Gebet zur Eröffnung und Bitte um Offenbarung
Ich möchte mit uns noch einmal beten:
Himmlischer Vater, amazing grace, how sweet the sound that saved a wretch like me. Wie süß ist dieser Klang, wenn wir von deiner Gnade hören, durch die du uns gerettet hast, als wir noch ganz üble Menschen waren — tot in unseren Sünden und Übertretungen.
Herr, wir wollen dich bitten, dass du dich uns nun auch durch dein Wort offenbarst als ein Gott der Gnade. Zeige uns, zu was für einer wunderbaren Freiheit du uns berufen hast.
Also gib uns offene Ohren, gib uns offene Herzen, und sprich nun du, o Herr. Amen.
Die Lebenswende Martin Luthers und sein Streben nach Gerechtigkeit
Am 2. Juli veränderte sich alles im Leben eines jungen Jurastudenten. Es war ein lebenslustiger junger Mann, der auf dem besten Weg war, eine vielversprechende Karriere zu machen. Er hatte seine Eltern besucht und war nun auf dem Rückweg zu seinem Studienort, als plötzlich ein Unwetter aufzog.
In der Nähe schlug ein Blitz ein, der ihn zu Boden schleuderte. In diesem Moment kam ihm der Gedanke, dass Gott ihn vielleicht bewahren würde, wenn er ihm eine Gegenleistung versprach. So rief der junge Jurastudent, gerichtet an die Mutter Marias: „Heilige Anna, hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden.“
Gut zwei Wochen später, am 17. Juli 1505, klopfte dieser junge Jurastudent, Martin Luther, an die Tür des Augustinerklosters in Erfurt. Er bat um Einlass und begann dort sein Leben als Mönch.
Wie zuvor in seinem Leben war er auch hier ein Mann, der keine halben Sachen machte. Er wurde ein vorbildlicher Mönch. Martin Luther strebte mit aller Kraft danach, die biblischen Gebote zu halten. Dabei hinterfragte er nicht nur seine Taten, sondern auch ständig seine Motivation.
Im Gegensatz zu vielen anderen Mönchen seiner Zeit sah er, wie sündig er war, welch ein Gesetzesbrecher er war und dass er oft selbst dort, wo er scheinbar das Richtige tat, aus falschen Motiven handelte. Deshalb nahm er die vorgeschriebenen Bußübungen sehr ernst.
Täglich ging er zu seinem Beichtvater Johann von Staupitz und beichtete, oft stundenlang. Kaum war er aus der Tür, kam er schon wieder zurück. Staupitz war irgendwann so genervt von diesem Mann, dass er ihm vorschlug, erst dann wiederzukommen, wenn er etwas wirklich Schlimmes getan hätte – zum Beispiel seinen Vater getötet oder Ähnliches.
Vergleich mit Paulus: Vom Gesetzesstreben zur Gnade
Nun, was denken wir über diesen Martin Luther? War er ein eifriger, frommer Christ? Nein, er war zwar eifrig, aber zugleich vollkommen verloren.
Ganz ähnlich erging es gut 1500 Jahre zuvor einem gewissen Saulus, auch Paulus genannt. Rückblickend schreibt er über sein Leben: „Am achten Tag beschnitten, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen.“
Dann fährt er fort – das findet sich im dritten Kapitel des Philipperbriefs – und beschreibt, wie verloren er in all dem war, bis eines Tages Jesus Christus in sein Leben kam. Jesus offenbarte sich diesem gesetzestreuen Juden.
Er sandte dann einen bereits bekehrten Juden namens Hananias zu Paulus, damit dieser noch besser verstehen konnte, dass seine Rettung nicht aus Werken kam, nicht aus seiner Gesetzestreue, sondern allein auf Grundlage der Gnade Gottes, allein durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus.
So wurde aus diesem frommen Juden ein begeisterter Nachfolger und Apostel des Herrn Jesus Christus. Der Herr sandte Paulus – und wir wissen das – zu den Heiden, um ihnen das Evangelium zu verkündigen. Doch zeitlebens hatte Paulus eine ganz besondere Liebe für seine jüdischen Volksgenossen, vor allem für diejenigen, die die befreiende Botschaft des Evangeliums noch nicht im Glauben angenommen hatten.
