Einleitung: Die Spannung zwischen Gottes Wirken und menschlichem Handeln
Also, meine Lieben, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch vielmehr in meiner Abwesenheit!
Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt, sowohl das Wollen als auch das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.
Tut alles ohne Murren und ohne Zweifel, damit ihr ohne Tadel und lauter seid, Gottes Kinder ohne Makel mitten unter einem verdorbenen und verkehrten Geschlecht. Unter diesem scheint ihr als Lichter in der Welt, indem ihr festhaltet am Wort des Lebens, mir zum Ruhm an dem Tage Christi. So werde ich nicht vergeblich gelaufen sein noch vergeblich gearbeitet haben.
Und wenn ich auch geopfert werde als Opfer und Gottesdienst eures Glaubens, so freue ich mich und freue mich mit euch allen. Darüber sollt auch ihr euch freuen und euch mit mir freuen.
Schön, dass dieses wunderbare Freuen, das den ganzen Philipperbrief durchzieht, wieder ausklingt.
Jetzt müssen wir uns heute zuerst Zeit nehmen und über diese merkwürdigen Widersprüche sprechen.
Die einzigen Widersprüche, die ich in der Bibel sehe, sind Aussagen, die sich eigentlich widersprechen. Das ist ganz schwierig.
Es werden sicher eine ganze Reihe von Ihnen da sein, die schon einmal an diesem Wort hängen geblieben sind und wirklich darüber gekrübelt haben: „Jetzt verstehe ich es nicht.“
Die paradoxe Aufforderung: Schaffen und zugleich Gottes Wirken vertrauen
Auf der einen Seite wird gesagt: Wir sollten schaffen, schaffen, schaffen. Man muss sich mühen, man muss also etwas tun. „Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.“
Auf der anderen Seite wird gesagt: Gott macht das. Wenn es Sache Gottes ist, dann brauche ich ja nicht dafür zu arbeiten. Dann fällt es mir sozusagen in den Schoß.
Mit dem Fremdwort kann man sagen, dass dies etwas Paradoxes ist, etwas, das in unserem Verständnis nicht zusammengeht. In der Bibel gibt es manchmal solche Aussagen, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Zum Beispiel: Die Armen, die doch viele reich machen; oder die Unbekannten, die doch bekannt sind. Sind sie jetzt bekannt oder unbekannt? Genau das ist aber von Paulus gewollt.
Er will genau das, was in unserem Kopf irgendwo aneckt und sich reibt, ausdrücken. Er möchte etwas sagen, das man erst verstehen kann, wenn man persönlich betroffen ist.
So geht es ja auch heute Abend darum: Es handelt sich nicht um einen Widerspruch, bei dem man sagen müsste „entweder oder“. Vielmehr möchte ich begreifen, wie beides zusammengehört, was zunächst in meinem Denken ein Widerspruch zu sein scheint.
Die Grundlage des Glaubens: Erwählung vor der Weltgründung
Und deshalb möchte ich noch einmal ausholen und etwas ganz Wichtiges ansprechen: Wie ist das überhaupt mit dem Glauben? Warum sind wir Christen geworden? Ist es zuerst meine Entscheidung, dass ich sage: Ja, ich habe mich bemüht, ich habe gearbeitet, deshalb bin ich Christ? Bin ich ein netter Mensch, der sich fromm eingesetzt hat? Hängt das davon ab – von meinem Laufen, von meinem Arbeiten und von meinem Schaffen?
Wenn Sie in den Briefen des Neuen Testaments lesen, besonders bei Paulus, stoßen Sie auf eine Sache, die Ihnen vielleicht nicht in den Kopf gehen will. Aber für den Apostel Paulus ist sie ganz wichtig: Gott hat sich vor Beginn der Welt, bevor er die Welt geschaffen hat, für uns entschieden und uns erwählt.
Das ist natürlich eine Lehre, bei der man ins Grübeln kommt und auf unheimliche Fragen stößt. Wenn Gott mich schon vor Anbeginn der Welt gewählt hat, warum hat er mich dann erwählt? Und dann kommt natürlich gleich die nächste Frage: Was ist mit den anderen? Hat Gott die anderen nicht erwählt?
Hier müssen wir ehrlich sein und sagen: Entschuldigung, das wissen wir nicht. Wir wissen nur so viel, wie es in der Bibel für die Gläubigen steht. Für die anderen hat Gott es uns einfach nicht gezeigt. Das müssen wir akzeptieren. Gott hat uns ja manches nicht gezeigt in der Bibel; er hat uns nur ein Stück weit etwas offenbart.
Aber diese Lehre von der ewigen Erwählung steht so fest in der Bibel. Sie finden sie im Epheserbrief, im Kolosserbrief und im Zweiten Thessalonicherbrief. Sie ist eine große Freude für Sie.
Die Bedeutung der Erwählung für das Leben und Sterben
Wenn man daran denkt, wie es bei mir einmal werden wird, wenn ich alt und schwach werde, stellt sich die Frage: Besteht nicht die Gefahr, dass ich in der Torheit des Alters aus der Gnade Gottes herausfalle? Dass ich vielleicht denke: Nein, Gott hat mich erwählt. Er hat so viel in mich investiert, und darauf ruht meine Heilsgewissheit – auf dem festen Felsengrund der ewigen Erwählung.
Auch der Reformator Calvin legte großen Wert auf die Lehre von der Erwählung. Ebenso der große Prediger Spurgeon, der bedeutendste Prediger in London im letzten Jahrhundert. Er sprach immer wieder von den großen Wahrheiten der Bibel, die den Menschen verkündigt werden müssen – gerade er, der Evangelist war.
Interessanterweise rief Spurgeon deshalb besonders die Ungläubigen. Es ist also nicht so, dass die Lehre von der Erwählung jemanden abstoßen sollte. Ich sage das gleich zu Beginn, obwohl ich weiß, dass jeder Hauskreis zerbrechen kann, wenn diese Frage aufkommt. Dann wird diskutiert, und jemand bringt das Fremdwort „Prädestination“ ins Spiel. Es wird gefragt, was mit einzelnen Leuten sei.
Tun Sie es einfach mal weg. Halten Sie sich daran: Es ist ein Trost für Gläubige, ein Trost, an dem man sich im Leben und im Sterben festhalten darf. Er hat mich erwählt. Im Lied „Eines wünsche ich mir vor allem anderem“ – einem Passionslied – heißt es, dass Jesus schon an mich gedacht hat, als er rief: „Es ist vollbracht.“ Jesus kennt mich, Jesus trägt mich.
