Liebe Geschwister,
es ist eigenartig, wie oft wir im Leben vor Herausforderungen stehen, die uns zunächst unüberwindbar erscheinen. Manchmal fühlen wir uns allein und verlassen, obwohl wir wissen, dass Gott immer bei uns ist. In solchen Momenten ist es wichtig, unseren Glauben nicht zu verlieren, sondern uns auf die Verheißungen Gottes zu besinnen.
Die Bibel erinnert uns immer wieder daran, dass Gott uns stärkt und begleitet. So heißt es zum Beispiel in 2. Korinther 12,9: "Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Diese Worte sollen uns ermutigen, gerade in schwierigen Zeiten auf Gottes Kraft zu vertrauen.
Auch im Psalm 23 wird die Fürsorge Gottes für uns deutlich beschrieben. Dort steht: "Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln." (Psalm 23,1). Diese Zusage schenkt uns Trost und Zuversicht, wenn wir uns verloren fühlen.
Lasst uns daher im Glauben feststehen und einander ermutigen. Gemeinsam können wir die Herausforderungen des Lebens meistern und Gottes Liebe weitergeben. Denn er verspricht: "Ich will dich nicht verlassen und nicht von dir weichen." (Josua 1,5).
Möge Gottes Frieden in unseren Herzen wohnen und uns Kraft schenken für jeden neuen Tag.
Die Bedeutung der Stille im Advent
In dem Liedheft, das auch auf unseren Plätzen liegt und in dem wir immer die schönsten Advents- und Weihnachtslieder erzählen wollen, heißt es gleich zu Beginn bei Nummer zwei: „Advent, Advent“ – Advent bedeutet stille sein und schauen nach dem hellen Schein.
Dabei sind die meisten unserer Advents- und Weihnachtslieder auf den Ton gestimmt: „Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel der Erde, singet frisch und wohlgemut!“ Daneben klingt aber auch immer der Ruf zur Stille an. So etwa Lied Nummer neunundvierzig in dem Heft von Graf Lehndorf, der viel Schweres erlebt hat, in Ostpreußen vor und während der russischen Besetzung: „Komm in unsere laute Stadt, Herr, mit deines Schweigens Mitte, komm in unsere laute Stadt.“
Genau dazu sind wir doch auch zusammengekommen in dieser Adventsfreizeit – um zur Stille zu kommen. Es ist eigenartig: In unserer Kirche wurde das Jahr 2010 zum Jahr der Stille ausgerufen. In Korntal hieß es, wir wollen aus Anlass dieses Jahres der Stille eine besondere Veranstaltungsreihe machen.
Das war jedoch nicht gerade das Richtige. Vielmehr hätte man einige Veranstaltungen ausfallen lassen sollen, damit wir wirklich zur Stille kommen. Aber es ist immer schwierig mit der Stille.
Sie merken, dass mir immer die Gesangbuchlieder, die Lieder der Christenheit, wichtig sind. In unseren Liedern spielt das eine ganz große Rolle – eigentlich hat es Augustinus schon aufgenommen: „Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet, o Herr, in dir.“
Die Sehnsucht nach innerer Ruhe in der Frömmigkeit
Herr Stegen, lass mich so still und froh deine Strahlen fassen! Frau Gerhard, unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ vor dir stehen und sich stets zeigen lassen. Wollte ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gut und fein still bleiben.
Im Adventslied „Er kommt, er kommt“ heißt es: Mit Willen ist voller Lieb und Lust all Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewusst sind.
Im Neujahrslied von Eleonore, Fürstin von Reuss, heißt es: Das Jahr geht still zu Ende, so sei auch still mein Herz.
Im geistlichen Volkslied wird gebetet: In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl; das macht die Seele still und friedevoll.
Ich halte ihm im Glauben still und hoffe auf seinen Segen.
So wirken diese Worte: In der Frömmigkeit der Christenheit ist diese Sehnsucht ganz stark vorhanden. Man möchte zur Ruhe kommen in Gott.
Das ist noch einmal etwas anderes, als wenn wir den Schlüssel verlegt haben und suchen, verzweifeln und immer aufgeregter werden. Dann sagen wir uns: Ich möchte dreimal tief durchatmen und einmal ganz still werden, um zu überlegen, wo ich ihn zum letzten Mal hingelegt habe.
Dabei versuchen wir, in uns selbst still zu werden.
