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Einführung in die Zeit vor der Reformation
Wir sind dabei, uns in die Zeit der Reformation beziehungsweise in die Zeit des Spätmittelalters einzufühlen. Ich habe versucht, euch etwas davon weiterzugeben: Was war nun das Mittelalter? Wann hat es begonnen, und wann hat es aufgehört? Was ist in den Jahrhunderten vor der Reformation geschehen?
Denn das, was wir in der Reformation erleben, erfahren und womit wir uns auseinandersetzen, ist nicht aus dem luftleeren Raum gekommen. Vielmehr wurde es auch schon irdisch vorbereitet. Natürlich hat Gott dort eingegriffen, aber Gott greift ja nicht immer nur ganz spontan in eine Situation ein. Häufig bereitet er das schon über Jahre oder sogar Jahrhunderte vorher vor.
Genau dasselbe wissen wir aus der Zeit des Neuen Testaments. Dort hat Gott das Römische Reich benutzt, den Frieden des Römischen Reiches, die griechische Sprache und viele andere Dinge, um vorzubereiten, dass das Evangelium nach der Auferstehung Jesu im weiten Teil der damals bekannten Welt gepredigt werden kann.
Auch hier gibt es einige Dinge, die die Reformation vorbereiten. Manche davon nehmen wir als positiv wahr, wie einige Aspekte der Renaissance, von der ich gesprochen habe. Plötzlich werden Kunst und Kultur, die Eigenständigkeit des Menschen sowie die Auseinandersetzung mit den Quellen, aus denen alles kommt, wichtig. Das ist eine Vorbereitung für die Bibelübersetzung beispielsweise.
Auch die Krise, in der sich der Staat befindet, ist eine eher negative Vorbereitung, denn sie schafft eine Offenheit für Neues. Die Schwäche der einzelnen lokalen Herrscher führt dazu, dass sich Menschen mit anderem Glauben überhaupt etablieren können. Das bedeutet, dass nicht von vornherein alles vom Herrscher vorgeschrieben wird, sondern dass es Freiräume gibt. Auch das ist eine wichtige Vorbereitung, die es in dieser Zeit gibt.
Lebensgefühl und Ängste vor der Reformation
Ich habe beim letzten Mal darauf hingewiesen, dass wir das Lebensgefühl der Menschen in der Zeit vor der Reformation mit einigen Begriffen zusammenfassen können. Ein Begriff, den ich genannt habe, ist Angst.
Wir haben uns damit beschäftigt, wodurch diese Angst ausgelöst wurde. Dabei habe ich gesagt, ein Auslöser war die Krankheit, die Pest. Diese hat in den Jahrhunderten damals ganze Landstriche entvölkert – unvorstellbar für unsere heutigen Begriffe. Das hat Angst bei den Menschen ausgelöst, weil sie keine Möglichkeit hatten, darauf zu reagieren. Es gab weder ein Mittel noch irgendeine Medizin oder jemanden, der helfen konnte.
Angst entstand auch dadurch, dass man nicht wusste, was hinter dem Horizont lag, also was außerhalb Europas war. Man fühlte sich zum Teil bedroht durch die wenigen Berichte von Reisenden, die darüber hinausgingen.
Weitere Angst lösten die Muslime aus, die im fünfzehnten Jahrhundert immer weiter nach Westen vordrangen und Mitteleuropa bedrohten. Es gab noch einige andere Ursachen für Angst.
Es standen Propheten auf, die das Weltende vorhersagten, und auch das schürte Angst. Raubritter waren unterwegs und plünderten Reisende aus, was ebenfalls Angst hervorrief. Diese Bedrohung war zu dieser Zeit besonders stark, weil die lokalen Mächte schwach waren.
Es gab keine Ordnungsmacht, die das alles unter Kontrolle hatte. All diese Faktoren zusammen haben Angst ausgelöst.
Reaktionen auf die Angst und gesellschaftliche Strömungen
Wir haben uns dann darüber unterhalten, wie die Menschen auf diese Angst reagiert haben. Dabei gab es zwei große Gruppierungen.
Die einen wurden sehr fromm, sei es innerhalb der Kirche oder außerhalb. Sie unternahmen Wallfahrten, verehrten Reliquien, besuchten Gottesdienste und beteten persönlich. Auch Geisler, also Bußübungen, gehörten dazu. All diese Formen der Frömmigkeit habe ich euch bereits erwähnt.
Es gab aber auch die anderen, die nach dem Motto lebten: „Lasst uns das Leben genießen. Wir haben nur noch wenig Zeit, morgen könnten wir tot sein.“ Diese Reaktion zeigte sich in Skrupellosigkeit, Oberflächlichkeit und Genusssucht. Auch solche Verhaltensweisen waren bei einigen Menschen anzutreffen.
Ein zweites Stichwort, das ich euch genannt habe und das die Zeit vor der Reformation kennzeichnet, ist der Aufbruch zu neuen Ufern. Es liegt gewissermaßen etwas Neues in der Luft, ein Aufbruch kündigt sich an.
Zum Teil wurde dieser Aufbruch durch die Rückeroberung Spaniens von den Muslimen ausgelöst. Diese Rückeroberung findet im 15. Jahrhundert ihren Abschluss, sodass ganz Spanien frei ist.
Da man nun dabei ist, neue Gebiete zu erobern, rüsten die spanischen und portugiesischen Könige Expeditionen aus. Diese bewegen sich zunächst entlang der afrikanischen Küste, erobern neue Gebiete, bauen Handelsstützpunkte auf und kommen schließlich bis nach Südafrika vor. So wird auch der Seeweg nach Indien erschlossen.
Andererseits entdecken und erobern Spanien und Portugal Amerika. Das passiert ebenfalls gerade in dieser Zeit. Hier zeigt sich ein neuer Aufbruch mit sensationellen neuen Meldungen.
Was bedeutet es, diese neue Welt kennenzulernen? Das ist einerseits eine Chance für Eroberungen, Entdeckungen und Handel, die neue Horizonte eröffnen. Gleichzeitig tun sich neue Horizonte in Kultur und Wissenschaft auf.
Wir haben zahlreiche Erfindungen, darunter den Buchdruck, den ich bereits erwähnt habe. Im 15. und 16. Jahrhundert werden viele Universitäten gegründet. Das liegt daran, dass der Handel blüht und die Bürger dadurch einen gewissen Freiraum gewinnen.
