Dankbarkeit für das Leben und die Gemeinschaft mit Christus
Du großer Christus Jesus, du mildtätiger, erbarmungsreicher Heiland! Wir danken für jeden neuen Tag. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir diese Dankbarkeit empfinden und für ein neues Lebensjahr bei unserem Bruder danken dürfen.
Aber spätestens seit gestern Abend ist uns neu klar geworden, was es bedeutet, dass wir zu dir Du sagen dürfen. Dass du dich so fest mit uns, mit jedem von uns, verbündest und verbindest, sodass das unser ganzes Leben bereichert und zum Reichtum wird. Hilf uns dazu auch durch die Betrachtung deines Wortes. Amen!
Liebe Schwestern und Brüder, mein Name ist Rolf Schäffbuch. Ich freue mich, dass ich zu dieser Seniorenfreizeit eingeladen wurde. Wenn ich mich allerdings umschaue, wundere ich mich, dass Sie Senioren sein sollen.
Es ist ja bei Senioren eigentümlich. Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so gegangen ist in den letzten Tagen, als Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt wurde – mit 78 Jahren. Da wurde ich fast neidisch und dachte, ich mit 74 werde nicht mehr gebraucht, außer in der langen Steinbacher Höhe.
Die Herausforderungen des Alters und der Ruhestand
Es ist die Armut, die im Ruhestand erschrecken kann: dass man plötzlich nicht mehr gebraucht wird.
Bis in die Ludwig-Hofacker-Vereinigung hinein, in der ich über zwanzig Jahre lang Vorsitzender sein durfte – einer gemeinsamen Plattform aller schwäbisch-pietistisch-evangelikalen Aktionen und Werke – merkt man plötzlich, dass die Jüngeren sagen: „Sei nur ruhig, du darfst bei der Sitzung dabei sein, aber deine Erfahrungen zählen heute nicht mehr.“
Die Herausforderungen, die man früher hatte: Nachts habe ich das Fenster offenstehen lassen, damit ich all die Rufe höre, die an mich ergehen, damit ich keinen auslasse. Und jetzt braucht mich niemand – außer langsteinbar Höhe. Die Kraft wird schwächer. Was hatte ich früher für schöne Haare auf dem Kopf, jetzt ist da bloß noch Haut. Und bis zu den Füßen denkt man immer, man hätte schlechte Schuhe gekauft, weil sie so drücken. Doch der Arzt sagt: „Nein, nein, es sind die Füße, die Knochen.“
Wenn unser äußerer Mensch verfällt und verdirbt, gehört dazu ja auch sehr viel Seelisches. Früher konnte man durch Benehmen manches überspielen, was man an Zorn und Ungeduld hatte. Jetzt bricht es auf. Deshalb haben wir auch Angst, wenn wir an manche Menschen im Pflegeheim denken – wie viel Ungeduld da herauskommt, wie viel Zorn, wie viel Ungebärdigkeit.
Ich möchte doch nicht so werden, dass die Widerstandskraft bei mir auch dann nachlässt, dass die Risse in meinem Wesen immer größer werden. Die Armut des Älterwerdens.
Die Bedeutung der älteren Generation in der Kirche
Und dann heißt es immer wieder, in der kirchlichen Gemeinschaft seien so viele alte Leute. Natürlich, wir sind die Wichtigsten. Wir sind in der letzten Stufe vor der Ewigkeit. Rein soziologisch gesehen sind wir die größte Gruppe in der Bevölkerung.
In meiner Jugend, wenn es in der Kirche hieß, aus unserer Gemeinde sei jemand im Alter von 64 Jahren verstorben, dachte man damals, da sei auch nicht die Hebamme schuld. Heute hingegen steht in der Zeitung: „Nach Gottes unerforschlichem Ratsschluss ist ganz plötzlich unser lieber Vater, Großvater, Urgroßvater im Alter von 94 Jahren abgerufen worden.“
Für einen jungen Menschen mit achtzehn Jahren sind alle über fünfunddreißig alt. Aber rein in der Bevölkerung muss natürlich auch in der Kirche, in der Gemeinschaft, der Anteil der 35- bis 90-Jährigen groß sein.
Doch diese Abwertung betrifft auch die Alten, die Senioren. Wir sprechen ja schon gar nicht mehr von den Alten, sondern von den Älteren. Wenn einer uns versteht, dann unser Heiland und Erbarmer Jesus Christus.