Die besondere Stille zu Gott im Psalm 62
Aber das, was im Psalm 62 steht, der uns heute Morgen beschäftigen soll, ist noch einmal etwas anderes. Ich bitte Sie, Psalm 62 aufzuschlagen: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft“ (Psalm 62).
Es hat sich so ergeben, dass wir in diesen Tagen immer wieder, ohne es abgesprochen zu haben, darauf kommen. Heute Abend wird unser Bruder Karl Schäfer sprechen, und sein Thema lautet ebenfalls „Sei stille, meine Seele zu Gott“. Hoffentlich gibt es keine Überschneidungen und wir sagen nicht das Gegenteil voneinander. Das fürchte ich aber eigentlich nicht. Vielmehr wird aus dem Mund zweier Zeugen die Wahrheit bezeugt.
Außerdem legen uns die Brüder auch noch einmal Psalm 37 aus. Also: Stille zu Gott – mach es endlich stille, gänzlich stille, in Freude und Schmerz.
Wir haben vielleicht mit Vers 2 begonnen: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft“ (Psalm 62,2) und dabei überlesen, was vorhergeht – Vers 1: „Ein Psalm Davids, vorzusingen für Jedutun.“ Jedutun war ein Vorsänger im Tempel.
Wir gehen vielleicht zu schnell über diese Notiz hinweg, als wäre sie nur eine Regieanweisung. Die Bibel spricht ganz klar davon, dass David vom Geist Gottes erfüllt war und Gottes Geist durch ihn redete.
David als Vorbild und Prophet in der Christenheit
Die erste Christenheit las einmal die Reden des Petrus in Apostelgeschichte 2 und Apostelgeschichte 4. Da er nun ein Prophet war, sprach David von der Auferstehung unseres Herrn. Apostel Paulus zitiert David, wenn er die Gnade Gottes groß machen will: „Wohl dem, dem die Sünden vergeben sind, in dem kein Falsches ist.“
Man hat David in der ersten Christenheit schon als jemanden angesehen, der das Heil vorgezeichnet hat. Es ist, als ob ein Chorleiter mit der Stimmgabel den Ton vorgibt und der Chor diesen Ton aufnimmt. Das, was anklingt, ist bei den Psalmen Davids schon gegeben. So heißt es auch in Römer 15,15, wie David bezeugt, dass die Heiden Gott loben sollen.
Man erkannte bei David schon, dass das Heil Gottes geplant und vorgeplant ist. Wie hat unser Herr Jesus mit den Psalmen des David gelebt? „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Psalm 22). „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ Wenn wir jetzt Psalm 62 lesen: „Wie lange stellt ihr alle einem nach, wollt alle ihn morden?“ – als wäre er eine hängende Wand –, so ist es, als wäre das Leiden des Herrn Jesus bei David schon vorgesehen und vorerkannt worden.
Wir sollten nicht so schnell über diese Anmerkung in einem Psalm Davids hinweglesen, sondern sie als ein Ausrufezeichen verstehen. Jetzt wird es ganz wichtig: Was David erlebt hat, ist, dass seine Seele still geworden ist bei Gott. Wenn wir den Psalm lesen, merken wir, dass ihm nachgestellt worden war, als wäre er eine hängende Wand. Doch jetzt ist seine Seele still geworden zu Gott.
Die Erfahrung der Stille bei Gott im biblischen Kontext
Stille werden zu Gott ist etwas anderes, als wenn wir uns selbst vornehmen, Ruhe zu bewahren. Es gibt biblische Geschichten, die dies veranschaulichen, zum Beispiel die von Elija. Er war voller Empörung gegen Gott und sagte: „Ich habe mich für dich eingesetzt, ich habe für dich geeifert, aber ich bin allein übrig geblieben. Herr, nimm meine Seele von mir, es lohnt sich nicht.“
Doch dann begegnet ihm Gott mit neuen Aufträgen – aber nicht im Sturm, nicht im Feuer, sondern im stillen, sanften Sausen. „Meine Seele ist stille zu Gott.“
Man denke auch an Samuel, der als kleiner Junge, als Helfer und Tempeldiener in der Stiftshütte diente. Das Wort Gottes war damals selten geworden. Ähnlich erlebe ich es in meiner Kirche, in der ich fünf Jahrzehnte gedient habe – in unserer gesegneten württembergischen Kirche. Oft denke ich, dass das Wort Gottes sehr selten geworden ist. Es gibt zwar manche Religiosität und Feierlichkeit, doch dass Gott heilig redet und mich persönlich anspricht, ist selten geworden.
