagegen genannt: Erstens fehlen die Artikel, und zweitens passt die Zeitrechnung nicht richtig.
Drittens würde es auch sonst nicht passen. Wenn wir von der Zeit ausgehen, in der das ungefähr geschrieben wurde – etwa 536 v. Chr. – bis zum Herrn Jesus Christus sind mehr als 400 Jahre vergangen. Es sind ja 536 Jahre. Das ist problematisch, um auf Jesus Christus zu kommen.
Wir haben also mehrere Schwierigkeiten, die Stelle auf den Messias, Jesus Christus, zu beziehen. Wir müssen auch nicht jede Stelle, in der „Messias“ steht, automatisch auf den Herrn Jesus Christus beziehen. Es gibt viele Stellen im Alten Testament, wo der Gesalbte erwähnt wird, und es bezieht sich einfach auf einen König oder auf einen Hohenpriester.
Noch dazu ist hier ein Gesalbter gemeint, wie ich schon gesagt habe. Also nicht der Herr Jesus Christus. Wer ist es dann? Wir müssen uns weiter mit dem Text befassen, vielleicht erhalten wir weitere Hinweise.
Erläuterung des Ausdrucks „Und es wird ihm nicht sein“
In Vers 26 finden wir den schwierigen Ausdruck: „Nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet.“ Es geht weiter mit der Formulierung: „Und im Hebräischen heißt es: ‚Und es wird nicht sein ihm‘.“ So steht es dort, wörtlich: „Und es wird ihm nicht sein.“
Jetzt stellt sich die Frage, was das genau bedeuten soll: „Und es wird ihm nichts sein.“ Ich habe mehrere Kommentare befragt. Experten, die sich gut mit Hebräisch auskennen, sagen, dass es unmöglich bedeuten kann „und es wird ihm nichts sein“ im Sinne von „er wird nichts haben“. Das wird zwar in der Elberfelder Übersetzung so wiedergegeben, doch manche Ausleger argumentieren, dass das vom Hebräischen her nicht korrekt ist. Das Wort, das hier steht, bedeutet nicht „nichts“, sondern „nicht so“ oder „es wird ihm nicht sein“.
Wem ist hier die Rede? Vom Gesalbten. Der Gesalbte wird ausgerottet. Nun ist die Frage: „Es wird keiner sein“ oder „es wird nicht sein ihm“? Es gibt hier zwei Bezugswörter: „keiner“ und „ihm“. Wer ist dieses „ihm“ oder „für ihn“? Und wer ist das Subjekt „keiner“?
Hier gibt es eine einfache Lösung, die die logischste ist: Das „ihm“ bedeutet „für ihn“ oder „für jemanden“. Es ist ein männliches Wort. Entweder ist damit der Gesalbte gemeint oder ein anderes männliches Wort, nämlich „das Volk“. Also: „Es wird für es, für das Volk, keiner sein.“ Das ist die logischste Übersetzung. Wenn der Gesalbte ausgerottet wird, dann ist keiner mehr da, oder? So einfach ist das.
Für wen? Für das Volk, von dem in Vers 24 bereits die Rede ist. Dein Volk. Das Volk von Daniel. Es geht um das Volk, das Heiligtum und die Stadt. Es geht um diese drei Dinge. Und jetzt ist da ein Gesalbter. Für wen ist der Gesalbte da? Für das Volk.
In Vers 26 wird noch einmal von einem Gesalbten gesprochen, der auch für das Volk da ist. Doch wenn er ausgerottet wird, dann ist für das Volk keiner mehr da. Es gibt keinen mehr. Normalerweise werden Priester, wenn sie sterben, einfach ersetzt. Wenn einer stirbt, kommt der nächste an die Reihe. Aber in diesem Fall wird die Priesterreihe offensichtlich unterbrochen. Es ist keiner mehr da.
Diese Aussage passt überhaupt nicht auf Jesus Christus. Denn Jesus wurde gerade durch den Tod zum Hohenpriester. Erst durch den Tod wurde er der Gesalbte. Es müsste also heißen, er wurde ausgerottet und dann wurde er der Gesalbte. So sagt es auch Petrus: Durch den Tod Jesu Christi hat Gott ihn zum Gesalbten, zum Christus, zum Messias gemacht. Also passt das hier nicht auf Jesus.
Aber jetzt gibt es keinen Gesalbten mehr, wenn dieser Gesalbte weg ist. Die Geschichte hilft uns weiter. Zur Zeit von Antiochus war es tatsächlich so, dass als Onias III., der Hohepriester damals, im Jahr 171 getötet wurde, es keinen Gesalbten mehr gab. Zwar setzte man einen anderen ein, aber das war kein jüdisch legitimierter Hoherpriester. Es war Jason, ein heidnischer hellenistischer Jude, der von dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs abgefallen war und für Antiochus arbeitete. Er war auch nicht lange im Amt. Bald wurde er abgesetzt und Menelaos kam, der noch schlimmer war als Jason.
Das Volk hatte also keinen legitimen Hohenpriester mehr. Das Hohepriesteramt, so wie Gott es eingesetzt hatte, hörte auf, als Onias getötet wurde. Onias war ein feiner, heiliger Hoherpriester. Man kann von ihm im Buch der Makkabäer lesen.
Ihr braucht eigentlich nur das erste Makkabäerbuch lesen, besonders die ersten fünf Kapitel. Dort findet ihr die ganze Geschichte: die Geschichte von Onias, die Geschichte von Antiochus und was er alles getan hat. Ich werde später noch einige Stellen vorlesen.
Wir kommen der Sache also näher. Es scheint wirklich so zu sein, dass es genau ins Buch Daniel passt. In Kapitel 2 hatten wir die Geschichte von den Söldnerreichen, das war das vierte Reich, und dann kommt das Messiasreich. In Kapitel 3 geht es um das vierte Tier. Von diesem vierten Tier kommt ein kleines Horn, das die Heiligen verfolgt, die jüdischen Gesetze abschafft und die Heiligen dreieinhalb Jahre lang verfolgt. Dann kommt der Messias, beendet das und richtet sein Reich auf.
In Kapitel 8 wird von Antiochus gesprochen, der es wagt, gegen den Gott des Himmels zu lästern. Gott macht ihm ein Ende. Dort wird auch gesagt, dass er einen Gräuel der Verwüstung aufrichtet. Wir lesen das noch später in Daniel 8.
