Ja, dann darf ich auch alle ganz herzlich begrüßen, die heute ausnahmsweise an dem Reformationstag zur Allgäuer Glaubenskonferenz gekommen sind – heute vor 498 Jahren. Hätte niemand gedacht, dass sich weltweit einmal Menschen, Christen, an diesen Tag erinnern würden – fünfhundert Jahre später. Aber es war ein ganz wichtiger Tag, der wirklich eine Zeitenwende gebracht hat.
Ich bin dankbar, dass ich ohne Jackett zu euch sprechen darf. Wenn wir Männer in die Wechseljahre kommen, dann haben wir ab und zu solche Hitzewallungen. Das tut uns gar nicht gut, und somit ist es viel angenehmer, so leger zu euch sprechen zu dürfen.
Zu meiner Identität gehört unter anderem, dass ich seit 30 Jahren mit einer lieben Kärntnerin verheiratet bin. Die habe ich mal als Kriegsbeute von einem missionarischen Einsatz mitgebracht – hätte ich beinahe gesagt. Nein, so martialisch war es gar nicht, aber ich bin dankbar. Das ist das größte irdische Geschenk, das Gott mir gemacht hat. Das ewige Leben ist noch ein bisschen mehr, aber das größte irdische Geschenk.
Und danach kommen diese beiden: Meine Frau ist Kärntnerin, ich bin Hesse, aber wir haben badische Kinder. Die sind bei den Baden geboren – unser Sohn in Karlsruhe und die Tochter in Mannheim. Und wenn die Zeitplanung stimmt, kriegen wir nächstes Jahr Schwiegerkinder, gleich zwei Hochzeiten. Dann gibt es ein Jubeljahr im Hause Block sozusagen. Ja, nächstes Jahr zwei Hochzeiten innerhalb von sieben Wochen – mal sehen, ob wir das überleben.
Persönliche Einblicke und das Thema Identität
Jetzt kommt das Thema Identität.
Vor einiger Zeit traf ich bei einer solchen Veranstaltung einen Mann, den ich zum ersten Mal in meinem Leben sah. Umgekehrt war es genauso. Dann stellte er sich mir folgendermaßen vor: „Guten Tag, Herr Block, mein Name ist so und so. Ich habe vier Kinder. Mein Ältester ist Architekt, der zweite Ingenieur, die Tochter Ärztin und der Jüngste Rechtsanwalt.“
Da hatte er noch nicht viel gesagt, aber doch schon eine Menge über sich verraten. Wer war denn er? Er war nicht Heinz Müller, nein, er war der Vater von vier akademisch gebildeten Kindern. Wow! Da müssten jetzt einige schon rote Ohren bekommen. Wie gerne definieren wir Väter uns über den beruflichen Erfolg unserer Kinder!
Ihr jungen Leute, nicht dass ihr meint, wir hätten etwas dagegen, wenn ihr eine ordentliche Schulausbildung absolviert und auch einen guten Beruf lernt – als Eltern haben wir gar nichts dagegen. Aber was hat das mit unserer Identität zu tun, der berufliche Erfolg unserer Kinder?
Zunächst einmal gar nichts. Er hatte vielleicht auch einmal studieren wollen, dieser „Heinz Müller“ in Anführungsstrichen, und hatte es aus irgendeinem Grund nicht gekonnt oder geschafft. Nun definierte er sich offensichtlich über den beruflichen Erfolg seiner Kinder.
Wollen wir uns bitte nicht erheben über diesen Mann? Wollen wir ihn nicht belächeln? Vielleicht haben wir uns da schon wieder ein bisschen selbst gefunden.
Ich schickte einem bekannten Referenten – wenn ich den Namen sagen würde, würden alle ihn kennen – mein Buch zu dem Thema Identität. Da antwortete er mir schon nach wenigen Tagen: „Wilfried, du hast mich schon auf der ersten Seite erwischt.“ Denn ich hatte nämlich diese Geschichte im Buch beschrieben, die ich gerade erzählt habe, von dem Mann mit den vier Kindern.