Die Gnade Christi und die Armut als Quelle des Reichtums
Ich möchte heute mit Ihnen ein Wort betrachten, und zwar aus 2. Korinther 8. Ich bitte Sie, diese Stelle aufzuschlagen. Es handelt sich um einen Aufruf zu einer Kollekte, zu einer Geldsammlung. In den meisten Bibeln ist dieser Abschnitt fett gedruckt, besonders Vers 9.
Dort heißt es: „Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Obwohl er reich war, wurde er doch arm um eureretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Korinther 8,9).
Jesus wurde arm. Er kam arm auf die Erde, um sich unserer zu erbarmen. Viele Geschichten und Berichte im Neuen Testament zeigen, wie sehr Jesus die Menschen verstanden hat. Denken wir an die Witwe am Stadttor von Nain, die ihren einzigen Sohn begraben musste, oder an die andere Witwe, die gerade noch ihre zwei Schärflein in den Opferkasten geworfen hat – sie hat mehr gegeben als alle anderen.
Der Herr Jesus versteht unsere Armut, auch unsere Armut als Senioren. Wir können uns oft niemandem anvertrauen. Wir spüren, wie wir schwächer werden, wie uns manche Namen und Begriffe nicht mehr einfallen. Wir wagen es nicht mehr, eine weite Reise anzutreten, weil wir uns fragen, ob wir das durchstehen.
Und dann sagen andere: „Du siehst doch noch sehr gut aus, du bist doch noch ganz gut beieinander für dein Alter.“ Jesus aber versteht, was uns belastet. Noch mehr aber will er uns, die wir uns oft selbst arm vorkommen, reich machen.
Er wurde arm um eureretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet.
Ökonomische Bilder im Glauben und die Bedeutung der Armut Jesu
Nun, das ist natürlich ein Thema, das die Schotten und auch uns Schwaben besonders interessiert: Wie kann man reich werden? Man sagt ja, wir Württemberger könnten so schlecht schwimmen, weil wir immer so machen, anstatt dass wir so machen.
Es ist interessant, dass in der Bibel sehr oft ökonomische Begriffe, also Begriffe aus dem Geldwesen, benutzt werden, um ganz zentrale Aussagen des Glaubens deutlich zu machen.
Matthäus 20,28 sagt: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einem Lösegeld.“ Wir wissen heute erst wieder, was Lösegeld ist, wenn zum Beispiel für die Familien in Indonesien der Staat 3,5 Millionen Lösegeld zahlt. Sag mal, das ist unser Steuergeld, das wäre auch nicht nötig gewesen – Lösegeld eben.
Oder wenn Jesus die Vergebung vergleicht damit, dass dem großen Schuldner, diesem Verbrecher, mit einem Handstreich alle Schuld erlassen wurde. Der König ließ ihm alles. Oder wenn es im Psalm 119 heißt: „Ich freue mich über dein Wort wie einer, der eine große Beute bekommt.“ Das sind lauter Begriffe des Habens, Geldes, Besitzes.
Oder 2. Korinther 5, wo es heißt: „Er rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu.“ Es ist, als wollten die Apostel, die Propheten und unser Herr Jesus uns an der Empfindung packen, wo es um den Geldbeutel, um den Besitz geht – wo wir besonders hellhörig sind. Die Erlösung ist so etwas, als ob du einen großen Besitz bekommst, als ob Schulden erlassen werden.
Im Kolosserbrief heißt es: Er hat den Schuldschein zerrissen und ans Kreuz gehängt. Wie viele Familien sind heute überschuldet, und die Bank kommt und sagt: Ja, das können Sie nie abzahlen. Und in der Bibel heißt es, er hat den Schuldschein zerrissen – mit dem, was wir nie hätten abzahlen können.
Das sind lauter Begriffe aus dem Geldwesen, um uns klarzumachen, was wir in Jesus haben.
Und so auch hier: „Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus ein wenig.“ Das spielt ja mit der Frage: Kennt ihr sie denn wirklich, ihr in Korinth und ihr auf der Laahöhe? Kennt ihr die Gnade des Herrn Jesus?
„Oh ja, Gott hat uns lieb, Gott hat uns lieb. Er, der reich ist, ist arm geworden wegen euch, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“ Nicht einfach: Gott liebt und liebt und liebt, sondern sehr konkret.
Die paradoxe Armut und Reichtum Jesu
Ja halt, Paulus, hast du dich nicht versprochen, dass wir durch seine Armut reich würden? Das kennen wir: Menschen machen sich selbst arm, um uns durch ihren Reichtum, durch ihre Ersparnisse, reich zu machen.
