Missio Camp 2013: Hans-Peter Reuer spricht zum Thema „Erlebt, wie gnädig Gott ist“.
Begrüßung und Einführung in das Thema Gnade
So, ich möchte euch wieder einen schönen guten Abend wünschen. Es ist super, dass ihr wieder gekommen seid, sonst wäre es einsam. Heute ist ja das Thema die Gnade Gottes, bereits in den Liedern. Danke für die Lieder – richtig gute Texte, ich genieße das total.
Was unterscheidet uns Christen in erster Linie von allen anderen Glaubensrichtungen? Es ist eigentlich die Gnade. Gordon Macdonald hat einmal gesagt, dass die Gnade der Gnade der Gnade der Gnade der Gnade der Gnade der Gnade der Gnade… Die Welt kann fast alles so gut wie die Kirche oder sogar besser. Man muss nicht Christ sein, um Häuser zu bauen, Hungernde zu speisen oder Kranke zu heilen.
Es gibt nur eines, was die Welt nicht kann: Sie kann keine Gnade anbieten. Und das ist der Schlüssel. Die Welt kann dir die Gnade nicht geben, die Gott gibt.
Die Gnade Gottes, wenn man darüber einmal nachdenkt, ist eigentlich ein Skandal. Wenn man die Gnade genau unter die Lupe nimmt – und das werden wir heute Abend stückweit tun – dann erkennt man: Die Gnade Gottes ist radikal, sie ist nicht logisch, sie ist auch nicht vernünftig.
Und wisst ihr, was das Schlimmste ist? Und da tun wir uns schwer: Die Gnade Gottes ist nicht gerecht. Ich möchte euch das anhand einiger Gleichnisse zeigen, die Jesus erzählt hat.
Die radikale und unlogische Gnade Gottes in Gleichnissen Jesu
Einmal hat Jesus zum Beispiel ein Gleichnis erzählt von dem verlorenen Schaf. Viele von euch kennen die Geschichte: Da sind hundert Schafe, die ganz normal grasen. Dann rennt ein Schaf davon.
Nachdem es davongelaufen ist, lesen wir: Der Hirte lässt die neunundneunzig Schafe zurück und macht sich auf den Weg, um das eine Schaf zu finden, das abgehauen ist. Das erscheint unlogisch. Wenn ich Bauer wäre, würde ich auf die neunundneunzig Schafe aufpassen, damit mir nicht noch eins davonläuft. Das eine hat halt Pech gehabt.
Aber Jesus sagt, Gott ist anders. Er lässt die neunundneunzig zurück und sucht das eine, bis er es gefunden hat. Dann kommt er zurück und macht eine große Feier, weil er ein Schaf gefunden hat.
Da gibt es eine andere Geschichte, die heißt „Die Arbeiter im Weinberg“. Man kann sie auch „Der ungerechte Bauer“ nennen. Ich lese euch ein paar Verse vor. Die Geschichte ist eigentlich, wenn man logisch denkt, ein Skandal. Ihr könnt selbst entscheiden.
In Matthäus 20,1 sagt Jesus: „Denn das Reich des Himmels ist wie ein Hausherr, der ganz früh morgens hinausging, um Arbeiter in seinem Weinberg einzustellen. Nachdem er mit den Arbeitern um einen Denar für den Tag übereingekommen war, sandte er sie in den Weinberg.
Und als er um die dritte Stunde, das ist neun Uhr morgens, hinausging, sah er andere, die auf dem Markt einfach gelangweilt herumstanden. Er sprach zu ihnen: ‚Geht auch ihr hin in den Weinberg, und das, was recht ist, werde ich euch geben.‘ Und sie gingen hin.
Dann ging er wieder hinaus um die sechste Stunde, das ist zwölf Uhr mittags, und sah wieder ein paar, die gelangweilt herumstanden. Er sagte: ‚Geht auch ihr hinaus, ich gebe euch, was gerecht ist.‘ Und sie gingen.
