Herzlich willkommen zum Podcast der EFA Stuttgart mit Thomas Powileit und Jörg Lackmann.
Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zum theologischen Denken anregen.
Auch während der Zeit des Dritten Reiches hat der Jugendpfarrer und Evangelist Wilhelm Busch in Essen nicht aufgehört, Menschen zu Jesus zu führen. Dabei gab es ständig Konflikte mit den Nationalsozialisten. Das war unvermeidlich. Dennoch hat er immer wieder zur Freiheit des Evangeliums gefunden.
Jörg, du hast ein Buch gelesen, das er geschrieben hat: Meine Erlebnisse mit der geheimen Staatspolizei. Das ist der Untertitel. Der Haupttitel des Buches lautet Freiheit aus dem Evangelium.
Man muss sagen, dass es das Buch auch als Vortrag gibt. Das Buch besteht eigentlich aus zwei Vorträgen aus den sechziger Jahren, die irgendwo in Stuttgart aufgenommen wurden. Die genauen Details sind nicht bekannt. Diese Vorträge sind ebenfalls verfügbar.
Wir haben eine Schienenplattform, auf der die Vorträge zu finden sind. Dort heißt es eher Meine Erlebnisse mit der Geheimen Staatspolizei, also mit der Gestapo. Es gibt mehrere Quellen, wo ihr euch die Vorträge anhören könnt.
Das soll euch dazu motivieren. Wir machen jetzt ein Exzerpt daraus, denn du hast das Buch ja gelesen.
Wilhelm Busch war während der Nazizeit mehrfach im Gefängnis. War das unvermeidlich, wie es oft behauptet wird? Ja, das wurde ihm durchaus vorgeworfen oder gesagt – ähnlich wie es heute noch geschieht. Die Frage war: Wie soll man mit dem Staat umgehen? Sollte man sich ruhig verhalten, dann sei alles in Ordnung.
Er hat das in der Einleitung recht treffend formuliert. Er sagte, die Nazis hätten natürlich nichts gegen irgendeinen Pfarrer gehabt, der sich mit ein paar alten Mütterchen traf. Aber er selbst hatte jeden Sonntag 700 bis 800 Jungen in seinem Weigelhaus, seinem Jugendhaus. Darauf haben die Nazis natürlich genau geachtet. Du musstest entweder ganz leise treten und zurückhaltend sein oder, nach seiner Überzeugung, wenn du Christus nachfolgtest – egal ob als Pfarrer oder als Christ – konntest du der Konfrontation irgendwann nicht mehr aus dem Weg gehen.
Am Anfang war das noch etwas anders. Er schildert auch die Anfänge. Damals war die Geheime Staatspolizei noch nicht vollständig aufgebaut. Das ist interessant, denn in Diktaturen gibt es immer ein zweites Rechtssystem mit Geheimdiensten und Ähnlichem. Diese agieren nie über das normale Recht, weil sie dort nicht durchkämen.
Wilhelm Busch war meist in Gestapo-Gefängnissen inhaftiert, nicht in regulären. Dort lief alles unter der Hand. Er berichtete auch vom Anfang, wie das ablief, und von Konflikten, die seine jungen Burschen – wie er sie nannte – hatten.
Zum Beispiel hat er ihnen gesagt: Zur Jugendstunde müsst ihr nicht kommen. Darauf legte er keinen Wert. Aber am Sonntag müsst ihr da sein, weil es das Gebot gibt: Du sollst den Feiertag heiligen. Am Sonntag müsst ihr also in die Kirche kommen.
Nun war es aber so, dass die Hitlerjugend Sonntagmorgens um acht Uhr einen Marsch angesetzt hatte. Was macht man da? Die jungen Burschen sind aufgestanden und haben gesagt: „Pardon, wir gehen in die Kirche.“ Ich lese hier mal aus dem Buch: „Unsinn, dies ist Dienst für den Führer.“ Aber sie blieben dabei: „Mein Gewissen ist gebunden an Gottes Wort.“ Daraufhin raufte sich der arme Schuldirektor, ein Oberstudienrat, der selbst nicht genau wusste, wie die ganze Sache lief, seine spärlichen Haare und wusste nicht, wie er entscheiden sollte.