Ich hatte einen Onkel, der Häuser, Äcker und Baugrundstücke besaß. Doch er lief in den abgetragenen Kleidern seines Schwiegervaters herum, als wären es Kostüme aus dem Theaterfundus. Er fuhr ein Fahrrad, das kurz nach der Erfindung des ersten Fahrrads durch Forstmeister Dreis gebaut worden war.
Jeder aus der großen Familie, erzählte Onkel Albrecht, hat uns die Aussteuer geschenkt und uns das Schlafzimmer gekauft. Die Bilder haben wir von Onkel Albrecht. Er hat 2000 Mark gegeben, damit ich ein Auto kaufen konnte. Bei seiner Beerdigung erzählte jeder, was Onkel Albrecht gegeben hatte. Er wurde arm, damit wir durch seinen Reichtum, durch sein Geld und seinen Besitz, reich würden.
Paulus, hast du dich versprochen, dass wir durch seine Armut reich würden? An manchen Bibelworten stolpern wir gar nicht mehr, doch Paulus will, dass wir ins Stolpern geraten. Wo nichts ist, kann auch nichts herkommen. Von nichts kommt nichts.
Paulus hat sich nicht versprochen. Es gibt ja Fälle, in denen Menschen sich versprechen. Mein erster Chef, Herr Dekan Doktor Seifert in Ulm am Ulmer Münster, ein großer Manager und Seelsorger, hatte ein Lieblingsbibelwort: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“ Doch er hat sich oft versprochen und sagte stattdessen: „Dein Fuß ist meines Fußes Leuchte.“ Wir lächelten darüber, denn wir wussten, was er sagen wollte.
Hat sich Paulus hier versprochen, damit wir durch seinen Reichtum arm würden? Nein, nein, sagt Paulus. Er spricht von der Armut des Herrn Jesus. Ich möchte mit euch über diese Armut sprechen.
Die Lebenswirklichkeit der Armut Jesu
Ach so, ja, da wissen wir einiges über die Armut. Jesus wurde arm, der ewige Sohn Gottes, der die Herrlichkeit des Vaters verließ und die ewige Gegenwart bei Gott aufgab. In Bethlehem gab es nicht einmal ein Notquartier für die gebärende Mutter Maria.
Dann kam der Hass des Königs Herodes, sodass Jesus fliehen musste. Als er aus Ägypten zurückkehrte, gab es keinen Platz in Judäa für ihn, obwohl er aus dem Stamm Juda stammte. In die Stadt Davids, seines Vorfahren, musste er ausweichen ins heidnische Nazareth. Dort wurde er ausgestoßen; man wollte ihn sogar vom Berg hinunterstürzen.
Der Menschensohn hatte keinen Ort, um sein Haupt niederzulegen. Füchse haben ihre Höhlen, Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hatte keine Bleibe. Man beneidete ihm seine Heilungen, dass die Menschen ihm zuhörten und auf ihn bauten. Erkenne die Armut des Herrn Jesus! Siehe, dein König kommt zu dir, arm, steht in Sacharja 9.
Wozu diese Armut? Martin Luther hat das schon treffend ausgedrückt. Ich habe vorhin ein Zitat von ihm gebracht: „Er ist auf Erden kommen arm, dass er unter sich erbarm.“ In einem anderen Lied der Reformation, „Nun freut euch, lieben Christen gemein“, wird es noch deutlicher gesagt:
„Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend ohne Massen.
Er dachte an sein Barmherzigkeit, er wollte mir helfen lassen,
er wandte zu mir sein Vaterherz, es war für ihn, wofür war kein Scherz.
Er ließ sein Bestes kosten, er sprach zu seinem lieben Sohn:
Fahr hin, es ist Zeit zum Erbarmen!
Fahr hin, meines Herzens werte Kron,
und sei das Heil dem Armen,
und hilf ihm aus der Sündennot,
erwürg für ihn den bitteren Tod!
Und jetzt hören Sie:
Und lass ihn mit dir leben!“
Martin Luther hat tief erfasst, was es bedeutet. Wenn der Ratzinger sagt, Jesus sei die Ursache der Spaltung der Christenheit, so irrt er. Nein, da hat endlich jemand das Evangelium erfasst: „Lass ihn, den armen Menschen, mit dir Jesus leben.“ Deshalb ist Jesus auf unsere Erde gekommen und unser Bruder geworden. Damit wird deutlich: Sie und ich sollen mit Jesus leben.