Die Bürger schicken ihre Kinder verstärkt in die Universitäten, und auch die Kirche fördert die Bildung stärker. Auch hier zeigt sich ein Aufbruch.
Das, was ich als Renaissance bezeichnet habe, ist ebenfalls ein Aufbruch innerhalb von Kunst und Kultur. Viele der großen Gemälde, die wir heute im Vatikan sehen können – wenn ihr dort einmal hinkommt und sie euch anschaut –, stammen aus dieser Zeit.
Je nachdem, ob man sie mag oder nicht, sind Werke von Künstlern wie Raphael und Michelangelo typisch für die Renaissance. Dieses Zeitalter ist ein bedeutendes Kennzeichen für Kunst und Kultur.
Häufig ist die Renaissance auch die Kehrseite davon, dass sich die Menschen vom Glauben abwenden. Die Päpste, die in dieser Zeit oft als Herrscherpäpste auftreten, sind ein Beispiel dafür.
Wenn wir das jedoch positiv sehen, ist die Renaissance ein Aufbruch zu neuen Ufern.
Diese Zeit ist geprägt von zwei Aspekten: Einerseits bereitet die Angst vor, sich der Nähe zu Gott zuzuwenden und etwas Neues zu suchen. Andererseits entsteht eine neue Sichtweise, ein Neuentdecken und ein Loslösen von einer Welt, in der alles feststeht.
Diese Entwicklung öffnet neue Perspektiven und bereitet den Weg für Veränderungen.
Religiöse Vorbereitungen und die katholische Kirche vor der Reformation
In dieser Zeit – oder besser gesagt, eigentlich schon bevor Luther auftrat – gab es religiöse Antworten auf die Probleme der Zeit. Es entstanden Ideen, die wir auch in der Reformation wiederfinden.
Die Menschen, die in der Vorreformation lebten, waren alle Katholiken. Manchmal unterscheiden wir heute stark zwischen Katholiken und Evangelischen. Doch für die Aufbruchbewegung im Spätmittelalter spielte das keine Rolle. Denn als Luther die Reformation einleitete, war er selbst noch Katholik. Das bedeutet: Alle, die vorher ähnliche Ideen wie Luther hatten, waren ebenfalls katholisch. Das war durchaus möglich, denn die katholische Kirche hat sehr viel zugelassen – und tut das auch heute noch.
Ich möchte jetzt nicht ausführlich über die katholische Kirche sprechen, aber wenn wir das in der Konfessionskunde betrachten würden, würden wir feststellen: Eine einheitliche katholische Kirche gibt es heute nicht – und gab es früher auch nicht. In der heutigen katholischen Kirche gibt es Menschen, die das Gleiche glauben wie wir, und sind trotzdem Katholiken. Es gibt dort auch Menschen, die Atheisten sind und nicht einmal an Gott glauben. Andere sind abergläubisch; sie tragen Amulette um den Hals, in der Hoffnung, dadurch gesund zu bleiben.
Zudem gibt es in der katholischen Kirche Menschen, die sozialistische oder kommunistische Ideen vertreten, wie zum Beispiel in der Aktion Kirche von unten oder ähnlichen Gruppen. All das ist innerhalb der katholischen Kirche möglich. Sie ist sehr breit aufgestellt – und das war sie auch damals schon.
Im Spätmittelalter gab es zum Beispiel Bettelorden wie die Franziskaner, die gerade sehr in Mode waren. Sie lehrten: Wer Jesus nachfolgt, darf kein Privateigentum besitzen. Damit widersprachen sie dem Papst, der im Reichtum lebte – ein Zustand, der sich später noch verstärkte.
Deshalb dürfen wir die katholische Kirche nicht zu stark vereinfachen. Auch im Spätmittelalter gab es innerhalb der katholischen Kirche positive Aufbrüche. Viele von diesen Bewegungen hatten ähnliche Ansätze wie später Luther in der Reformation.
Vorläufer der Reformation: Waldenser, Wycliffe und Hus
Im Hochmittelalter gab es beispielsweise die Waldenser. Diese hatten ein Anliegen, das der Reformation ähnlich war. Die Waldenser existieren bis heute, vor allem in Norditalien, der Schweiz und Südfrankreich. Auch in Deutschland gibt es einige von ihnen, obwohl sie heute nicht mehr so viel reformatorisches Gedankengut vertreten. Dies ist auch verständlich, da inzwischen etwa tausend Jahre seit ihrer Entstehung vergangen sind.
Es gab jedoch noch einige andere Personen, die unmittelbarer auf die Reformation hinwiesen oder auf sie hinarbeiteten. Hier sind einige dieser Persönlichkeiten. Wenn man genau hinschaut, sollte man das erkennen können.
Auf dem Bild sind mehrere Personen zu sehen. Eine Person kniet am Boden und hält ein Kästchen, bei dem sie eine Flamme entzündet. Ein anderer Mann zündet mit dieser Flamme eine Fackel an, die er in der Hand hält. Diese Fackel wird dann an eine weitere Person weitergegeben, die ebenfalls eine Fackel anzündet. Es ist so ähnlich wie ein Staffellauf.
Dieses Bild soll den historischen Ablauf symbolisieren. Die Personen auf dem Bild sind Dr. Martin Luther, Jan Hus und Jan Wycliffe. Es wird dargestellt, dass diese drei Männer direkte Vorläufer der Reformation sind. Sie hatten ähnliche Ideen und wussten voneinander. Luther las die Schriften von Jan Hus, und Jan Hus kannte die Werke von Wycliffe. Sie standen also in Verbindung, obwohl sie nicht Zeitgenossen waren. Diese Verbindung erfolgte über die Literatur und die von ihnen verfassten Werke, durch die sie sich gegenseitig beeinflussten.
Das Bild zeigt nicht nur eine Ähnlichkeit, die später festgestellt wurde, sondern ist eine Zeichnung aus der Zeit der Reformation. Die Menschen damals waren sich bewusst, dass es diese Zusammenhänge gab.
Das Bild endet bei Luther, der zu dieser Zeit lebte. Es soll aber auch ausdrücken, dass Luther die Fackel des Evangeliums an diejenigen weitergibt, die nach ihm kommen. Man war sich also bewusst, dass es eine Abfolge dieser reformatorischen Impulse gibt.
John Wycliffe: Reformideen in England
Wenn wir uns das noch etwas näher vor Augen führen, beginnen wir mit John Wycliffe. John Wycliffe wirkte Ende des 14. Jahrhunderts, und zwar in England. Er war Theologieprofessor in Oxford, geboren 1328, und gehörte dem angelsächsischen Adel an, allerdings eher dem niederen Adel.