In Daniel 11 ist ebenfalls die Rede vom König des Südens und dem König des Nordens. Der letzte König des Nordens wendet sich gegen Gott und sein Volk, und am Ende von Daniel 11 besiegt Gott ihn.
Im ganzen Buch Daniel geht es immer wieder um diesen Antiochus. Nun liegt es nahe, dass auch Daniel 9 das Thema Antiochus behandelt. Das würde sehr gut passen. Der Gesalbte, der nach den 62 Wochen auftritt und dann getötet wird, ist Onias III., der 171 v. Chr. getötet wurde.
Und es wird keiner sein für das Volk. Es gibt keinen Hohenpriester mehr. Während der Herrschaft Antiochus' gibt es keinen legitimen Hohenpriester. Von 171 bis 164, also sieben Jahre lang, gab es keinen legitimen Hohenpriester in Israel. Die Geschichte der Makkabäer belegt das ganz klar.
Ich habe eine Zwischenfrage: Du ersetzt jetzt „für ihn“ durch „für es“. Warum? Weil im Hebräischen hier ein männliches Pronomen steht. Ein männliches Fürwort ist entweder eine männliche Person oder ein anderes männliches Wort. Im Hebräischen ist das Wort „Volk“ männlich. Im Deutschen ist es sächlich, aber im Hebräischen männlich. Von diesem Volk ist in Vers 24 die Rede, als der Engel zu Daniel spricht.
Das Problem ist das Wort „nichts“. „Nichts“ ist hier eigentlich eine falsche Übersetzung. Es müsste nicht heißen „und ihm wird nichts sein“ oder „für ihn wird nichts sein“. Das passt vom Hebräischen her nicht. Die Übersetzung ist nicht sauber. Man muss sich etwas ergänzen. Wenn man aber beim hebräischen Wortlaut bleibt, muss man sagen: „Für ihn oder für es wird nicht sein.“ Das heißt, das, was jetzt gewesen ist, nämlich ein Gesalbter, wird nicht mehr sein.
Das wäre eigentlich die naheliegendste Übersetzung, wenn man den hebräischen Wortlaut betrachtet. Ihr könnt das bei Moses Stuart nachlesen, der vor etwa 150 Jahren einen Kommentar zum Buch Daniel schrieb. Auch der Kommentar von Goldingay im Word Biblical Commentary behandelt das, leider alles in Englisch.
Wenn das so ist, schauen wir weiter, ob wir auf dem richtigen Weg sind, und folgen dem Text.
Nach den 62 Wochen wird der Gesalbte ausgerottet, dann heißt es weiter: Die Stadt und das Heiligtum werden verderben. Verderben wird sie das Volk des Fürsten, der kommt.
Hier ist interessant: Es heißt „das Volk eines Fürsten“, auch hier wieder ohne Artikel. Ich habe das auf der Folie vergessen auszubessern. Es müsste heißen: „Verderben wird sie das Volk eines Fürsten, der kommt.“
Es gibt also einen Fürsten, der heranrückt, der kommt. Das ist im negativen Sinne gemeint. Dieser Fürst kommt, so wie Nebukadnezar auch kam.
In Daniel haben wir das ja gestern Abend gelesen. Dort heißt es, dass Nebukadnezar im dritten Regierungsjahr Joachims, des Königs von Juda, nach Jerusalem kam und es belagerte.
Also kam schon einmal ein Fürst nach Jerusalem. Jetzt kommt aber noch einmal ein Fürst, der nicht nur belagert, sondern Jerusalem zerstört. Er reißt die Stadtmauern ein, tötet 80 Juden und nimmt die Festung auf dem Zion ein. Er verwüstet das Heiligtum.
Das war tatsächlich so bei Antiochus. Genau das hat er getan: Er verwüstete die Stadt und das Heiligtum.
Historische Parallelen zur Zerstörung Jerusalems und des Heiligtums
Übrigens steht hier nicht das Wort für „vernichten“ oder „zerstören“, sondern wirklich das Wort für „verwüsten“ oder „verderben“.
In jeder Hinsicht kann das einerseits moralisch gemeint sein, andererseits aber auch bedeuten, dass etwas so öde wird, dass es nicht mehr dem dient, wozu es eigentlich bestimmt war.
Ich lese aus dem Buch der Makkabäer, dann versteht man das besser.
Im 1. Makkabäer Kapitel 1, Vers 29 heißt es: Zwei Jahre später sandte der König seinen Obersteuereinnehmer, der Apollonius hieß, in das Gebiet von Juda. Er kam mit starker Heeresmacht nach Jerusalem. Hier ist das Volk des Fürsten mit starker Heeresmacht vertreten.
Apollonius ließ von den Stadtbewohnern in hinterlistiger Weise friedliche Worte verlauten, sodass sie ihm Glauben schenkten. Plötzlich aber überfiel er die Stadt, richtete ein großes Blutbad an und brachte viele Israeliten im Land um.
Dann ließ er die Stadt plündern, in Flammen aufgehen und ihre Häuser sowie die Mauern ringsum niederreißen. Weiter führte man die Frauen und Kinder als Gefangene weg und bemächtigte sich des Viehs.
Anschließend befestigte man die Davidstadt mit einer großen und starken Mauer sowie festen Türmen, damit sie als Burg diente. In diese legte man als Besatzung verbrecherisches Gesindel, nichtswürdige Leute, die sich darin festsetzten.
Auch schaffte man Waffen und Lebensmittel hinein und verwahrte dort selbst die Beute, die man aus Jerusalem zusammengebracht hatte. So wurde die Burg zu einem schlimmen Unheil für die Stadt.
Im Vers 36 heißt es: „Unschuldig“ – ja, sie wurde zum Hinterhalt für das Heiligtum und zum schlimmen Widersacher für Israel allezeit (Vers 37).
Im 1. Makkabäer 1, Vers 37 steht: Unschuldig vergossen sie Blut ringsum das Heiligtum und entweihten dadurch das Heiligtum.
Darum flohen die Bewohner Jerusalems und Ausländer irrtümlich. Die Stadt diente als Wohnsitz, wurde den Eingeborenen fremd, und ihre eigenen Kinder verließen sie.
Ihr Heiligtum wurde öde wie die Wüste, ihre Feste wandelten sich zu Trauertagen, ihre Sabbate wurden geschändet, und ihre Ehre wurde zur Verachtung.
Hier lesen wir, dass das Heiligtum „öde“ wurde – das ist genau dasselbe Wort wie „verwüstet“.
