Osterleute sind am Sonntag Quasimodogeniti, dem ersten Sonntag nach Ostern, anders. Osterleute leben in einer neuen Wirklichkeit. Denn Ostern brachte ihnen ein großartiges Erbe. Als reiche Erben sagen sie: Wir sind wie neu geboren. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Der Nachbar war im Schiurlaub. Braungebrannt kehrt nach Hause zurück. Mit Schwung geht es wieder an die Arbeit. Der Schnee in den Bergen war pulvertrocken, das Wetter in den Alpen konnte nicht idealer sein und das Essen im Hotel hatte nur zwei Fehler, dass es zu gut und zu viel war. Freudestrahlend ruft er über den Gartenzaun: Ich bin wie neu geboren. Der Kollege war im Krankenhaus. Noch etwas bleich steigt er aus dem Taxi. Aber wieder ganz aufrecht trägt er seine Tasche. Die Operation am offenen Herzen war gelungen, die Bypässe am Herzmuskel erfüllen ihre Funktion und die Druckbeschwerden sind wie weggeblasen. Lachend winkt er zum Fenster herauf: Ich bin wie neu geboren. Der Freund war im Examen. Überglücklich zieht er sein Zeugnis aus der Tasche. Zentnerschwere Bleigewichte sind von ihm abgefall­en. Die Hausarbeit war zu packen, die Klausuren gingen nicht daneben und die Prüfer erwiesen sich als Philanthropen. Stolz wie ein Pfau winkt er mit seinem Diplom: Ich bin wie neugeboren.

Der heutige Sonntag heißt Quasimodogeniti, zu deutsch: wie neu geboren. Menschen waren an diesem Sonntag anders als vorher. Menschen fühlten sich an diesem Sonntag besser als früher. Menschen lebten in einer neuen Wirklichkeit: Wir sind wie neu geboren. Dabei kamen sie nicht vom Schiurlaub. Sklaven sind angesprochen, die den Begriff und die Sache Urlaub gar nicht kannten und froh sein mussten, wenn ihnen ein kurzer Feierabend vergönnt war. Trotzdem, im Sklavenschurz, sagten sie: Wir sind wie neu geboren. Dabei kamen sie nicht vom Krankenhaus. Fremdarbeiter sind ange­sprochen, die keinen Anspruch auf Hilfe hatten und im Krankheits­fall von ihrer Herrschaft weggeschickt wurden. Trotzdem, im Armenstand sagten sie: Wir sind wie neu geboren. Dabei kamen sie nicht vom Examen. Verachtete und Gemiedene sind angesprochen, die bestenfalls bei Muttern das ABC lernen konnten. Trotzdem, in der untersten Schublade der Gesellschaft angesiedelt, sagten sie: Wir sind wie neu geboren. Also Leute, die nicht vom Urlaub, vom Krankenhaus oder vom Examen kamen, sondern von Ostern.

Osterleute sind an diesem Sonntag anders als früher. Osterleute fühlen sich an diesem Sonntag besser als vorher. Osterleute leben in einer neuen Wirklichkeit, einfach deshalb, weil ihnen Ostern mehr brachte als einen selbstgebackenen Osterhasen, der den Nachmittagskaffee nicht überlebte, mehr als eine schön verpackte Pralinenschachtel, die für die Familie doppelt so groß hätte sein können, mehr als ein bunter Frühlingsstrauß, der in der Zimmerwärme bald trauerte. Ostern brachte ihnen ein Erbe. Sie haben richtig gehört: ein großartiges Erbe, das sie mit einem Schlag zum Krösus machte. Als reiche Erben sagten sie: Wir sind wie neu geboren.

Nun löst bei uns das Erbe nicht immer Jubel aus. Der Erbstreit ist der Erbfeind des Familienfriedens. Viele sehen beim Erben alt aus, nicht wie neugeboren. Deshalb stellen wir dem Apostel die erste Frage:

1. Was gibt es zu erben?

Zuerst denken wir an Geld. Irgendwo lagern ein paar tausend Mille und die werden meinem Konto gutgeschrieben. Statt Schuldzinsen für meinen Kredit zu zahlen, lebe ich locker von meinen Sparzinsen. Aber wenn das Geld weniger wird, wenn die Währung inflationiert, wenn die DM bei der Umstel­lung auf ECU ganz kaputtgeht, ist dann immer noch Freude angesagt? Geld ist vergänglich und deshalb verspricht der Apostel kein Geld. Dann denken wir beim Erbe an Schmuck. Es muss ja nicht gleich ein hochkarätiger Welfenschatz sein. Trotzdem würde mir ein Fingerring aus Feingold mit Edelsteinen und Perlen in reicher Filigranfassung gut anstehen. Aber wenn der Schmuck nicht sicher ist, wenn das Gold aus der Schublade heraus verschwindet, wenn die Ringe plötzlich Langfinger zieren, ist dann immer noch Freude angesagt? Schmuck ist vergänglich und deshalb verspricht der Apostel keinen Schmuck. Dann denken wir beim Erbe an ein Haus. Keine Angst mehr vor Mieterhöhung und keine Furcht mehr vor der Kündigung. Endlich in den eigenen vier Wänden wohnen können. Aber wenn der Straßenlärm immer unerträglicher wird, wenn die Treppen zu steil werden, wenn die Renovierung und Sanierung kommt, ist dann immer noch Freude angesagt? Ein Haus ist vergänglich und deshalb verspricht der Apostel auch kein Haus.

Petrus verspricht Leben. Petrus verkündigt ganzes, richtiges, vollkom­menes Leben. Das Erbe der Christen ist ewiges Leben. Es ist unvergänglich, sagt Petrus. Das bedeutet nicht, dass unser altes Leben um eine bestimmte Frist verlängert wird, so nach dem Motto: Christen leben länger. Je nach Frömmigkeitsgrad bekommt der eine einen Zuschlag von 12 Monaten und der andere eine Gutschrift von 5 Jahren. Hohes Alter ist nicht unbedingt begehrenswert. Neues Leben ist angesagt, das nicht vergeht, nicht dahinfährt wie ein Schatten, nicht die Schmerzen und Lasten des Alters kennt. Das Erbe der Christen ist ewiges Leben. Es ist unbefleckt, sagt Petrus. Das bedeutet nicht, dass unser altes Leben geputzt, gewienert und poliert wird. Für viele dunkle Stellen gibt es kein Fleckenwasser, das sie vergessen machen könnte. Schuld kann nicht vergessen, nur vergeben werden. Neues Leben ist angesagt, das unbefleckt und unbelastet ist. Das Erbe der Christen ist ewiges Leben. Es ist unverwelklich, sagt Petrus. Das bedeutet nicht, dass unser altes Leben neue Blüten treibt. Der Psalmist behält recht: Unser Leben ist wie Gras, das am Morgen blüht und sprosst, und des Abends welkt und verdorrt. Neues Leben ist angesagt, ohne Abend und Nacht. Das Erbe der Christen ist ewiges Leben.

Ich besuchte einen sterbenden Freund. Nur gedämpftes Licht fiel durch die zugezogenen Vorhänge. Schwach, aber hellwach lag er in seinen Kissen. Was wäre ich für eine armselige Type gewesen, wenn ich in diesem Augenblick von einem Batzen Geld oder von einem goldenen Ring oder einem schmucken Haus gefaselt hätte? Ich nahm seine Hand und las ihm aus 1. Petrus 1: “Gelobt sei Gott, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt ist im Himmel für ihn: Du wirst leben.” Dann ging ein Freuen über sein Gesicht und der Sterbende war wie neugeboren.

Was es zu erben gibt? Neues Leben.

Aber, und das ist die zweite Frage, die wir uns stellen:

2. Warum gibt es zu erben?

Geld gibt’s, weil ich vielleicht verwandt bin. Der Onkel hatte keine Nachkommen und vermachte sein ganzes Vermögen mir. Ich wurde als Erbe eingesetzt. Und Schmuck gibt’s, weil ich vielleicht familiäre Beziehungen hatte. Die Großtante schrieb ein Testament und teilte den Schmuck mir zu. Das war ihr letzter Wille. Und ein Haus gibt’s, weil ich vielleicht gut geheiratet habe. Die Frau brachte das Anwesen mit in die Ehe und überschrieb es mir. So bin ich glücklich und reich geworden. Zum Erben braucht es ein enges Verhältnis zum Erblasser, auch beim Erbe des ewigen Lebens.