Er studierte zunächst Philosophie und später Theologie, unterrichtete auch als Professor darin und setzte sich ab 1350 für die Nationalbewegung in England ein. Diese Nationalbewegung strebte die Unabhängigkeit Englands vom Papsttum an. Damals, weil das Papsttum sehr verfallen war, gab es bei vielen Katholiken die Idee, man müsse nicht die Kirche reformieren, sondern sich einfach von den Entwicklungen in Rom trennen und eine eigene katholische Kirche in England gründen. John Wycliffe setzte sich für diese Idee ein.
Gleichzeitig gab es ein starkes Nationalgefühl und einen Drang nach Freiheit sowie Autonomie, was typisch für diese Zeit war. Im Jahr 1346 opponierte das Parlament gegen die Entscheidung des Papstes in Rom, insbesondere gegen die Privilegien der Bettelorden. Zu den Bettelorden gehörten unter anderem die Dominikaner und Franziskaner. Privilegien bedeuteten, dass diese Orden besondere Vorrechte hatten, etwa Spenden einzunehmen oder Geld vom Zehnten, den die Kirche eingenommen hatte, für sich zu beanspruchen.
Manche der Bettelorden wurden im Laufe der Jahrhunderte geldgierig. Es gibt keine Garantie, dass es bei den ursprünglichen Idealen bleibt. Gegen diese Privilegien opponierte die Nationalkirchenbewegung, der sich Wycliffe anschloss. Er geriet schnell in die Gunst des Königs, denn dieser hörte solche Forderungen gerne. Der König hatte auch weltliche Interessen: Es war ihm lieber, wenn die Kirche im eigenen Land war, und er so einen stärkeren Einfluss hatte, als wenn der Papst in Rom versuchte, Einfluss auf die englische Politik zu nehmen.
Weil Wycliffe sich gut mit dem König und den Adligen verstand, wurde ihm eine Pfarrei in Lutterworth, einer kleinen Stadt, zugewiesen. Dort konnte er seine Reformideen praktizieren. Allerdings geriet er bald in Streit mit anderen katholischen Priestern, als er die Trennung von Kirche und Staat forderte. Das war eine heikle Sache.
Wycliffe forderte dringend die Trennung von Kirche und Staat, weil er sah, dass der staatliche Einfluss sehr schnell dazu führte, dass Unmoral Einzug hielt, Geldgier entstand oder verarmte Adelige in der Kirche Karriere machten, um Einfluss und Macht zu gewinnen. Der Bischof, der nicht nur kirchlicher, sondern auch staatlicher Führer war, kümmerte sich mehr um Staatsgeschäfte als um geistliche Angelegenheiten. Wycliffe forderte deshalb diese Trennung.
Auch das Kirchengut Englands wollte Wycliffe verstaatlichen und damit dem Volk zurückgeben. Die Kirche hatte im Laufe der Jahrhunderte viele Güter angesammelt, nicht durch Zwang, sondern durch freiwillige Geschenke. Wenn man über mehrere Jahrhunderte immer wieder Geschenke erhält, wird das mit der Zeit eine beträchtliche Menge. Zwischenzeitlich lebten die Geistlichen, insbesondere die aus dem Adel, gut davon. Der einfache Pfarrer bekam davon wenig mit, aber Bischöfe, Äbte und andere hohe Geistliche profitierten.
Wycliffe forderte nun, und das war revolutionär, dass das Kirchengut, das nicht direkt für den Unterhalt der Kirche nötig ist, dem Staat gegeben werden solle. Der Staat sollte es dann möglichst den Leuten zugänglich machen. Man kann sich vorstellen, wer das gerne hörte und wer nicht. Mit einer solchen Forderung konnte man leicht Freund des Adels und des Königs werden. Denn in welche Schatulle fließt zuerst das Geld? Natürlich in die des Herrschers.
Ob das Geld tatsächlich dem Volk zugutekommen würde, ist fraglich. Das war ein frommer Wunsch von Wycliffe. Man darf bezweifeln, dass es so geschehen wäre, wenn es dazu gekommen wäre. Denn wir kennen einige Verstaatlichungsinitiativen, etwa unter Napoleon, bei denen das Geld am Ende nicht dem Volk, sondern den Herrschern zugutekam. So läuft es meistens.
Wir erkennen hier, wie Reformideen mit politischen Interessen verknüpft sind. Wycliffe meinte es ernst, er wollte dem Volk helfen und den Missbrauch in der Kirche beseitigen. Doch er bekam Unterstützung von Adligen, die ihn nicht aus Reformideen, sondern aus eigenem Vorteil unterstützten. Diese Kombination müssen wir verstehen, denn nur sie ermöglichte es Wycliffe, seine Reformideen so lange zu predigen.
Einerseits wollte er eine geistliche Reform, auf die wir gleich noch eingehen werden. Hätte er diese allein gepredigt, wäre er irgendwann gefangen genommen und eingesperrt worden, und es wäre vorbei gewesen. Weil er aber auch eine politische Reform forderte, standen die politischen Herrscher Englands auf seiner Seite. So konnte die offizielle Kirche ihm nichts anhaben.
Später wird der Papst ihn als Ketzer verurteilen. Doch wer wollte ihn festnehmen? In England, wenn die staatliche Macht sagt, dass sie ihn nicht festnehmen will, nützt das Papsturteil nichts. Hier liegt sein Vorteil, den er nicht bewusst genutzt hat, den Gott aber sozusagen vorbereitet hat.
Der Bischof von London wollte ihn 1377 anklagen. Er tat dies auch, doch Soldaten des englischen Adels befreiten Wycliffe aus der Gerichtssitzung. Die Kirche wollte ihn als Ketzer verurteilen, doch die Soldaten holten ihn heraus. Er blieb frei und Pfarrer. Warum? Weil der Adel dachte, er stehe auf ihrer Seite und sie ihn nicht verlieren wollten. Wenn er ruhig blieb, hatte der Papst weniger Macht.
Daraufhin verurteilte Papst Gregor XI. die Lehren Wycliffs. Das Urteil konnte jedoch nicht vollstreckt werden, weil große Teile des Volkes und des Adels in England sich hinter Wycliffe stellten.
