Einführung in das Thema des Leidens
Wir haben heute das Thema des Leidens, weil unser Predigttext dieses Thema behandelt: 2. Korinther 4. Die Schriftlesung stammt aus 2. Korinther 1. Vielleicht nehmen Sie sich heute auch noch die Zeit, mehr aus dem Zusammenhang zu lesen, denn Paulus spricht dort sehr viel zu diesem Thema.
In Kapitel 4, von Vers 6 bis Vers 10, beginnt Paulus mit einer Erinnerung an die Erschaffung der Welt. Er erinnert daran, wie Gott aus dem Chaos die Welt schuf. Gott sprach: „Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten.“ Dieser helle Schein wurde in unsere Herzen gegeben, damit durch uns die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi entsteht.
Das ist ein ganz schwieriger Satz, den man nicht so schnell verstehen kann. Paulus möchte, dass Gott seinen Lichtglanz aufleuchten lässt. Er wünscht sich, dass uns ein Licht aufgesteckt wird, damit wir in Jesus den Glanz der ewigen Welt, den Lichtglanz Gottes, sehen. So können wir seine Liebe erfahren und seine Barmherzigkeit entdecken.
Wir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde.
Der Traum vom Überwinden von Alter und Krankheit
Als ich kürzlich in Sri Lanka war, erschien eines Tages auf der Titelseite der größten Zeitung in Colombo eine Nachricht, dass der berühmte Arzt Professor Barnard Sri Lanka besucht habe. Offenbar fand ein Medizinerkongress statt. Professor Barnard ist der berühmte Herzverpflanzer aus Südafrika und ein Pionier der Medizin.
Die Zeitung hob in ihrer Meldung besonders hervor, dass Professor Barnard gesagt habe: „Das, was ich dort am Grote-Schur-Hospital gemacht habe, ist Schnee von gestern, das ist ja nichts Besonderes. Ich arbeite jetzt an einer viel, viel größeren Aufgabe, und die fordert mich ganz. Ich möchte das Altwerden besiegen. Ich will erreichen, dass Menschen ewig jung bleiben.“
Ein toller Traum! Wer von uns sehnt sich nicht auch danach, dass dies eines Tages dem Menschen gelingen könnte? Zumindest, wenn wenigstens die Schmerzen besiegt werden könnten. Die Falten im Gesicht würden wir ja gern tragen, ebenso manche Schwäche. Aber wir müssen uns hilflos vor mancherlei Nöten und Krankheiten beugen und sind doch wehrlos.
Ich musste ein wenig darüber nachdenken, weil ich es gerade bei einem etwa gleichaltrigen Freund miterlebt habe: Dieser hat sich einer furchtbaren Operation unterzogen, bei der ihm das Herz verpflanzt wurde. Dabei erhielt er 50 Bluttransfusionen, die sich über mehrere Tage hinzogen. Er ist an dieser Operation gestorben. Ist das überhaupt Fortschritt?
Was könnt ihr Halbgötter in Weiß überhaupt mit eurem großen Können? Der Traum, das Alter und den Tod zu besiegen, lebt ja nicht nur bei den Medizinern. Bei vielen gläubigen Christen beobachte ich zunehmend die Versuchung, zu sagen: „Es muss doch gelingen, dass ich die Krankheit besiege. Wenn Jesus heilend ist und ich richtig glaube, dann muss er mir doch schenken, dass ich alt werden darf – ohne krank zu werden.“
Kennen Sie das? Es gibt immer mehr unter uns, die sich so fragen und sagen: „Ist das nicht bloß eine Folge meiner Sünde, der alten Welt, dass ich noch leide? Wenn Christus der Sieger über Tod und Teufel ist, dann muss er mich doch heute schon herausführen aus allem Leid und aller Not.“
Und es gibt viele, die behaupten, das sei so. Sie sagen, sie würden nie mehr krank, ganz bestimmt nie. Sie müssten nie mehr zum Zahnarzt, bräuchten nie mehr ein Medikament, sie würden richtig glauben und hätten besondere Segnungen.