Die besondere Liebe und Trauer Paulus’ für sein Volk
Genau das haben wir zu Beginn der Textlesung aus Römer 9 gehört: Wie Paulus diese besondere Liebe und Verbundenheit empfindet und wie traurig er darüber ist, dass viele den Retter und Herrn Jesus Christus noch ablehnen und dadurch verloren sind.
Im weiteren Verlauf von Kapitel 9 erklärt Paulus, warum das so ist. Er nennt dabei zwei Gründe. Den ersten Grund, den er darlegt, haben wir in der Textlesung bis Vers 29 gehört. Dort erklärt er, dass die Erlösung letztendlich die Konsequenz der freien Gnadenwahl Gottes ist.
Am Beispiel von Jakob und Esau zeigt Paulus, wie das zu verstehen ist. Ab Vers 11 heißt es: „Ehe die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, damit der Ratschluss Gottes bestehen bliebe und seine freie Wahl nicht aus Verdienst der Werke, sondern durch die Gnade des Berufenden.“ Weiter heißt es: „Der Ältere soll dem Jüngeren dienstbar werden, wie geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.“ (Römer 9,11-13)
Die Herausforderung der Lehre von der Gnadenwahl
Nun ist mir klar, dass das, was hier in diesen Versen durchklingt, eine Lehre ist, mit der sich auch manche in der Gemeinde sicher sehr schwer tun. Das kann ich menschlich gut nachvollziehen. Der Apostel Paulus war sich dessen ganz offensichtlich ebenfalls sehr bewusst.
Er wusste, dass sich in uns etwas dagegen sträubt, anzuerkennen, dass unsere Erlösung allein Gottes Werk sein soll – allein aufgrund seiner freien Entscheidung. Genau diese Frage wirft er dann auch auf, was interessant ist.
Die Fragen, die uns kommen, wirft Paulus im Römerbrief immer wieder auf. Das ist spannend. Wenn man den Brief liest, kommt man zu einem Punkt und denkt weiter: Wie kann das sein? Paulus schreibt: Wie kann das sein? Und dann beantwortet er es.
So ist es auch hier in Vers 14 mit der Frage: Was sollen wir hier sagen? Ist denn Gott ungerecht? Wir haben von Kindesbeinen an gehört, dass die Antwort darauf eine andere sein sollte.
Paulus zeigt letztendlich schlichtweg, dass das die falsche Frage ist. Wir tun gut daran, anzuerkennen, dass Gott uns Menschen für seine Gnadenwahl keine Erklärung schuldet.
Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen zur Erwählung
Ich möchte zu Beginn dieser Predigt ganz kurz diejenigen unter uns ansprechen, die sich mit dieser Lehre schwer tun, sie vielleicht ablehnen und sagen: „Das mit der Erwählung, das passt für mich irgendwie nicht.“
Zuerst möchte ich betonen, dass das in Ordnung ist. Wir als Gemeinde sind sehr offen und ehrlich. Manche, so wie ich zum Beispiel, sind davon überzeugt, dass die Bibel tatsächlich eine bedingungslose Erwählung lehrt. Andere sehen das anders – auch in der Gemeindeleitung. Und das ist vollkommen in Ordnung. Wir wollen in diesem Miteinander leben und bewusst diese unterschiedlichen Positionen stehen lassen.
Das heißt aber nicht, dass wir darüber nichts lehren. Deshalb spreche ich das hier an. Gleichzeitig möchte ich in dem, was ich lehre, ganz offen eingestehen, dass mein Verstehen in gewisser Weise auch übersteigt, was ich hier gerade erkläre. Mir ist klar, dass meine Erkenntnis Stückwerk ist.
Deshalb ist mein Aufruf ganz bewusst: Prüft das, was ich lehre, anhand der Schrift. Es ist zwar mein ernstes Bemühen, Gottes Wort treu zu lehren, doch ich weiß, dass ich im Gegensatz zur Schrift nicht irrtumslos bin.
Von daher prüft alles und behaltet das, was die Schrift lehrt. Genau das erwarte ich auch von uns als Gemeinde: dass wir bereit sind, das anzunehmen, was die Schrift uns lehrt. Auch wenn das bedeutet, dass die Schrift manchmal unser Denken oder unseren Glauben korrigiert.
Das heißt, wir sollten bereit sein, auch das zu glauben, was unser Verstehen übersteigt oder dem widerspricht, was wir bisher immer geglaubt haben. Und wir sollten auch das glauben, was in unserer Logik nicht zusammenpasst. Denn Gott und sein Wort sind die Wahrheit.