Wycliffe entwickelte in dieser Zeit auch religiöse Reformideen. So übersetzte er die Bibel aus der Vulgata ins Englische. Die Vulgata ist die lateinische Bibelübersetzung des Mittelalters, die alle Gelehrten und Kirchenleute in Europa lesen konnten. Luther übersetzte später zusätzlich aus Griechisch und Hebräisch. Zu Wycliffes Zeit gab es davon noch nicht genügend Dokumente, die gesammelt wurden, sie sind verstreut in Bibliotheken.
Wycliffes Leistung bestand darin, eine Bibelübersetzung anzufertigen, die relativ günstig zu haben war und verständliches Englisch nutzte, sodass ein großer Teil der Bevölkerung sie lesen konnte. In Anlehnung an Matthäus 10 schickte er Wanderprediger durchs Land. Diese wurden später als Lollarden bezeichnet.
Der Name Lollarden war wahrscheinlich ein Spottname, dessen genaue Herkunft heute nicht mehr rekonstruierbar ist. Wahrscheinlich sollte er bedeuten, dass sie "lallten" oder alles nachplapperten. Die Lollarden waren keine ausgebildeten Priester oder Theologen, sondern Laien. Diese Laien lasen in der Bibel, hörten Wycliffes Predigten und wurden ausgesandt, durchs Land zu ziehen und zu predigen.
Die Kirche sah das natürlich als Einmischung, denn das waren keine ordinierten Priester. Sie wandte sich gegen diese Praxis und kämpfte dagegen. Laienprediger gab es zwar schon vereinzelt im Mittelalter, aber so gebündelt wie bei Wycliffes Bewegung war das neu.
Somit gab es zwei wesentliche Reformansätze: die Bibelübersetzung und die Laienprediger, die durchs Land zogen und Reformideen verbreiteten.
Als 1381 ein Bauernaufstand in England ausbrach, machte die Kirche Wycliffe dafür verantwortlich. Man warf ihm vor, die Leute aufgewiegelt zu haben. Das führte zunächst zu einer Dämpfung der Reformideen. Soweit bekannt ist, hatte Wycliffe mit dem Aufstand nichts zu tun.
Die Bevölkerung litt nicht nur unter religiöser Bevormundung, sondern auch unter wirtschaftlichen Problemen. Dasselbe werden wir später bei Luther feststellen: Auch zu Luthers Zeiten gab es in Deutschland Bauernkriege, und viele sahen darin die Folgen der Reformation und wollten diese damit ersticken.
Die einfache Bevölkerung versteht Freiheit oft falsch und meint, sie sei absolut und grenzenlos. Das führt zu Aufständen wie dem Bauernkrieg. Wycliffe verlor daraufhin die Gunst des Adels und wurde vom Erzbischof für die Bauernkriege verantwortlich gemacht.
1382, ein Jahr nach dem Bauernaufstand, wurde er erneut festgenommen und verurteilt. Während der Gerichtsverhandlung kam es jedoch zu einem Erdbeben. Die Menschen sahen darin ein Zeichen Gottes, dass man ihn freilassen solle. Ob es ein Eingriff Gottes war, ist unklar, aber möglich.
Dies führte dazu, dass Wycliffe freigelassen wurde, ihm nichts geschah und er seine Reformideen weiterverfolgen konnte. Er kehrte in seine Pfarrei zurück und schrieb in den letzten Jahren seines Lebens mehrere Reformschriften. Zudem kümmerte er sich um die Betreuung der Lollarden, die weiterhin durchs Land zogen.
Nach seinem Tod, einige Jahrzehnte später, wurden die Lollarden verfolgt und viele hingerichtet. Die Bewegung ging unter, da es keine festen Organisationen oder Gruppen gab, die sich gegenseitig stärken konnten.
In Wycliffes Schriften sind einige seiner Reformideen niedergeschrieben. Eine besondere Betonung liegt auf der Heiligen Schrift als Grundlage der Theologie. Das ist typisch für die späteren Reformatoren wie Luther.
Er forderte, dass die Beschlüsse des Papstes und der Konzilien der Bibel untergeordnet werden müssten. Auch das griffen Luther und andere Reformatoren später auf. Wycliffe bezeichnete die gegenwärtige Kirche und den Papst sogar als antichristlich, da sie seiner Meinung nach mehr Kennzeichen des Antichristen trügen, wie in der Offenbarung beschrieben, als die wahre Kirche. Das war eine ziemlich heftige Aussage.
Weiterhin meinte er, in der Bibel seien nur die Ämter des ältesten Diakons bekannt. Deshalb sei die gesamte katholische Kirchenstruktur mit Bischöfen, Päpsten und Ähnlichem zu verwerfen. Man brauche nur die lokale Gemeinde mit Prediger und Diakon. Der Prediger gilt dabei als Ältester, nicht als Priester. Das war eine neue Idee.
Auch die Lehre von der Transsubstantiation, also die katholische Abendmahlslehre, die besagt, dass sich Brot und Wein im Moment der Wandlung in Fleisch und Blut Jesu verwandeln, lehnte Wycliffe ab. Er verstand das Abendmahl mehr als sinnbildlich.
Unbiblisch seien nach seiner Auffassung auch der Ablasshandel, die Heiligenverehrung, die Reliquienverehrung und einige weitere Punkte. All diese Themen tauchen später in der Reformation wieder auf.
In anderen Punkten war Wycliffe durchaus katholisch. Er übernahm beispielsweise die wichtige Rolle Marias. Man kann überlegen, ob Maria eine wichtige Rolle spielt. Immerhin ist sie die am häufigsten erwähnte Frau im Neuen Testament. Wenn sogar gesagt wird: "Du wirst gepriesen unter allen Frauen" (Lukas 1,28), dann ist das eine bedeutende Rolle.
In manchen Zügen blieb Wycliffe katholisch. Er wollte keine neue Kirche gründen, sondern die bestehende Kirche erneuern. Übrigens wollten das auch die Reformatoren.
Hieraus lässt sich eine kleine Lehre ziehen: Wenn man Missstände in der Gemeinde oder der großen Kirche sieht, ist derjenige meist nicht auf dem richtigen Weg, der sagt, er mache jetzt seine eigene Sache auf. Häufig steckt darin viel Menschliches.
Alle Reformatoren wollten zunächst eine Erneuerung der Kirche. Sie wurden jedoch mehr oder weniger dazu gedrängt, dass etwas anderes entstand, weil man sie aus der Kirche ausschloss. Solange es möglich war, blieben sie in der bestehenden Kirche und versuchten, dort Zeugnis abzulegen und Veränderungen zu bewirken – auch Luther.