Das hat William Busch damals unheimlich gepackt. Wie die jungen Leute schon an so kleinen Fragen begriffen haben, dass man von Anfang an Gott gehorsam sein muss.
Ein anderes Beispiel: Hier merkt man schon, dass man das nicht einfach mit heute vergleichen kann. Ich vergleiche das nicht mit heute, aber du weißt, worauf ich hinaus will. Das lasse ich weg. Man hätte ja sagen können, man bleibt ein paarmal vom Gottesdienst weg. Das haben sie aber nicht gemacht.
Ein weiteres Beispiel, bei dem man nicht mehr diskutieren kann: Die höheren Schüler gingen ins Schulheim heim. Die Hitlerjugend war ja nach einer Weile gleichgeschaltet, da gab es kaum noch etwas anderes. Sie übernahmen sofort die äußere Gestaltung dieses Schulheims. Damals wurde noch am Tisch gebetet. Das kannten Sie noch, ja.
Jetzt hat die Hitlerjugend gebetet, und entschuldigung, dass ich das so zitiere, aber ich denke, es ist wichtig, das zu wissen. Sie haben tatsächlich gebetet: „Lieber Herr Jesus, bleib uns fern, wir essen ohne Dich ganz gern, Amen.“
Da haben die Burschen dann gesagt: „Entschuldigung, wir kommen erst nach diesem Tischgebet.“ Das geht nicht. „Ja, aber das ist Dienst, dass ihr hier seid.“ Schon an so kleinen Dingen entzündete sich der Konflikt. Man musste Stellung beziehen bei solchen Dingen. Das war nicht vermeidbar.
Nach einer Weile begann es damit, dass in Essen bereits zwei Jugendhäuser von der Hitlerjugend besetzt wurden. Sie gingen dabei so vor, dass sie nachts mit einer unbekannten Anzahl von Männern zu einem Jugendhaus kamen, es überfielen und besetzten. Die Polizei griff nicht ein, da alles unter einer Decke steckte. Die Hitlerjugend war ja die offizielle Jugendorganisation, und deshalb wurde nichts unternommen.
Wilhelm Busch sagte dazu: „Na ja, jetzt sind schon zwei Jugendheime weg.“ Dabei hatten sie, wie gesagt, Platz für sieben- bis achthundert Jungen. Damals war das Jugendheim nur für Jungen offen. Das wäre natürlich ein ideales Hauptquartier für die Hitlerjugend gewesen. Deshalb organisierte er Wachen für die Nacht. Jede Nacht hielten sich mindestens 50 junge Leute dort auf und übernachteten. Sie mussten schon eine gewisse Stärke haben.
Eines Abends wurde er gerufen. Ich nehme an, er wohnte in der Nähe. Es hieß, dass es ums Weigelhaus „irgendetwas im Busch“ gebe und dass die Hitlerjugend wohl kommen würde. Daraufhin trommelte er noch weitere Leute zusammen. Als die Hitlerjugend ankam, um das Jugendhaus zu überfallen, wurden sie von den inzwischen etwa 100 jungen Leuten kräftig verprügelt.
Die Hitlerjugend wurde verfolgt, und es waren sogar einige Erwachsene dabei, die ebenfalls auf sie einschlugen. Denn nicht jeder fand es gut, wie sich die Dinge im Nazi-Deutschland entwickelten. So gelang es ihm, das Jugendhaus zu retten.
Aber das ist schon eine Lektion in so schwierigen Zeiten. Er erzählte, dass damals ein Buch von Doktor Chambon erschienen ist. Chambon war Pfarrer der französisch-reformierten Gemeinde in Berlin und lebte später in Zürich. Er schrieb ein Geschichtsbuch über die Hugenotten.
Ich habe mir dieses Buch später auch einmal gekauft, vielleicht kommt man irgendwann dazu, es zu lesen. Die Nazis verboten das Buch nach der dritten Auflage, obwohl sie nicht genau wussten, warum. Es war ja eigentlich ein langweiliges Geschichtsbuch.