So groß wie einst ihr Ruhm war, so groß ist nun ihre Schmach, und ihre Hoheit versank in Trauer.
Nunmehr ließ König Antiochus in seinem ganzen Reich eine Verfügung ergehen, dass alle seine Untertanen ein einziges Volk bilden sollten. Jeder solle seine besonderen Gebräuche und Gesetze aufgeben.
Alle anderen Völker fügten sich dem Gebot des Königs. Auch in Israel fanden viele Gefallen an der von ihm gebotenen Verehrung der Götter, seiner Religion und seinem Gottesdienst. Sie opferten den Götzen und entweihten den Sabbat.
Der König sandte weiter Befehle, dass das Heiligtum und die Heiligen verunreinigt werden sollten. Altäre, heilige Haine und Götzentempel durften errichtet werden. Schweine und andere unreine Tiere sollten geschlachtet werden.
Ihre Söhne sollten unbeschnitten bleiben, und ihr Gewissen mit jeder Art von unreinen, gräuelhaften Dingen befleckt werden, damit sie das Gesetz vergessen und alle heiligen Ordnungen abschafften.
Wer dem Gebot des Königs nicht Folge leistete, sollte den Tod erleiden.
Alle diese Bestimmungen waren in der Verordnung enthalten, die er an sein ganzes Reich ergehen ließ. Dazu setzte er Aufseher über das ganze jüdische Volk ein und gebot den Städten Judas, Opfer in allen einzelnen Ortschaften darzubringen.
Viele aus dem Volk schlossen sich den heidnischen Aufsehern an, nämlich alle, die vom Gesetz treulos abfielen und nun Böses im Land verübten. Sie zwangen die Israeliten, in Verstecken und Schlupfwinkeln jeder Art Zuflucht zu suchen.
Man merkt hier, dass die Zerstörung der Stadt und die Verwüstung des Heiligtums damals genau passen, nachdem der Hohepriester getötet worden war.
Das geschah übrigens im Jahr 169/168 v. Chr.
Weiter heißt es: „Und sein Ende“ – das ist natürlich der Fürst, von dem gerade die Rede war – „sein Ende ist in der Überflutung, und bis zum Ende ist Krieg, beschlossen sind Verwüstungen.“
Dieser Fürst findet sein Ende in einer Überflutung – hier natürlich in bildhafter Sprache. Es war nicht Wasser, sondern eine Flut von Übeln, die Gott über ihn bringen ließ.
So findet dieser Fürst schließlich auch sein Ende und wird getötet.
Das geschah dann auch im Jahr 164 v. Chr.
Die siebzigste Woche und der Bund des Fürsten
Und dann geht es weiter: Stark machen wird er einen Bund. Es geht immer noch um denselben Fürsten. Im Hebräischen ist es so, dass zuerst die ganze Geschichte grob erzählt wird, und dann geht der Text auf Details ein.
Was jetzt in Vers 27 kommt, sind Details zu diesem Fürsten. Was ist mit diesem Fürsten? Stark machen wird er, der Fürst, von dem gerade die Rede war, einen Bund, den vielen eine Woche lang. Das bedeutet die siebzigste Woche, denn wir hatten sieben Wochen, wir hatten zweiundsechzig Wochen, und jetzt kommt die siebzigste Woche.
Gerade im Anschluss an die zweiundsechzig Wochen wird dieser Schreckensmann, dieser Fürst, eine Woche lang, das heißt sieben Jahre, eine weitere Schreckensherrschaft ausüben. Es heißt, er wird den Bund stark machen, also bevor er stirbt. Vom Jahr 171 bis zum Jahr 164 macht er den Bund stark für die Vielen.
Jetzt stellt sich die Frage: Welchen Bund oder einen Bund macht er stark? Welcher Bund könnte hier gemeint sein?
Wir haben hier gelesen, dass dieser Antiochus im ersten Makkabäer eine Verfügung erließ, dass alle seine Untertanen ein einziges Volk bilden sollten. Jeder sollte seine besonderen Gebräuche und Gesetze aufgeben, und alle anderen Völker fügten sich dem Gebot des Königs. Auch in Israel fanden viele Gefallen an der ihm gebotenen Verehrung der Götter.
Hier steht, dass viele aus Israel auch von Gott abgefallen sind und sich der Religion dieses Antiochus angeschlossen haben. Der Grund dafür ist, dass er ihnen Belohnungen versprochen hat. Das steht hier nicht im ersten Makkabäer, sondern bei Josephus Flavius, und auch im zweiten Makkabäer. Wenn ich die Stelle finde, lese ich sie noch vor.
Hier, indirekt, steht es in 1. Makkabäer 1,11: "In jenen Tagen traten Leute in Israel auf, die sich gegen das Gesetz stellten, und sie überredeten viele, indem sie sagten: Wir wollen hingehen und mit den Heidenvölkern um uns herum ein Bündnis schließen. Denn seitdem wir uns von ihnen absonderten, ist viel Unheil über uns gekommen."
Es gab also schon hellenisierte Juden, die im Volk herumgingen und das jüdische Volk von Gott abwandern ließen. Sie sagten: "Kommt, schließt euch der hellenistischen Religion an, und wir wollen mit den Heidenvölkern um uns herum ein Bündnis schließen."
Das heißt, das Bündnis wurde angeboten: Wenn ihr das macht, dann geht es euch gut, dann tue ich euch nichts. Er macht hier also ein Bündnis, dieser heidnische König, dass sie der Religion der griechischen Religion beitreten. Das ist dann auch geschehen.
Die Masse des jüdischen Volkes hat sich diesem Bund angeschlossen, und das ging dann sieben Jahre lang, von 171 bis 164, als Antiochus gestorben ist. Von daher passt es sehr gut zusammen mit den Berichten, die wir aus den Makkabäerbüchern haben, und wie ich schon sagte, auch Josephus Flavius.
Wie geht es weiter? Und die Hälfte der Woche hindurch wird er Ruhen machen oder aufhören lassen Opfer und Gabe. Die Hälfte der Woche hindurch lässt er Opfer, also Speisopfer, Schlachtopfer und Gaben, ruhen oder er veranlasst, dass sie nicht mehr opfern dürfen.
Genau das hat Antiochus im Jahr 168 getan, also genau in der Mitte dieser sieben Jahre. Von 171 bis 168 sind es dreieinhalb Jahre, und von 168 bis 164 sind es noch einmal dreieinhalb Jahre.