Als er aber um die elfte Stunde hinausging, das ist fünf Uhr nachmittags, sah er immer noch ein paar herumstehen, die wahrscheinlich erst um zwölf Uhr aufgestanden waren. Er sagte: ‚Geht ihr auch noch in den Weinberg, ich gebe euch, was gerecht ist.‘
Als es Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: ‚Rufe die Arbeiter und zahle ihnen den Lohn, angefangen von den Letzten bis zu den Ersten.‘
Die Arbeiter, die um die elfte Stunde gekommen waren und nur eine Stunde gearbeitet hatten, empfingen je einen Denar. Als aber die Ersten kamen, die zwölf Stunden gearbeitet hatten, meinten sie, dass sie mehr bekommen würden. Freunde, das würde ich auch denken.
Auch sie empfingen je einen Denar. Als sie den Lohn erhielten, murrten sie gegen den Hausherrn und sagten: ‚Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast uns gleichgestellt, die wir die Last des Tages und die Hitze ertragen haben.‘
Der Hausherr antwortete ihnen: ‚Freund, ich tue dir nicht unrecht. Wir haben doch einen Denar besprochen, und den hast du bekommen. Nimm ihn. Ist es mir nicht erlaubt, mit meinem Eigentum zu tun, was ich will? Oder bist du böse, weil ich so gütig bin?‘
Das ist eine interessante Geschichte. Ich leite einen Bauernhof mit etwa dreißig Mitarbeitern, ähnlich wie hier. Ich sage euch: Wenn ich meine Mitarbeiter so behandeln würde, wäre ich inzwischen alleine auf dem Bauernhof. Ich glaube, ich hätte keine mehr.
Diese Geschichte ist nicht logisch, aber sie steht in der Bibel.
Der verlorene Sohn als Beispiel für unverdiente Gnade
Es ist auch interessant, gewisse Politiker oder Sportler zu beobachten, wenn sie reden – so wie ich. Sie halten Vorträge, das gibt es. Vor ein paar Jahren hat Elgor in Wien gesprochen. Er hat eine Stunde gesprochen. Wisst ihr, was er für diese eine Stunde verdient hat? 180 Euro. Wenn ich für dieses Wochenende die Hälfte davon bekomme, bin ich voll zufrieden. Wisst ihr, was das für ein Wahnsinn ist?
Ich finde es nicht fair. Andere Leute bereiten sich nicht besser vor als ich, aber sie verdienen nicht nur zweimal so viel oder zehnmal so viel. Sie verdienen tausendmal so viel und haben denselben Aufwand wie ich. Das finde ich ungerecht.
Es gibt eine andere Geschichte in der Bibel, die wir unter dem verlorenen Sohn kennen. Ich nenne sie den ungerechten Vater. Da war ein Vater, der hatte zwei Söhne. Der eine, der Ältere, war eher der Brave. Er arbeitete fleißig jeden Tag im elterlichen Hof. Dem Jüngeren wurde das zu blöd. Er sagte zum Vater: „Gib mir mein Erbe, ich will ein bisschen Spaß haben.“ Und wir lesen, der Vater gab es ihm – überraschenderweise. Er gab ihm in bar die Hälfte von seinem Erbe, obwohl er noch lebte.
Der Vater war sicherlich maßlos enttäuscht. Aber der Junge haut ab und verprasst sein Geld. Wir lesen in der Bibel, dass er viel gesoffen hat, an leichte Mädchen und Prostituierte Geld ausgegeben hat. Ein Junge hat mal nach dem Kindergottesdienst auf die Frage seiner Mutter, welche Geschichte der Pfarrer erzählt hat, gesagt: „Vom verlorenen Sohn.“ Und als die Mutter fragte, was da passiert sei, antwortete er: „Er hat das Geld für Wein und Frauen verwendet und den Rest verschwendet.“
Aber was interessant ist: Dieser Sohn, der alles einfach verprasst hat, wofür der Vater Jahrzehnte gearbeitet hat, dem geht es dann extrem schlecht. Er muss Schweinefutter essen, und nicht einmal das bekommt er genug. Dann sagt er sich: „Eigentlich bin ich blöd. Mein Vater hat Arbeiter, denen geht es besser. Ich bereue es jetzt. Ich gehe zum Vater zurück, dann geht es mir besser.“
Dann kehrt dieser Nichtsnutz zurück zu seinem Bauernhof, zum elterlichen Hof. Und wir lesen in Lukas 15,20: „Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater, wurde innerlich bewegt, lief hinaus, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: ‚Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.‘ Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: ‚Bringt schnell das beste Gewand heraus, zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße. Bringt das gemästete Kalb, schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein. Denn dieser mein Sohn war tot und ist lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.‘“
Der Vater stand jeden Tag auf der Terrasse und schaute, ob sein Sohn vielleicht heute zurückkommt. Als er eine kleine Figur am Horizont sah, lief er hinaus. Übrigens ist das die einzige Stelle in der ganzen Bibel, in der Gott beschrieben wird, dass er läuft. Er läuft hinaus, umarmt diesen nutzlosen Sohn, macht ein Fest, bekleidet ihn und erhebt ihn wieder zu seinem Sohn.