Doch sie hatten erkannt, wie die Hugenotten damals vom französischen Staat blutig verfolgt wurden – ähnlich wie beim Bartholomäusnacht-Massaker. Über zwanzigtausend Menschen starben. Die Hugenotten flohen bis nach Süddeutschland, auch in meine Gegend. Dort gibt es einige Dörfer, die nach ihnen benannt sind, und auch Waldenser-Dörfer.
Er merkte damals: Als Christen sind wir Lämmer. Deshalb beschlossen sie irgendwann, keine Schlägereien mehr zu machen. Stattdessen vertrauten sie auf den Herrn. Sie wollten alles rechtlich Machbare ausreizen, aber keine gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr führen.
Das war also auch ein Lernprozess in dieser Zeit. Es war nicht einfach.
Das waren so die Anfänge, und dann gibt es noch ganz tolle Erlebnisse, die ihr nachlesen könnt. Die Jugendarbeit wurde immer mehr verboten. Es wurden immer mehr Gewerkschaftsjugenden, kirchliche Gruppen und so weiter verboten. Sie durften immer weniger machen. Zum Beispiel durften sie keine Pfadfinder-Uniformen mehr anziehen und bestimmte andere Aktivitäten waren ebenfalls untersagt.
Freizeiten waren zu einer bestimmten Zeit aber noch nicht verboten. Also hat er mit den höheren Schülern eine Freizeit im Fichtelgebirge organisiert. Sie sind dort fast tausend Meter hoch gewandert. Ganz in der Nähe war eine Hitlerjugend. Jetzt will ich es doch erzählen – nein, das erzähle ich nicht. Ihr könnt das aber nachlesen oder nachhören. Es ist eine total spannende Geschichte, wie Gott da auch geführt hat.
Am Ende war es so, dass sie bei einem Naziwirt untergebracht waren, der ein alter Kämpfer aus dem Ersten Weltkrieg war. William Busch war ebenfalls Offizier im Ersten Weltkrieg gewesen. Dieser Wirt war irgendwo doch in Ordnung. Obwohl die Teilnehmer eigentlich weggehen sollten, hat er sie bewirtet. Am Ende holte er seinen Sohn, der ein großer Führer der Hitlerjugend war. Dann evangelisierte er seinen Sohn, weil der Vater gesagt hatte: „Ich führe hier alle, aber meinen Eltern gehorche ich da nicht mehr.“ Was für eine Not! Und auch dort kam das Evangelium hinein.
Wie sie die Freizeit dann halten konnten, ist eine total spannende Geschichte. Es gibt noch viele andere spannende Erlebnisse, die ich nicht erzähle – hört sie nach. Das zeigt, dass Gott sie wirklich geleitet hat, aber sie mussten auch manches lernen, wie sie damit umgehen sollten. Die Frage war ja: Der Staat wirkt jetzt hier in die Kirche hinein – wie gehen wir damit um? Bis zu welchem Punkt ist es legitim und ab wann nicht?
Er hat das Evangelium deutlich verkündet. Es gab auch besondere Zeiten. Er hat einmal berichtet, dass sie zum Beispiel eine Veranstaltung zum Thema „Liebe und Ehre“ gehalten haben. Ich konnte mir das gar nicht merken. Aber es waren dreitausend Leute am Nachmittag in Mannheim gekommen, um das zu hören. Denn „Ehre“ war natürlich etwas, das Nazi-Deutschland hochgehalten hat – das Volk, die Ehre. „Liebe“ ist das Christentum. Das haben die damals verstanden.
Die Kirche war brechend voll. Sie versuchten dann, ihn und auch andere Referenten daran zu hindern, in die Kirche zu kommen. Er war ja nicht alleine. Sie stellten wirklich Geheimdienstpolizisten in Zivil vor die Kirchentüren. Die hatten Fotos von den Referenten, damit sie diese wegnehmen und kurzzeitig in Schutzhaft nehmen konnten, damit die Veranstaltungen nicht stattfinden konnten.
Dann gab es ganz abenteuerliche Geschichten. Damals war es nicht üblich, dass man vom Kanzelplatz heruntergeholt wurde. Die Ehrfurcht davor hatten sie. Allerdings wurden die Prediger danach ins Gefängnis gesteckt.