Dann ist da der kleine Samuel, der mitten im nächtlichen Schweigen in der Stiftshütte betet: „Rede, Herr, dein Knecht hört!“ Da war jemand stille geworden zu Gott.
Die Stärkung der Seele in Gott durch Freundschaft
Von David, um noch einmal zu David zurückzukehren: Die große Angst, von Gott verlassen zu sein, wird beschrieben. Da kommt sein Freund Jonathan zu ihm in die Wüste bei Horescha, dort bei den Felsklippen. Der Kronprinz wagt sich zu seinem verstossenen, verachteten Freund David und stärkt seine Seele in Gott.
Jonathan hätte auch sagen können: „Ach David, auch ich halte zu dir. Komm, so schlimm ist es nicht, reiß dich zusammen!“ Doch er stärkte Davids Seele in Gott. Er sagte: „Dein Gott ist auch noch da. Und wenn dich alle vergessen, wenn alle gegen dich sind, dein Gott, der dich berufen hat, lässt dich nicht los.“
„Meine Seele ist stille geworden zu Gott.“ So heißt es im Psalm 131, schön formuliert: „Meine Seele ist ruhig und still geworden bei dir, o Gott, wie ein Kind bei seiner Mutter.“
Ich durfte lange im Remstal als Pfarrer und Dekan wirken. Einmal gab es dort einen Bildhauerwettbewerb in Schorndorf. Danach wurde ich gefragt, ob die Kirchengemeinde nicht auch eine Statue aufkaufen wolle. Von dem Künstler Professor Nuss war eine Frauengestalt geschaffen worden, die ihr Kind bei sich birgt.
Diese Statue steht jetzt vor der Stadtkirche. Man kann höchstens das Köpfchen des Kindes unter dem Gewand der Mutter erahnen. Als die Statue aufgestellt war, hieß es: „Jetzt ist der Chefbucher nur noch katholisch geworden. Jetzt hat er sogar eine Marienfigur vor der Stadtkirche aufgestellt, damit die Leute verstehen, worum es geht.“
Auch in Metall gegossen, trägt diese Statue das Wort: „Meine Seele ist ruhig und still geworden, o Gott, bei dir wie ein Kind bei seiner Mutter.“ Geborgen.
Die ursprüngliche Gewissheit Davids in Gott
Es war nicht selbstverständlich, dass David sagen konnte: „Meine Seele ist still, ich bin geworden zu Gott, der mir hilft.“ Ursprünglich war diese Gewissheit des David entstanden, als er noch der Hirtenjunge war. Als der Bär und der Berglöwe kamen und in seine Herde eingebrochen sind, nahm David seinen Stecken und erschlug sie. Später, als David vor Saul stand, sagte er: „Der Gott, der mir geholfen hat gegen den Löwen und Bären, der wird mir auch gegen Goliath helfen.“
Goliath war dieser Muskelprotz, gegen den niemand in Israel kämpfen wollte. Niemand ließ sich zum Zweikampf mit ihm herausfordern. David, der seine Brüder in der Armee Israels besuchen wollte, hörte, wie man über Goliath sprach. Man sagte, er schmähe den heiligen Gott Israels. Wer wolle schon gegen ihn kämpfen? Nicht einmal Saul, der größer war als alle anderen im Volk.
Dann ging der kleine David los. Der mächtige Goliath höhnte: „Bin ich denn ein Hund, dass du mit dem Stecken zu mir kommst? Mit dem Prügel kommst du zu mir?“ David antwortete: „Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Schild, aber ich komme zu dir im Namen des lebendigen Gottes.“ Eine Viertelstunde später war der Kampf durch den mächtigen Gott entschieden.
Das war die Gewissheit Davids: Der Gott, der mir geholfen hat gegen den Löwen und Bären, wird mir auch gegen Goliath helfen. Doch diese Gewissheit verflog, als er gejagt wurde. Wenn man die Berichte im Zweiten Samuel oder in den Psalmen liest, heißt es: „Man jagt mich wie ein Rebhuhn.“ Was für ein Bild – die Jäger verfolgen ein Rebhuhn, das nach links und rechts flieht und am Ende doch gefangen wird.
