Also eine Berggeschichte, liebe Gemeinde. Jesu Dienst beginnt schon mit einer Berggeschichte, als ihn der Teufel auf einen hohen Berg führt und ihm alle Reiche der Welt präsentiert. Dann wird Jesu Dienst mit einer Berggeschichte fortgesetzt, als er sich auf einen Berg setzt und seinen Jüngern die berühmte Bergpredigt hält. Dann erregt Jesu Dienst mit einer Berggeschichte die Gemüter, als er auf einem Berg in gleißendes Licht getaucht wird und seinen Leuten als himmlisches Wesen erscheint. Dann erreicht Jesu Dienst mit einer Berggeschichte seinen Höhepunkt, als er auf einem Berg ans Kreuz geschlagen wird und vor aller Öffentlichkeit elendiglich stirbt. Jetzt wird Jesu Dienst mit einer Berggeschichte abgeschlossen, als er auf einem Berg seine Getreuen versammelt und ihnen einen Abschiedsempfang gibt.
Diese Berggeschichte soll uns jetzt beschäftigen, die einen völlig unerwarteten Verlauf nimmt. Denn normalerweise gehen solche Abdankungen nach folgendem Schema: Zuerst kommt der Rechenschaftsbericht, der die gute, dreijährige Zusammenarbeit lobend unterstreicht. Vom See Genezareth bis zum Garten Gethsemane spannt sich der weite Bogen. Im Zeitraffertempo laufen die Highlights in Galiläa und Judäa noch einmal ab. Rechenschaftsberichte sind gebündelte Geschichte. Dann folgt eine Dankadresse, die die geleistete Arbeit ins rechte Licht rückt. Orden- und Ehrenzeichen werden an die Brust geheftet oder um den Hals gehängt. "Sie haben sich um die Reichsgottesarbeit verdient gemacht". Dankadressen sind wohltuende Honigworte. Schließlich findet die Verabschiedung in den wohlverdienten Ruhestand statt. Eine Kapelle intoniert den großen Zapfenstreich, ein kräftiger Händedruck, ein paar Krokodilstränen, und Petrus i.R. und Jakobus i.R. und Johannes i.R. melden sich ab. Verabschiedungen sind herzbewegende Augenblicke.
Dieser Abschied jedoch geht nach anderem Protokoll. Diese Abdankung geht nach andern Überlegungen. Dieser Abschiedsempfang geht nach anderer Tagesordnung. Bei Jesus geht es nie nach "Schema F". Einen Rechenschaftsbericht, der nur die Vergangenheit durchleuchtet, kann es gar nicht geben, weil er uns wahrlich keine Rechenschaft schuldig ist. Und eine Dankesadresse, die uns zu Ordensträgern adelt, kann es auch nicht geben, weil wir wahrlich keinen Dank verdient haben. Und eine Verabschiedung, die uns in den Ruhestand befördert, kann es erst recht nicht geben, weil wir wahrlich nicht alles getan haben, was wir schuldig sind. Bei diesem Herrn gibt es nur einen neuen Befehl: Gehet hin in eure Häuser und Familien, wo sich Eltern mit den Kindern und Kinder mit den Eltern so schwertun. Missionsfeld Nr. 1 ist euer Wohnplatz. Bei diesem Herrn gibt es nur ein neues Kommando: Gehet hin in eure Schulen und Unis, wo sich der Atheismus ausbreitet wie die Pest. Missionsfeld Nr. 2 ist euer Ausbildungsplatz. Bei diesem Herrn gibt es nur einen neuen Auftrag: Gehet hin in eure Büros und Fabrikhallen, wo Gottes Ehre mit Füßen getreten wird. Missionsfeld Nr. 3 ist euer Arbeitsplatz. Bei diesem Herrn gibt es nur eine neue Aussendung: Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Missionsfeld ist an allen Plätzen. Seit dieses Gipfeltreffen in Galiläa nicht zu einem Abschiedstreffen alter Kameraden verkam, sondern zu einem Rüsttreffen neuer Missionare umfunktioniert wurde, ist dieser bekannte Missionsbefehl zwingender Marschbefehl für jeden in dieser Kirche: Gehet!
Aber weil dieser Herr uns kennt mit unseren Mikos: "Hab ich das Zeug dazu?", mit unseren Befürchtungen: "Halten die mich für einen Sektierer?", mit unseren Ängsten: "Werde ich nicht total isoliert?", mit unseren Zweifeln: "Stimmt denn das alles?", weil der Herr uns so kennt, wie wir sind, deshalb sagt er es freundlich und werbend: Sehet auf meine Allmacht. Redet in meiner Vollmacht. Stehet unter meiner Schutzmacht.