Die Verantwortung der Verlorenen und die Spannung der Lehre
Nun bringt mich das zu meiner zweiten Erklärung im Text und damit wirklich zu unserem Predigttext. Paulus erklärt nun, warum so viele jüdische Volksgenossen nicht gerettet sind. Es liegt nicht nur an der Erwählung, dass Gott nicht allen gnädig ist, weil nicht alle nach seinem Ratschluss dazugehören.
Nein, er geht noch weiter und sagt nicht nur, es liegt nicht am Wollen oder Laufen eines Menschen, sondern an Gottes Erbarmen. Dennoch ist es so gestaltet, dass diejenigen, die verloren gehen, also die nicht erretteten Israeliten, selbst dafür verantwortlich sind, dass sie nicht gerettet werden.
Das ist ein Punkt, an dem wir in eine logische Spannung geraten. Es ist wichtig, diese Spannung auszuhalten. Ich möchte uns mit hineinnehmen in diese Spannung und hoffe, dass wir erkennen können, dass sie vielleicht gar nicht so groß ist, wie man zunächst denkt. Das Erste hängt nämlich sehr mit dem Zweiten zusammen.
Noch einmal: Zum einen lehrt Gottes Wort, dass es nicht am Wollen oder Laufen eines Menschen liegt, wie es hier in Vers 16 heißt, sondern an Gottes Erbarmen. Zum anderen sind die nicht erretteten Israeliten in gewisser Weise selbst verantwortlich dafür, dass sie nicht gerettet werden.
Paulus erklärt das vor allem am Ende von Kapitel 9. Am Anfang von Kapitel 10 greift er das noch einmal auf und erläutert, wozu ihn diese Erkenntnis veranlasst.
Ich hoffe, dass bei uns beides geschieht: Zum einen, dass wir zur Erkenntnis gelangen, und zum anderen, dass diese Erkenntnis in uns etwas auslöst. Dann folgen wir dem, was Gottes Wort uns hier sagt.
Die Gerechtigkeit aus Glauben versus Gesetzeswerke
Lasst uns zuerst die Verse 30 bis 33 betrachten. Hier erklärt Paulus, warum manche Heiden vor Gott bestehen können, während andererseits viele aus dem Volk Israel verloren gehen.
Wiederum beginnt er mit einer Frage: Was sollen wir nun hierzu sagen, zu allem, was wir in der Textlesung gehört haben? Das wollen wir sagen: Die Heiden, die nicht nach der Gerechtigkeit trachteten, haben die Gerechtigkeit erlangt. Ich rede aber von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt.
Israel aber hat nach dem Gesetz der Gerechtigkeit getrachtet und hat es doch nicht erreicht. Warum das? Weil es die Gerechtigkeit nicht aus dem Glauben sucht, sondern als komme sie aus den Werken.
Sie haben sich gestoßen an dem Stein des Anstoßes, wie geschrieben steht: Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Fels des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden.
Bedeutung der Gerechtigkeit im biblischen Kontext
In diesem Text taucht das Wort „Gerechtigkeit“ mehrfach auf. Es ist daher sinnvoll, kurz zu erklären, was damit grundsätzlich gemeint ist.
Paulus hat im Römerbrief ausführlich dargelegt, dass Gott uns Menschen eines Tages richten wird. Er wird uns als der gerechte Richter beurteilen und all jene verdammen, die nicht gerecht sind. Das Problem, das Paulus im Römerbrief sehr deutlich macht, ist, dass wir Menschen alle ungerecht sind. „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer“, heißt es zum Beispiel in Kapitel 3, Vers 10.
Das wirft eine grundlegende Frage auf: Wie können wir überhaupt diese Gerechtigkeit erlangen, durch die wir im Gericht bestehen können und nicht zu Schanden werden? Woher soll sie kommen?
Die Juden hatten darauf eine Antwort. Sie sagten: Zum einen bringen wir Opfer dar und appellieren damit durch unsere Werke an Gottes Gnade. Wir versuchen, ihn zu besänftigen. Zum anderen nehmen wir die Gebote ernst und arbeiten mit aller Kraft daran, so viel Gerechtigkeit wie möglich anzuhäufen. So hoffen wir, vor Gott bestehen zu können.
Paulus erkennt das an. Er bestätigt, dass die Juden, also Israel, sich wirklich fleißig bemüht haben. Israel hat nach dem Gesetz der Gerechtigkeit getrachtet und war eifrig, so wie Paulus selbst einst.
