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Wunderbar ist Gottes Güte

24.07.1994Psalm 31,24-25

Schon vor Wochen, als ich darüber nachdachte, wie wir heute auf diese 50 Jahre des Friedens zurückblicken können, die uns Gott geschenkt hat, kam mir ein bestimmter Bibeltext in den Sinn. Es sind die Verse 22 bis 25 aus Psalm 31, die mir besonders passend erschienen.

Dort heißt es: Gelobt sei der Herr, denn er hat seine wunderbare Güte mir erwiesen in einer festen Stadt. Ich sprach zwar in meinem Zagen, ich sei von deinen Augen verstoßen, doch du hörtest die Stimme meines Flehens, als ich zu dir schrie.

Außerdem heißt es: Liebt den Herrn, alle seine Heiligen, die Gläubigen! Der Herr behütet sie und vergilt reichlich dem, der Hochmut übt. Seid getrost und unverzagt, alle, die ihr des Herrn harrt.

Erinnerungen an Krieg und Zerstörung

Eine ganze Reihe von Ihnen hat das ja noch miterlebt: Vor fünfzig Jahren dieser schreckliche Bombenhagel, der zwei Tage lang anhielt und die ganze Innenstadt Stuttgarts in eine Ruine verwandelte. Vielleicht waren manche von Ihnen damals irgendwo im Krieg oder in einem Gefangenenlager.

Ich habe immer gerne zugehört, wenn die Eltern mir erzählt haben, wie sie das erlebt haben. Hier an den Bergen, in der Hohenheimer Straße, Neffstraße, Danningerstraße – überall wurden Stollen gegraben, die man noch heute sehen kann. Dort hat man diese bangen Stunden erlebt, als alles um einen herum in Schutt und Asche fiel.

Genau vor 50 Jahren, bei einem der schlimmsten Angriffe, der Stuttgart getroffen hat, fiel auch unsere Kirche unten an der Ecke zum Opfer. Aber ich muss Sie enttäuschen: Ich will in der Predigt jetzt nicht viel über diese damaligen Vorgänge erzählen. Das können Sie viel besser von den vielen Augenzeugen hören. Euch, ihr Jungen, möchte ich Mut machen: Fragt doch die Alten und hört einmal zu, wie sie das erlebt haben.

Ich finde jedoch, dass es für einen Gottesdienst nicht der Inhalt sein kann, noch einmal zu hören, was Menschen kaputt machen. Wir wollen hören, was Gott in solch einem Elend getan hat, mitten in solch einem Grauen. Darum habe ich gedacht, wir wollen einen Dankgottesdienst feiern. Nichts anderes, nicht noch einmal das Grauen in uns ins Gedächtnis rufen, sondern einen Dankgottesdienst machen.

Dankbarkeit für den Frieden

Wie oft haben wir in den zurückliegenden 50 Jahren die besorgte Frage gehört, ob der Frieden bewahrt werden kann. Wir haben viele Aktionen und Friedensresolutionen erlebt. Doch wann haben wir eigentlich einmal dafür gedankt, dass uns Gott Frieden gegeben hat?

Wir haben diesen Frieden allein ihm und seiner Güte zu verdanken. Ich denke, ich liege nicht falsch, wenn ich sage, dass dies wahrscheinlich die längste Periode in der deutschen Geschichte ist, in der es durchgehend Frieden gab. Dass wir das so erleben durften, ist ganz unverdient. Wie oft hat man nach dem Gottesdienst am Ende den Vers gesungen: „Verleih uns Frieden gnädiglich“? Heute wollen wir danken und sagen: Ja, er hat uns diesen Frieden geschenkt, und wir haben viel zu danken.

Doch wir haben auch sehr viel in diesen schweren Tagen erlebt. Ich selbst, noch als kleines Kind, habe diese Erfahrungen gemacht. Die jungen Leute sind es schon gewohnt, dass ich immer wieder, wenn wir im Bibelkreis oder bei den Konfirmanden zusammensitzen, gerne ein wenig erzähle – auch von unseren Glaubenserfahrungen, die wir dort gemacht haben.