Das müssten wir ja sagen – Entschuldigung – das war vor zweitausend Jahren. Der große Religionsphilosoph Søren Kierkegaard aus Dänemark hat sich immer damit beschäftigt. Wir sind doch nicht gleichzeitig mit jenem Jesus von damals. Aber seine Lösung war rein intellektuell: Jesus hat sich selbst mit uns gleichzeitig gemacht.
Denn die Armut des Herrn Jesus ging ja noch weiter.
Die tiefste Armut Jesu am Kreuz
Die Armut des Herrn Jesus wird übertroffen durch das, was am Kreuz von Golgatha geschehen ist. Gestern hat uns Bruder Morlock einen kleinen Einblick in den Psalm 22 gegeben. Es ist gut, wenn wir diesen Psalm noch einmal in aller Stille lesen – den Psalm, den Jesus am Kreuz gebetet hat: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Jesus ruft in ewiger Gleichgestimmtheit mit dem Vater: „Warum hast du mich verlassen?“ Der Lebensnerv ist für den Heiland durchtrennt. Er schreit, doch seine Hilfe scheint fern. „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute, verachtet vom Volk.“ Alle, die ihn sehen, verspotten ihn, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf.
„Erklage es dem Herrn, der ihm hilft, rette ihn, wenn er wirklich Gefallen an ihm hat.“ „Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; hier ist kein Helfer.“ Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe.
„Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen sind voneinander gelöst. Mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs, meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, meine Zunge klebt mir am Gaumen. Du legst mich in den Staub des Todes.“
Bis heute sind es viele Theologen, sogar kluge Leute, die sich fragen, wie das funktionieren soll – dass jemand gestorben ist und damit die Sünde der Welt erledigt sein soll. Das ist eine jüdische Vorstellung. Natürlich passt das nicht in unseren Kopf, dafür gibt es kein Beispiel in unserer Erfahrungswelt. Das ist einmalig.
Mich beeindruckt immer wieder, dass bis in jeden einzelnen Zug des Leidens Jesu 800 bis 900 Jahre vor seinem Kommen prophetisch vorausgesagt wurde. Das geschah fahrplanmäßig, wie ein ICE. Was Gott geplant hat, hat er eingehalten. „Du legst mich in den Staub des Todes!“ Das ist die Armut des Herrn Jesus.
Es sind nicht nur böse Menschen, die da handeln. Jesus wird in die Hand der Heiden übergeben. Für ihn ist nicht einmal mehr ein Quadratmeter Boden bereit, sondern man hängt ihn vom Erdboden auf – weg mit dem, umgeben vom Hass der Menschen. Doch Gott legt ihn in den Staub.
An dieser Stelle wird plötzlich ein Geflecht in der Bibel deutlich. Unser Bruder Morlock hat gestern auch mit den hebräischen Buchstaben gezeigt, wie die Bibel voller Wunder ist, die wir oft noch nicht richtig erkennen. Manche sollten wir aber als Menschen, die das Wort Gottes lieben, so erkennen, dass Psalm 22, Jesaja 53, Weisheit 2 und die Passionsberichte der Evangelien alle zusammengehören. Sie bilden ein Beziehungsgeflecht.
Die Bibel hat ihren Zusammenhang. In Jesaja 53 wird deutlich gemacht: „Wir hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemordet wäre. Wir dachten, er hat etwas auf dem Kerbholz und Gott hat ihn gestraft.“ Doch tatsächlich heißt es: „Er ist um unsere Missetat willen verwundet, um unsere Sünden willen dahingegeben. Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden hätten.“
Der Plan Gottes, wie in Jesaja 53, Vers 10 beschrieben, wird durch seine Hand geschehen. Immer wieder heißt es: „Er hat sich mit unseren Sünden abgeschleppt, er hat unsere Sünden getragen, ihm wurde die Sünde der Welt auferlegt.“ Gott hat ihn zum Kuli gemacht für die Last der Sünden der ganzen Menschheit.
Er hat die Haftung übernommen. Die Verantwortung für alle Sünden, die uns wie Bleischuhe hinunterziehen und von Gott wegführen würden, hat er auf sich genommen und getragen. Dieses Stichwort aus Jesaja 53 wird immer wieder aufgenommen, bis hinein in unsere Korrele: „Alle Sünde hast du getragen.“
Die Armut des Herrn Jesus zeigt sich darin, dass er schlimmer dran war als ein entrechteter, versklavter Kuli. Er sagt: „Ich bin nicht gekommen, dass ich mir dienen lasse, sondern dass ich diene, dass ich mir allen Dreck auferlegen lasse.“
Die Bürgschaft Jesu und persönliche Verantwortung
Dass er Bürger wird, hat in den letzten Jahren oft für ein Schmunzeln gesorgt. Man kann heute nicht mehr einfach sagen, dass Jesus Bürger geworden ist.
