Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Jörg Lackmann und Thomas Povileit.
Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und gleichzeitig zum theologischen Denken anregen.
Mit dem ruhigen Nebeneinander zwischen Staat und Gemeinde ist es wohl erst einmal vorbei. In vielen Gemeinden gibt es Streit über die Frage: Müssen wir das tun, was der Staat uns in der Pandemie vorschreibt? Die Meinungen darüber gehen stark auseinander.
In manchen Erklärungen sind die Argumente der verschiedenen Positionen komprimiert dargestellt worden. Über einige dieser Erklärungen wollen wir heute sprechen und dich herausfordern, dir Gedanken darüber zu machen, wie du es als Christ mit dem Staat hältst.
Du als Privatperson hast ja zusammen mit anderen Leitern die Erklärung „Jesus im Mittelpunkt behalten trotz Corona“ unterschrieben. Warum? Nun, ich habe das Papier unterschrieben, weil ich es genauso wie die Mitunterzeichner als Not empfinde, dass durch die unterschiedliche Bewertung der medizinischen und politischen Hintergründe von Corona erhebliche Spannungen in den Gemeinden entstehen.
Das Ziel dieses Papiers ist es, uns daran zu erinnern, dass wir uns bei Jesus und bei seinem Wort treffen wollen. Es geht auch darum, diese Krise als Chance zu nutzen, die Hoffnung des Evangeliums zu verbreiten und uns nicht gegenseitig zu bekämpfen.
Was sind die Kernthesen des Papiers?
Das Papier „Jesus im Mittelpunkt behalten“ geht davon aus, dass es immer noch Gott ist, der regiert und auch diese Krise zugelassen hat. Deshalb dürfen wir ihm alle Sorgen rund um Corona bringen und davon überzeugt sein, dass Gott alles in der Hand hat.
Wie wird im Papier unser Verhältnis als Christen zum Staat gesehen?
Das Papier betont, dass die Bibel uns herausfordert, uns dem jeweiligen Staat unterzuordnen. Der Staat und die Gemeinde sind zwei getrennte Herrschaftsbereiche Gottes. Das bedeutet jedoch nicht, dass es der Gemeinde egal sein kann, wenn der Staat etwas vorgibt.
Die Politik hat keine Autorität, wenn der Staat uns vorschreiben will, wie wir die Bibel auszulegen haben oder bestimmte ethische Fragen zu beurteilen sind. Wenn es jedoch um Bereiche wie Arbeitsrecht, Sicherheit, Finanzrecht, Strafrecht oder Infektionsverordnungen geht, müssen wir als Gemeinde grundsätzlich den staatlichen Vorschriften folgen.
Der Staat darf also nicht in jeden Bereich hineinregieren. Umgekehrt gilt das auch: Es gibt Bereiche, in denen der Staat keine Autorität hat.
Aber gibt es eine rote Linie, ab der ich nicht mehr auf den Staat hören muss?
Ja, wenn der Staat von mir Dinge fordert, die in einem direkten Konflikt mit biblischen Geboten stehen, dann muss ich nicht mehr auf den Staat hören. In diesem Fall muss ich Gott mehr gehorchen als den Menschen, so wie es zum Beispiel in Apostelgeschichte 4,19 heißt. Dann muss ich auch bereit sein, die staatlichen Strafen zu tragen.
Im konkreten Beispiel geht es darum, auf der einen Seite Kontakte zu reduzieren, auf der anderen Seite habe ich als Pastor aber auch einen Hirtenauftrag für die Gemeinde. Wenn ich diesen Auftrag nur telefonisch oder virtuell nicht ausführen kann, dann ist es nicht möglich, manche Kontakte zu reduzieren oder Gruppen komplett zu streichen. Das ist jedenfalls meine persönliche Meinung.
Es gibt in dem Papier „Jesus im Mittelpunkt behalten“ einen Satz, der immer wieder kritisiert wird. Er lautet: „Ethisch falsche oder zweifelhafte Gesetze des Staates, die dem Christen aber die Möglichkeit lassen, richtig zu handeln, müssen nicht bekämpft werden.“ In Klammern stehen dann Beispiele wie Scheidungsgesetze oder die Ehe für alle.
Verstehst du, dass dieser Satz einige deutlich stört? Ja, das verstehe ich durchaus. Ich finde auch, dass er nicht gut formuliert ist. Denn der Satz impliziert, Christen sollten bei Themen wie Abtreibung, Ehe für alle oder anderen ethisch fragwürdigen Vorgaben schweigen, wenn sie nicht selbst betroffen sind.
Ich glaube jedoch, das Gegenteil ist wahr. Wir leben zunehmend in einer Gegenkultur, in der sich die ethischen Vorgaben der Bibel immer mehr von dem unterscheiden, was unsere Gesellschaft für richtig hält. Deshalb ist es für uns Christen wichtig, unsere Stimme auch öffentlich zu erheben.
Dieser Punkt wurde in der zweiten Fassung der Erklärung durch eine Fußnote ergänzt – und ich meine zu Recht. Dort wird deutlich gemacht, dass wir uns für biblische Werte engagiert einsetzen sollen. Das kann durchaus auch Klagen oder Demonstrationen einschließen, denn das sind legitime Mittel, die unser Staat uns gibt.
Gleichzeitig haben wir aber nicht die Pflicht, Widerstand gegen fragwürdige Entscheidungen des Staates leisten zu müssen, auch wenn wir es könnten. Als Christen sollten wir nie vergessen: Die stärkste Kraft, Fehlentwicklungen beeinflussen zu können, ist immer noch das Gebet.
Wenn wir den rechtsstaatlichen Mitteln mehr vertrauen als dem Gebet, finde ich das sehr bedenklich.
Was mir bei Themen wie der Ehe für alle außerdem wichtig ist: Wenn ich Römer 1 lese, verstehe ich, dass manche dieser Entwicklungen schon aktives Gericht Gottes sind. Wenn das Thema, gegen das ich aufstehe, Gottes Gericht ist, werde ich es nicht aufhalten können.
Das soll mich weder gleichgültig noch mundtot machen. Aber dieses Wissen gibt mir persönlich eine innere Gelassenheit.