Die Realität des Leidens im christlichen Leben
Gegen solche Leute spricht Paulus, der Apostel, der uns von Christus das Evangelium gebracht hat. Auffällig ist, wie oft Paulus in seinen Briefen betont, dass Leiden und Krankheit zum Christenleben dazugehören.
Wenn unser Glaube noch auf dem Fundament der Apostel ruht, müssen wir neu bedenken, dass das Leiden dazugehört. Die Zeit reicht jetzt nicht aus, um Ihnen alle Stellen in den Briefen zu zeigen. Denken Sie nur daran, wie Paulus die Ältesten von Milet – damals von Ephesus nach Milet – verabschiedet hat. Dort sprach er mit den Kirchengemeinderäten über einige Dinge. Alles, was er sagte, gipfelte in einer Aussage: Wir müssen durch viel Trübsal ins Reich Gottes gehen. Er ließ nie daran Zweifel, dass Jesus uns die Nöte nicht wegnimmt, obwohl er es kann. Er ist doch der Herr.
Oder denken Sie an den schönen Römerbrief, der das Herzstück des Glaubens ist. Dort sagt Paulus: Wenn wir Frieden mit Gott haben, freuen wir uns als Erstes daran, dass uns der Herr ins Leiden schickt. Wir rühmen uns der Trübsale, denn sie gehören unlösbar zu unserem Glauben – und wir brauchen sie.
Die Bedrängnisse, die uns oft in Atem halten, die uns unruhig machen und uns die Lebenskraft rauben – darüber möchte ich jetzt zuerst predigen.
Die Bedeutung des Mittragens und Mitleidens
Gott führt seine Leute oft durch große Tiefen. Ich sage oft: Unter uns gibt es einige, wir wollen sie jetzt nicht aufstehen lassen, die keine Nöte haben und denen es rundum nur gut geht. Wir freuen uns mit ihnen und wünschen, dass das so lange wie möglich anhält. Sie brauchen keine Angst zu haben, denn sie sind trotzdem ganz normale Christen.
Das schenkt Gott in seiner Güte. Er verteilt die Lasten oft ganz ungleichmäßig. Aber diejenigen, die kein Leiden haben – besonders unsere jungen Leute, die ja oft über bemerkenswerte Kraft und Gesundheit verfügen – sollen daran denken, dass Gott von ihnen umso mehr erwartet. Sie sollen sich unter die Nöte der anderen beugen, mittragen und mitleiden mit dem, was anderen auferlegt ist.
Junge Menschen haben weniger zu tragen als die Alten. Gerade hier zeigt sich das wunderbare Mittragen und Anteilnehmen. Oder wir können heute auch sagen: Die Christen in der dritten Welt haben ungleich viel mehr Not zu tragen.
Was müssen Christen heute in den muslimischen Ländern ertragen? In Sri Lanka sind in den letzten Wochen vier Kirchen von radikalen Buddhisten abgebrannt worden. Der Pfarrer, der dort gepredigt hat, sprach nur vom Leiden.
Jetzt kommt die Leidenszeit, und ihr müsst mit eurem Leib bezahlen, was euch Jesus wert ist. Sie haben es schwerer als wir. Deshalb wollen wir mittragen, mit denen draußen.
Die Zerbrechlichkeit der Boten des Evangeliums
Und darum hat sich Paulus auch nicht geschämt, wenn er sagt: Ich trage das Evangelium als Bote vor, in einer Gestalt, die sehr zerbrechlich ist, in einem irdenen Gefäß. Dabei denkt er besonders an seine Erscheinung, seine Persönlichkeit und auch an seinen Körper. Er ist verwundbar, verletzlich und oft krank.
So sehen Sie: Ich wünsche mir, dass das Evangelium heute von Christen vertreten wird, die Eindruck machen. Wenn Olympiasieger von Albert sprechen, wenn sie von Jesus reden, dann macht das der Welt Eindruck. Wenn jemand so auftritt, mit der Strahlkraft wie der Meister Proper in der Werbung, so mächtig und stark, und sagt: „Ich kann euch sagen, wer diese Welt zusammenhält“, dann wirkt das. Doch in den letzten zweitausend Jahren waren es vor allem die Schwachen, die Jesusbekenner. Es waren oft sehr anfechtbare, eigenartige Leute, an denen man sich manchmal stößt. Menschen mit Ecken und Kanten.