Luther kam nicht auf die Idee, eine evangelische Kirche zu gründen. Das ging erst, als die Kirche ihn ausschloss und die Obrigkeit ihn dazu drängte, eine neue Organisation zu schaffen, weil man nicht mehr dem Papst untertan war. Es war also eine Erneuerung.
Jan Hus: Reformbewegung in Böhmen
Dann gibt es die nächste Person, die wir hier haben: Jan Hus. Jan Hus lebte später, im 15. Jahrhundert. Er war Professor an der Universität in Prag, also in Böhmen, dem heutigen Tschechien. Dieses Gebiet gehörte damals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation oder zumindest am Rande dazu. Etwa die Hälfte der Studenten in Prag sprach damals Deutsch.
In dieser Zeit entstand eine Nationalbewegung in Tschechien, die die tschechische Sprache und Kultur stark betonte. Zu dieser Bewegung gehörte auch Jan Hus. Als Professor übernahm er wesentliche theologische Erneuerungen von John Wycliffe. Er hatte dessen Schriften gelesen und die Ideen übernommen. Dabei verband er sie jedoch mit nationalen Vorstellungen. Das erinnert an England, wo die Reformbewegung ebenfalls eng mit einer Nationalbewegung verbunden war.
Die Nationalbewegung führte dazu, dass die deutschen Studenten aus Prag vertrieben wurden. Außerdem wollte man Tschechisch als Amtssprache an der Universität einführen, statt Deutsch. Die Vorlesungen fanden größtenteils auf Latein statt, aber im Alltag wurde meist Deutsch gesprochen, weil viele deutsche Studenten dort waren. Durch diese Maßnahmen gewann Hus die Unterstützung der Einheimischen und konnte viele Menschen aus dem Volk für seine Ideen begeistern.
Im Jahr 1411 wurde über Hus der Bann ausgesprochen – einerseits vom Staat. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation fürchtete, seinen Einfluss zu verlieren. Andererseits war die Kirche misstrauisch, weil Hus sich nicht mehr ihrer Oberhoheit unterwerfen wollte. Diese Konfrontation führte dazu, dass sich die Bewegung verselbstständigte und es zu einem Volksaufstand kam – fast schon zu einer Revolution in Tschechien.
Das war anders als in England, wo so etwas nicht stattfand. Die Anhänger Hus’, die sogenannten Hussiten, waren teilweise sehr radikal. Sie hatten sogar Propheten in ihren Reihen, die das baldige Ende der Welt voraussagten. Sie glaubten, dass das himmlische Jerusalem in Tschechien erscheinen würde und Jesus als Endzeitkönig bald zurückkehren würde. Die Hussiten sahen sich in der Pflicht, alles dafür vorzubereiten.
Diese Vorbereitung sollte jedoch auch so ablaufen, dass alle, die sich nicht unterwerfen wollten, im Namen Gottes getötet werden sollten. Das betraf vor allem die Katholiken, die entweder verschwinden oder getötet werden sollten. Hier wird deutlich, dass nicht alle Reformbewegungen automatisch in unserem Sinne waren. Manche hatten auch dunkle Seiten. Man muss anerkennen, dass das, was sie taten, nicht ganz in Ordnung war.
So kam es zu einem Volksaufstand. Die deutschen Studenten, die aus Prag vertrieben wurden, gründeten daraufhin die Universität Leipzig. Diese Gründung war eine direkte Folge der Vertreibung der Deutschen aus Prag.
Hus predigte weiter, verließ schließlich Prag. König Sigismund, der König beziehungsweise Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, lud Hus zum Konzil nach Konstanz ein. Dieses tagte von 1414 bis 1418. Dort sollte Hus seine Reformideen vortragen, und die Kirche sollte darüber entscheiden.
Hus nahm die Einladung an und reiste nach Konstanz. Doch kaum angekommen, wurde er in Ketten gelegt, ihm wurde eine Ketzermütze aufgesetzt, und nur wenige Tage später wurde er verbrannt. Was war mit dem freien Geleit? Der König erklärte, dass man einem Ketzer keine Versprechen halten müsse. Wenn jemand nicht rechtgläubig sei, seien alle Mittel gegen ihn erlaubt – um das Volk zu retten.
Man kann sich vorstellen, mit welchem mulmigen Gefühl später Martin Luther, der ebenfalls vorgeladen wurde, zu einem Reichstag ging. Wenn Versprechen gemacht werden, ist unklar, ob sie eingehalten werden. Bei Hus wurden sie jedenfalls nicht eingehalten. Eine Diskussion wurde kaum geführt, denn mit einem Ketzer diskutiert man nicht. Entweder erkennt er seine Ketzerei an und kehrt um – dann kommt er vielleicht mit lebenslanger Klosterhaft davon. Weigert er sich, bleibt nur der Tod.
Die Hussiten in Tschechien ließen sich davon nicht beeinflussen. Sie machten weiter, wurden dabei jedoch noch radikaler. Der deutsche Kaiser versuchte mit militärischer Gewalt, Tschechien unter seine Herrschaft zu bringen. Das gelang ihm nicht. Daraufhin versuchte er, die Widerstandsbewegung zu spalten – in Radikale und Gemäßigte.
Das gelang ihm tatsächlich. Die Hussiten spalteten sich in zwei Lager. Die Radikaleren nannten sich Taboriten, nach dem biblischen Berg Tabor. Sie riefen einen eigenen Gottesstaat aus und waren sehr radikal. Diese Gruppe konnte der Kaiser nicht erreichen. Die gemäßigten Hussiten hingegen waren verhandlungsbereit.
Nach Verhandlungen schlug der Kaiser die gemäßigten Hussiten auf dem Schlachtfeld. Er eroberte sie. Die zweite, kleinere Gruppe besiegte er ebenfalls. So hatte er beide Gruppen unter Kontrolle. Das ist ein klassisches Beispiel für die Strategie „Teile und herrsche“. Wenn du deinen Gegner hast, versuche ihn zu spalten, dann kannst du dich gegen jeden Teil einzeln wenden und sie nacheinander besiegen.
Diese Strategie taucht immer wieder in der Geschichte auf, auch in der Kirchengeschichte. Sie wird häufig angewandt. Das sollte uns bis heute skeptisch machen. Auch die Gesellschaft spielt gerne christliche Gruppen gegeneinander aus, um leichter mit ihnen fertigzuwerden.