Apropos mundtot – du hast das Stichwort geliefert. Es gibt Kritik, dass das Papier dazu führt, dass Christen eher die Stillen im Land sind und ihren Mund nicht mehr gegen den Staat aufmachen. Ja, ich weiß, diese Kritik kommt von mancher Seite.
Aber die Hauptinitiatoren des Papiers, wie zum Beispiel Michael Kotsch, sind dafür bekannt, sich bei aus biblischer Sicht fragwürdigen ethischen Entscheidungen öffentlich zu Wort zu melden. Er spricht zum Beispiel beim Marsch für das Leben, der auf das Abtreibungsrecht aufmerksam machen will. Auch äußert er sich deutlich zum Verbot von Konversionstherapien – sogar in der Tagesschau.
Das habe ich selbst gesehen. Meine Frau hat mich gerufen und gesagt: „Ey, guck mal, da sagt einer was zum Thema Homosexualität.“ Für viele Christen ist das ja ein absolut heißes Eisen, was verständlich ist. Wenn der Rahmen immer enger wird, hat er es dort gesagt. Er wurde zwar zusammengeschnitten, aber selbst trotz des Zusammenschneidens kam noch eine gute Botschaft heraus. Genau, da weiß er auch, was er sagt.
Ich weiß es auch von Matthias Lohmann. Er erzählte, dass sie als Gemeinde einen Brief an die Stadtverwaltung geschrieben haben, um gegen eine symbolische Handlung der Stadt zu protestieren, die eine große politische Tragweite hatte und auch ethische Momente enthielt.
Das heißt, man kann nicht sagen, die Unterzeichner des Papiers melden sich bei falschen ethischen Entscheidungen nicht zu Wort – das stimmt einfach nicht.
Paulus ermahnt uns in 1. Korinther 4, wir sollen um ein ruhiges und stilles Leben beten. Die Beschäftigung von uns Christen sollte also nicht darin bestehen, von einer Demo zur anderen zu gehen.
Und ich bin auch nicht der Held, wenn man bei mir am Sonntagmorgen noch das Tränengas an den Kleidern riecht.
Haben wir als Gemeinde Erfahrung damit, öffentlich gegen fragwürdige ethische Entscheidungen aufzustehen?
Wir hier in Stuttgart haben das nicht wirklich, abgesehen davon, dass wir einige Petitionen unterschrieben haben. Ich selbst war aus Überzeugung bei den Demonstrationen gegen den neuen Bildungsplan dabei. Dort habe ich auch einige Leute aus der Gemeinde getroffen. Außerdem weiß ich, dass einige von uns beim Marsch für das Leben in Berlin teilnehmen.
Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, dass wir uns nicht intensiver und lautstärker äußern. Aber noch einmal: Wir haben nicht die Pflicht, uns äußern zu müssen.
Bei mir persönlich merke ich, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit kontroversen Themen so viel Kraft kostet, dass es mir schwerfällt, Jesus wirklich im Mittelpunkt meines Denkens zu behalten.
Genau darauf möchte ich meinen Schwerpunkt legen: Jesus soll im Mittelpunkt bleiben, und dafür will ich meine Kraft einsetzen.
Das habe ich früher einmal in der Mission mitbekommen. Das war in Äthiopien, wo eine Missionsgesellschaft einen Liedermacher unterstützte, der auf der Seite der Rebellen stand.
Das war natürlich eine sehr heikle Angelegenheit, da es sich um einen Bürgerkrieg handelte. Die Entscheidungen waren teilweise sehr schwierig.
Deshalb ist es, glaube ich, gut, dass wir uns mit den Kapiteln in der Bibel beschäftigen, die sich damit befassen, inwieweit man Widerstand gegen die Staaten leisten darf.
Römer 13 und 1. Petrus 2 sind zwei Kapitel, die dieses Thema sehr ausführlich behandeln.
Warum ist dann eine solche Erklärung, die Jesus in den Mittelpunkt stellt, noch wichtig? Warum wurde sie überhaupt verfasst?
Eigentlich kann jeder die entsprechenden Kapitel in der Bibel lesen, und alles ist klar. Dennoch ist es wichtig, Jesus im Mittelpunkt zu behalten. Diese Haltung ist eine Reaktion auf die Erklärung „Christus, nicht Caesar ist das Haupt der Kirche“. Diese Erklärung stammt von der Grace Community Church und John MacArthur. Genau John MacArthur hat diese Erklärung verfasst, die in den deutschen Gemeinden für erheblichen Wirbel sorgte.
In dieser Erklärung sagt die Kirche, dass sie die Corona-Verordnungen des Staates nicht mehr einhalten werde, insbesondere nicht das Gottesdienstverbot. Ich zitiere dazu einige Sätze aus dieser Erklärung:
„Wenn ein Regierungsbeamter Anordnungen erlässt, die in den Gottesdienst eingreifen, überschreitet er die legitimen Grenzen seiner gottgegebenen Autorität. Unser Gehorsam zu Christus verbietet es uns, den Beschränkungen zu folgen, die sie durch unseren gemeinsamen Gottesdienst auferlegen wollen. Wann, wie und wie oft die Kirche Gottesdienste durchführt, ist nicht Caesars Entscheidung. Unser Herr selbst hat Caesar immer das gegeben, was Caesar gehörte, aber er hat Caesar nie das angeboten, was allein Gott gehört. Kurz gesagt: Als Kirche brauchen wir nicht die Erlaubnis des Staates, um unserem Herrn zu dienen und ihn so anzubeten, wie er es befohlen hat.“
So weit das Zitat.
Wie hat sich das jetzt in der Praxis ausgewirkt? Das eine ist ja, etwas auf dem Papier festzuhalten, und das andere, es tatsächlich umzusetzen.
Was haben sie dann nicht gemacht, obwohl der Staat es ihnen vorgeschrieben hatte? Sie haben die Zahl der Gottesdienstbesucher nicht mehr begrenzt. Die Begründung war, dass der Herr geboten habe, sich zu versammeln – und zwar ohne Obergrenze. So lautete die Argumentation, wenn ich es richtig weiß.
