Einleitung: Die Bedeutung der drei Gleichnisse im Lukas-Evangelium
Wir kommen heute zum letzten Abschnitt im Lukas-Evangelium, Kapitel 15. Anhand von drei Bildern macht Jesus seinen Zuhörern deutlich, wie wichtig und wertvoll Gott die verlorenen Menschen sind. Er zeigt, wie groß seine Freude ist, wenn ein verlorener Mensch Buße tut und seine Gesinnung ändert.
Denn die Pharisäer und Schriftgelehrten ärgerten sich über das Verhalten Jesu. So heißt es eingangs dieses Kapitels: „Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Das war die ausschlaggebende Aussage zu den drei Bildern, die Jesus ihnen dann erzählte.
In der Erzählung vom verlorenen Sohn wird deutlich, was mit dem jüngeren Sohn geschehen ist. Er ist nicht einfach mit seiner alten Einstellung zurückgekehrt – das ist ganz wichtig. Er hat zuerst seine Gesinnung geändert und ist dann zum Vater gekommen.
Der Vater rennt seinem Sohn entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Dieser verlorene Sohn, der, wie wir später hören werden, von seinem Bruder beschuldigt wird, er habe das Vermögen mit Huren verprasst, wird vom Vater herzlich aufgenommen. Der Vater umarmt ihn, küsst ihn und gibt ihm alles zurück, was er braucht, um die Würde eines rechtmäßigen Sohnes wiederzuerlangen.
Dann beginnt ein großes Fest im Hause.
Die Reaktion des älteren Sohnes und die Einladung des Vaters
Und nun wendet sich Jesus in der weiteren Erzählung direkt und offen seinen Zuhörern zu, nämlich den Pharisäern und Schriftgelehrten.
Er erzählt, wie es dem zweiten Sohn, dem älteren Sohn, erging. Dies wollen wir uns gemeinsam ansehen, und zwar in Lukas 15. Wer eine Bibel hat, kann gerne mit aufschlagen. Ich lese ab Vers 25.
Der Sohn ist zurückgekehrt, der Vater hat ihn begrüßt und ihn wieder in seine Würde als rechtmäßiger Sohn eingesetzt. Er veranstaltet ein großes Fest, bei dem das gemästete Kalb geschlachtet wird. Alle sind fröhlich im Haus.
Der ältere Sohn aber war auf dem Feld. Als er sich dem Haus näherte, hörte er Singen und Tanzen. Er rief einen der Knechte zu sich und fragte, was das zu bedeuten habe. Der Knecht antwortete: „Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.“
Daraufhin wurde der ältere Sohn zornig und wollte nicht hineingehen. Der Vater ging hinaus und bat ihn. Doch der Sohn antwortete seinem Vater: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot nie übertreten. Du hast mir nie einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich sein konnte. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.“
Der Vater entgegnete: „Kind, du bist doch allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist auch dein. Du sollst fröhlich und guter Dinge sein. Denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden worden.“
Jesus sagt diesen Pharisäern und Schriftgelehrten: Seid nicht so lieblos. Öffnet euer Herz für das, was sich vor euren Augen abspielt.
Die Haltung des älteren Sohnes und die Spiegelung der Pharisäer
Wir sehen im ersten Teil einmal in das Herz des Sohnes, und im zweiten Teil betrachten wir das Herz des Vaters.
Ich hoffe, dass ich im zweiten Teil noch dazu komme, denn ich hatte heute Nacht einen Traum: Ich predigte, und während meiner Predigt streckte eine Frau die Hand hoch und fragte, ob ich bald fertig wäre, da sie ihren Haushalt machen und kochen müsse. Danach entstand ein Aufruhr, weil ich zu lange predigte und noch nicht einmal die Hälfte meiner Predigt erreicht hatte. Ich hoffe also, heute über den ersten Punkt hinauszukommen.