Ab dieser Mitte, im Jahr 168, im Dezember, hat er den jüdischen Gottesdienst verboten. Das heißt, sie durften keine Opfer mehr darbringen, keine Schlachtopfer und keine sonstigen Gaben mehr. Bei Todesstrafe war das verboten.
Das Gesetz wurde auch zerstört, also die Gesetzestafeln und die Gesetzesbücher wurden alle vernichtet, und jeder, der sich widersetzte, wurde verfolgt.
Das ist ebenfalls unmöglich, auf den Messias, Jesus Christus, zu beziehen. Der Herr Jesus Christus hat nicht in der Mitte der Woche, das heißt in dieser letzten halben Woche, das Opfer abgeschafft. Früher dachte ich, das passe gut auf Jesus Christus, der durch seinen Kreuzestod das Opfer abgeschafft hat, aber das steht nicht da. Außerdem stimmt es gar nicht, denn die Juden haben nämlich weiter geopfert nach der Kreuzigung Jesu Christi.
Die Stadt war auch nicht zerstört, als Jesus Christus gekreuzigt wurde. Es passt einfach nicht zusammen. Hier ist ja zuerst die Stadt verwüstet und das Heiligtum verwüstet, und dann oder im Zusammenhang mit dieser Verwüstung des Heiligtums hört das Opfer auf, und zwar die tatsächlichen Opfer.
Als der Herr Jesus gestorben ist, gingen die Opfer noch vierzig Jahre weiter. Also es passt auch hier nicht. Wenn ich nur den Text stehen lasse und ihn auf Antiochus beziehe, dann geht alles auf. Beziehe ich ihn auf den Herrn Jesus, habe ich nur Probleme und komme nicht weiter.
Von daher wollen wir uns doch in die damaligen Leser hineinversetzen, die das gelesen haben und in ihre Geschichte, was ihnen bevorstand. Und das war genau das: die schrecklichste Zeit, die diesen Juden bevorstand, war die Zeit unter den Seleukiden.
Vor allem unter dem letzten großen mächtigen Seleukidenherrscher war Antiochus IV. Alle, die nach ihm kamen, waren sehr schwach, und das Seleukidenreich wurde nach Antiochus schnell zu einem schwachen Reich und zerfiel. Dann kamen die Römer, und dann war es sowieso aus.
Hundert Jahre später war das Seleukidenreich völlig in den Händen der Römer. Diese letzten hundert Jahre von 160 vor Christus bis 63 vor Christus waren schwache Jahre der Seleukiden. Sie waren keine Macht mehr im Vorderen Orient.
Das heißt, es passt alles hier auf die Zeit von Antiochus. Und das gehen wir weiter.
Der Gräuel der Verwüstung auf den Flügeln
Und auf Flügeln von Gräueln wird ein Verwüster sein. Hier handelt es sich um einen schwierigen Ausdruck: Welche Flügel sind gemeint? Die Flügel welcher Gräuel? Oder sind es Gräuelflügel? Man könnte den Text auch etwas anders formulieren. Ich habe daran gearbeitet und würde sagen: „auf Flügeln der Gräuel“. Man könnte auch sagen „auf Gräuelflügeln“ oder „auf Gräuelflügeln“ – das sind götzenhafte Flügel. Dort wird ein Verwüster sein.
Wenn wir nun zu Antiochus schauen, wird die Sache einfach. Suchen wir andere Erklärungen, wird es schwierig. Was geschah bei Antiochus? Er baute den Brandopferaltar ab. Das heißt, er setzte einen Aufsatz auf den Brandopferaltar und errichtete dort eine Zeusstatue zu Ehren des Zeus. Man sagt sogar, die Zeus-Statue hätte die Gesichtszüge Antiochus getragen. Er verehrte sich also selbst oder setzte sich ein Denkmal in diesem Tempel.
Zeus hat einen Vogel. Kennt ihr den Zeus-Vogel? Es ist der Adler. Zeus wird immer mit seinem Adler dargestellt. Viele Darstellungen zeigen Zeus, wie er auf den ausgebreiteten Flügeln seines Adlers steht. Es ist gut vorstellbar, dass gerade diese Zeus-Statue, die dort aufgestellt wurde, unterhalb die Adlerflügel hatte – die Flügel des Zeus-Adlers. Darauf wurde das Götzenbild platziert.
Der verwüstende Gräuel, der Gräuel der Verwüstung, wurde also auf den Flügeln aufgestellt. Genau das sagt der Text: Auf den Flügeln, auf den Gräuelflügeln, wird ein Verwüster sein, wird ein Verwüster stehen.
Wenn wir die Parallelstellen lesen, zum Beispiel Antiochus in Daniel 11, Vers 31, oder zuerst Daniel 8 und dann Daniel 11, sehen wir zwei Parallelstellen, die beschreiben, was Antiochus getan hat.
In Daniel 8, Vers 13 heißt es: Ich hörte einen Heiligen reden. Ein Heiliger sagte zu dem, der redete: „Bis wann geht das Gesicht von dem beständigen Opfer und von dem Verwüstungsfrevel, also von dem verwüstenden Frevel? Und bis wann wird das Heilige und das Heer der Zertretung hingegeben?“ Er sagte zu mir: „Bis zweitausenddreihundert Abendmorgen vergangen sind.“ Das sind etwa sechs Jahre und zwei Drittel. Hier ist die Rede von dem beständigen Opfer und vom Verwüstungsfrevel, also vom verwüstenden Frevel. Merken wir uns diesen Ausdruck.
In Vers 11 heißt es weiter: „Selbst bis zu dem Fürsten des Heeres wurde dieses Horn groß, und es nahm ihm das beständige Opfer weg, und die Stätte seines Heiligtums wurde niedergeworfen.“ Hier ist die Rede von Antiochus, das geben alle Ausleger zu, ohne Ausnahme. Soweit ich weiß, sagen alle Ausleger, dass hier Antiochus gemeint ist. Er hat dem Gott Israels das beständige Opfer weggenommen.
Wie nimmt man dem Gott ein Opfer weg? Indem man die Opfer verbietet, sodass Gott keine Opfer mehr bekommt. So hat er das beständige Opfer genommen, das tägliche Opfer, indem er es verboten hat. Außerdem wurde die Stätte des Heiligtums niedergeworfen.
Im Zusammenhang mit dem beständigen Opfer, das weggenommen wird, wird ein Verwüstungsfrevel aufgerichtet. Vers 13 fragt: Bis wann geht das Gesicht von dem beständigen Opfer und von dem verwüstenden Frevel?