1. Sehet auf meine Allmacht ...
... obwohl ihr zuerst etwas ganz anderes vor Augen habt, so wie die Elfermannschaft auf dem Berg. Wenn sie zurücksehen, erblicken sie die Staatsmacht eines Pilatus, der Unschuldige seinen Henkern ausliefert und Barnabasse frei laufen ließ. Gerechtigkeit und Macht scheinen sich bis heute auszuschließen. Wenn sie hinuntersehen, erblicken sie die Ohnmacht ihrer Hände. Als Petrus einmal den starken Mann spielen wollte und mit seiner Waffe zuschlug, da wurde Jesus wütend: "Steck dein Schwert weg!" Gewalt löst nur Gegengewalt aus. Wenn sie nach vorne sehen, erblicken sie die Großmacht römischer Gottkaiser, die zur Hexenjagd gegen die Christen aufrufen: Christen vor die Löwen. Leiden müssen ist die Normalsituation seiner Leute. Alles andere ist Ausnahme von der Regel. Nun aber sehen die Jünger hinauf und erblicken in dieser nachösterlichen Gestalt jenen Mann, der schon damals vor der Besatzungsmacht keine Furcht zeigte und dem Statthalter auf den Kopf zusagte: "Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre!" Sie erblickten jenen Mann, der schon damals auf der tobenden See im Schiff aufgestanden und den Naturmächten sein "Schweig und verstumme!" entgegengeschleudert hat. Sie erblicken jenen Mann, der schon damals auf dem Berg der Versuchungsmacht widerstanden und den Teufel zum Teufel gejagt hat. Die Jünger erblicken über den Staats-, Natur- und Ohnmächten die Allmacht ihres Herrn. Jesus präsentiert sich in diesem Augenblick als der Mandatsträger unumschränkter Machtbefugnis. Und weil einige ihren Augen nicht trauten und zu zweifeln beginnen, ob denn dies vielleicht nur eine Halluzination sei, unterstreichen seine Worte diese Wahrheit: "Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden." Es gibt keine Gegenmacht, die gefährlich werden könnte. Die Scheinmächte haben ausgespielt, bevor sie sich aufspielen. Die Machtfrage ist seit der Auferstehung Jesu gelöst. Warum sehen wir immer wieder zurück und bangen vor sogenannten Machthabern, die die Weltkarte verändern könnten? Warum sehen wir immer wieder hinunter und verzagen an der Ohnmacht unserer Hände, die so wenig bewirken können? Warum sehen wir immer wieder nach vorne und zittern vor kosmischen Urmächten, die uns wie die Siedler am Vulkan Pinatubo überfallen könnten? Sehen wir doch endlich hinauf. Jesus ist der Machthaber. Er sagt es denen, die meinen, mit dem Besitz von ABC-Waffen sei die Macht schon verteilt: Mir ist alle Macht gegeben. Er sagt es denen, die meinen, gegen Krankheitsmächte sei der Mensch mit seiner medizinischen Kunst am Ende: Mir ist alle Macht gegeben. Er sagt es denen, die meinen, der Tod sei die Großmacht schlechthin: Mir ist alle Macht gegeben. Sehet auf meine Allmacht.