Der ältere Sohn kehrte vom Feld zurück. Als er nahe an sein Haus kam, hörte er Singen und Tanzen. Offenbar war er einer der Letzten, die zurückkehrten. Die anderen schienen schon Feierabend zu haben. Ein fleißiger Sohn, der diesen Vater hat.
Er geht nun nicht, wie ich es vielleicht gemacht hätte, ins Haus, um zu sehen, was los ist und was gefeiert wird. Stattdessen ruft er einen Knecht zu sich, der ihm berichten soll, was im Haus vor sich geht. Der Knecht sagt ihm: „Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder hat.“
Der Knecht verstand selbst nicht genau, was hier wirklich vor sich geht. Er kennt den wahren Grund der Freude nicht. Der Grund war nicht, dass der jüngere Sohn gesund zurückkam, sondern dass er seine Gesinnung änderte und zum Vater zurückkehrte. Das war der Grund der Freude.
Der ältere Sohn wurde zornig, er wurde verrückt. Er weigerte sich, an diesem Fest teilzunehmen, und ging nicht ins Haus. Dieses Verhalten ist typisch für die Pharisäer. Sie müssen zuerst wissen, was vor sich geht. Sie können nicht selbst hineingehen und sich ein Bild davon machen, was sich abspielt. Denn dann würden sie sich womöglich verunreinigen.
Genauso reagieren sie auf Jesus. Als er zu den Sündern und Zöllnern ging, heißt es: „Als die Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, dass er mit den Sündern und Zöllnern aß, sprachen sie zu seinen Jüngern: ‚Wie kann er nur mit Sündern und Zöllnern essen?‘“ Sie wären nie hineingegangen, weil sie sich verunreinigt hätten. Sie wollten wissen, was vor sich geht, aber sie ließen sich nicht darauf ein, sich hinzusetzen, zuzuhören, zu sehen und zu beobachten, was Jesus tat, was er sagte und wie er mit diesen Menschen umging. Nein, denn das hätten sie in ihren Augen als Verunreinigung und Sünde betrachtet.
Die innere Haltung des älteren Sohnes und sein Konflikt mit dem Vater
Dieser ältere Sohn steht also vor dem Haus und weigert sich, am Fest teilzunehmen. Ein innerer Widerstand hält ihn einfach davon ab.
Sein Vater ging nun zu ihm hinaus und bat ihn, sich an diesem Fest zu beteiligen. Daraufhin kommt Folgendes aus dem Sohn heraus: Was hindert ihn daran, am Fest teilzunehmen? Er sagt: „Siehe, Vater, viele, viele Jahre habe ich dir gedient und nie ein Gebot übertreten. Nichts kannst du gegen mich vorbringen, und nie hast du mir einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich sein konnte.
Nun aber, da dieser dein Sohn — nicht mein Bruder, sondern dein Sohn — gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. Vater, du bist ein ungerechter Mann! Du weißt gar nicht, was du mir antust. Du bist dir nicht bewusst, wie viel Opfer und Eifer ich aufgewendet habe, um dir zu gefallen.
Und jetzt kommt dieser dein Sohn daher, und du schlachtest ihm das gemästete Kalb, während du mir nicht einmal einen Bock gegeben hast. Ungerecht, Vater, ich kann das nicht begreifen. Wie kannst du so sein? Mit aller Kraft und Treue habe ich dir gedient und nie einen besonderen Lohn von dir bekommen.
Ja, dein Sohn — nicht mehr mein Bruder! Für ihn war er nicht mehr der Bruder. Der Bruder war für ihn gestorben, als er das Erbe nahm und wegzog. Dein Sohn — mit dem will ich gar nichts zu tun haben, geschweige denn an diesem Fest teilnehmen.“
Hier öffnet sich das Herz des älteren Sohnes. Er fühlt sich vom Leben betrogen. Er, der sich so angestrengt hat, der nie ein Gebot des Vaters übertreten hat, der bis spät in den Abend gearbeitet hat, während die anderen schon am Fest sind, kehrt erst jetzt zurück.