Diese Gewissheit hilft durch viele Anfechtungen und Schwermutszeiten hindurch: die ewige Erwählung.
Die Lehre der Erwählung als Trost und Herausforderung
Ich habe heute Abend nicht vor, Ihnen alle Stellen zu nennen. Das Genialste zu diesem Thema hat Doktor Paul Humburg geschrieben. Er war der Präses der Bekennenden Kirche, der von Hitler verfolgten Kirche im Rheinland. Er ist 1945 gestorben.
Humburg hat ein kleines Heftlein verfasst, das heute zu den großartigsten Werken überhaupt zu diesem Thema gehört. Es ist ein Trost für die Gläubigen. Es nimmt uns den Stolz, dass wir uns nichts darauf einbilden brauchen, Christ zu sein oder besser als andere zu sein. Das sind wir ja gar nicht. Es ist vielmehr ein Wunder der Gnade Gottes, dass er mich gefunden hat. Gott trägt mich durch, und das ist etwas ganz, ganz Großes.
Ich kann Ihnen ein paar Bibelstellen nennen, falls Sie noch nachschlagen möchten. Für mich ist seit früher Jugend 2. Thessalonicher 2,13-14 besonders wichtig. Dort heißt es: "Wir müssen Gott allezeit für euch danken, geliebte Brüder vom Herrn, dass Gott euch als Erste zur Seligkeit erwählt hat."
Das steht doch da! Wir können diese Aussage der Bibel nicht einfach wegnehmen. Dass Sie Christ sind, war eine Sache Gottes, der das wollte. Und darauf dürfen Sie stehen.
Noch einmal: Es gibt Dinge, die Sie nie ganz durchdringen können. Das müssen Sie akzeptieren, weil wir nur einen begrenzten Horizont haben. Lassen Sie die Sache Gottes sein. Er hat Sie erwählt.
Erwählung und Heiligung im Glauben
Auch bei Jesus finden wir diese Worte von der Erwählung, in der Heiligung, durch den Geist und im Glauben an die Wahrheit, wozu er euch auch berufen hat, durch unser Evangelium, damit ihr die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus erlangt.
Passen Sie bitte auf, dass man jetzt nicht versucht zu sagen: „Vielleicht hat Gott schon vorausgesehen, dass ich glaube.“ Damit manövrieren wir etwas hinein, was nicht drinsteht. Das sollen wir auch nicht tun. Vielmehr sollen wir das, was uns zum Trost, zur Ermutigung und zur Stärkung unseres Glaubens gesagt ist, einfach akzeptieren und uns daran freuen.
Dass wir uns dabei beugen müssen und auch manches nicht verstehen, ist nicht schlimm. Mir hat es sehr geholfen, wie der große Theologe Edmund Schlink, ein bibeltreuer Theologe in Heidelberg, immer gesagt hat: Das ist eine Einbahnstraße. Man kann darüber nur rühmend in der Anbetung nachdenken. Man darf darüber nicht philosophieren oder in eine falsche Richtung abdriften, etwa mit Fragen wie „Was ist mit den anderen?“ Dazu gibt uns die Lehre keine Antwort. Es ist dazu gegeben, dass die Gläubigen Gott dafür danken und ihn preisen.
Gott hat mich gewollt, ich bin von Gott geliebt und von Gott getragen. Im schönen Kapitel Römer 8, wo vom Heiligen Geist in uns die Rede ist, hat Paulus auch gesagt: Welche er zuvor erwählt hat, die hat er auch verordnet. Diese Aussage findet sich an den wichtigsten Stellen, wenn Paulus die größten Aussagen macht.
Jesus hat ganz häufig davon gesprochen, zum Beispiel am Sonntag wieder in Johannes 17: „Der Vater, der sie mir gegeben hat, die an mich glauben.“ Der Vater hat uns in die Hände Jesu gegeben.
Im Glaubensbekenntnis, in der lutherischen Auslegung, sagen wir es immer wieder. Ich sage: Es ist nie klassischer gesagt worden als von Martin Luther in seinem kleinen Katechismus. Dort heißt es: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen und mit seinen Gaben erleuchtet.“
Es ist ein Wunder, dass Gott mir durch seine Gaben den Blick dafür gegeben hat. Es ist uns zum Lobpreis gegeben, es ist uns zur Heilsgewissheit gegeben, dass auf diesem Grund unser Glaube ruht.
Johannes 17 habe ich bereits erwähnt, aber ganz wunderbar ist auch das Hirtenkapitel, Johannes 10: „Meine Schafe hören meine Stimme, ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen. Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles.“
Es ist ein Wunder Gottes, dass er mich zu Jesus gebracht hat. Johannes 6 – wenn Sie es bloß notieren und in Ruhe noch einmal nachlesen.
Die Spannung zwischen göttlicher Gnade und menschlichem Bemühen
Diese Schrift von Paul Humburg gibt es leider nicht mehr. Ich habe vor Jahren noch einige wenige Exemplare aufgehoben und müsste mal überlegen, ob man sie im Selbstdruck noch einmal selbst vervielfältigen könnte. Wenn eine größere Zahl daran interessiert wäre, würde sich das lohnen.
Ich habe sie teilweise einigen von Ihnen auch geschenkt. Wir hatten etwa 40 oder 50 Exemplare, die ich an Geburtstagen weitergegeben habe. Die Schrift von Paul Humburg lohnt sich wirklich an dieser Stelle.
Warum sagt das Paulus so? Paulus war ja Evangelist, aber er sagt auf der anderen Seite, dass man das nicht erreichen kann. Jetzt wissen Sie, dass das der große Streit in der Reformation war: Muss der Mensch nicht sehr viel mehr tun, um seinen Glauben zu erhalten? Oder muss er sich seinen Glauben irgendwie erarbeiten, indem er sich immer mehr in die Frömmigkeit hineintreibt?
Es war der Protest der Reformatoren, dass sie gesagt haben: Nein, es bleibt ein unverdientes Gnadengeschenk. In der Buße kann ich nur dieses Gnadengeschenk des Evangeliums ergreifen. Es liegt nicht an mir und nicht an irgendetwas anderem.
Das habe ich gerne vorausgeschickt, weil wir jetzt diesen Abschnitt heute Abend haben: Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt. Beides wollen das übrigens.