Die Geschichte der Bibel ist eine Geschichte der Identität – geschenkte Identität.
Die biblische Grundlage der Identität
Geschenkte, verlorene und wiederhergestellte Identität
Gott hat uns Menschen in seinem Bild geschaffen und uns eine Identität geschenkt. Diese Identität ist jedoch verloren gegangen. Eine verlorene Identität kann aber wiederhergestellt werden – eine wiederhergestellte Identität.
Tatsache ist: Auf dieser Erde lebt kein Mensch ohne Identität. Das Wort „Identität“ kommt in der Bibel zwar gar nicht vor, ich werde gleich erklären, wie dieser Begriff entstanden ist. Zunächst möchte ich aber zeigen, dass das Thema Identität sehr wohl in der Bibel vorkommt.
Wer eine Bibel dabei hat, kann gerne mitlesen bei Johannes 1,19. Ich ermutige dazu, die Bibel zur Allgäuer Glaubenskonferenz mitzubringen. Falls die Vorträge einmal langweilig sein sollten, kann man wenigstens ein bisschen in der Bibel hin und her blättern. Also: Die Bibel zur Konferenz mitbringen, das ist ganz wichtig.
In Johannes 1,19-23 lesen wir von Johannes dem Täufer. Dort steht: Die Juden aus Jerusalem sandten Priester und Leviten, um ihn zu fragen: „Wer bist du?“ Johannes bekannte es und leugnete nicht. Er sagte: „Ich bin nicht der Christus.“ Identität hat auch damit zu tun, wer wir nicht sind. Johannes sagt ganz klar: „Ich bin nicht der Christus.“ Alle warteten auf den Messias, doch Johannes verneint dies.
Sie fragten ihn weiter: „Bist du Elija?“ Und er antwortete: „Ich bin es nicht.“ „Bist du der Prophet, von dem Mose in 5. Mose 18 gesagt hat, dass er kommen würde und viele Wunder tun wird?“ Johannes der Täufer hat, soweit wir wissen, kein einziges Wunder getan. Er antwortete erneut: „Nein.“
Nun sprachen sie zu ihm: „Wer bist du dann? Damit wir denen, die uns gesandt haben, antworten können. Was sagst du von dir selbst?“ Dabei fällt auf: Wer wir sind und was wir von uns selbst sagen, stimmt nicht immer überein. Manchmal behaupten wir Dinge von uns, blenden uns ein und dahinter steckt wenig Substanz. Die Frage lautet also: Was sagst du von dir selbst?
Jetzt schauen wir uns die Antwort an, die Johannes gibt. Er sagt: „Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste, macht gerade den Weg des Herrn“, so wie es der Prophet Jesaja gesagt hat.
Wir sehen, bei Johannes war das Denken über sich selbst und das Reden von sich selbst deckungsgleich. Er definierte sich nämlich über die Schrift. Er hatte seine Identität in der Schrift gefunden. In Jesaja und Maleachi war prophetisch von Johannes dem Täufer vorausgesagt worden. Dort hatte er sich entdeckt, seine Identität erkannt. Deshalb antwortet er hier: „Ich bin die Stimme eines Rufenden in der Wüste.“
Memmingen im Allgäu ist in keiner Weise eine Wüste. Aber ich möchte heute auch eine Stimme sein. Wenn es möglich wäre, dass ich für den einen oder anderen von euch die Stimme Gottes sein könnte, durch die er wieder angesprochen wird, wieder ermutigt und aufgerichtet wird, geistliche Wahrheiten versteht oder neu versteht, dann wäre ich sehr glücklich.
Also sehen wir: Hier geht es um Identität.