In Kapitel 11, Vers 31 ist es noch deutlicher. Auch hier ist von Antiochus die Rede. Das geben alle Ausleger meines Wissens zu, von allen Kommentaren, die ich befragt habe. Daniel 11, Vers 31: „Und Streitkräfte werden erstehen von ihm, und das Heiligtum, die Burgfeste, entweihen und das beständige Opfer abschaffen und den verwüstenden Gräuel aufstellen.“
Das sind zwei Dinge: Wenn dieser Fürst mit seinen Soldaten kommt und das Heiligtum entweiht, wird er zweierlei tun: Das beständige Opfer abschaffen und den verwüstenden Gräuel aufstellen. Das beständige Opfer bedeutet, der Opfergottesdienst wird verboten. Dann stellt er diese Zeus-Statue auf den Brandopferaltar, auf den Flügeln, auf.
Das Gleiche finden wir nochmals in Kapitel 12, Vers 11. Dort fragt Daniel nach der Zeit des Endes. Es wird nochmals gesagt, es geht um dreieinhalb Jahre. Kapitel 12, Vers 7: „Ich hörte den in Linnen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stroms war. Er hob seine Rechte und Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit, das heißt dreieinhalb Zeiten. Wenn die Zerschmetterung der Kraft des heiligen Volkes vollbracht sein wird, dann werden alle diese Dinge vollendet sein.“
Das ist ein weiterer Hinweis auf die dreieinhalb Jahre.
Weiter heißt es in Vers 11: „Und von der Zeit an, da das beständige Opfer abgeschafft wird, nämlich um den Verwüstungsgräuel aufzustellen, sind tausendzweihundertneunzig Tage. Selig ist, wer ausharrt und erreicht tausenddreihundertfünfunddreißig Tage. Du aber geh hin bis zum Ende.“
Hier wird nochmals auf die Zeit von Antiochus Bezug genommen. Wieder genau die gleichen Wörter: Das beständige Opfer wird abgeschafft, um den Verwüstungsgräuel aufzustellen – genau wie in Kapitel 11, Vers 31. Es geht immer um dieselbe Sache, um Antiochus.
Er sagt, es sind 1290 Tage. Wenn man das ausrechnet, sind das dreieinhalb Jahre, Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit. Auch hier bezieht es sich wieder auf die Zeit ab 25. Dezember, jedenfalls ab 168 v. Chr. Am 25. Dezember wurde der Tempel entweiht und die Götzenstatue aufgestellt.
Das dauerte so lange, bis die Juden drei Jahre später den Tempel wieder einweihten. Aber damit war noch nicht alles fertig. Es ging noch eine Zeit lang weiter, bis Antiochus gestorben war.
Wann genau die Zeit gezählt wird, wissen wir nicht. Die Geschichte sagt, es gingen mindestens drei Jahre und zwei Monate. Wahrscheinlich zählt man schon ein paar Monate früher, nämlich ab dem Zeitpunkt, als Antiochus kam und das Heiligtum mit seinen Soldaten entweihte. Das habe ich im Makkabäerbuch gelesen.
Wir müssen also nicht sagen, dass es haargenau der Tag war, an dem der Götzenkreuel aufgerichtet wurde, sondern die Zeit beginnt, als das beständige Opfer abgeschafft wurde. Es war nicht der gleiche Tag. Das beständige Opfer wurde etwas früher abgeschafft. Wir wissen nicht genau wann. Einige Monate vorher gab Antiochus den Befehl, dass nichts mehr geopfert werden darf.
Dann stellte er die Zeus-Statue auf und entweihte den Altar. Das war am 25. Dezember 168 v. Chr. Drei Jahre später, am 25. Dezember 165 v. Chr., wurde der Tempel durch die Makkabäer wieder eingeweiht.
Dann dauerte es noch ein paar Monate oder Wochen, bis Antiochus gestorben war. Insgesamt waren das dreieinhalb Jahre. Von der geschichtlichen Erfüllung wissen wir nicht genau die Daten. Wir kennen nur den Tag, an dem der Altar entweiht wurde und die Götzenstatue aufgestellt wurde, sowie den Tag der Wiedereinweihung.
Das waren genau drei Jahre und zehn Tage. Die restliche Zeit, wann genau Antiochus gestorben ist – irgendwann im Februar oder März 164 v. Chr. – und wann das regelmäßige Opfer abgeschafft wurde, wissen wir nicht genau. Wir haben keine genauen Daten.
Die Bibel sagt, es waren dreieinhalb Jahre. Das wollen wir glauben. Wenn das 1290 Tage waren, dann glaube ich das genauso.
Von der Zeit der Abschaffung der Opfer an gezählt, sind es 1290 Tage bis zum Tag der Wiedereinweihung des Tempels durch die Makkabäer. Dann muss man noch 45 Tage dazurechnen, sagt der Text. Selig ist, wer 1335 Tage erreicht.
Wahrscheinlich ist das der Tod des Antiochus oder eine andere wichtige Zeit danach. Wer das erreicht, hat es geschafft. Dann ist alles vorbei. Die Schreckenszeit ist zu Ende.
Die Geschichte hat es bewiesen: Als Antiochus tot war, gab es noch ein paar Nachkämpfe. Die waren aber nicht schlimm. Die Nachfolger von Antiochus gaben sich nicht schnell geschlagen, aber die Makkabäer besiegten sie alle.
Danach gab es 80 Jahre Unabhängigkeit der Juden, in denen sie ihren Gottesdienst ausüben konnten. Alles lief wieder sehr gut, bis die Römer kamen und die Besatzungsmacht in Israel wurden.
Zur Zeit Jesu waren die Römer im Land.
Alles passt also genau in die damalige Zeit hinein. Wir können sagen: Was geschieht in der letzten Woche gemäß Vers 26? Ein Gesalbter wird am Anfang dieser Woche ausgerottet. Das war 171 v. Chr., Onjas der Dritte.
Das Volk eines Fürsten verdirbt die Stadt und das Heiligtum. Das waren die Soldaten Antiochus unter Apollonius, die die Stadt zerstörten und das Heiligtum verwüsteten.
Das Ende des Fürsten ist in der Überflutung vorausgesagt. Dieser Fürst wird nicht lange leben. Gott wird mit ihm fertig werden.
Bis zum Ende sind Krieg und Verwüstungen. Die ganze letzte Woche, sieben Jahre lang, gibt es Krieg und Verwüstungen.