Die Heiden hingegen haben nicht nach der Gerechtigkeit gestrebt – und doch haben sie die so dringend benötigte Gerechtigkeit erlangt.
Die Grenzen menschlichen Bemühens und die Gerechtigkeit Christi
Ich hoffe, wir können sehr schnell verstehen, warum diese Lehre für die Leser des Paulusbriefes und für die Zuhörer des Apostels zunächst so schwer zu begreifen ist. Wahrscheinlich ist sie genauso schwer verständlich wie das, was ich am Anfang der Predigt gesagt habe – vielleicht sogar noch schwerer.
Wie kann das sein? Die einen sind so bemüht. Sie halten sich mit aller Kraft an die Gebote und tun, so gut sie können, was Gott fordert. Die anderen hingegen kümmern sich gar nicht um die Gebote. Vielleicht kennen sie sie gar nicht oder, wenn sie sie kennen, haben sie sich trotzdem nicht untergeordnet.
Mal ganz ehrlich: Wenn du Gott wärst – ich weiß, das ist ein absurder Gedanke, aber versuche es für einen Moment – wen würdest du annehmen? Den, der mit aller Kraft trachtet? Oder diejenigen, denen das nicht weiter wichtig ist?
Gott richtet aber nicht so, wie wir das tun würden oder wie sich die Israeliten das vorstellten. Auch wir würden wahrscheinlich intuitiv so urteilen. Und, ihr Lieben, ich hoffe, dass mein Gebet für euch heute Morgen ist, dass ihr erkennt, wie gut es ist, dass Gott nicht so richtet, wie wir es intuitiv tun würden.
Was die Israeliten übersahen, ist doch, dass all ihr Bemühen und all ihre Werke letztendlich niemals gut genug sein werden. Genau das hat Martin Luther so schmerzhaft erkannt. Trotz all seines Trachtens, mit Gott ins Reine zu kommen, und all seines ernsthaften Bemühens musste er immer wieder sein eigenes Versagen eingestehen.
Geht es uns da nicht genauso? Wenn wir anfangen, Gottes Gebote wirklich zu verstehen, wenn wir Gottes Heiligkeit wirklich erfassen und uns dann auch nur halbwegs ehrlich selbst anschauen, erkennen wir doch unsere Unfähigkeit, Gott irgendetwas zu bringen.
Wir müssen ja nicht einmal die ganzen Geburtskataloge oder alle Gesetze durchgehen, damit uns das klar wird. Jesus hat das ganz praktisch für uns zusammengefasst. Er hat das ganze Gesetz in einem Doppelgebot der Liebe zusammengefasst.
Das höchste Gebot ist, sagte er: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.“ Und dann noch dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Schaffst du das? Immer? Israel hat danach getrachtet. Mit blindem Stolz haben sie sich eingebildet, aufgrund ihrer Werke vor Gott bestehen zu können.
Aber wenn das der Weg wäre, um nicht von Gott verdammt zu werden, gäbe es keine Hoffnung. Doch es gibt Hoffnung, denn Gott hat das Gesetz für uns erfüllt.
Jesus Christus allein war vollkommen gerecht. Er ist der Einzige, der aufgrund seiner eigenen Gerechtigkeit vor Gott bestehen konnte. Und er, der allein gerecht war, ist ans Kreuz gegangen, um was zu tun?
Nun, um unsere Ungerechtigkeit auf sich zu nehmen und alle unsere Schuld zu sühnen. So ist jeder, der sich ihm im Glauben zuwendet, von aller Schuld befreit.
Gott, der Vater, sieht uns nun in Christus an. Er sieht uns an und sieht die Gerechtigkeit Jesu. Mit dieser Gerechtigkeit bist du umkleidet, wenn du im Glauben zu ihm gekommen bist.
Verstehst du das? Jesu Gerechtigkeit umkleidet dich, und Gott sieht dich an und sagt: „Edith, vollkommen gerecht, ich habe nichts mehr auszusetzen. Du bist mein geliebtes Kind.“
Die befreiende Botschaft des Evangeliums für alle Menschen
Ist das nicht großartig? Das ist die gute Nachricht, und viele Heiden durften das erkennen. Paulus predigte diese Botschaft, und viele dieser Heiden setzten ihre Hoffnung ganz allein auf Jesus. So erlangten sie nun allein durch den Glauben die Gerechtigkeit, mit der sie vor Gott bestehen können.