Das ist paradox und widersprüchlich und schlägt auch dem, was wir jetzt gehört haben, ein Stück ins Gesicht. Deshalb will ich noch einmal weiter ausholen.
Die Frage nach dem freien Willen und der menschlichen Entscheidungsfähigkeit
Es stellt sich die Frage, die zum christlichen Glauben gehört: Neben dem Glauben gehört auch ein Stück Lehre dazu, bei der man sich über gewisse logische Zusammenhänge nach der Schrift Gedanken macht. Man sagt, so weit kann ich das darstellen, das kann man sich auch selbst klar machen.
Dabei geht es neben der Erwählung auch um eine andere Frage: Hat der Mensch einen freien Willen? Kann der Mensch sich überhaupt frei entscheiden? Wenn wir evangelisieren oder irgendwo ein Gespräch führen, uns um einen Menschen bemühen – zum Beispiel Kollegen im Geschäft – und sagen, wir möchten Christus nahebringen, kann dieser Mensch sich wirklich frei für Christus entscheiden?
Natürlich kann er das. Wir leben in einem freien Land, in dem freie Meinungsäußerung nötig ist. Jeder kann Esoteriker werden, zu einer Sekte laufen oder alles Mögliche machen. Er ist im Grunde frei. Doch die Bibel sagt, das stimmt nicht ganz. Der Mensch ist in seinem Willen ganz entscheidend gebremst.
Paulus sagt von sich selbst in Römer 7: „Wollen habe ich wohl, aber das gute Vollbringen schaffe ich nicht.“ Ich will eigentlich, aber ich komme mit meinem Willen nicht durch. Sie kennen das: Wenn man sich zu Neujahr Vorsätze macht, was man alles im neuen Jahr verwirklichen will, und dann kommt man doch nie zum Durchsetzen, weil der Wille zu schwach ist. Der Wille kann das nicht.
Die ganze deutsche Nation hat es ja wieder miterlebt beim Harald Juncke und so – wie der Wille einfach schwach ist, erschütternd. Und Leute sagen ganz beruhigend, dass es sie tröstet, dass er es auch nicht schafft. Aber es schafft eben kein Mensch.
Darüber spricht Paulus: Der Wille ist gar nicht in der Lage. Wir haben in unserem Willen immer einen Hang, immer das Böse zu wählen. Prüfen Sie sich mal. Gerade die Bibel mit dieser eigentlich geheimnisvollen Lehre vom gebundenen Willen, der immer von einer dunklen Macht geritten wird, hat Recht.
Deshalb ist natürlich irgendwann einmal die Ernte einzusammeln, weil man gesagt hat, man müsse ja die jungen Kinder bloß frei erziehen und sie einfach laufen lassen. Das kann ja nicht gut gehen, denn in dieser Freiheit gedeihen keine wunderbaren Blumen. Sondern in dieser Freiheit begann das Erste, was in der DDR anfing: die Schmutzgeschäfte. Sobald die Freiheit da war.
Es ist doch klar: Da brechen Siegel aus unserem Herzen, dass jeder einen Hang hat zu Dingen, die er eigentlich gar nicht will, von denen er weiß, sie fördern ihn nicht, und ist doch daran gebunden.
Und wie komme ich denn eigentlich raus? Bei diesem Willen kann ich gar nicht. Wenn Menschen bloß sagen: „Du musst bloß wollen“, und wenn sie das auch mit Kindern machen, machen sie die Kinder kaputt. Wenn man dauernd an den Willen appelliert, dann ist das ja Sache. Man kann die Kinder dann sehr streng erziehen oder so, aber irgendwann gibt es ein Unglück.
Sie wissen auch, wie man an seinem eigenen Willen zerbrechen kann. Das ist ja auch nichts, wenn dann einer am Ende überhaupt keinen Willen mehr hat, weil er daran gescheitert ist.
Der innere Kampf des Glaubenden und das Wirken Gottes
Es ist schön, wenn sich jemand wirklich Mühe gibt und sagt: „Ich probiere es mal.“ Dann prüft er unter der Schrift, ob das, was in der Bibel steht, tatsächlich wahr ist. Für mich ist das einer der Punkte, an denen man, wenn man ehrlich ist, sehr genau prüfen kann: Ist das wahr, was in der Schrift steht?
Jesus deckt hier auf und sagt ganz schlicht, was in seinem Leben los ist. Ich bin jemand, der sich nicht richtig entscheiden kann. Wenn bei uns Zweifel aufkommen, greifen wir lieber zu irgendeiner Unterhaltungslektüre, anstatt Gottes Wort hören zu wollen. Wir wollen uns nicht zurechtweisen lassen und die Wahrheit gar nicht entdecken – alles, was darin steht.
Das, was Paulus hier über seinen inneren Kampf schreibt, ist nicht, wie manche meinen, nur vor der Bekehrung da. Leider begleitet uns dieser Kampf bis zu unserer Todesstunde immer wieder, weil sich diese alte Art in uns immer wieder ganz wild gebärdet.
Trotzdem – obwohl unser Wille so ist – geschieht ein Wunder. Paulus kommt in die Stadt Philippi, die erste Stadt in Europa. Dort sitzen einige Frauen am Fluss. Es gab eine jüdische Synagoge. Paulus erzählt ihnen etwas vom Evangelium Jesu. Eine Frau, die eine Boutique besitzt und Geschäftsfrau ist, kommt zum Glauben an Jesus.
Was ist passiert? Die Apostelgeschichte erklärt, dass der Herr ihr das Herz geöffnet hat. Von ihrer Art her hätte sie es nicht selbst tun können. Es ist ein Wunder, dass Gott das in ihr gewirkt hat.
In der Apostelgeschichte wird immer schön gezeigt, dass dieses Wunder passiert, weil der Wille so schwierig ist. Wir sollten vielmehr Barmherzigkeit mit Menschen üben, die nicht glauben können, auch mit zweifelnden Menschen. Wir sollten für sie beten und wissen, dass Geduld und Liebe wichtig sind.
Manchmal denkt man, das ist nur eine Sache des richtigen Verkündigers. Dann drückt man auf den Knopf, und es funktioniert. Man meint, wenn jemand anständig ist, muss er glauben. Aber so einfach ist es nicht.
Bei uns selbst ist ein Wunder Gottes geschehen. Wir sind wieder auf die gleiche Sache gesetzt, die die ganze Schrift sagt: Es ist ein Wunder Gottes, wenn er mir das Licht schenkt, den Durchblick.
