Einführung in eine gesellschaftliche Herausforderung
Ich werde nun mit dem nächsten Thema beginnen. Auch dieses Thema werde ich nicht erschöpfend behandeln, aber hoffentlich einige Denkanstöße geben können. Es handelt sich um eine ganz andere Entwicklung, die gleichzeitig in der Gesellschaft stattfindet. Dabei geht es um eine Frage, die uns alle massiv betreffen wird – unabhängig davon, ob wir Christen sind oder nicht, bekehrt oder nicht.
Es geht um das Thema Überalterung der Gesellschaft. Ich habe jetzt nicht mehr meine schöne Formulierung im Kopf, aber ich erinnere mich an ein Stichwort, das aus einem Buch stammt. Wisst ihr, woher dieses Stichwort kommt? Falls nicht, merke ich, dass jemand sich auskennt. Das Buch ist kein Bestseller, wurde aber über 500, 600 Mal gedruckt. Es entstand aus einer Diskussion mit Frank Schirrmacher, der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war und das Buch „Das Methusalem-Komplott“ geschrieben hat.
Dieses Buch wurde in der Öffentlichkeit sehr stark aufgenommen und diskutiert. Ich sage dazu, es ist kein frommer Christ, und manche seiner Argumentationen fand ich fragwürdig. Dennoch ist er eine renommierte Person der Öffentlichkeit. Was wir daraus lernen können, ist, dass er wahrscheinlich derjenige ist, der in den letzten Jahren die Diskussion über die Überalterung der Gesellschaft am stärksten angestoßen hat.
Diese Überalterung ist eine Realität, bei der es nicht um Prognosen geht. Wenn ihr Bücher lest, die Prognosen darüber anstellen, wie die Zukunft in 20 oder 30 Jahren aussehen wird oder wie sich die Wirtschaft entwickelt, ist das alles höchst unsicher. Denn solche Prognosen hängen von vielen Details ab.
Wie sich die Bevölkerung in den nächsten 30 oder 40 Jahren entwickelt, ist dagegen nahezu hundertprozentig sicher. Denn das lässt sich nicht verändern: Menschen sind da, und sie werden automatisch älter. Man kann ausrechnen, dass man im nächsten Jahr ein Jahr älter ist und in zehn Jahren zehn Jahre älter. An diesen Rechnungen ändert sich nichts, egal was sonst passiert.
Die Menschen, die heute geboren werden, bilden in zwanzig Jahren – abgesehen von den wenigen, die bis dahin gestorben sind – die nächste Generation, die ins Arbeitsleben eintritt. Für die nächsten fünfzig Jahre ist diese Entwicklung also relativ festgelegt.
Viele Leute sagen: „Ja, die Bevölkerung in Deutschland wird weniger“ – das stimmt. „Die Bevölkerung wird älter“ – das stimmt ebenfalls. Die Lösung wäre, mehr Kinder zu bekommen. Das klingt pauschal wie Stammtischwissen, und tatsächlich ist da auch etwas Wahres dran.
Selbst wenn wir jetzt alle fleißig Kinder bekommen würden und diese Kinder später ebenfalls viele Kinder hätten, würde das frühestens in 30 bis 40 Jahren erste Effekte zeigen. Das heißt, die meisten von uns wären dann schon lange im Rentenalter, bevor sich das auswirkt. Vorher wird das keine Auswirkungen haben, selbst wenn alle umdenken würden.
Dass plötzlich alle umdenken – gerade in einer Zeit, in der Freiheit für alle gilt und jeder macht, was er will – ist sehr unwahrscheinlich. Nehmen wir aber den optimalsten Fall an: Jede Frau würde mindestens fünf Kinder bekommen. Selbst dann würde die Auswirkung erst in 30 bis 40 Jahren eintreten.
Da eine solche Entwicklung absurd ist und nicht in die heutige Gesellschaft passt, müssen wir eher davon ausgehen, dass sich die aktuelle Entwicklung nicht nur in den nächsten 30 Jahren fortsetzt, sondern wahrscheinlich auch noch in den nächsten hundert Jahren prägend sein wird.
Gesellschaftliche Realität und Altersbilder
Nun zunächst ein paar Fakten: Wie sieht es aus?
Eigentlich wollte ich mit dem schönen Satz beginnen: Alt werden will jeder, aber nicht alt sein. Dieser Satz beschreibt, glaube ich, ein wenig den Zwiespalt, in dem wir heute in der Gesellschaft stehen. Denn das Altwerden der Gesellschaft hat immer auch eine Kehrseite. Diese nennt man dann Altersdiskriminierung oder auch Altersdepression, wie wir es oft bezeichnen.
Das bedeutet, dass ältere Menschen eher negativ in der Gesellschaft gesehen werden. Das liegt daran, dass das Image älterer Menschen generell negativ ist. Hier muss man beachten, dass die Medien uns zeigen, wie die Wirklichkeit ist – oder besser gesagt, die Wirklichkeit im Kopf.
Wo sind in den Medien alte Menschen die Helden, die Coolen, die Tollen? Es gibt einige wenige, aber das ist die große Ausnahme. In den Medien gibt es auffällig viele junge Menschen, sogar mehr als in der Gesellschaft selbst. Auf Zeitschriften-Covern sind auffällig oft junge Menschen zu sehen. Und das muss man natürlich auch sagen: Oft sind es 50-Jährige, die aussehen wie 20-Jährige.
Hier müssen wir genau hinschauen, welches Bild vermittelt wird. Es handelt sich nämlich um den sogenannten Jugendwahn. Dieser Jugendwahn läuft parallel zur Überalterung der Gesellschaft. Das heißt, es besteht eine innere, auch emotionale Spannung.
Darauf werde ich später noch eingehen. Es gibt nämlich sehr interessante Ergebnisse aus medizinischen und psychologischen Untersuchungen, die diese Spannung näher beleuchtet haben.
Demografische Fakten und Prognosen
Aber zunächst noch zu einigen Zahlen. Was ist unser Problem in Deutschland? Nicht nur, dass wir länger leben, sondern, wie ich bereits gesagt habe, bekommen die Deutschen weniger Kinder. Die durchschnittliche deutsche Frau bekommt laut aktuell gültiger Statistik etwa 1,3 Kinder. Manche Statistiken sprechen von 1,4, aber soweit ich weiß, liegen die neueren eher bei 1,3.
Wenn man den Erhalt der Bevölkerung anstreben wollte, stellt sich die Frage, ob das überhaupt erstrebenswert ist. Brauchen wir das überhaupt, wenn die Deutschen aussterben? Aber falls man das wollte, müsste man in Deutschland aktuell mindestens 2,1 oder 2,2 Kinder pro Frau haben. Das liegt daran, dass es eine Kindersterblichkeit gibt und nicht alle Kinder fortpflanzungsfähig werden. Das bedeutet, man bräuchte also mehr als zwei Kinder pro Frau.
Das sind jetzt aber nur rein statistische Zahlen. Bis zum Jahr 2050 wird es in Deutschland sehr wahrscheinlich etwa zwölf Millionen Menschen weniger geben. Das ist die Perspektive für die nächsten vierzig Jahre – und das auch nur unter der optimistischen Annahme, dass wir weiterhin zahlreiche Zuwanderungen haben.
Man rechnet derzeit damit. Vor ein paar Tagen kam eine Meldung durch die Presse, dass Deutschland aktuell 500.000 Zuwanderer pro Jahr benötigt – und zwar nur für den Moment. Dabei geht es nicht einmal um die Rentenversicherung, sondern schlicht darum, dass in Deutschland Arbeitskräfte fehlen.
Jetzt denkt ihr vielleicht: „Aber es gibt doch Arbeitslose.“ Ja, das stimmt. Doch in bestimmten Fachbereichen werden dringend Fachkräfte gesucht. Es gibt zwar viele Arbeitslose, aber nicht in den Bereichen, in denen Arbeit angeboten wird.
Ich kann dir heute schon einige Studienfächer nennen, bei denen du studieren kannst, wenn du arbeitslos werden möchtest. Es gibt ganz offensichtlich sehr beliebte Fächer, bei denen du eine fast 80-prozentige Wahrscheinlichkeit hast, arbeitslos zu werden, weil in diesen Bereichen kaum Nachfrage besteht.
Ich habe mit jemandem gesprochen, der Elektrotechnik studiert. Er sagt, dass die Leute manchmal schon ein Jahr vor dem Abschluss, obwohl sie das Examen noch nicht haben, einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben – wenn sie gut sind. Diejenigen, die nicht gut sind, bekommen dagegen nichts.
Wenn du gut bist, gilt das für Elektrotechnik. Maschinenbau ist ähnlich. Wenn du Maschinenbau studierst und gut bist, musst du dir dein Leben lang kaum Sorgen um eine Arbeitsstelle machen. Du wirst eher wegen Stress und Überstunden Sorgen haben, aber kaum wegen eines Arbeitsplatzmangels.
Es sei denn, du willst unbedingt in Lemgo bleiben, und dort gibt es vielleicht keine Maschinenbauindustrie – dann hast du natürlich ein Problem. Aber generell werden in diesen Bereichen massenhaft Leute gesucht.
Das bedeutet: Einwanderung ist nötig, nicht nur um unsere Renten zu finanzieren, sondern auch schon jetzt für die Wirtschaft. Es gibt Statistiken, die zeigen, wie viele Arbeitsplätze verloren gehen, weil Fachkräfte fehlen. Denn an einer Fachkraft hängen oft noch einige unqualifizierte Jobs, die von der Zulieferung und ähnlichem abhängig sind.
Alterspyramide und gesellschaftliche Veränderungen
Also, ich habe gesagt, bis zum Jahr 2050 werden 12 Prozent der Bevölkerung über 80 Jahre alt sein. Im Moment sind es vier Prozent. Das heißt, dieser Anteil wird sich bis dahin verdreifacht haben.
Im Jahr 2050 werden 50 Prozent der Bevölkerung 52 Jahre oder älter sein. Man muss sich diese Zahl auf der Zunge zergehen lassen. Das heißt, manche von uns – ich würde mich dann noch als Jungspund fühlen – würden zu den Jugendlichen gehören, denn ich bin ja noch nicht 52. Und wenn man 52 Jahre alt ist, dann ist man auch nicht sehr alt, sondern gerade erst ein wenig über die Grenze drüber. Also werden 50 Prozent der Bevölkerung älter als 52 sein.
Nun eine Statistik, basierend auf den aktuellen Daten: Wie sieht es mit dem Anteil der über 60-Jährigen aus? Im Jahr 2020, wobei hier nur die Erwachsenen gezählt sind – also ab 18 Jahren – beträgt der Anteil prozentual 54 Prozent. Die realen Prozentsätze, wenn man die Kinder mit einbezieht, müssen noch etwas heruntergerechnet werden. Aber um die Größenordnung zu verdeutlichen: Im Jahr 2002 waren es 44 Prozent, 2010 dann 46 Prozent, also ein knapper Anstieg. Bis zum Jahr 2020 stieg der Anteil auf 54 Prozent, 2030 werden es 70 Prozent und 2050 sogar 78 Prozent sein.
Das sind nur einige Zahlen, die für den einen oder anderen vielleicht apokalyptisch wirken können – man denkt dann, was ist denn los? Sobald wir auf die Straße gehen, sehen wir nur noch alte Opis mit Rollator oder Omis. Ja, das Stadtbild der Zukunft wird sich ändern. Und das wird sich besonders mit meiner Generation verändern – nicht weil ich so wichtig wäre, sondern weil ich zur Generation der sogenannten Babyboomer gehöre. Genauer gesagt, noch am Ende der Babyboomer.
Die Babyboomer waren diejenigen, die Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre geboren wurden. Das sind die geburtenreichen Jahrgänge, die jetzt überall im Berufsleben stecken. Aber sie werden alle massiv und mit einem Schlag ins Rentenalter kommen. Dann werden sie den großen Anteil der über 60- und über 80-Jährigen stellen.
Das heißt, der Anstieg wird nicht langsam verlaufen, sondern innerhalb weniger Jahre wird es plötzlich so sein, dass alle viel älter geworden sind – so wie ich und einige von euch auch, die zu den Babyboomern gehören, also zwischen Ende der 50er und Mitte der 60er Jahre geboren sind. Das bedeutet, es wird sich ganz stark verändern.
Und das betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch andere Länder werden davon betroffen sein.
Regionale Auswirkungen und ökologische Folgen
Bis zum Jahr 1950, trotz Zuwanderung, wird die Bevölkerung um zwölf Millionen Menschen zurückgehen. Es gibt bereits jetzt Überlegungen, wie sich diese Entwicklung auf bestimmte Landstriche auswirken wird. Man geht davon aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern und in Teilen Thüringens wieder Urwald entstehen wird.
Der Grund dafür ist, dass ganze Dörfer verschwinden werden. Dort leben derzeit überwiegend ältere Menschen. In zwanzig bis dreißig Jahren wird dort voraussichtlich kein Mensch mehr wohnen. Das bedeutet, dass es Gebiete geben wird, in denen hunderte Kilometer lang kein Mensch lebt.
Man erkennt bereits jetzt, dass sich wilde Tiere in Deutschland wieder heimischer fühlen. Ökologen freuen sich darüber. In manchen Regionen Deutschlands leben wieder wilde Wölfe, Luchse und andere Tiere, die früher Angst vor Menschen hatten. Diese Tiere breiten sich dort aus, wo der Mensch sich zurückzieht.
Rechnet man zwölf Millionen Menschen zurück, so entspricht das etwa dreihundert Städten wie Lemgo, das etwa 40.000 Einwohner hat. Überlegt man, wie oft eine Stadt wie Lemgo bis dahin vollständig verschwinden könnte, wird das Ausmaß deutlich.
Zehn Mal 40.000 sind 400.000, hundert Mal 40.000 sind vier Millionen, und dreihundert Mal 40.000 sind zwölf Millionen. Das bedeutet, dass bis dahin dreihundert Städte wie Lemgo komplett verschwunden sein könnten.
Das entspricht einem plötzlichen Verschwinden der gesamten ostdeutschen Bevölkerung. Ich nenne dies nur als Beispiel, um die dramatischen Auswirkungen zu verdeutlichen. Es geht nicht nur darum, dass die Menschen älter werden, sondern auch darum, dass die Gesamtbevölkerung stark zurückgeht.
Wirtschaftliche Konsequenzen
Das hat natürlich auch wirtschaftliche Auswirkungen, denn es gibt deutlich weniger Konsum. Es gibt weniger zu verkaufen, zumal ältere Menschen oft schon alles besitzen.
Irgendwann besitzt man beispielsweise einen Fernseher. Ob man nun achtzig Jahre alt ist oder jünger, man kauft sich nicht ständig einen neuen Fernseher. Natürlich gibt es immer wieder neue Entwicklungen, wie etwa den Flachbildfernseher. Aber auch den besitzt man irgendwann.
Das bedeutet, die Hauptkonsumenten sind meist die Jüngeren. Sie wollen etwas aufbauen, sei es ein Haus, eine Wohnung oder Ähnliches. Sie kaufen viele Dinge, was wiederum große wirtschaftliche Auswirkungen hat. Es führt zu einer grundlegenden Veränderung, einer totalen Umstrukturierung auch in diesem Bereich.
Das heißt, es besteht eine gesellschaftliche Pflicht.
Bildung und Fertilität
Das betrifft nicht nur Deutschland. Besonders erschreckend ist die Situation bei der Fertilität, also der Fruchtbarkeit. Gerade gebildete Frauen haben oft keine Kinder. Gegenwärtig rechnet man damit, dass etwa dreißig Prozent, also rund ein Drittel der Frauen in Deutschland, ihr Leben lang keine Kinder bekommen.
Dabei sind es nicht nur die Frauen, die unfruchtbar sind, sondern immer mehr Frauen, die bewusst keine Kinder haben wollen. Bei Männern ist dieser Anteil noch höher. Ich erwähne hier die Frauen, weil sie letztlich die Kinder bekommen. Da es traditionell keine klassische Familie mehr gibt, bekommen viele Frauen ihre Kinder ohne Mann beziehungsweise ohne Familie. Der Mann taucht dann manchmal auf, verschwindet aber wieder.