Sie folgen auch dem Gebot „Singet dem Herrn“ und lassen sich das Singen nicht verbieten. Außerdem achten sie nicht auf Abstände, weil die Bibel sogar vom „Bruderkuss“ spricht, also von sehr nahen Begegnungen.
Ich habe von den Gottesdiensten Aufzeichnungen gesehen. Dort trägt kaum jemand eine Maske, und die Abstände werden ebenfalls nicht wirklich eingehalten.
Wir diskutieren heute ein wenig über diese theoretischen Papiere, die es immer wieder gibt. Würdest du das amerikanische Papier „Christus nicht Caesar“ unterschreiben?
Ich muss ehrlich sagen, ich kenne den Kontext der Gemeinde dort nicht, da ich nicht in Kalifornien lebe. Deshalb kann ich auch nicht wirklich etwas dazu sagen. Wenn man mir diese Erklärung aber für unsere Gemeinde hier in Deutschland, in Stuttgart, vorlegen würde, könnte ich sie nicht unterschreiben.
Was wären die Gründe, dass du das nicht tun könntest? Die Erklärung beginnt mit der Aussage – ich zitiere noch einmal: „Die von der Regierung auferlegte Sperre unserer wöchentlichen Gemeindegottesdienste oder der regelmäßigen gemeinsamen Versammlungen werden wir nicht hinnehmen. Eine Einwilligung wäre ungehorsam gegenüber den klaren Geboten des Herrn.“ Das ist ihre Aussage hier, und für mich ist das zu wenig differenziert zwischen dem Gottesdienst und dem persönlichen Glaubensleben.
Wenn ich nicht zum Gottesdienst gehe, kann ich trotzdem ein intensives Leben mit Jesus haben. Hier in Deutschland kann ich andere Geschwister besuchen, um mit ihnen zu beten. Ich kann mich mit dem einen oder anderen treffen, um gemeinsam einen Livestream anzusehen und danach Gemeinschaft zu haben. Und als Hauskreis kann ich mich auch in der Gemeinde treffen, in der es ein Hygienekonzept gibt.
Trotz Corona gibt es viele Möglichkeiten, sich zu treffen und sich gegenseitig zu stärken. Das möchte ich auch noch einmal deutlich sagen: Ich schätze John MacArthur, aber hier sehe ich eine Verengung der Gemeinschaft auf den Gottesdienst. Es wird überhaupt nicht gefragt, ob diese Pandemie vielleicht sogar eine Chance ist, die Gemeinschaft in kleineren Gruppen zu stärken.
Ich muss auch sagen: Gesundheit ist nicht das höchste Gut, aber sich als Gläubige in voller Zahl in der gegenwärtigen Situation zu treffen, ist nicht alternativlos. Dabei bin ich mir bewusst, dass die Sätze, die ich jetzt sage, missbraucht werden können, um sich von einer Gemeinde langsam abzuseilen und den Gottesdienst nur noch am Bildschirm zu verfolgen – auch das ist nicht Gottes Wille.
Aber temporär den Gottesdienst einzuschränken und parallel andere Strukturen zu stärken, kann einer Gemeinde neue Möglichkeiten eröffnen. Dieser Gedanke kommt mir bei John MacArthur zu wenig vor.
Natürlich sage ich das auf der Grundlage, dass wir eine tatsächliche Ansteckungsgefahr haben und Leute ernstlich krank werden können, wie wir es als Gemeinde schon erlebt haben. Wenn jemand Corona nur für eine Grippe hält, dann sind die Argumente der Erklärung „Christus nicht Caesar“ schon gewichtiger.
Was John MacArthur macht, wenn ich seine Erklärung lese: Er hat sich besonders stark ausgeführt, aber er sagt eigentlich ziemlich klar, die Pandemie sei vorbei. Wann war das? Mitte letzten Jahres wurde die Erklärung veröffentlicht.
Ein zweiter Punkt, den er noch bringt, ist, dass er die Maßnahmen als Feindseligkeiten des Staates ansieht. Das ist richtig. Ich denke, das fehlt mir bei diesen Papieren ein bisschen.
Ich habe mir jetzt gezwungenermaßen alle mal durchgelesen, auch welche, die ich noch nicht kannte, weil du gesagt hast, das machen wir heute im Vorgespräch. Dann habe ich mir das mal zu Gemüte geführt.
Mir fehlen da manchmal ein paar Dinge. Ich habe den Eindruck, man redet jetzt nur über reines Theologisches, aber manchmal fehlt eine Begründung. Manchmal fehlen auch wesentliche Dinge, zum Beispiel bei „Jesus im Mittelpunkt“.
Ich könnte die Aussagen zu Christ und Staat alle unterschreiben, ich finde keine falsch. Aber vieles wird nicht thematisiert, etwa: Wie ist es medizinisch? Ist es ansteckend oder nicht? Die Gegner, die ich bisher gelesen habe, sagen alle, es sei nicht so schlimm, wie es dargestellt wird.
Es steht nichts darüber, ob das jetzt feindselig vom Staat ist oder nicht. Doch, da muss ich mich korrigieren: Es steht drin, dass es eben für alle gilt, genau. Da gibt es dann zwei Meinungen.
Ich habe ein Papier gelesen, in dem steht, glaube ich, sogar: „Was seid ihr so naiv, dass ihr nicht seht, dass da eine Verfolgung auf uns zukommt.“ Und das finde ich kein schlechtes Argument. Nicht im Sinne einer echten Christenverfolgung – das kann kaum einer behaupten, weil wir mehr Rechte haben als ein Fitnessstudio oder andere.
Aber im Sinne einer smarten Diktatur, in der das Volk sich an totalitäre Beschränkungen gewöhnt – wir haben ja Einschränkungen unserer Grundrechte – da scheint mir eine Diskussion zu fehlen. Die wird gar nicht richtig ausgesprochen. Das finde ich manchmal schade.
Das stimmt, da bist du natürlich der Denker, das ist richtig. Danke für dieses Lob. Aber ich glaube, das Papier „Jesus im Mittelpunkt“ sollte auch deutlich machen, wie wir jetzt damit umgehen. Denn eine starke Fraktion in der Gemeinde Jesu sagt allgemein: Wir müssen unbedingt das Leben, das John MacArthur in Amerika lebt, auch hier in Europa leben.