Der ältere Sohn arbeitete in der Zwischenzeit brav auf dem Feld. Da gingen die Sklaven hinaus und sagten: „Dein jüngerer Bruder ist zurückgekommen, und der Vater macht ein Fest. Komm auch!“ Aber der ältere Bruder wurde zornig. Er schuftete Tag für Tag, Jahr für Jahr, damit der elterliche Hof gut lief. Und jetzt kommt dieser Holodri, dieser Nichtsnutz zurück, und der Vater macht ein Fest.
Er ist jahrelang brav zu Hause geblieben, kein Fest für ihn. Er, der es verdient hat, bekommt nichts. Und der andere, der es nicht verdient hat, bekommt alles. Der ältere Sohn findet das absolut ungerecht. Und wenn ich ehrlich bin, ich auch.
Die zentrale Lektion: Gnade als Geschenk und nicht als Verdienst
Wisst ihr, was wir aus all diesen Geschichten lernen? Das ist der Schlüssel: Wir lernen, dass Gnade kein Lohn ist, sondern immer ein Geschenk. Du kannst dir Gnade mit nichts verdienen – weder durch Arbeiten, noch durch Bravsein, Düchtigsein oder Gutsein. Gnade kannst du nur empfangen.
Als Empfänger der Gnade stehen wir letztlich alle gleich da, egal ob wir gut oder böse gelebt haben. Als Empfänger der Gnade sind wir alle gleich – und das irritiert uns, weil es ungerecht zu sein scheint. „Einer hat mal so gemacht ...“ Das Kreuz ist der große Gleichmacher, es macht uns alle gleich.
Als 15-Jähriger habe ich Jesus kennengelernt, und zwar in unserer evangelischen Kirche in der Ramsau. Wir hatten einen Jugendwart, der uns von Jesus erzählt hat. Irgendwie wusste ich als 15-Jähriger, dass das, was er sagte, stimmte. Übrigens, das kann man nie wirklich erklären. Wenn man zu Jesus findet, fragen viele: „Warum hast du Jesus angenommen?“ Ich kann das nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich zugehört habe und wusste, dass das, was er sagt, die Wahrheit ist. Warum ich das wusste, weiß ich nicht, aber ich wusste es. Es ist eine Offenbarung.
Ich konnte mit 15 Jahren nicht prüfen, ob alles, was er sagte, korrekt war. Aber ich wusste, dass es wahr ist. Wenn du Jesus Christus annimmst, weißt du einfach, dass er die Wahrheit ist. Wahrheit bekommst du nur durch Offenbarung. Gott offenbart sich dir, und du weißt es.
Damals habe ich verstanden, dass meine Sünden vergeben sind. Ich wollte auch nicht in die Hölle kommen, sondern lieber in den Himmel. Das war einer der Gründe, warum ich „ja“ gesagt habe. Aber dann dachte ich: „Jetzt hat Jesus so viel für mich getan, jetzt muss ich auch etwas für ihn tun.“
Mein Bild damals war: Ich muss halt zum Jugendkreis gehen – ob es Spaß macht oder nicht. Ich sollte in die Kirche gehen, es sei denn, das Wetter ist schön. Zum Gebetskreis bin ich auch gegangen, obwohl das das war, was ich am wenigsten mochte. Ich habe immer als Erster gebetet, weil beim Fünften waren die ganzen guten Phrasen aufgebraucht. Aber ich habe es überlebt.