Ihm ist das auch einmal passiert: Er kam über den Pfarrgarten, stieg dann durch den Keller ein, weil ihm jemand aufgemacht hatte. Nach dem Krieg erfuhr er, dass dieser jemand ein Ausländer war, der besser wusste, was möglich war. Er wusste, dass Ausländer nicht so leicht belangt werden wie Deutsche und hatte deshalb mehr Möglichkeiten. So konnte er dort predigen.
Als er dann zu seinem Auto zurückwollte, saß jemand ganz starr darin. Sie hatten ihn erwischt, und er kam zum ersten Mal ins Gefängnis. Wilhelm Busch, wie du ja schon in der Einleitung erwähnt hast, hat natürlich erlebt, dass es ein gewisses Gefahrenpotenzial hatte, zum Herrn Jesus zu stehen. Er ist tatsächlich in Haft gekommen, in Gestapohaft, wie du gesagt hast.
Wie hat er diese Herausforderung in der Haft erlebt? Dazu hat er, glaube ich, einiges gesagt, oder? Ja, das ist mir auch sehr eindrücklich. Ich habe das Buch vor etwa 30 Jahren gelesen. So alt bist du schon? Das Buch erschien in den Achtzigerjahren, obwohl die Vorkommnisse in den Sechzigern waren. Ich glaube, es kam 1985 oder 1987 heraus. Ich habe es kurz nach meiner Bekehrung 1985 gelesen, da ich mich eh für Geschichte interessiere. Wilhelm Busch ist ja kein Unbekannter. So kommt man schon mal zu einem Buch. Die Vorträge von ihm habe ich auch schon ein paar Mal gehört, nicht oft, aber bestimmt zwei- oder dreimal.
Er beginnt ganz interessant und erzählt die Geschichte recht unterhaltsam. Aber ich muss jetzt etwas vorlesen, damit man das richtig versteht. Manche verklären die Haft im Nachhinein, sagen, Gott habe doch geführt und so weiter. Dazu hat er aber etwas ganz anderes geschrieben. Er sagte: „Dazu kam noch die Angst. Ich hatte Angst. Bei meinem fünfundsechsten Verhör – das zeigt, wie oft ich verhört wurde – hätte ich am liebsten einen Blumenstrauß genommen, einen Frack angezogen und gesagt: Das ist mein Jubiläum.“ Wer das geglaubt hat, hat keine Ahnung, durch welche Todesängste wir gegangen sind. Man war der Menschenhände ausgeliefert, und das war schauerlich.
Was wir Prediger in besonderer Weise erleben mussten, das erlebte im Grunde jeder Jesusjünger im Dritten Reich. Das war kein Vergnügen. Er war oft sehr einsam und kam nie in ordentliche Gefängnisse. Meistens, mit einer Ausnahme, war er in einer Zelle, die so schmal war, dass man nur stehen konnte, wenn man die Arme angewinkelt hatte. Selbst mit angewinkelten Armen – ich mache das gerade vor, das seht ihr ja nicht – war man links und rechts schon an der Wand. Zwei Schritte hin, zwei Schritte her, das war’s. Es gab nichts zu lesen, kaum zu essen.
Er dachte oft, er würde in dieser Zelle verrückt werden. Doch dann „lebt dich immer dasselbe“, dass ihm nämlich an der Grenze des dunklen Reiches aufging: „Mensch, du gehörst doch dem, der dich erkauft hat, und Gott lässt sein Eigentum nicht los.“ Ich kann es nur so ausdrücken: Da kam Jesus zu mir in die Zelle. In diesen schmutzigen Gestapo-Zellen verliert man alle Schwärmerei, man lernt die Realität kennen und sein eigenes Herz.