Wir lesen auch in den Briefen, dass sich in der Urchristenheit viele Gemeindeglieder an der äußeren Erscheinung des Paulus störten. Besonders daran, dass er so oft krank war, so viel Misserfolg hatte und dass man seine Ausstrahlung nicht mehr wahrnahm. Dass er nicht mehr leuchtete im Gesicht und die eindrucksvolle Gestalt nicht mehr hervortrat. Im Gegenteil: Paulus sagt, er kann das Evangelium nur bringen, diesen Schatz, in einem irdenen Gefäß. Dieses Gefäß ist nicht nur zerbrechlich, sondern fällt immer wieder in Scherben. Es ist auch ein Bild für unseren Leib, der nicht nur vergeht, sondern auch leidet.
Auch wer von Ihnen Schmerzen hat, wer weiß, wie wir manchmal unter Depressionen leiden, niedergeschlagen sind und nicht mehr können, wer manchmal eng im Denken ist – wir sind so begrenzt als irdene Gefäße. Gott macht doch einen großen Fehler, er ist ein schlechter Geschäftsmann, könnte man meinen. Er müsste doch eigentlich sein Evangelium durch richtig tolle Gestalten vertreten lassen. Heute sind wir Menschen, die etwas sehen wollen. Unser Jahrhundert ist geprägt durch Fernsehen, und da sagt jeder: „Was könnt ihr denn vorweisen, ihr Christen? Zeigt mir was!“ Und wir sind so schwach.
Paulus sagt: Gut, ich bin froh, dass wir den Schatz nur in irdenen Töpfen darbringen können. Denn dann ist ganz sicher, dass alle Kraft und Wirkung nicht durch menschliche Einflussnahme erfolgt. Kein einziger ist Christ geworden, weil Paulus so sympathisch war oder weil er eine liebenswerte Persönlichkeit hatte. Kein einziger ist deshalb Christ geworden. Paulus sagt: Die ganze Kraft liegt doch nur im Wirken Jesu, gerade weil der Kontrast so groß ist.
Wir sind schwache, kranke, hinfällige und anfechtbare Leute. Gott packt seinen Schatz in schwache Menschen hinein, und das ist gut so. Alles, was Gott in den letzten zweitausend Jahren gewirkt hat, hat er nicht durch seine Boten gemacht. Diese waren immer voller Fehler und Mängel. Die überschwängliche Kraft kommt allein von Christus.
Die Kraft Gottes in der Schwachheit
Darum lässt Gott seine Boten, seine Leute, immer auch in den Nöten dieser Welt an ihre Grenzen stoßen. Dabei kommt es vor, dass wir selbst fast am Leben verzweifeln. So erging es auch Paulus. Er konnte einfach nicht mehr. Er sagte dem Herrn: „Ich kann nicht mehr für dich dienen, ich kann deinen Dienst nicht mehr tragen.“
Dann aber zeigt sich die überschwängliche Größe Jesu. Er ist mitten in unserem Leben. Und er hat Paulus wieder auf die Füße gestellt, damit die überschwängliche Kraft von Gott komme und nicht von uns. So konnte Paulus wieder wirken. Er erlebte, dass seine Kraft in Schwachen mächtig ist.
Darum gehört das Leiden für uns dazu: Es bewahrt uns davor, uns zu überheben oder die Dinge falsch einzuschätzen. Jesus wirkt die entscheidenden Wirkungen.
Man kann mitten in der Not eine ganz beglückende Erfahrung machen. Das ist mein zweiter Punkt. Auch bei mir geht das Denken oft nur darauf: Herr, wann machst du endlich Schluss mit dem Leiden? Wann holst du mich aus diesem Engpass heraus? Wann nimmst du mir den Druck weg?