Ich habe einen Freund, der tatsächlich Bürger geworden ist. Für Christen, insbesondere für evangelikale Christen in Estland, gab es die Idee: „Wir haben hier ein tolles Grundstück. Wenn wir es kaufen könnten, könnten wir darauf Häuser bauen und daraus Ertrag erzielen. Damit könnten wir sechs Pastoren bezahlen.“ Sie brauchten also Geld und fragten, ob man ihnen in Deutschland helfen könne.
Die evangelische Kreditgenossenschaft fragte: „Wo ist die Sicherheit?“ Diese konnten sie nicht geben. Daraufhin sagte mein Freund: „Na ja, dann übernehme ich die Bürgschaft. Sie haben ja das Grundstück.“ Doch leider geriet er an eine zwielichtige Organisation, die Mafia, und das Geld war weg.
Nun kam seine Bank auf ihn zu und sagte: „3,2 Millionen, bitte. Sie sind Bürger.“ Da habe ich eben unterschrieben. Sie haben unterschrieben, Sie sind Bürger. Das ist nicht einfach nur unterschreiben. Da geht es zur Sache.
So ist Jesus Bürger geworden – für die Last der Schuld, die jeder von uns in den Boden hineindrückt. Das ist doch ein Vorrecht.
Die Erinnerung an Versäumnisse und die Notwendigkeit der Vergebung
Von Senioren, das bis in die Träume hinein bei uns sehr viel aufwacht: was danebengegangen ist, was wir bisher weggeschoben haben, was wir versäumt haben.
Vor acht Tagen hatten wir eine Klassenzusammenkunft von denen, die vor neunzig Jahren Abitur gemacht haben. Mensch, habe ich gedacht, und ich habe das Abzeichen der evangelischen Jugend getragen. Wie habe ich mich in der Klasse benommen? Ich bin sicher vielen im Weg gestanden auf dem Weg zu Jesus, wenn sie gesagt haben: „Wie der Chefbuch, wenn der Christ sein will, ich nicht.“
Dinge wurden aufgewühlt, die einem gar nicht bewusst waren: Versäumnisse am Ehegefährten, den man lieb hat, an den Kindern, an Nachbarn. Wann war ich überheblich? Wann habe ich überheblich eingeladen zu Jesus und so getan, als „Du brauchst was, was ich habe.“ Nein, ich brauche doch selber noch einen Impuls, näher zu Jesus hin. Ich habe doch auch nichts. Wir beide brauchen ihn.
Verstehen Sie, es wacht so vieles auf, besonders als Pfarrer, was man versäumt hat.
Alle Sünde hast du getragen. Die Armut des Herrn Jesus im Psalm 22, an den uns gestern Bruder Morlock erinnert hat, den ich auszugsweise zitiert habe. Dort heißt es: „Von der Armut“ (Vers 25). „Du hast nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen.“
In Psalm 22 wird der Arme geschildert, der verachtet und verschmäht wird von den Vielen. Das sind Ausdrücke aus Jesaja 53. Schon die Vokabeln zeigen uns, dass zwischen Psalm 22 und Jesaja 53 eine biblische, göttliche Verbindung besteht.
Gott, du hast nicht verschmäht. Wir haben gedacht an Jesaja 53: Du bist der allerverachtetste und unwerteste. Aber du bist der, der getragen hat. Du hast nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen.
Als er zu dir rief, hast du gehört. Als er rief: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“, da hast du gehört.
Was wirklich Armut ist, wird in Psalm 22 und Jesaja 53 geschildert: „Von Gott verlassen.“
Die Erfahrung von Armut und Reichtum in Gott
Erinnern Sie sich vielleicht daran, dass der Herr Jesus vom reichen Kornbauern erzählt hat? Am Schluss heißt es dort: „So geht es dem, der nicht reich ist in Gott.“
In Russland sind wir vielen Babuschkas begegnet, arm bis ins Mark. An der berühmten Treppe in Odessa trafen wir eine 91-jährige Nervenärztin. Sie erzählte, dass sie seit einem halben Jahr nicht einmal ihre armselige Rente erhalten habe. Sie sprach hervorragend Deutsch und war Ukrainerin. Dennoch konnte sie in Russland nie wieder im Dienst arbeiten, da sie im Krieg von den Deutschen kriegsverpflichtet war und als Nervenärztin in Kiel tätig war.