Er berichtete: „Ich habe Zeiten erlebt, in denen Gott mir alle meine Sünden vorhielt, in denen ich sah, wer ich bin: ein verlorener Mensch. Aber dann sah ich Jesus für mich gekreuzigt, und er kam zu mir.“
Besonders eindrücklich fand ich auch das, was er über ein Gespräch mit seiner Frau schrieb: Als sie ihn bei einer Verhaftung sprechen durfte, sagte sie: „Wie siehst du denn aus? Bleich, unrasiert und mager.“ Da antwortete er: „Moment mal, um euch muss man Angst haben. Wie viel Zeit habt ihr zum Beten? Wie viel Zeit hast du, um Gott zu loben?“
Sein Tagesablauf war so: von sieben bis acht Uhr Gott loben, von acht bis neun Uhr Fürbitte für andere tun, von neun bis zehn Uhr die Psalmen hersagen, die er konnte – als Motivation zum Auswendiglernen. Von zehn bis elf Uhr machte er Turnübungen, damit er nicht einrostete. Von elf bis zwölf begann er wieder mit Gott loben, Fürbitte und Psalmen hersagen. Das machte er jeweils eine Stunde, dreimal am Tag. Seine Zelle war voll der Herrlichkeit Gottes. Er sagte: „Um euch muss man Angst haben, die nicht mehr mit der Wirklichkeit des lebendigen Gottes rechnet, nicht um mich.“
Das gab es also auch. Aber es gab auch sehr große Einsamkeit, weil sich die meisten natürlich zurückzogen, nicht anecken wollten und ihn nicht unterstützten. Die Gestapo konnte ihn nach einem Kirchenbesuch trotz einer Menge von mehreren hundert Leuten – wie viele genau, steht nicht drin – abführen. Sie hatten zwar den Wagen umringt, und es war schon eine heiße Situation. Aber er betete, dass nichts passiert, denn das hätte alles nur schlimmer gemacht.
Es war eine große Einsamkeit und Angst, wie er ja dargelegt hat. Dabei hat er wahrscheinlich auch ganz spannende Erlebnisse gehabt – nicht im positiven Sinne spannend, sondern als Herausforderungen, die er erlebt hat.
Ja, aber auch umgekehrt, und zwar positiv. In Darmstadt war es einmal so, dass eines Tages die Tür aufging und ein Wärter hereinkam – ein SS-Mann. Er zog die Tür hinter sich zu. Der Gefangene dachte, der Mann wolle ihm etwas antun, stellte sich deshalb einen Hocker vor sich, um sich zu schützen.
Doch der SS-Mann sagte: „Nein, nein, ich will Ihnen doch nichts tun.“ Er holte ein altes Sonntagsblatt hervor, eine kirchliche Zeitschrift, und kramte darin nach einer Geschichte von ihm. „Waren Sie das damals in diesem Zirkus?“ fragte er. Darauf antwortete er: „Ja, ja, das war ich.“ Dann erzählte der Wärter ihm das Evangelium.
Das Interessante daran war, dass Jesus damals im Zirkus Sarasani war – das war damals noch so. Ich zitiere das jetzt mal wieder. Der Wärter sagte, es gehe ihm nicht um Jesus im Zirkus Sarasani, sondern um Jesus im Gefängnis der Staatspolizei in Darmstadt. „Da müsste ich ja Tinte gesoffen haben, wenn ich Ihnen abnehme, dass Jesus jetzt hier ist.“ Er entgegnete: „Im Gegenteil, Sie haben Tinte gesoffen, wenn Sie mir das nicht abnehmen.“
Dann fügte er hinzu: „Wenn wir darüber reden wollen: Ich ersticke in dieser Zelle. Lassen Sie uns im Gang reden, da ist wenigstens ein Fenster, an dem man mal Luft kriegt.“ Der Wärter antwortete: „Ja, kommen Sie mit raus.“
Zehn Minuten später war die ganze Belegschaft der Wärter versammelt. Er erzählte ihnen das ganze Evangelium. Er sagte, es gebe verschiedene Weltanschauungen – auch aus Nazi-Deutschland –, die behaupteten: „Mein Volk ist mein Gott.“ Das sei eine innere Haltung. Der Spießbürger sage, die Natur sei sein Gott. Andere sagten, die Tiefe des Daseins sei Gott. Das sei heute für uns etwas fremd, aber damals waren das moderne Gedanken. Heute wären es vielleicht der Buddhismus oder andere Richtungen, die er zitieren würde.
Er sagte: „Das kann doch gar nicht Gott sein. Man kann sagen, Gott gibt es oder Gott gibt es nicht, aber man kann nicht etwas Innerweltliches Gott nennen. Das ist doch ein Schwindel.“ Wenn Goethe sage, Gott sei Gefühl, dann sei Gott doch außerhalb der Welt, des Schöpfers. Das gehe doch gar nicht.