Sie durften verstehen, was Paulus schon in Vers 16 erklärt hat: Unsere Erlösung kommt aus der freien Gnade Gottes. Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.
Wie geht es dir damit? Versuchst du noch, durch deine Werke Anerkennung bei Gott zu finden? Wenn das noch dein Bemühen ist, dann achte auf das, was Gott dir durch sein Wort sagt. Demütige dich und erkenne offen und ehrlich an, dass du das niemals schaffen kannst.
Du wirst nie gut genug sein. Deine Gesetzestreue, deine Gebete, deine geistlichen Disziplinen – was auch immer du tust – sind alles zum Scheitern verurteilt, wenn es darauf ankäme.
Gott möchte einfach nur, dass du offen eingestehst und anerkennst, dass du von Anfang bis Ende davon abhängig bist, dass er dich in seiner großen Liebe allein aufgrund seiner Gnade annimmt.
Flieh zu Gott, setze dein Vertrauen auf ihn allein, lass dein Bemühen vor Gott los. Komm mit leerem Herzen und erlebe, was es heißt, allein aufgrund deines Glaubens, allein auf dein Vertrauen hin auf Jesus vor Gott als gerecht anerkannt zu werden.
Der tägliche Kampf mit dem Vertrauen auf Gottes Gnade
Und, ihr Lieben, ich denke, das ist für uns alle eine tägliche Herausforderung – für mich auf jeden Fall. Ich behalte das mal ganz bei mir, und ihr könnt dann schauen, ob das vielleicht auch auf euch zutrifft.
Zum Beispiel, wenn Gott mich durch seinen Heiligen Geist von der Sünde in meinem Leben überführt, dann kommt in mir immer wieder das Denken hoch, dass ich Gott erst einmal beweisen muss, dass ich ihn wirklich lieb habe. Dass ich irgendetwas tun muss, um zumindest meinen Glauben vor Gott zu beweisen, dass ich es wirklich ernst mit ihm meine.
Dann fange ich an, auf meine Werke zu vertrauen. Und dann frage ich mich: Ist das jetzt eigentlich gut genug? War meine Motivation richtig? War das nicht auch eigentlich sehr selbstsüchtig? Solche Kämpfe habe ich schon oft erlebt.
Natürlich kenne ich auch die andere Seite. Ich schaue auf meine Werke und denke: Oh Gott, eigentlich musst du mit mir ganz schön zufrieden sein. Hey, ich habe einen gut dotierten Job aufgegeben, ich habe meine Frau gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen. Wir sind aus einem gut bezahlten Job in einem schönen Haus in Washington hierhergezogen – ins oft so regnerische München –, um Gott zu dienen. Unsere Rente haben wir aufs Spiel gesetzt. Und dann, wie ich mich hier engagiere! Also ich meine, ich haue mich hier wirklich rein, arbeite viel mehr Stunden als wahrscheinlich die meisten von euch. Gott, schau mal! Also Gott, mal ehrlich, du musst eigentlich ganz schön happy sein, dass du mich hast, oder?
Ist das nicht lächerlich? Habt ihr das auch schon mal so gedacht? Im Prinzip ist natürlich genau das Gegenteil der Fall. Gott möchte, dass wir sagen: Ich bin so froh, dass ich dich habe. Dass ich mit meinem Halbherzigen, mit meinem Schwachen, mit meinem ständigen Versagen vor dir trotzdem bestehen kann, weil du mich einfach liebst.
Weil deine Gnade genügt! Amazing Grace, how sweet the sound that saved a wretch like me! Das möchte Gott, dass wir das anerkennen und aufhören mit diesem ständigen Bemühen, etwas leisten zu wollen, um ihn zu beeindrucken.
Seine Liebe gilt. Gott hat uns schon geliebt, als wir noch seine Feinde waren. Jesus ist für uns gestorben, als wir tot waren – in unseren Sünden und Übertretungen, als wir gegen ihn waren. Und wie viel mehr liebt er uns jetzt, wo wir schon seine Kinder sind, auch wenn wir immer mal wieder untreu sind, unser Glaube schwach ist und wir es nicht immer alles so zusammenkriegen.
Gottes Liebe hört doch nicht einfach auf. Lieber Christ, ist dir das klar? Dein Herr liebt dich. Er schenkt dir seine Gerechtigkeit, damit du dich nicht krampfhaft darum bemühen musst – was ja ohnehin lächerlich ist.