Unvorstellbar arm und abgehärmt war sie, aber reich in Gott – das zeigte sich bis in ihre Gesichtszüge und Augen hinein. Das Elend des Armen, Jesus am Kreuz, der Vater, die ganze Schuld der Welt trennt mich von dir, und trotzdem halte ich an dir fest: Reich in Gott!
Gott hat das Elend des Armen nicht verschmäht. Er hat sich nicht darüber aufgeregt oder daran gestoßen, sondern ihn angenommen. Ihr kennt doch die Gnade des Herrn Jesus Christus: War er wohl reich? Nein, er wurde arm – in Nazaret schon bei seiner Geburt, aber erst recht am Kreuz –, damit wir durch seine Armut reich würden.
Der arme Jesus ist tiefer gefallen als Joseph, der von seinem Vater so geliebt wurde, aber in die Sklaverei verkauft wurde. In der Sklaverei kam er vom Haus des Potiphar noch weiter ins Gefängnis, wo er vergessen wurde. Jesus ist noch tiefer gefallen als Joseph.
Auch tiefer gefallen ist Jesus als Mose, der eine Prinzenerziehung genossen hatte und dann vier Jahrzehnte lang Schafhirte in der Wüste war. Für mich ist es immer ein Trost: Mit Mose hat Gott erst richtig begonnen, als dieser achtzig Jahre alt war – nur besser als beim Ratzinger. Vielleicht hat Gott auch für uns noch etwas bereit.
Jesus ist tiefer gefallen als der einsame Jeremia. Lass uns mit ihm leben.
Die Verheißung des Trostes und der Versöhnung
Damals hat Jesus am Kreuz festgelegt, in Kraft gesetzt und rechtsgültig gemacht, dass er vor allem bei Sündern anknüpfen will. Bei Menschen, bei denen im Leben viel schiefgelaufen ist, die erschrocken sind, wenn sie in den Spiegel schauen und denken: „Lieber Gott, was ist aus meinem Leben geworden, aus dem Kapital meiner Jahre? Herr, rechne nicht an, was ich versäumt habe, wo ich Menschen verletzt oder vergessen habe.“
Auf dass wir durch seine Armut reich würden. Das hat er alles getan, um uns seine große Liebe zu zeigen. Es ist gar nicht so verkehrt, wenn man Ausdrücke aus dem Geldwesen benutzt, um zu sagen, dass wir durch seine Armut reich werden. So viel hat es gekostet, dass wir erlöst werden können.
Jesus hat die roten Zahlen gestrichen. Im Kolosserbrief heißt es, dass er den Schuldbrief abgetan und zur Seite gelegt hat – ans Kreuz geheftet. Die roten Zahlen unseres Lebens sind gestrichen, die Schuld hat er erlassen und uns zugleich zeichnungsberechtigt gemacht. Auf seinem unvorstellbar großen Konto der Vergebung darfst du abheben.
Im Alten Testament gab es das auch schon, dass Gott Sünden vergibt: „Er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.“ „Vergib mir meine Sünden, meine Missetat, vergib mir die Sünden meiner Jugend.“ Aber es ist etwas Neues, dass der Herr Jesus festgelegt hat: Für alle Welt gilt, dass du auf seinem Konto der Gerechtigkeit abheben darfst. Das ist in Kraft.
Und jetzt ist nur noch die Frage, ob wir abheben wollen. Gott war in Christus und versöhnte die Welt. So lasst euch nun versöhnen mit Gott.
Die Bedeutung des Kreuzes und die Haltung zum Opfer Jesu
Es gibt so viele Menschen, die sagen: „Oh, das ist mir nebensächlich.“
Neulich war ich bei einer Einladung in der Verwandtschaft und hörte jemanden beiläufig sagen: „Wegen mir hätte Jesus nicht sterben müssen.“ Dabei bekam ich eine Gänsehaut. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr begann es in mir zu gären. Musste Jesus wirklich wegen mir sterben? Musste er sterben? Oder reicht es mir, dass Jesus heilen kann, dass er trösten kann, dass er ermahnen kann, dass er auf den rechten Weg führen kann, dass er segnen kann und dass er lieb sein kann? Brauche ich denn den gekreuzigten Jesus?