Als ich etwa achtzehn war, dachte ich mir: „Das Christsein schaffe ich irgendwie nicht. Das ist mir zu anspruchsvoll, moralisch gesehen. Das muss für bessere Menschen gemacht sein als für mich.“ Ich habe da mehr oder weniger nicht den Rücken gekehrt, aber den Stecker gezogen und einfach gelebt wie alle anderen auch.
Ich bin nicht mehr zum Jugendkreis oder zur Kirche gegangen, aber Jesus war trotzdem bei mir. Ich kann mich gut erinnern: Die Bibel habe ich nie ganz weggelegt. Einmal im Monat habe ich darin gelesen, meistens aus dem Buch Prediger. Das hat mir am besten gefallen, weil da stand: „Erfreue dich an den Tagen deiner Jugendzeit.“ Und ich dachte: „Ja, genau!“
Dann steht dort zwar, dass Gott dich zur Verantwortung ziehen wird, aber das kannst du dir auslassen – es wird dann wieder besser. Damals wusste ich, dass Jesus bei mir ist, aber ich dachte: „Wenn Jesus jetzt zurückkommt, sieht das nicht gut aus. So kann er mich nicht in den Himmel nehmen.“ Das habe ich irgendwie so gedacht, weil mein Leben eben nicht das widerspiegelte, was ich glaubte oder reflektieren müsste.
Begegnungen und Erfahrungen mit Gnade im Alltag
Heute ist es oft genau umgekehrt. Meine Frau und ich haben uns in einer Bar kennengelernt. Ich war Barkeeper. Zwar war ich Christ, aber ich habe nicht wirklich mit Jesus gelebt. Meine Frau war damals noch Heide. So haben wir uns getroffen, und seitdem hat Gott viel in unserem Leben getan.
Wir gehen auch heute gern in Bars. Bei uns sind das ganz nette Bars, wo ich auch mal eine Gabel habe und so. Es ist immer interessant, denn die Leute fangen meistens an, über Gott zu reden, wenn sie mich an der Bar sehen.
Übrigens ist es wichtig: Du musst zu den Menschen hingehen. In der Kirche triffst du nicht immer die Verlorenen. Du musst rausgehen zu den Leuten, sie lieben und gernhaben.
Mir ist schon einmal Folgendes passiert: Eine Frau, die schon ein paar Bier getrunken hatte – übrigens nach dem fünften Bier werden sie oft gesprächiger – sagte zu mir: „Du bist ja so viel besser als ich.“ Ich fragte sie, warum sie das sagt. Sie antwortete: „Weil du über Gott redest, Bücher schreibst und Menschen von Jesus erzählst. Ich tue das alles nicht.“ Sie war überzeugt, dass ich den Himmel schon verdient hätte, aber sie nicht. „Ich bin doch so viel schlechter als du“, meinte sie.
Daraufhin sagte ich ihr: „Weißt du was? Die Wahrheit ist, wir sitzen alle im selben Boot. Du und ich, wir brauchen beide Vergebung. Es ist völlig egal, wo du gerade stehst. Ich brauche Vergebung, du brauchst Vergebung.“
Es ist aber so, dass viele denken, manche hätten den Himmel ein bisschen verdient und andere eben nicht. Wenn man Leute fragt: „Was musst du glauben, um in den Himmel zu kommen?“, sagen sie oft: „Da musst du halt gut leben oder anständig sein.“ Das ist aber nicht biblisch. Die Bibel sagt, dass wir alle Sünder sind.
Was wir tun müssen, ist, zu Jesus zu kommen. Jesus sagt: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Kommt zu mir, und ich will euch die Ruhe geben, die ihr braucht.“ Es ist wie beim verlorenen Sohn: Wir müssen einfach zu ihm kommen, egal wo wir gerade stehen.
Ich habe auch festgestellt, dass viele Christen über Gnade reden – sehr viele, fast alle – aber viele leben nicht aus Gnade.
Gnade als Geschenk und die Unterscheidung von Religion
Gott teilt auch heute ein Geschenk an dich aus; er zahlt dir keinen Lohn. Wenn Gott uns den Lohn geben würde, würde das nicht gut für uns aussehen. Paulus schreibt es so schön in Römer 6,23: Er sagt, der Lohn der Sünde ist der Tod, das Geschenk Gottes aber ist ewiges Leben in Christus.