Der Herr will den Druck gar nicht wegnehmen. Paulus hat über seine Krankheit dreimal gebetet – ich sage bewusst nur dreimal. Dann wusste er: Der Herr möchte sie ihm lassen. Sie dürfen auch öfter beten, sie dürfen tausendmal beten. Aber sie müssen wissen: Es könnte sein, dass Jesus sie uns lassen will. Er wird sie erst wegnehmen, wenn er uns heimholt in seinen Frieden.
Wir reifen ja nur unter Druck. Wir erkennen die Dinge erst richtig, wenn wir in der Anspannung sind. Kaum hat uns Gott aus einer Not herausgeführt, vergessen wir schon wieder die wunderbare Befreiung und seufzen über die nächste Last, die auf unserem Rücken liegt. Das ist menschliche Undankbarkeit.
Wir lernen so wenig aus dem, was uns Gott schenkt. Man hat den Eindruck, das Leben ist trotz aller Sorgen prallvoll mit lauter Wundererweisen Gottes. Doch es hat uns irgendwie nicht glaubender gemacht.
Darum ist es so wichtig zu verstehen, was Gott uns im Leiden zeigen will. Nicht das Ende des Leidens steht im Vordergrund, sondern die Erfahrung, die er uns schenken möchte.
Die Nähe Gottes im Leiden am Beispiel von Helmut James Graf von Moltke
Ich möchte Ihnen noch einmal an einem Beispiel erklären, das für mich besonders eindrücklich ist. Ich habe es in meinem Büchlein "Zum Leben hindurchgedrungen" abgedruckt. Es handelt sich um den Widerstandskämpfer im Dritten Reich, Helmut James Graf von Moltke, der gewaltlos gegen Hitler Widerstand leistete. Er kam vor den Volksgerichtshof. Moltke stammte aus dem schlesischen Kreis.
Dort fand eine Unterhaltung zwischen dem Volkskammervorsitzenden Freisler und Graf Moltke statt. Moltke sagte: „Ich stand vor Freisler nur noch als Christ.“ Das Schlimmste geschah: Moltke wurde zum Tode verurteilt. Er hatte nur noch wenige Stunden Zeit, seiner Frau einen Abschiedsbrief zu schreiben. Darin schrieb er: „Das Schlimmste ist geschehen. Noch 24 Stunden, ich darf meine Söhnlein nicht mehr sehen, ich darf dich, meine liebste Frau, nicht mehr sehen.“
Doch es war ganz merkwürdig: In dem Augenblick, als Freisler das Todesurteil verkündete, war Gott ihm plötzlich so nah, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Der ganze Saal hätte brüllen können, es hätte ihm nichts ausgemacht. Es war so, wie es in Jesaja 43 steht:
„Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Und wenn du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen. Und wenn du durchs Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen, denn ich bin bei dir.“
Das will Gott uns erleben lassen: nicht nur die Überwindung der Krankheit. Er will uns ganz nah an sich binden, an den, den man nicht sieht und der doch unser Leben in seiner Hand hält.
Darum war es Paulus so wichtig, die Christen darauf hinzuweisen, dass sie in der Trübsal reifen müssen. Das gehört dazu. Auch die Leidenszeiten gehören dazu. Denn nur dort können wir lernen, dass der Herr größer ist als die Wellen, die uns bedrohen, größer als die Gefahr, die gegen uns steht, größer als der Tod, der uns verschlingen will, und größer als die Anklagen der Feinde, die uns mit bösen Gerüchten fertig machen wollen.
Deshalb sagt Paulus: Er hat einen hellen Schein in unser Herz gegeben. Haben Sie diesen hellen Schein? Den hellen Schein, dass Sie sagen können: Die Sonne, die mir lacht, ist mein Herr Jesus Christus.
Die Kraft des Trostes im Dienst an Kranken und Leidenden
Ich habe das schönste Amt, weil ich viele, viele Kranke besuchen darf. Dabei werde ich überreich beschenkt, obwohl ich es gar nicht verstehen kann. Je älter ich werde, desto wunderbarer erscheint mir das.