Beispiele aus dem Gemeindeleben und die Herausforderung der Nachfolge
Ich behaupte, dass bei sehr viel mehr Menschen als angenommen dieses Wunder geschieht. Wenn ich ein unverfängliches Beispiel nennen darf: Ich war immer skeptisch gegenüber der Konfirmation. Hat die Konfirmation heute überhaupt noch einen Sinn? Kinder kommen dorthin, und sie wünschen sich doch persönliche Gespräche. Es war oft schwierig, sie überhaupt zu versammeln.
Doch jedes Mal, wenn ein Konfirmationsgottesdienst stattfand, war ich überwältigt, wenn plötzlich Menschen tief bewegt waren – Menschen, von denen man wusste, dass sie keine Beziehung zum Glauben hatten. Es war nicht nur Romantik, sondern etwas vom Wort Gottes fiel in die Herzen der Menschen.
Das Erschütternde war jedoch, dass es oft nicht weiterging. Die Saat fiel häufig auf steiniges Land. Aber was mich immer wieder wundert, ist, dass auch bei Beerdigungen oft Menschen ganz tief angerührt sind. Es ist nicht nur, dass sie sagen: „Ach, das waren schöne Worte.“ Sondern sie spüren den ganzen Ernst des Sterbens, das Gericht des Todes und Jesus als den Überwinder des Todes.
Gerade das Evangelium hat eine sehr machtvolle Art und durchbricht die Ablehnung meines Herzens. Das werden Sie oft erleben. Auch wenn wir auf der Königstraße unterwegs waren, bei unseren Einsätzen, hatten wir immer wieder Angst vor den Predigten. Doch danach gingen wir fröhlich nach Hause. Man hätte nicht gedacht, dass die Menschen so aufmerksam zuhören.
Sie sagten: „Da war ein Mann, der sich wirklich für mich interessiert hat.“ Dieser Mann hielt oft lange Reden, und die Leute hörten zu. Da ist etwas da. Die Lehre von der Erwählung bedeutet nicht, dass sie nur eine kleine Elite betrifft. Geht die Erwählung Gottes nicht doch an alle?
Ich weiß es nicht. Das Geheimnis kann ich hier nicht lösen, und ich möchte es auch nicht auflösen. Ich kann nur sagen: Es sind mehr Menschen, als wir ahnen, die tief angerührt sind. Ich habe mir angewöhnt – und ich habe es Ihnen schon ein paar Mal gesagt –, Menschen ganz schlicht zu sagen: Wenn Sie so etwas erleben, dann können Sie nicht anders, als zu glauben, dass Sie in Ihrem Leben schon einmal eine klare Begegnung mit dem lebendigen Gott hatten und sein Wort vernommen haben.
Er ist oft schweigend da, und dann widerspricht keiner mehr. Es ist ganz erstaunlich, was in vielen Leben geschieht. Ich kann nicht begründen, was da ist.
Die Aufforderung zum Mitwirken: Glaube als aktives Annehmen
Paulus sagt uns hier, dass ich natürlich auch etwas dazu tun muss. Wenn ich am Ertrinken bin und jemand wirft mir einen Rettungsgürtel zu, dann muss ich ihn auch ergreifen. Das ist der Punkt: Schaffe, dass du selig wirst. Ich kann nicht erwarten, dass sich der Rettungsgürtel von selbst durch die Wellen unter mich schiebt und mich nach Hause trägt. Ich muss zupacken.
Dabei ist es doch nicht mein Werk, sondern ich bin gnädigerweise gerettet worden. Dieses „Schaffen“ steht nicht im Gegensatz zur Gnade.
In unserer Kirche aber, und das ist einer der Schäden, die durch die unberechtigte Bibelkritik entstanden sind, wird das oft falsch verstanden. Ein großer Schaden ist auch, dass in vielen evangelischen Kirchen die Lehre von der Gnade so gepredigt wird, dass die Leute denken: „Du musst überhaupt nichts tun, kannst die Augen schließen, schlafen, musst nicht mehr in die Kirche kommen, du bist doch gerettet.“
Das stimmt natürlich nicht. Es ist Gottes Gnade, ja, aber das bedeutet nicht, dass man nichts tun muss. Jesus sprach vom Verlorengehen und vom Gericht. Er hat sehr wohl gesagt, dass ich zupacken muss, auch wenn es ein reines Geschenk ist.
Man kann es sich an einem Geschenk deutlich machen: Auch ein Geschenk muss ich annehmen. Eine Straßenbahn fährt nicht, weil sie in sich einen Generator hat, sondern weil sie ihren Bügel an die Stromleitung hält. Wenn sie den Bügel nicht oben anlegt, kann die Straßenbahn nicht fahren.
So muss ich auch in meinem Leben mit meinem Glauben zupacken.
Die Gefahr von falscher Lehre und die Notwendigkeit der Wachsamkeit
Ich habe also behauptet, die meisten Menschen sind angerührt. Aber in unseren Verkündigungen, auch in unseren Gemeindeversammlungen, Gottesdiensten und Mors, ist es problematisch, dass wir gar keine Möglichkeit haben, die oft aufgewühlten Leute irgendwie weiterzuführen.
Deshalb habe ich immer Verständnis für unseren Billy Graham, der gleich gesagt hat, man muss den Leuten jetzt gerade, wenn sie angesprochen sind, sagen, wie sie die Bibel lesen. Er macht ja weiter gar nichts, wie man das Übergabegebet spricht und wie man die ersten Schritte im Glauben geht.
Das ist doch ganz klar: Jetzt sind sie da. Wenn sie nach Hause gehen, dann schauen sie wieder auf ihre Sparlage, lesen Zeitung oder gucken Fernsehen. Alles ist wieder verschüttet. Man muss gleich zupacken.
Und wenn Sie richtige Seelsorger sind, müssen Sie ja immer wieder nach einer Verkündigung oder auf dem Nachhauseweg sagen: Ich muss den Nachbarn gar nicht unterhalten, sondern fragen, was heute bei Ihnen aufgewacht ist. Und ich habe noch ein bisschen Zeit, wenn man noch ein bisschen weiterreden kann.
Oft brauchen manche Menschen noch eine Zuspitzung. Sie sagen an der einen Stelle: „Das verstehe ich nur nicht“ oder „Da ist bei mir eine Hemmnis“ oder „Ich kann das nicht so fassen“ oder so.