Für den gerechten Lohn ist die Sünde zuständig. Die Sünde zahlt den gerechten Lohn an dich. Für das unverdiente Geschenk ist Jesus zuständig. Er gibt dir ein unverdientes Geschenk.
Wenn wir den Unterschied zwischen Lohn und Geschenk lernen zu verstehen, dann lernen wir auch den Unterschied zwischen Religion und Jesusbeziehung zu verstehen. In der Religion geht es immer um Leistung und um Lohn. In der Religion wird genau gerechnet, und am Ende wird abgerechnet. Religion belohnt durch Leistung, Gott schenkt Gnade.
Es war mal faszinierend: Ich habe irgendwo in Deutschland gepredigt. Dort waren zwei junge Moslems, die zugehört haben. Das habe ich sehr geschätzt. Übrigens sollten wir uns mit anderen Religionen beschäftigen, das ist wichtig. Wir sollten lernen, was andere Leute denken und glauben.
Diese beiden jungen Moslems kamen zu meinen Vorträgen. Nach meinem zweiten Vortrag kamen sie zu mir. Sie waren junge gläubige Moslems, aber sie wollten wissen, was die Bibel sagt. Sie waren ein bisschen aufgebracht, weil sie mich gefragt haben: Wie ist das, wenn ich die Sünden meines Vaters erbe? Denn in der Bibel steht, dass die Sünde bis ins zweite und dritte Glied reicht, und das hatten sie gelesen.
Sie sagten: Wenn ich jetzt auch die Sünden meines Vaters übernehme, dann sieht es mit mir schlecht aus. Im islamischen Glauben ist das Verständnis, dass du deine sündigen Taten mit deinen guten Taten aufwiegen musst. Das war ihnen voll bewusst. Wenn jetzt aber die Sünden des Vaters auch noch dazukommen, dann ist das ein Stress. Noch mehr, wenn die Sünden des Großvaters dazukommen.
Das war ein ganz ehrliches Anliegen, über das sie sehr bestürzt waren. Ich habe festgestellt, dass sie zwar das Wort Gnade kennen, aber nicht das Konzept von Gnade. Mein Verdacht ist, dass auch viele Christen das Konzept von Gnade nicht verstanden haben.
Gott und sein Sohn haben keine Religion gestiftet. In der Religion kannst du verdienen. Gott kam und hat sich selbst gegeben als ein Geschenk an uns, weil er uns liebt.
Wir haben es vorhin gesungen: Vater des Lichts, du freust dich an deinen Kindern. Glaubst du, dass Gott sich an dir freut? Viele Christen glauben das nicht. Sie sagen: Ja, Gott freut sich über die, die Musik machen, über dich, der du predigst, über den, der in die Mission geht – aber doch nicht über mich.
Psalm 139 ist ein wunderbarer Vers, in dem David betet und sagt: Danke, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin. Hast du das schon mal gebetet? Danke, Gott, dass du mich wunderbar gemacht hast. Gott hat dich wunderbar gemacht, das darfst du sagen. Er freut sich an seinen Kindern.
Wir haben auch vorhin gesungen: Wie gut du von mir denkst. Das war mir nicht klar, und ich befürchte, es ist uns nicht klar, wie gut Gott von uns denkt.
Die Gerechtigkeit Gottes und das Opfer Jesu
Jetzt kommt ein berechtigter Einwand: Ja, aber ist Gott aus der Bibel nicht genauso gerecht? Ist Gott nicht gerecht?
Natürlich, das stimmt. Gott ist absolut gerecht. Darum, Freunde, gibt es keine billige Gnade, wie Bonhoeffer den Ausdruck geprägt hat. Es gibt keine billige Gnade. Gott ließ sich sein Geschenk an dich alles kosten. Er hat alles gegeben, was er geben kann, nämlich sich selbst in seinem Sohn Jesus Christus.