Dann zeigte er, wie Menschen zu Gott kommen können und dass sie auch böse sind. Er sagte den SS-Leuten offen, dass jeder Mensch geneigt ist, Gott und seinen Nächsten zu hassen. Dass sie böse Menschen sind und in die Hölle kommen, aber dass es eine Erlösung gibt – keine Selbsterlösung, wie damals im Nazireich, das ja auch ein tausendjähriges Reich gründen wollte. Diese Erlösung komme durch das Kreuz Christi.
Er zeigte seine Hoffnung, auch wenn er in dieser Zelle war. Später erfuhr er etwas Interessantes: Hinter einer dieser Zellen saß ein Amtsbruder von ihm, ein anderer Pfarrer. Der hatte mitbekommen, dass er evangelisierte. Während er mit dem Polizisten das Evangelium erklärte, betete der andere Pfarrer die ganze Zeit.
In einem Buch oder in Vorträgen, die er später hielt – das sind ja nur Verschriftlichungen seiner Vorträge –, sagte er: „Da habe ich gedacht, das ist die Kirche der Zukunft, die Kirche im Gefängnis. Der eine legt Zeugnis ab, und der andere kniet hinter verriegelter Tür und schreit zu Gott. Das ist die wahre Kirche, die eigentliche, die mit Jesus unterliegt und doch siegt.“
Ich war einmal als Besucher im Gefängnis in Bautzen. Das war ja das Gefängnis der SED. Dort gab es zwei verschiedene Methoden, mit denen die Gefangenen behandelt wurden. Einerseits setzten sie die Leute massiv unter Druck. Andererseits versuchten sie auch, die Menschen „zu werben“, indem sie ihnen mit großer Freundlichkeit begegneten. Das war ziemlich perfide.
Sie luden Leute zum Kaffeetrinken ein, damit die anderen Gefangenen den Kaffeeduft wahrnahmen und misstrauisch wurden. So sollte man vermuten, was bei den Treffen besprochen wurde. Ich kann mir vorstellen, dass auch bei Wilhelm Busch die Freundlichkeit der Gestapo eine Möglichkeit war, ihn von seinem Kurs abzubringen.
Er selbst sagte, dass dies sogar die größte Versuchung war. Man bot ihm an: „Du kannst ja sofort rauskommen, du darfst auch weiter dienen, aber nicht mehr predigen oder die Predigtstation halten.“ Er könne einen normalen Dienst machen, aber das Predigen sei verboten. Diese Freundlichkeit und die Verlockung, alles mit einem kleinen Kompromiss zu beenden, waren schwer zu ertragen.
Der Gedanke, dass man das allein durchstehen müsse, war schon schwierig. Doch wenn man die Möglichkeit hat, mit einem kleinen Kompromiss da rauszukommen und trotzdem noch etwas tun kann, ist das eine andere Situation. Wilhelm Busch wollte das aber nicht. Deshalb blieb er im Gefängnis.
Übrigens sagte er nach dem Krieg, vor all den tollen Geschichten, die man so hört, stehe immer eine Klammer: Hätte er gesagt, was er hätte sagen sollen, wäre er hingerichtet worden. Das war seine persönliche Überzeugung. Er hat es nicht direkt so ausgedrückt, aber er meinte, er wäre nach Plötzensee gekommen, wo Bonhoeffer hingerichtet wurde.
Also die Freundlichkeit war immer Teil der Taktik. Es gab beides: Druck und Freundlichkeit. Wilhelm Busch wurde oft verhaftet. Er war nicht jahrelang am Stück im Gefängnis, sondern immer wieder. Einmal zum Beispiel verteilten sie Flugblätter. Der Gestapomann kam herein und fragte: „Habt ihr Flugblätter hier?“ Er wollte sie verhaften. Die Flugblätter lagen auf dem Tisch, doch der Mann suchte und fand sie nicht.
Wilhelm Busch sagte, er glaube, Gott habe ihm die Augen gehalten. Solche Situationen gab es immer wieder. Es gab evangelistische Gespräche, aber auch Angst. Die Angst, das eigene Böse zu erkennen, kaputt zu sein und einsam zu sein. Es ist nicht nur eine „Hochgeschichte“ – all das ist passiert.
