Studienreihe über biblische Lehren von Doktor Martin Lloyd-Jones
Band eins: Gott der Vater
Kapitel sechs: Die unmittelbaren Eigenschaften Gottes
Wenn wir unsere Betrachtung über die bedeutenden und zentralen Lehren Gottes wieder aufnehmen, möchte ich daran erinnern, dass die Existenz Gottes in der Bibel nicht diskutiert wird. Sie wird vielmehr vorausgesetzt.
Weiterhin haben wir gesehen, dass wir aus den Heiligen Schriften ableiten können, dass wir Gott erkennen können, obwohl er nicht vollständig verstanden werden kann. Wir können Gott erkennen, doch das bedeutet nicht, dass wir ihn absolut oder vollkommen erfassen können.
Anschließend fuhren wir fort, über das ureigenste Wesen und Sein Gottes nachzudenken. Dabei erwähnten wir seine Unendlichkeit, seine Spiritualität, seine Persönlichkeit und das essentielle Einssein der Gottheit.
Es ist unser Glück, dass die Bibel an diesem Punkt nicht Halt macht, sondern darüber hinausgeht. Nachdem sie uns offenbart hat, dass Gott in seinem letzten Sein und Wesen ganz und gar unergründlich ist – und zwar aufgrund der eben genannten Merkmale – berichtet uns die Bibel noch mehr von ihm.
Offensichtlich ist es ihre Absicht, dass wir Gott immer wahrhaftiger erkennen und anbeten sollen. Das ist auch unser Beweggrund, über diese große Lehre von Gott nachzudenken. Denn solange wir nicht verstehen, was uns die Bibel über Gott sagt, kann unsere Anbetung niemals in Geist und Wahrheit geschehen.
Unser Herr sagte zu der Frau aus Samaria: „Ihr betet an, was ihr nicht kennt.“ Sie dachten, sie würden Gott kennen. Auf dieselbe Weise sagte der Apostel Paulus zu den Athenern: „Nun verkündige ich euch den, welchen ihr verehrt, ohne ihn zu kennen.“ Sie beteten einen unbekannten Gott an.
Das ist für uns von großer Bedeutung. Obwohl wir sagen mögen, dass wir an Gott glauben und davon ausgehen, dass wir ihn anbeten, muss dies nicht notwendigerweise auch so sein.
Wir können Gott niemals wahrhaftig anbeten, solange wir ihn nicht auf die Weise anbeten, wie unser Herr es der Samariterin lehrte. Er sagte: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten“ (Johannes 4,24). Außerdem sagte er: „Denn der Vater sucht solche als seine Anbeter.“
Es geht also nicht allein um eine theologische Diskussion, an der wir uns beteiligen. Das erklärte Ziel unserer Betrachtungen ist, dass wir lernen, wie wir Gott anbeten und tatsächlich Gottes Volk sein können.
Gott hat sich erniedrigt und ist herabgekommen, um uns zu begegnen. Es hat ihm gefallen, uns weitere und detailliertere Offenbarungen über sich selbst zu gewähren.
Wir beginnen also damit, über einige Eigenschaften Gottes nachzudenken. Mit Eigenschaften meine ich einige der Vollkommenheiten Gottes oder, um es anders auszudrücken, die Tugenden Gottes.
Petrus sagt in seinem ersten Brief: „damit ihr die Tugenden dessen verkündet, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1. Petrus 2,9). Darum geht es. Den Christen ist aufgetragen, die Eigenschaften Gottes zu verkündigen – diese Vollkommenheiten, diese Vorzüglichkeit Gottes.
Im letzten Vortrag haben wir gesagt, dass Gott eine Person ist. Er ist eine Persönlichkeit im absoluten Sinn. Was sind die Eigenschaften, die zu seiner Persönlichkeit gehören? Sie drücken natürlich sein ewiges Dasein aus.
Das Erste, was wir deshalb besonders erwähnen müssen, ist die Ewigkeit Gottes und damit verbunden die Unwandelbarkeit Gottes. Gott ist ohne Anfang und ohne Ende; er ist immerwährend.
Im Psalm 90 finden wir eine großartige Aussage über diese Eigenschaft Gottes: „Ehe die Berge geboren waren und du die Erde und die Welt erschaffen hattest, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott.“ Auf dieselbe Weise bringt es Psalm 102 zum Ausdruck. Seine Ewigkeit ist etwas, das sich in den Vordergrund drängt und worüber wir nur staunen können.