Dem wollten wir entgegentreten. Aber die Fragen, die du ansprichst, auch die Gefahr, langsam in eine smarte Diktatur zu geraten, sind durchaus gegeben. Diese Gefahren sehe ich auch.
Aber die Frage ist: Was mache ich jetzt und hier? So habe ich es im Grunde auch verstanden. Ein solches Papier ist ja immer aus dem Moment heraus geschrieben. Es gibt andere, wie die Barmer Erklärung. Ich will unser Papier nicht damit vergleichen.
Aber diese Papiere sind aus einer bestimmten Situation heraus geschrieben. Wenn dann Jahre ins Land gehen, sind sie vielleicht ergänzungsbedürftig. Man sagt dann: Ja, die haben das damals schon gesehen, ein Stück weit.
Da gebe ich dir Recht, die Klärung, woher Corona kommt und wie gefährlich es ist, war nicht die Intention des Papiers. Das wäre aber eine ganz wichtige Frage, wenn man in eine noch größere Diskussion einsteigen wollte.
Ich finde es manchmal schwierig, wenn jemand eine andere Meinung zu diesem Thema hat – egal auf welcher Seite. Ich habe den Eindruck, dass sie manchmal aneinander vorbeireden.
Der eine sagt: „Warum seht ihr das nicht?“ Der andere sagt: „Guck mal, wie gefährlich es ist, und warum schützt du das nicht?“ Das wird aber nicht richtig thematisiert. Man redet nur über den Staat, der irgendwie als Strohpuppe dient, auf die jeder einhaut.
Dann: „Wie sagst du das theologisch?“ Und es fehlen teilweise Begründungen. Ich wundere mich, dass das in den Papieren nicht genauer ausgearbeitet wird.
Auf beiden Seiten, muss ich sagen, haben mir Dinge gefehlt, um das nachvollziehen zu können, wenn ich die andere Seite höre. Das fand ich schwierig.
Genau, das eine ist die Begründung, und das sollen diese Papiere liefern, auf der anderen Seite die Praxis.
Ich habe heute gerade gehört, dass jemand die Gemeinde gewechselt hat, weil seine Gemeinde sich in der Corona-Zeit so gut wie gar nicht mehr versammelt hat, obwohl sie eigentlich die Chance gehabt hätte. Schlussendlich kam niemand mehr.
Oder jedenfalls keine Familien mehr. Dann sind sie in eine andere Gemeinde gegangen, in der die Familien wieder kamen. Man stimmt also auch mit den Füßen ab.
Uns war hier wichtig, auch mal Grundlagen zu legen: Wie denken wir grundsätzlich an diesem Punkt?
Dann gehen wir wieder zu den Grundlagen zurück, neben all dem menschlichen Unverständnis und anderen Dingen, die da noch mitspielen. Ich denke, diese Faktoren spielen im Gemeindealltag eine enorme Rolle.
Es nützt ja nichts, wenn jemand seine Meinung hat, du eine andere, und ihr euch einfach nicht versteht. Du denkst: „Was macht die Gemeindeleitung da? Die entscheidet völlig falsch.“
Egal, wie es aussieht – ob in unserer Gemeinde oder in einer anderen, die genau das Gegenteil macht – es gibt auf jeden Fall Leute, die sagen: „Das ist völlig falsch.“
Aber gut, gehen wir mal zu diesem Grundlegenden zurück.
Die Erklärung von John MacArthur wurde in Deutschland übersetzt, unter anderem von Doktor Wolfgang Westvogel. Ja, richtig. Er hat in einem Vortrag und in weiteren Vorträgen Erste Petrus Kapitel zwei ziemlich ausführlich ausgelegt, insbesondere zum Thema Christ und Staat.
Möchtest du dazu noch etwas sagen, wie du seine Auslegung siehst?
Gerne. Vielleicht vorweg: Ich kenne Wolfgang persönlich und schätze ihn sehr. Kürzlich bin ich sogar mit ihm zusammen im Auto gefahren. Ich finde, er ist ein hervorragender Theologe und für mich ein Kämpfer für die Wahrheit. Dennoch kann ich seiner Auslegung von 1. Petrus 2 nicht ganz folgen.
Wie sieht seine Auslegung denn genau aus?
Ich kann sie hier nicht vollständig wiedergeben. Seine Vorträge dazu sind im Internet verfügbar. Wichtig scheint mir zu sein, dass Wolfgang in 1. Petrus 2,13 das Wort „menschliche Einrichtung“ betont, also dass man sich dieser unterordnen soll. Je nach Übersetzung heißt es „menschliche Einrichtung“ oder „menschliche Ordnung“.
Und was folgt daraus?
Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass es drei Ebenen von Obrigkeit gibt. Die erste Ebene ist die Obrigkeit als Anordnung Gottes, also das göttliche Prinzip. Das entspricht dem, was in Römer 13 beschrieben wird.
Richtig.
Dann sieht er in 1. Petrus 2 eine zweite Ebene, ein übergeordnetes Regierungssystem. Das Wort „menschliche Einrichtung“ kann auch so übersetzt werden. In Deutschland ist das nach seiner Auslegung das Grundgesetz, also das übergeordnete Regierungssystem.
Und die dritte Ebene?
Die dritte Ebene sind die Verantwortungsträger wie Könige, Statthalter oder Bürgermeister. Anders gesagt: Obrigkeit sind bei uns nicht die Abgeordneten in Berlin, sondern das Grundgesetz. So würde Wolfgang das sagen.
Was passiert, wenn die Abgeordneten sich nicht an diese menschliche Einrichtung halten?
Dann können Christen vor Gericht klagen. Damit tun sie der dritten Ebene etwas Gutes, weil sie die Abgeordneten an die zweite Ebene, also das Grundgesetz, erinnern, dem sie verpflichtet sind. Wolfgang setzt das auch praktisch um.
Was hältst du von diesem Ansatz?
Ich finde ihn hervorragend, aber ich glaube, wir haben da eine unterschiedliche Meinung.