Die Nazizeit war natürlich auch eine Zeit, die von der Macht des Bösen geprägt war. Wilhelm Busch musste sich damit auseinandersetzen. Er hat es äußerlich überlebt und konnte später davon berichten. Aber diese Zeit hat ihm auch sehr zugesetzt. Die Macht des Bösen war allgegenwärtig – bis ins Kleinste hinein.
In letzter Zeit habe ich an einige eigene Erlebnisse gedacht, bei denen ich nicht in demselben Ausmaß, aber doch etwas Ähnliches erlebt habe. Dabei musste ich an Wilhelm Busch denken. Er sagte zum Beispiel, dass die Macht der Lüge besonders groß war.
Einmal wurde er abgeholt, nachdem er in Gelsenkirchen gepredigt hatte. Das ist ja nicht weit von Essen entfernt. Man sagte ihm: „Kommen Sie bitte mit, wir haben noch ein paar Fragen. Wir müssen nach Gelsenkirchen.“ Er antwortete: „Sagen Sie mir doch, dass Sie mich verhaften, dann nehme ich meine Zahnbürste mit.“ Doch man sagte: „Nein, wir verhaften Sie nicht, nur ein Verhör. Sie kommen in einer Stunde zurück. Nur kurz nach Gelsenkirchen.“
Als sie in Gelsenkirchen ankamen, sah er den roten Schein auf dem Schreibtisch – den Verhaftungsschein. Er fragte: „Warum haben Sie es nicht gesagt?“ Die Antwort war: „Wir wollten keinen Ärger. Sie wissen doch, dass meine Frau keine Szene macht.“ Er fragte weiter: „Warum lügen Sie?“ Da verstand er: Sie müssen lügen. Sie können nicht anders.
„Man kann so viel lügen“, schrieb er, „dass es zu einer Sucht wird.“ In der Bibel sagt Jesus, dass der Teufel der Vater der Lüge ist. Mit jeder Lüge läuft man in sein Lager und greift die Hand des Teufels. Das Merkwürdige ist, dass sie lügen müssen, obwohl es gar nicht nötig ist.
Das wundert ihn manchmal bei manchen Leuten, die sagen: „Die müssen mich doch gar nicht anlügen, sie können einfach die Wahrheit sagen.“ Aber sie lügen, weil sie immer lügen. Das ging bis hin zum Konzentrationslager. Dort hieß es, die Gefangenen bekommen einen Bart, obwohl jeder wusste, dass sie vergast werden.
Sie konnten nicht mehr anders. Sogar einen Pfarrer benutzten sie einmal, der zu Wilhelm Busch ging und ihm sagen sollte, dass sie keine Hoffnung mehr hätten und ins Konzentrationslager kämen. Der Pfarrer gestand ihm später in der Zelle, dass man ihn angewiesen hatte, ihn „zu bearbeiten“.
Oder bei einem Verhör gab es damals noch Schreibmaschinen mit fünf Durchschlägen. Man sagte ihm: „Unterschreiben Sie jetzt mal.“ Er antwortete: „Ich gucke mir alles an.“ Doch man bestand: „Unterschreiben Sie jetzt, vertrauen Sie mir nicht.“ Er sah sich alles an und bemerkte, dass die erste Seite anders war als die vier anderen. So hätte er ein Geständnis unterschrieben, das gar nicht protokolliert wurde.
Diese Macht der Lüge empfand er als besonders schlimm. Später, in den sechziger Jahren, gab es einige politische Dinge, auf die er Bezug nahm. Ich habe diese nicht nachrecherchiert, da er sie nur angedeutet hat. Damals war er schon sehr empfindlich – oder besser gesagt, empfindsam.
Aber was kann man aus der Zeit von Wilhelm Busch lernen? Es gab eine starke Auseinandersetzung mit dem Staat, der natürlich ein Unrechtsstaat war, das muss man sagen. Dennoch gibt es immer wieder Grenzüberschreitungen, bei denen man nicht so genau weiß, wie man sie bewerten soll.