Doch wir müssen uns die Unwandelbarkeit Gottes näher anschauen. Sie bedeutet, dass Gott absolut unveränderlich ist. Er kann in seinem Wesen niemals etwas anderes werden. Gott ist immer und ewig derselbe. Es ist niemals möglich, dass Gott sich in irgendeiner Hinsicht von dem unterscheidet, was er immer ist und immer war.
Einer seiner eindrucksvollsten Namen legt das nahe, und zwar der Name Jachwe: „Ich bin, der ich bin.“ Das bedeutet, ich bin immer derselbe, ich bin der Unveränderliche. Mit anderen Worten: Es ist nicht möglich, dass Gott zu einem Zeitpunkt die eine Eigenschaft besitzt und zu einem anderen Zeitpunkt eine andere.
Sie werden verstehen, wie wichtig es ist, das zu betonen, denn wir selbst sind sehr unbeständig. Wir sind an einem Tag dies und am anderen Tag das, obwohl wir immer dieselbe Person bleiben. Wir sind nicht unwandelbar, wir sind wandelbar. Doch bei Gott ist das unvorstellbar. Gott in seiner absoluten Vollkommenheit ist immer derselbe.
Jakobus macht eine großartige Aussage über Gottes Unwandelbarkeit, wenn er über den „Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel“ spricht (Jakobus 1,17). Genauso ist Gott in seinem Wesen und Charakter. Es ist nicht nur so, dass er sich nicht ändert, sondern es besteht nicht einmal die Möglichkeit zur Veränderung.
An diesem Punkt möchte sicher jemand folgende Frage stellen: Sagt uns die Bibel nicht, dass Gott bestimmte Dinge bereute? Lesen wir nicht in 1. Mose 6, dass es dem Herrn leid tat, den Menschen auf der Erde gemacht zu haben? Bekommen wir nicht ebenso im Buch Jona eine Vorstellung davon, dass Gott etwas bereut, als er nämlich die Stadt Ninive doch nicht zerstört?
Wie können wir zum selben Zeitpunkt einerseits sagen, dass Gott unwandelbar und unveränderlich ist, und uns andererseits dennoch erzählen, dass die Bibel davon spricht, dass Gott etwas bereut? Denn bereuen heißt, seinen Sinn ändern.
Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Gottes Charakter ändert sich nie, aber sein Handeln an den Menschen ändert sich. Worauf wir bestehen und worauf die Bibel durchweg besteht, ist, dass Gott in seinem Charakter und Wesen immer und ewig derselbe ist. Doch offenkundig ändert Gott sein Verhalten Menschen gegenüber, ganz abhängig davon, ob sie umkehren oder nicht.
Mit anderen Worten: Wenn wir einen Begriff wie „Unwandelbarkeit“ gebrauchen, müssen wir sehr darauf achten, dass wir nicht zur gleichen Zeit die Vorstellung von der Persönlichkeit Gottes leugnen. Jemand hat es einmal sehr treffend ausgedrückt: Die Unwandelbarkeit Gottes ist nicht die Unwandelbarkeit eines Steins.
Ein Stein ist unwandelbar, er verändert sich überhaupt nicht. Ein Stein ist immer ein Stein und wird niemals irgendetwas anderes sein. Aber das ist nicht die Unwandelbarkeit, die wir im Blick auf Gott meinen. Er besitzt nicht die Unwandelbarkeit toter Materie oder einer Maschine. Er hat die Unwandelbarkeit der absoluten Vollkommenheit.
Weil Gottes Umgang mit uns Menschen persönlicher Natur ist, variiert er sein Verhalten. Ich denke, Sie werden mir darin zustimmen, dass dies eine der tiefgründigsten und herrlichsten Lehren von allen ist. In gewisser Hinsicht kenne ich nichts in meinem christlichen Leben und meiner christlichen Erfahrung, was so tröstlich ist wie die Lehre von der Ewigkeit und der Unwandelbarkeit Gottes.
Natürlich ist sie für den Sünder eine der erschreckendsten Lehren. Mit anderen Worten: Gott ist in Ewigkeit gerecht, Gott ist in Ewigkeit heilig. Gibt es irgendetwas, das wundervoller ist, besonders in der modernen Welt, so wie sie ist?