Ich weiß nicht immer, wie ich trauernde Menschen trösten soll, und ich weiß nicht, wie ich Sterbenden ein Wort des Zuspruchs sagen kann. Doch dann sagen sie mir, dass sie ganz geborgen und im Frieden sind. Sie berichten von einem hellen Schein – einem Wunder Jesu. So etwas können Menschen nicht machen, und man kann es niemandem einfach einreden. Es ist Jesus, der das in ihrem Leben bewirkt.
Besonders bei Menschen, die depressiv sind, geschieht oft etwas Erstaunliches. Manche vergraben sich in ihrem Leid, können nicht mehr auf die Straße gehen und sind richtig psychisch krank. In der Seelsorge passiert es dann, dass man ihnen Jesus groß macht. Plötzlich erkennen sie Jesus – den, der sie liebt, der sie trägt und sein Leben für sie opfert.
Dann bekommen sie ihr Leid unter die Füße. Sie sagen: „Ach, das ist doch gar nichts im Vergleich zu dem hellen Lichtschein, den mir Jesus schenkt.“ Paul Gerhard hat ein herrliches Trauer- und Begräbnislied gedichtet. Dort heißt es: „In meines Herzens Grunde dein Name und Kreuz allein funkelt alle Zeit und Stunde, drum kann ich fröhlich sein.“
Er, der so durch die Depression hindurchging, schreibt: „In meines Herzens Grunde funkelt dein Name.“ Ich bin von dir getragen und gehalten, auch wenn mein Leib zerbricht, auch wenn meine Körperkraft nicht mehr wiederhergestellt wird und auch wenn Menschen von mir abrücken.
Paul Gerhard hat ja noch seinen Beruf und sein Amt verloren, er war vereinsamt. Aber er hat sich in Christus gefreut. Das möchte Jesus mir groß machen.
Die Realität von Trübsal und Verfolgung im Glaubensleben
Und darum sagt Paulus sehr mutig in verschiedenen Worten: Wir haben von allen Seiten Trübsal, ja, das muss sein.
Jetzt kommt kein wehleidiges Klagen und auch kein pathetischer Bekennermut à la „Ich bin der Märtyrer“. Das ist doch normal, ganz normal – rennen wir nicht davon.
Und diese Trübsal war nicht so, wie wir das Wort heute oft gebrauchen. Es waren massivste Angriffe: Wenn er in der kaiserlichen Haft war, wenn ihn die Gefängnisbeamten schikanierten, wenn dieser fanatische Hass der Pharisäer ihn zu Tode bringen wollte. Ach, das ist doch normal, dass wir Feindschaft ertragen müssen. Aber wir verzagen nicht.
Ich möchte das, was er da sagt, noch ein wenig weiterführen: Uns ist bange, aber wir ängstigen uns nicht. Paulus hat zwar auch dieses Gefühl, das viele kennen – das Gefühl, nicht mehr richtig durchatmen zu können, keine Ruhe mehr zu finden. Er sagt, es mag sein, dass wir in unseren Nerven richtig belastet sind, dass unser Herz vor Bangigkeit schnell klopft. Aber Angst haben wir nicht, weil der Friede Jesu uns bewahrt.
Ich würde noch hinzufügen: Wir sehen manchmal keinen Weg mehr, den wir gehen können – ganz normal für Christen. Doch der Herr hat viele tausend Weisen, um uns aus der Not zu retten.
Gestern habe ich einen Brief von einer lieben Frau erhalten, die wir in den letzten Jahren immer wieder von unserem Dienst Christliche Fachkräfte International als Doktorin ins heißeste Afrika gesandt haben, obwohl sie schon im Ruhestand war. Sie hat dort unermüdlich bis in die Nacht gearbeitet, ohne Klimaanlage, obwohl sie eine sehr schwache Gesundheit hatte.
Nun schreibt sie, sie würde so gerne noch helfen, aber sie musste ins Altenheim. Ganz plötzlich wurde ihre Krankheit so schlimm. Das ist schwer, wenn man bis zur letzten Kraft sein Leben hergeben will.