Frauen wollen keine Kinder, Männer noch viel weniger. Bei Männern liegt der Anteil derjenigen, die keine Kinder wollen, bei über vierzig Prozent. Das hängt auch damit zusammen, dass viele keine Verpflichtung eingehen wollen. Sie wollen sich nicht binden oder ihr Leben und Lebenskonzept nicht infrage stellen. Kinder fordern immer einen Teil der eigenen Freiheit. Hier zeigt sich wieder das Prinzip der Autonomie über alles: Was ich will und empfinde, steht im Vordergrund. Kinder stören dabei, weil sie die freie Entwicklung des eigenen Lebens einschränken.
Das ist das Hauptergebnis, weshalb insbesondere Akademikerinnen keine Kinder wollen. Natürlich betrifft es auch viele Männer, aber ich konzentriere mich jetzt auf die Frauen. Bei Akademikerinnen ist der Prozentsatz der Kinderlosen noch viel höher. Umso niedriger die Bildung, desto mehr Kinder werden geboren. Das liegt nicht daran, dass weniger gebildete Frauen nichts von Verhütungsmitteln wissen. Vielmehr ist es so, dass mit zunehmender akademischer Bildung der Trend stärker wird, Kinder als mühsam und problematisch zu sehen.
Interessanterweise sind es häufig gerade diese Akademikerinnen, die in Politik und Pädagogik tätig sind und darüber entscheiden, wie andere ihre Kinder erziehen sollen. Auffällig ist, dass viele von ihnen selbst keine Kinder haben. Und manche, die Kinder haben, geben diese gleich in Ganztagsschulen oder zu Erzieherinnen.
Ein Beispiel dafür ist eine französische Kultusministerin, die letzten Sommer zwei Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder im Amt war. Wo war das Kind? Bei der Tagesmutter. Diese Frau entscheidet mit darüber, wie Erziehung in Frankreich gestaltet wird. Das hat selbst die Medien in Frankreich aufgeregt, obwohl das Land als sehr modern, aufgeklärt und emanzipiert gilt.
Zum Thema Alterung: Die Alterung der Bevölkerung nimmt stark zu.
Internationale Perspektiven
Ach ja, ich wollte noch sagen: Genau in Italien wird es so sein, dass in etwa 90 Jahren, also Ende dieses Jahrhunderts, noch etwa zehn Millionen Menschen leben werden – wenn die Entwicklung so weitergeht wie jetzt. Denn in Italien gibt es immer weniger Kinder. Der Rückgang ist noch radikaler, obwohl man oft sagt: „Ach, die Italiener, doch Bambini und was weiß ich.“ Das ist jedoch die Vorstellung aus der Vergangenheit.
Die Realität sieht anders aus: Italienische Frauen bekommen sogar noch weniger Kinder als deutsche Frauen. Die Bevölkerungszahl wird also noch drastischer abnehmen. Falls man also in hundert Jahren Urlaub in Rom plant, wird man auf dem Forum Romanum ganz allein sein. Man kann sich alles in Ruhe anschauen, ohne lange Schlangen oder Gedränge. Die Parkplätze sind leer, die Campingplätze sind leer, die Hotelzimmer sind leer – man hat viel Platz.
Dann kommen die Chinesen nach Italien. Wobei ich gerade auf die Chinesen zu sprechen kommen möchte: Dort wird die Überalterung noch härter zuschlagen als bei uns. Und das wird viel schneller gehen. Wir gewöhnen uns langsam daran, aber die Chinesen werden wie von einer großen Keule getroffen – ungefähr um das Jahr 2050. Bis dahin sind sie noch sehr aufstrebend, aber es gibt dort einen riesigen Überhang an älteren Menschen.
Im Vergleich dazu haben wir in Europa noch relativ viele Kinder. In China ist es politisch sogar erwünscht, wenig Kinder zu haben, um das Wachstum zu bremsen. Das führt dazu, dass die jetzt im Arbeitsalter befindlichen, fleißigen Chinesen, die heute die ganze Produktion stemmen, zusammen mit uns Babyboomern alt werden. Dann werden sie nicht mehr so fit sein wie heute. Aber es wird viel weniger junge Menschen geben, die nachkommen.
Schon heute gibt es in China einen massiven Frauenunterschied – es fehlen viele Frauen. Deshalb werben die Chinesen jetzt darum, Frauen aus Nachbarländern zu importieren, damit überhaupt geheiratet werden kann. Das wird dort ganz anders ablaufen.
Auch in großen Ländern wie Indien sinkt die Geburtenrate radikal. Man hat erkannt, dass mit wachsendem Wohlstand die Idee verbreitet wird, viele Kinder könnten den Wohlstand gefährden. Deshalb nimmt die Fertilität auch in Indien ab – zumindest bei jungen Paaren. Bei älteren Paaren ist das noch nicht so stark ausgeprägt, aber bei den jungen Paaren schon.
Diese Entwicklung zeigt sich also auch in Ländern der sogenannten Dritten Welt.
Islamische Länder als Ausnahme
Aber hier, und das ist interessant, gibt es eine einzige Region der Welt, in der das momentan gar nicht absehbar ist. Welche Region ist das? Genau, es ist die islamische Welt.
Warum ist das so? Weil der Islam nicht vorrangig auf Wohlstand oder politische Ideologien schaut. Es geht nicht darum, die Kinderzahl zu reduzieren. Stattdessen basiert der Islam auf dem Koran, der Kinder als etwas Gutes und als Zukunft sieht.
Die islamischen Länder, allen voran Länder wie Pakistan, Iran, Afghanistan und Syrien, haben einen massiven Jugendüberschuss. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung sind dort minderjährig. Das gibt es in keiner anderen Region der Welt.
Als Folge davon werden wir sehen, dass zum Beispiel in Europa die Bevölkerung stark abnehmen und altern wird. Gleichzeitig entsteht in der islamischen Welt eine neue, dynamische Jugendbewegung, die bereits jetzt spürbar ist.
Diese Entwicklung wird sowohl das politische als auch das wirtschaftliche Verhältnis weltweit grundlegend verändern.
Bevölkerungsentwicklung bei Evangelikalen
Übrigens lässt sich genau diese Rechnung auch in Deutschland anstellen. Die Bevölkerungsgruppe in Deutschland, neben den Spätaussiedlern, die noch viele Kinder haben, sind Einwanderer muslimischen Hintergrunds. Deshalb stellen sie in manchen Großstadtteilen die Mehrheit der Kinder.
Eine Frage an Herrn Präsident: Wie ist es bei Evangelikalen? Wenn ich bei mir in der Gemeinde schaue, haben wir einen deutlich höheren Durchschnitt als 1,4. Gibt es dazu Statistiken?
Die Antwort, die ich habe, lautet: In dieser Statistik ist berücksichtigt, dass man in vielen Wohlstandsländern davon ausgeht, dass die jetzige Kindergeneration nicht so alt werden wird wie ihre Elterngeneration. Dies liegt daran, dass aufgrund ungesunder Lebensweise die Wahrscheinlichkeit eines früheren Todes sogar zunimmt.
Also, zwei Fragen: Einerseits, wie sieht es bei den Evangelikalen aus? Diese Sache ist nicht berücksichtigt, weil in der Bevölkerungsstatistik die Evangelikalen keine Rolle spielen. Sie sind einfach viel zu wenig vertreten. Die größte deutsche Freikirche, die Baptisten, zählt etwa 80.000 Mitglieder – das entspricht gerade mal der Einwohnerzahl einer Stadt.
Ob diese ein paar Kinder mehr bekommen oder nicht, spielt gar keine Rolle. Hier handelt es sich um einen Durchschnittswert, in den die Evangelikalen zwar mit eingerechnet sind, aber als Sondergruppe keine Bedeutung haben. Im Gegensatz zu den Migranten: Wenn wir davon ausgehen, dass es etwa drei bis vier Millionen türkischstämmige Muslime gibt, dann spielen diese in der Bevölkerungsstatistik eine Rolle. Aber ob es 80, 100 oder 200 Evangelikale sind, ist statistisch kaum relevant.
Erster Punkt.
Zweiter Punkt: Bei den Evangelikalen lassen wir uns nicht täuschen. Eine junge Generation von Evangelikalen hat zwar noch mehr Kinder als der Durchschnitt der Bevölkerung, aber bereits deutlich weniger als ihre Eltern.
Schaut man sich die Eltern an, so haben viele vier, fünf oder sechs Kinder. Heute sind es auch in evangelikalen Kreisen eher zwei bis drei Kinder im Durchschnitt. Das ist zwar mehr als in der Gesamtbevölkerung, aber der Trend ist einfach verzögert.
Ich glaube, dieser Trend ist auch in evangelikalen Kreisen, besonders bei den einheimischen Evangelikalen und den Spätaussiedlern, zu beobachten. Bei letzteren hat man vom höheren Niveau aus angefangen: Deren Eltern hatten zwölf Kinder, sie selbst haben jetzt etwa sechs, und deren Kinder werden dann vielleicht noch weniger haben.
Das heißt, es geht einfach etwas langsamer voran. Aber selbst in den späten Aussiedlergemeinden bekommen die Jungen deutlich weniger Kinder als ihre Eltern. Das heißt, es handelt sich um eine Verzögerung des gesellschaftlichen Einflusses.
Hier spielen also die Evangelikalen allein kaum eine Rolle. Aber auch dort kann man beobachten, dass es Auswirkungen gibt.
Gesundheitliche Aspekte und Lebenserwartung
Was die Gesundheit angeht, ist das eine Sache, die in der Statistik nicht berücksichtigt wird. Dabei weiß ich auch nicht, ob wir darauf hoffen sollten, dass alle früh sterben. Wer wird uns dann im Altenheim pflegen? Das müssen wir selbst tun.
Aber nicht nur aus egoistischen Gründen ist das ein wichtiger Punkt. Es ist ein vollkommen unberechenbarer Faktor. Auf der einen Seite gibt es eine immer bessere medizinische Betreuung. Diese tendiert eher dazu, dass die bisherigen Berechnungen noch optimistisch sind, denn sie basieren auf der aktuellen, bisherigen Lebenserwartung.
Einerseits könnte man sagen, es sprechen Gründe für eine verkürzte Lebenszeit. Andererseits gibt es auch andere, statistische Überlegungen, die eindeutig für eine verlängerte Lebenszeit sprechen. Es gibt Mediziner, die aufgrund der Berechnungen der letzten zwanzig Jahre, in denen es bereits viele Fortschritte gab, eher davon ausgehen, dass die Menschen trotz aller Einflüsse älter werden. Sie haben zwar mehr Schäden und Probleme, aber die Medizin wird es ermöglichen, dass sie mit diesen Schäden und Problemen trotzdem leben können.
Das ist dann eine Frage, bei der wir Probleme haben werden. Aber das heißt nicht automatisch, dass die durchschnittliche Lebensdauer verkürzt wird. Bei einzelnen Personen mag das sein, aber nicht im Durchschnitt. Denn heute legen viele Menschen wohl mehr Wert auf Erkenntnisse aus der Wissenschaft und ähnliche Faktoren. Das kann natürlich sein, ist aber nie hundertprozentig sicher.
Die Dinge, die ich gelesen habe, deuten eher darauf hin, dass zwar gesundheitliche Schädigungen vorhanden sind, wobei auch das eingeschränkt ist. Gerade im Moment gibt es eine starke Veränderung. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass manche Krankenkassen Abschläge gewähren, wenn man Sport treibt, auf Ernährung achtet und ähnliche Dinge tut. Das bedeutet, dass man stärker darauf achtet und es stärker gefördert wird. Das heißt nicht, dass alles anders ist, aber es gibt eine Tendenz, das Thema aufzuarbeiten.
Zum Beispiel werdet ihr wahrscheinlich sehen, dass an den meisten Schulen, auch an der Schule unserer Kinder, gesunde Ernährung besprochen und beworben wird. Dort pflanzen die Kinder sogar selber Sachen im Garten an. Das zeigt, dass es eine starke Tendenz gibt, dieses Thema anzugehen.
Hoffen wir also für unsere Enkel, dass sie etwas gesünder leben und alt werden. Aber selbst wenn sie nur so alt werden wie wir – wobei es auch Prognosen gibt, die sagen, sie werden älter als wir – dann werden wir einen riesigen Überhang an älteren Menschen bekommen. Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ausgenommen ist bisher die islamische Welt.
Weltweit, auch in den Entwicklungsländern, gibt es diese Tendenz, allerdings verzögert. Diese Länder werden den demografischen Wandel viel schneller durchlaufen als wir. Länder wie China, Singapur oder Taiwan werden das viel schneller erleben als Deutschland. Bei uns verläuft dieser Wandel eher gleitend, während er dort viel massiver sein wird.
Das liegt daran, dass der Rückgang der Geburten dort viel schneller eintritt, weil der soziale Aufstieg schneller geschieht. Das bedeutet: schneller sozialer Aufstieg, weniger Kinder – und das innerhalb nur einer Generation. Bei uns verteilt sich das über mehrere Generationen.
Deshalb werden manche Entwicklungsländer noch viel härter von diesem Wandel betroffen sein als Deutschland. Hinzu kommen in manchen Ländern weitere Probleme, wie die Aids-Problematik und andere Faktoren, die dazu führen, dass viele Menschen sterben. Das sind zusätzliche soziale Herausforderungen und sozialer Sprengstoff.
Politische und soziale Herausforderungen
Was bedeutet das in der realen Veränderung? Es bedeutet, dass es weniger materielle und finanzielle Ressourcen geben wird. Das wird immer wieder genannt und ist auch jedem Politiker bekannt. Allerdings darf man nicht auf Politiker hoffen. Politiker denken höchstens zwei Legislaturperioden voraus. Die durchschnittliche „Lebenszeit“ eines Politikers im öffentlichen Leben beträgt etwa zwei Legislaturperioden. Manche schaffen es auch drei oder vier, aber das sind Ausnahmen. Manche Politiker sind nur eine Legislaturperiode im Amt, je nachdem, welches Gremium sie vertreten.
Weiter denkt kein Politiker und kein Gremium. Zum Teil erkennen sie längerfristige Entwicklungen, wenn sie zum Beispiel in Kindergärten oder Schulen investieren, weil man dort Vorausplanungen machen muss. Ein Kommunalpolitiker hat mir einmal gesagt, dass sie dort schneller vorausschauen als anderswo.
Das gilt für solche berechenbaren Dinge. Aber nehmen wir ein Beispiel: Wie geht man mit der Überalterung der Gesellschaft um? Keine Partei und kein Politiker hat auch nur ansatzweise eine Lösung dafür. Die Idee, die Menschen bis 67 arbeiten zu lassen, ist ein Witz. Das ist keine Lösung. Ob dann ein großer Teil der rund 60 Millionen Rentner in Deutschland zwei Jahre länger arbeitet oder nicht, spielt kaum eine Rolle.
Man könnte sagen, das ist vielleicht die kleine Pille, die verabreicht wird, um zu zeigen: Wenn du Rentner wirst, gibt es gar keine Rente mehr. Das wäre eine ernsthafte Variante. Aber diese Variante zu äußern, würde heute zu sozialem Unfrieden führen. Deshalb wird das nicht getan.
Auch bei der Überschuldung sagt man immer, wir erleben eine Wirtschaftskrise und verschulden uns noch mehr. Glaubt jemand, dass ein Politiker daran denkt, diese Schulden jemals zurückzuzahlen? Das Gerede darüber ist völliger Unsinn. Niemand denkt daran. Das können sie auch gar nicht, nicht weil sie dumm sind, sondern weil es keine Lösung gibt.
Was soll man denn tun? Will man den Sozialstaat abbauen, entsteht eine riesige Unruhe – vielleicht sogar Bürgerkrieg. Das geht nicht. Was ist die Alternative? Mehr Steuern einnehmen. Das wird schon versucht, aber irgendwann ist ein Maximum erreicht. Man kann die Menschen nicht unbegrenzt belasten.