Begriff und Bedeutung von Identität
Nun, was bedeutet Identität? Der Begriff, wie ich eben schon sagte, kommt in der Bibel nicht vor. Ihr braucht also auch in der Konkurrenz nicht danach zu suchen. Er entstand erst Ende des sechzehnten Jahrhunderts und wurde vom lateinischen Wort idem abgeleitet. Eigentlich bedeutet das Wort Identität „das Gleiche“. Weil das schwer auszusprechen ist, hat man es geglättet zu Identite. Aber es heißt nicht Identität, wie manche Schwaben gerne sagen – jetzt habe ich gleich eine Volksgruppe beleidigt. Das können wir uns ja mal einprägen: Es heißt Identität.
Und das heißt auf Deutsch „der, die, dasselbe“. Identität ist die Lehre vom Gleichen. Bin ich immer derselbe? Habe ich eine innere Übereinstimmung mit mir selbst gefunden? Bin ich der, als den die anderen mich wahrnehmen? Oder bin ich heute bei der Konferenz der und heute Abend der und nächste Woche noch einmal ein anderer? Habe ich eine geistliche Ichspaltung, in der krankhaften Form eine Schizophrenie? Oder bin ich derselbe und habe eine Identität gefunden, die ich lebe?
Nun, das ist eine wichtige Frage. Wie ich sagte, zieht sich diese Frage durch die ganze Bibel und beschäftigt auch jeden von uns.
Entwicklung des Ich-Bewusstseins und Identitätsfragen im Leben
Um die Frage stellen zu können: Wer bin ich?, muss man zunächst einmal ein Ich-Bewusstsein haben.
Ihr könnt euch nicht mehr daran erinnern, aber ihr seid ohne Ich-Bewusstsein zur Welt gekommen. Erst nach einigen Wochen, als ihr mit euren Fingerchen und Fußzehen gespielt habt, dachtet ihr zunächst, das sei noch alles eins mit der Umwelt.
Im Alter von etwa zwei bis drei Jahren kommt dann der von Eltern gefürchtete Augenblick, in dem das Kind zum ersten Mal „ich“ sagt. Ihr lieben Eltern, diesen Augenblick braucht ihr aber gar nicht zu fürchten. Er muss kommen, denn das Kind muss ein Ich-Bewusstsein entwickeln. Bis dahin spricht es von sich in der dritten Person: „Lukas hat Hunger“, „Leonie hat Durst“.
Doch irgendwann sagt es „ich“, und es wird nicht mehr lange dauern, bis es die Frage stellt: Wer bin ich eigentlich?
Die Frage nach der Identität bricht besonders stark in der Pubertätszeit auf, im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenwerden. Man beobachtet die Eltern und identifiziert sich in gewissem Maße mit ihnen. In manchen Punkten fühlt man sich jedoch abgestoßen von den Eltern. So entsteht ein Ringen um die eigene Identität.
Hat man eine vorläufige Identität gefunden, kann es sein, dass man Jahre oder sogar Jahrzehnte so lebt. Die Frage nach der Identität taucht dann meist nur noch in Krisenzeiten auf.
In der Krise einer schweren Krankheit, bei einem schweren Verlust – wenn man einen Ehepartner verliert, wenn man Mutter oder Vater verliert, ein Kind oder einen nahen Freund – dann bricht die Frage der Identität wieder auf.
Auch im Alter, wenn man merkt, dass Jugend und Schönheit ein Stück weit auf der Strecke geblieben sind, kann die Identitätsfrage erneut aufbrechen.
Vor drei Tagen sprach ich zum letzten Mal über das Thema Identität bei einem Seniorennachmittag in Bad Kissingen bei Wolfgang Seid. Die Senioren waren sehr, sehr betroffen von der Botschaft, das kann ich euch sagen. Sie waren tief berührt.
Ich habe gemerkt: Identität ist ein Thema, das jeden Menschen bewegt. Hier sind heute so viele Menschen – Junge und Alte, Kranke und Gesunde, Arme und Reiche, und was es noch alles für Unterschiede unter uns geben mag.
