Ja und Nein
Gott sei Dank fängt diese Geschichte nicht folgendermaßen an, liebe Gemeinde: Ein General hatte zwei Leibburschen. In aller Frühe putzten sie die Stiefel, bis sie sich darin spiegeln konnten. Anschließend machten sie Jagd auf ein letztes Staubkorn, das sich unter den Achselklappen der Galauniform versteckt halten konnte. Auch der Wagen musste noch auf Hochglanz gebracht werden und wie neu vor der Kaserne stehen. Wenn dann der Offizier pfiff, spritzten sie die Treppe hinauf, schlugen die Hacken zusammen, pressten die Hände an die Hosennaht und stotterten im Gleichtakt: "Zu Befehl, Herr General." Sie verzogen keine Miene, wenn das übliche Donnerwetter über sie herunterging: "Lahme Enten! Soll ich hier Wurzel schlagen? Holen Sie die Post beim Spieß! Auf, auf, marsch, marsch! Warum sind Sie nicht schon längst zurück?"
Von einem General und zwei Leibburschen ist hier nicht die Rede. Gott sei Dank beginnt die Geschichte auch nicht so: Ein Firmenchef hatte zwei Vertreter. Die sollten sein Produkt im Lande bekanntmachen und verkaufen. Deshalb schulte er sie gründlich und schickte sie mit einer großen Kollektion in die Häuser. Treppauf, treppab schleppten sie ihre großen Koffer. Aber der Absatz genügte ihm nicht. Die Verkaufszahlen entsprachen keineswegs seinen Vorstellungen. Der Verbrauchermarkt musste doch mehr hergeben. So wurden die Vertreter in die Zange genommen: "Ich verlange mehr Engagement. Entweder höherer Absatz oder niedrigere Provisionen. Die Kasse muss stimmen!" Von einem Firmenchef und zwei Vertretern ist hier nicht die Rede.
Gott sei Dank hat die Geschichte auch nicht folgenden Anfang. Ein Abteilungsleiter hatte zwei Auszubildende. Seiner Ansicht nach sollten sie endlich das Schaffen lernen, nachdem sie 10 Jahre lang in der Schule gefaulenzt haben. Er trieb sie ständig an und gönnte ihnen kaum einen Augenblick des Ausschnaufens. Er hunzte sie durch die Büros und gab ihnen zusätzliche Aufgaben. Und mit nichts war er zufrieden und zog ihre Arbeiten durch den Dreck: "Mit dem Murks können Sie bei uns nichts werden!" Von einem Abteilungsleiter und zwei Auszubildenden ist hier nicht die Reder.
Gott sei Dank heißt es: Ein Mann hatte zwei Söhne, ein Vater hatte zwei Kinder, das meint: Gott hat Familie. Er ist kein bissiger General, dem wir seine Stiefel putzen müssten. Er pfeift uns nicht an und kommandiert uns nicht herum. Seine Welt ist kein Kasernenhof. Er ist auch kein forscher Firmenchef, dem wir sein Produkt verkaufen müssten. Er treibt uns nicht an und droht uns nicht mit der Provisionskürzung. Seine Welt ist kein Käufermarkt. Er ist erst recht kein großmäuliger Abteilungsleiter, dem wir es recht machen müssten. Er ranzt uns nicht an und hunzt uns nicht durch die Gegend. Seine Welt ist kein Großraumbüro. Gott ist Vater, auch wenn wir das nicht mehr so recht glauben wollen und dann lieber vom Ewigen, Erhabenen oder Allmächtigen reden. Gott ist der gute Vater, auch wenn wir das nicht mehr so recht begreifen können und dann lieber vom Urgrund, Abgrund und Hintergrund des Seins faseln. Gott ist der rechte Vater, auch wenn wir das nicht mehr so recht nachvollziehen können und dann lieber übers Sternenzelt hinauf oder in die eigene Seele hinabdenken. Gott ist und bleibt der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes (2.Kor.1,3). In Jesus Christus kommt er uns ganz nahe, setzt sich mit uns an einen Tisch und spricht uns freundlich an. Seine Welt ist das Kinderhaus.
Nun stoßen wir dort auf die Tatsache, die wir auch von unseren Häusern her kennen, dass es verschiedene Kinder gibt. Nicht alle Söhne haben die gleiche Statur und nicht alle Töchter sind gleich geraten. In Gottes Familie gibt es solche und solche. Von dreien ist in dieser Geschichte die Rede, zuerst vom ...
1. Jasager und Neintuer
Die Nacht ist vorüber. Der Morgen dämmert herauf. Ein neuer Tag beginnt. Der Vater denkt an seinen Weinberg, der so groß ist wie die Welt. Er will ihn nicht allein beackern und bewirtschaften. Jedes Kind soll ihm helfen, wenigstens ein kleines Stücklein zu hacken und jäten, zu pflanzen und gießen.Es gibt niemand, der nicht seinen Arbeitsplatz hätte, manchmal karg und steinig, manchmal steil und dornig, manchmal heiß und sonnig, aber immer ist es sein Wengert.