Dann sagen manche, irgendwann kommt die deutsche Wirtschaftsreform. Das könnte natürlich sein, aber das darf man nicht laut sagen. Denn das zu planen wäre eine Bankrotterklärung und würde alle, die noch Geld haben, auf die Barrikaden bringen. Sie würden ihr Geld schnell ins Ausland bringen, Gold kaufen oder andere Maßnahmen ergreifen.
Das heißt, auch in dieser Frage – und sie kommt ja zum Sozialsystem hinzu – wird die Diskussion um die Sozialausgaben immer wichtiger. Diese Ausgaben werden in den nächsten zwanzig Jahren exponentiell steigen. Jetzt fangen sie langsam an zu steigen, weil die ersten Babyboomer ins Frührentenalter kommen. Das wird massiv zunehmen, und niemand weiß auch nur ansatzweise, wie das finanziert werden soll.
Selbst wenn man pro Jahr mehrere Hunderttausend Menschen aufnehmen würde, wäre das dadurch nicht gedeckt. Denn hier geht es nicht um ein paar Hunderttausend, sondern um zig Millionen, die finanziert werden müssen. Das ist vollkommen unvorstellbar. Zwei Tendenzen zeichnen sich dabei ab, zwei Haupttendenzen.
Euthanasie und gesellschaftliche Debatten
Eine Tendenz ist die intensivere Einführung der Euthanasie. Und das ist kein Scherz, sondern ernst gemeint. Ernsthaft wird darüber gesprochen, und in Teilen der Gesellschaft wird bereits gesagt beziehungsweise nahegelegt: Du musst sterben, du besetzt Ressourcen, du nimmst anderen Leuten Geld und Mittel weg.
So wird zum Beispiel auch bei der Krankenkasse argumentiert. Am Ende des Lebens verbrauchen Menschen viel Geld, und das müsse eingespart werden. Was heißt einsparen? Das bedeutet, sie abzuschalten. Zack, du bist so alt, und dann gibt es dich nicht mehr.
Eben hat jemand von England gesprochen. Dort ist es so, dass man sagt: Ressourcen sind knapp. Ab einem bestimmten Alter werden Maschinen abgestellt, Medikamente bekommst du nicht mehr, Operationen ebenfalls nicht. Das ist Euthanasie auf dem kalten Weg.
So kann man es machen. Diese Option wird von manchen favorisiert. Allerdings neige ich eher dazu anzunehmen, dass sie sich nicht durchsetzen wird. Im Moment kann man darüber diskutieren, weil eine Mehrheit der Bevölkerung dafür ist. Warum? Weil es eine Mehrheit nicht betrifft.
Aber wenn die Rentner selbst in der Situation sind, welcher Rentner stimmt dann dafür ab: „Ja, wir wollen Euthanasie, wir wollen das gerne“? Macht ja keiner. Wenn die Babyboomer alle ins Rentenalter kommen und dann die Mehrheit in der Politik bilden, denn wenn die Babyboomer als Rentner wählen, wird deren Kandidat Bundeskanzler.
Denn alle Jüngeren zusammen im wahlfähigen Alter sind nur etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Das heißt, die Rentner werden bestimmen können, was passiert. Und dann wird es, glaube ich, keine Durchsetzung der Euthanasie geben.
Aber was es schon geben kann, ist ein Generationenkonflikt.
Generationenkonflikt und Zukunft des Rentensystems
Warum nämlich? Weil sich irgendwann die Jungen sagen: Hey, die bestimmen die Politik, warum sind wir denn so blöd? Wir müssen doch alles bezahlen. Die Politik entscheidet zwar, aber wir müssen es bezahlen. Na, was dann? Also könnte es einen riesigen Generationskonflikt geben.
Die wahrscheinlichere Alternative ist, glaube ich, dass das, was wir im Moment als Rentensystem kennen, in unserem Rentenalter nicht mehr existieren wird. Die Politik versucht vorsichtig, uns darauf vorzubereiten. Dabei kannst du alle Träume von der Rente und sonst irgendwas vergessen. Es wird wahrscheinlich eher so laufen wie vor der Einführung der Rente: Du arbeitest, solange es körperlich nur irgendwie möglich ist, und in der letzten Phase gibt es noch etwas Gnadenbrot.
Und denkt nicht daran, dass das in der Gesellschaft grundlegend mal anders war. Diese glückliche Zeit eines Rentenalters von zehn, zwanzig Jahren, in der du frei lebst und Urlaub machst, wie du willst – das gibt es erst ganz, ganz kurz. In der Weltgeschichte gab es das nie. Manche Leute denken, auch früher hat man das Alter immer geehrt – vollkommen falsch.
Lest mal Bücher über das neunzehnte, achtzehnte, neunzehnte, zwanzigste Jahrhundert. Ich habe so einen dicken Schinken, kann ich euch geben: Geschichte des Alters. Dann können wir sagen, heute können sich alle alten Leute glücklich schätzen, heute zu leben. Früher wurden alte Leute noch viel, viel mehr abgeschoben.
Warum? Weil da auch viel mehr ums Überleben ging. Denn da war jeder überflüssige Esser, der nicht mitarbeiten konnte, eine Belastung. Da hat man natürlich ganz stark darauf geachtet, dass man sie loswurde – in vielen Kulturen. Man hat sie nicht umgebracht, aber auch nicht viel dafür getan, dass sie überleben. Und Rente gab es ja nicht.
Also heißt das: Wenn du nicht vom Almosen deiner Kinder gelebt hast, dann war es aus oder du musstest mit eigener Hände Arbeit für dich sorgen. Meine Prognose wäre eher, dass man so viele Einwanderer gar nicht bekommen wird, dass das auffällt. Zumal die meisten Länder, aus denen die Leute einwandern könnten, selbst Altersprobleme haben.
Man wird auch nicht das Geld haben, um alle Leute zu finanzieren – das ist total unmöglich. Wenn man es versucht, dann gibt es einen riesigen Generationenkonflikt, bei dem irgendwann die Jungen wirklich die Alten totschlagen, weil sie selbst nicht mehr überleben können.
Wenn man prozentual rechnet, wird es dazu kommen, dass ein Arbeitnehmer zwei Rentner und seine eigene Familie ernähren muss. Ja, wie willst du das denn tun? Und daneben noch Sozialhilfeempfänger und was weiß ich, alle möglichen anderen, die auch noch vom Kuchen abhaben wollen.
Dann wird irgendwann der, der noch arbeitet, sagen: Ne, entweder ich arbeite auch nicht mehr oder es gibt eine Revolution. Also es wird eine riesige Veränderung geben. Diese wird eher darauf hinauslaufen, dass wir uns darauf einstellen sollen: Freu dich nicht so sehr auf deine Rente mit 65, auch nicht mit 67.
Denk eher daran, dass du eine durchschnittliche Lebenserwartung hast, wie der, der heute in meiner Generation lebt, ungefähr 80 Jahre. Und dann wirst du vielleicht bis 77 arbeiten und dann noch drei Jahre irgendwo im Krankenhaus oder im Altenheim verbringen – und dann war es das.
Das soll jetzt nicht pessimistisch sein, das soll gar nicht pessimistisch sein. Seht es doch mal von der anderen Seite: Ihr werdet viel mehr Möglichkeiten haben, noch ein aktives Leben zu gestalten. Ja, das ist ungefähr so wie die baufällige Scheune, die du verkaufst, damit andere ihre Kreativität entfalten können.
So ähnlich wird das dann sein, wenn du dann Immobilienmakler bist, vorgestellt.
Herausforderungen in der Pflege und Altersbilder
Ich habe meinen Beruf vor weit über 30 Jahren erlernt. Damals gab es sehr viele 90-Jährige. Zwischenzeitlich hatten wir viele 90- und 100-Jährige, doch jetzt stirbt diese Generation langsam aus.
Es gibt immer mehr 80-Jährige, aber sogar noch mehr 70-Jährige, die schwer krank sind. Man wird immer jünger, aber auch viel, viel kränker. Es ist sehr ungewöhnlich, wenn jemand seine 80 Jahre erlebt. Das fällt mir sehr auf. Ich kann kaum glauben, dass unsere Generation eine Lebenserwartung von 80 oder 90 Jahren haben wird.
Wenn ich sehe, wen ich jetzt vormittags pflege, dann muss ich bis 66 oder 67 arbeiten. Die Krankenpflegekräfte sind oft nicht viel älter als ich. Dann wissen sie selbst kaum, wie es ihnen geht.
Zu diesem Thema gibt es zwei Aspekte: Zum einen glaube ich, dass manche Menschen, die besonders auffällig für das Sozialsystem sind, einfach „gelassen“ werden. Für diese wird sich eine große Mehrheit nicht einsetzen. Deutschland ist eines der wenigen Länder in Europa, das noch kein Euthanasiegesetz hat. Ein solches Gesetz wird es jedoch geben. Besonders diese Menschen, die als sehr belastend gelten, werden darunter fallen.
Wir dürfen uns vom Alter nicht täuschen lassen. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht in Pflegeheime kommen. Aber selbst dort gibt es immer mehr, die keine ambulante Pflege benötigen – und diese auch nicht bekommen.
Statistische Erhebungen zeigen, dass ältere Menschen heute nicht unbedingt kränker sind. Viele erreichen ein hohes Alter, ohne ins Krankenhaus oder Pflegeheim zu müssen. Das sagen zumindest die Statistiken.
Aus meiner Perspektive im Pflegebereich – ich habe selbst einige Jahre in der Pflege, im Krankenhaus und Altenheim gearbeitet – sieht das etwas anders aus. Natürlich haben wir dort viel mit alten Menschen zu tun. Doch das ist eine eingeschränkte Sichtweise, die auch täuschen kann.
Die meisten alten Menschen sterben heute noch zu Hause. Die meisten können bis ins hohe Alter zu Hause bleiben. Von diesen benötigen nur ein Teil wirkliche Hilfe. Ein großer Teil kann ohne Unterstützung auskommen. Das ist eine Errungenschaft der modernen Medizin.
Was die Zukunft bringt, wissen wir natürlich nicht. Die Altersstatistiken zeigen derzeit noch einen Aufwärtstrend. Diese Zahlen stammen aus Rentenversicherungen, Krankenversicherungen und anderen Quellen. Niemand kann genau sagen, wie es in Zukunft aussehen wird.
Es könnte eine große Seuche ausbrechen, bei der viele Menschen sterben. Es könnte auch ein Krieg ausbrechen, bei dem die Alten besonders leiden, weil sie sich schlechter schützen oder fliehen können. All das ist möglich.
Generell nimmt die Zahl der älteren Menschen im Moment noch zu. Doch das bedeutet nicht automatisch, dass die Pflegebedürftigkeit ebenfalls steigt.
Sozialausgaben und Zukunftsprognosen
Ja, ich habe hier auch eine Prognose zu den Sozialausgaben. Man sagt, wenn es so weitergeht wie bisher, würden die Sozialausgaben – gerechnet mit Krankenversicherung, Altersrente und Ähnlichem – von momentan knapp unter 40 Prozent des Einkommens bis 1950 etwa auf 68 Prozent steigen.
Dabei merkt man natürlich, dass das so nicht mehr möglich sein wird. Denn wer will dann noch mit den restlichen 40 Prozent leben? Man muss ja auch davon selbst leben können.
Ach so, genau, Entschuldigung, ja, das stimmt. Also, wer will davon noch leben? Das will ja niemand. Das heißt, es wird einen Verteidigungskampf geben, ganz klar.
Meine Prognose ist nur eine persönliche Einschätzung aus dem Bauch heraus. Da sich viele Entwicklungen ähnlich wie in den USA gestalten, glaube ich, dass es einfach dazu führen wird, dass wir ein Zwei-Klassen-System bekommen. Das wird ja schon lange angestrebt.
Es wird so eine Art Grundsicherung geben, damit die Leute nicht sterben, aber auch nicht wirklich leben. Das ist bezahlbar. Alles, was darüber hinausgeht, muss man selbst finanzieren. Das halte ich für realistischer. Denn das andere ist schon jetzt kaum bezahlbar und wird in Zukunft noch viel weniger bezahlbar sein, vor allem wenn weniger Leute einzahlen.
Deshalb arbeitet man auch darauf hin: Vorbeugen ist besser als heilen, was ja gut ist und viel besser. Das wird der Weg sein. Wenn ihr alt werden wollt – oder alt werdet, was ja bestimmt ist, Gott sei Dank – dann arbeitet jetzt schon darauf hin. Das ist das Beste, was ihr tun könnt.
Verlasst euch nicht auf die Rente oder auf eine gute Versorgung durch die Krankenkasse. Werdet jetzt fit und bleibt fit, damit ihr möglichst lange keine Hilfe braucht. Das klingt sehr pauschal und einfach, aber es ist das Beste, was ihr tun könnt – natürlich für euch selbst.
Es ist ja noch viel besser, selbst spazieren zu gehen, als sich im Rollstuhl schieben zu lassen, auch für uns selbst. Aber das fängt jetzt an. Wenn du erst mit 70 anfängst, dich gesund zu ernähren oder Sport zu treiben, ist es wahrscheinlich zu spät. Aber wenn du es mit 40 oder 50 machst, hast du noch eine reale Chance. Später geht es auch noch, aber die Chancen sind besser, wenn du früh anfängst.
Was wird das für Auswirkungen haben? Ich sage: Mehrheitlich wird der Staat die Verteilung der Ressourcen steuern. Es werden neue Themen in der Gesellschaft entstehen und sich auch die Moden verändern.
Viele haben sich lange an die Vergötterung der Teeniezeit gewöhnt, der Jugendzeit. Deshalb will heute die gesamte Bevölkerung jugendlich sein. Jugendlich sein ist das Idealmodell. Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es einmal anders war.
Wenn du aber Bilder aus den 1910er oder 1920er Jahren anschaust, dann war das damals gar nicht so. Zu dieser Zeit wurde die Jugend nicht als Ideal angesehen. Männer oder Jungs mit 17 oder 18 wollten älter sein, weil das Alter damals als ideal galt – so um die vierziger Jahre.
Warum? Weil du in den Vierzigern den Gipfel deines Verstandes und deiner Karriere erreicht hast. Du siehst viele Leute in diesem Alter mit Anzug und Zylinder, selbst wenn sie erst 16 oder 17 Jahre alt waren.
Wann kam es also zu dem Jugendboom, dem Jugendkult? Soziologisch lässt sich das genau festlegen: mit dem Aufkommen der Babyboomer in den 1960er Jahren. Diese Babyboomer sind dann alle älter geworden und haben damals die Mode bestimmt.
Es könnte also sein, dass in zwanzig Jahren auf den Covern der Illustrierten nur noch Rentner zu sehen sind, die ihre Zähne herausnehmen oder so. Nein, das war jetzt ein Scherz, entschuldigt, das war nicht ganz ernst gemeint.
Nein, das war nur teilweise ein Scherz. Aber ich will sagen: Manchmal kann man sich nicht vorstellen, dass das Denken auch anders sein könnte. Aber es kann anders sein.
Eine endlose Vergötterung werden auch die Älteren nicht mitmachen, denn das macht depressiv und zerstört einen. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung im Rentenalter ist, wollen sie sich ja nicht ständig fünfzehnjährige oder jugendlich wirkende Menschen anschauen. Das ist ja langweilig.
Stattdessen wird es vielleicht – und das wäre eine positive Perspektive – ein neues Selbstbewusstsein des Alterns geben. Das ist auch die einzige Perspektive, mit der die Leute überleben können.
Ich glaube, das fängt schon an. Man sieht manchmal in der Werbung und in Darstellungen eine gewisse Veränderung und Umdenkung, dass Alter manchmal auch als cool dargestellt wird. Das ist gar nicht so schlecht.
Altersdiskriminierung und geistige Leistungsfähigkeit
In Wirklichkeit muss dieser Umdenkungsprozess stattfinden, denn das, was es in der Vergangenheit mit dem Jugendwahn gab, war eine Abwertung des Alters – sowohl in Begriffen als auch in der Darstellung. Alte Menschen wurden als senil, anfällig und nicht leistungsfähig angesehen. Deshalb ist das Thema Altersdiskriminierung ein reales Problem.