Er, der so viele Entbehrungen auf sich genommen hat, fühlt sich nun als der Betrogene. Denn sein Bruder, der das Leben genossen hat — so meint er — und alles auskostete, wird dafür auch noch belohnt. Das ist einfach nicht gerecht.
Das gesetzliche Wesen und die Heuchelei der Pharisäer
Mit dem Begriff „dieser Sohn“ oder „Elternsohn“ beschreibt Jesus in wenigen Worten das pharisäische beziehungsweise das gesetzliche Wesen. Diese Menschen sind überzeugt, keine Gebote Gottes verletzt zu haben. Sie sind sicher, dass sie alle Gebote einhalten. Viel Kraft wenden sie auf, um tadellos dazustehen. Dabei sind sie zutiefst überzeugt – ähnlich wie der ältere Sohn, der sagt: „Nie habe ich ein Gebot von dir übertreten, Vater.“
Viele Entbehrungen nehmen sie auf sich, doch was sie tun, geschieht ohne aufrichtiges Herz. Es sind Menschen, die auf einem extrem religiösen Weg in die falsche Richtung laufen. Jesus sagt über die Pharisäer: „Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln, denn sie sagen es zwar, tun es aber nicht.“
Zwischen ihrem Tun und ihrem Leben besteht ein großer Unterschied – ein riesiger Graben. Das, was sie beanspruchen zu sein und was sie sagen, steht in starkem Gegensatz zu ihrem tatsächlichen Verhalten. Sie sagen nicht unbedingt falsche Dinge, doch sie erfüllen das Gesetz nur äußerlich. Innerlich sieht es bei ihnen trübe und böse aus, nicht besser als bei einem hartgesottenen Sünder.
Jesus beschreibt dies mit einem eindrücklichen Bild: „Den Schriftgelehrten und Pharisäern sagt er: ‚Ihr Heuchler, ihr seid wie übertünchte Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen voller Totengebeine und lauter Unrat sind. So auch ihr: Von außen scheint ihr vor den Menschen fromm, aber innen seid ihr voll Heuchelei und Unrecht.‘“
Dieses Bild der Gräber, die außen getüncht sind und schön erscheinen, innen jedoch mit Totengebeinen gefüllt sind, verdeutlicht die Heuchelei der Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie machen einen schönen Anblick vor den Menschen. Sie verstehen es, sich so darzustellen, dass die Leute vor ihnen große Ehrfurcht haben. Doch wenn man ihnen näherkommt, stinkt es so sehr, dass man sie nur von außen betrachten will und nicht hineingehen möchte.
Die Liebe des Vaters und die Einladung zur Gemeinschaft
Dieser ältere Sohn schien außerordentlich rechtschaffen zu sein. Doch nun fühlt er sich bedroht und betrogen, und so wird sein Inneres offenbar.
Der Vater sagt zu ihm: „Alles, was mein ist, ist doch dein.“ Für ihn war kein besonderes Fest nötig. Jederzeit hätte er seine Freunde zu einem Fest einladen können. Er hatte das Verfügungsrecht über das Eigentum des Vaters und hätte jeden Tag ein Fest feiern können. „Was deines ist, ist mein.“ Vermutlich hatte er als verantwortungsbewusster Erwachsener nie Zeit gehabt, ein Fest zu veranstalten. Vielleicht hatte er bis zu diesem Tag auch nie ernsthaft an ein Fest gedacht.
Aber jetzt, wo ein Fest um seines Bruders willen gefeiert wird, kommen ihm all seine Gefühle hoch. Sein Herz kehrt sich nach außen, und die ganze Bitterkeit seines Inneren kommt in seinen Worten zum Ausdruck.
In der Schrift heißt es übrigens ein interessantes Wort für uns: „Was das Herz voll ist, davon geht der Mund über.“ Hier wird deutlich, was Jesus den Pharisäern vorwirft. Er nennt sie Heuchler, weil sie den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel geben – also von Dingen, die man zusätzlich tut. Das tun sie sehr genau. Aber sie lassen das Wichtigste im Gesetz beiseite: nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben.