Die nächste Eigenschaft Gottes ist seine Allgegenwart. Das bedeutet, dass Gott überall gegenwärtig ist. Wir hatten bereits festgestellt, dass Gott Geist ist. Wenn wir also sagen, dass Gott überall ist, meinen wir dies nicht im körperlichen Sinn. Es ist fast unmöglich, sich dies gedanklich vorzustellen, oder nicht?
Dennoch legt uns die Lehre der Bibel solche Gedanken nahe. Es ist unsere Pflicht, uns mit ihnen auseinanderzusetzen, sie zu bedenken und mit unserem Verstand und unserer Einsicht zu erfassen. Dabei müssen wir auch sagen, dass Gott nicht zwangsläufig auf dieselbe Art und Weise überall gegenwärtig ist. Die Bibel sagt uns, dass der Himmel sein Wohnort ist (1. König 8,30).
Wir müssen also festhalten, dass Gott überall gegenwärtig ist. Dennoch gibt es bestimmte Orte – und selbst dieses Wort ist unzureichend – an denen Gott besonders gegenwärtig ist. Dies ist wichtig, um uns gegenüber dem Pantheismus abzugrenzen. Dieser ist, wie wir in unserem letzten Vortrag gesehen haben, der Meinung, Gott sei eine Art lebenslänglicher Sträfling, und alles sei sein Gefängnis. Seine Persönlichkeit wird dabei jedoch geleugnet.
Die Bibel spricht folgendermaßen über die Allgegenwart Gottes. Nehmen wir zum Beispiel Jeremia 23,23-24:
„Bin ich nur ein Gott aus der Nähe, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott aus der Ferne? Oder kann sich jemand in Schlupfwinkeln verbergen, und ich, ich sähe ihn nicht? Spricht der Herr. Bin ich es nicht, der den Himmel und die Erde füllt? Spricht der Herr.“
Er füllt den Himmel, er füllt die Erde – er ist überall.
Betrachten wir in diesem Zusammenhang Psalm 139:
„Wohin sollte ich gehen vor deinem Geist? Wohin fliehen vor deinem Angesicht? Stiege ich zum Himmel hinauf, so bist du da; bettete ich mich in dem Scheol, siehe, du bist da. Erhübe ich die Flügel der Morgenröte, gliese mich nieder am äußersten Ende des Meeres, auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich fassen“ (Psalm 139,7-10).
Es ist egal, wohin ich gehe – Gott ist da.
Paulus weist auf dasselbe hin, wenn er den gelehrten Athenern predigt:
„Denn in ihm leben und weben und sind wir“ (Apostelgeschichte 17,28).
Wir können uns der Gegenwart Gottes, seinem Blick, nicht entziehen. Dies ist die Allgegenwart Gottes.
Ich weise darauf hin, dass wir hier erneut eine sehr bedeutende und tröstliche Lehre haben. Im Psalm 139 sieht der Psalmist darin natürlich eine Warnung, und er hat Recht. All diese gewichtigen Fragen, über die wir nachdenken, sind Warnungen.
Gottes Eigenschaften sind gleichzeitig Warnung und Trost. Wenn jemand gegen Gott gesündigt hat, wird er sehen, dass es unmöglich ist, ihm zu entkommen. Gleichzeitig kann es ein wundervoller Trost sein, darüber nachzudenken und dessen gewiss zu sein, dass es unwichtig ist, wo die Umstände einen hinverschlagen.
Gott ist immer bei einem. Es gibt keinen Ort, nirgendwo, an dem man sich befinden könnte, und Gott nicht da wäre.
Das bringt mich zu einer weiteren wunderbaren Eigenschaft Gottes: seiner Allwissenheit. Gott weiß alle Dinge, und sein Wissen ist immer vollkommen, perfekt und vollständig.
Darüber gibt es viele Aussagen in den Schriften. Zum Beispiel heißt es in Psalm 147, Vers 5: „Seine Einsicht ist ohne Maß.“ In Sprüche 15, Vers 3 lesen wir: „Die Augen des Herrn sind an jedem Ort und schauen auf Böse und Gute.“
Lassen Sie uns das Thema der Allwissenheit Gottes folgendermaßen unterteilen. Die Bibel gibt uns viele Einzelheiten über dieses Wissen. Sie sagt uns zum Beispiel über Gottes Wissen über die Natur: „Er zählt die Zahl der Sterne, er nennt sie alle mit Namen“ (Psalm 147, Vers 4).