Einmal sagte ein junger Mann zu mir den Satz: „Ihr habt es ja gut gehabt, ihr durftet hungern!“ Ich fragte mich, was das wohl bedeuten soll. Wie kann man so etwas sagen? „Ihr habt’s gut gehabt, ihr durftet hungern.“ Der junge Mann hat Recht.

Einen ganz ähnlichen Satz habe ich kürzlich in einem Heft von Rieders Deutsches gelesen. Dort erzählt ein Vater seinem Sohn, wie er früher um fünf Uhr morgens mit den Eltern auf den Acker musste und wie sie Garben gebunden haben. Der Junge sagte daraufhin: „Was, das durftet ihr alles machen? Wissen Sie, dass das ein Schatz ist?“

Ein Schatz, den man einmal im Leben gewinnt, und davon sollen wir vielen erzählen.

Gottes Gnade in schwerer Zeit

Ja, wir haben Gottes Gnade in großem Elend erfahren, in dem Augenblick, als alles zusammengebrochen ist. Wir schulden das einer jungen Generation. Dabei machen wir jedoch einen großen Fehler: Wir sagen, sie sollen es besser haben als wir. Das ist töricht, so zu denken.

Die jungen Leute wollen sich ebenfalls bewähren – in den Herausforderungen, in den Schwierigkeiten, in den Nöten. Wir vererben ihnen ein Vermögen, wie es wahrscheinlich noch nie zuvor in der gesamten Menschheitsgeschichte zusammengekommen ist. Doch die junge Generation kann vielleicht gar nicht damit umgehen oder will es vielleicht gar nicht: viel Geld, Reichtum, Überfluss und ein bequemes Leben.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, das zu betonen, was wir in der großen Not als das Allerwichtigste entdeckt haben: die Nähe zu unserem Herrn Jesus Christus, den einzigen Trost im Leben und im Sterben. Das müssen wir uns heute an solch einem Gedenktag in Erinnerung rufen. Es soll wieder lebendig werden – Erfahrungen, die man nicht vergessen kann.

Die tiefste Erschütterung: Zweifel an Gott

Ich habe wieder drei Punkte gemacht. Mein erster Punkt: Es ging bei uns allen durch die tiefsten Erschütterungen.

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein Mensch das verkraften kann, wenn über Nacht plötzlich alles, was er besessen hat, verbrannt oder zerstört ist. Oder wenn man vor einer Trümmerruine steht und sagt: „Da drunten liegt mein Mann tot.“ Wie will man damit fertigwerden, wenn man die Heimat aufgeben muss, flieht und alles zurücklässt?

Sind das tiefste Erschütterungen? Nein, das sind nicht die tiefsten Erschütterungen, das haben wir gemerkt. Das Schlimmste, was man erleben kann, ist, wenn man in diesen Tiefen sagt: „Mich hat Gott verlassen.“ So hat auch David gesprochen, wie in einem Psalm erwähnt wird: „Ich sprach in meinem Zagen: Ich bin vor dem Herrn verstossen.“

Nach dem Krieg wurde dieses Wort in unzähligen Predigten zitiert. Besonders bekannt ist das Beispiel von Wolfgang Borchertz mit seinem Unteroffizier Beckmann, der draußen vor der Tür mit seiner Gasmaskenbrille steht, seine Angehörigen sucht und dann diese Klage schreit: „Liebe Gott, wo warst du, lieb?“ Das hat sich bei jedem eingeprägt.

Das war doch im Krieg das letzte Erleben von Zweifel an Gott, die Dunkelheit des Glaubens, die Anfechtung, durch die man ging. Die Soldaten im Kriegsgefangenenlager fragten: „Wo ist denn noch ein Gott?“ Genau wie David sprach man: „Ich bin vor dem Herrn verstossen.“ Wenn Sie damals auch so gesprochen haben, dann war das das Schlimmste, was Sie tun konnten.

Das ist noch schlimmer, als wenn Sie alles verlieren: Ihre Wohnung, Ihren Besitz, die liebsten Menschen, die Ihnen wert und teuer sind. Denn wenn Sie sagen: „Ich habe Gott verloren“, dann haben Sie keine Hoffnung mehr – weder im Leben noch im Sterben. Wenn das wirklich wahr ist.