Noch eindrücklicher ist der Vergleich: „Ich werde gejagt wie ein Floh.“ Wir wissen heute kaum noch, wie es ist, von Ungeziefer gejagt zu werden. Unsere Soldaten im Zweiten Weltkrieg erlebten das, wenn Flöhe gejagt wurden, bis sie schließlich gefasst waren. So sagt David: „Ich werde gejagt wie ein Floh, wie ein toter Hund behandelt man mich.“ Das sind Ausdrücke, die wir von David kennen, als er in der Wüste Sif bei Horescha war, von Saul gejagt. Davon werden wir noch hören.
Als Jonathan zu David kommen musste, um seine Seele in Gott zu stärken, zeigt das, dass unsere Glaubensgewissheit nicht wie ein sicherer Fels ist, den man nicht erschüttern kann. Sie ist eher wie ein Blecheimer, der schon verrostet ist. Die Gefahr besteht, dass hier und dort ein Loch aufbricht und alles davonläuft.
Schon die kleinste Erschütterung kann genügen: Sorgen um Enkel oder Kinder, ob das Geld reicht, um die Gesundheit, oder die Frage, ob man den richtigen Arzt hat. Dann kommen Freunde, die sagen: „Es gibt einen guten Brennnesselsaft, und ich kenne einen Heilpraktiker, der kann auch helfen.“ Plötzlich wird man von einem Arzt zum anderen gejagt, von einer Hoffnung zur nächsten.
Das bedeutet nicht mehr, dass man sagen kann: „Meine Seele ist still zu Gott.“
Vertrauen auf Gott in Zeiten der Verzweiflung
Paulus berichtet im 2. Korinther 1: „Wir waren so verzagt, dass wir meinten, mit uns sei es aus, wir müssten sterben.“ Das geschah jedoch deshalb, weil wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der vom Tod errettet.
Es kann sein, dass auch unser Glaube erschüttert wird – wie bei David, Saul oder dem Apostel Saulus, Paulus. Dies geschieht, weil wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzen und sagen: „Ich werde es schon schaffen, mein Glaube ist stark.“
Philipp Friedrich Hiller, der schwäbische Liederdichter, hat das große Lied „Wenn ich an mir selbst verzage“ gedichtet. Vielleicht kennen Sie es: Man verzagt an sich selbst. Man denkt, alles falsch gemacht zu haben, die Frömmigkeit sei nur vordergründig. Kein Bibelwort spricht mehr zu einem, und es fällt nichts mehr ein, was trösten könnte.
Der Liedtext lautet:
„Wenn ich an mir selbst verzage, tröstet mich noch Gottes Macht,
dass ich es in dem Glauben wage, bis ich meinen Lauf vollbracht.
Gottes Macht, die mich bekehrte, die den Glauben in mir schuf,
kämpfen, beten, dulden lehrte, ist mir nahe, wenn ich rufe.
Dass ich schwach bin, wird er wissen, dass er stark ist, weiß auch ich.
Der mich aus dem Tod gerissen ist, noch Gott, dieser Gott für mich.
Meine Seele ist still geworden zu Gott.“
Es kann also auch sein, dass unser eigener, so sicher geglaubter Glaube ins Wanken kommt. Und dann soll es so weit kommen, wie es in Psalm 62, Vers 9 heißt: „Hoffet auf ihn alle Zeit, liebe Leute!“
David bezeugt dies anderen Menschen: „Hofft auf ihn alle Zeit, liebe Leute! Schüttet euer Herz vor ihm aus, Gott ist doch unsere Zuversicht!“
Das Herz vor Gott ausschütten und auf ihn hoffen
Unser schwäbischer Landesbischof, Doktor Gerhard Meyer, der langjährige Leiter des Tübinger Studienhauses, des Albrecht-Bengel-Hauses, hat diesen Vers folgendermaßen ausgelegt: „Schüttet euer Herz vor ihm aus.“
Er vergleicht es mit unseren Apfelsaftflaschen. Wenn es ein guter Apfelsaft ist, setzt sich unten der Satz ab. Dann heißt es: Vor Gebrauch schütteln.