Ein weiteres Beispiel sind die wohlwollenden Worte unseres Herrn, in denen er uns mitteilt, dass nicht ein einziger Sperling auf die Erde fällt ohne unseren Vater (Matthäus 10, Vers 29). Alles im Reich der Natur ist Gott bekannt. Für uns ist das kaum vorstellbar, aber die Bibel betont, dass es auf Gott zutrifft.
Schauen Sie in einer sternklaren Nacht in den Himmel und betrachten Sie die zahllosen Sterne. Gott kennt jeden einzelnen und hat für jeden einen Namen. Es gibt nichts in der Schöpfung, das Gott nicht in diesem vertrauten und persönlichen Sinn kennt.
Doch wir interessieren uns offensichtlich mehr für Gottes Wissen über uns und unsere menschliche Erfahrung. Hier hat Psalm 139 viel zu sagen. Nebenbei bemerkt, in diesem Psalm scheinen viele Eigenschaften Gottes zusammengefasst zu sein.
Der Psalmist sagt in Vers 2: „Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen, du verstehst mein Trachten von fern.“ Er weiß alles über meine intimsten Gedanken. In Vers 3 heißt es: „Mein Wandeln, du prüfst es, mit allen meinen Wegen bist du vertraut.“
Ja, in Vers 4 geht er sogar so weit zu sagen: „Das Wort ist noch nicht auf meiner Zunge, siehe, Herr, du weißt es genau.“ Was für ein genaues und detailliertes Wissen Gott über uns hat!
Wir lesen auch, wie Gott zu Mose sagt: „Gesehen habe ich das Elend meines Volkes.“ Er wusste, was sein Volk in Ägypten litt, und erkannte ihre Nöte.
Leider ist Gottes Volk oft versucht zu denken, Gott würde nicht Bescheid wissen. Das finden wir in vielen Psalmen, etwa wenn der Psalmist fragt: „Weiß Gott das nicht? Ist seine Gnade für immer zu Ende? Nimmt er nicht wahr, was mit uns geschieht?“
Doch so dürfen wir nie denken. Unsere Unkenntnis lässt uns so reden. Gott weiß alles über uns.
Lassen Sie mich noch einmal unseren gesegneten Herrn zitieren. Er sagt in Lukas 12, Vers 7: „Selbst die Haare eures Hauptes sind alle gezählt.“ Können Sie sich ein eingehenderes Wissen vorstellen als dieses? Gott kennt uns bis ins kleinste Detail.
Dann haben wir die gewaltige Aussage in Hebräer 4, Vers 13: „Und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.“
Es gibt keine erhabenere und ausdrucksstärkere Aussage über die Allwissenheit Gottes als diese. Sie fasst Gottes Wissen über uns und unsere menschlichen Erfahrungen perfekt zusammen.
Darüber hinaus sagt uns die Bibel immer wieder, dass Gott auch ein allumfassendes Wissen über die gesamte Menschheitsgeschichte hat – die vergangene und die zukünftige.
Nehmen Sie zum Beispiel die Propheten und deren Weissagungen. Das zweite Kapitel des Buchs Daniel enthält eine Vorhersage über die kommenden Königreiche. Dort offenbart Gott sein allumfassendes und perfektes Vorherwissen.
Das achte Kapitel des Buchs Daniel tut dasselbe, und es gibt viele weitere Beispiele für diese grundlegende Eigenschaft Gottes. In Apostelgeschichte 15, Vers 18 wird es unmissverständlich ausgedrückt: „Gott sind alle seine Werke von Ewigkeit her bekannt.“
Gott sieht das Ende von Anfang an. Er weiß alles, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Nun müssen wir uns Begriffe wie „Vorherwissen“ bedienen. In gewisser Hinsicht sind sie jedoch bedeutungslos, wenn wir über Gott sprechen, denn bei Gott gibt es keine Zeit. Es gibt keine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft.
Für Gott ist alles eine große, lebendige, ewige Gegenwart. Wir können das nicht begreifen, aber die Bibel lehrt es so.
Wir leben in der Zeit und denken in Kategorien wie Zeit und Raum. Doch Gott steht über der Zeit. Er ist in der Ewigkeit und sieht alles gewissermaßen als Einheit.