Die Liebe der Eltern als Bild für Gottes Liebe
Vielleicht können wir uns am Muttertag kurz in diesen Gedanken vertiefen. Denk für einen Moment an deine Mutter und darüber nach, ob sie eine halbwegs gute Mutter war.
Musstest du dir jeden Tag aufs Neue ihre Liebe verdienen? Hat sie aufgehört, dich zu lieben, wenn du mal Blödsinn gemacht hast? Meine Mutter nicht.
Und ihr Mütter, wie ist das bei euch euren Kindern gegenüber? Und vielleicht auch ihr Väter, wie ist das bei euch euren Kindern gegenüber? Hört eure Liebe auf, wenn die Kinder mal ungehorsam sind? Wenn sie zu spät nach Hause kommen? Oder nach dem Essen den Tisch nicht abräumen?
Du findest das nicht gut, aber deine Liebe bleibt davon unbeeindruckt, oder?
Martin Luthers Erkenntnis durch den Römerbrief
Martin Luther beschreibt Jahre später, wie Gott ihm diese Erkenntnis geschenkt hat. Er hatte damals im Römerbrief, Kapitel 1, Vers 17, gelesen. Anschließend schreibt er darüber:
„Bevor ich diese Worte verstand – es geht um die Gerechtigkeit aus Glauben, die Gerechtigkeit Gottes, die uns zugerechnet wird –, hasste ich Gott. Denn er erschreckte uns Sünder mit dem Gesetz und mit der Erbärmlichkeit unseres Lebens. Und nicht genug damit, verschlimmerte er unsere Trübsel noch mit dem Evangelium.
Doch dann verstand ich durch den Geist Gottes die Worte: ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben.‘ Da fühlte ich mich wie von neuem geboren, wie ein neuer Mensch. Ich trat durch geöffnete Tore geradewegs ins Paradies Gottes ein. Halleluja!“
Viele aus dem Volk Israel hatten genau das noch nicht erkannt. Sie wollten noch etwas tun. So wurde dann dieser Jesus, der behauptete, schon alles getan zu haben, für sie zu einem Stein des Anstoßes, einem Fels des Ärgernisses, wie es hier in unserem Text heißt.
Warnung vor unbiblischer Gesetzlichkeit und Einladung zur Freiheit
Und bei einer Gemeinde dieser Größe kann ich mir vorstellen, dass heute vielleicht auch liebe Menschen unter uns sind, die Anstoß nehmen an dieser Botschaft der Rettung aus Gnade allein, durch den Glauben allein. Vielleicht ärgern sie sich gerade über mich und das, was ich hier predige.
Vielleicht geht es dir gerade so. Vielleicht denkst du dir, dass ich mit dieser Predigt der Gesetzlosigkeit Vorschub leiste. Wo bleibt denn da der Aufruf zur Heiligung, fragst du dich?
Ich weiß, worum es dir geht. Wir haben regelmäßig Predigten, in denen wir aus Gottes Wort zeigen, wie ein gottgefälliges Leben aussehen sollte. Aber in unserem heutigen Predigttext geht es nicht darum, uns vor falscher Gesetzlosigkeit zu warnen.
Hier geht es darum, uns vor etwas zu warnen, das du, der du gerade Anstoß nimmst, wahrscheinlich viel dringender hören musst. Es ist eine Warnung vor einer unbiblischen Gesetzlichkeit.
Ich möchte dich einladen, Gottes Wort heute Morgen an dich heranzulassen und über die Freiheit zu jubeln, die Gott dir schenken möchte.
Paulus’ Gebet für sein Volk und die Bedeutung von Christus als Gesetzesende
Paulus war voller Dankbarkeit für die Freiheit, die Gott ihm durch die Erkenntnis Jesu Christi geschenkt hatte. Gleichzeitig litt er sehr unter dem hoffnungslosen Streben seiner Volksgenossen. Sie versuchten immer noch, durch ihre eigenen Werke vor Gott bestehen zu können.