Ich weiß nicht, wer von euch den Film „Der letzte Kaiser“ gesehen hat. Der letzte Kaiser von China – hat das denn jemand gesehen? Ein interessanter Film, den muss man sich mal anschauen. Dort wird die Geschichte vom letzten Kaiser von China erzählt. Ob das alles so war, ist keine Ahnung. Aber der Kaiser und sein Sohn wurden damals als Gottheiten angesehen. Du warst Gott als Kaiser. Dem Sohn als kleinem Jungen standen tausend Eunuchen zur Verfügung. Er lebte in einer Märchenwelt, einer Welt, die es draußen nicht gibt.
Einmal, als der Sohn schon ein gewachsener Teenager war, wurde er gefragt, ob er bestraft würde, wenn er ungehorsam oder böse sei. Und der Sohn des Kaisers sagte: „Ja, wenn ich böse bin, dann wird einer meiner Diener dafür bestraft.“ Wenn der Meister böse war, wurde der Diener verprügelt, denn Sünde und Ungehorsam fordern ihren Lohn.
Und wisst ihr, was fantastisch ist? Gott hat diesen Brauch umgekehrt. Wenn der Diener böse ist, dann wird der Herr verprügelt. Jesus trug für uns den Lohn der Sünde, und das ist der Tod. Nur darum kann er uns begnadigen. Das ist keine billige Gnade, es hat ihn alles gekostet.
Und wisst ihr, wenn ein Mensch sagt: „Ja, aber Gott, irgendwie ist mir das zu wenig“, wisst ihr, was Gott sagt? „Ich habe zwar das Universum geschaffen, aber ich bin bankrott. Ich habe nichts mehr zu geben. Ich habe meinen Sohn gegeben und mehr habe ich nicht.“
Die Mathematik der Gnade funktioniert deshalb, weil Gott selbst den Preis, den Lohn der Sünde, bezahlt hat. Darum ist Gnade ein Geschenk, das dem Geber alles kostet und dem Empfänger gar nichts. Und deshalb ist die Gnade Gottes unlimitiert.
Die Wirkung der Gnade: Wiederherstellung der Beziehung zu Gott
Was bewirkt nun die Gnade? Die Gnade Gottes bewirkt, dass wir wieder in Beziehung mit Gott leben und uns an dieser Beziehung freuen dürfen.
Ich habe gestern darüber gesprochen: Leben besteht aus Beziehungen. Beziehungen zu haben bedeutet Leben. Diese Beziehung zwischen Gott und Mensch ist durch Gnade wiederhergestellt. Wir haben Zugang zu Gott und können frei mit ihm reden.
Wenn du im Wald spazieren gehst, kannst du mit ihm reden. Wenn du im Auto fährst, kannst du mit ihm reden. Du kannst auf ihn hören – es ist frei. Diese Abnabelung, die am Anfang der Bibel stattfand, als Adam, der erste Mensch, sich von Gott abnabelte, ist wieder aufgehoben. Die Verbindung ist wiederhergestellt. Wir können wieder mit Gott kommunizieren und mit ihm leben.
Ich weiß nicht, ob du das schon einmal erlebt hast – die meisten von euch wahrscheinlich schon –, wie weh es tut, wenn sich ein Mensch, den du liebst, von dir abwendet. Es kann sein, dass vielleicht eines deiner eigenen Kinder, als es größer geworden ist, dir den Rücken gekehrt hat, obwohl du dein ganzes Leben in dieses Kind investiert hast.
Es kann sein, dass ein Partner, ein Ehepartner, mit dem du jahrelang gelebt und vertraut hast, einfach aufgestanden ist, dir den Rücken gekehrt hat und weggegangen ist – für alle Zeit. Wenn du das erlebt hast, dann weißt du, wie weh das tut.
Genau das ist geschehen, als der Mensch, den Gott so liebt, sich von Gott weggedreht und sich von seinem Liebhaber abgenabelt hat. Für Gott war dieser Schmerz so unerträglich, dass er sich selbst hingegeben hat, um die Verlorenen wiederzugewinnen.
Und das ist Gnade.
Es ist so wunderschön formuliert in Johannes 1,16-17, wo wir lesen: „Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit aber sind durch Jesus Christus geworden.“
Wir haben Gnade um Gnade empfangen. Es ist nur ein Geschenk.