Die Frage ist, ob man sich darauf einlassen soll. Es wäre ratsam, nach außen, in der Welt, eine gewisse Koalition zu bilden. Wir sollten auch für Geschwister einstehen, selbst wenn wir intern nicht mit allem einverstanden sind. Wenn Christen in der Öffentlichkeit angegriffen werden, sollten wir sie verteidigen, auch wenn wir nicht alle ihre Ansichten teilen.
Intern hingegen sollten wir durchaus Kritik üben und nicht mit allem einverstanden sein. Der Unterschied liegt darin, dass es in der Welt um eine gemeinsame Verteidigung geht, während intern konstruktive Auseinandersetzungen wichtig sind.
Das gilt auch für die Gemeinde. Streitigkeiten in der Gemeinde sollten nicht nach außen getragen werden. Nicht alle anderen Gemeinden müssen davon wissen. Man sollte innerlich darum kämpfen, aber es wird nicht besser, wenn man allen erzählt, wie schlimm es ist.
So ist es auch mit den Spaltungen. Wenn man sie nach außen trägt und gegeneinander ausspielt, verlieren am Ende alle. Das ist das Ergebnis.
Das war das Ende der hussitischen Bewegung. Die Reste dieser Bewegung existierten noch bis in die 1930er Jahre, also noch eine ganze Zeit lang. Doch sie wurden über Jahrzehnte bekämpft. Die Überlebenden, die im Untergrund lebten, schlossen sich später der Reformation an.
Konzilien und Kirchenreformen im Spätmittelalter
Das Konzil von Konstanz beschäftigt sich in erster Linie mit der Beendigung des Papstschismas. Es soll den Konflikt klären und eine Reform der Gesamtkirche anstoßen.
Erstmals wird hier eine Synode einberufen, die von den Bischöfen unabhängig vom Papst einberufen wird. Der Hintergrund ist, dass es zu dieser Zeit mehrere Päpste gibt, die sich gegenseitig exkommunizieren und gegeneinander kämpfen. Aus heutiger Sicht klingt das verrückt: Der eine Papst sagt, der andere sei vom Teufel und alles falsch, und umgekehrt. Beide schließen sich gegenseitig aus der Kirche aus.
Irgendwann haben die Bischöfe genug davon und berufen ein Konzil ein. Dieses soll entscheiden, wer der richtige Papst ist. Einer der Päpste erscheint nicht, weil er ahnt, dass die Situation heikel werden könnte, und bleibt in seinem Schloss. Doch das hilft beiden nicht: Beide werden abgesetzt, und ein dritter Papst wird eingesetzt.
Allerdings wollen die beiden abgesetzten Päpste nicht zurücktreten, sodass es zeitweise sogar drei Päpste gibt. Das bringt dem Konzil nicht viel. Mit der Zeit setzt sich die Entscheidung aber durch: Die beiden anderen werden in Klöster eingesperrt, und es gibt wieder nur einen Papst. Hier wird also versucht, eine Lösung herbeizuführen.
Martin V. wird im Konzil von Konstanz als Papst eingesetzt. Die Hussitenkriege dauern jedoch bis 1436 an, also noch lange nach dem Tod von Jan Hus. Rund zwanzig Jahre nach Hus sind die Kämpfe noch nicht beendet.
Martin V., der eingesetzt wurde, um die Kirche zu reformieren, entpuppt sich schnell als autoritärer Alleinherrscher. Er löst das Konzil mehr oder weniger auf und will damit nichts mehr zu tun haben.
Hier zeigt sich ein starker Konflikt zwischen dem Einfluss des Papstes und dem Einfluss des Konzils. Das Konzil besteht aus der Gesamtheit der Bischöfe, also einem breiteren Gremium, das mitbestimmt.
Ein weiteres Konzil findet von 1431 bis 1449 in Basel statt. Hier wird erneut die Rolle der Bischöfe gestärkt, und es entsteht der Konziliarismus. Dieser besagt, dass die Konzilien bestimmen, wohin die Kirche sich entwickelt.
Das ist bis heute eine wichtige Frage, denn bis heute entscheidet der Papst in den wenigsten Fällen ganz allein. Aktuell wird wieder über das Zweite Vatikanische Konzil diskutiert.
So betonen zum Beispiel die deutschen Bischöfe, die sich gerade in Hamburg treffen, dass sie sich am Zweiten Vatikanischen Konzil orientieren wollen. Wir befinden uns also in einer Zeit, in der nicht nur der Papst allein entscheidet, sondern meistens die Gesamtheit der Bischöfe mitbestimmt.
Diese Entwicklung hat ihre Wurzeln in der Zeit des Konzils von Konstanz.
Weitere Vorreformatoren und Reformideen
Ja, das ist sozusagen jetzt eine Art Vorbereitung. Es gibt auch noch einige Personen, die nicht ganz so bekannt sind wie die, die ich erwähnt habe, die ebenfalls als Vorbereiter gelten könnten. Zum Beispiel Savonarola.
Savonarola war ein Dominikanermönch, der Ende des 15. Jahrhunderts in Florenz lebte, also noch später als Russ. Florenz war damals der Höhepunkt von Kultur und Kunst. Alle großen Künstler lebten dort, und die Stadt war auch politisch sehr wichtig. Eines Tages trat Savonarola auf und wurde ein feuriger Prediger gegen alle Oberflächlichkeit.
Er war so beeindruckend, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich von ihm mitreißen ließ. Er forderte, man müsse gegen den Papst sein, denn dieser sei nur oberflächlich und weltlich. Der Papst sehe nur das Vergnügen und prägt die Bibel nicht. Besonders ging es Savonarola um Heiligung: Im Leben solle man zeigen, dass man Christ ist, also Ernsthaftigkeit im Leben.
So ließ er auf dem Marktplatz von Florenz alle Dinge, die an Oberflächlichkeit erinnerten, zusammentragen. Dann wurde das sogenannte "Feuer der Eitelkeiten" entfacht, und all diese Sachen wurden verbrannt. Dazu gehörten Spiegel, Schminkkästchen, Spielkarten und ähnliches – Dinge, die man nicht mehr brauchte.
Die Leute waren begeistert und brachten ihre Sachen hin. Sie wollten Gott nachfolgen und es ernst nehmen. Savonarola stand an der Spitze dieser Bewegung. Es entstand eine Art Christokratie, denn er wollte eine solche gründen. Das bedeutete, man solle sich nur nach Gott und der Bibel ausrichten, keine weltliche Herrschaft mehr, kein Papst mehr. Nur noch die Bibel sollte gelten, und die Prediger sollten das vermitteln und ausrichten.