Viele Menschen sind ganz bestimmt dauernd angesprochen. Und nun wiederholen wir dieses Ding dauernd und immer wieder sprechen wir die Leute an. Es gibt viele, die schon oft bei einer Evangelisation tief aufgewühlt waren, nach Hause gehen und mit dem eigenen Willen christlich leben wollen – und es nicht schaffen.
Sie sind dann maßlos enttäuscht, wenn sie merken, dass es in der Ehe wieder schiefgeht, mit den Kindern Probleme auftreten und sie wieder in die alten Dinge zurückrutschen. Das liegt daran, dass sie es nie bereinigt haben. Es kommt nie zu einer wirklichen Änderung, weil nie eine Buße stattgefunden hat.
Das ist die große Schuld der evangelischen Kirchen: Sie lehren nicht richtig von der Gnade Gottes und von der alleinigen Vergebung Jesu. Diese ist wirklich der Grund unseres Glaubens. Wir werden aus lauter Liebe errettet, und nichts kann dazukommen.
Man sagt: Man kann nichts dazu tun.
Die Notwendigkeit des täglichen Kampfes und der Selbstprüfung
Ich habe vor vielen Jahren eine Predigt über Römer 3 gehalten, die mir sehr wichtig war. Darin habe ich drei reformatorische Aussagen genannt, die heute oft von den Leuten falsch verstanden werden. Eine davon ist: „Wir sind doch alle Sünder.“ Das ist eine richtige reformatorische Aussage, aber die Leute interpretieren sie oft so, dass man gar nichts machen kann. Das ist eigentlich falsch. So hat Paulus das nie gemeint.
Er sagt deshalb, dass man raus muss aus dem alten Zeug. Er fordert uns auf, mit Klarheit und Nachdruck zu handeln. Nach diesem wunderbaren Abschnitt sagt er: „Schafft doch, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.“ Es ist eine Aufforderung, sich anzustrengen und den Glauben ernst zu nehmen.
Ich möchte betonen, dass ich Ihnen nie etwas Neues erfinden kann. Ich bin nur ein guter Verwerter von Früchten, ich lese viel und suche nach guten Beispielen. Dabei bin ich auf eine schöne Sache von Humburg gestoßen. Jeder von Ihnen kann diese Schrift kaufen und nachlesen.
Humburg erzählt, dass Jesus zu einem Mann mit einer verdorbenen Hand geht. Der Mann steht da, seine Hand ist ganz verkrümmt, und er kann sie nicht strecken. Jesus sagt zu ihm: „Streck deine Hand aus!“ Der Mann kann das eigentlich gar nicht, aber er streckt sie aus, und seine Hand wird gesund. Das geschieht, weil er gehorcht.
So ist es auch mit dem Glauben. Eigentlich kann ich gar nicht glauben, aber weil das Evangelium mich ruft, kann ich es tun. Jesus wirkt Wunder und heilt. Er sagt genau das Große zu mir: Er kommt zu mir, redet mit mir und sagt, ich darf frei werden vom alten Leben.
Ich kann doch gar nicht frei werden mit meiner alten Sünde. Aber Jesus sagt: „Komm, gib dein Leben mir.“ Und es geschah: Als sie gingen, wurden sie rein. In dem Moment, in dem sie es im Glauben angenommen haben, ist es passiert.
Die Kraft des Evangeliums und die Realität des Glaubens
Dora Rappaz, deren Elternhaus wir in Jerusalem am Zionsberg wiedersehen, die liebe Dora Rappaz, später Grischona Basel, war die Tochter von Bischof Goba in Jerusalem. Er hat ja dieses schöne Liedgedicht geschrieben, das ich früher gerne gesungen habe:
„Wie lang habe ich mühevoll gerungen,
gesäuft unter Sünde und Schmerz,
doch als ich mich ihm überlassen,
da strömte sein Frieden in mein Herz.“
Viele Leute erkennen die Wahrheit des Evangeliums, davon bin ich absolut überzeugt. Für die meisten Menschen ist es gar keine Frage, dass das Evangelium die Macht ist und dass Jesus wirklich ganz, ganz groß ist und alles bedeutet. Aber sie schaffen es nie, diese Kraft zu erleben. Dann gehen sie nach Hause, und es ist für mich ganz erschütternd, dass auch viele Menschen am Heiligen Abend sagen, sie müssten ihr Leben wieder ethischer gestalten.
Diese Menschen haben nie begriffen, dass es gar nicht darum geht, sich mit neuen Vorsätzen vollzustopfen. Vielmehr dürfen sie die Macht und die Realität Jesu erleben. Jesus ist real. Es war neuerlich so schön in der Verkündigung seines Kommens, dass Jesus eine Realität ist, dass er lebt und da ist.
Am Sonntag wollte ich auch so sagen: Er ist näher, als deine Haut ist, die Luft, die dich umgibt. So wollte ich sagen, er ist ganz nah. Du darfst seine Macht erfahren. Gib ihm dein Herz. Du kannst nichts aus eigener Kraft schaffen. Du musst dich ihm überlassen und ihn zum Herrn deines Lebens machen. Dann ist alles anders.
Das Paradox des Glaubens: Gottes Wirken und menschliches Schaffen
Und jetzt verstehen Sie, warum Paulus das nur im Paradox sagen kann, im Widerspruch: „Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.“
Denn jetzt sagt er nur: „Denn Gott ist, der in euch beides wirkt, das Wollen und das Vollbringen, gerade deshalb könnt ihr gerettet werden.“ Aber nicht, weil ihr es selbst schafft, sondern weil der Herr da ist und weil er mächtig in euch wirken will.
Und noch ein schönes Geschichtchen, das auch wieder Paulus Humburg hier erzählt: Irgendwann waren Schiffbrüchige auf dem Ozean, und plötzlich merken sie, da ist ein Schiff in der Nähe, um sie herum. Es ist eine dunkle Nacht, und dann entschließen sie sich und sagen: „Wir müssen jetzt nur eine Leuchtrakete anzünden.“
Für diesen Mann war es eine Nervosität, das Streichholz anzuzünden, das jetzt nicht von einer Welle nass gemacht oder das Lichtlein ausgelöscht wird, damit die Leuchtrakete zünden kann. Er zittert richtig: „Schaffe ich das? Mache ich das richtig? Klappt das?“
Das ist das „Schaffen“, das Paulus meint, wenn er sagt: „Ihr werdet selig mit Furcht und Zittern.“ Aber gerettet werden sie doch nicht, weil die Leuchtrakete oder der Streichholzanzünder gezündet hat. Das war bloß der Berührungspunkt.