Denken wir daran, wenn wir mit der Platzanweisung unseres Lebens hadern. Frucht soll reifen, kostbare Frucht für den Vater. Deshalb sagt er zum einen: "Mein Sohn", also nicht: "mein lieber Bursche", "mein frecher Kerl", "mein fauler Strick", nein Gott sagt: "Mein Sohn, geh hin und arbeite im Weinberg." Und der sagt: "Ja, das ist doch sonnenklar. Ja gewiss, das ist doch außerhalb jeder Diskussion. Ja selbstverständlich, das ist doch meine normale Sohnespflicht." Also ein klares, deutliches, unüberhörbares, einfach herrliches Ja, so wie wir es an diesem Altar bei der Konfirmation hören: "Mein Sohn, geh hin und lebe in meinen Geboten! Und der Bub sagt: "Ja, das ist doch sonnenklar." Oder so, wie wir es an diesem Altar bei der Trauung hören können: "Mein Sohn, gehe hin und lebe in meiner Liebe!" Und der Bräutigam sagt: "Ja, das ist doch außerhalb jeder Diskussion." Oder so, wie wir es an diesem Altar bei einem Abendmahl hören können: "Mein Sohn, geh hin und lebe in meiner Vergebung."" Und der Kommunikant sagt: "Ja, das ist doch meine normale Christenpflicht."
Dieses Ja ist der Wecklaut des Lebens, der das Vaterherz ehrt und erfreut. "Der Sohn antwortete dem Vater: Ja, Herr." und dann - ging er nicht hin. Ihm ist anderes eingefallen. Er hatte Wichtigeres zu tun. Für Vaters Auftrag blieb schlichtweg keine Zeit. Der Jasager ist zum Neintuer geworden, genau wie jener Konfirmand, der nach der Konfirmation seine Bibel wegsteckte, die Jungenschaftsstunde strich und sonntagmorgens mit den Kumpels kicken ging. Genau wie jener Bräutigam, der nach der Trauung den Haustyrann spielte, die Frau schikanierte und an allem etwas auszusetzen hatte. Genau wie jener Kommunikant, der nach dem Abendmahl ohne jede Vergebungsbereitschaft mit seinen Nachbarn und Verwandten weiterstritt. Genau wie wir selbst, wenn uns anderes einfällt, was wir vorweg erledigen müssen, wenn wir Wichtigeres zu tun haben, als im Weinberg uns abzurackern und die Hände schmutzig zu machen, wenn wir schlichtweg in unserem Terminkalender keine Zeit für Gottes Auftrag übrig haben.
Wer von uns gehört nicht zu jenen 94 % in der Kirche, die nach Meinung von Rudolf Bösinger Ja sagen, aber Nein tun? Das Nein-Tun ist der schreckliche Atheismus im Christentum selbst, demgegenüber der Atheismus von Denkern und Dichtern ein leerer Theaterdonner ist.
In Gottes Familie gibt es Jasager und Neintuer, und, das ist das Zweite ...
2. Neinsager und Jatuer
Gehen wir noch einmal zurück in jenes Haus. Die Nacht ist vorüber. Der Morgen dämmert herauf. Ein neuer Tag beginnt. Der Vater denkt an seinen Weinberg, der so groß ist wie die Welt. Das Unkraut darf nicht überhand nehmen. Die Schosse müssen zurückgeschnitten werden. Die Füchse dürfen sich nicht tummeln. Es gibt viel Arbeit in Gottes Wengert. Weil er sich von dem einen Sohn einen Korb eingehandelt hat, geht er zum andern: "Mein Sohn, geh hin und arbeite im Weinberg!" Und der sagt: "Nein, das fällt mir nicht ein. Nein, gewiss nicht, das würde mir gerade noch fehlen. Nein, selbstverständlich nicht, das ist doch kein Geschäft für einen normalen Menschen."
Also ein klares, deutliches, unüberhörbares, einfach schreckliches Nein, so wie wir es von der Dame an der Haustüre hören, die vom Pfarrer zum 70. Geburtstag besucht wird: "Nein, danke für Ihren Besuch, schön, dass Sie mich nicht vergessen haben, aber ich brauche keinen Gott." Oder so, wie wir es in einem Brief lesen, den eine Studentin an ihren Freund geschrieben hat: "Nein, und noch einmal nein. Ich will mit dem Gott nichts mehr zu tun haben, den mir meine Mama mit jedem Löffel Brei in den Mund stecken wollte." Oder so, wie wir es in dem Lied hören, das als "Internationale" große Parteitage abschließt: "Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun."
Dieses Nein ist das Signal des Todes, das den Vater entehrt und beleidigt. Es wirkt sich aus. Es hat mit unserer Gesundheit zu tun. Wer Nein sagt, überschlage die Folgekosten.