Ich hoffe, am Ende dieses Tages kann jeder mit Gewissheit sagen: Ich habe eine Identität gefunden. Und ich bin sicher, viele wissen das auch jetzt schon.
Gottes unveränderliche Identität als Vorbild
Übrigens gibt es nur eine einzige Person, die niemals ein Identitätsproblem hatte und auch niemals eines haben wird, und das ist unser Gott. Sein Name ist Yahweh oder J-H-W-H, das Tetragramm, die vier Buchstaben im Hebräischen.
Dieser Name lässt sich schwer übersetzen, da es sich um eine Verbform handelt. Man müsste ihn etwa so übersetzen: „Ich bin, der ich bin, und ich werde sein, der ich sein werde.“ So müsste man es verstehen.
Ihr seht, Gott hat kein Identitätsproblem. Er ist immer derselbe. Sein Handeln hat sich im Laufe der Heilsgeschichte oft verändert, aber in seinem Wesen und in seiner Person bleibt er immer gleich.
Das ist sehr wichtig, dass wir das verstehen.
Die biblische Perspektive: Schöpfung, Fall und Identitätsverlust
Nun, wenn wir uns dem Thema Identität nähern, nachdem wir den Begriff zunächst ein wenig definiert haben, müssen wir natürlich an den Anfang der Bibel zurückgehen. Bei allen wichtigen Lehren, die uns die Bibel zeigt, müssen wir immer zu Schöpfung und Fall zurückkehren. Wenn dort die Weichen falsch gestellt sind, wird die ganze Theologie schief und falsch.
Deshalb müssen wir für einige Minuten zum Sündenfall zurückkehren. Dort hat der Mensch heilsgeschichtlich gesehen zunächst einmal seine Identität verloren. Wir müssen von einem Identitätsverlust sprechen. Gott hatte den Menschen in seinem Bild geschaffen, im Bild Gottes schuf er ihn als Mann und Frau.
Der Mensch war vollkommen, er war perfekt, er war sündlos, aber er war unerprobt. Gott musste ihm eine Probe geben, sonst wäre er ja ein Roboter oder eine Marionette gewesen. Er musste ihm eine Prüfung geben, bei der deutlich werden sollte, ob der Mensch in freier Selbstentscheidung Gott lieben und gehorchen würde oder nicht. Gott tat dies in seiner Weisheit.
Der Mensch wurde versucht durch die Schlange, hinter der natürlich niemand anderes als der listige Satan steckte. Er hatte sich in ein Tier verlarvt und kam mit der gemeinen Frage: „Sollte Gott wirklich gesagt haben, dass ihr von keinem Baum im Garten essen dürft?“ Gott hatte es klipp und klar gesagt. Doch Satan nahm eine Wahrheit Gottes und setzte einfach ein Fragezeichen dahinter.
Das ist seine uralte Taktik, die er bis heute anwendet. Er nimmt Wahrheiten und setzt ein Fragezeichen dahinter. Adam und Eva gingen auf die Verführung ein. Sie nahmen von der Frucht. Im Garten standen viele Bäume, uns wird nicht gesagt wie viele, das spielt keine Rolle. Aber es ist ganz sicher, dass viele Bäume im Garten waren. Es gibt keinen Garten mit nur einem Baum. Nur von diesem einen Baum durften sie nicht essen.
Doch sie nahmen davon und sündigten. Es geschah eine Trennung, und das hatte Folgen. Plötzlich gingen ihnen die Augen auf. Sie erhielten eine Art Bewusstseinserweiterung, aber nicht so, wie sie es sich erhofft hatten. Sie sahen, dass sie nackt waren. Das waren sie vorher auch schon, aber jetzt merkten sie es.
Sie fingen sofort an, sich die Blöße mit eigenen Werken zu bedecken – ein Merkmal des gefallenen Menschen. Er will immer seine Blöße selbst bedecken durch eigene Werke. So machten sie sich Feigenblätter und bauten Schürzen.