Das wird deutlich in den Versen 1 bis 4 von Kapitel 10: „Liebe Brüder, meines Herzens Wunsch ist und ich flehe auch zu Gott für Sie, dass sie gerettet werden, denn ich bezeuge ihnen, dass sie Eifer für Gott haben, aber ohne Einsicht, denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und suchen, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten, und sind so der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan, denn Christus ist des Gesetzes Ende. Wer an den glaubt, der ist gerecht.“
Man sieht hier, wie Paulus darunter leidet, dass seine Volksgenossen in die falsche Richtung laufen. Er erkennt ihren Eifer für Gott. Doch er sagt, dass dieser Eifer nutzlos ist, weil sie ohne Einsicht handeln. Sie erkennen nicht die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und die Jesus Christus erwirkt hat.
Was tut Paulus in dieser Situation? Er betet für sie und fleht zu Gott, dass sie diese Wahrheit erkennen mögen.
Wenn es hier heißt, „Christus ist das Gesetzes Ende“, dann ist das die Erkenntnis, die wir haben müssen. Jesus Christus ist gekommen, um das zu vollbringen, wozu das Gesetz da war. Ein wesentlicher Zweck des Gesetzes ist es, uns darauf hinzuweisen, dass wir unfähig sind, das Gesetz selbst zu halten und aus eigener Kraft vor Gott zu bestehen.
Der Anspruch des Gesetzes überfordert uns – und das ist so gewollt. Das Gesetz will uns dazu bringen, auf unsere Knie zu gehen, vor Gott zu kapitulieren und nach einem Retter zu rufen, indem wir sagen: „Ich schaffe es nicht, hilf!“
Daraufhin sandte Gott seinen eingeborenen Sohn und diesen Retter. Er vollbrachte für uns die Gerechtigkeit, die wir niemals selbst hätten erreichen können. So sind alle, die an ihn glauben, gerecht.
„Wer an den glaubt, der ist gerecht“, heißt es in Vers 4.
Die Notwendigkeit göttlicher Erkenntnis und das Gebet für Suchende
Paulus weiß, dass viele aus dem Volk Israel diese Einsicht noch nicht haben. Er weiß auch, dass diese Erkenntnis von Gott kommen muss. Deshalb fleht er zu Gott, wie es in Vers 1 heißt. Er bittet für sie, dass der Herr – denn er muss es tun – ihnen die Einsicht schenkt, die Erkenntnis, dass allein Jesus retten kann und dass wir nur durch Glauben vor Gott bestehen können.
Ich hoffe, wir haben diese Erkenntnis, diese frohe und befreiende Erkenntnis. Dabei möchte ich uns ermutigen, dem Apostel Paulus in seinem Tun zu folgen. Kennen wir nicht alle Menschen, die noch voller Eifer versuchen, durch ihre Werke und Leistungen irgendwie vor Gott zu bestehen? Sie meinen, der Gnade Gottes noch etwas hinzufügen zu müssen.
Es gibt viele solche Menschen – viele fromme Juden, die das bis heute versuchen, genauso wie viele hingebungsvolle Muslime, die glauben, durch das Halten der fünf Säulen des Islam vor Gott bestehen zu können. Doch es kommt uns vielleicht sogar noch näher.
Ich habe vor wenigen Tagen gehört, dass manche, die aus dem Islam zum Christentum konvertieren, immer noch in großer Gesetzlichkeit gefangen sind. Eine große Herausforderung ist, dass viele Muslime, die nach Deutschland flüchten, relativ schnell sagen: „Ja, ich bin jetzt auch Christ.“ Sie tauschen Mohammed gegen Jesus ein, die fünf Säulen des Islams gegen die zehn Gebote.
Doch was sie damit tun, ist letztlich, Religiosität gegen Religiosität einzutauschen. Sie tauschen ein Bemühen, durch Werke vor Gott zu bestehen, gegen ein anderes Bemühen, durch Werke vor Gott zu bestehen.
Es ist ein Drama, dass viele dieser Menschen getauft werden und ihnen gesagt wird: „Du bist jetzt auch gerettet.“ Dabei kennen sie den Weg zum Heil noch gar nicht. Was sie brauchen, ist die Erkenntnis, dass sie keine Religion, keine Religiosität und keine Frömmigkeit mehr brauchen, sondern eine Beziehung – und dass diese Beziehung möglich ist.