Ich habe in diesen schweren Jahren eine andere Erkenntnis gefunden. Ich habe gemerkt: Es war eine Zeit, in der Menschen, die vorher nie Gott gefunden hatten, plötzlich die Kirchen drängend voll waren. Die Menschen fragten: „Was hält mich noch zusammen? Wofür lebe ich? Wo ist Gott?“ Und da suchten sie sein Wort – und sonst nichts.

Aber es ist tatsächlich so, dass wir in solchen Anfechtungen und Nöten gerne so sprechen wie David: „Ich bin vor dem Herrn verstossen.“ Sagen Sie mal, stimmt das denn? Sind wir wirklich vor dem Herrn verstossen?

Wie kamen wir damals in der Anfechtung zu dieser Ansicht? Wir glaubten, wir seien von Gott verstossen, weil unser Besitz in Flammen aufgeht, weil unsere Häuser zerfallen, weil alles bebt und wankt. Wie? Dann ist Gott uns nur so lange gnädig, wie unsere Häuser gesund dastehen, wie wir zu essen haben, wie es uns gut geht?

Die Gefahr eines oberflächlichen Glaubens

Folgen wir Gott nur deshalb, und ist für uns die Wirklichkeit Gottes nur daran erkennbar, dass wir an ihn glauben, weil es uns Frieden gibt? Nein, das ist töricht. Wenn euer Glaube von solchen äußeren Zeichen abhängig ist, dann ist es nichts weiter als ein simpler Glaube einer Fruchtbarkeitsreligion. Dieser hat mit dem biblischen Glauben nichts zu tun.

Wie kann man denn so sprechen: „Ich bin vor Gott verstoßen“? Ich darf es ein wenig drastisch sagen, denn ich möchte, dass Sie es behalten. Ich will Sie an dieser Stelle auch verletzen. Es ist das übelste Schurkenstück, wenn wir Gott anklagen, als ob er uns verlassen hätte. Dabei wissen wir doch genau, was geschehen ist. Wir mussten ernten, was wir gesät haben. Der Krieg wurde nicht von Gott gemacht, sondern von Menschen. Gott hat keine Bomben abgeworfen, und Gott hat nicht „Sieg Heil“ geschrien.

Was ist das bloß in unserem Denken, dass wir Gott anklagen und ausgerechnet dem ewig treuen Gott in den Stunden der Not das vorwerfen? Sehen Sie, das ist eine Erfahrung, die mir heute über fünfzig Jahre hinweg wichtig geworden ist. Ich möchte Sie ganz dringend und herzlich bitten: Sie haben in Ihrem Leben auch viele Bitterkeiten erfahren, wo Sie Gott nicht verzeihen können, wo Sie Gott anklagen und mit ihm rechten. Sie fragen: „Warum hat Gott meinen Mann sterben lassen?“ Können Sie es Gott nicht verzeihen?

Dabei sterben wir alle am Tod, der uns von der Wiege an mitgegeben ist. Und das ist bei Krankheit nicht anders. Viele Glaubenszweifel kommen von einem falschen Blick auf Gott, den wir uns immer wieder so zusammenreimen. Wir sehen Gott nur dann, wenn es uns gut geht: wenn der Tisch reich gedeckt ist, wenn wir immer zu lachen haben, wenn alles gut läuft, wenn wir geehrt und geachtet sind, wenn wir liebe Menschen um uns haben. Dann können wir an Gott glauben.

Nein, gerade in der Not gilt doch das, was er versprochen hat. Jetzt können Sie sich all die vielen Verheißungen Gottes wieder hernehmen und lesen: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.“ Und dann wagen Sie es, Gott vorzuhalten, er hätte Sie verstoßen? Er hat Sie nicht verstoßen.

Deshalb ist es dumm und eine Beleidigung Gottes, immer wieder diesen Unteroffizier Beckmann von draußen vor der Tür von Borchert zu zitieren, wo der liebe Gott lieb war – gerade dort. Als wir die Folgen unserer Schuld ausbaden mussten bis in die Tiefe, da war die Gnade Gottes ganz taufrisch und neu. Jeder, der sie gesucht hat, durfte sie finden.