Diese Ordnung hielt eine Zeit lang, genauer gesagt etwa eineinhalb Jahre. Doch schon nach wenigen Monaten kam die Ernüchterung. Die reichen Kaufleute und Künstler, die anfangs begeistert waren, wollten bald wieder feiern, trinken und Musik machen. So entstand eine Opposition in Florenz.
Zunächst versuchte Savonarola, das durch Predigten und Druck unter Kontrolle zu bekommen. Doch die Opposition wuchs. Schließlich verbündeten sich die Gegner mit dem Papst. Die Truppen des Papstes eroberten die Stadt, nahmen Savonarola und seine Gefolgsleute gefangen.
Etwa eineinhalb Jahre später wurde auf dem Marktplatz von Florenz erneut ein Feuer entzündet – diesmal verbrannte Savonarola selbst. Das war die Rache des Papstes, der damit sagen wollte: Wenn du es so willst, dann kommst du selbst dafür um.
Damit war diese Reformidee in Oberitalien beendet. Doch ähnliche Ideen gab es in Ansätzen auch anderswo. Die Loslösung von der Kirche, das Selbstlesen in der Bibel, das Ernstnehmen des Glaubens und die Reform der Kirche sind Themen, die wir bereits gehört haben. Insofern könnte man auch Giacomo Savonarola zu den Vorbereitern zählen.
Ein anderer Reformprediger im 15. Jahrhundert war Nikolaus von Cues, auch Cusanus genannt, nach dem lateinischen Namen. Er war Philosoph und Theologe und nahm am Konzil von Konstanz teil. Besonders beschäftigte er sich mit der Bibel und vertrat die Lehre der Rechtfertigung allein aus dem Glauben.
Allerdings blieb er sein Leben lang in der katholischen Kirche. Er schrieb einige Bücher, die bis heute viel beachtet werden und in denen er Ideen der Reformation formulierte. Die Kirche ließ diesen Freiraum zu, solange es sich um gelehrte Theologen handelte. So blieb alles beim Alten: diskutieren durfte man, aber es gab keine breite Volksbewegung. Deshalb unternahm die Kirche wenig.
Dann gibt es noch Wessel von Gansfort. Er war einer der Gründer der Brüder vom Gemeinsamen Leben, die ich schon erwähnt habe. Diese Gemeinschaft entstand im Süden der Niederlande, in Zwolle, und breitete sich teilweise auch nach Deutschland aus. Sie gründeten Kommunitäten, in denen man zusammenlebte, betete, die Bibel las und fromm war – aber losgelöst von der Kirche.
Auch er kann als Reformator oder Vorreformator bezeichnet werden. So haben wir einige Personen, die zeigen, dass die Idee der Reformation nicht aus dem Nichts kam. Sie wurde einerseits durch die Zeit vorbereitet und andererseits durch Personen, die ähnliche Ideen vertraten wie Luther und seine Anhänger.
Das Besondere ist, dass die Zeit für Luther jetzt reif war. Zuvor war sie es noch nicht. Deshalb gab es immer wieder kleine Strohfeuer, die wieder erloschen oder gegen die man kämpfte. Nun waren die äußeren Umstände so, dass sich die Reformation durchsetzen konnte und eine breite Wirkung entfaltete – eine Wirkung, die ganz Europa und sogar die ganze Welt veränderte.
Das war sicherlich einer der größten Einschnitte in der Geschichte der christlichen Kirche. Diese Art der Reformation führte nicht nur zur Entstehung der protestantischen Kirchen, die heute einen großen Teil der Christenheit ausmachen. Sie trug auch zur Reform der katholischen Kirche bei.
Man darf also nicht denken, dass es nur eine Trennung gab und die katholische Kirche unverändert blieb. Auch die katholische Kirche nach der Reformation ist eine andere als vorher, weil sie viele Ideen der Reformation aufgenommen und selbst umgesetzt hat.
Beginn der Lutherzeit: Kindheit und Schulzeit
Ja, das ist also jetzt die Zeit der Vorreformation.
Dann könnten wir an dieser Stelle, wenn ihr möchtet, eine kleine Pause machen. Wollt ihr, oder sollen wir gleich weitermachen? Möchtest du dich hier mit reinsetzen? Ansonsten bist du auch willkommen. Sollen wir gleich weitermachen, oder wie möchtet ihr das lieber?
Tja, dann machen einige Pause und die anderen bleiben da. Nein, dann machen wir so etwas weiter. Ich will nämlich heute relativ pünktlich Schluss machen, da ich nachher noch im Büro einige Sachen erledigen muss. Von daher ziehen wir durch und machen dann um neun Uhr Schluss.
Also, jetzt komme ich zur ersten wichtigen Person in der Zeit der Reformation, und das ist Martin Luther. Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren, damals in der Grafschaft Mansfeld. Das ist nicht weit entfernt von Eisenach, wo wir ihm später noch einmal begegnen werden.
Seine Eltern waren fromm, insbesondere seine Mutter gilt als sehr fromm. Sie hatte neun Kinder, die sie ernährte und großzog. Luther war der Älteste. Sein Vater machte Karriere: Er war zunächst einfacher Angestellter und stieg später zum Bergwerksunternehmer auf. Dabei dürfen wir das nicht zu hoch einschätzen. Wenn wir die großen Zechen des Ruhrgebiets vor Augen haben, sah das damals natürlich ganz anders aus.
Man hatte keine moderne Technik. Es wurde eher mit Pickeln gearbeitet, um die Erde aufzuhauen. Über dem Schacht baute man ein Gerüst, an dem eine Kurbel befestigt war – ähnlich wie bei einem Brunnen. Die Leute saßen in einem Bottich, der dann heruntergekurbelt wurde. Unten gab es kein elektrisches Licht. Jeder trug eine Mütze mit einer Kerze darauf. Das, was bei der Kerze zu sehen war, das wurde dann ausgegraben. Es lief also relativ einfach ab.
Aber immerhin bedeutete das einen gewissen sozialen Aufstieg. Sein Vater arbeitete nicht mehr allein und verfügte über etwas mehr Geld als andere. Martin Luther entpuppte sich als kluger Junge. Deshalb wurde er zunächst in Mansfeld in die Stadtschule geschickt. Dort lernte er die Grundlagen, die man damals für die Schule brauchte.