Doch dies sollte man tun und jenes nicht lassen. Was sie im Gesetz nicht erkennen und nicht befolgen, sind das Recht, die Barmherzigkeit und der Glaube. Diesen Aspekten schenken sie nicht die nötige Beachtung. Dabei sind es gerade diese Aspekte, die zu einem gesunden Ausleben der anderen Punkte gehören.
Barmherzigkeit, Recht und Glaube lassen sich jedoch nicht einfach in eine Regel packen. Zum Beispiel: „Spende jede Woche einem armen Menschen hundert Franken, dann bist du barmherzig.“ So möchten wir Barmherzigkeit, Glaube und Recht verpacken. Das ist ein gesetzliches Denken, das die Barmherzigkeit in Regeln einpacken will, damit man sie „erledigen“ kann. Man denkt: „Ich gebe jede Woche dem Armen hundert Franken, dann habe ich meine Barmherzigkeit getan.“
Es wäre schön, wenn es so einfach ginge. Dann wären die Pharisäer sehr, sehr gut dran gewesen.
Die wahre Reinheit und die Gefahr der äußeren Frömmigkeit
In diesem Sohn begegnet uns das gesetzliche Wesen, der Glaube, der sich durch Werke Sicherheit schaffen will. Dabei sollen jedoch nicht die Werke im Vordergrund stehen, sondern die Haltung – veränderte Herzen und eine veränderte Gesinnung.
Jesus spricht zu den Juden, die sich darüber störten, dass die Jünger nicht die vorgeschriebenen Waschungen einhielten und sich ihrer Meinung nach dadurch verunreinigten. Er gibt ihnen eine ganz klare Antwort: Was aus den Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein – nicht das Nichtwaschen der Hände.
Obwohl die Jünger, wie es das Gesetz vorschrieb, saubere Hände hatten und jünger als die Pharisäer waren, hatten sie die vorgeschriebenen Waschungen nicht vollzogen. Aus Sicht der Pharisäer und Schriftgelehrten hatten sie sich dadurch verunreinigt. Jesus erklärt jedoch, dass die Unreinheit nicht von außen kommt, sondern von innen, aus dem Herzen der Menschen.
Er nennt die Dinge, die aus dem Herzen herauskommen: böse Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. All diese bösen Dinge machen den Menschen unrein.
Der Sohn hätte sich nicht unrein gemacht, wenn er das Haus betreten und sich am Fest beteiligt hätte. Unrein war seine Gesinnung; er war bereits unrein, obwohl er es nicht wusste. Er glaubte, durch seine Gesetze und seinen Fleiß rein zu sein, doch sein Herz war unrein.
In dieser Situation wurde sein Herz offenbar.
Die Herausforderung zur Selbstprüfung und Offenheit
Wir stehen in der Gefahr, diesem Sohn zu gleichen. Wir übertünchen unsere Gesinnung durch blendende Werke, wie Jesus den Pharisäern sagt: Alle ihre Werke tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß, ebenso diese übertünchten Gräber.
Wir besuchen vielleicht regelmäßig die Gottesdienste, was ich auch gut und richtig finde. Wir sind ganz treu in der stillen Zeit und holen sie vielleicht sogar nach, wenn wir sie einmal vergessen haben. Vielleicht machen wir dann sogar zwei stille Zeiten am nächsten Tag.
Wir haben vielleicht keinen Fernseher zu Hause, gehen nicht ins Kino, sind bestrebt, nie falsche Musik zu hören und bemühen uns, nichts zu kaufen, durch das wir falsche Leute unterstützen könnten. Wir achten genau auf das Äußere, auf die Kleidung, darauf, dass wir am richtigen Ort Krawatte tragen und dass die Haarlänge stimmt. Wir wissen genau, was sich gehört und was sich nicht gehört.