Wenn man sich heute als 50-Jähriger bewirbt und in der Leistung genauso gut ist wie ein 30- oder 25-Jähriger, oft sogar besser, wird man im Durchschnitt trotzdem nicht genommen. Das ist Altersdiskriminierung. Die Leistung kann gleich sein oder sogar besser, trotzdem wird man nicht eingestellt. Das hängt mit diesem Weltbild zusammen, nicht mit der tatsächlichen Leistung.
Häufig heißt es, die optimale Leistung sei im Alter nicht mehr vorhanden. Das stimmt aber nicht. Neurologische Untersuchungen zeigen, dass Menschen noch mit 60 oder sogar 70 Jahren genauso schnell denken können wie junge Leute. Körperlich sind sie vielleicht nicht mehr so fit – sie tragen zum Beispiel die Dachziegel nicht mehr so schnell aufs Dach. Aber im Gehirn hat sich vieles gefestigt, und manche Dinge kann man sogar schneller denken, vorausgesetzt, man trainiert das Gehirn.
Viele Menschen verfallen im Alter nicht, weil sie es müssten, sondern weil sie es erwarten. Das heißt, die Erwartungshaltung „Jetzt verfalle ich, jetzt kann ich mich nicht mehr erinnern“ führt dazu, dass die Leistung radikal sinkt. Die Erwartungshaltung hat also einen wesentlichen Einfluss darauf, wie man das Alter erlebt.
Statistische Untersuchungen aus Florida in den USA, dem Bundesstaat mit den meisten älteren Menschen, zeigen: Menschen, die positiv über das Alter denken und sagen „Ich kann das, ich ziehe das durch“, werden im Durchschnitt siebeneinhalb Jahre älter als solche, die nicht so denken. Zum Vergleich: Menschen mit Problemen wie Bluthochdruck oder hohem Cholesterin haben nur eine um vier Jahre geringere Lebenserwartung. Menschen, die psychisch darauf eingestellt sind, dass mit dem Alter alles zu Ende geht, dass sie schwach und krank werden, verlieren im Durchschnitt siebeneinhalb Lebensjahre.
Das zeigt deutlich, dass Altern ganz wesentlich im Kopf geschieht und davon abhängt, was die Umgebung einem suggeriert. Wenn die Umgebung sagt: „Du bist alt, du gehörst aufs Altenteil, du bist mühsam, die Altenlast, das Altenproblem“, dann wird Altsein als Belastung für die Gesellschaft dargestellt. Man selbst verfällt langsam, also soll man „endlich den Löffel abgeben“.
In manchen Teilen der Welt geht das sogar so weit, dass ältere Menschen deswegen getötet werden. In den Niederlanden gibt es nach etwa zehn Jahren Euthanasiegesetz Selbsthilfegruppen von alten Menschen, die sich dagegen wehren. Immer mehr alte Menschen werden dort zum Tod gedrängt. Angehörige sagen zum Beispiel: „Du bist schon so lange im Altenheim, unser ganzes Erbe geht dabei drauf, das geht doch nicht.“ Das wird dann bei jedem Besuch wiederholt. Manche ältere Menschen sagen deshalb: „Ich will sterben.“
Dann heißt es: „Das ist dein Wille, du hast dich so entschieden.“ Aber das ist oft nicht wirklich eine freie Entscheidung. Das ist kein Einzelfall: In den Niederlanden sind bisher mehrere Tausend solcher Fälle dokumentiert, in denen der äußere Druck von Gesellschaft und Angehörigen das Leben der älteren Menschen schwer macht und zu einem Sterbewunsch führt. Das bedeutet, dass viele nicht aus medizinischen Gründen sterben, sondern weil die Gesellschaft und ihr Umfeld sie dazu drängen.
Veränderungen im Konsumverhalten und Vermögensverteilung
Dann, was wird sich noch verändern? Es wird andere Dienstleistungen geben. Die Kaufkraft wird in den nächsten zwanzig Jahren weiter steigen. Warum? Weil viele Menschen älter werden und mehr finanzielle Rücklagen ansammeln. Sie haben weniger Ausgaben, zum Beispiel für Kinder, aber weiterhin Einkommen.
Das heißt, in den nächsten zwanzig Jahren wird das Vermögen in Deutschland im Durchschnitt zunehmen. Das betrifft vor allem die Babyboomer-Generation, also mich und alle, die in meinem Alter sind. Schade nur, dass ich an der Bibelschule bin, deshalb wird mein Vermögenszuwachs nicht ganz so stark sein wie in Bayern. Aber generell gehöre ich noch zu der Generation, die profitieren wird. Danach wird es erst einmal wieder bergab gehen. Solange ich in den nächsten zwanzig Jahren noch im Arbeitsleben stehe, wird es also noch ein bisschen bergauf gehen.
Außerdem werden Menschen bessere Chancen auf Karriere in Politik und Wirtschaft haben. Junge Leute heute müssen sich wenig Sorgen um Arbeitslosigkeit machen, zumindest diejenigen, die nicht faul sind. Hier geht es wirklich um Faulheit, denn in der Zukunft werden alle gebraucht, die irgendwie arbeiten können. Das ist jetzt schon absehbar.
Ihr wisst ja, manche ostdeutsche Handwerksverbände suchen dringend im Westen nach Leuten, die ihre Ausbildung machen. Das heißt, es wird immer einen Teil von Arbeitslosen geben. Allerdings wird sich immer stärker zeigen, dass es sich dabei um Menschen handelt, die entweder wirklich nicht arbeiten können, es nicht wollen oder sich nicht mehr umstellen können.
Der Mangel an Arbeitskräften wird also zunehmen. Natürlich werden auch Probleme wie Alzheimer immer häufiger auftreten.
Landwirtschaft und ländliche Regionen
Ich habe letzte Woche eine Statistik gelesen, die besagt, dass die Bauern in den nächsten Jahren wahrscheinlich aussterben werden. Das liegt daran, dass Bauern ein sehr schlechtes Image haben. Wenn es dann zu Rangeleien um Arbeitsplätze kommt, wird kaum noch jemand Bauer werden wollen.
Es ist interessant, wie sich das entwickeln wird. Ich weiß es nicht genau. Vielleicht lädt man dann ein paar Türken aus Anatolien ein, die noch wissen, wie man einen Bauernhof führt. Zumindest in unserem kleinen Dorf könnte das eine Möglichkeit sein.
In dem Dorf, in dem wir leben, gab es früher viele aktive Bauernhöfe. Als ich dort als Kind war – meine Eltern sind dorthin gezogen, als ich etwa sieben Jahre alt war – war das Dorf von Bauernhöfen geprägt. Heute gibt es in diesem Dorf keinen einzigen aktiven Bauernhof mehr.
Ich glaube, das ist keine Ausnahme mehr, sondern weit verbreitet. Das ist nur ein Detail, aber es zeigt die Auswirkungen, die wir in Zukunft haben werden.
Intellektuelle Leistungsfähigkeit im Alter
Ich habe auch gesagt, dass es so einen Jugendwahn gibt, der das Alter eher negativ darstellt. Objektive Untersuchungen zeigen jedoch, dass ältere Menschen in vielen Bereichen, zum Beispiel beim Denken, der Wahrnehmung und der Verarbeitung, nicht zwangsläufig schlechter werden müssen. Wenn es doch passiert, tragen sie oft selbst dazu bei.
Das ist allerdings auch schon bei manchen Dreißigjährigen zu beobachten. Manche Dreißigjährigen sind innerlich schon auf Rente. Äußerlich sind sie noch fit, aber innerlich haben sie abgeschaltet. Sie haben zum Beispiel mit zwanzig, als die Ausbildung zu Ende war, aufgehört zu denken, und das setzt sich dann so fort.
Das ist jedoch keine Notwendigkeit des Alters, sondern eine bewusste Entscheidung, die aus Faulheit, Trägheit oder anderen Gründen getroffen wird. Die innere intellektuelle Aktivität ist nach zahlreichen Untersuchungen nicht automatisch vom Alter abhängig – zumindest nicht bis etwa zum siebzigsten Lebensjahr.
Bei Hochaltrigen, also ab 80 oder 90 Jahren, tritt irgendwann auch geistiger Verfall ein. Aber das ist nicht das Alter, über das wir hier sprechen. Wir meinen eher den Zeitraum bis etwa 70 Jahre. In diesem Alter ist die intellektuelle Leistungsfähigkeit, wenn man sie trainiert und erhalten möchte, noch ungefähr auf dem gleichen Niveau wie mit 20 Jahren.
Es gibt auch Statistiken, die man im Internet nachlesen kann, welche großen kulturellen Errungenschaften und Werke im Alter von über 50 bis 60 Jahren geschaffen wurden. Das würde viele erstaunen. Ohne diese Leistungen wären viele Erfindungen, Dichtungen und architektonische Meisterwerke nicht entstanden.
Die Menschen bauen also nicht automatisch ab, nur weil sie älter werden. Das ist vielmehr eine Vorstellung, die die Gesellschaft teilweise vermittelt. Hier wird sich wahrscheinlich eine Veränderung einstellen müssen.
Besitzverteilung und politische Macht älterer Generationen
Ja, zum Beispiel verfügen diese Babyboomer, von denen ich spreche, momentan über etwa siebzig Prozent des Vermögens. Das möchte ich euch ökonomisch betrachtet so erklären, um zu verdeutlichen, was das bedeutet.
Wenn sie ins Alter kommen, bilden sie nicht nur die Mehrheit in der Gesellschaft. Sie können auch bestimmen, was läuft – zumindest diejenigen, die zu den Besitzenden gehören. Das wird also Auswirkungen haben.
Mögliche gesellschaftliche Szenarien
Was wird dann die neue Rolle des Alters sein?
Wenn es negativ läuft, könnte es Euthanasie geben. Zudem werden Endzeitängste besonders bei den Jungen entstehen. Sie sehen, wie die Alten ihnen über den Kopf wachsen – die große Herde der Grauen mit Rollator, die durch die Stadt läuft. Das empfinden sie als bedrohlich. Junge Menschen könnten in Panik geraten, ebenso die Alten. Wenn sie in diese Panik verfallen, denken sie: Es ist bald das Ende, es ist nur noch die letzte Zeit.
Wenn die Älteren politisch Verantwortung übernehmen, könnte dies jedoch auch zu einer positiven Erfahrung für die Gesellschaft führen. Viele ältere Menschen denken nur noch an die nächsten zehn Jahre, weil das ja scheinbar nur noch ihre Lebenszeit ist. Junge Menschen hingegen wollen ihr ganzes Leben noch gestalten.
Das bedeutet, es könnte zu einer Stagnation in Politik, Wirtschaft und anderen Bereichen kommen, wenn die Alten ihre Verantwortung nicht richtig wahrnehmen. Wir müssen also sehen: Die Alten sind kein Problem. In Zukunft werden sie die dominierende Rolle in der Bundesrepublik spielen. Sie müssen ihre Verantwortung annehmen und ernst nehmen. Einfach zurückzulehnen und zu sagen: „Es wird schon für uns gesorgt“, wird nicht funktionieren. Sonst wird alles zusammenbrechen.
Das bedeutet auch: „Schminkt euch, solange ihr noch etwas jünger seid.“ Ich habe ja mehrfach gesagt, dass die Träume von früher, wie „Ich kaufe mir mit 60 ein Wohnmobil, gehe in Frührente und fahre dann bis 90 dreißig Jahre durch die Welt“, nicht mehr realistisch sind.
Aber denkt daran: Es ist noch viel besser. Du wirst mit 65 noch eine neue Karriere starten, vielleicht eine Firma gründen, einen Auslandseinsatz in der Mission machen oder Ähnliches.
Umgang mit der Realität und persönliche Perspektiven
Aber jetzt komme ich zum realistischen Teil. Ich glaube tatsächlich, wir müssen uns damit auseinandersetzen. Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehen wir damit um? Es könnte jetzt den Aufschrei geben: „Ach, wie schlimm ist die Welt! Alles wird untergehen, es geht den Bach runter!“ Wir haben schon oft die bösen Muslime und das Gender Mainstreaming als Probleme gesehen. Jetzt kommen noch die Alten dazu. Dabei abstrahieren wir uns oft und nehmen uns selbst nicht mit hinein. Aber wir gehören ja alle dazu. Wir sind alle einmal Teil der Generation, die davon betroffen sein wird. Denn wir sind alle nicht mehr fünf, sechs, sieben oder acht Jahre alt. Manche von uns sind näher betroffen, andere weniger. Also, das wird Auswirkungen haben.
Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Ich glaube, es braucht ein positives Bild des Alters. Es braucht die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Es gibt schon Beispiele dafür. So habe ich in Florida gelesen, dass alte Rentner im Alter von achtzig und mehr Kinder aus Kinderheimen adoptieren. Sie bezahlen ihre Ausbildung und nehmen sie zuhause auf. Das ist eine Art Mehrgenerationenhaushalt. Warum nicht? Statt sich darüber zu beschweren, dass die ganze Welt den Bach runtergeht, könnte man sagen: „Okay, diese orientierungslosen Kinder, laden wir doch ein paar von ihnen ein.“ Natürlich sage ich das manchmal auch mit dem Einwand: „Ich habe ja schon genug gehabt, und mit sechzig will ich das nicht noch mal.“ Aber warum nicht? Das ist nur eine Herausforderung. Das hält lebendig und frisch.
Vielleicht könnte man sich das auch teilen: Fünf Rentner zusammen, ein Teenager, und der hat dann nur einen Tag in der Woche Besuch. Das wäre vielleicht realistischer. Es wird ganz neue Modelle des Lebens und Zusammenlebens geben. So wie das bisher läuft, wird es nicht funktionieren. Es kann gar nicht funktionieren. Wenn wir keine Katastrophe mit einem Generationskonflikt wollen, bei dem es zu Totschlag oder Euthanasie kommt, dann müssen andere Lösungen her. Diese Lösungen werden nicht daran vorbeigehen, dass Menschen länger jung bleiben – wenn ich es mal positiv ausdrücke. Sie müssen länger Verantwortung übernehmen. Denn wir müssen ja auch präsent sein.
Das negative Bild ist oft: Arbeiten ist Mühe, und irgendwann im Alter lässt man alles fallen. Ja klar, ich glaube nicht, dass jemand erwartet, dass ein Siebzigjähriger als Straßenarbeiter den Asphalt mit der Spitzhacke aufhackt. Das nicht. Aber die meisten Arbeiten heute sind nicht mehr stark körperlich. Viele Tätigkeiten kann man mit Begleitung und entsprechender Motivation auch längerfristig ausüben. So hat es die meiste Menschheitsgeschichte immer funktioniert.
Die Rente wurde erst vor knapp über hundert Jahren eingeführt. In den meisten Ländern der Welt gibt es bis heute keine Rente. Das heißt, wir dürfen nicht glauben, dass das, was wir als Normalfall sehen, auch der Normalfall weltweit ist. Und es wäre auch nicht schlimm, wenn es die Rente nicht mehr gäbe. Der Normalfall weltweit ist eher, dass es keine Rente gibt. Dann muss es eben einen Generationenvertrag oder andere Lösungen geben.
Selbst in den USA gibt es aktuelle Zahlen, nach denen etwa 20 bis 25 Prozent der Menschen keine Rente haben. Das ist heute schon in einem Industrieland so, und dieser Anteil wird voraussichtlich wachsen. Ich will keine Endzeitstimmung verbreiten. Ich möchte nur, dass wir nicht genauso verschlafen wie viele Politiker. Wenn wir wissen, was auf uns zukommt, können wir dazu beitragen, diese Zukunft aktiv zu gestalten.
Gemeindearbeit und Seniorenarbeit
Zum Beispiel, das wäre jetzt nur mal so ein ganz eigenartiger Trend. Ich glaube, wenn ihr ein neues Gemeindebaukonzept entwickeln wollt, setzt auf Seniorengemeinden. Denn wenn in ein paar Jahren die Senioren die Mehrheit stellen, kann man mit Jugendgemeinden nichts mehr anfangen. Wer will dann noch die laute Schlagzeugmusik hören? Für ältere Menschen ist das meistens eher nervig.