Gott ist ein reicher Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, Besitzer der himmlischen und irdischen Güter, Herr des zeitlichen und ewigen Lebens. Zu ihm haben wir von Natur aus keine Verbindung mehr, weil wir blutsmäßig zum Geschlecht Adams gehören, das selber Gott sein wollte. Jetzt leben wir in der Abhängigkeit des gött­lichen Erbfeindes, der uns mit dem ewigen Tod beerbt. Nun aber hat dieser reiche Gott eine alles verändernde Initiative ergriffen. Durch einen Rechtsakt setzte er seinen einzigen Sohn Jesus Christus zum Erben über alles ein (so Hebr.1,2). Er sollte jedoch mit diesem gütlichen Schatz nicht allein glücklich werden, sondern andere glücklich machen. Der Alleinerbe suchte Miterben. Deshalb ging er nach Bethlehem, aber da war kein Platz in der Herberge. Deshalb ging er nach Nazareth, aber die sagten: Was kann von Nazareth Gutes kommen? Deshalb ging er nach Jerusalem, aber die schrien: Kreuzige ihn! Deshalb ging er nach Golgatha, aber die glaubten: Da gibt’s nichts zu erben. Nur ein paar Wenigen gingen die Augen auf und sie sahen den Auferstandenen mit den durchbohrten Händen. Nur ein paar Wenigen gingen die Ohren auf und die hörten den Auferstandenen: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Nur ein paar Wenigen ging der Mund auf und sie sangen: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder heißen sollen. Sie wurden angenommen, aufgenommen in die göttliche Familie, hineingenommen in den Kreis der Miterben des ewigen Lebens.

Liebe Freunde, dieser Kreis ist keine geschlos­sene Gesellschaft. Diese Familie will Großfamilie werden. Gott liebt’s kinderreich. Wer seinen stolzen Kopf vor ihm beugt, wer sein verschlossenes Herz ihm öffnet, wer sein beladenes Gewissen ihm bekennt, wer seine leeren Hände ihm entgegenstreckt und sagt: “Nichts habe ich zu bringen, alles, Herr bist du!”, der wird Familienmitglied Gottes, der kommt in eine gute Familie, der braucht sich seiner Verwandtschaft nicht mehr zu schämen, der hat nicht nur einen Vetter, sondern einen Bruder im Himmel, der ihm das ewige Leben vererbt.

Warum’s zu erben gibt? Weil es Jesus gibt.

3. Wann gibt es zu erben?

In den meisten Fällen steht das Erbe nicht zur Abholung bereit. Zwar hat mir der Onkel das Geld ver­macht, aber erst nach seinem Tod wird es überwiesen. Zwar hat mir die Großtante den Schmuck zugesagt, aber erst nach ihrem Ableben geht er in meinen Besitz über. Zwar hat mir der zukünftige Schwiegervater ein Haus gebaut, aber erst nach der Heirat werde ich stolzer Besitzer. Auf das Erbe muss man warten, auf jedes Erbe muss man warten, auch auf das göttliche Erbe. Das neue Leben steht nicht zur Abholung bereit. Der Himmel ist kein Abholmarkt. Es wird, und so schreibt es der Apostel, aufbewahrt im Himmel für euch. Erst in der letzten Zeit wird es uns vermacht. Erst am jüngsten Tag wird es in unseren Besitz übergehen. Erst bei der Auferstehung der Toten werden wir uns über dieses neue, kraftvolle, unsterbliche Leben wie Kinder freuen. Bis dahin jedoch sind wir nicht auf Rosen gebettet. Je mehr unser Glaube daran Ernstfall und nicht Verlegenheitslösung ist, je mehr unser Christsein Umkehr und nicht zeitliche Begleitmusik zur Allerwelts­musik ist, je mehr unser Gotteskindschaft Gehorsam und nicht Tapete über gelebte Gottlosigkeit ist, je mehr werden wir es mit Anfechtungen zu tun bekommen. “Wir müssen dem Teufel täglich in die Spieße laufen”, sagt Luther, weil er als Erbfeind keinem das Erbe gönnt. Aber Petrus sagt: “Es ist eine kleine Zeit.” Wenn wir von Fragen angefochten sind, wie lange noch in unserer Welt das Schießen und Morden und Quälen anhält, so gilt: “Es ist eine kleine Zeit.” Wenn wir von Zweifeln angefochten sind, wie lange noch in unserer Kirche die Glaubwürdigkeit der Schrift und die Einzigartigkeit Jesu infrage gestellt werden dürfen, so gilt: “Es ist eine kleine Zeit.” Wenn wir von Sorgen angefochten sind, wie lange noch in unserer Familie die unerträglichen Spannungen und bösartigen Verletzungen andauern werden, so gilt: “Es ist eine kleine Zeit.” Wenn wir von Schmerzen angefochten sind, wie lange noch in meinem Leben die schleichende Krankheit Stück um Stück der Lebenskraft zerstört, gilt: “Es ist eine kleine Zeit.” Ja, das ganze Zwischenspiel zwischen Ostern und Wiederkunft Jesu ist nach Gottes Uhr eine kleine Zeit. Darin schützt er seine Leute, darin bewahrt er seine Leute, darin trägt er sie durch bis zum Erbtag des ewigen Lebens.

Wann’s zu erben gibt? Zur letzten Zeit.

Liebe Freunde, Christen sind wie neu geboren, weil sie lachende Erben sind.

Amen