Aber wir dürfen selbst dann, wenn sich in unserem Herzen Empörung und Zweifel an Gott abgesetzt haben, wenn Fragen auftauchen wie: Warum muss das so sein?, vor ihm nicht nur sagen: Herr Gott, ich glaube an dich. Sondern wir dürfen auch sagen: Herr Gott, mein Glaube ist erschüttert, er ist gar nicht mehr sicher.
Wir dürfen bis zum Bodensatz vor Gott ausschütten, auch unsere Ungewissheit. „Hoffet auf ihn, alles schüttet doch euer Herz vor ihm aus.“
Doch es wird Zeit, dass wir den ganzen Psalm einmal lesen. Einen Psalm Davids vorzusingen, laut zu singen: „Für Jedotun, den Sangmeister. Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft, denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.“
Dann fragt David: „Wie lange stellt ihr alle einem nach, wollt alle ihn morden? Als wäre er eine hängende Wand, eine rissige Mauer.“
Wissen Sie, was eine hängende Wand ist? Bei unserer Mutter Maria in Metzingen, bevor sie ihr schönes Häuslein aufgegeben hat, gab es so eine Gartenmauer, eine Betonmauer. Im Vorgarten standen mächtige Bäume, deren Wurzeln die Mauer immer mehr gedrückt haben. Die Nachbarn sagten schließlich, es sei höchste Zeit, die Mauer einzureißen und neu aufzubauen. Sonst passiere noch etwas.
Eines Tages könnte sie einstürzen, gerade wenn jemand vorbeiläuft. Eine hängende Wand – ein kleiner Tritt, eine kleine Unruhe – und dann kippt sie um. Ein tolles Bild von David.
Wie lange denkt ihr nach, als wäre eine hängende Wand? Nicht nur der Wortklang, auch der Inhalt erinnert mich daran, dass sogar unser Herr Jesus gesagt hat: „Wie ist mir so bange!“ – ein ähnlicher Wortklang.
Bis das Leiden vollendet ist, wenn er zu seinen Jüngern sagt: „Wacht und betet mit mir, bitte!“ Und dann betet Jesus selbst: „Vater, es ist nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergeht.“
Der Herr Jesus kennt das Zittern und Zagen auch vor dem körperlichen Leiden. Das ist nicht unnormal.
Wir Christen müssen nicht immer sagen: Halleluja, es geht wunderbar. Sondern es kann auch so sein: „Herr, ich fall doch bald um, mein Glaube fällt in sich zusammen.“
Die Vorahnung des Leidens Jesu im Psalm 62
Vers 5: Sie denken nur daran, wie sie ihn stürzen können; sie haben Gefallen am Lügen. Sie können diesen Vers gar nicht richtig lesen, ohne an die Leidensgeschichte unseres Herrn Jesus zu denken. Diese Leidensgeschichte ist vorgezeichnet und angekündigt.
Denke an Pilatus, der Jesus eigentlich freilassen wollte. Seine Frau sagte: „Habe du nichts mit ihm zu schaffen, denn er ist ein Gerechter.“ Pilatus sagte: „Ich finde keine Schuld an ihm.“ Doch die Menge schrie: „Kreuzige ihn, sonst bist du nicht mehr des Kaisers Freund!“ Sie denken nur daran, wie sie ihn stürzen können; sie haben Gefallen am Lügen.
Wenn in der Zeitschrift Idea berichtet wird, dass Christen in muslimischen Ländern durch Lügen der Steinigung überführt werden, dann sind sie in der Nachfolge des Herrn. Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich.
Viele denken, wir müssen Schreie der Empörung erheben, und Frau Merkel muss bei den Regierungen protestieren. Nein, das ist nicht der Weg der Leute Jesu. Sie denken nur daran, wie sie ihn stürzen können; sie haben Gefallen am Lügen. Mit dem Mund segnen sie und tun unendlich fromm, aber im Herzen fluchen sie still, in den verborgenen Kämpfen der Christenheit.
Das ist heute die große Gefahr in der Christenheit: Dass der Hauptgesichtspunkt lautet, wir müssen zusammenhalten – auch mit Leuten, die nicht richtig an Jesus glauben. Zum Beispiel ein Superintendent in Bonn, der sagt, die Kreuzigung sei überhaupt nicht nötig gewesen, Gott habe keinen Wert darauf gelegt. Wir müssen doch alle zusammenhalten. Zusammenhalt ist wichtig, aber die Wahrheit Jesu ist wichtiger.