Aber wenn unser Herz voll böser Gedanken ist – Unzucht, Diebstahl, Mord (es reicht mir, nur eins oder zwei zu treffen), Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut und Unvernunft – dann sind wir nur überdüngte Gräber. Denn uns stinkt es grässlich.
Wir schaffen es vielleicht, Menschen zu täuschen, aber nie, nie wird sich Gott täuschen lassen, denn Gott sieht unser Herz. Der Vater kennt auch seinen älteren Sohn und lässt ihn nicht einfach so da stehen, ohne sich um ihn zu kümmern. Auch seinen älteren Sohn liebt er, er liebt ihn sehr.
Er geht zu ihm hinaus und spricht zu ihm. Er lässt ihn nicht einfach stehen – das ist typisch wieder für ihn. Nein, er geht zu ihm hinaus, eine demütigende Haltung dieses Vaters. Er geht zu seinem Sohn, bittet ihn und sagt: „Komm doch herein.“
Die liebevolle Ansprache des Vaters und die Einladung zum Fest
Komm herein und freue dich mit! Sein Sohn weigert sich, doch die Liebe des Vaters zu seinem Sohn wird in einem kleinen Wort in diesem Text besonders hervorgehoben. Luther übersetzt es mit „mein Sohn“, aber eigentlich steht dort nicht das Wort für Sohn.
In diesem Vers finden wir nicht das Wort „Sohn“, wie es im Vers 11 heißt: „Ein Mensch hatte zwei Söhne.“ Stattdessen sagt der Vater hier „Kind, Kind, Kind, hör doch!“ In diesem Wort „Kind“ spricht die ganze Liebe des Vaters zu seinem Sohn. Zu diesem Sohn, der ihn verachtet und sagt, er sei ungerecht, spricht der Vater ihn als „Kind“ an. Dieses Bild zeigt den Vater, der herauskommt, um seinen Sohn einzuladen.
Obwohl ihn sein Sohn verachtet, sieht der Vater ihn als seinen Sohn an und spricht ihn in einer ganz herzlichen und intimen Weise an: „Kind, hör doch!“ – „Kind, komm doch, freu dich doch mit!“ Dieses Bild vom Vater, der hier herauskommt und seinen Sohn zum Fest einladen will, entspricht genau dem, was Jesus in diesem Moment tut, als er mit den Pharisäern spricht.
Genau das tut Jesus: Er spricht mit den Pharisäern und versucht, sie zu gewinnen. Er möchte sie zu diesem großen Fest einladen. Er lässt sie nicht einfach stehen und sagt: „Ihr seid sowieso hoffnungslos verloren, ich gehe nur noch zu Zöllern und Sündern.“ Nein, er nimmt sich Zeit für sie. Jesus kümmert sich auch um diejenigen, die sich für gerecht halten und ihr böses Herz noch nicht erkannt haben.
Der Vater begegnet seinen Geschöpfen. Er möchte auch dir begegnen. Er kommt dir heute Morgen ganz nahe und lädt dich ein. Wenn du noch nicht zu ihm gehörst, ruft er dir zu: „Hör doch, hör doch auf mich, komm doch zu mir!“ Vielleicht hast du eine andere Vorstellung davon, wie Gott sein müsste oder wie er reagieren müsste. Vielleicht hast du ein ganz anderes Gottesbild.
„Komm doch, komm doch einmal zu mir! Lass dein Gottesbild fallen, das du dir irgendwo zusammengeschmiedet hast.“ Vielleicht hast du eine andere Überzeugung von Gerechtigkeit. Egal, wie du jetzt denkst: Ich möchte dich einladen, umzudenken. Ich möchte dich einladen, deine Gesinnung zu ändern.
Es ist mein Wunsch, mit dir das Fest zu feiern. Dafür habe ich alles vorbereitet. Ich habe einen hohen Preis dafür bezahlt. Ich habe meinen Sohn für dich geopfert – am Kreuz auf Golgata. Ich habe ihn geopfert, damit du wirklich frei werden kannst. Aus dir soll ein neuer Mensch werden. Ich werde dich neu machen. Für dich habe ich alles vorbereitet.