Vers 27 gibt weitere Details: Dieser Fürst macht mit vielen, mit der Volksmenge, die sich hellenisieren lässt, einen Bund für eine Woche, das heißt sieben Jahre.
In dieser Zeit fallen beständig Juden vom lebendigen Gott ab, fallen Antiochus zu Füßen und werden dafür belohnt.
Eine halbe Woche lang, also die letzten dreieinhalb Jahre, verbietet er die Opferdarbringungen.
Auf Gräuelflügeln steht ein verwüsteter Gräuel.
Zum Schluss heißt es festbeschlossen: Es wird sich über den zu Verwüstenden, also diesen Fürsten, ergiessen.
Damit endet die Prophetie und sagt, dass Gott mit diesem Tyrannen Antiochus fertig wird.
So war es dann auch. Er starb irgendwann Ende Februar oder Anfang März 164 v. Chr.
Alles passt also haargenau auf Antiochus.
Überlegungen zur Zeitrechnung und Bedeutung der siebzig Wochen
Was bleibt uns jetzt noch übrig? Wie ist das mit den Wochen? Wie sollen wir dann zählen? Dabei müssen wir vorsichtig sein. Wir können nicht einfach arithmetisch oder exakt in Jahren zählen, denn das ist nicht die Absicht der Prophetie. Es geht nicht darum, genaue Jahre zu zählen.
Die ersten sieben Wochen und die letzte eine Woche sind kein Problem. Die Frage ist zunächst, von welchem Zeitpunkt aus man zählen soll. Das ist schwierig zu sagen. Jedenfalls geht die erste Zeit bis zu einem Fürsten, der zugleich ein Gesalbter, ein Priester ist. Ich habe schon gestern gesagt, ich weiß es nicht. Aber es gab tatsächlich um jene Zeit einen Priester, der zugleich auch Fürst war. Ich sagte bereits, das ist Joshua, der zusammen mit Zerubbabel das Volk leitete.
Das war in jener Zeit, im Jahr 538 v. Chr., als die Juden zurückkehrten und der Tempel gebaut wurde – vom Jahr 536 bis zum Jahr 515. Der Tempel wurde dann im Jahr 515 wieder eingeweiht. Joshua war in dieser Zeit Priester und offensichtlich eine mächtige Figur im Volk. Also würde es gut auf Joshua passen.
Sacharja Kapitel 6 sagt auch, dass er ein Vorbild auf den Messias ist, der die Krone trägt und zugleich Priester ist – auf den Messias Jesus. Joshua heißt ja sogar, wenn man griechisch spricht, Jesus. Joshua ist die hebräische Form für Jesus und der wahre Jesus Christus. Der Joshua war hier ein Typus auf Jesus Christus.
In Sacharja 6 heißt es, er wird den Tempel des Herrn bauen, er wird die Krone haben, er wird Priester sein und König auf seinem Thron, und er wird den Tempel des Herrn bauen. Nun, der Tempel des Herrn in Sacharja ist natürlich ein ewiger Tempel, der gebaut wird. Aber Joshua damals bekam die Krone auf den Kopf. Es war genau dieser Joshua, der hier als Typus für Jesus Christus steht. Also passt es wunderbar.
Ich kann es nicht hundertprozentig beweisen, das ist meine Vermutung. Dann rechne ich einfach zurück und sage: Wann waren diese ersten sieben Wochen? Sie müssen vorher gewesen sein. Wenn ich 49 Jahre zurückrechne, komme ich genau auf das Datum der Zerstörung Jerusalems – das Jahr 587 v. Chr.
Und was war da? Es war genau die Zeit, als Jeremia prophezeite, dass Gott die Stadt wieder aufbauen lassen wird. Das liest man an mehreren Stellen im Buch Jeremia. Man braucht nur Jeremia zu studieren, wie Daniel es tat. Daniel hat das Buch Jeremia studiert, und es geht ja um das Buch Jeremia. Deshalb ist das der Hintergrund der Weissagungen, wahrscheinlich auch der Hintergrund des Wortes, das von Gott ausging, dass Jerusalem wieder aufgebaut werden soll, dass alles wiederhergestellt wird und dass es ein ewiges Jerusalem geben wird, das nie mehr zerstört wird.
Eine Stelle als Beispiel lese ich gerne vor, Jeremia 30,18:
„Siehe, ich will die Gefangenschaft der Zelte Jakobs wenden und mich über seine Wohnungen erbarmen, und die Stadt wird auf ihrem Hügel wieder erbaut und der Palast nach seiner Weise bewohnt werden, und Lobgesang und die Stimme der Spielenden wird von ihnen ausgehen.
Ich will sie vermehren, sie werden sich nicht vermindern, und ich will sie herrlich machen, und sie werden nicht gering werden.
Seine Söhne werden sein wie früher, und seine Gemeinde wird vor mir bestehen, und alle seine Bedrücke werde ich heimsuchen.
Sein Machthaber wird aus ihm sein und sein Herrscher aus seiner Mitte hervorgehen, und ich will ihn herzutreten lassen, dass er mir nahe, denn wer ist wohl, der sein Herz verpfändet, um mir zu nahen, ist der Ausspruch Jachwels, und ihr werdet mein Volk, und ich werde euer Gott sein, siehe ein Sturmwind Jachwels.“
Das bezieht sich auf die Rückführung, und wenn das Volk zurückgeführt ist, wird die Stadt wieder erbaut. Das ist nur eine von vielen Weissagungen, dass Jerusalem wieder gebaut werden wird.
Das Wort, das ausging, war das Wort, das Gott durch Jeremia geredet hat, das Daniel studiert hatte. Nicht konkret die eine Weissagung aus Kapitel 25, wo er über die 70 Jahre sprach, sondern überhaupt Jeremia.
Jeremia hat von Anfang an geweissagt, von 605 an bis zur Zerstörung Jerusalems 587. Also passt es in diese Zeit hinein.
Wir müssen aber nicht haargenau rechnen. Wie gesagt, wir zählen keine exakten Jahre. Wir denken daran, dass hier eine bewusst gesetzte Zeit vorliegt, um gerade dieses Bild zu verwenden: siebzig mal sieben.