Mit ihrem Mund segnen sie und tun fromm. Doch im Herzen sagen sie: „Weg mit denen, mit den engen, sturen, fundamentalistischen Evangelikalen! Weg mit denen, sie stören den Frieden.“ So aktuell ist Psalm 62, denn es heißt dort: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Doch sei still zu Gott, meine Seele, denn er ist meine Hoffnung, nicht Menschen. Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre.
Schlimmer als körperliche Schwäche ist, wenn uns die Ehre genommen wird. Ich habe es hier schon einmal gesagt: Ich habe erlebt, wie es dem Evangelisten Wilhelm Busch erging. Im Zweiten Weltkrieg 1941 wurde er noch einmal als Oberleutnant aktiviert, obwohl er aus dem Ersten Weltkrieg stammte und stolz seine Offiziersuniform trug. Nach vier Wochen wurde er mit Schimpf und Schande aus der deutschen Armee ausgestoßen, weil man entdeckt hatte, dass die geheime Staatspolizei ihn mehrfach inhaftiert hatte. „Wir wollen keinen Häftling als Offizier“, sagte man.
Schlimmer als alle Verfolgung und Gefängnisstrafen war für Wilhelm Busch, dass man ihm als Mann die Ehre nahm – als Offizier. Wenn man uns die Ehre nimmt, was haben Sie denn David entehrt? Was haben Sie unseren Herrn Jesus, den König der Herrlichkeit, entehrt und verspottet?
Bei Gott ist meine Ehre. Das ist mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Solange das bei Ihnen gilt, dass der ewige Gott über Ihnen sagt: „Meine Tochter, mein Sohn, ich freue mich auf dich, bis du heimkommst zu mir“, dann soll uns nicht kümmern, dass Menschen uns die Ehre nehmen.
Bei Gott ist meine Ehre, der Fels meiner Stärke. David gehen die Bilder nicht aus dem Kopf, die Begriffe: „Meine Zuversicht ist bei Gott.“
Jetzt Vers 10: „Alle Menschen sind ja nichts. Große Leute täuschen auch. Sie wiegen weniger als nicht so viel ihrer Sinne.“ Einst lag doch das Wohlgefallen König Sauls auf David, diesem groß gewachsenen, von Gott erwählten König. Verlasst euch nicht auf Menschen!
Dann schlug die Stimmung bei Saul um, und David wurde gejagt wie ein Floh, wie ein Totenhund. „Verlasst euch nicht auf Menschen, sie wiegen weniger als nicht so viel ihrer Sinne.“
Verlasst euch nicht auf Gewalt! Das war die Versuchung, als Joab sagte: „Dort in jener Höhle lag der schlafende Saul vor uns. Pahle ihn mit deinem Speer! Jetzt hat ihn Gott in die Hand gegeben; jetzt kannst du ihn erledigen, deinen Feind, und dann hast du Ruhe.“ Aber David sagt: Verlasst euch nicht auf Gewalt!
Manche Theologen behaupten, diese Anweisungen von David oder dieser Psalm seien erst später hinzugefügt worden. Wenn ein Psalm überhaupt die Geschichte Davids erzählt und damit eine Vorahnung dessen ist, was auf Jesus zukommt, dann hier. Das ist nicht bloß eine beiläufige Bemerkung, sondern ganz zentral wichtig: Verlasst euch nicht auf Gewalt und setzt nicht auf Raub, keine eitle Hoffnung!
Die Geschichte erzählt von Nabal, wie David mit seinen Freunden sagte: „Heute Nacht will ich Nabal ermorden, der uns nichts gibt.“ Setzt nicht auf Raub eure Hoffnung! Doch dann kam die Frau des Nabal und gab David Speise für seine ganze Mannschaft.
Jetzt kommt der Vers, der für uns gilt, Vers 11b: „Fällt euch Reichtum zu, so hängt euer Herz nicht daran.“
Es ist die Aufgabe meines Alters, bei manchen lieben Menschen als Generalbevollmächtigter ihre Dinge zu erledigen, weil sie selbst nicht mehr die geistige Kraft dazu haben, geistig weggetreten sind. Es ist erschütternd, wenn Christen, die ein Leben lang Christen waren, bei einem Adventsferst nicht mehr mitsingen, bei kaum einem Lied reagieren, bei einem Gebet kaum teilnehmen, aber hellwach sind bei der Frage: „Reicht mein Geld noch?“
Der Herr Jesus hat das Geld als Mammon, als Götzen bezeichnet. Hängt euer Herz nicht daran!