Folgen des Sündenfalls für die Identität des Menschen
Wenn wir genauer hinschauen, sehen wir, dass der Sündenfall im Hinblick auf das Thema Identität etwas ganz Entscheidendes bewirkt hat. Der Mensch verlor nicht nur seine Unschuld und seine Sündlosigkeit, sondern die Bibel sagt, er verlor auch seine Herrlichkeit, seinen Glanz, die Doxa – ein Stück weit also seine Gottebenbürtlichkeit.
Der Mensch war danach eine gefallene Kreatur. Er wurde anfällig für Krankheiten; jeder Schnupfen, jeder Zug kann uns sofort umhauen. Er war nicht mehr derselbe. Er hatte seine Herrlichkeit und seinen Glanz verloren. Wir müssen sagen, er verlor auch seine Identität in Gott.
Vorher bestand seine ganze Bestimmung darin, mit Gott in Gemeinschaft zu sein. Er funktionierte nur in Gemeinschaft mit Gott. Er war als Gegenüber Gottes geschaffen. Nun aber war ein Riss entstanden, eine Mauer zwischen Gott und den Menschen gekommen.
So können wir eine erste Definition von Sünde aus der Bibel formulieren: Sünde ist die Unfähigkeit, in Übereinstimmung mit der ursprünglich von Gott geschenkten Identität zu leben. Das kann der gefallene Mensch nicht mehr. Er ist von Gott getrennt; es ist etwas zwischen ihm gekommen – die Unfähigkeit, in Übereinstimmung mit der ursprünglich von Gott geschenkten Identität zu leben.
Illustration der Bestimmung des Menschen
Ich möchte das eine oder andere gerne mal ein bisschen illustrieren. Da ist eine gute, alte Glühbirne, die wir wahrscheinlich nicht mehr lange in Funktion sehen werden. Aber es gibt immer noch einige schöne, alte Glühbirnen.
Warum haben die klugen Ingenieure, die dieses Ding konstruiert haben, und die guten Handwerker, die es gebaut haben, in der Fabrik, die es hergestellt hat, diese Birne gemacht? Soll sie irgendwo in einem Wohnzimmer auf der Kommode liegen und als Staubfänger dienen, den man alle zwei, drei Wochen mal abstauben muss? Sicherlich nicht.
Wir alle wissen, dass sie in eine Fassung gehört. Wenn wir sie in die Fassung schrauben und Strom auf der Leitung ist, dann leuchtet sie. Dazu wurde sie geschaffen. Ich muss sie jetzt wieder herausdrehen, sonst wird sie zu heiß. Ja, dazu wurde sie geschaffen.
Es ist uns allen klar: Der Mensch hat eine Bestimmung. Er ist für die Gemeinschaft mit Gott geschaffen, so wie die Birne in Verbindung sein muss, an die Stromquelle angeschlossen sein muss. Das ist ein einfaches, schlichtes, menschliches Bild, ein schwaches Bild. Aber wenn der Strom da ist, wenn sie in der Fassung ist, wenn sie in Verbindung ist, dann kann sie leuchten. Dafür wurde sie gemacht, nicht als Staubfänger.
Und genauso ist es mit dem Menschen: Er funktioniert und existiert nur dann für seine Bestimmung, wenn er in Gemeinschaft mit Gott ist und nicht getrennt von ihm, gottlos. Da sage ich euch nichts Neues, da bin ich sicher.
Die Suche nach Identität außerhalb Gottes
Nun müssen wir noch einen Schritt weitergehen, denn dieses Thema geht noch viel tiefer. Der gefallene Mensch kann seine Bedeutung, also seinen Wert, und seine Sicherheit, seine Geborgenheit, nicht mehr in seinem Schöpfer finden. Er ist von ihm getrennt, er ist allein, er ist auf sich gestellt.