Deshalb ist es kein Problem, von Gottes Vorherwissen zu sprechen. Er sieht die Geschichte in ihrer Gesamtheit, wenn er sie betrachtet. Er ist immer in ihr gegenwärtig.
Daher sollte es uns nicht überraschen, dass Paulus ausruft: „O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes“ (Römer 11, Vers 33).
Die Erwähnung des Wortes Weisheit führt mich zu einem weiteren Punkt, der eigentlich ein Aspekt der Allwissenheit Gottes ist. Die Weisheit Gottes ist ein Teil seines vollkommenen Wissens. Behalten Sie dies im Gedächtnis, während ich einige Unterschiede zwischen Wissen und Weisheit nenne.
Ich halte es für sehr wichtig, diese Unterscheidung zu treffen, da beide Elemente in der Bibel häufig erwähnt werden. Was ist nun der Unterschied zwischen Wissen und Weisheit? Meiner Meinung nach gehört diese Unterscheidung zu den dringendsten Bedürfnissen unserer Zeit.
Heute strebt alles nach Wissen. Wir sind ständig wachsende Enzyklopädien und halten uns für ein höchst gebildetes Volk. Ich vermute, dass der moderne Mensch heute weitaus mehr weiß als irgendeiner seiner Vorfahren. Doch was fehlt uns ganz offensichtlich in unserer modernen Welt?
Darf ich Ihnen einige Dinge nennen, über die Sie nachdenken können? Zuerst: Die Quelle des Wissens ist das Studium, die Quelle der Weisheit hingegen das Urteilsvermögen. Wissen erlangt man durch Studieren, doch auf diesem Weg erlangt man keine Weisheit. Menschen können viel studieren, ohne je weise zu werden, weil ihnen das Urteilsvermögen fehlt, also die Fähigkeit, wirklich zu sehen.
Zweitens: Wissen ist das, was man allgemein als diskursiv beschreibt. Es schreitet von einer Vorstellung zur nächsten mit logischer Notwendigkeit voran. Weisheit dagegen ist mehr intuitiv. Wissen erreicht man durch Unterhaltung, Gespräch und Überlegung, während Weisheit in gewissem Sinne etwas ist, das man schon bei der Geburt mit auf den Weg bekommt.
Das haben wir wahrscheinlich alle schon bemerkt, nicht wahr? Es gibt Menschen, die scheinen von Anfang an weise zu sein. Sie mögen nicht viel Wissen besitzen, aber wenn jemand einen Rat braucht, sucht er sie auf. Im Gegensatz dazu gibt es Menschen mit enormem Wissen, doch man würde niemals auf ihre Meinung hören, weil man den Eindruck hat, dass es ihnen an Weisheit mangelt.
Beispielsweise werden Sie oft feststellen, dass manch ein Jurist zwar ein guter Rechtsanwalt sein mag, aber ein sehr schlechter Richter, obwohl er über ein erhebliches juristisches Wissen verfügt. Diese beiden Dinge sind sehr verschieden.
Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen Wissen und Weisheit. Wissen ist in der Regel theoretisch, Weisheit hingegen immer praktisch. Das Wissen an sich beschäftigt sich nicht wirklich mit dem Leben und dem praktischen Dasein; es interessiert sich lediglich um des Wissens selbst willen. Weisheit dagegen hat immer ein praktisches Ziel. Sie ist die Fähigkeit, das Wissen, das man besitzt, zu nutzen, anzuwenden und auf die praktische Ebene herunterzubrechen. Weisheit will leben, sie will etwas tun.
Meine letzte Unterscheidung lautet: Beim Wissen arbeitet der Verstand getrennt vom Willen, während er bei der Weisheit in Abhängigkeit vom Willen agiert. Mit anderen Worten: Weisheit ist die rechte Art von Wissen. Und ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass diese Art von Wissen in der modernen Welt dringend notwendig ist.
Wir haben eine große Anzahl kluger Menschen, doch ach, was für ein tragischer Mangel an Weisheit auf der anderen Seite. Die Bibel betont die Weisheit Gottes. Gott wendet sein Wissen an, er bringt es zur Anwendung. Dies zeigt sich vor allem in dreifacher Hinsicht.