So heißt es im Korintherbrief: Der, der von keiner Sünde wusste, wurde für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit hätten, die vor Gott gilt (2. Korinther 5,21). Es ist entscheidend, dass wir diese Gerechtigkeit haben und gerecht werden, so wie es vor Gott gilt – nicht so, wie wir es meinen, nicht nach unserer eigenen Gerechtigkeit.
Der ältere Sohn hat seine eigene Gerechtigkeit, die er erarbeitet hat, ins Feld geführt. Aber nicht diese Gerechtigkeit bringt ihn zu diesem Fest, sondern die Gerechtigkeit Gottes.
Die Entscheidung des älteren Sohnes und die Einladung zur Freude
Ich möchte all jene einladen, die noch nicht das ewige Leben haben und nicht wissen, dass sie sich durch Gott, durch seinen Sohn Jesus Christus, versöhnen lassen können. Gerne bin ich bereit, ihnen dabei zu helfen und ihnen zu zeigen, wie sie zu Jesus kommen können.
Nun erklärt der Vater den wahren Grund dieses Festes. Es geht nicht darum, dass der Sohn gesund zurückgekehrt ist – dafür hätte es kein Fest gegeben. Er sagt, uns bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als uns zu freuen und fröhlich zu sein.
„Du solltest fröhlich sein und guten Mutes, denn dieser dein Bruder – ja, Kind, er ist immer noch dein Bruder, genauso wie dein Bruder immer noch mein Sohn ist. Dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“
Angesichts dieser Tatsache muss man doch einfach fröhlich sein. Man kann eigentlich nicht anders, als sich mitzufreuen.
Nun hält Jesus mit der Erzählung inne. Er nimmt den Pharisäern, Schriftgelehrten und seinen Zuhörern die Entscheidung nicht ab. Er steckt die Pharisäer nicht einfach in eine Schublade und sagt, ihr werdet sowieso Nein sagen.
Er zwingt sie auch nicht in die Schublade derer, die jetzt Ja sagen müssen, sondern lässt es offen. Sie müssen selbst entscheiden, was sie an der Stelle des älteren Sohnes tun würden oder als ältere Söhne.
Ob sie sich freuen und am Fest teilnehmen wollen oder ob sie weiter murren und mit Zähnenknirschen zusehen, wie Menschen ihr Leben verändern.
Die Herausforderung zur Freude und Offenheit für Gottes Wirken
An uns stellt sich die ernste Frage, ob wir uns noch über Gottes Handeln freuen können oder ob wir schon selbst so mit verschiedenen Dingen belagert sind, dass uns die Freude nicht hochkommen will.
Sind wir schon so kritisch, dass wir bei jeder Bekehrung erst einmal alles hinterfragen? War es wirklich echt? Ist er nicht durch eine Gefühlsregung überführt worden? War es nicht Massenmanipulation? Ich sage nicht, dass man sich diese Fragen nie stellen soll. Ich frage nur, ob wir sie nicht zu schnell stellen. Ich frage, ob wir nicht so überlagert sind mit allem, was sein darf und nicht sein darf, ob reflektiert oder unreflektiert, dass wir verschlossen sind für Gottes Wirken.
Wie soll ein Mensch noch wachsen und sich gesund bei uns entwickeln können, wenn er sich bekehrt und dann zuerst die Sporen abverdienen muss, bis man ihn endlich ernst nimmt, dass seine Bekehrung vielleicht wirklich ernst war? Zuerst der Beweis und dann unsere Offenheit und Liebe.
Oder muss ich einem Freund zuerst meine ganzen Glaubensräder in die Hand drücken, und dann macht er ein halbes Jahr Studium, sieht, was ich alles glaube, und dann gibt er mir die Hand und sagt: Du bist mein Bruder?