Dann lasst die Jugendlichen das in ihrem Keller machen. Seniorenarbeit ist die Arbeit mit Zukunft. Und Senioren sind ja meine Generation. Ihr müsst also nicht an die denken, die jetzt alt sind, sondern an die, die jetzt älter werden. Ich meine das natürlich nur zum Teil zum Scherz, aber ich glaube auch, dass sich in Gemeindekonzepten etwas ändern muss.
In den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren setzte man darauf, dass Gemeindenerneuerung immer bedeutete, dass sich die Alten an die Jungen anpassen müssen. Warum? Weil die Babyboomergeneration die Jungen waren, die alles revolutionieren wollten. Das fing damals an. Und ihre Kinder haben diese Idee weitergetragen. Alles in der Gemeinde musste sich nach der Jugend richten – das war lange das Konzept.
Aber das wird auf Dauer nicht mehr funktionieren. Wie soll man in der Gemeinde vertreten, dass die Gesamtgemeinde – und jetzt haben wir ja viele über 50-Jährige und alle, die im Arbeitsleben stehen – sich nach dem Geschmack und den Mustern einer kleinen Gruppe richten soll, die vielleicht noch zehn Prozent ausmacht, nämlich die Teenager? Ist das logisch vertretbar? Kaum.
Im Moment ist es noch so, weil dieser Wechsel noch nicht stark genug stattgefunden hat. Der Jugendwahn dominiert noch. Das heißt aber nicht, dass die Jugendlichen ausgeschlossen werden sollen. Nur werden sie für das öffentliche Leben nicht mehr so bedeutend sein.
Ihr werdet auch sehen: Viele der neu entstehenden Gemeinden machen einen großen Fehler. Sie sind jugendliche Protestgemeinden, die groß werden und groß dastehen. Aber sie leben zum allergrößten Teil nur davon, dass zwanzig Gemeinden die Jugendlichen verlieren, die dann in eine große Gemeinde in der Innenstadt gehen. Plötzlich hat man eine große Jugendgemeinde, und es scheint zu boomen.
In Wirklichkeit sind die meisten Jugendgemeinden eine Illusion. Ich kenne einige Leute in Zürich, wo das ICF entstanden ist, aus verschiedenen Jugendgemeinden. Einige Pastoren haben mir genau dasselbe gesagt: Unsere ganze Jugendarbeit ist zusammengebrochen, als das ICF anfing. Denn es kamen nicht massenhaft neue Menschen zum Glauben. Es sind vor allem die bestehenden Jugendlichen aus kleineren Gemeinden, die jetzt in die große Gemeinde gehen, weil sie endlich Gottesdienst machen können, wie sie es sich vorstellen – ohne Alte, sie bestimmen alles selbst.
Aber das ist ein Irrtum. Das ist kein großes Wachstum, kein neuer Aufbruch, keine Erweckung, sondern eigentlich ein Irrweg. Denn auch diese Jugendlichen werden einmal zu denen gehören, die ich jetzt skizziert habe. Auch sie werden älter sein. Was erwarten sie dann von der Jugend?
Das heißt, wir werden stärker darauf achten müssen, dass es einen Zusammenhalt gibt und generationenübergreifende Zusammenarbeit. Diese darf aber nicht mehr nur darauf ausgerichtet sein, was junge Leute machen. Das ist natürlich kein Vorausdenken für die nächsten fünf Jahre, sondern für die nächsten zwanzig Jahre. Aber es wäre gut, wenn wir nicht immer nur kurzfristig denken.
Darüber hinaus glaube ich, dass jetzt ein immenser evangelistischer Aufwand nötig ist. Man muss jetzt anfangen, sich zu überlegen, wie man Senioren evangelisiert und betreut. Dabei darf man nicht nur an die denken, die vollkommen hilflos in einem Pflegeheim sind.
Die meisten Älteren werden auch in Zukunft länger aktiv sein und sich einsetzen – nicht nur in der Arbeit, sondern auch bei Freizeitbeschäftigungen. Sie haben eine viel größere Kapazität. Vor zwei, drei Generationen war es so, dass man seine Kinder erzogen hat und dann langsam ins Altenteil ging. Das ist heute nicht mehr so.
Ich habe gestern schon gesagt: Eine Frau mit 45 Jahren, deren Kinder groß sind, hat statistisch noch mindestens 20 bis 25 Jahre, in denen sie fit bleibt. Und das gilt nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Selbst wenn man noch berufstätig ist, hat man nebenher mehr Freiheit, weil man nicht mehr durch Kinderbetreuung oder Hausbau gebunden ist. Das Haus steht, man hat viel mehr Freiheit.
Im Moment wissen viele christliche Senioren nicht, wie sie damit umgehen sollen. Deshalb sehe ich viele Senioren vor dem Fernseher versauern. Es gibt so viele, die mit ihren Eltern nichts anzufangen wissen, keinen Job mehr haben, weil sie in Rente sind, und nur vor dem Fernseher sitzen.
Die meisten Talkshows, die am Vormittag laufen, schauen doch weder Berufstätige noch Schüler. Die sind klar für Senioren gemacht und für einen kleinen Teil von Arbeitslosen. Das sieht man daran, dass diese Sendungen das ganze Jahr über ausgestrahlt werden, nicht nur im Sommer.
Das heißt, das Programm ist auf diese Zielgruppe ausgerichtet. Im Moment herrscht eine starke Konsumhaltung: Setz dich hin, lass dich berieseln. In Zukunft wird das anders werden.
Neue Rollen und Aufgaben älterer Christen
Hoffentlich wird es anders, denn ältere Menschen – und dazu zähle ich mich selbst – erkennen hoffentlich, dass wir auch noch gebraucht werden. Ganz gleich, ob das jemand sagt oder nicht: Wir bestimmen die Welt, wir bestimmen, was läuft. Wir müssen nicht darauf hoffen, dass die Jungen missionieren, sondern wir müssen selbst missionieren. Das gilt auch für die Missionsarbeit.
Warum sollte jemand mit 70 nicht ein oder zwei Jahre in die Mission gehen, wenn er einigermaßen fit ist? Er muss sich dabei nicht zurücklehnen. Das wird eine Herausforderung der Zukunft sein. Das betrifft auch die Gemeinde. Manchmal können wir uns das gar nicht richtig vorstellen, aber wir müssen aus dem bisherigen Konzept ausbrechen. Denn dieses Konzept wird nicht funktionieren – allein schon aus zahlenmäßigen Gründen nicht.
Es sei denn, man gibt sich rechtzeitig geschlagen und sagt: „Das war’s.“ Aber das wollen wir als Christen nicht. Stattdessen sollten wir die Lebenszeit, die Gott uns gibt, nutzen. Natürlich müssen wir auch damit rechnen, unsere ganze Zeit und Kraft nicht zu verausgaben mit der Hoffnung, dass danach eine große Ruhepause kommt. Vielmehr sollten wir unsere Kraft so einteilen, dass wir auch in zwanzig Jahren noch kraftvoll zubeißen können.
So hieß es doch in meiner Jugend – ich erinnere mich an einen Werbeslogan für Zahnpasta. Damals habe ich noch fernsehen geschaut. Wie die neuen Werbungen laufen, weiß ich nicht mehr, denn ich habe das Fernsehen abgeschafft – oder wir haben es gemeinsam abgeschafft. Darüber sind wir froh. Deshalb kenne ich meist nur noch diese älteren Sprüche. Man merkt, wie stark sie wirken, obwohl ich sie nie auswendig gelernt habe, sondern nur ein paar Mal gesehen.
Das zeigt, wie gefährlich Medien sein können! Ich meine nicht wegen der Zahnpasta, sondern wegen dem, was in meinem Kopf hängen bleibt. Das heißt: Wir müssen neue Perspektiven sehen und neu aktiv werden, auch als Ältere. Dabei sollten wir keinen Generationskonflikt provozieren, sondern stärker die Interessen der Älteren in der Gemeinde berücksichtigen.
Wir sollten die Jungen dazu erziehen, nicht nur zu sagen: „Ich bin jugendlich und flippig, und das ist toll“, während die Älteren neidisch darauf schauen. Stattdessen ist es wichtig, Jugendliche zu erziehen, die zusammenleben mit Menschen unterschiedlichen Alters. Das ist eine ganz, ganz wichtige Sache. Ohne das wird die Gesellschaft in zwanzig Jahren nicht mehr funktionieren, wenn es nicht klappt.
Hier liegt eine wichtige Herausforderung für die Gemeindearbeit. Seniorenarbeit darf nicht mehr ein Anhängsel der Gemeinde sein. Da gibt es halt noch ein paar Rentner, die dafür mal eine Stunde investieren. Nein, das muss viel mehr berücksichtigt und als wichtiger Faktor gesehen werden – bis hin zur Evangelisation unter Älteren.
Das habe ich schon mehrfach betont.
Evangelisation und Generationen
Eine Erfahrung, die ich vor ungefähr einem Jahr gemacht habe: Ich besuche ab und zu eine junge, jugendliche Studentengemeinde in Göttingen. Dort sind fast nur Studenten, weil einige Studenten zusammengekommen sind, um ihren Glauben zu leben und zu missionieren.
Jedes Mal, wenn ich dort bin – wirklich jedes Mal – sind neu bekehrte Studenten dabei. Als ich vor etwa einem Jahr dort war, habe ich mich gefragt: „Was macht der denn hier? Hier kann doch kein Student sein.“ Es war jemand, ich schätze so um 97 oder 98 Jahre alt, der sich bekehrt hat, weil die Studenten ins Altenheim gegangen sind und dort Bibelkreise angeboten haben.
Dieser Mann geht jetzt regelmäßig mit in diese Jugendgemeinde. Er klatscht mit und betet mit. Die Leute sagen, dass er im Altenheim seit seiner Bekehrung aufgeblüht ist. Vorher konnte er sich kaum noch alleine bewegen, saß im Rollstuhl, und jetzt kann er wieder laufen. Nicht, weil die Gemeinde charismatisch ist, sondern weil es einen Unterschied macht, ob man den ganzen Tag nur in einem Raum sitzt, in dem alle in den Fernseher starren, oder ob man Gemeinschaft erlebt.
Jeder, der in der Altenpflege tätig ist, weiß, dass man abbaut, wenn man den ganzen Tag nur in einem Raum sitzt. Wenn ein alter Mensch sich nicht mehr anziehen oder essen lässt, kann er das nach zwei, drei Monaten oft nicht mehr. Genau das ist hier passiert. Das kann auch umgekehrt werden.
Wir sind auch herausgefordert: Es gibt alte Menschen, die sich bekehren und umkehren können – auch wenn das ein Wunder Gottes ist. Menschlich betrachtet erscheint das schwierig, aber es ist möglich. Gott kann das. Natürlich nicht bei jedem, manche sind so senil, dass keine Umkehr mehr möglich ist. Und das kann manchmal schon mit dreißig Jahren geschehen. Da kommt man dann nicht mehr durch.
Hier sehe ich Herausforderungen für jeden von uns. Einerseits, wie wir selbst mit dem Alter umgehen – und das Alter nicht nur negativ bewerten. Andererseits, wie wir mit dem Alter anderer Menschen umgehen. Und wie wir uns auf die Veränderungen in der Gesellschaft einstellen.
Diese gesellschaftlichen Veränderungen werden übrigens auch dazu führen, dass wir als Gemeinde neu über den Umgang mit Immigranten nachdenken müssen. Denn der Bevölkerungsrückgang wird vor allem bei den einheimischen Deutschen am stärksten sein. Immigranten hingegen werden rasant zunehmen. Das bedeutet, wir müssen damit rechnen, dass in den Innenstädten viel mehr Menschen mit fremdem Hintergrund leben werden.
In Deutschland hat sich das etwas verzögert – dafür können wir Gott dankbar sein. Die vielen Spätaussiedler haben das einige Jahre hinausgezögert. Sie brachten viele junge Menschen, Kinder und Arbeitskräfte mit. Ohne sie wäre die Alterung noch schneller erfolgt.
Doch auch die Spätaussiedler werden das nicht aufhalten. Die meisten von ihnen sind nicht gläubig. In christlichen Kreisen, zum Beispiel an der Bibelschule Brake, entsteht manchmal der Eindruck, alle Spätaussiedler seien gläubig. Das ist jedoch falsch. Die meisten haben mit dem Glauben nichts zu tun. Sie sind ganz normale Materialisten oder haben andere Weltanschauungen. Nur ein kleiner Teil ist gläubig.
So verpufft auch der Einfluss der Spätaussiedler ein wenig. Aber es wird neue Einwanderer geben – und die wird es geben müssen. Es geht gar nicht anders.
Daher müssen wir uns im Zusammenhang mit diesem Alterungsprozess auch mit Integrationsfragen auseinandersetzen. Wie gehen wir mit Menschen anderer Nationalität um? Wie vermeiden wir Isolation und Abkapselung? Das wird nicht funktionieren.
Das ist ein Nebenaspekt des Alterungsprozesses, den wir nicht außer Acht lassen dürfen.
Ich hoffe, ich habe euch einen kleinen Einblick gegeben. Es waren nur einige Daten und Faktoren. Es gibt Bücher, die sich intensiver mit dem Thema beschäftigen, allerdings meist ohne den christlichen Aspekt zu betonen.
Ich habe bisher kaum etwas gelesen, das sich mit den christlichen Hintergründen oder der Frage beschäftigt, wie wir als Gemeinde darauf reagieren sollen. Es gibt nur wenige Ansätze, die ich mitbekommen habe.
Das ist, glaube ich, eine Herausforderung für uns alle. Wir sind nicht nur diejenigen, die andere behandeln, sondern wir sind selbst betroffen. Und zwar wir alle – auch wenn einige hier erst Mitte zwanzig sind.
Ihr gehört genauso zu dieser Gruppe. Spätestens im Jahr 2050 werdet ihr auch dazugehören. Dann wird der volle Durchschlag kommen. Wenn ihr nämlich im Rentenalter seid, werde ich vielleicht schon 80 Jahre alt sein – aber hoffentlich immer noch fit. Manchmal habe ich Zweifel, was mich betrifft. Aber ich bin ja nicht stellvertretend für alle anderen.
Ich hoffe, dass ihr dann noch lebt, auch wenn ich vielleicht schon im Himmel bin und euch dort erwarte. Ich glaube nicht, dass ich so alt werde. Das liegt daran, dass Gott mir in den letzten Jahren immer wieder Herausforderungen zugemutet hat – wie Krebs und jetzt grüner Star.
Dann denke ich mir: Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht, wie ich noch weiterleben soll. Aber das ist eine andere Sache.
Bitte denkt an den Durchschnitt der Bevölkerung. Oder vielleicht noch eines: Ihr müsst kräftig für mich beten, dann werde ich vielleicht auch noch 80 Jahre alt.
Wissenschaftliche Studien und theologische Forschung
Ein Kommilitone, den ich an der FDH kennengelernt habe, schreibt gerade eine Dissertation zu genau diesem Thema: den älteren Menschen in der Gemeinde. Er forscht aus der Sicht der praktischen Theologie und Diakonie. Sein Name ist Timo Jancke, und er arbeitet an der Universität Kampen. Wahrscheinlich wird er in zwei bis drei Jahren damit fertig sein.
Ach, den kenne ich ja sogar. Ja, ich habe ihn beim Ethikinstitut öfter getroffen, dort arbeite ich auch mit.
Wenn ich noch etwas nachfragen darf: Er schreibt also darüber, dass die älteren Menschen die Klienten sind und wir diejenigen, die sie betreuen. Wenn das der Fall ist, würde ich sagen, dass Altenarbeit in Zukunft keine große Rolle mehr spielen wird. Denn diese Form der Altenarbeit gibt es schon seit hundert Jahren. Sie besteht vor allem darin, wie man Senioren betreut und wie man Seelsorge für sie macht. Das ist auch nicht schlecht.
Aber das, worüber ich jetzt spreche, ist ein ganz neuer Aspekt: dass die älteren Menschen selbst aktiv werden, dass sie das Leben mitbestimmen und sogar die Mehrheit bilden. Es gibt nicht nur ein paar Alte, die man betreuen muss, sondern die Gesellschaft besteht aus den Alten.
Das heißt, es geht nicht mehr um Seniorenarbeit im klassischen Sinne, sondern vielmehr um die Frage: Wie ist die Gesellschaft? Ich glaube auch, dass es dabei mehr um die aktiven Menschen geht, um die Veränderungen, die damit einhergehen, und so weiter.