Das ist ja nicht schlecht. Also die Ebenen: Es gibt einmal die göttliche Ordnung des Staates, wo Gott die Obrigkeit verleiht. Dann gibt es die menschliche Ordnung, den Staat, der in Deutschland das Grundgesetz ist. Damals in Rom war das bestimmt anders. Und dann gibt es die Könige und Statthalter.
Petrus hat sich ja zum Beispiel auch mal vor Festus, glaube ich, in Caesarea auf den Kaiser berufen, weil er römischer Bürger war. Er hat sich also auf eine höhere Ordnung bezogen.
Was wäre dein Punkt, bei dem du nicht ganz mitgehen kannst?
Die Frage ist, ob es so eine höhere Ordnung überhaupt gibt. Wenn man sich 1. Petrus 2 anschaut, wird gesagt, dass Bürgermeister und andere Verantwortungsträger die menschliche Einrichtung sind. Für mich ist das ein klassisches Beispiel, dass die menschliche Einrichtung erklärt wird. Was ist die menschliche Einrichtung? Das sind Bürgermeister und so weiter.
Also leitest du verschiedene Ebenen nicht aus der Bibel her?
Genau. Ich frage mich, ob ich hier verschiedene Ebenen einführe oder ob ich sage: Gut, das ist Staatsrecht. Im Staatsrecht kann ich natürlich gegen den Staat klagen, aber das muss ich nicht zwangsläufig aus der Bibel herleiten.
Wolfgang macht es so, dass er sagt: Weil die Bibel das hier so sagt, kann ich die Leute an das Grundgesetz erinnern. Da würde ich sagen, das ist kein biblischer Befund.
Er würde dir da natürlich vehement widersprechen.
Ja, aber für mich ist das einfach Staatsrecht. Er sagt hier, menschliche Einrichtung ist nichts anderes als Obrigkeit, und der nächste Vers macht nur deutlich, was diese menschliche Einrichtung ist, ohne eine zusätzliche Ebene einzuführen. Das sehe ich grundsätzlich anders.
Müssen wir nicht im Detail klären. Ich denke, menschliche Einrichtung in 1. Petrus 2 ist für mich sowieso eine Überschrift, weil Petrus ja später noch über Arbeit und Ehe spricht. Für mich steht es für alle drei Institutionen, das sind alles menschliche Ordnungen, also nicht nur der Staat.
Insofern würde ich da schon eine Ebene sehen, aber noch weitere. Das ist die dritte Sicht, wie so oft in der Theologie.
Was ist denn nun die praktische Auswirkung davon? Dass man den Staat daran erinnern darf, was seine Gesetze sind, dagegen wirst du ja nicht sein. Was ist der Punkt oder wie wirkt sich das in der Praxis aus?
Bei Wolfgang Westvogel wirkt sich das so aus, dass er daraus eine Legitimation ableitet, gegen den Staat zu klagen. Zum Beispiel hat er gegen das Singverbot geklagt. Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass es falsch ist, gegen den Staat zu klagen. Wenn Christen das als ihre Aufgabe sehen, sollen sie das tun.
Ich habe vorhin schon gesagt, mir fehlt einfach die Kraft, so viel Energie dafür aufzubringen.
Noch einmal: Ich glaube nicht, dass man das aus dieser Petrus-Stelle herleiten kann. Das ist etwas, was ich im Demokratieunterricht gelernt habe. Dort kann ich biblische Dinge versuchen einzuklagen, aber ich muss mir sehr gut überlegen, ob es sinnvoll ist, meine Kraft dafür zu investieren.
Gut, du argumentierst also eher von der Frage „Was sind unsere Prioritäten als Christen?“
Genau. Wobei Wolfgang wahrscheinlich sagen würde – ich habe es von ihm gehört –, dass er das als seinen Auftrag sieht und dass er von Gott dazu begabt wurde, andere aber nicht. Das hat er ausdrücklich gesagt.
Das verstehe ich auch. Er kommt aus einer Zeit, in der er als junger Pfarrer viel politischen und gesellschaftlichen Druck wegen seines Glaubens erlebt hat. Das hat sich, denke ich, über die Jahre bei ihm gehalten. Er versteht zu kämpfen.
Trotzdem finde ich diese Bibelstelle nicht legitim ausgelegt. Wir sind darauf eingegangen, weil mir das im Alltag immer wieder begegnet. Leute schicken mir dann Links oder zeigen mir Westvogel, und ich muss sagen, ich finde diese Auslegung nicht wirklich exegetisch sauber.
Das heißt, bei der Auslegung habt ihr unterschiedliche Meinungen.
Ja, das darf man ja sein. Ich denke, man braucht auch eine Streitkultur bei der ganzen Sache, dass man unterschiedliche Meinungen hat.
Wir kennen ja unsere Meinungen aus dem Leitungskreis. Dort sind wir in einigen Dingen sehr nah beieinander, bei Feinheiten aber nicht.
Für mich ist das jetzt eine Feinheit, dass ich theologisch ein bisschen anders sehe als du. In der Praxis kommen wir aber ziemlich an derselben Stelle heraus.
Es kann ja nicht Sinn sein, feine theologische Ausarbeitungen zu nehmen, um dann einfach zu sagen: Ich mache gar nichts mehr.
Richtig. Für mich ist das die Praxis. Das stellt sich bei manchen theologischen Diskussionen sowieso so dar: Am Ende sind wir bei der Praxis gar nicht so weit auseinander.
Wir müssen ja praktische Entscheidungen treffen.
Aber, Jörg, ich denke, es ist auch sehr wichtig, dass wir im Leitungskreis unterschiedliche Sichtweisen auf eine Problematik haben und nicht unisono alles nachreden, was vielleicht in den Medien vorgegeben wird oder was der andere hören will.
Das ist ja der Sinn eines Leitungskreises, dass man sich wirklich auf der Grundlage der Bibel austauscht.
Gehen wir jetzt noch einmal zurück zu Römer 13, das war ja die Grundlage von allem. Was ist denn grundsätzlich die Aufgabe des Staates? Das wollen wir jetzt etwas genauer auseinandernehmen. Darum geht es ja auch in den Papieren, die nicht ohne Grund geschrieben wurden. Sie wollen uns auf die Basis der Bibel zurückbringen und sagen: Denkt den ganzen Streit und Ärger weg und konzentriert euch darauf, was die Bibel sagt.