Deshalb muss er zwangsläufig seine Identität woanders suchen. Viele von uns haben das auch getan. Man glaubt gar nicht, wo man alles seine Identität suchen kann. Im Schlussteil dieses Vortrags werden wir noch einige Beispiele dafür hören.
Adam und Eva fürchteten sich, weil sie ihre Sicherheit verloren hatten. Vorher waren sie mit Gott in Gemeinschaft, mit Gott per Du. Wahrscheinlich konnten sie ihn sogar sehen, nicht nur hören. Erst danach zog er sich in die Unsichtbarkeit zurück. Er ging mit ihnen spazieren in der Kühle des Gartens. Ja, sie waren in engster Gemeinschaft mit ihm.
Doch jetzt fürchteten sie sich. Hier steht die Wiege der Angst. Sie hatten ihre Sicherheit in Gott verloren und versteckten sich. Warum? Weil sie ihre Bedeutung, ihren Wert verloren hatten. Wann versteckt man sich? Wenn man Angst hat und sich klein und unbedeutend fühlt, dann versteckt man sich. Kinder, die sich unsicher fühlen, verstecken sich oft zuerst, wenn Besuch kommt.
So ist es auch beim Menschen: Er hat seine Sicherheit in Gott verloren und damit auch seine Bedeutung, seinen Wert. Ohne beides können wir nicht leben. Wir brauchen eine Bedeutung, einen Wert. Wir müssen verstehen, wozu wir da sind. Außerdem brauchen wir Sicherheit. Das sind Grundbedürfnisse des Menschen. Ohne sie können wir nicht leben.
Um zu wissen, was ich wert bin, muss ich zunächst wissen, wer mich wiegt. Für uns Christen ist klar, dass das nur Gott sein kann. Gott, unser Schöpfer, kann mir zeigen, was ich wert bin. Er kann mir diesen Wert geben und auch die Sicherheit.
Beispiel Vincent van Gogh: Tragik einer verlorenen Identität
Ein kleines Beispiel möchte ich hier einfügen: Vincent van Gogh, einer der größten Maler, die es wohl je auf diesem Erdboden gegeben hat. Ihr seht, wann er gelebt hat, aber wahrscheinlich kennen sich die meisten nicht so gut in Malerei aus. Das ist auch nicht mein Spezialgebiet.
Wisst ihr, dass er eine epochemachende Neuerung in die Malerei eingeführt hat? Er war der erste Maler der Neuzeit, der in so bunten Farben malte. Jahrhundertelang waren die Bilder trübe und düster. Im Mittelalter dominierten dunkle Farben. Van Gogh war der erste, der in leuchtenden Farben malte.
Zu seinen Lebzeiten war das jedoch noch nicht beliebt. Seine Werke kamen bei den Leuten kaum an. Van Gogh hinterließ 864 Gemälde und über tausend Zeichnungen. Dennoch konnte er zu seinen Lebzeiten kaum eines seiner Werke verkaufen. Heute erzielen seine Bilder Rekordpreise. Das Bild, das ihr dort seht, das Porträt des Doktor Gachet, wurde 1990 für 82,5 Millionen Dollar nach Japan verkauft.
Heute wäre er ein steinreicher Mann, ein Star unter den Malern. Zu seinen Lebzeiten war er jedoch verkannt, ignoriert und an die Seite gedrängt. Er erlebte keinen Durchbruch als Maler und fand nie seine Identität. Am Ende nahm er sich mit nur siebenunddreißig Jahren das Leben.
Er hat seinen Wert nicht gefunden. Er war ein Superstar unter den Malern. Ein Mensch kann nicht leben, ohne Wert und Sicherheit zu haben. Das ist ein Beispiel für das tragische Ende von Van Gogh.
Die Folgen des Identitätsverlustes und die Suche nach Ersatz
Noch einmal zurück: Unsere seelisch-geistlichen Bedürfnisse nach Sicherheit und Bedeutung sind die Folge unseres Identitätsverlustes, der durch den Sündenfall verursacht wurde.