Aber danke, dass du mir das gesagt hast. Ich wusste bisher nicht, worüber er genau arbeitet, aber ich werde ihn mal fragen.
Politische Macht der Rentner
Ein zweiter Aspekt, der für mich besonders wichtig ist, betrifft mein politisches Interesse. Ich stelle fest, dass im Zusammenhang mit dem Generationenkonflikt viele Parteien sagen, sie könnten keine Politik mehr gegen die Rentner machen. Das liegt daran, dass bereits jetzt etwa 30 Prozent der Wählerschaft Rentner sind – und noch mehr, denn gerade diejenigen, die wählen gehen, sind oft Rentner. Diese Gruppe denkt häufig, dass es angebracht wäre, bestimmte Dinge durchzusetzen, doch es gelingt einfach nicht, gegen die Rentnerpolitik etwas durchzusetzen. Das liegt daran, dass sie diejenigen sind, die die Politik bestimmen.
Aus christlicher Sicht sehe ich hier auch eine Verantwortung bei den älteren Christen. Sie sollten eine gewisse Realität und ein langfristiges Denken entwickeln. Es geht nicht nur darum, die eigene Sicherung für die nächsten zehn Jahre zu wissen, sondern auch um ein übergreifendes Denken über Generationen hinweg. Christen sollten Übergenerationen im Blick haben. Vielleicht können die älteren Christen in ihren Kreisen und im Umgang mit anderen Senioren eine weitergehende Perspektive vermitteln.
Ich denke, dass ein gesundes Bewusstsein dafür notwendig ist, und ich unterstütze das. Ich würde sogar noch weiter gehen: Der Appell an die nächste Generation hilft manchen, aber bei vielen bleibt er wirkungslos. Die nächste Generation ist oft gleichgültig. Deshalb sage ich: Denk an dich selbst! Wir gehören alle irgendwann zu dieser Generation. Wenn jeder nur sagt: „Ich will haben“, dann wird es nichts geben. Es entsteht ein großes Loch.
Es geht also schon allein um uns selbst. Wie wird unsere Zukunft aussehen? Willst du darauf zusteuern, dass irgendwann die Schraube abgedreht wird, dass Euthanasie zur Lösung wird oder dass die Alten alle auf der Straße stehen? Wenn man nur Forderungen stellt und sagt: „Ich will“, dann wird es genau so kommen. Das ist keine Wirtschaftsprognose, sondern eine logische Konsequenz. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Die Alten sterben oder sie werden alt.
Sterben heißt dann, dass man nachhelfen muss, denn sie sterben nicht alle von selbst. Ich jedenfalls will das nicht, und ich glaube, die anderen auch nicht. Also werden sie alt. Dann stellt sich die Frage: Wie werden sie alt? Ich sage noch einmal: Alle so alt werden wie die heutigen Rentner, das geht nicht. Es gibt keine Variante, in der das funktioniert. Man könnte sagen, man lädt Millionen von Chinesen ein – aber die werden selbst alt sein und ihr eigenes Altersproblem haben.
Es wird nicht anders gehen. Es geht also schon aus reinem Egoismus um uns selbst. Wir müssen nicht einmal altruistisch gegenüber anderen Generationen sein, die hoffentlich nebenbei auch noch etwas davon haben. Es geht um uns selbst.
Gerade weil wir, die Älteren, die Macht haben – finanziell gesehen. Zurzeit sind etwa 70 Prozent des Besitzes in den Händen der sogenannten Babyboomer-Generation, die alle mit einem Schlag ins Alter kommen wird. Dabei geht es nicht nur um große Konten, sondern auch um Immobilien und viele andere Besitztümer. Diese Menschen besitzen etwa 70 Prozent des Vermögens und haben politische Macht. Diese Macht wird in Zukunft nicht abnehmen, sondern zunehmen.
Deshalb ist es wichtig, diese Verantwortung ernst zu nehmen. Das gehört sicherlich dazu.
Gesellschaftliche Minderheiten und Integration
Was sagt ihr dazu? Ich denke, in diesem Bereich gehört auch dazu, dass wir uns daran gewöhnen, dankbar zu sein, als Deutsche in Deutschland die Minderheit zu sein. Ja, auch das gehört dazu.
Darauf muss man als Gemeinde und als Pädagoge reagieren. Ich hatte vor ein paar Jahren eine Einsatzwoche in Köln, Westheim, glaube ich. Dort haben wir an einer Hauptschule die ganze Woche, also 30 Stunden, Unterricht gegeben. In den Klassen waren die Deutschen eindeutig die Minderheit.
Es waren Schüler aus 20 bis 30 verschiedenen Ländern, und in allen Klassen waren die Deutschen in der Minderheit. Das ist heute noch so, besonders in den Großstädten und in sozial schwachen Milieus. Zudem ist es vor allem in niedrigeren Schulformen der Fall. Aber das ist erst der Anfang.
Das wird übermorgen auch in den Kleinstädten und an Realschulen sowie Gymnasien so sein. Das ist jetzt der Anfang, und es wird nicht dabei bleiben. Sich darauf einzustellen, ist wichtig – einmal emotional, aber auch für die Jugendarbeit, die Teeniearbeit oder die Missionsarbeit.
Mission unter Ausländern wird nicht mehr nur ein bisschen nebenher laufen, sondern ein ganz wichtiger Faktor für jede Gemeinde sein müssen. Vor allem der Großteil der Menschen, mit denen wir zusammenleben, sind nicht die traditionell einheimischen Deutschen.
Es steht also ein Umbruch bevor, der noch nicht abgeschlossen ist, aber kommen wird. Es ist gut, schon jetzt daran zu denken und sich darauf einzustellen.
Islamfeindlichkeit und gesellschaftliche Spannungen
Ein bisschen mehr im Vordergrund, Dritten? Ich meine, da müssten wir doch sehen, dass wir uns damit auseinandergesetzt haben, wie wir ihnen begegnen. Sonst würden wir überrollt werden.
Genau. Ich habe ja auch gesagt: Wenn wir noch junge Leute nach Deutschland holen wollen, dann müssen wir bedenken, dass der größte Geburtenüberschuss in jungen Menschen in muslimischen Ländern liegt. Das heißt, selbst wenn wir keine Einwanderer mehr aus der Türkei haben, werden sie vielleicht aus Pakistan, Ägypten, Syrien oder anderen Ländern kommen. Diese Länder haben einen starken Jugendüberschuss. Dieser dringt ja auch jetzt schon nach Europa vor. Diese jungen Menschen suchen Arbeitsplätze und viele von ihnen sind gut ausgebildet. In Zukunft werden also noch mehr Leute kommen.
Jetzt können wir natürlich sagen: „Wir sind einfach böse.“ Aber was ich im Moment sehr problematisch und kritisch sehe, ist der Trend zu einer Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft. Habe ich das nicht gestern schon mal erwähnt? Diese Islamfeindlichkeit halte ich für ganz problematisch.
Manche Christen stimmen dem sogar zu und verbreiten E-Mails, die Hass gegen den Islam schüren. Das ist vollkommen kontraproduktiv, denn wir wollen die Leute erreichen. Wenn du erst einmal Hass schürst, erreichst du sie niemals. Es ist nicht so, dass alle Muslime freundlich und nett sind, manche wollen uns Christen sogar umbringen. Ja, das ist leider so. Aber hilft es, wenn du jetzt Hass gegen sie schürst?
Im Moment ist das Mode, à la Sarrazin. Viele Christen waren froh, dass endlich mal jemand die Dinge ausspricht. Aber wo sind die positiven Antworten, die er gegeben hat? Er hat nur gesagt, die muslimischen Einwanderer seien dumm, faul und würden unsere Gesellschaft kaputtmachen. Das führt doch nur zu negativen Gefühlen. Wer hat sich dabei positiv gefühlt, als er das gelesen hat? Das ist keine objektive Analyse.
Man muss bei Sarrazin auch zweifeln, welche Motive er hat. Was tut er für die Situation? Was macht er, damit sich etwas ändert? Nichts. Er kassiert sogar noch einen Bonus, weil er zurückgetreten ist, bekommt mehr Geld. Sein Buch ist ein Bestseller, er verdient daran. Auch bei seinen Fernsehauftritten kassiert er ab.
Ich will gar nicht behaupten, dass das alles nur erfunden ist. Vielleicht meint er das wirklich so. Aber es ist alles vollkommen undifferenziert. Ich habe, glaube ich, gestern in der „Welt“ gelesen, dass Alice Schwarzer ein Buch herausgebracht hat, das den Islam nicht objektiv darstellt, sondern als „den bösen Islam“. Ich sage das bewusst als jemand, der schon vor zehn Jahren ein Buch über den Islam geschrieben hat und dabei auch vor Gefahren gewarnt hat.
Heute wird dieses Buch neu aufgelegt. Ich werde es dann auch anders schreiben, weil die Gefahr heute eher darin besteht, dass die Leute den Islam zu negativ sehen – gerade die Christen. Deshalb verlieren sie dann die Liebe zu den Muslimen und sehen sie nur noch als Gegner und Feinde.
Deshalb tendiere ich jetzt eher dazu, diese Vorurteile zu entkräften. Nein, so ist es nicht ganz. Hass auf Muslime wird niemandem weiterhelfen. Er zementiert nur Fronten und verschärft den Konflikt noch mehr.
Ich will nicht sagen, dass Muslime immer lieb und nett sind. Nein, es gibt viele betrügerische und gewalttätige Muslime, die nur darauf brennen, Christen fertigzumachen. Ich bekomme selbst immer wieder E-Mails von Muslimen, die mir drohen.
Natürlich gibt es diese Menschen. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir alle Muslime, die Gott erreichen will, nur noch als Feinde und Probleme ansehen. Das ist eine Gefahr, die im Moment in unserer Gesellschaft besteht.
Kritik an politischen Maßnahmen gegen den Islam
Das ist genauso eine Gefahr, wie sie mein wegen dieses, finde ich aberwitzigen, Verbots der Verschleierung darstellt. Viele Christen waren froh. Eigentlich macht man das wegen der Muslime. Aber was bewirkt das? Soll es dazu führen, dass sie sich besser integrieren oder dass man sie besser versteht? Wird eine Muslima weniger radikal, weil sie keinen Schleier trägt? Gar nicht.
Und wie viele Muslima betrifft das denn in Frankreich? Man rechnet damit, dass es in Frankreich viel mehr Muslime gibt als in Deutschland. Wisst ihr, wie viele Frauen dort den Schleier tragen, der verboten wird? Etwa zweitausend. Es gibt aber in Frankreich etwa acht Millionen Muslime. Das heißt, man macht einen riesigen Presseaufstand, weil man 2000 Frauen verboten hat, sich zu verschleiern.
Innerlich ändert sich dadurch gar nichts, äußerlich auch fast nichts. Das heißt, hier werden manche Signale gesetzt, die, glaube ich, an der vollkommen falschen Stelle sind. Viel mehr müsste man dafür tun, eine ordentliche Aufklärung in den Schulen zu machen, wie der Islam funktioniert. Lasst doch die Frauen ruhig mit ihrer Verschleierung herumlaufen. Dann weiß wenigstens jede einheimische Frau, was ihr bevorsteht, wenn sie Muslimin wird. Das ist doch viel besser.
Warum macht man so eine künstliche Ignoranz? Und dann sagt man natürlich, es geht um das Verschleierungsverbot. Ja, wenn du den Schleier verbietest, werden Autonome in Deutschland sich trotzdem den Schal um den Kopf binden, egal ob Verschleierungsverbot besteht oder nicht. Ein Krimineller setzt sich einfach einen Helm auf, zum Beispiel einen Motorradhelm, dann sieht man auch nichts mehr. Das haben sie in der Vergangenheit schon gemacht. Und wenn dir ein Polizist etwas über den Kopf haut, bist du noch besser geschützt.
Das ist Quatsch. Es wurde argumentiert, dass Terroristen sich verschleiern. Wie viele Anschläge gab es denn in Frankreich in den letzten Jahren von verschleierten Frauen? Mir ist kein einziger bekannt. Da merkt man, dass hier an der falschen Stelle argumentiert wird.
Genauso sehe ich das bei dem Moscheeverbot in der Schweiz. Ich fand es nicht schlecht, dass man mal in der Öffentlichkeit sagt, da ist ein Problem. Aber mehr als darauf aufmerksam machen passiert dadurch natürlich nicht. Gelöst wird dadurch gar nichts. Wird ein Muslim dadurch weniger radikal? Nein, sie werden nur noch radikaler, weil sie jetzt denken, sie sind von der Gesellschaft unterdrückt.
Die Muslime, die noch mehr integriert waren, hören jetzt darauf: „Ihr werdet ausgestoßen, ihr werdet gar nicht akzeptiert.“ Ich bin ja auch nicht für den Moscheebau, aber man wird ihn durch solche Initiativen nicht verhindern. Das ist verrückt, einfach verrückt.
Das ist vollkommen Schwachsinn. Erst macht man die ganzen Christen lächerlich vor der Öffentlichkeit, und dann wird man die Muslime noch mehr aufbringen. Da wird doch kein Muslim sich bekehren, weil einer einen Koran verbrennt. So ein Quatsch einfach.
Aber das sind manche Meinungen. Und das ist, glaube ich, was ich kennzeichnen will: Es gibt so eine Art Anti-Islamismus, obwohl ich dem Islam sehr, sehr kritisch gegenüberstehe – gar keine Frage. Ich habe selbst darüber veröffentlicht und geschrieben und wurde von Muslimen angegriffen.
Aber so, wie das im Moment läuft, halte ich das für eine vollkommen falsche Richtung. Und das ist nicht das, was uns als Christen wohl tut. Wir werden dadurch keine Muslime erreichen. Im Moment verschärfen wir nur die Konflikte, indem wir Verschleierung und Moscheebau verbieten.
Wir erreichen dadurch keinen einzigen Muslim, das zeigen ja die Statistiken. Im Moment werden die Muslime nur noch radikaler, weil sie sich eben jetzt zu Recht als Unterdrückte fühlen. Sie denken, wir greifen ihre Identität an.
Diskussion und Reflexion über gesellschaftliche Entwicklungen
Ich sage ja auch nicht, dass es richtig war, wie es vorher gemacht wurde: Friede, Freude, Eierkuchen, lasst sie nur alle machen, wie sie wollen. Das war auch falsch. Aber diese neue Initiative wird auf Dauer keine wirkliche Hilfe sein.
Es gab hier ein paar Meldungen von euch, bitte. Würdest du sagen, dass man das vergleichen kann mit dem Aufbau, dass Deutschland diese schlimme Jugendvergangenheit hat? Man hat ja sogar wahrscheinlich über hundert Jahre eine Vorgeschichte. Dieser Antisemitismus muss ja auch erst einmal Boden finden. Wenn man die Geschichte anschaut, dann ist das auch so ganz langsam gekommen, dass ein Feindbild aufgebaut wurde.
Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck gehabt, dass das mit Muslimen eigentlich ähnlich passiert. Man baut so ein gewisses Feindbild auf. Sicherlich ist hier vielleicht auch mehr Nährboden. Ich bin jetzt nicht so geschichtstest, dass ich wüsste, dass Juden damals so extreme Anschläge und so gemacht haben, aber es ist eigentlich die gleiche Weise. Auch schon wie die Kinder in der Schule miteinander umgehen, dass sehr schnell gesagt wird: Ja, schaut euch die Kriminalstatistik an, es sind die Russlandsdeutschen und die türkischen Mitbürger, die hauptsächlich betroffen sind. Aber das ist ja schon so ein unterschwelliges Feindbild, das dann verstärkt wird.
Genau, also ich sehe da schon eine Gefahr, wie sich das weiterentwickelt. Kann ich nicht schlecht sagen. Es könnte sich dahin entwickeln, dass das noch zunehmend wird, besonders weil viele Muslime ja mit dazu beitragen. Wären alle Muslime lieb und nett, hätten alle positive Erfahrungen, hätten sie viel weniger eine Chance. Aber es gibt ja viele Muslime, die das Ganze auch noch unterstützen.