Was würde Römer 13 grundsätzlich sagen, damit wir ein gemeinsames Fundament haben, auf dem wir uns treffen können? Nach Römer 13 ist der Staat ein Schrecken für das Böse und eine Ermutigung für die, die Gutes tun. Das heißt, der Staat soll das Böse eindämmen und das Gute fördern. Wenn er das tut, ist er Gottes Diener.
Um das Böse einzudämmen, hat der Staat das Schwert, sagt Römer 13. Das bedeutet, die Polizei ist bewaffnet und sie greift auch gegen das Böse durch. Paulus sagt auch, dass niemand, der Gutes tut, sich fürchten muss. Wenn der Staat also die Guten bestraft, wird es kritisch. Dann verlässt er seinen Segenskreis und seine eigentliche Aufgabe.
Der Jörg findet natürlich die Lücken, das stimmt. Aber wir müssen dabei Jesus im Mittelpunkt behalten. Wenn ich persönlich dazu aufgefordert werde, Dinge zu tun, zu denen Gott ganz klar Nein sagt, dann muss auch ich Nein sagen. Wenn der Staat anfängt, Gute zu bestrafen, dann braucht er meinen Beistand. Das legitimiert mich aber nicht, dem Staat in anderen Bereichen ungehorsam zu sein, wenn er das Gute fördert oder das Böse bekämpft.
In diesem Zusammenhang finde ich auch Apostelgeschichte 4, ab Vers 28, wichtig. Hier hatte der Staat eindeutig seinen Segenskreis verlassen, weil er der Gemeinde verboten hatte, von Jesus zu reden. Die Gemeinde sieht dieses Unrecht jedoch als Gottes Ratschluss an, den Gott vorher bestimmt hat. Sie wussten also, was passiert, musste alles an Gott vorbei – er hat alles geplant.
Dann betet die Gemeinde: „Gott, schenke ihnen doch die Freiheit, Wunder zu tun, um dadurch Jesus großzumachen.“ Und Gott gibt ihnen die Freiheit, das Wort Gottes zu verkünden. Ich glaube, dass es auch in unserer Zeit gut wäre, wenn wir als Gemeinde unseren Schwerpunkt mehr auf das Gebet legen und darauf, Gottes Wort weiterzusagen. Das kommt mir persönlich bei all den politischen Diskussionen oft zu kurz.
Gehen wir mal zu einem anderen Papier, das hier kursiert und das ich kurz überflogen habe. Es handelt sich um ein etwa dreißig Seiten langes Dokument von Crosstalk zum Thema „Zöllner und Zilloten“. Ich weiß, dass du dich etwas intensiver damit beschäftigt hast. Was steht denn dort so drin?
Ich fand das Papier recht interessant. Die Hauptthese lautet, dass wir dem Staat gehorchen müssen, soweit es seinem Kompetenzbereich entspricht. Aber nicht dort, wo er in andere göttliche Autoritätsbereiche eingreift.
Es gibt dort auch einen interessanten Exkurs über die Steuermünze aus Lukas 20, die Jesus bezahlen sollte. Die Reaktion des Herrn Jesus wird mit dem prägnanten Satz kommentiert: „Diese kleine Sache mit der Steuermünze war es für Jesus nicht wert, einen Anstoß zu geben und somit einen großen Auftrag in Gefahr zu bringen.“
Einen anderen Satz fand ich auch noch gut: „Der Staat darf uns in den Geldbeutel, aber nicht ins Herz greifen.“ Eine gute Formulierung. Aber genau das ist doch der Punkt. John MacArthur oder andere würden jetzt genau sagen, dass allein das Verbot von Gottesdiensten – egal ob aus Infektionsschutzgründen oder anderen Gründen – schon ein eingreifender Akt des Staates ist. Das hat nichts mehr mit der Steuermünze zu tun.
Nehmen wir als Beispiel Stuttgart: Für auswärtige Hörer, dort darf man mit einem Diesel unter Euro 5 nicht mehr einfahren. Da kann man unterschiedliche Meinungen haben. Allerdings gibt es Geschwister in unserer Gemeinde, die sich deswegen aus Gewissensgründen ein neues Auto gekauft haben. Ich denke nicht wegen der Strafe, sondern aus Gewissensgründen. Kontrolliert wird es ja kaum – ich habe es jedenfalls noch nie erlebt.
Das ist ja eine Sache, wenn man ein bestimmtes Auto nicht benutzen darf, ob man das gut findet oder nicht. Das sehe ich auf Ebene der Steuermünze. Der Staat macht mit unserem Steuergeld viele Dinge, die ich sogar ablehnen würde – widergöttliche Dinge, sagt Jesus. Soll man sie trotzdem zahlen? Damals hat Jesus gesagt, ihr habt hier einen Besatzerstaat, die Römer. Gebt ihnen Geld, damit sie euch noch unterdrücken, die Männchen verfolgen und die Christen klein halten. Also gebt ihnen noch Geld, dass ihr behindert werdet – kann man so sagen. Das ist noch seine Ebene.
Aber das Gottesdienstverbot würden manche ganz klar als Überschreiten der Grenze ansehen. Siehst du das nicht genauso?
Ich sehe das nicht ganz so. Wir hatten letztes Mal darüber geredet, dass die Bibel durchaus auch Einschränkungen bei Infektionen kennt. Der Staat darf da zumindest grundsätzlich eingreifen.
Ich sehe die Infektionsfrage auf einer anderen Ebene als die Dieselproblematik. Dort gibt es Leute, die sich ein neues Auto kaufen, andere sagen: Nein, ich fahre trotzdem rein und riskiere eine Kontrolle. Aber wenn ich jemand anders tatsächlich anstecke, ist das eine ganz andere Nummer.
Natürlich kann mir jetzt jemand widersprechen und sagen, alles Quatsch, es gibt kein Ansteckungsrisiko. Aber ich bin kein Mediziner, um das endgültig beurteilen zu können. Ich sehe auch, dass in den Medien viel Angst gemacht wird. Gleichzeitig kommt bei uns in der Gemeinde nur sehr spärlich das an, was in den Medien publiziert wird. Und doch hatten wir auch Leute, die sehr ernsthaft an Corona erkrankt sind.