Sie wurden vom Schiff dann plötzlich gesehen, die haben sie gerettet, sie haben sie rausgezogen. Dass ich gerettet bin, ist ein Wunder Gottes. Aber da muss ich mit Furcht und Zittern den Punkt schaffen, dass Christus mein Leben trifft.
Und das ist der Punkt, wo Paulus sagt: Da muss ich ganz arg dabei sein.
Die Herausforderung des Glaubensalltags und die Notwendigkeit der Treue
Warum kommen viele Menschen nicht zur Erkenntnis Christi? Das liegt nicht an Christus und auch nicht am Heiligen Geist. Vielmehr wollen sie von der Sünde nicht lassen. Sie möchten sich nicht von liebgewonnenen Dingen trennen, obwohl sie wissen, dass diese böse sind.
Wenn sie nicht ihre tägliche Gebetsstille und Bibellese pflegen, können sie im Glauben nicht bleiben. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen man versäumt, im Glauben zu wachsen. Das ist vergleichbar mit dem Anzünden einer Leuchtrakete: Es ist ganz entscheidend wichtig, dass man dabei bleibt, festhält und erkennt, was der Herr einem jetzt geben will. Gott wirkt beides: Er wirkt in uns und durch uns.
Gleichzeitig darf uns das aber nicht untätig machen. Oft entsteht der Eindruck, dass eine Predigt gehalten wird und man dann sagt: „Gott muss das alles in uns wirken.“ Man hat schon so viel gehört, dass man fast denken könnte, man könne nichts dazu tun, und alles sei ein reines Gnadengeschenk. Das ist aber nicht wahr.
Sicher, man kann sich den Himmel nicht erkaufen – das haben die Reformatoren betont. Doch wie gründlich hat Luther gekämpft! Er widmete sich zuerst der Frage, was gut ist, versuchte ein gerechtes Leben zu führen und das mönchische Ideal zu verwirklichen, bis er das Evangelium wirklich begriff.
Wenn dann Leute sagen, das sei Buddhismus, dann sollen sie doch Buddhisten werden, aber nicht so etwas Falsches behaupten. Man muss im Leben erkennen, dass unser irdisches Leben kurz ist. Die buddhistischen Mönche ziehen sich Monate lang in Klausur zurück, tragen ihre gelben Kutten und üben sich in strenger Askese. Andere pilgern nach Mekka. Man muss sich entscheiden, denn so billig, wie heute im nachchristlichen Zeitalter geglaubt wird, funktioniert das auf keinen Fall.
Es gibt kein Volk der Welt, das es sich so leicht macht. Denken Sie an die blutigen Opfer der Mayas oder Azteken, die sich für die Versöhnung ihres Lebens opferten. Was tun Menschen heute in animistischen Kulten oder im Hinduismus? Sie baden im Ganges, um sich zu reinigen, und bringen Blumen dar. Auch Fakire üben strenge Askese. Das ist kein Spaß, sondern ernst gemeint.
Wenn es etwas gibt, dann ist es notwendig, aus dem Bösen herauszukommen. Das haben eigentlich alle Religionen erkannt. Auch im christlichen Glauben darf keine Lässigkeit herrschen, die denkt, das Heil falle einem einfach so in den Schoß. Manche sagen: „Das dürfen Sie nicht falsch verstehen, ich habe die Gnade nie so erlebt wie Sie.“ Dann muss man sagen: „Das haben Sie falsch verstanden, erzählen Sie es mal anders.“ Auch ich habe gezweifelt, aber ich habe gemerkt, dass ich von bösen Dingen lassen muss. Erst dann habe ich die Bibel wirklich verstanden und begonnen, gehorsam zu leben.
Das ist der Kern: „Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt.“ Gott will, dass wir aktiv werden. Nicht um uns den Glauben zu verdienen, sondern weil wir zupacken müssen. Heute muss man alles daran setzen, im Glauben zu wachsen.
Was bedeutet „mit Furcht und Zittern“? Es heißt nicht, dass man ständig erschüttert sein muss, aber man soll sich bewusst sein, dass viele Menschen aus dem Glauben gefallen sind. Menschen aus dem eigenen Bekanntenkreis, die einst im Jugendbibelkreis waren, haben ihre Berufung verloren. Sie haben die Welt lieb gewonnen, sind reich oder berühmt geworden und haben den Glauben vernachlässigt.
Früher kämpften wir in unserem Jugendkreis dafür, dass Idole wie der Rennfahrer Karl Kling oder der Rennleiter Neubauer zu uns kamen. Sie sagten uns, sie seien auch einmal im CVJM gewesen, doch später haben sie den Glauben nicht mehr gelebt. Viele haben den Glauben einmal ergriffen, aber wegen beruflicher Karriere oder anderer Gründe beiseitegeschoben.
„Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern“ darf uns nicht untätig machen. Es ist ein reines Gnadengeschenk, aber wir müssen darum kämpfen. Ebenso müssen wir um die Vergebung unserer Schuld kämpfen. Wir können uns die Vergebung nicht erarbeiten, aber weil sie so kostbar ist – der Herr hat sich für unsere Schuld zu Tode geblutet –, macht uns das aktiv. Wir wollen mit Fleiß alles meiden, was das Opfer Christi erneut nötig machen würde, und ihm treu leben.
Das muss man einmal begriffen haben, um zu erkennen, wie falsch viele Lehren sind. Unser Fleisch interpretiert oft alles falsch. Deshalb ist es nicht wahr, dass wir nichts dafür können. Doch wir können auch etwas dafür, obwohl es Gottes Gnade ist.
Wenn das Evangelium verkündet wird, dürfen wir allen sagen, die sich versammeln: „Hier ruft euch der Herr, erbreitet die Arme aus, kommt zu mir!“ Es ist absurd zu sagen: „Dann bin ich eben nicht erwählt.“ Manche psychisch kranke Menschen sagen so etwas, aber das ist eine Krankheit, die medizinische Hilfe braucht.
Der Herr ruft immer wieder und hat auch die Pharisäer und Schriftgelehrten gesucht. Er hat niemanden von vornherein ausgestoßen. Deshalb darf die Erwählung für uns ein Trost sein. Vielleicht werden wir sie in der Ewigkeit besser verstehen, denn Gott ist vielleicht anders, als wir es uns vorstellen.