Die Freude und Freiheit der Nachfolge durch Gnade
Als ich das verstanden habe, wisst ihr, was das bei mir bewirkt hat? Ich habe angefangen, mich zu freuen, zu Jesus zu gehören. Jüngerschaft, Nachfolge ist keine lästige Pflicht, die mir als Christ auferlegt ist. Es ist eine Freude, mit Jesus zu leben. Ich möchte keinen einzigen Tag davon missen.
Das ist es, wenn Gnade dein Leben erfüllt – die Gnade Jesu. Und seht ihr, wir müssen nicht versuchen, Gott zufriedenzustellen oder religiöse Punkte zu sammeln. Wir dürfen aus Freude, weil wir angenommen sind, in der Nachfolge Jesu leben.
Ich wünsche mir so sehr, dass keiner von euch dieses Zelt verlässt, ohne zu verstehen: Es ist ein freies Geschenk. Du bist wertvoll und geliebt. Es hat Gott alles gekostet, und es kostet dich nichts. Du bekommst alles.
Abschlussgedanken zur Lebensbestimmung und zum Gebet
Und zum Abschluss habe ich einmal gelesen, dass es zwei wichtige Tage in deinem Leben gibt. Der erste wichtige Tag ist der Tag, an dem du geboren wurdest. Das ist sehr bedeutend, denn sonst wärst du ja nicht hier.
Der zweite wichtige Tag ist der Tag, an dem du erkennst, wozu du geboren bist: nämlich zur Beziehung mit Gott und mit anderen. Dafür hat Gott uns die Gnade geschenkt durch Jesus Christus. So können wir mit Gott reden.
Ich möchte mit einem Zitat schließen, das ich einmal über den Sinn von Gebet, von Beziehung und von Kommunikation gelesen habe. Es fragt: Welchen Sinn macht es, wenn wir Gott im Gebet Dinge erzählen, die er schon weiß? Oder Fragen stellen, die er längst beantwortet hat? Bitten aussprechen, deren Erhörung er bereits eingeleitet hat?
Abgesehen von seiner Liebe macht das keinen Sinn. Aber angesichts seiner grenzenlosen Zuneigung zu uns können wir gar nicht zu oft vor ihn treten, nicht zu lange mit ihm sprechen und nicht zu viel von ihm erbitten. Denn Gott ist in seiner Liebe nicht darauf aus, nur Bitten zu hören, sondern uns zu hören.
Er möchte nicht etwas Neues von dir hören, sondern dich hören – immer wieder aufs Neue. Gott will nur dich hören, weil er dich liebt. Du musst im Gebet nichts Neues erzählen, nichts erfinden. Er will nur dich hören, weil er dich liebt.
Ich bete noch: Lieber Vater, es ist ein großes Vorrecht, dass wir die Gnade empfangen dürfen, die du für uns ermöglicht hast. Danke, Herr Jesus, dass du dich nicht gescheut hast, bis ans Ende zu gehen, damit wir begnadigt werden können – nicht aus eigenem Tun, nicht durch Punkte sammeln, nicht durch religiöse Übungen, sondern allein, weil du uns beschenken möchtest.
Und dieses Geschenk an uns bleibt nicht ohne Wirkung. Es schenkt uns Freude in der Nachfolge, Freiheit in der Nachfolge ohne Angst und Freude über uns selbst, weil du uns liebst und schätzt.
Herr, wenn du für uns bist, wie können wir dann gegen uns sein? Wenn du für uns bist, dann können auch wir für uns sein. Dann können auch wir frei sein. Dafür danke ich dir.
Danke, dass alles an dir liegt und wir die Empfänger sind. Danke, dass wir darin leben dürfen, voneinander lernen und von dir lernen dürfen. Danke auch für diese Tage hier, die uns daran erinnern, was Wahrheit ist, und uns daran erinnern, als freie Kinder Gottes in dieser Hingabe, in dieser freudvollen Hingabe dir nachzufolgen. Amen!
Auf dem Missio Camp 2013 sprach Hans-Peter Reuer zum Thema „Er lebt“. Mehr Informationen zum Missio Camp finden Sie auf missio-camp.de.