Darum geht es ja: siebzig mal sieben Jahre bekommt Jerusalem die Züchtigung, weil sie die Sabbate nicht gefeiert haben. Die Sabbatjahre wurden nicht eingehalten. Dann hat Gott gesagt: „Dann hole ich mir meine Sabbatjahre zurück.“
Er gab ihnen 70 Sabbatjahre Gefangenschaft oder 70 Jahre Gefangenschaft. Aber die Züchtigung dauert nicht 70 Jahre, sondern sieben mal siebzig Jahre.
Das heißt, das Bild steckt hinter dem Ganzen, hinter diesen siebzig Wochen. Deshalb müssen wir vorsichtig sein, nicht arithmetisch haargenau zu zählen, sondern ungefähr.
Jedenfalls sind diese siebzig Jahrwochen als Block gedacht, nicht zu zerteilen. Ganz passend ist es nicht, das ist von vornherein klar. Wenn man genau zählt, kommt man natürlich nicht auf 490 Jahre.
Aber die Daten, die wir haben, die Fakten, zwingen uns dazu, dass die letzte Woche, die siebzigste Woche, die Woche unter Antiochus ist. Das andere lasse ich offen.
Übrigens weiß ich auch nicht, ob die Geschichtsforscher irgendwann einmal darauf kommen, dass sie Fehler gemacht haben. Das weiß ich auch nicht. Man sagt ja, die Geschichtsforschung geht immer weiter.
Wir sind abhängig von den Geschichtsdaten, die uns irgendjemand überliefert hat. Das heißt, das Problem liegt nicht in der Bibel, wenn wir Probleme haben, weil die Zeit zu kurz ist. Das Problem liegt nicht in der Bibel, sondern in unserem Wissen über die Geschichte. Versteht ihr?
Von daher lasse ich sowieso Fragezeichen offen, und ich muss auch nicht haargenau auf diese Jahre kommen. Meiner Meinung nach geht es hier mehr um das Bildhafte. Es ist den Propheten wichtiger, diese sieben mal siebzig zu erreichen.
Wenn ich exegetisch arbeite, also genau schaue, was der Text sagt, dann komme ich nicht umhin zu sagen: Die letzten sieben Jahre, die siebzigste Woche, sind die Antiochus-Woche.
Fragen? Das war es eigentlich soweit von mir zu Daniel 9. Es sind Fragen. Das war keine Frage.
Bedeutung der 70 Jahrwochen für die Zukunft
Man kann auf jeden Fall sagen, dass diese 70 Jahrwochen für unsere Zukunft keine Bedeutung haben – überhaupt nicht. Wenn dem so wäre, hätten der Herr Jesus oder die Apostel das irgendwo erwähnt. Haben sie aber nicht. Keiner erwähnt 70 Jahrwochen, weder Paulus noch der Herr Jesus. Gar nicht.
Man sagt zwar, in der Offenbarung kämen doch solche Zahlen vor. Ja, die Offenbarung ist aber ein Bild, das heißt, es sind Visionen. Diese Visionen beziehen sich immer auf das Alte Testament. Das bedeutet, dass in der Offenbarung alle Bilder aus dem Alten Testament stammen. Meines Wissens sind etwa 95 Prozent der Bilder in der Offenbarung aus dem Alten Testament entnommen.
Die dreieinhalb Jahre Drangselszeit gibt es mehrfach: unter Antiochus, unter Elia und bei der Prophetenverfolgung durch Isebel. Daher ist es kein Argument zu sagen, weil in der Offenbarung von dreieinhalb Jahren die Rede ist, habe das mit den siebzig Wochen zu tun. Von den siebzig Wochen steht weder etwas in der Offenbarung noch in Matthäus 24. Das hat nichts mit uns zu tun.
Was in Daniel 9 geschrieben steht, hat nichts mit dem Christentum zu tun – außer, dass die Erfüllung dessen, was in Vers 24 gesagt ist, natürlich durch den Messias, den Herrn Jesus Christus, erfolgt. Und zwar dann, wenn er sein ewiges Königreich aufrichtet. Aber das betrifft auch die Juden. Es ist eine speziell jüdische Verheißung, ein ewiges neues Jerusalem, das Gott für sein Volk errichten wird, mit einem ewigen Allerheiligsten. Das steht sowohl in der Offenbarung als auch in Daniel 9, Vers 24. Dort heißt es, es wird ein Allerheiligstes gesalbt werden.
Ich weiß, das ist etwas ungewohnt, weil man so viel anderes gehört hat. Ich selbst musste vor drei, vier Jahren meine Meinung komplett ändern, als ich merkte, dass ich auf dem Holzweg war. Es ist für uns schwierig, umzudenken, aber versucht, exegetisch zu denken, das heißt vom Text her. Versucht, den Text zu verstehen und nicht ein System. Das hilft weiter.
Wir müssen nicht alle Fragen zur Endzeitlehre beantworten, aber wir sollen die Texte verstehen. Wenn wir die Texte verstehen, wird das Bild nach und nach klarer. Wir werden sehen, dass es die einfachere Lehre ist und der einfachere Weg. Die Endzeitlehre ist nämlich gar nicht so kompliziert, wie manche sagen. Sie ist meines Erachtens sehr einfach, besonders für die Christen damals, die den geschichtlichen Zusammenhang kannten.
Zur anderen Folie: Die letzte Woche ist 171, dann 25. Dezember 168 als Mitte, und Februar 64 ist ungefähr der Tod des Antiochus anzusetzen, vielleicht auch März, ich weiß es nicht genau. Man kann das so füllen: 171, nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet – das entspricht der Ermordung des Hohenpriesters Onias im Jahr 171.
Dem Volk wird kein Gesalbter, kein Hoherpriester mehr gegeben. Das heißt, es wird während der gesamten sieben Jahre kein Hoherpriesteramt mehr ausgeübt. Dann wird die Stadt und das Heiligtum zerstört. Das Volk des Fürsten, der kommt, wird zerstört. Das ist unmöglich auf Jesus Christus zu deuten, denn als der Herr Jesus kam und am Kreuz starb, wurden Stadt und Heiligtum nicht zerstört – das geschah erst 40 Jahre später.
Der Fürst, der im Jahr 70 nach Christus kam und die Stadt zerstörte, war Titus. Titus starb aber nicht im Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems. Er lebte weiter, regierte lange und wurde 79 bis 81 Kaiser in Rom. Das passt überhaupt nicht auf Titus.
Man sagt dann vielleicht, es passt auf den Antichrist – das geht zeitlich nicht. Außerdem muss man genau überlegen, was die Bibel über den Antichrist sagt, das ist ein anderes Thema und wir haben jetzt keine Zeit dafür. Aber die siebzigste Woche hat gar nichts mit dem Antichrist zu tun.