Die Weisheit Gottes erkennen Sie in der Schöpfung. Ich habe vor, dies zu erörtern, wenn wir zur Schöpfungslehre kommen. Viele Menschen sind beunruhigt über die Hypothese und Theorie der Evolution. Was sie beunruhigt, so sagen sie, ist, dass sie überall eine strukturelle Gleichartigkeit vorfinden – und dem stimme ich vollkommen zu. Ich stelle dasselbe fest.
Doch was ich sehe, ist nicht Evolution, sondern die Weisheit Gottes in der Schöpfung, in ihrer Gestaltung und vollkommenen Anordnung, in der ihr innewohnenden Harmonie und dem Zusammenwirken aller Teile. Schlagen Sie das Buch der Natur auf, und wenn Sie Augen haben, die nur ein wenig christlich sind, dann werden Sie überall die erstaunliche Weisheit Gottes entdecken.
Die Vielfalt ist eine Manifestation der Weisheit, ebenso die Art und Weise, wie Gott sich wiederholt: Frühling, Sommer, Herbst, Winter – und wie er die Dinge immer auf dieselbe Weise tut.
Wenn Sie aber wirklich die Weisheit Gottes sehen wollen, dann müssen Sie sich anschauen, wie sie sich in der Erlösung manifestiert. Das ist das große Argument im 1. Korinther 1, insbesondere in den Versen 22 und 24.
Die Griechen suchen Weisheit, heißt es in Vers 22. Paulus sagt: Wenn ihr Weisheit wollt, dann schaut auf den Herrn Jesus Christus, der Gottes Kraft und Gottes Weisheit ist (Vers 24). Aus ihm kommt es, dass ihr in Christus Jesus seid, der uns geworden ist Weisheit von Gott sowie Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.
Als nächstes muss ich auf die Allmacht Gottes zu sprechen kommen. Gott ist allmächtig. Dies ist die Eigenschaft Gottes, durch welche er alles geschehen lässt, was er will.
Wenn man über die Allmacht Gottes nachdenken möchte, sollte man das Thema am besten in zwei Hauptkategorien unterteilen: erstens in den Willen Gottes und zweitens in die Kraft Gottes. Die Allmacht Gottes ist der Wille Gottes, der in die Tat umgesetzt wird.
Unzählige Male lesen wir in der Bibel etwas über den Willen Gottes. Beispielsweise schreibt Paulus von „dem Vorsatz dessen, der alles nach dem Rat seines Willens wirkt“ (Epheser 1,11). Was ist der Wille Gottes? Er ist der letzte Grund allen Seins, aller Existenz. Er ist die letztgültige Erklärung für alles, was jemals geschehen ist oder noch geschehen wird.
Die Bibel lehrt, dass der Wille Gottes souverän ist. Mit anderen Worten: Er ist durch nichts bestimmt außer durch Gott selbst. Er ist der Ausdruck seiner Herrschaft, seines vollkommenen Wesens. Aber denken Sie bitte daran: Sein Wille ist niemals willkürlich. Er handelt immer in vollkommener Harmonie mit all den anderen Eigenschaften Gottes, im Einklang mit seiner großartigen und herrlichen Natur.
Es ist derselbe Gott, der allwissend und allmächtig ist. Es ist derselbe Gott, der herrlich und wunderbar ist. Es ist derselbe Gott, der Liebe ist sowie Mitleid und Erbarmen zeigt. Wir dürfen diese Dinge nicht trennen, auch wenn wir zwischen ihnen unterscheiden, um besser über sie nachdenken und sie verstehen zu können.
Sie werden des Weiteren feststellen, dass sich der Wille Gottes hauptsächlich auf zweierlei Weise ausdrückt. Zum einen erklärt er bestimmte Dinge, die er selbst tun wird – das nennen wir den bestimmenden Willen Gottes. Zum anderen ordnet er bestimmte Dinge an, die wir tun sollen. Das ist der gebietende Wille Gottes. Die Begriffe sind nicht so sehr wichtig, aber beide Aspekte von Gottes Willen finden sich in der Bibel.
Gott teilt uns mit, was er selbst tun wird, und er befiehlt uns, was wir zu tun haben.
Was seine Kraft betrifft, so ist sie grenzenlos – er ist allmächtig. Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein? Fragte Gott Abraham in 1. Mose 18,14. Und der Engel Gabriel sagte zu Maria in Lukas 1,37: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Seine Macht, seine Kraft und seine Stärke sind unbegrenzt. Die Bibel ist voll davon.