Das waren vor allem Latein, natürlich auch Lesen und Schreiben. Die Pädagogik damals war allerdings noch etwas anders als heute. Man könnte sie unter dem Stichwort Prügelpädagogik zusammenfassen. Diese war durchaus erfolgreich. Der Schüler kam zur Schule, alle Kinder waren erst einmal in einer Klasse. Am ersten Schultag kam der Lehrer auf den Jungen zu und sagte: "Laudau, dekliniere!" Luther wusste natürlich nichts davon. Wenn ein Kind etwas nicht wusste, galt es als bösartig und brauchte Schläge.
Also wurde er geschlagen. Noch einmal: "Laudau!" Immer noch keine Antwort, noch mehr Schläge. So verlief der erste Schultag. Der Junge kam nach Hause, und ihr könnt euch sicher vorstellen, was er an diesem Tag unbedingt gemacht hat: die Deklination von "Laudau" lernen. Am nächsten Tag fragte der Lehrer wieder, und es klappte.
Also merken wir: Schläge führten zum Lernen. So verstärkte und bestätigte sich das ganze System. Heute würden wir allerdings sagen, dass das vielleicht nicht ideal war. Luther selbst erinnert sich später schlecht daran. Er sagt, dass er seinen Kindern so etwas nicht zumuten wolle, sondern dass Lernen lieber mit Liebe geschehen sollte.
So verlief die erste Schulzeit: die ersten Jahre Latein lernen, Lesen und Schreiben lernen. Danach wurde er auf eine weiterführende Schule geschickt – wir würden heute sagen, auf eine Schule, die auf das Studium vorbereitet. Dazu wurde er in die nächstgrößere Stadt geschickt, nach Eisenach.
Das ist wichtig, denn Eisenach nennt er später „meine liebe Stadt“. Eisenach spielt eine Rolle, weil er dort später auch gefangen gehalten wird – auf der Wartburg, die direkt über Eisenach liegt. Das sollten wir im Hinterkopf behalten.
Zunächst wurde er zu Verwandten geschickt, zu Onkel und Tante, die ihn aufnahmen und versorgten. Obwohl die Eltern etwas Geld hatten, waren sie nicht wohlhabend genug, ihm ein Hotel oder Ähnliches zu bezahlen. Die Onkel und Tante waren verärgert, denn ein zusätzlicher Esser bringt immer Unruhe, wenn man ihn loswerden möchte.
Was musste Martin dort tun? Er machte das, was alle weniger wohlhabenden Jungen taten: Sie gingen korende singen. Das war damals üblich. Man hatte fromme Chöre eingeübt und ging an die Haustüren reicher Kaufleute, sang dort vor und bekam danach etwas zu essen. Kennt ihr das? Genau, das war lange Zeit üblich.
Einerseits sollte die Frömmigkeit gefördert werden, andererseits die Wohltätigkeit gegenüber denen, die es sich nicht leisten konnten. Übrigens soll das Martinssingen in evangelischen Gegenden bis heute an diesen Brauch erinnern. Dort erinnert man sich nicht an Martin von Tours, wie es in katholischen Gegenden üblich ist.
In katholischen Gegenden zündet man zum Martinssingen Laternen an und erinnert sich an Martin von Tours. Das findet meist im November statt, gerade zum Geburtstag Luthers am 10. November, dem Namenstag. Luther hat seinen Namen von Martin von Tours bekommen.
In evangelischen Gegenden wird das Martinssingen eigentlich als Erinnerung an Martin Luther durchgeführt. Luther hat dasselbe getan. Heute ist es mehr Spaß: Es geht nicht ums Überleben, sondern darum, möglichst viel Süßigkeiten wie Snickers, Mars oder Bounty zu bekommen und möglichst wenig zu singen. Es ist eher Luxus als Notwendigkeit.
Aber eigentlich sollte es genau daran erinnern. Auch Kinder, die das nicht unbedingt tun sollten, sollten erfahren, wie das damals an einer Haustür war. Der Gedanke ist gar nicht schlecht.
In manchen evangelischen Gegenden war das bis vor kurzem noch üblich. Ich erinnere mich, selbst an der Haustür gesungen zu haben. Dabei sangen wir unter anderem ein Lied, das darauf hinweist. Es war damals bekannt: Martinus Luther war ein Christ, ein glaubenstarker Mann. Das Lied beginnt so: „Weil heute sein Geburtstag ist, zünd' ich mein Lichtlein an.“
Das Lied hat mehrere Strophen, die ausdrücken, was das eigentlich bedeutet. Das ist nicht schlecht, oder? Das ist wahrscheinlich mehr als das, was hier meist gesungen wird: Sünde-Märten-Geoman oder Ähnliches, wo kein Kind mehr weiß, was es singt und was das bedeutet.
Nach zwei Sekunden wird dann schnell die Tüte geöffnet, Sachen reingetan und weitergezogen. Das Geistliche ist dabei fast ganz verschwunden. Aber ursprünglich ist das genau der Anlass.
Luther war also unterwegs und spielte dabei noch eine weitere Rolle. Er war unter anderem an der Haustür der Familie Cotta. Die Familie Cotta hatte einen Sohn, der ein paar Jahre jünger war als Luther. Die Frau Cotta nahm Luther in ihr Haus auf.
So verbrachte Luther die Jahre in Eisenach bei der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Cotta. Dort unterrichtete er den Sohn und spielte mit ihm. Dafür konnte er kostenlos dort wohnen und unterkommen. Heute würde man sagen, er war eine Art Au-pair.
Das heißt, er musste auch etwas leisten, um dort zu sein. Interessanterweise befindet sich heute in Eisenach das Lutherhaus, das von der evangelischen Kirche eingerichtet wurde. Es ist genau das Haus der Familie Cotta, in dem Luther damals lebte.
Natürlich wurde das Haus im Laufe von über 500 Jahren immer wieder umgebaut, aber es ist dasselbe Haus. Es liegt ganz in der Nähe des Marktplatzes und ist heute ein Museum, das Luther-Museum. Dort ging er zur Schule.
Nach seiner Schulzeit in Eisenach, die insgesamt elf Jahre dauerte – inklusive Vorschule –, folgte das Studium. Er begann sein Studium in Erfurt. Dort studierte er zunächst die sieben freien Künste, wie das damals genannt wurde.
Das war das Grundstudium, das alle absolvierten. Am Ende erhielt man das Baccalaureat, also den Bachelor, ein lateinischer Begriff, der heute auch im Englischen verwendet wird. So merkt man, wie sich das Studium entwickelt hat.