Da habe ich immer die Verantwortung als Gemeindeleitung: Wie entscheide ich hier? Natürlich geht es auch darum, ob der Staat ins Herz greift. Die Frage ist, inwieweit ich anderen trotzdem ihr geistliches Leben fördern kann. Und da sehe ich immer noch Möglichkeiten trotz der Einschränkungen, die wir haben.
Ob das auf Dauer so bleiben muss und was sich daraus entwickelt, muss man dann neu bewerten. Das heißt, wir sind eigentlich wieder da, wo wir teilweise vorher schon waren: Es hängt viel davon ab, wie man das medizinisch und politisch beurteilt.
Wenn ich sage, es ist nicht gefährlich, warum sollte ich mich dann nicht versammeln? Wenn ich sage, es können Menschen daran sterben – auch wenn es nicht so gefährlich ist, wie es gemacht wird –, dann muss ich natürlich anders handeln. Politisch ist es genauso: Ist das nun Absicht des Staates oder nicht? Je nachdem, wo ich meine Linie ziehe, ist es gegen Gott oder nicht.
Hier gibt es aufgrund dieser anderen Annahmen, die man nicht in der Bibel findet – wie ich das medizinisch oder politisch beurteile –, Einfluss darauf, ob in dem Fall die rote Linie überschritten ist oder nicht.
Sehr gut zusammengefasst.
Ja, wir haben noch ein Papier, das ist jetzt aber das letzte. Es stammt von einer Gemeinde in Frankfurt – ein Antithesenpapier gegen das Papier „Jesus im Mittelpunkt“. Ich finde es schön, dass sie sich die Mühe gemacht haben. Du hast mir gesagt, dass sie auch eine enge Verbindung mit dem Verlag Voice of Hope haben, der, glaube ich, reformatorisch ausgerichtet ist, ähnlich wie John MacArthur. Was steht denn in dem Papier drin?
Ja, ich glaube, das ist in der Tat ein Papier, das man vielleicht auch gelesen haben sollte. Gerade die Tage hat mir jemand es nochmal extra zugeschickt, anonym, falls ich das Papier nicht kennen sollte. Aber ich kenne es. Ich denke, das Papier „Jesus im Mittelpunkt“ halten eben doch manche für falsch, damit muss man leben. Aber die evangelisch-reformierten Baptisten aus Frankfurt haben sich immerhin die Mühe gemacht, ihre Einwände zu Papier zu bringen und auch in der Zeitschrift Voice of Hope zu formulieren. Ich finde das hervorragend.
Denn es gab ja auch in der Reformationszeit zum Beispiel diese Dispute, auch früher in der Kirchengeschichte gab es ganze Konzile, in denen über noch deutlich wichtigere Fragen diskutiert wurde – nämlich die Dreieinheit Gottes, ob Jesus Gott und Mensch ist und andere Dinge. Das ist ja, muss man schon sagen, deutlich wichtiger. Da wurde miteinander diskutiert. Also das finde ich eine gute Streitkultur, dass man die anderen nicht verdammt, sondern wirklich mal seine Thesen zu Papier bringt. Da muss man genauer arbeiten, kann sich nicht zurückziehen und wird auch angreifbar.
Was steht denn jetzt drin, was du gut findest?
Ja, sie greifen im Wesentlichen die Thesen von „Christus nicht Caesar“ auf, das fand ich interessant zu registrieren. Sie nennen das Handeln der Regierung unrecht, weil die Teilnehmerzahlen im Gottesdienst begrenzt werden. Dadurch wird ihrer Meinung nach die Verkündigung des Wortes eingeschränkt.
Sie prangern auch das staatliche Gesangsverbot an, denn „Gott gebietet: singet dem Herrn“ steht ja auch eindeutig in der Bibel. Außerdem machen sie deutlich, dass Abstandspflicht und Abstandsregeln das Gewissen der Christen verletzen können, weil sie doch Gemeinschaft leben sollen.
Außerdem fragen sie in dem Papier, was eigentlich ist, wenn die Gottesfurcht eines Christen verbietet, seinem Herrn mit verdecktem Angesicht anzubeten. Das habe ich jetzt gar nicht gelesen, habe ich wohl irgendwie überlesen.
Außerdem habe ich in einer ergänzenden Predigt zu dem Papier das Argument gehört, dass Daniel sich auch nicht an staatliche Vorgaben gehalten hat und seine äußere Gebetshaltung auch nicht verändert hat, obwohl das Gebot für alle galt – also nicht nur für die Gläubigen – und auch zeitlich auf dreißig Tage begrenzt war. Also sollten auch wir als Gemeinde uns an Daniel ein Beispiel nehmen.
Schließlich äußern die Frankfurter Schreiber ihr Unverständnis darüber, dass „Jesus im Mittelpunkt“ weniger den Staat kritisiert als vielmehr die treuen Brüder im Herrn.
Was denkst du zu den Einwänden, die hier kamen?
Also ich fand gut, dass die Autoren sich wirklich Gedanken gemacht haben. Das merkt man. Länger nachdenken musste ich über das Argument aus der Begleitpredigt: Daniel habe seinen Gottesdienst auch nicht verändert, trotz Verbot. Erst später fiel mir auf, dass es hier ja gar nicht um Gottesdienst geht, sondern um ein generelles Gebetsverbot.
Das Beispiel von Daniel passt also gar nicht. Das befindet sich auf einer ganz anderen Ebene als unsere Gottesdiensteinschränkungen. Und das würde heute auch kein Christ tun, sich das Beten verbieten lassen.
Unsere Regierung ermutigt uns ja bis jetzt noch zum Beten, denn Gottesdienst wird definiert als Treffen mit rituellen Handlungen und Gebet, und Gottesdienste sind ja nach wie vor erlaubt.
Wer Daniel dann schon als Argument nimmt, um zu begründen, man solle sich beim Gottesdienst nicht einschränken lassen, sollte nicht vergessen, dass man bei ihm keinen Anklagegrund im Blick auf seine Amtsgeschäfte finden konnte.