Was bedeutet eigentlich die Armut des Herrn Jesus? Es gibt eine Stelle, die schwer zu verstehen ist, im Philipperbrief. Dort sagt der Apostel Paulus: „Jetzt sage ich es euch unter Tränen.“ Mich erschüttert das richtig. Er spricht von einigen in der Gemeinde, die Feinde des Kreuzes Christi sind. Warum haben sie gespottet oder blasphemisch geredet? Nein, deren Bauch ist ihr Gott! Ihnen geht es nur darum, gesund zu sein, dass der Herr Jesus die Schmerzen nimmt, dass er tröstet, am nächsten Tag hilft und sie vor Unfällen bewahrt.
Diese Menschen sehen nicht über den Horizont ihres Bauches hinaus, nicht über ihre Nasenspitze. Ihnen geht es nur um sich selbst. Ich bin Feind des Kreuzes Christi, wenn mir nur noch die Segnungen, Bewahrungen, Hilfen und Tröstungen wichtig sind. All das kann der Herr Jesus geben.
Die Leichtigkeit meines Lebens ist, dass Jesus mir den Himmel geöffnet hat. Jesus nimmt die Sünder an – auch mich hat er angenommen. Er hat mir den Himmel geöffnet, damit ich ewig zu ihm kommen und auf den Trost sterben kann. Jesus nimmt die Sünder an und ist durch seine Armut reich geworden.
Die Hoffnung auf ewiges Leben und die Gewissheit des Glaubens
Wodurch hat Jesus mir den Himmel aufgetan? War es, weil ich anständig gelebt habe? Oder weil er mir liebevolle, gute Vorbilder gegeben hat? Das war alles wichtig. Den Himmel aber hat er mir aufgetan, als er am Kreuz gesagt hat: „Es ist vollbracht.“ Und das gilt auch für mich.
Unvorstellbar reich durfte ich 14 Jahre lang als Dekan und Gemeindepfarrer in Schörndorf wirken. Danach war ich noch sechs Jahre als Prälat in Ulm tätig. Aber schön war es in Schörndorf mit der Gemeindearbeit. Dort hat mich einmal eine Mitarbeiterin gefragt: „Herr Schäffuch, halten Sie eigentlich gern Beerdigungen von frommen Leuten?“ Ich sagte: „Sie haben es verstanden. Es ist doch etwas Großartiges, wenn man an einem geschlossenen Sarg bezeugen kann, dass das kleine Stückchen Leben, das Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat, weit überboten wird durch die Ewigkeit, zu der ich berufen bin – nicht nur berufen, sondern die mir garantiert ist, weil Jesus für Sünder gestorben ist.“
Und da ist einer in der Holzkiste drin, der das geglaubt und angenommen hat. Der gewartet hat, gespannt erwartet hat auf die zukünftige Herrlichkeit. Das kann man doch gern beerdigen. Das ist, als wenn einer sagt: „Ich gratuliere zum Abitur, jetzt geht es ins Studium, jetzt beginnt das Leben.“ Die Schulzeit ist vorbei – keine schlimmen Klassenarbeiten mehr. Jetzt kommt das Leben.
Aber schlimm ist es doch, wenn man jemanden beerdigen muss, der dieses Heil nicht ergriffen hat. Für den es gegolten hat, dass man durch die Armut des Herrn Jesus reich werden kann, berufen zur ewigen Herrlichkeit. Und der gesagt hat: „Das ist nicht so wichtig.“ Da habe ich immer nur bei Beerdigungen sagen können: „Ich will einmal nicht so sterben.“ Ich konnte nur von mir reden. Ich kann ja kein Urteil über einen anderen Menschen sprechen, ich sehe nicht in ihn hinein.
Aber ich will einmal nicht so sterben – ohne diese Gewissheit, reichgemacht durch die Armut des Herrn Jesus.
Das Verlobungsangebot Gottes und die Einladung zum Glauben
Als Jesus gestorben ist, wurde das wahr, was der Prophet Hosea verkündet hat: "Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit." Das ist ein Verlobungsangebot.
Wichtig ist nun, dass wir dieses Angebot festmachen. Wenn du als Sünder zu Gott gehören willst, dann gilt das nur, wenn du für Sünder festgelegt bist. Wenn du die Schuld getragen hast, wenn du die Haftung übernommen hast, wenn du Bürger geworden bist und die Sünde getragen hast, dann trage auch meine Sünde. Dann will ich glauben.