Zum Beispiel: Ich habe einmal ein Auto gekauft von einem ausländischen Mitbürger islamischen Glaubens. Würde ich nie wieder tun. Ich kenne mehrere Leute, weil das sind solche Schlingel, solche Betrüger, solche – und das höre ich immer wieder von anderen. Deshalb, wenn ich jetzt mal ein Auto suchen musste, habe ich im Sommer ein anderes gekauft. Ich kaufe schon, wenn ich im Internet sehe, da steht Yusuf oder was weiß ich, dann sage ich gleich weiterklicken, weil ich meine negativen Erfahrungen gemacht habe.
Ich weiß von anderen Christen, die im Ruhrgebiet in einem Viertel wohnen, hauptsächlich Türken ringsherum. Die sind da weggezogen, weil andauernd die Ehefrau von den jungen Türken angemacht wurde. Weil eine ledige Frau, also eine Frau alleine, ja nicht am Abend rausgeht. Das heißt, wenn sie am Abend zur Gemeinde gegangen ist, wurde sie angemacht. Dann sind sie weggezogen. Solche Erfahrungen bleiben natürlich, und es gibt leider relativ viele solcher Negativerfahrungen.
Nur als Christen sollten wir nicht nur auf diese Negativerfahrungen schauen, weil wir als Christen ja eine andere Perspektive haben müssen. Gott ist nicht in erster Linie für Deutsche, Gott ist für Menschen, für alle Menschen – und für Christen werden. Wir erleben das ja auch bei manchen unserer Schüler. Manche sehen ja ein bisschen fremdländisch aus, die werden manchmal auch in einen Topf mit allen Muslimen und sonst was geworfen. Nicht bei uns an der Bibelschule, da sind wir lieb und nett, da sind wir multikulturell und so weiter.
Aber außerhalb, ich habe das schon in den Einsatzwochen erlebt, dann so: „Du bist ja auch Türke her“, wobei der war ja nicht Türke, aber sah wie Türke aus. Also das kann dann passieren. Und das ist, glaube ich, gar nicht, was wir als Christen fördern sollten.
Nicht die Augen blind zu machen, wie man das in der Vergangenheit getan hat, alle Ausländer sind lieb und nett. Es sind nur die bösen Deutschen, die sie diskriminieren. Das wäre auch falsch. Da haben viel zu viele Leute negative Erfahrungen gesammelt. Aber auch nicht dieses „Alle Türken sind kriminell und böse“. Das ist auch schlecht und falsch. Und das passiert, glaube ich, im Moment, wo so unterschiedslos und undifferenziert eine Reaktion gegen Türken, Muslime – also besonders in Deutschland sind es ja Türken – ausgegeben wird.
Und das ist ja nicht nur in Deutschland, das ist in der westlichen Welt. Das fing so wahrscheinlich an mit diesem Samuel Huntington „Clash of Civilizations“. Er hat das Ende der Neunzigerjahre gesagt: Der neue große Konflikt wird zwischen der islamischen und der westlich-christlichen Welt sein. Bestseller damals. Und so ein Stück weit hat er vielleicht sogar recht, politisch.
Aber wir sollten uns nicht in so ein Freund-Feind-Schema hineinpressen lassen als Christen. Ich erlebe das auch bei manchen – jetzt werde ich wieder etwas Böses sagen, ich hoffe, ihr seid mir nicht zu böse – manche haben auch beim Nahost-Konflikt ein zu starkes Schwarz-Weiß-Denken. Die Juden sind immer gut, die Araber sind falsch.
Wusstet ihr, dass es unter den Palästinensern mehr Christen gibt als unter den Juden? Und da sind manche jüdische Soldaten, die stecken und foltern unsere christlichen Geschwister als Palästinenser. Und dann gibt es Christen, die sagen pauschal: Juden immer gut. Das ist nicht so. Wir sind zuerst als Christenfamilie, dass Gott sein Volk erwählt hat, das steht auf einer anderen Seite.
Ja, ich bin doch nicht gegen die Juden, aber das heißt ja lange nicht, dass auch im Alten Testament die jüdischen Könige immer alles richtig gemacht haben. Hatten die immer Recht? War das immer von Gott legitimiert? Natürlich nicht. Nicht, dass ihr mich falsch versteht.
Ich weiß, es gibt manche Christen, die sind – wie soll ich das jetzt ausdrücken – Israel-Fans, gläubig. Und ich bin ja gar nicht dagegen. Ich reise auch gern nach Israel, ich finde das auch toll. Aber die Juden sind nicht die besseren Menschen, die sind auch nicht generell gerettet, die sind auch nicht Gott näher. Es gibt keine Errettung an Jesus vorbei, auch für Juden. Ich hoffe, das seht ihr biblisch so.
Auch die Jünger mussten sich bekehren. Es genügte nicht, dass Petrus gesagt hat: „Petrus, du bist ja Jude, klar, alles in Ordnung.“ Warum sagt Jesus dann zu Nikodemus: „Du musst dich bekehren“ – der war ja Jude? Auch ein Jude wird nicht gerettet, weil er Jude ist.
Was sagt Johannes der Täufer? Meint nicht, dass ihr dem höllischen Feuer entrinnen werdet, weil ihr Kinder Abrahams seid. Nein. Aber ich bin ja nicht gegen einen Antijudaismus, nur hier auch für so eine einseitige Sicht, die manche Christen haben: Die Araber sind generell böse, die Palästinenser. Obwohl es da viele unserer Geschwister gibt.
Wir hatten Praktikanten in den letzten Jahren, die zum Beispiel bei Bethlehem gewesen waren. Ich weiß nicht mehr, was es war, in Assisi, in Bethlehem. Die haben mir nachher auch erzählt, wie schlimm das war. Sie werden angegriffen von den Muslimen, sie werden angegriffen von den Juden und dann manchmal auch von den Christen, weil die Christen eben nicht unterscheiden zwischen Palästinensern, die sind alle Muslime, alle böse, alle gegen Israel.
Wobei in Bethlehem die meisten Bewohner formal Christen sind, nicht alle gläubig, aber auch ein großer Teil gläubig. Also, wie gesagt, das ist jetzt nur so ein anderer Punkt, wo ich denke, wir müssen aufpassen, dass wir nicht in solche Radikalurteile kommen. Auch nicht dieses Schleimweiche „nichts mehr sagen“, sondern dass wir da unsere Urteile genau bilden.
Umgang mit radikalen Strömungen und gesellschaftlicher Realität
Wie man versucht wird und wie man den Westen umdrehen kann: Die Unterwanderung ist sehr wohl vorhanden. Bei vielen Muslimen ist sie vielleicht nicht so präsent, und es sind möglicherweise nur noch wenige Einzelne, die das propagieren. Doch diese arbeiten daran, andere Muslime dafür zu gewinnen. Man kann das nicht einfach mit westlicher Nächstenliebe abtun.
Das ist vollkommen wahr. Aber meine Frage wäre: Was schlägst du vor, was wir tun sollen? Es gibt eben keine einfache Antwort darauf. Man kann die Leute nicht einfach rauswerfen, nicht einsperren, nicht töten. Sie sind hier, und es sind nicht nur wenige. Man rechnet damit, dass etwa 15 bis 20 Prozent der Muslime in Deutschland zur Radikalität bereit sind oder in solchen Vereinigungen aktiv sind. Rechnet man mit etwa drei Millionen Muslimen in Deutschland, sind das nach Adam Riese etwa 600.000.
Was will man mit diesen Menschen in einer modernen Gesellschaft machen? Sollen wir sagen, alle ins Konzentrationslager? Das geht ja nicht. Die Probleme sind da, und Politiker müssen sich darum kümmern, das ist vollkommen klar. Deshalb bin ich dafür, dass der Verfassungsschutz sie beobachtet und die wirklich Kriminellen einsperrt.
Aber das ist nicht unsere Aufgabe als Christen. Vor allem muss man zulassen, dass man die Wahrheit sagen darf. Man darf nicht alles verschweigen, nur um politisch korrekt zu sein. Das finde ich wichtig. Ich stimme dir vollkommen zu. Deshalb habe ich vor zehn Jahren mein Buch geschrieben. Damals durfte man noch viel weniger sagen. Heute ist es als Politiker fast modern, sich kritisch zu äußern.
Denkt an Sarrazin – wo war der früher, was hat er gesagt? Oder an Alice Schwarzer – was hat sie vor zehn Jahren gesagt? Die Probleme gab es damals genauso. Ich habe den Eindruck, dass sich manches verändert hat. In manchen Kreisen ist es schick geworden, sich gegen den Islam zu äußern. Das halte ich für problematisch, weil viele den Hintergrund nicht kennen und auch keine Lösungen anbieten.
Diese Leute polemisieren, und deshalb sollte man ihnen auch politische Fragen stellen. Schreib doch mal Sarrazin eine E-Mail und frage, was wir jetzt tun sollen. Und da gibt es eben keine Antwort. Das ist sehr leicht, billig ein bisschen Polemik zu machen, aber die Menschen mit ihrer Verunsicherung allein zu lassen. Diese Probleme sind da, da hast du vollkommen Recht.
Deshalb würde ich sagen: Der Verfassungsschutz muss stärker darauf achten, man muss Moscheen beobachten und so weiter. Das wird aber die Radikalität nicht vermindern, sondern uns nur vor möglichen Auswirkungen schützen.
Jetzt würde ich sagen: Als Christ, und das ist ja, glaube ich, das Wichtigste, wäre die Konglore, also die Gläubigen. Das würde die Lage verändern. Alle anderen Lösungen kenne ich bisher nicht. Es gibt keine politische Lösung für dieses Problem. Man hat sich das vor Jahrzehnten eingebrockt, und kein Politiker weiß eine Antwort.
Früher hat man das verschwiegen, heute polemisieren manche. Aber eine Lösung gibt es nicht. Dann wird gesagt: ein bisschen Verschleierungsverbot, Moscheeverbot. Aber meine Frage bleibt: Wird dadurch ein einziger Muslim weniger radikal? Beobachtungen in Frankreich zeigen, dass sie dadurch eher noch radikaler werden.
Also, wo ist die Lösung genau? Deshalb müssen wir die Gefahr benennen, die Stimme erheben, und das müssen wir tun. Lange Zeit hat man geschwiegen und nichts gesagt. Ich selbst habe vor zehn Jahren schon angefangen, davor zu warnen und darauf hinzuweisen. Ihr könnt mein Buch „Gewalt im Islam“ lesen. Das ist nach wie vor ein Problem, keine Frage.
Aber ich glaube, wir müssen als Christen stärker daran arbeiten, nicht Angst zu schüren, sondern nach Lösungen zu suchen. Und es gibt bisher kaum Antworten. Das ist die Herausforderung für uns: die Polizei muss wachsam sein und nichts unter den Tisch kehren. Ich glaube, die Gefahr besteht im Moment weniger als noch vor zehn Jahren, weil die Öffentlichkeit langsam selbst darunter leidet. Die Probleme sind sichtbar.
Immer mehr Menschen merken, welche Schwierigkeiten es bei der Integration gibt. Die Integration klappt nicht. Sie haben Nachbarn, die ihnen auf die Nerven fallen. Immer mehr Muslime sind nicht nur nett und freundlich, sie laden nicht nur in die Moschee ein, sondern bringen offen ihre Geringschätzung zum Ausdruck.
Evangelisation und missionarische Herausforderungen
Was ich vor zehn Jahren nie erlebt habe
Die meisten Muslime sind freundlich und nett. Sie sagen dir zwar freundlich und nett ins Gesicht, dass du verloren gehst und dass ihr Glaube der richtige ist.
Heute gibt es immer mehr Muslime, die verachtend und kriegerisch sind. Wenn du sie einlädst, schlagen sie die Einladung aus. Das ist für Muslime eine sehr schlimme Beleidigung. So etwas hätte es früher nie gegeben. Heute passiert das, weil sich immer mehr Muslime radikalisieren und geprägt werden mit der Einstellung: „Die Deutschen sind der letzte Dreck. Wir werden diejenigen sein, die einmal Deutschland bestimmen.“
Das drückt sich immer mehr bei jungen Muslimen aus, aber auch bei älteren. Das heißt, wir haben heute noch viel größere Probleme als vor zehn Jahren.
Nur die andere Seite – deshalb habe ich das hier jetzt betont – vergesst nicht: Es hilft nichts, wenn wir Angst und Panikmache schüren, aber keine Lösungen haben. Dann werden wir einen Konflikt nur noch anheizen, aber nicht lösen.
Und immer, vergesst dabei nicht: Wir müssen viel radikaler Missionsarbeit betreiben. Wir Deutschen haben uns eben auch daran gewöhnt, das Evangelium so zu verschleiern.
Letzte Woche war ich bei der Talkshow von Frau Maischberger. Obwohl ich keinen Fernseher habe, habe ich das mitbekommen. Dort war ein Gast eingeladen, der in aller Öffentlichkeit sagte: „Alle Nichtmuslime gehen in die Hölle.“ Und alle waren sprachlos, keiner wusste, was darauf zu antworten ist.
Da merkt man auch: Viele Deutsche, selbst Evangelikale, würden nicht so deutlich von der Hölle reden. Muslime tun das. Wenn du mit Muslimen evangelisierst, dann musst du knallhart sein. Du darfst nicht so weich sein, nicht erst umschreiben und sagen: „Vielleicht, eventuell, Jesus gibt dir eine innere Sehnsucht und erfüllt dein Leben.“
Das ist knallhart: In der Bibel steht so und so, und du gehst alle verloren, und was du tust, ist deine Sünde. So rede ich auch mit manchen Jugendlichen auf der Straße.
Ich sage zum Beispiel: „Willst du Muslim sein? Was ist mit deiner Freundin hier? Darfst du das nach dem Koran? Das ist verboten bei Allah. Und wie ist das in der Disko? Hier ist auch eine Disko, da trinkst du. Was ist damit? Du bist ja ein schlechter Muslim, du tust ja gar nicht, was Allah macht. Und du schimpfst über die Christen, weil sie das gerne tun.“
Hier darf man sich nicht in die Defensive drängen lassen. Für den Muslim ist das genau der richtige Ton. Für einen einheimischen Deutschen darfst du das natürlich nicht machen, da bist du dann gleich unten durch.
Das heißt, wir müssen mehr lernen, uns auf verschiedene Bevölkerungsgruppen einzustellen. Du musst mit Muslimen total anders reden als mit einem einheimischen deutschen Jugendlichen.
Dem einheimischen Deutschen kannst du leicht esoterisch kommen, mit Gefühlen und was weiß ich, so ein Zeug. Die meisten mögen das gern. Aber bei Muslimen gehst du damit vollkommen an ihnen vorbei.
Da musst du auch mal ein bisschen aus dir herauskommen, wenn du diskutierst. Wenn du sagst: „Ich glaube an Jesus“, dann hat der den Eindruck, das ist gar nichts. Aber wenn du sagst: „Ich glaube an Jesus und Jesus ist der einzige Weg und es gibt gar keinen anderen“, dann ist das schon beeindruckender. Dann denkt er wirklich, dass du gläubig bist.
Ja, aber das ist wirklich so. Da muss man sich ein Stück weit darauf einstellen. Nein, nicht ganz so, das läuft ein bisschen, aber tendenziell ist das so.
Denn Männer sind ja sowieso die Dominierenden, und Männer müssen engagiert sein. Wenn du in der Diskussion bist, ich habe mehrere Diskussionen mit Muslimen geführt, und du bist nicht engagiert, dann nimmt dir kein Mensch irgendetwas ab.
Das heißt, hier müssen wir, wie gesagt, noch viel lernen. Mein Thema ist aber nicht der Islam. Ich lade euch zur nächsten Fortbildung ein: Gespräche mit Muslimen, Besuch an der Moschee und so weiter, neue Missionsstrategien bei Muslimen und so.
Das will ich jetzt aber nicht weiter ausführen, weil eigentlich mein Thema das Alter ist, oder?