Ich weiß nicht, ob das jetzt zu weit hergeholt ist, aber sollte eine Überprüfung einer Gemeinde durch das Gesundheitsamt nicht auch zu der Erkenntnis führen: Wir haben nichts gefunden, was wir dieser Gemeinde im Blick auf das Hygienekonzept vorwerfen können?
Und zu den ganzen Abstandsregeln, über die die Baptisten aus Frankfurt sich aufregen: Du hast selbst ja mal auf 3. Mose 13 und 14 hingewiesen. Dort geht es um die Infektionskrankheit Aussatz. Der Aussätzige musste zum Priester gebracht werden. Es gab also eine Art Meldepflicht.
Der Betroffene musste in Quarantäne, falls nötig für zweimal sieben Tage. Hatte er Aussatz, musste er seine Lippen verhüllen, also einen Mundschutz tragen, und „unrein, unrein“ rufen. Wenn er das rufen musste, war der Abstand sicher größer als 1,50 Meter.
Der Kranke musste dann außerhalb des Lagers wohnen, war also auch sozial isoliert. Das sind also keine neuen Sachen, die man heute macht.
Das Spannende ist, dass das Anordnungen Gottes sind, die wir im dritten Buch Mose lesen. Die Aussätzigen konnten also auch mit Maske anbeten oder eben ohne Maske draußen vor der Stadt.
Das war hart für die Leute, und auch ich wünsche mir natürlich Gottesdienste, wo das nicht mehr so ist. Super, wenn wir uns wieder ohne jede Beschränkung versammeln dürfen.
Aber weil dieser Infektionsschutz im dritten Mose von Gott selbst kommt, fällt für mich auch das Argument weg, man könne Gott nicht mit Maske anbeten und sollte sich nicht an Abstandsregeln halten.
Dass man Gewissensnöte haben kann, das kann natürlich sein, weil man es nicht gewöhnt ist. Aber das ist kein biblisches Argument.
Es ist interessant, dass das in den Papieren nie diskutiert wird, weil es im Alten Testament steht.
Interessanterweise habe ich letztes Mal in einem Podcast eine Frau gehört, die sich mit sogenannten Lepraspalten beschäftigt.
Okay, was ist das?
Ja, habe ich auch gedacht. Es wurde dann sehr spannend gemacht im Podcast: Was kann das wohl sein? Da durfte man raten.
Lepraspalten sind ganz einfach. Die Leprakranken wurden früher nicht in die Kirche gelassen wegen der Infektionsgefahr, was ja letztendlich auch in 3. Mose 13 und 14 drinsteht. Da steht ja: Solange du krank bist, bist du infektiös. Das war das Entscheidende, nicht dass du krank bist. Andere Kranke durften kommen. Aber wenn du infektiös bist, wie bei Aussatz – und Aussatz ist wahrscheinlich ein Teil von Lepra, deswegen habe ich das gleichgesetzt – dann durftest du nicht in den Gottesdienst.
Das ist interessant, also das kann kein Argument an sich sein gegen Mundschutz und so weiter.
Dann haben sie das so gemacht: Sie haben Löcher gemacht im Chor, hinten hinter dem Altar, sodass die Leprakranken durchschauen konnten und am Gottesdienst dabei waren, ohne die anderen zu infizieren. Diese sogenannten Lepraspalten.
Vielleicht siehst du das mal irgendwo, wenn du bei einer Kirche unterwegs bist. Geh mal hinten an den Chor vorbei und schau, ob da noch Löcher sind heutzutage.
Also die Leute waren abgespalten von den anderen – ja –, aber geschützt und trotzdem dabei. Also sie haben eine Lösung gesucht, haben sie aber nicht reingelassen, ganz klar.
Also da war schon Infektionsschutz und Gottesdienst. Da war schon klar, dass das manchmal auf derselben Ebene sein kann, wenn wirklich etwas infektiös ist.
Okay, das klingt interessant, wirklich. Danke für die Ergänzung. Einen Punkt habe ich bisher noch nicht angesprochen, der in dem Frankfurter Papier vorkommt: das Gesangsverbot. Dieses wird ja ebenfalls kritisiert.
Manchmal frage ich mich, warum man nicht die Lücke sucht. Warum spricht man den Liedtext nicht gemeinsam? Meines Wissens ist das nicht verboten. Oder warum lässt man nicht ein Musikteam Lieder vorsingen, vielleicht auch solche, die die Gemeinde bisher noch nicht kennt? Dann lernt man auch noch einmal etwas Neues. Das sollte doch möglich sein.
Ich habe kürzlich mit jemandem gesprochen, der Kontakt zu Christen in Osteuropa hat. Diese erleben natürlich viel Druck vonseiten des Staates. Aber sie nutzen die Lücken und gehen fröhlich weiter mit Jesus. Das wünsche ich mir auch für unsere Gemeinden hier im Westen.
Wir sollten nicht nur auf das schauen, was nicht geht, sondern erkennen, was möglich ist, und diese Chancen nutzen. Corona ist zum Beispiel eine gute Gelegenheit, dezentrale Strukturen durch Kleingruppen in Gemeinden zu stärken. Das kann für unser gemeindliches und geistliches Leben sehr hilfreich sein. Ich wünsche mir, dass wir diese Chancen nicht verpassen.
Außerdem sollten wir, wenn ich das noch sagen darf, weiter engagiert diskutieren, damit wir keine roten Linien übersehen. Aber wir sollten aufhören mit den Meinungskriegen, die aus dem Internet und nicht aus der Bibel gespeist werden. Nicht Corona gehört in den Mittelpunkt, sondern Jesus. Das ist sein Platz, und niemand darf ihm diesen in unserem Leben und in der Gemeinde streitig machen.
Das war der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, ihr könnt unsere Position zur Frage „Christ, wie hältst du es mit dem Staat?“ nachvollziehen. Wir wünschen euch, dass ihr trotz Corona auch persönlich Jesus im Mittelpunkt haltet.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Kott-Podcast, schreibt uns unter podcast@efa-stuttgart.de. Wir wünschen euch Gottes Segen, feste Überzeugung und dass die Welt erkennt, dass wir Liebe untereinander haben – trotz aller verschiedenen Meinungen.