2. Redet in meiner Vollmacht ...
... obwohl ihr zuerst etwas ganz anderes zu Ohren bekommt, so wie die Elfermannschaft auf dem Berg. Ihr müsst analysieren, wie die Lage nach Jesu Weggang aussieht und wie sich die Dinge entwickeln. Ihr müsst dialogisieren, wie sich Wahrheitsmomente im römischen Kaiserkult in eure Religion einbauen lassen. Ihr müsst diskutieren, wie nonverbale Verkündigung aussehen könnte und ob Mission überhaupt noch dran ist. Aber Jesus sagt: Proklamiert, alarmiert, missioniert. Redet, taufet, lehret. Glaube ist doch keine Geschmacksache, die dem einen das Leben versüßt und dem andern die Suppe versalzt. Glaube ist doch keine Ansichtssache, die der Intellektuelle mit seinem scharfen Verstand anders sieht als der einfach Gewickelte mit seinem frommen Gemüt. Glaube ist doch keine Privatsache, die man im Herzen alleine abmacht. Glaube ist Eilsache. Warum denn? Nehmen Sie einmal an, ein Mann stürzt in den Strom. Hilflos treibt er in den Wellen. Nur noch eine kurze Zeit trennt ihn vom sicheren Tod. Dann taucht ein Helfer am Ufer auf. Wird er analysieren, wie giftig und gefährlich das Wasser ist? Wird er dialogisieren, wie sich Erfahrungsmomente eines Ertrinkenden bei einem Ufergänger verarbeiten lassen? Wird er diskutieren, ob jetzt Rettung überhaupt dran ist? Nein, er wird ein Seil hineinwerfen und proklamieren: Halt dich fest! So sind Menschen in den Strom der Sünde gestürzt, der sich seit dem Dammbruch des Sündenfalls ein breites Bett durch diese Welt gerissen hat. Hilflos treiben sie in den Wellen. Nur noch eine bemessene Zeit trennt sie vom ewigen Tod. Können wir denn anders, als mit der Taufe das Seil der Liebe Gottes hineinwerfen und den Mund auftun: Halt dich fest. Der du keinen Boden mehr unter die Füße bekommst, halt dich fest. Der du vor lauter Aufgaben und Terminen nur noch schwimmst, halt dich fest. Der du von den Wellen der Mode und Meinungen hin- und hergeworfen wirst, halt dich fest. Der du im Strudel der Ängste nach unten gezogen wirst und dir das Wasser über dem Kopf zusammenschlägt, halt dich fest. Wenn Jesus sagt: "Lehret sie halten", dann heißt das zuerst: "Lehret sie festhalten". Es gibt eine Chance, dem Sog zu entkommen. Das Seil der Liebe Gottes ist in Jesus Christus geworfen. In der Taufe wird es handgreiflich. Verstehen Sie jetzt diese Elf, wenn sie später sagen: "Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte?" Verstehen Sie jetzt diese Apostel, wenn sie später bekennen: "Wir können es ja nicht lassen, dass wir nicht reden sollen?" Verstehen Sie jetzt diese Jünger, wenn sie später erklärten: "Die Liebe Christi zwingt uns dazu?" Weil Jesus befiehlt: "Lehret sie halten", deshalb können wir den Mund nicht mehr halten. Mission ist Blaulichtaktion zur Rettung der Menschen. Redet in meiner Vollmacht.
3. Steht unter meiner Schutzmacht ...
... obwohl ihr immer wieder im Regen steht, so wie die Elfergemeinschaft auf dem Berg. Als sie nach diesem Gipfeltreffen wieder ins Tal steigt, um in Städten und Dörfern ihre Rettungsaktion zu starten, wird sie nicht mit um Hilfe ringenden Händen empfangen. Im Gegenteil. In einem Ort werden sie als Scharlatane ausgepfiffen, im andern Ort fliegen sie hochkant hinaus und im dritten Ort entgehen sie knapp der Steinigung. Oft genug stehen sie mutterseelenallein draußen vor der Tür. Auch wenn wir nicht mehr ausgepfiffen, sondern nur noch ausgelacht werden, auch wenn wir nicht mehr mit Steinen beworfen, sondern nur noch mit Worten verletzt werden, immer wieder wird dafür gesorgt sein, dass seine Jünger von einer Atmosphäre der Heimatlosigkeit umgeben sind. Man will es der Tochter sagen, die jeden Halt verloren hat, aber sie lehnt diese Hilfe ab. Man will es dem Kollegen sagen, dem seine Ehe in die Brüche ging, aber auf diesem Ohr ist er taub. Man will es dem Kranken sagen, der ans Bett gefesselt ist, aber der pfeift auf fromme Bemerkungen. Man will es der Gemeinde sagen, der kein anderes Heil zugesagt ist, aber sie will moderne Predigt. Weil das müde macht, deshalb fügt Jesus an: Ich bin bei euch, nicht der Erfolg, nicht der Beifall, nicht das Wunder, ich bin bei euch, nicht nur an fröhlichen Tagen, nicht nur an sonnigen Tagen, nicht nur an gesunden Tagen, ich bin bei euch alle Tage, nicht nur bis an das Schulende, bis an das Berufsende, bis an das Lebensende, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt. Seine Leute stehen immer und überall unter der Schutzmacht des Herrn. Da mag es ganz schwierig werden, verzweiflungsvoll, aussichtslos, für die Jünger Jesu ist es gar nie Matthäi am letzten, sondern für sie steht immer in Matthäi am letzten: Ich bin bei euch jetzt. Ich bin bei euch morgen. Ich bin bei euch immer.
Liebe Freunde, manches steht vor uns wie ein Berg. Wissen Sie, mit dieser Berggeschichte sind wir über jedem Berg.
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]