Die Herausforderung der Ökumene und die Lehre von der Gnade
Ich habe überlegt, ob ich das überhaupt sagen sollte, weil ich befürchtete, was danach auf mich zukommt. Doch ich wage es. Ich glaube, es trifft auch auf viele Katholiken zu, und es tut mir im Herzen weh, wie die Ökumene uns blind macht für die Tatsache, dass so viele mit einem Eifer versuchen, vor Gott bestehen zu können – durch Bußübungen. Sie meinen, sie könnten der Gnade Gottes etwas hinzufügen, dass sie noch etwas tun, leisten oder Bußübungen machen müssen, um irgendwie durch ihre Werke vor Gott bestehen zu können.
Ich will damit nicht sagen, dass es keine gläubigen Katholiken gibt. Natürlich gibt es gerettete Katholiken, die allein auf Gottes Gnade vertrauen, allein auf Jesus Christus vertrauen. Aber die offizielle römisch-katholische Lehre widerspricht dem. Sie hat sich seit den Tagen Martin Luthers nicht geändert. Im Konzil von Trient ist sie sogar noch deutlicher in diese Richtung geworden.
Martin Luther war kein Tor, als er gegen diese Lehre angekämpft hat, denn er wusste, was diese Lehre mit Menschen macht. Sie lässt sie in ständiger Ungewissheit, ob es denn reicht. Lasst uns für Menschen flehen, die in diesem Denken gefangen sind. Lasst uns zu Gott beten, dass er ihnen Einsicht schenkt, dass sie nichts leisten müssen, weil Jesus alles vollbracht hat.
Aus Gesprächen weiß ich, dass dieses unbiblische Denken auch bei uns Protestanten durchaus verbreitet ist. Auch unter uns gibt es viele, die in ihren Köpfen und Herzen denken, dass sie noch etwas tun müssen. Doch das Evangelium will uns von all diesem Streben befreien – von dem Gedanken, durch Werke noch etwas hinzufügen zu müssen, bestimmte Rituale vollbringen zu müssen oder eine Religiosität zu leben, die Gott beeindruckt und ihn dazu bringt, uns in der Gnade zu halten.
Es ist vollbracht. Das Evangelium befreit. Es befreit dich zu einem Leben in der Freiheit eines Gotteskindes, das geliebt wird von seinem himmlischen Vater. Du musst nichts tun. Er hat sich entschieden, dich zu adoptieren. Er hat dich zu sich genommen und liebt dich mit einer Liebe, die niemals aufhört. Glaubst du das?
Schlussgebet und Lobpreis
Lasst uns beten, himmlischer Vater. Danke, danke für deine freie Gnade. Wenn deine Gnade nicht frei wäre, wenn sie von irgendetwas abhängig wäre, das ich tun müsste, dann wäre ich verloren. Denn wie könnte ich irgendetwas tun, das dich dazu bringt, mich zu lieben?
Danke, dass deine Liebe bedingungslos ist. Danke, dass du in Jesus Christus alles vollbracht hast. Danke, dass wir, wie dein Wort sagt, mit Christi Gerechtigkeit umkleidet sind. Dem ist nichts hinzuzufügen, und das können wir uns niemals verdienen.
Danke, dass selbst der Glaube ein Geschenk ist, das du gibst. Wir sehen das im weiteren Verlauf dieses Kapitels, wenn Paulus erklärt, dass der Glaube zwar aus der Predigt kommt, aber viele diese Predigt trotzdem ablehnen. Letztendlich ist es das Werk deines Geistes, unser Herz zu öffnen, damit wir aufmerksam sind und Glauben empfangen.
Herr, so sitzen wir heute hier vor dir und bitten dich um Vergebung für unseren Stolz. Wir reden uns so oft ein, etwas vollbracht zu haben, das dich beeindrucken könnte. Dass wir irgendetwas getan haben, das dich dazu veranlasst hat, uns zu retten und nicht andere.
Herr, vergib uns diesen Hochmut und befreie uns von dem falschen Streben, uns etwas bei dir verdienen zu wollen. Herr, schenke uns eine solche Liebe zu dir, die kindlich fragt: „Papa, was möchtest du, dass ich tue?“ Hilf uns, so zu leben – nicht weil wir müssen, sondern weil wir dürfen, weil du uns dazu befreit hast.
Danke, dass wir, wenn wir fallen, einfach aufstehen und weitergehen können, ohne dir etwas beweisen zu müssen – so wie Kinder mit ihren Eltern. Schenke uns, dass diese Wahrheiten tief in unseren Herzen ankommen und wir dich aus frohem Herzen preisen.
Amen.
Lasst uns nun aufstehen zu zwei Schlussliedern, die wir von der Bimmerwand singen werden.