Er schuf alles aus dem Nichts. Er sprach, und es geschah. Er sagte: „Es werde Licht!“ und es wurde Licht (1. Mose 1,3). Er sendet seinen Frost und seinen Schnee. Lesen Sie einmal die Psalmen, und Sie werden feststellen, dass sie die grenzenlose Kraft Gottes rühmen.
Dieser souveräne Wille und die Kraft Gottes haben sich im Besonderen und am deutlichsten in dreifacher Hinsicht manifestiert: in der Schöpfung, in der Erlösung und in der Vorsehung.
Ich vermute, dass es keine größere Manifestation der Kraft Gottes gibt als diejenige, auf die sich Paulus im ersten Kapitel des Epheserbriefes bezieht. Nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke hat er diese in Christus wirksam werden lassen, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat.
Diese Vorstellung von Allmacht ist grandios. Es gibt viele Dinge, die wir in Bezug auf den Willen Gottes nicht verstehen. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, sie zu verstehen. Unsere Aufgabe ist es, sie mit Ehrfurcht, Ehrerbietung und Anbetung anzuschauen.
Wir sollen begreifen, dass es überhaupt keine Hoffnung für uns gäbe, wäre Gott nicht allmächtig. Ich sage es mit aller Ehrfurcht: Nichts weniger als die Allmacht Gottes kann eine einzige Seele retten. Aber Gott sei Dank, er ist allmächtig. Und wir wurden gerettet durch die Kraft Gottes in und durch den Herrn Jesus Christus.
Und schließlich spricht die Bibel über die vollkommene Glückseligkeit Gottes. Sie beschreibt seine totale, absolute Vollkommenheit. Gott ist die Gesamtsumme aller Erhabenheit und Schönheit. Es gibt nichts, das höher, großartiger oder besser wäre als Gott. Jede erdenkliche Vollkommenheit findet sich auf absolute Weise in Gott.
Er ist über alle Unzulänglichkeiten und Begrenzungen erhaben. Deshalb spricht die Bibel von der Vollkommenheit Gottes und ebenso von der Seligkeit Gottes. Denken Sie nur an die vielen Aussagen, die Paulus in seinen Briefen über Gott macht, wie zum Beispiel, wenn er vom Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes spricht (1. Timotheus 1,11).
Was meint Paulus damit, wenn er Gott „selig“ nennt? Er meint, dass Gottes eigene Vollkommenheit das Objekt seines Wissens und seiner Liebe ist. Gott frohlockt in sich selbst, er hat Freude an sich selbst und ist vollkommen sowie absolut unabhängig. Nach der Heiligen Schrift hat Gott Wohlgefallen an sich selbst und an seinem herrlichen Wesen. Das macht die Glückseligkeit Gottes aus.
Der letzte Punkt ist die Herrlichkeit Gottes. So beschreibt die Bibel Gottes Größe, seine Pracht und seine Majestät. Wir lesen, dass die Herrlichkeit Gottes das Haus, den Tempel, erfüllte und dass sie bestimmten Menschen in abgeschwächter Form offenbart wurde. Damit ist gemeint, dass diese Menschen eine gewisse Vorstellung von der Größe, der Pracht, der Majestät und der Macht seines Wesens erhielten.
So haben wir nun gemeinsam die Eigenschaften Gottes betrachtet. Dabei haben wir nicht mit den sogenannten moralischen Eigenschaften Gottes begonnen. Stattdessen haben wir uns nur mit jenen Eigenschaften beschäftigt, die ureigenst zu seinem Wesen und seiner Persönlichkeit gehören.
Wenn wir jetzt nicht mehr denn je das Verlangen verspüren, uns zu seinen Füßen niederzuwerfen und uns ihm völlig und bedingungslos auszuliefern, dann haben wir unsere Zeit vergeudet. Wir begreifen, dass es kein größeres Vorrecht gibt, als Gott anzubeten und Gemeinschaft mit ihm zu haben.
Wir haben einen Blick auf den seligen Gott geworfen, der in einem unzugänglichen Licht wohnt. Niemand hat ihn jemals gesehen, und niemand kann ihn jemals sehen. Doch es hat ihm in seiner Gnade gefallen, uns mitzuteilen, wie er ist.
Lasst uns ihm dafür danken und ihn anbeten.
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