Gottes Macht und Geduld als doppeltes Zeugnis
Und jetzt kommt das Schwierige, das viele Ausleger bis heute beschäftigt.
„Eines hat Gott geredet, und ein Zweifaches habe ich gehört, doppeltes habe ich, ich habe doppelte Auskunft bekommen.“ Was hat er denn gehört? Gott allein ist mächtig, und das hat sich bei David in einen doppelten Strang aufgegliedert.
Mir ist das erst klar geworden, als ich den Römerbrief Kapitel 9 gelesen habe. Der Apostel Paulus, ein großer Kenner der Bibel, hat das so erklärt: Da Gott seine Macht erweisen wollte, hat er die Gefäße des Zorns, die zur Verlorenheit bestimmt sind, nicht fallen gelassen. Stattdessen hat er sie in göttlicher Geduld getragen.
Liebe Brüder und Schwestern, das ist für mich das Geheimnis der Bundesrepublik Deutschland und vieler Länder, die eigentlich längst atheistisch geworden sind. Gott hat den Zorn aber trotzdem in großer Geduld getragen. Er hat uns noch einmal am Zweiten Weltkrieg eine Chance gegeben und die Wiedervereinigung geschenkt.
Gott hat getragen in göttlicher Geduld – nicht, damit wir sagen, Gott hat nur die Liebe. Da Gott seine Macht erweisen wollte, hat er selbst die Gefäße, die zur Verdammnis bestimmt sind, in Geduld getragen, weil er noch einmal warten will, ob sich Menschen bekehren.
Denn du vergilt einem jeden, wie er es verdient hat. Wenn Gott jetzt Geduld zeigt, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Evangelium müsste eigentlich heißen, wie es im Johannes-Evangelium Kapitel 3 steht: „Wer den Sohn Gottes hat, hat das Leben.“ Denn uns erlöst der Sohn Gottes aus dem ewigen Zorn.
Das ist das eine, was David gehört hat: Du bist mächtig, du vergilt auch meinen Feinden (vgl. Römer 12, Ende). Die Rache ist Gottes, er will vergelten, nicht wir. Und du, Herr, bist gnädig.
Jesus hat die eindrückliche Geschichte vom Pharisäer und Zöllner erzählt. Der Pharisäer war vorbildlich in seiner Frömmigkeit, in seinem Hergebenkönnen und seiner Dankbarkeit gegenüber Gott. Er sagte: „Gott, ich danke dir, dass du mich bewahrt hast, geführt hast, dass du mich losgemacht hast vom Geld. Ich gebe den Zehnten von allem.“
Daneben steht der Zöllner, dessen Leben eigentlich alles falsch gelaufen ist und der nur noch sagen konnte: „Herr, sei mir Sünder gnädig.“ Und Jesus sprach: „Der ging hinab gerechtfertigt vor jenem.“ Der ist weitergekommen.
Es gibt nichts Größeres, als wenn es nicht bloß heißt: „In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz“, sondern: „In deine Gnade hülle all meine Unvollkommenheit, meine Fehler ein, in deine Gnade!“
Ich habe ein Doppeltes gehört: Du, mein Fels, mein Erbarmer! Meine Seele ist still geworden, auch über die Frage, was geschieht mit den Menschen, die mir so viel Böses wollen.
Ich habe Doppeltes gehört: Du bist mächtig und du vergiltst einem jeden. Jetzt ist das noch nicht erkennbar, aber das wird einmal geschehen. Aber ich habe auch gehört: Du bist gnädig.
Und jetzt möchte ich mich deiner Gnade anbefehlen. In deine Gnade hülle mein schwaches Herz, damit meine Seele stille wird vor Gott.
Gebet um Stille und Gnade
Herr Jesus Christus, du hast uns deine Gnade groß gemacht, damit unser umgetriebenes Herz, das an so vielem hängt und oft so bange ist, bei dir still werden kann.
Ziehe und Stille sollen sich ausbreiten um meine Sorgen und meine Pein. Denn an einer stillen Stelle legt Gott seinen Anker an.
Lass das auch in diesen Tagen geschehen, dass du bei uns ganz neu vor Anker gehst und wir dazu die Stille geschenkt bekommen. Amen.