Ganz wichtig ist heute: Wir dürfen das Evangelium verkünden. Es steht in der Bibel, dass Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Deshalb gibt es für mich keine Grenzen der Evangeliumsverkündigung.
Solange ich lebe, möchte ich keinen Menschen abschreiben. Aber ich sage auch: Ihr müsst etwas dazu tun. Ihr könnt nicht einfach die Augen schließen und schlafen. Ihr müsst euch damit beschäftigen, darüber nachdenken und arbeiten, auch wenn es ein reines Gnadengeschenk ist.
Das ist das Paradox, das sich nicht auflösen lässt. Es ist wichtig, auf diesem Grad zu bleiben. In der Kirchengeschichte gab es viele Gruppen, die das aufgelöst haben. Die einen sagten, man könne nichts dazu tun. Interessant ist die Zeit der Orthodoxie, vor der Erweckungsbewegung des Pietismus. Dort gab es viele bedeutende Theologen, die umfangreiche Bücher über die Erwählung geschrieben haben.
Ein Beispiel ist Flavius Illyrikus aus dem heutigen Jugoslawien. Er war ein großer Streiter und betonte, dass der Mensch bei der Bekehrung wie ein Stein sei und nichts tun könne. Er wollte der Gnade alle Ehre geben, aber er verirrte sich in dieser Lehre. Man darf nicht vergessen, dass wir auch unsere Ohren öffnen und hören dürfen. So ist das biblische Zeugnis nicht ganz richtig, wenn man sagt, der Mensch könne gar nichts tun.
Auf der anderen Seite gibt es viele Gruppen, die das Evangelium wie eine menschliche Mechanik behandeln. Sie sagen, wenn jemand nur richtig will, dann kann und muss er jetzt gerettet werden. Das ist auch Unsinn und oft fehlt dabei die Barmherzigkeit.
Manche behaupten, alle hätten die Gelegenheit gehabt, und wenn sie nicht glauben, sind sie selbst schuld. Dann können sie sich zurücklehnen und bequem sein. Das ist nicht möglich. Es ist schwierig, immer auf diesem Grat zu bleiben.
Paulus spricht für uns und unseren Dienst und möchte unser Herz stärken. Es ist eine wunderbare Sache. Wenn meine Gedanken heute Abend nicht ganz klar waren, so ist das nicht schlimm. Ich habe 1984 eine Predigt über 1. Korinther 12 und 13 gehalten, in der ich noch einmal erklärte, dass unser Wille gefordert ist und Gott beides wirkt. Das gefällt Gott und ist sein Wohlgefallen.
Mit „Furcht und Zittern“ muss ich als Gläubiger wissen, dass man verloren gehen kann. Obwohl ich sage, dass mich nichts aus der Hand Jesu reißen kann, muss ich vorsichtig sein. Paul Humburg sagte einmal, man könne sich sogar in einem Rettungsseil erhängen. Das Rettungsseil ist nicht dafür da, aber wenn man ungeschickt ist, kann man sich darin verfangen.
So ist das auch im christlichen Glauben: Das Evangelium ist ein herrlicher Trost, aber man kann es so falsch auslegen, dass es am Ende zum „Deckel der Bosheit“ wird. Wie viele haben sich darauf verlassen und sind gefallen?
Der Heidelberger Katechismus ist eine wunderbare Glaubenslehre, die auch heute noch hilft. Dort heißt es: Macht dieses Evangelium nicht zu einer Ausrede für ein sündiges Leben. Doch viele haben es so verstanden, dass man als Christ keine Furcht mehr zu haben braucht und mit der Konfirmation alle Pflichten erfüllt sind. Das ist Unsinn.
Denn es steht geschrieben: „Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern!“ Prüft euch jeden Tag, ob ihr wirklich beim Herrn seid oder schon wieder in den Fängen des Teufels. Das ist eine ernste Aufforderung.
Paulus spricht diese Worte aus dem Gefängnis, aber es ist eine herrliche Botschaft, weil er weder die Gnade noch unsere Verantwortung wegnehmen will.
Dies waren einige Gedanken. Es gäbe noch viel mehr zu sagen, aber es gibt auch andere Gelegenheiten, darüber zu sprechen.
Warnung vor falscher Auslegung und Selbsttäuschung
Und das muss man einmal begriffen haben, damit man merkt, wie diese falsche Lehre einfach in unserem Kopf verankert ist. Unser Fleisch ist immer so, dass es sofort falsch interpretiert.
Darum ist es auch nicht wahr, wenn jemand sagt: „Ich kann doch nichts dafür“ und so weiter. Doch, ich kann auch etwas dafür, obwohl ich vorher gesagt habe, dass es Gottes Gnade war. Wenn das Evangelium erklingt und in dem Augenblick, in dem ich es verkünde, darf ich allen, die sich dort versammeln – hier oder am Sonntag –, zusagen: „Jetzt ruft euch der Herr, er breitet die Arme aus, kommt her zu mir!“
Deshalb ist es absurd, wenn jemand sagt: „Dann bin ich eben nicht erwählt.“ Es gibt ja sogar psychisch kranke Menschen, die sagen: „Da kann ich eben nichts dafür, ich gehöre sicher zu Judas.“ Ich will heute Abend nicht auf dieses Thema eingehen. Das ist eine Krankheit, da braucht man Medizin, das hilft nichts.
Denn der Herr ruft immer wieder und sagt: „Es ist da.“ Ich würde sogar sagen, dass der Herr Jesus alle gesucht hat, auch die Pharisäer und die Schriftgelehrten. Er hat keinen von vornherein ausgestoßen.
Deshalb darf ich die Erwählung dort lassen, wo sie für mich ist – als einen Trost. Vielleicht werde ich das später in der Ewigkeit besser verstehen. Ich denke, dass Gott vielleicht doch ein bisschen anders ist als ich.
Die universelle Einladung und die Verantwortung des Menschen
Ganz wichtig ist mir: Heute darf ich das Evangelium verkünden. In der Bibel stehen auch Sätze wie: Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und dass alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Deshalb gibt es für mich keine Grenzen bei der Verkündigung des Evangeliums.
Solange ich lebe, möchte ich keinen Menschen abschreiben. Gleichzeitig möchte ich den Menschen sagen, dass sie natürlich auch etwas dazu tun müssen. Sie können nicht einfach nur dasitzen, die Augen schließen und sagen: „Jetzt schlafe ich halt.“
Man muss sich darum kümmern, darüber nachdenken und sich damit auseinandersetzen, auch wenn es ein reines Gnadengeschenk ist.