Dann schreibt sie: „Es ging durch viel Not und Schmerzen, aber ich durfte auch in dieser Zeit besonders Gottes Durchhilfe erfahren.“
Kennen Sie dieses „Aber“? Das sagt Paulus hier: Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Da gibt es ein mächtiges Aber. Da stellen wir allem Leid ein „Aber“ entgegen: Der Herr ist da. Wir sterben, wir wischen uns die Tränen aus den Augen, aber der Herr ist größer mit seinem Trost. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung.
Was ist das? Verfolgung. Man muss sich das vorstellen: Wir können gar nicht mehr mitreden. Wir sind ja schon so feige, wo wir überhaupt keine Schwierigkeiten haben. Aber wir werden nicht verlassen.
Wenn Paulus in der Einsamkeit seiner Zelle saß, dann wusste er: Jetzt ist Jesus bei mir. Und dann stimmte er seinen Lobgesang an und sang in der Nacht, als er nicht schlafen konnte, weil die Schmerzen auf seinem Rücken, wo sie ihn gepeitscht hatten, so schrecklich weh taten.
Wir werden unterdrückt, aber uns geht die Luft nicht aus. Man wird mit uns nicht fertig. Ich muss immer wieder weitermachen. Wir tragen die Wundmale Jesu an unserem Leibe. Wir müssen auch noch den Passionsweg gehen, wie Jesus den Passionsweg gegangen ist.
Die Herausforderung der Frustration im Dienst
Die schönste Begegnung für mich war in Colombo mit Acit Fernando. Er ist ein Jugendevangelist, der vor einigen Jahren im Neckarstadion die Hauptansprache gehalten hat.
Wir bauen gerade ein großes Jugendzentrum für ihn, das ist wunderschön. Dabei mussten wir auch sehen, wie es weitergeht, ob alles gut wird und wie wir uns durch das dichte Verkehrsgewühl von Colombo bewegen.
Plötzlich sagt Acit Fernando zu mir: „Weißt du, was mir auffällt? Ihr im Westen könnt keine Frustrationen aushalten. Frustration heißt vergebliche Arbeit. Ihr müsst dauernd Erfolgserlebnisse haben. Ihr müsst immer erzählen: ‚In meiner Gemeinde wächst es, sie wird immer größer, wir erleben Tolles und sind prima.‘ Auch in der Missionsarbeit, wenn bei euch jemand kommt, will er in drei Jahren etwas vorweisen.“
Er fragt weiter: „Wisst ihr eigentlich noch, dass aller Dienst für Gott nur Frustration ist? Man meint, man hätte vergeblich gearbeitet, und am Ende gibt es dennoch Frucht, weil Gottes Wundermacht das schenkt. So haben Paulus und seine Freunde gearbeitet. Vielleicht spricht das sie konkret in ihren Nöten an.“
Unsere Arbeit ist nicht vergeblich in dem Herrn, weil er uns gebraucht und weil er uns in seinen Dienst nimmt.
Die Bedeutung des hellen Lichts im Herzen
Jetzt möchte ich doch noch ein Letztes anfügen. Ich versuche das immer ein wenig zu gliedern, um Ihnen ein paar Leitsätze einzuhämmern.
Gott führt uns oft durch große Not – das war so ein Leitsatz. Und der andere Leitsatz war: Da kann man beglückende Erfahrungen machen, beglückende Erfahrungen, da ein heller Lichtschein.
Jetzt muss ich noch vom größten und mächtigsten Wunder reden. Was ist denn das größte und mächtigste Wunder? Ist es nicht das größte Wunder, wenn Gott einen Krebskranken heilt? Es kann ja Gott, macht er ja auch. Gott hat in unserem Leben schon viele unwahrscheinliche Dinge gemacht.
Nein, ich bestreite, dass das das größte Wunder ist. Wir dürfen Gott darum bitten, wir dürfen Gott um viele Wunder bitten. Aber das größte Wunder, das er uns schenken will und gibt, ist der helle Lichtschein im Herzen.