Wir haben alle zunächst einmal verloren. Ich könnte euch liebe Loser nennen, aber das wäre nicht sehr charmant. Dennoch sind wir in diesem Sinne alle Loser, denn wir haben alle zunächst einmal unsere Identität in Gott verloren – historisch gesehen.
Die Befriedigung dieser Bedürfnisse nach Sicherheit und Bedeutung auf horizontaler Ebene, also im Diesseits, im Vergänglichen und im Vordergründigen, ist nicht zielführend. Auf diese Weise würden wir uns höchstens eine falsche Identität schaffen – eine Identität ohne Gott.
Man kann sich ein Image zulegen, wie die jungen Leute heute sagen, aber das ist nicht dasselbe wie eine echte Identität zu haben.
Soziologische Perspektive auf Identität
Ich habe noch einen zweiten Gedankengang, den ich hier einfügen möchte. Nur für ein paar Augenblicke möchte ich das Thema Identität von dieser Seite beleuchten. Ihr werdet sehen, dass es sinnvoll ist, das Thema auch soziologisch zu betrachten.
Soziologie ist die Lehre vom Menschen in der Gesellschaft, im Miteinander, in der Gruppe. Soziologen sagen, der Mensch ist eine Summe aller Faktoren, die seine Persönlichkeit ausmachen. Diese Faktoren prägen auch seine Identität. Viele unterschiedliche Faktoren zusammen ergeben die Identität eines Menschen.
Da ist zum Beispiel ein Mensch, der in Memmingen wohnt. Er hat körperliche Merkmale. Meistens erkennt man auf den ersten Blick, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Man sieht, ob jemand groß oder klein ist, dick oder dünn, sportlich oder weniger sportlich – das sind körperliche Faktoren.
Dann hat dieser Mensch eine Lebensgeschichte. Das sieht man ihm nicht unbedingt an. Dafür muss man mit ihm ins Gespräch kommen. Er wird erzählen, wo er geboren wurde, wie seine Kindheit war und ob er gute oder schlechte Erfahrungen gemacht hat. Vielleicht hat er auch Traumata erlitten oder Leistungen erbracht.
Außerdem hat er soziale Beziehungen. Er hat eine Familie, Freunde, Mitschüler, Kommilitonen, Arbeitskollegen, Nachbarn, Vereinsmitglieder und Geschwister in der Gemeinde. Identität hat also auch eine soziale Komponente.
Der Mensch hat Vorlieben und Interessen. Er wohnt vielleicht in einer schönen Kleinstadt oder irgendwo ganz abseits auf einem Bauernhof auf dem Land. Er hat Einstellungen, Meinungen, Dinge, die er bewundert, und Dinge, die er ablehnt. Das sind seine Vorlieben und Interessen.
Er hat sich auch Grenzen gesetzt. Alle Verheirateten hier im Raum haben eine Grenze gezogen: Das ist mein Ehepartner, und alle anderen gehen mich in dieser Hinsicht nichts an. Das ist eine klare Grenze. Oder wir grenzen uns von bestimmten Gruppen ab, zum Beispiel von Rechtsradikalen oder Rechtsextremen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen.
Identität ist soziologisch gesehen auch ein Prozess der Veränderung. Unser Körper altert, wir machen neue Erfahrungen und begegnen immer wieder neuen Menschen. Auch heute begegnen sich hier viele in den Gesprächen und in den Pausen.
Noch ein weiterer Punkt: Identität schließt auch einen Sinn für die Zukunft ein. Wir alle haben eine Vorstellung von der Zukunft. Manche junge Leute haben heute Abend noch etwas vor. Für sie reicht es nicht, hier sechs oder sieben Stunden bei der Glaubenskonferenz zu verbringen, sie müssen noch irgendwohin.