Dann stellt sich die Frage: Warum hat der Herr Jesus in Matthäus 24, Vers 15 gesagt, wenn ihr den Gräuel der Verwüstung, von dem durch Daniel den Propheten geredet wurde, an heiliger Stätte stehen seht, dann sollen die in Judäa auf die Berge fliehen? Hier ist die Rede vom Gräuel der Verwüstung, der kurz vor der Zerstörung Jerusalems entstand, als die römischen Heere nach Jerusalem kamen und die Stadt verunreinigten.
Warum hat der Herr Jesus vom Gräuel der Verwüstung gesprochen, von dem Daniel geredet hat? Der Text ergibt nicht, dass Jesus sagte, es werde sich genau das erfüllen, was Daniel in Kapitel 9, Vers 27 prophezeit hat. Das ist nicht der Fall. Sondern es wird etwas Ähnliches geschehen.
Tatsache ist, dass das, was durch die Römer im Jahr 70 geschah, noch viel schlimmer war als das, was Antiochus im Jahr 160 vor Christus tat. Antiochus zerstörte die Stadt nicht vollständig, sondern riss nur die Mauern ein und verbrannte Häuser. Titus zerstörte die ganze Stadt total. Er wollte zwar den Tempel verschonen, aber dieser wurde später ebenfalls zerstört. Die Stadtmauern wurden geschleift – es war eine komplette Zerstörung.
Das, was im Jahr 70 nach Christus geschah, war viel radikaler als das, was unter Antiochus geschah. Manche sagen, es sei eine Doppelerfüllung: Einmal unter Antiochus, einmal unter Titus. Das geht nicht. Eine so konkrete Prophezeiung kann sich nicht doppelt erfüllen.
Wenn in der Bibel eine allgemeine Prophezeiung gegeben wird, zum Beispiel, dass der Messias kommen und auf seinem Thron herrschen wird, dann kann es sein, dass der Messias in verschiedenen Etappen kommt – erst sein Kommen und Sterben, dann seine Wiederkunft und Vollendung seines Reiches. Das ist aber etwas anderes als eine Doppelerfüllung.
Eine Doppelerfüllung wäre, wenn Jesaja 53 sich zweimal erfüllt: Der Messias wird gekreuzigt – das ist eine Erfüllung. Dann würde sich das noch einmal erfüllen, er würde noch einmal sterben, und alles, was in Jesaja 53 steht, würde sich noch einmal ereignen. Das gibt es aber nicht in der Bibel.
Konkrete, detaillierte Prophezeiungen beziehen sich nur auf ein einziges Ereignis. Das geht nicht anders. Die Geschichte hat bewiesen, dass das, was bei Antiochus geschah, tatsächlich so eintrat, wie es im Danielbuch vorausgesagt wurde. Es geschah nie wieder so wie bei Antiochus. Jerusalem wurde zwar später noch einmal zerstört – sogar noch schlimmer –, aber das wurde vorausgesagt, wenn sie abfallen. Der Herr Jesus hat das vorausgesagt.
Es ist aber keine doppelte Erfüllung von Daniel 9. In Daniel 9 wird nichts vorausgesagt, was 70 nach Christus und die Römer betrifft. Das ist in Matthäus 24 vorausgesagt.
Man könnte sagen, die Geschehnisse, die Daniel beschreibt, seien eine Naherfüllung, und gewisse Dinge würden sich in Zukunft auch erfüllen oder ähnlich stattfinden. Das wäre nur möglich, wenn Daniel oder der Engel das sagen würde – tut er aber nicht. Der Engel spricht von einer ganz konkreten Sache.
In Daniel 7, 8 und 9 spricht er jeweils von einer ganz konkreten Sache und meint immer Antiochus.
Wenn wir im Danielbuch selbst einen Hinweis hätten, dass solche Ereignisse mehrmals vorkommen werden, dann könnte man das so sehen. Aber wenn die Schrift sagt, so und so wird es kommen, und danach kommt der Messias, dann ist es genau so zu nehmen, wie die Schrift es sagt.
Das Einzige ist die Zeitperspektive, die wir nicht vergessen dürfen. Wenn gesagt wird, nach Antiochus kommt der Messias, dann ist das eine typische prophetische Zeitperspektive. Der Prophet sieht das Kommen des Messias zusammen mit dem Ende des Antiochus. Das heißt aber nicht, dass sich die Ereignisse um Antiochus wiederholen. Es bedeutet nur, dass die Perspektive verkürzt ist.
Das ist der Unterschied. Im Alten Testament wird oft die Perspektive verkürzt. Zum Beispiel in Joel, Kapitel 3, bei der Ausgießung des Geistes. Dort wird die Ausgießung des Geistes zu Pfingsten erwähnt, dann das Gericht. Das Gericht kam 40 Jahre später über Jerusalem, war aber noch nicht das letzte Gericht. Das letzte Gericht wird erst bei der Wiederkunft Jesu stattfinden.
Joel blendet das zusammen, aber das hat nichts mit einer Wiederholung zu tun, wie manche Pfingstler meinen, die glauben, die Geist-Ausgießung finde kurz vor der Wiederkunft Jesu noch einmal statt. Nichts davon.
Die Geistausgießung beginnt zu Pfingsten und dauert bis zur Vollendung der letzten Tage an. Die letzten Tage, also die Zeit von Pfingsten bis zur Wiederkunft Jesu, werden in der Prophetie verkürzt dargestellt.
Die Propheten können nicht alles sehen. Sie schauen in eine ferne Zukunft. Wir auch: Wir sehen die Berge in der Ferne nur klein und eng beieinander. Genauso schaut der Prophet in die Zukunft.
Er sieht Antiochus, dann sieht er, wie Gott ihn rächen wird und sein Königreich aufrichtet. Dann ist alles vorbei, und es folgt die Auferstehung der Toten und die Belohnung der Gläubigen. Das ist ganz typisch für Prophetie.
Prophetie wird sehr einfach, wenn wir diese biblische Perspektive beachten – nicht doppelt, nicht meinen, alles müsse sich noch einmal so ereignen, wie in Daniel geschrieben steht. Nein, es wird sich nicht mehr so ereignen.
Ich weiß, das ist am Anfang gewöhnungsbedürftig. Wenn nicht, machen wir hier eine Pause und gehen dann weiter.