Das ist eine wunderbare Sache. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, an dem ich von Gott verstoßen sein könnte. Erst die Hölle ist das, wenn ich Gottes Angebot in diesem Leben ablehne. Und das sollten wir nicht leichtfertig in unseren Mut nehmen. Wenn Ihr Leben schwer ist und Sie viel zu tragen haben, dann dürfen Sie nie sagen: „Ich bin von Gott verstoßen“, denn das stimmt nicht.

In der Zeitung gibt es das Wort „Gegendarstellung“. Jeder Betroffene hat das Recht, sich zu wehren und zu sagen: „Was über mich veröffentlicht wurde, stimmt nicht.“ Er korrigiert das und sagt: „Das ist nicht wahr, ich habe das nicht gesagt, sondern Folgendes.“

Geben Sie Gott die Gelegenheit zu einer Gegendarstellung. Und tolerieren Sie es nicht dauernd in Ihrem Leben, als ob es eine erlaubte Stimme des Zweifels wäre, gegenüber Gott so zu reden, als ob er uns in den schweren Zeiten des Leidens nicht genauso nahe wäre – mit seiner Güte, seiner Liebe, seiner Freundlichkeit und seiner Huld.

Das war mein erster Punkt: Das ist die tiefste Erschütterung. Es geht durch tiefste Erschütterung, wenn man an Gott irre wird. Aber gerade dort kann man eine ganz wichtige Entdeckung machen.

Die Kraft des Gebets in der Not

Was ist die wichtige Entdeckung, die David in dieser Situation macht? Er sagt nicht, dass über Nacht plötzlich alle Not gelöst wurde. Das gibt es nie. Wenn Menschen das wollen, leben sie jeden Tag herrlich und in Freuden – doch dann müssen sie das Glück der Gottlosen suchen. Von gläubigen Menschen wird das in der Bibel nie beschrieben. Dort steht nicht, dass sich alle Not gewendet hat.

Ich bin erschrocken, dass auch heute viele einen christlichen Glauben suchen, indem ihnen alle Wege weggenommen werden. So etwas gibt es nicht, weder in der Bibel noch sonst irgendwo.

Was war denn die Entdeckung in der schlimmsten Not, als David in seinem Zagen und in der Angst war? Als er verzweifelt war, was hat er dort entdeckt? Es heißt nicht, dass Gott zu ihm sprach. Denn wenn Gott gesprochen hätte, hätte er hart mit David reden müssen. Er hätte ihn zurechtweisen, tadeln und kritisieren müssen.

Was hat David dann in dieser Tiefe entdeckt? „Da hörtest du mein Flehen.“ Gott hat gar nichts gesprochen. Offenbar hat David in dieser ganzen verzweifelten Schreierei seines Glaubens, in dieser großen Not, plötzlich gemerkt: Ich bin umgeben von der Allmacht des lebendigen Gottes.

Liebe Schwestern und Brüder, ich bitte Sie herzlich, dass Sie das erkennen. Dass Sie das sehen. Das Größte in aller Not ist das Beten. Ich darf mit Gott reden, und er hört alles. Es ist noch nie ein Gebet am Ohr Gottes vorübergegangen. „Du hörtest auf mich.“ Das ist so wunderbar, dass Gott hört – das Schreien, das Flehen. Es mag unartikuliert sein. Lass doch die anderen reden, wie man beten soll.

In der Bibel heißt es, ich darf so schreien, wie es aus der Existenzangst kommt, wie ein Ertrinkender, der ruft: „Hilf mir doch!“ Da darf ich zu Gott schreien, und er hört. Ist das nicht wunderbar? Egal, was in Ihrem Leben passiert, durch welche Not Sie auch gehen müssen – Gott hört alles, Gott weiß alles, Gott sieht alles.

Gott ist so nahe, dass er uns gar nichts weiter sagen muss als: „Ich bin doch da.“ Und wir brauchen gar nicht mehr zum Frieden, als dass wir wissen: Er kennt meine Situation, meine Angst, meine Bedrängnis, mein Leiden und meine Probleme. Ich darf ihm das alles einfach so ans Herz legen.