Wenn Sie einmal wissen, wie schwer es ist, die psychischen Vorgänge Ihrer Seele zu steuern, dann wissen Sie erst, was Gott da Großes tut, wenn er den Lichtschein in unser Herz schenkt. Wenn er uns Glaubenserkenntnis gibt, dass wir Jesus sehen können, dass wir ihm vertrauen, ihn lieben und in ihm geborgen sind.
Darum sagt Paulus: Das ist so wie damals, als Gott die Welt erschuf. Da war die ganze Welt ein Chaos, die Erde war im Hebräischen ein Tohuwabohu, ein Durcheinander. Und dann spricht Gott hinein: Es werde – und es wird.
Ich weiß, wie es heute in vielen Herzen von Ihnen aussieht: bei den Trauernden, bei denen, die Angst vor Morgen haben, bei denen, die einsam sind, die betrogen wurden von ihrem Ehegatten. Sie sagen: Ich kann nicht mehr. Und dann spricht Gott sein: Es werde hell.
Und dann dürfen sie im Angesicht Jesu den Lichtglanz Gottes sehen. Das, was da mit Klarheit steht, das ist das, was die Hirten auf dem Hirtenfeld gesehen haben, die Herrlichkeit, die den Herrn umleuchtete.
Sie sehen auf einmal Ewigkeitsschönheit, Gottes Erbarmen und Güte.
Die Begrenztheit des irdischen Lebens und die Bedeutung des Leidens
Sie verstehen die Welt nicht, das weiß ich. Die Welt mit ihrem Leiden vergeht, das ist zeitlich begrenzt, sagt später Paulus. Es ist dieser Lauf des Lebens, in dem noch viel, viel erlebt werden muss.
Wir waren doch törichte Leute, wenn wir immer wieder gesagt haben, unsere Kinder sollen es einmal besser haben. Haben wir wirklich gemeint, unsere Kinder hätten es besser, wenn sie zehnmal so viel Taschengeld bekommen, bessere Ärzte haben und eine bessere Ausbildung erhalten? Unsere Kinder müssen genau durch das Leiden hindurch wie wir.
Vielleicht ist es die Naivität des Menschen, zu glauben, er könne das Leiden überwinden. Glaubende fliehen dem Leiden nicht, sie sagen Ja dazu. Aber sie wollen im Leiden Erfahrungen machen und das größte aller Wunder entdecken.
Ich darf Sie immer daran erinnern, dass wir hier in der Ludwig-Hofacker-Kirche sind. Ludwig Hofacker war ein Prediger, den Gott in wenigen Jahren gebraucht hat. Er konnte kaum reden, hatte eine viel schwächere Stimme als ich und war todkrank. Doch Gott hat ihn benutzt.
Im letzten Jahrhundert gab es einen Mann, der für uns ein Inbegriff der Liebe ist wie kein anderer. Von Haus aus war er das nicht. Er war verbittert, als in dreizehn Tagen alle vier seiner Kinder starben. Er war Landpfarrer in Westfalen, Friedrich von Podelschwind, und in dreizehn Tagen vor Weihnachten verlor er alle vier Kinder am Stickhuschen.
Dann hat er Jesus richtig kennengelernt. Er sagt: „Ich habe begriffen, in dieser Welt gibt es nichts Tröstlicheres als die Liebe Gottes, die mir in Jesus offenbart ist.“ Er wollte seine ganze Kraft nur noch dafür einsetzen, Menschen von dieser Liebe Gottes zu erzählen.
Daraufhin ging er nach Bielefeld und baute die Anstalten für Geisteskranke auf. Durch das Leiden gab Gott erst den Lichtschein.
Der Auftrag im Leiden
Jetzt wissen Sie, warum Gott Ihnen Leiden auferlegt. Es ist nicht, weil Gott sadistisch mit Ihnen umgehen will, sondern weil er möchte, dass Sie durch Ihre Erfahrungen das Beste und Schönste mit anderen Menschen teilen können.
Sie sollen von der Herrlichkeit Gottes erzählen, die im Angesicht Jesu leuchtet. Dazu hat er Sie berufen, dazu sind Sie gesandt, und das ist Ihr Auftrag. Amen.