Ich habe nichts gegen Lehre. Und ich habe nichts gegen Trennung, damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich gehe an bestimmte Orte auch nicht hin, aus bestimmten Gründen. Trotzdem sind wir oft so verbaut, so verbarrikadiert, dass Gott vielleicht sogar sein Reich an uns vorbeibauen muss, weil wir eingemauert sind.
Wir setzen uns oft ständig unter Druck, um einander gegenseitig zu beweisen, wie gläubig und fromm wir sind. Dabei merken wir oft nicht, wie wir innerlich ausbrennen und wie sich hinter der schönen Fassade ein böses Herz entwickelt. Wir merken das nicht einmal.
Ständig dieser Stress, ständig dieser Druck, einander vorzuleben, wer wir sind, und dieser Krampf, schlussendlich sein Herz zu verbergen. Oft flüchten wir von unserem eigenen Herz, indem wir es mit Werken berichtigen wollen.
Es gibt einen Missionsreifer, der aus reinem Herzen kommt. Und es gibt einen Missionsreifer, der aus einem bösen Herzen kommen kann, der das böse Herz verdeckt, wo man sich sagt: Ja, ich habe doch so viele angesprochen, ich habe so viel getan, und dann bin ich doch nicht so schlecht.
Manchmal ist es vielleicht gut, dass wir mal unser Herz ansehen, mal ganz ehrlich sind mit unserem Herz, was sich da so regt, was da so kreucht und fleucht in meinen Gedanken. Vielleicht auch mal meine Motive unter die Lupe nehmen.
Ist es Angst, die eigentlich mein Leben bestimmt? Oder ist es wirklich das Vertrauen auf meinen Herrn? Fühlen mich Angst zu bestimmten Entscheidungen oder fühlen mich die Hingabe und die Liebe zu Jesus bei meinen Entscheidungen und Begegnungen?
Wir verlieren oft die Sensibilität für unser eigenes Herz und unsere eigene Gesinnung, weil wir alles so wissen, was recht ist und was nicht sein darf, das ist nicht.
Das ist ein interessantes Phänomen: Ein Christ darf nicht neidisch sein, das wissen wir. Und jetzt kann ich denken, wenn Neid mein Problem ist, kann ich denken: Wirklich, ein Christ darf nicht neidisch sein. Aber jetzt merke ich, ich bin neidisch. Herr, du siehst mein Herz, und ich will dir das abgeben. Ich will dir wirklich eingestehen, da ist ein Punkt, da muss ich dranbleiben. Hilf mir!
Ich kann das vielleicht auch einem Freund sagen, weil ich vielleicht einen Freund habe, der mich nicht daran misst, wie perfekt ich in meinem Glauben bin, sondern der mich vielleicht auch daran misst, wie aufrichtig und ehrlich ich im Bestreben bin, Jesus zu gefallen und ihn zu lieben.
Oder ich kann sagen: „Jetzt bin ich neidisch, aber das kann nicht sein, ich bin ja Christ, und ein Christ ist nie neidisch, also bin ich es nicht.“ Das kann alles überschütten, alles überschütten.
Die offene Einladung Gottes und die Aufforderung zur Selbstprüfung
Jesus überlässt den Pharisäern die Entscheidung, ob sie der Einladung des Vaters folgen wollen. Wenn sie dies tun, findet auch in ihrem Herzen eine Sinnesänderung statt.
Meiner Ansicht nach ist diese Sinnesänderung des älteren Sohnes nicht weniger bedeutsam als die des Jüngeren. Sind wir offen dafür, uns selbst zu prüfen und zu hinterfragen, ob wir vielleicht gesetzlich geworden sind? Es kann sein, dass wir uns, ähnlich wie dieser Sohn, dem Wirken Gottes verschließen, ohne es wirklich zu bemerken.