"Und der Sohn antwortete dem Vater: Nein!" Und dann - ging er doch hin. Es reute ihn. Er drehte um. Seine Antwort hat ihm leid getan. Der Neinsager ist zum Jatuer geworden, genau wie der Zöllner Zachäus, der die Leute nach Strich und Faden ausnahm und dann auf einmal mit seinem Geld eine Steuerrückzahlungsaktion in Szene setzte, die den Leuten den Atem verschlug. Oder genau wie die namenlose Dame, die im ältesten Gewerbe ihr schmutziges Geld verdiente und dann auf einmal mit einer kostbaren Narde eine Salbung des Herrn veranstaltete, die die Pharisäer auf die Palme brachte. Oder genau wie viele kaputten Typen, die sich keinen Deut um Gott und die Welt scherten und dann auf einmal umkehrten und ein anderes Leben begannen.
Das ist das Wunder der Buße, das immer wieder dort passiert, wo Menschen sich ihres Vaters erinnern. Nichts ist in unserem Leben fixiert, weil wir einmal Nein gesagt haben. Nichts ist in unserem Leben zementiert, weil wir ihm einmal die kalte Schulter gezeigt haben. Nichts ist in unserem Leben eben so, wie es ist. Keiner muss mit seinem Unglauben zugrunde gehen. Keiner muss mit seinen Zweifeln alleine fertig werden. Keiner muss mit seiner Hoffnungslosigkeit seine Tage verbringen. Jeder kann seinem Leben einen neuen Dreh geben.
Der Vater spielte ja nicht die beleidigte Leberwurst und wollte von solchem Trotzkopf nichts mehr wissen. Er hat auch nicht die Hunde losgemacht und diesen Hundesohn aus dem Weinberg vertrieben. Nein, er freute sich an diesem Spätheimkehrer und nahm seinen Dienst gerne an. Für das Ja ist es nicht zu spät. Gott setzt kein Zeitlimit und keine Altersgrenze. Heute kann aus dem Neinsager ein Jatuer werden, der ins Reich Gottes kommt. "Heute, so ihr meine Stimme hören werdet, verstocket eure Herzen nicht."
Liebe Freunde, wir sollten aber diese Geschichte nicht weglegen, ohne ein letztes Mal in jenes Haus zu schauen. Die Nacht ist vorüber. Der Morgen dämmert herauf. Ein neuer Tag beginnt. Der Vater denkt an seinen Weinberg und spricht mit seinen Söhnen, dem Jasager und Neintuer, und dem Neinsager und Jatuer. Aber mit beiden hat er seine liebe Not. Nicht nur der erste hat sein Herz verletzt, auch der zweite hat sein Herz beschwert. Gibt es denn keinen anderen, an dem er sich von ganzem Herzen freuen könnte? Gibt es denn keinen anderen, der seinen Willen ganz tut? Wo bleibt, der Ja sagt und Ja tut?
Diese bange Frage richtet unseren Blick auf den, der diese Geschichte erzählt. Das ist der liebe Sohn. Das ist der wahrhaftige Sohn. Das ist der eingeborene Sohn. Jesus Christus ist der, und das ist das Letzte ...
3. Jasager und Jatuer
Der Vater sagt zu ihm: "Mein Sohn, geh in den Weinberg!" Und der setzt seine Herrscherkrone ab, legt den Königsmantel beiseite, gibt das Zepter aus der Hand und degradiert vom Sohn zum Knecht. Aber kaum ist er zur Welt gekommen, da wird er als persona non grata, als unerwünschte Person über die Landesgrenze abgeschoben. Jetzt weiß er, was sie von seiner Anwesenheit halten, aber er geht weiter. In den Dörfern trifft er auf mit leidigen Spott: "Was kann von Nazareth Gutes kommen? Ist das nicht der Filius aus dem Zimmermannsgeschäft?" Jetzt hört er, wie schlecht seine Presse ist, aber er geht weiter. Bei den Gadarenern laufen sie ihm entgegen und bitten ihn schleunigst die Gegend zu verlassen. Jetzt spürt er, welches Gewitter sich über seinem Kopf zusammenbraut, aber er geht weiter. Als er schließlich nach Jerusalem kommt, nehmen sie ihn fest, spucken ihm ins Gesicht und legen ihm den Balken ins Genick. Jetzt ist es heraus, was sie mit ihm zu tun gedenken, aber er bleibt dabei: "Ja, Vater, ja von Herzensgrund, leg auf, ich will dirs tragen."
Er hat das Ja getan. Er hat das Ja erduldet. Er hat das Ja erlitten bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Das Holzkreuz auf Golgatha ist das in den Boden gerammte Ja über dem Weinberg Erde. Nun sind alle Gottesverheißungen Ja in ihm, auch die, dass Neinsager zu Jatuern werden können, Gott sei Dank.
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]