Die wichtigste Entdeckung ist: Er ist da.

Wiederaufbau und die Herausforderung der Gottlosigkeit

Was in den letzten 50 Jahren in unserem Land geschehen ist, ist gewaltig: Wiederaufbau. Sie alle haben tüchtig mitgearbeitet, und es war auch nicht leicht.

Sie kennen doch den Vers von August Lämmle, der damals nach dem Krieg gedichtet hat:
"Wäre in Württemberg geboren, Haus nicht lang im Kellerloch.
Hat der Mann sein Haus verloren, hat er doch den Schlüssel noch.
Und er gräbt gleich einem Schatze Eisenstein und Balken aus,
und er baut am alten Platze zu dem Schlüssel sich ein Haus."

Wir haben unsere Stadt wiederhergestellt. Ob sie schöner oder weniger schön als früher ist, will ich nicht streiten. Doch wir haben das Entscheidende vergessen: Das, was uns im Leben und im Sterben trägt.

In den letzten 50 Jahren haben wir einen Vormarsch der Gottlosigkeit erlebt – nicht nur in unserer Stadt und in unserem Land, sondern auch in unserem eigenen Leben. Da ist eine Buße nötig.

Wir müssen wieder neu merken: Ich muss Gott suchen. Ich muss mit allem, was ich tue, sein Wort und seine Weisung suchen. Wenn ich nur einen Schritt gehe, ohne Gottes Hand und ohne sein Leiden, bin ich verloren und komme um.

Darum hat es keinen Wert, was wir auch noch so schön wieder neu bauen und welche Ziele wir uns auch setzen. Hat unser Staat und unsere Gesellschaft am Wechsel zum dritten Jahrtausend überhaupt noch ein Ziel, für das wir leben?

Ich kenne kein anderes Ziel als dieses: dass ich im Leben und im Sterben allein meinem Heiland Jesus Christus gehöre. Dann gibt es keine Traurigkeit, kein Verlassenwerden und keine Not mehr.

Lob und Vertrauen trotz Zweifel

Noch ein letztes: Was bleibt jetzt bei uns von all dem, was wir erlebt haben?

Bei David steht in diesem Psalm: Gelobt sei der Herr, ich will Gott loben.

Wenn ich manchmal in christliche Versammlungen komme, habe ich den Eindruck, dass dort ganz behutsam diskutiert wird, ob man dem modernen Menschen überhaupt noch zumuten kann, dass es so etwas Ähnliches wie Gott gibt – vielleicht etwas Höheres.

Was hat man in diesen 50 Jahren an Verblödung der Christenheit gesehen? Das kann man gar nicht in Worte fassen.

Und wenn jetzt in diesen Tagen unsere Astronomen sogar einen Kometen, Schumacher-Levi 9, mit ihrem Mikroskop beobachten können, und wenn wir jeden sauren Regen messen und das größte Ozonschichtloch auch in unseren christlichen Predigten allmählich thematisiert wird, dann möchte ich sagen: Das ist nicht mein Amt. Gottloben ist mein Amt.

Es wird uns einmal in der Ewigkeit schmerzen, dass wir nicht lauter, fröhlicher und gewisser gesungen haben. Wir hätten sagen sollen, es gab nie einen Hauch eines Zweifels an der Treue meines Gottes. Nicht ein Wort ist dahingefallen, man konnte sich auf jedes noch so kleine Wort verlassen.

Und es war so, wie es geschrieben steht: „Er ist der Herr.“ Gerade in den schlimmsten Nöten, ob es auf dem Weg zum Operationssaal war oder am Grab, wo wir standen, da war sein Wort so stark und seine Nähe so groß. Ich wusste mich geborgen bei ihm.

Das Kreuz über den Trümmern als Zeichen der Vergebung

Ich finde es ganz großartig, dass man auf unserem Trümmerberg, dem Monte Cerbellino – für den man glücklicherweise keinen besseren Namen gefunden hat – keine Gedenkstätte gebaut hat. Es wurde zwar einmal von unserer klugen und weisen Stadtverwaltung versucht, eine solche zu errichten, doch am Ende hat man es so belassen, wie es war: die Trümmer und darüber das Kreuz.