Jetzt verstehen Sie, was ich meine: Es lässt sich nicht auflösen und auch nicht anders ausdrücken als in diesem Paradox. Es ist immer wieder wichtig, auf diesem Grad zu bleiben.
Die Gefahr von Extrempositionen in der Kirchengeschichte
In der Kirchengeschichte gab es viele Gruppen, die das Thema auf unterschiedliche Weise behandelt haben. Manche haben es einfach abgetan und gesagt, sie könnten gar nichts dazu beitragen.
Interessant ist die Zeit der Orthodoxie, also die Zeit vor der Erweckungsbewegung des Pietismus. Dort gab es viele großartige Persönlichkeiten, die beeindruckende Bücher geschrieben haben. In der Bibliothek, gebunden in Schweinsleder, finden sich vielleicht zwanzig Bände allein zum Thema Erwählung. Die damaligen Bücher waren von großem Wert.
Im Gebiet des heutigen Jugoslawien, damals Illyrien genannt, lebte Flavius Illyrikus. Er war einer der bedeutendsten Streiter dieser Zeit. Damals gab es heftige Auseinandersetzungen darüber, was der Mensch eigentlich zur Bekehrung beitragen kann. Kann er überhaupt etwas tun?
Flavius Illyrikus war so überzeugt, dass er sagte: Der Mensch ist bei der Bekehrung wie ein Stein, er kann überhaupt nichts tun. Das war kein Unsinn, sondern eine Überzeugung, die er aus der biblischen Lehre zog. Er wollte allen Ruhm der Gnade zuschreiben. Doch dabei geriet er etwas zu weit in seine Interpretation.
Man merkt, dass diese Sicht nicht ganz dem biblischen Zeugnis entspricht. Denn auch wir müssen etwas tun. Wir sind ja keine Steine. Wir dürfen unsere Ohren öffnen und hören. Dennoch wollte er wirklich die Ehre der Gnade betonen und meinte es gut.
Hier sieht man, wie in der Orthodoxie manche Lehren schief gelaufen sind. Man kann sich in seinen Theorien extrem festlegen, und dann merkt man irgendwann, dass es nicht mehr mit der Schrift übereinstimmt. Das liegt an unserem Denken, das manchmal nicht ganz passend ist.
Auf der anderen Seite gibt es viele Gruppen, die in die Gefahr geraten, das Ganze wie eine menschliche Mechanik zu behandeln. Sie haben eine Evangelisationspraxis, die sagt: Wenn jemand nur richtig will, dann kann und muss er jetzt.
Das ist natürlich auch Unsinn. Solchen Gruppen fehlt oft die Barmherzigkeit. Es gibt sogar furchtbare Fälle, in denen gesagt wird: Die Leute hatten alle Gelegenheit. Dann verteilen wir einen Traktat in alle Briefkästen und sagen: So, jetzt habt ihr es gehört, ihr seid selbst schuld. Dann kann ich mich wieder zurückziehen und bequem auf meinem Sessel sitzen.
Das ist aber nicht möglich, denn es ist schwierig, immer auf dem richtigen Grat zu bleiben. Paulus spricht für uns und unseren Dienst. Er möchte unser Herz stärken. Das ist eine wunderbare Sache.
Abschluss und Ausblick
Heute Abend ist zwar alles andere ausgefallen, aber das macht gar nichts. Wir haben die Verse zwölf und dreizehn stehen lassen, weil meine Gedanken heute Abend nicht ganz klar waren.
Im Jahr 1984 habe ich eine Predigt über die Verse zwölf und dreizehn gehalten. Darin ging es noch einmal darum, dass unser Wille gefordert ist, Gott aber beides wirkt. Das gefällt Gott, das ist sein Wohlgefallen. Er sagt sein Ja dazu. Wenn es jemanden interessiert, können wir einige Gedanken von damals noch einmal kopieren. Dort habe ich versucht, das Thema klar darzulegen: Mit Furcht und Zittern muss ich als Gläubiger und Bekehrter wissen, dass man verloren gehen kann.
Obwohl ich sage, es ist wunderbar, dass mir bezeugt wird, dass mich nichts aus der Hand Jesu reißen kann, muss ich trotzdem wissen, dass man sich auch verlieren kann. Ich glaube, das ist auch bei Paul Humburg so: Man kann sich sogar an einem Rettungsseil erhängen. Das ist ein tolles Bild. Das Rettungsseil ist eigentlich nicht dazu da, aber wenn man es ganz ungeschickt anstellt, kann man sich darin erhängen.
So gibt es auch Dinge im christlichen Glauben. Das Evangelium ist ein herrlicher Trost, aber man kann es auch so absurd auslegen, dass es am Ende zum "Deckel der Bosheit" wird, wie Paulus sagt. Und wie viele Leute haben sich darauf frech verlassen!
Im Heidelberger Katechismus, dem kleinen Katechismus, der von den Lutherischen erwähnt wird, gibt es eine wunderbare Erklärung des Glaubens, die auch von den Reformierten geschätzt wird. Das ist übrigens eine große Hilfe, wenn man eine Glaubenslehre hören möchte. Der kleine Katechismus mit seiner Gebotsauslegung, mit Erklärungen zu Gebet und dem Vierfachen Grenzlein – aber auch der Heidelberger Katechismus sind wunderbar.
Dort heißt es: Macht dieses Evangelium nicht zu einem Anlass für verruchte Leute. Doch, es hat viele verruchte Leute gemacht. Man sagt: Als Christ brauchst du gar nichts mehr zu fürchten. Mit der Konfirmation hast du alle Pflichten erfüllt. Jetzt kannst du bis zu deinem Sterben drauflosleben und brauchst niemanden mehr danach zu fragen. Das ist Wahnsinn!
Denn hier steht: Schafft, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Prüft euch jeden Tag, ob ihr wirklich beim Herrn seid oder ob ihr schon längst wieder in den Fängen des Teufels seid. Da muss ich mich ernsthaft prüfen.
Das sagt Paulus in dieser schönen Freudenbotschaft aus dem Gefängnis heraus. Es ist eine herrliche Botschaft, weil er nichts von der Gnade wegnimmt und doch auch nichts von unserer Verantwortung.
Das waren einige Gedanken dazu. Es gäbe noch viel mehr zu sagen, aber es gibt ja noch andere Tage, an denen man darüber reden kann.