Gemeindeleben und gesellschaftliche Realität
Gemeinden, gerade auch als ökumenische Gemeinden, scheinen manchmal noch eine Art Tagtraum zu sein. Das erlebe ich auch in meiner Gemeinde, einer wohlsituierten Mittelschichtsgemeinde. Vom Freitag bis Sonntag und dann wieder zum Montag hin gibt es jede Woche zwei Grundschutzfragen. Das sind einfach Fragen, weil ich glaube, dass wir uns als Christen viel zu wenig mit dem auseinandersetzen, was tatsächlich passiert.
Im Sommer habe ich, weil ich an manchen Stellen nicht mehr weiterkam, aus Neugier einen Kurs aus der Wirtschaft gelesen – ein Buch zum Thema „Wie verhalte ich mich, wenn ich in eine islamische Umgebung komme“, also in der Türkei. Ich war ganz erstaunt, dass so vieles von dem, was du jetzt dort gesagt hast, dort auch bestätigt wurde.
Wir machen uns, glaube ich, viel zu wenig Gedanken darüber. An manchen Stellen sind wir so vorsichtig mit dem, was wir über unseren Glauben weitergeben oder sagen, dass wir uns nicht bewusst sind: Für den Muslim ist der Koran total heilig. Wenn er sieht, wie ich mit der Bibel umgehe und das nicht angemessen ist, glaubt er mir nicht, dass die Bibel ein heiliges Buch ist.
Wenn Kinder bei uns in der Schule einen Vortrag über ihr Heimatland oder den Islam halten, dürfen sie keinen Koran mitbringen. Der Koran muss immer oberhalb der Gürtellinie getragen werden. Wenn die Eltern das nicht kontrollieren können oder der Koran schon in der Schultasche ist, dann wächst das Misstrauen. Das heißt, wir als Gemeinde sind überhaupt nicht auf die Begegnung mit dem Anderen vorbereitet, was ja auch kommen wird – beziehungsweise auch auf den Umgang mit den Eltern, was nochmal ein Umstieg ist.
Vollkommen klar: Ich stimme dir ganz zu. Wir leben zum größten Teil in Gemeinden in einer Subkultur, einer Art Scheinwelt. Eine Subkultur ist keine ganz falsche Welt, aber wir sind in einer eigenen Kultur. Deshalb denken viele bei Themen wie Alter oder Gender Mainstreaming, dass das heute nur am Rande eine Rolle spielt. Nein, unsere christlichen Gemeinden sind am Rande. Die große Welt funktioniert ganz anders als unsere Gemeinden.
Zum großen Glück – ich meine, ich bin froh, dass wir in unseren Gemeinden noch nicht so viele Geschiedene haben, noch nicht so viele, die eine Geschlechtsveränderung durchgemacht haben, und noch nicht so viele, die irgendwelchen radikalen Ideen folgen. Das ist eine Ausnahme in der Gesellschaft. Die meisten Gemeinden in Deutschland, vor allem evangelikale Gemeinden, sind Mittelstandsgemeinden. Deshalb haben sie auch den Eindruck, dass es kaum Arme gibt. Es gibt ein paar wenige Hartz-IV-Empfänger, aber die sind meist am Rand der Gemeinde dabei.
Ich habe mit meinen Kindern gesprochen. Manchmal beschweren sie sich, dass manche Familien so tolle Häuser haben, große Fernseher und alles super ausgestattet, während wir in einem alten Haus leben. Sie sagen dann, das sei eine „Bruchbude“ und schlimm. Natürlich führen solche Diskussionen zu Missverständnissen, denn die meisten Deutschen besitzen kein eigenes Haus.
Wir Christen gehören oft zu einer besonderen Gruppe. In meiner Gemeinde sind viele Spätaussiedler. Für sie gehört ein eigenes Haus zum Leben dazu. Leben ohne Haus geht nicht. Ab einem bestimmten Alter ist das fast genetisch festgelegt. Deshalb kenne ich kaum jemanden in unserer Gemeinde, der kein eigenes Haus hat – und nicht irgendein Haus. Viele Einheimische wohnen viel bescheidener als viele Spätaussiedler. Bei uns muss Marmor oder zumindest Granit auf dem Boden sein, und vor der Tür müssen Säulen stehen. Das muss top sein.
Ich habe nichts dagegen, ich gönne den Geschwistern das. Aber dadurch entsteht der Eindruck, das sei die Norm in Deutschland. Die Statistik zeigt jedoch, dass nur etwa 40 Prozent der Deutschen Eigentum besitzen. Dazu zählen auch Eigentumswohnungen. Die meisten Deutschen wohnen in Mietwohnungen.
Das ist nur ein Detail. Die meisten Menschen leben in Großstädten und nicht auf dem Land. Die Mietwohnungen in der Großstadt sind oft Neubauten, die sich nur wenige leisten können. Ich werde ab und zu in Wohnungen eingeladen, zum Beispiel in ostdeutsche Plattenbauten. Dort wohnen Millionen Menschen, die manche von uns höchstens mal durchfahren, um sie sich anzuschauen.
Ich habe in solchen Wohnungen schon übernachtet und war danach richtig froh, wieder nach Hause zu kommen. Für Christen wäre es ein echtes Opfer, in solch einer Umgebung wohnen zu müssen. Dort gibt es Beton rechts und links, über und unter einem, und oft viel Lärm. Ich erinnere mich an eine Nacht, in der draußen vor dem Hochhaus Flaschen zerschmissen und sich Leute angeschrien haben. Das war in Darmstadt, einer nicht mal so großen Stadt, in einem ganz normalen Wohnquartier am Stadtrand.
Ich stimme zu: Viele Christen haben den Blick für die Realität verloren, weil sie meinen, das, was sie in der Gemeinde erleben, sei die Realität. Wenn sie dann erst aufwachen, wenn die Welt in der Gemeinde angekommen ist, ist die Welt ringsherum schon wieder zwei Schritte weiter.
Das heißt: Es ist ganz klar. Ich will nicht sagen, wir sollen alle verweltlichen und möglichst alle in die Welt hinausgehen. Nein, wir sollen die Menschen als Christen herausholen. Aber wir müssen erst einmal erkennen, wo sie sind und wie wir sie erreichen. Und wir erreichen sie nicht immer auf typische Mittelstandsart.
Du hast auch gesagt, dass der Selektionsprozess aktiver vorausgehen muss. Man muss sich an die Eigenheiten der Menschen anpassen. Letztlich geht es darum, die Liebe Gottes sichtbar zu machen, auf die Menschen einzugehen und sie abzuholen.
Darum besteht unsere Gesamtrolle: Durch diese Offensive sollen auch Veränderungen passieren, wenn man sie nutzt. Sonst läuft das ja gar nicht.
Ganz genau, da hast du Recht. Und seht das, was ich sage, nicht als Gerichtsrede oder weil ich euch allen böse bin. Ich rede über mich genauso wie über euch. Es soll mehr eine Motivation sein. Ich hoffe, das kommt so rüber.
Wir können als Christen noch viel erreichen, viel mehr als bisher. Die Menschen sind nicht alle total daneben oder böse, viele sind auf der Suche. Ich erlebe das immer wieder, wenn Menschen zum Glauben kommen.
Manchmal habe ich meiner Frau schon gesagt, dass ich Leute, wenn ich mit ihnen spreche, nur zum Glauben kommen lasse – aus Trost für mich. Denn manchmal bin ich richtig frustriert. Ich bin auf einem Straßeneinsatz oder sonst wo und denke: Die Leute wollen doch gar nichts wissen. Ich bin hier wie ein blöder Vertreter. Ich könnte auch viel besser zu Hause sitzen, meine Bibel lesen, fromm sein, alles in Ordnung, oder meinen Garten bearbeiten.
Manchmal komme ich mir richtig blöd vor, auch bei manchen evangelistischen Einsätzen. Aber dann passiert es immer wieder, dass plötzlich jemand zum Glauben kommt – manchmal da, wo ich es gar nicht erwarte, wenn ich schon denke, es passiert sowieso nichts. Dann denke ich mir: Das hat Gott extra für mich getan. Nicht für den, der sich bekehrt, sondern für mich – Michael, der mal wieder Ermutigung braucht. Und dann mache ich weiter.
Das ermutigt mich tatsächlich. Deshalb erzähle ich es. Es ermutigt mich, weil ich sehe: Auch in einer Welt, in der sehr viel schiefläuft, führt Gott Menschen zur Umkehr. Nicht nur Leute aus christlichem Umfeld, sondern auch ganz andere. Er tut das immer wieder, und das sollte uns motivieren.
Diese Perspektive gilt für die Alten genauso wie für die Muslime. Dabei müssen wir überlegen, wie wir das gut tun können. Und wir werden es tun.
Herausforderungen der Evangelisation und Gemeindeentwicklung
Hier werde ich noch eine letzte Sache sagen, auch wieder eine kritische Bemerkung dabei. Ich bin ja jetzt darauf abonniert. Ich hoffe, ihr kommt zur nächsten Konferenz noch, also abonniert darauf.
Ich glaube, ein weiterer Fehler besteht darin, dass Christen oder Gemeindekonzepte ganz lange daran gearbeitet haben, ein tolles Programm zu machen, damit die Leute alle zu uns in die Gemeinde kommen. Ich würde sagen: Vergiss es! Warum tun wir das meistens? Weil wir zu viel Angst haben, draußen zu den Leuten zu gehen.
Da kannst du eine ganze Woche daran arbeiten, einen tollen Gottesdienst zu haben, der super ist und alle Ungläubigen anspricht – nur ist kein Ungläubiger da. Und das ist doch die Realität bei den meisten. Es ist ja egal, ob du Willow Creek, Saddleback oder sonst wo das nennst. Diese Konzepte sind ja alle nicht schlecht, ich finde sie toll. Ich habe jahrelang in der Gemeinde gepredigt, die in Zürich das Willow Creek-Konzept umgesetzt hat. Das ist eine tolle Gemeinde, super.
Nur ist es so: Das ist nicht der Weg, wie wir die Ungläubigen erreichen. Die Ungläubigen zu erreichen, war schon im Neuen Testament so und ist es bis heute: Du musst zu den Leuten hingehen. Und du musst es ihnen dort erklären, wo sie sind.
Du musst nicht Traktate verteilen und erwarten, dass alle in die Gemeinde kommen – die kommen sowieso nicht. Du kannst Traktate verteilen, so viel du willst, sie kommen nicht. Ich übertreibe jetzt etwas, aber es kommt nur ein ganz kleiner Teil. Wenn du da schon einen hast, der dir das Traktat gibt, erklär ihm doch gleich das Evangelium. Warum sollen sie dann zu mir in die Gemeinde kommen, wenn da schon jemand ist, der ihnen das Evangelium erklärt? So läuft das ja manchmal.
Wieso denn? Du kannst doch viel individueller und persönlicher erklären, wie du gerade vor Ort bist. Deshalb, obwohl ich eingestehen muss, dass das die schwerere Variante ist, ist ein tolles Programm in der Gemeinde viel einfacher. Denn das ist dein Heimatort, da bist du zu Hause, du hast das schöne Ambiente, ein paar Kerzen, Dekorationen, den Kaffee, der hinterher so gut schmeckt, und den Kuchen, der gebacken wird.
Bei uns in der Spätaussiedlergemeinde wird viel Kuchen gebacken – leckerer, guter Kuchen. Den esse ich gerne dafür. Nur bisher ist durch diese Aktion kaum jemand zum Glauben gekommen. Die meisten Leute bei uns sind zum Glauben gekommen, weil jemand seinen persönlichen Nachbarn, Arbeitskollegen oder sonst wen angesprochen hat. Und das wissen wir ja alle: Wir müssen es tun.
Wenn wir es nicht am Arbeitsplatz tun, weil es uns so peinlich ist, dann macht es doch so wie die Zeugen Jehovas: Sucht euch einen Stadtteil, wo ihr nicht wohnt, wo euch keiner kennt, und geht von Haus zu Haus. So machen das die Zeugen Jehovas. Das ist ja psychologisch klug, selbst wenn es ganz peinlich ist. Du siehst die Leute nicht wieder. Dann kannst du üben, und mit der Zeit wird es vielleicht immer besser.
Aber auch da ist es fraglich, ob die Leute so zum Glauben kommen, denn sie brauchen Vertrauen. Sie müssen an den Menschen Gefallen finden. Ich bin ja auch in der Gemeindedienung, da war ich mal zwanzig Jahre, oft ohne freundschaftliche Kontakte über Jahre hinweg. Man hat das lange Zeit favorisiert, und das ist auch gut: Freundschaftsevangelisation.
Nur das Problem ist, die meisten Menschen in der Stadt, in der ich lebe, sind mit keinem Christen befreundet. Was machen wir dann? Manche sagen: Gehe in den Sportverein. Meine Frau war mehrere Jahre im Sportverein und hat sogar eine Weihnachtsandacht gehalten – als Frau. Ich weiß nicht, ob das hier korrekt war oder nicht, aber es war niemand sonst da, der sie hätte halten können.
Ja, aber wie ist das denn im Sportverein? Du kannst nett und freundlich zu den Leuten sein, aber die meisten öffnen sich im Sportverein nicht. Die sind schon seit Ewigkeiten zusammen, viel länger als du, und du kannst ja nicht dreißig Jahre warten, bis du der Älteste bist. Die wollen einfach ihren Spaß haben.
Was machen sie bei der Weihnachtsfeier? Sie erzählen nicht über ihren Glauben, sondern machen lustige und anzügliche Witze. Einer macht den anderen an und will mit ihm ins Bett. Ja, genau, das wurde so erlebt. Ich bin auch gar nicht dagegen, ich finde das sogar gut. Nur in den letzten zwanzig Jahren wurde die Freundschaftsevangelisation als die einzige Form der Evangelisation gepredigt. Alle anderen Formen der Evangelisation wurden unter den Tisch fallen gelassen – nach diesem Freundschaftsevangelisationskonzept.
Nur dagegen möchte ich mich äußern. Ich sage: Macht eure Freundschaftsevangelisation, aber vergesst die evangelistischen Einsätze nicht. Ich habe erlebt, wie auf der Straße wildfremde Leute zum Glauben gekommen sind. Und ein anderer investiert zehn Jahre in eine Freundschaft, und am Ende sagt die Person: „Ich will aber gar nicht Christ werden.“
Freundschaftsevangelisation ist nicht der Universalschlüssel. Wie hat Paulus denn seine Gemeinden gegründet? Ist er hingegangen, hat fünf Jahre in Korinth gelebt und dann Freundschaften aufgebaut? Nein, er hat sich auf öffentlichen Plätzen gestellt und gepredigt. Dort sind Menschen zum Glauben gekommen.
Ich bin nicht gegen Freundschaftsevangelisation, versteht mich nicht falsch. Ich glaube nur, dass in den letzten Jahren zu einseitig darauf gesetzt wurde. Und warum? Aus Angst, offensichtlich zu evangelisieren. Den Leuten war es zu peinlich, wildfremden Menschen zu sagen: „Jesus liebt dich, kehre um!“ Natürlich sind da viele genervt.
Das war aber zur Zeit des Paulus nicht anders und bei Jesus auch nicht. Trotzdem haben sie diesen Weg gewählt. Ich glaube nach wie vor, dass in der Bibel deutlich steht: Der Glaube kommt durch das Wort, das Wort kommt durch die Predigt, und die Predigt kommt aus der Bibel. Das ist eindeutig auch heute noch der Weg.
Nur wenn du Kontakte hast, lässt du die Leute nicht alleine. Ich will nicht gegen Freundschaftsevangelisation sein – mach sie weiter. Aber vergiss nicht die vielen Leute, die mit keinem Christen befreundet sind und die wir genauso erreichen wollen und müssen.
Da müssen wir uns gute Ideen überlegen, wie wir sie erreichen. Denkt nicht nur daran, ein tolles Programm in der Gemeinde zu machen. Trotz der vielen tollen Programme glaube ich, dass es in den letzten zwanzig Jahren kaum mal Zeiten gab, in denen Gemeindeprogramme so attraktiv und toll waren wie jetzt. Aber es gab auch kaum Zeiten, in denen so wenige Leute durch diese supertollen Programme zum Glauben gekommen sind.
Deshalb ist es nicht schlecht, das zu tun. Aber vergesst das andere nicht – das ist immer mein Appell.