Ich fand es gut, wie du gesagt hast, dass sie auch an manchen Punkten gelernt haben. Wenn man seine Schriften liest, was nimmt man mit? In dieser ersten Umbruchsphase ist es, glaube ich, normal, dass man ein bisschen kopflos ist und nicht genau weiß, was zu tun ist. Uns könnte so etwas schneller treffen, als wir denken. In der Corona-Zeit haben wir Ähnliches erlebt.
Dabei fand ich, egal welche Meinung man hat, dass die Verhaltensweise der Christenheit, also der wahren Christen, nicht unbedingt von Anfang an ideal war. Wenn es eine Pandemie gibt, hätte man zum Beispiel früher Busgottesdienste abhalten können. Das gab es aber nicht, ebenso wenig wie andere Maßnahmen. Aber auch bei Wilhelm Busch war das so. Man hat gelesen, dass sie durch bestimmte Brüder, die ein Buch geschrieben hatten, dann gelernt haben. Dieses Buch verbreitete sich rasch.
Natürlich ist nicht alles schön, und man muss irgendwann Entscheidungen treffen: Gehe ich den Kompromiss ein oder nicht? Wilhelm Busch hat sich dagegen entschieden. Gott hat ihn bewahrt, andere jedoch nicht. Er hat sofort Konsequenzen zu spüren bekommen, weil er der führende Kopf war.
Man hat nicht jeden bestraft, der in der Bank betete, aber die führenden Köpfe wurden unter Druck gesetzt, kamen ins Gefängnis und Ähnliches. Es ist nicht alles schön. Man darf nicht verklären, dass man, wenn man mit Gott den Weg geht, Gott einem automatisch nahe ist und alles toll ist. Nein, eben nicht. Aber Gott hat auch oft eingegriffen. Ich glaube, das ist die frohe Botschaft: Gott lässt seine Menschen nicht fallen.
Wilhelm Busch war ein großes Zeugnis, ebenso sein Bruder Johannes. Das ist vielleicht als abschließende Geschichte interessant. Den Rest kann man sich sicher in einem Vortrag anhören, der anderthalb bis zwei Stunden dauert. Ich habe einmal nachgeschaut, aber es ist wirklich interessant, ihn selbst im Gesandten sprechen zu hören. Er kann es natürlich viel besser vermitteln als ich.
Ich habe nur einige Prinzipien versucht nachzuvollziehen. Sein Bruder wurde in Bochum einmal verhaftet, und es gab ziemlich viel Aufruhr, weil er ein bekannter Pfarrer war. Das war für die Leute im Präsidium nicht einfach. Es gab jemanden, der immer schrieb: „Dem Pfaffen soll man das Maul stopfen.“
Dann hat dieser jemand gesagt, es gäbe drei glatte Stufen, die zum Präsidium führen. Und man glaubt es kaum: Am Abend verließ genau dieser Schreier das Präsidium. Jemand hatte eine Bananenschale auf die Stufen geworfen, und wie in einem schlechten Slapstick-Film rutschte der Mann aus, schlug mit dem Kopf auf und starb.
Gott hat das sofort gerichtet, weil dieser Mann gelästert hatte. Später erzählte sein Bruder, dass die Leute, die im Präsidium waren, nicht an Zufall glaubten. Sie hatten genau gehört: „Dem Pfaffen soll das Maul gestopft werden“, und ein paar Stunden später war der Mann tot.
Dann kamen viele Menschen zur Seelsorge zu seinem Bruder und fragten: „Gibt es einen Gott, der töten kann?“ Aber das Ausrutschen auf der Treppe und der Tod waren noch ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was danach kam. Es folgten Tage, die wohl eine Evangelisation waren, wie sein Bruder sie in seinem Leben noch nie erlebt hatte.
Das ist das merkwürdige Mitwirken Gottes, das Wilhelm Busch in dieser Zeit erlebt hat. Damit schließt er auch sein Buch. Gott ist da und benutzt einen auch in all diesen Dingen.
Damit schließen wir auch unseren Podcast ab und möchten euch natürlich ermutigen, diesen Vortrag anzuhören.
Wir werden prüfen, ob wir einen Link dazu in die Shownotes einfügen können. Dieser Podcast erscheint im Rahmen der Evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns gerne unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen und die Gewissheit, dass das Evangelium frei macht – egal unter welchen Umständen.