Im Neuen Testament wird immer wieder vom Zugang gesprochen. So heißt es zum Beispiel in Epheser 2 und Römer 5, dass wir durch Jesus Zugang zum Vater haben. Das ist der Reichtum: Durch seine Armut sind wir reich geworden.
Die Bedeutung des gekreuzigten Jesus in der Mission und im Glauben
Eines der großen Entwicklungsgebiete unserer Zeit ist Ostafrika: Tansania, Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi – ganze ostafrikanische Regionen, in denen Basler Missionare und auch Missionare der Church Missionary Society gewirkt haben. Diese Gebiete sind geistlich gut durchwirkt, besonders durch die anglikanische Kirche, mit gutem Gottesdienst und gelebter Frömmigkeit.
Dann kamen einige dänische Missionare nach Kampala in Uganda. Sie waren ein wenig charismatisch geprägt und sagten: „Rede doch nicht immer nur vom gekreuzigten Jesus.“ Das große Lieblingslied in Ostafrika lautet Tuku Tenderesa Jesu – Ehrenpreis sei dem Lamm Jesus. Sie meinten, es gibt doch mehr als nur die Kreuzigung: den Heiligen Geist, die Gaben des Geistes und Heilungen.
Darauf antworteten die Afrikaner: „Hat euch der Heilige Geist noch nie etwas davon gezeigt, wie schlimm unsere Sünde ist und wie herrlich es ist, dass Jesus am Kreuz unsere Sünde getragen hat?“ Sozusagen gibt es keinen anderen Höhepunkt, der durch etwas übertroffen werden könnte.
Natürlich gibt es Heilungen und Wunder – ich habe es selbst erlebt. Es gibt herrliche Segnungen Gottes, die Kraft der Fürbitte und vieles mehr, Halleluja. Aber mir ist der Himmel aufgetan durch die Armut des Herrn Jesus, als er in die Gottverlassenheit ging, stellvertretend für mich.
Lass diese Wahrheit mit dir leben!
Die Revolution von 1848 und die bleibende Bedeutung des Kreuzes
Im Revolutionsjahr 1848, das auch die badische Landschaft stark bewegte, wurden überall Bürgerwehren aufgestellt. Jetzt beginnt eine neue Zeit. Der Stadtpfarrer Frank von Schörndorf, Konfirmator von Gottlieb Daimler, hielt bei der Fahnenweihe der Bürgerwehr auf dem Marktplatz von Schörndorf eine Rede.
Er sagte: „Jetzt durchströmt der Auferstehungsgeist Gottes unsere Lande.“ Damit wollte er deutlich machen, dass auch die Christen modern sind und bei Neuem mitmachen können. Er deutete die Revolution als ein Symbol des Auferstehungsgeistes.
Daraufhin murmelte der alte Christian Rein, ein einfacher Weber und Bruder der altpietistischen Gemeinschaft: „Ich mag das Draufhineinfahren auf so etwas Neues nicht leiden. Wir Christen haben doch die Hauptsache im gekreuzigten Jesus. Er hat es ja fast, er hat es ja fast, dass wir durch seine Armut reich würden. Und so oft wir das Zeichen des Gekreuzigten sehen, ist nichts Mirakulöses, nichts Mystisches, sondern eine Erinnerung.“
Er fuhr fort: „Es ist das große Pluszeichen auf meinem Leben, über all dem Minus meines Lebens, dass wir durch seine Gnade reich würden.“
Nun dürfen wir gleich zum Geburtstag singen. Das passt gut zum Lied Nummer 57 aus dem Grünen Gesangbuch: „O dass ich tausend Zungen hätte“. Gesungen werden die drei Strophen, die oben bei den Noten genannt sind. Doch vorher wollen wir beten.
Schlussgebet um Erbarmen und Vergebung
Jesus Christus, Erbarmer und Erlöser, du großer hoher Priester, der du vor dem Vater für uns eintreten willst, erbarme dich über uns. Du hast unsere Sünde getragen.
Danke, dass du das Wesentliche, das Sichernde in unserem Leben erkannt hast – die Pannen, die Versäumnisse, die Verletzungen und die Gottesferne. Du möchtest daran anknüpfen mit deinem Erbarmen, deiner Gerechtigkeit und deiner Vergebung.
Lass uns in diesen Tagen, die du uns hier schenkst, in der Gemeinschaft untereinander und mit dir gewiss werden. Du bist mein Erbarmer und mein bester Freund.