Mir ist es jedes Mal ein besonderes Erlebnis, wenn ich Besucher und Gäste aus dem Ausland auf den Trümmerberg, den Birkenkopf, hinaufbringe. Dann kann man sagen: Das ist es. Dort sieht man noch die Trümmer, durch die Menschen gingen – zerbrochen in Menschenschuld und Menschengericht. Und darüber steht das Kreuz, das für Gottes Vergebung steht. Gott heilt. Selbst wenn deine Sünde blutrot wäre, soll sie doch schneeweiß werden.

Was ist das für eine Botschaft? Wer wagt es, ohne diese Versöhnung ins Licht Gottes zu treten? Wer sagt, ich kann das auch allein schaffen? Ich kann es nicht, denn das wäre ein Wahn. Als ob ich mein Leben vor Gott selbst ändern könnte, so wie wenn ich meine Geschichte bewältigen wollte. Wie will ich überhaupt die Geschichte meines Lebens bewältigen?

Wir stehen unter der Gnade und unter der Vergebung Gottes. Das haben wir in den vergangenen 50 Jahren so wunderbar und reich erfahren.

Warnung vor Hochmut und Aufruf zur Demut

Und dann sagt David hier noch in diesem Psalm: Der Herr vergilt reichlich dem, der Hochmut übt. Das hat sich mir schon eingeprägt, als ich ein Kind war und im Stuttgarter Westen im Luftschutzkeller war. Ich schaute immer zu dem Luftschutzwart hinauf, mit seiner Uniform, dem großen Mann. Wie er da stand – das war für mich als kleinen Jungen das Bild des großen Menschen.

Bis zu jener Bombenacht, als er am Boden lag und schrie: „Zu meinem Vater ist alles vorbei, alles aus, wir sind getroffen, es hat eingeschlagen.“ Es war überhaupt nichts. Der Mensch in seinem Hochmut.

Es ist heute leicht, über den Hochmut der Nazis zu reden. Unsere moderne Ideologie in unserer neuen Gesellschaft mag politisch vielleicht anders bewertet sein. Im Hochmut vor Gott ist sie jedoch genauso töricht. Menschen meinen, sie könnten die Welt ohne Gott gestalten. Sie glauben, ihr eigenes Leben, ihre eigenen Nöte und Probleme lösen zu können – ohne Gott.

Doch steht da: Gott vergilt reichlich dem, der Hochmut übt. Und dann sinkt in einem Augenblick alles in Schutt und Asche. Darf ich Ihnen sagen, dass auch allermenschlicher Hochmut vergeht? Da braucht keiner auf den anderen mit Steinen zu werfen.

Wir sind nicht einmal in der Lage, auch nur einen Augenblick das schreckliche Leiden in Jugoslawien zu stoppen – ebenso wenig das grässliche Sterben in Ruanda. Und ich sage Ihnen: Als ich vom Urlaub zurückkam, fand ich zwei Briefe aus Goma vor. Wir haben viele Freunde in Goma. Die Leute, die dort leben, die Sairer, denen geht es von Hause aus schon gar nicht besser als den Flüchtlingen, von denen man kaum spricht.

Wir sind doch so hilflos mit unserem großen Gerede darüber, was wir alles wollen. Was ich will, ist, dass ich nur den Namen Gottes verkündige und das herrliche Evangelium der Liebe Gottes, der uns sucht, der uns begegnen will und der seine Güte auch heute mitten unter uns offenbaren will.

Schlusswort: Mut und Vertrauen in Gottes Führung

Ach, was wäre das, wenn wir diesen Herrn in unser Leben einlassen und jetzt sagen: Da möchte ich einen Punkt setzen, am fünfzigsten Gedenktag, und über den Trümmern Stuttgarts sagen: Bei mir soll Schluss sein mit meinem eigenen Hochmut.

Ich will sagen: Ohne dich, mein Heiland und Herr, kann ich nichts mehr. Ich will nur noch mit dir leben.

Und dann kommt das Losungswort von heute: Seid getrost und unverzagt, es gilt euch. Seid getrost und unverzagt, was auch kommen mag.

Der Herr trägt euch wunderbar hindurch. Amen.