Wir sind oft davon überzeugt, absolut biblisch zu denken und zu handeln. Jesus muss der Gemeinde in Laodizea eine sehr ernste Botschaft überbringen. Diese Gemeinde war von sich selbst sehr überzeugt und glaubte, nichts zu brauchen. Doch Jesus sagt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“
Das bedeutet: Ich bin draußen. Ihr meint zwar, ihr habt alles, aber ihr habt nicht einmal realisiert, dass ich nicht mehr in eurer Mitte bin. Ihr habt euch verselbständigt. Ich stehe vor der Tür und klopfe an – bitte öffnet mir.
Könnte das vielleicht auch auf meine oder deine Situation zutreffen?
Zusammenfassung und Gebet
Ich fasse zusammen: Sei nicht so lieblos. Das Herz des Sohnes, dieses Elternteils, wird offenbar in dieser Situation. Sein jüngerer Bruder ändert seine Gesinnung, und der Vater feiert ein Fest, weil er sich darüber freut, dass sein Sohn, der verloren war, gerettet wurde.
Der Ältere kann das nicht begreifen. Er fühlt sich ungerecht behandelt vom Vater. Er, der so viel geleistet hat, der ihm treu geblieben ist und die Gebote gehalten hat. Jesus hält den Pharisäern und Schriftgelehrten, zu denen er spricht, einen Spiegel vor Augen und sagt: „Schaut hier hinein, dieser ältere Sohn, das seid ihr. Merkt ihr das nicht?“
Ihr meint, ihr hättet alles durch eure Werke erledigt. Ihr glaubt, gerecht zu sein durch das, was ihr geleistet habt. Aber merkt ihr nicht, dass das, was dieser ältere Sohn seinem Vater sagt, viel mit Neid und Habsucht zu tun hat? Dass es viel mit Missgunst zu tun hat?
Die Pharisäer und Schriftgelehrten wollten Werte durch Werke erhalten, die sich jedoch nicht halten lassen. Sie vergassen dabei das Wichtigste: das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben. Das sind Werte, die sich nicht durch ein Gesetz regeln lassen – nur annähernd.
Es gibt eben nicht das Gesetz der Barmherzigkeit, das sich erfüllen lässt. Das Gesetz der Reinheit, der äußeren Reinheit, lässt sich durch Waschungen erfüllen. Aber das Gesetz der inneren Reinheit lässt sich nicht durch irgendein Gesetz erfüllen, das man tun oder ableisten kann – weder mit hundert Franken noch mit tausend.
Doch genau diese Werte sind Gott außerordentlich wichtig. Wer diese Werte nicht in sich trägt, dem fehlt eigentlich die Antenne für das Wirken Gottes. Er hat die Antenne für das Gesetz, aber nicht mehr die Antenne für das Wirken Gottes.
So sagt Paulus dem Timotheus: „Die Hauptsumme aller Unterweisungen aber ist Liebe aus reinem Herzen, aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben.“ (1. Timotheus 1,5)
Wie sieht die Hauptsumme der Lehre in unseren Herzen aus? Wir beten: Ich möchte dir danken, Vater, dass du auch den Pharisäern in einer fast nicht begreifbaren Liebe begegnet bist. Ich danke dir, dass du sie nicht einfach so dastehen ließest. Du, Herr Jesus, hast dich bemüht, ihnen zu helfen, dass sie verstehen können, wo das Herz deines Vaters schlägt, um was es ihm geht, was ihn bewegt und was ihn freut.
Herr, hilf uns in unserem persönlichen Leben. Hilf uns als Gemeinde, dass wir mit deinem Herzschlag übereinstimmen. Dass wir verstehen, worum es dir geht. Dass wir lernen, mit uns selbst ehrlich und aufrichtig zu sein und uns nicht in Vorschriften und Gesetzen zu verbarrikadieren, die vielleicht gut und richtig sind, wenn wir sie halten.
Aber sie kommen nur dann wirklich zum Tragen und haben Kraft, wenn die innere Einstellung, unsere Gesinnung im Herzen stimmt. Es ist mein Wunsch, dass wir immer mehr lernen, vor dir aufrichtig zu sein und uns an dem zu freuen, woran du dich freust.