Die Hausfrauen werden noch etwas aus der Gefriertruhe nehmen, damit es morgen ein gutes Sonntagsessen gibt. Manche von uns haben schon den Winterurlaub geplant oder den Skiurlaub gebucht – wir haben also einen Sinn für die Zukunft.
Unsere Katze hingegen nicht. Sie macht sich keine Gedanken darüber. Sie ist zufrieden, wenn ihr Futternapf gefüllt ist und ihr Wasserschälchen bereitsteht. Ab und zu fängt sie eine Maus, aber sie hat sich noch nie den Kopf darüber zerbrochen, was morgen sein wird.
Ihr seht, man kann einen Menschen rein äußerlich beschreiben – soziologisch betrachtet. Diese sieben Punkte sind in unserem Leben vorhanden, oder nicht? Aber da fehlt doch etwas Entscheidendes. Es gibt ein großes Loch, ein Vakuum in der Mitte, wenn die Identität in Christus fehlt.
Wenn ein Mensch seine Zirkelspitze nicht bei Christus eingestochen hat, wenn er nicht vor Anker gegangen ist bei ihm. Wenn die Zirkelspitze eingestochen ist, dann kann der Zirkelarm schöne Kreise ziehen. Aber die Spitze muss eingestochen sein, sie kann nicht irgendwo herumrutschen. Sonst funktioniert das nicht mit dem Zirkel.
Eine Identität in Christus ist also etwas Entscheidendes.
Die Bedeutung von Christus für die Identität
Ich darf das mal mit einem anderen Bild ausdrücken: Wenn Christus nicht meine Identität ist, noch nicht, dann steht sozusagen ein Minus vor der Klammer, und der gesamte Klammerinhalt wird dadurch negativ.
Wenn es dem Esel zu wohl wird, dann geht er aufs Eis. Ich wage mich jetzt aufs Eis und betrete das Gebiet der Mathematik.
Hier ist ein mathematischer Term, den wir alle mal in der Schule hatten. Könnt ihr euch erinnern? Hier ist ein Term, und da ist ein Plus vor der Klammer. Würden wir das Vorzeichen verändern und statt des Plus ein Minus vor die Klammer setzen, dann bleibt das nicht so, sondern sieht plötzlich so aus: Da ist ein Minus vor der Klammer, und das Vorzeichen definiert den Inhalt der Klammer.
Ihr jungen Leute, darf ich mal ganz kurz etwas einfügen? Viele von euch haben die Partnerwahl noch vor sich. Da gibt es so einen netten jungen Mann, den ihr bei der Arbeit kennengelernt habt. Er hat viele gute Eigenschaften: Er ist hilfsbereit, freundlich, nett, sieht gut aus und hat einen guten Beruf. Oh, das wäre eine super Party! Aber er ist leider noch nicht gläubig. Jesus Christus ist noch nicht in seinem Leben. Na ja, den werde ich schon so weit kriegen. Wenn ich mal mit ihm zusammen bin, wird er bestimmt denselben Weg mit mir gehen.
Und dann heiraten junge Leute. Oder umgekehrt: Wenn sie so gute Eigenschaften hat, hilfsbereit ist, nett, umgänglich, ein super Mädchen, aber der Herr Jesus nicht in ihrem Leben ist, dann ist ein Minus vor der Klammer. Dann darfst du ihn oder sie nicht heiraten.
Das will Gott nicht, das ist immer falsch, immer! Auch wenn du Beispiele kennst, in denen sich der Betreffende später noch bekehrt hat. Ich weiß, dass das ab und zu durch Gottes große Güte geschieht, aber das erlaubt dir nicht, bewusst auf krummen Linien zu fahren. Gott kann auf krummen Linien gerade schreiben, aber das erlaubt dir nicht, diese Wege zu gehen. Mach das nicht! Da muss ein Plus vor der Klammer sein.
Und jetzt zurück zur Identität: Genauso ist es, wenn Christus nicht in unserem Leben ist. Es ist gut, wenn wir hilfsbereit sind, mitmenschlich, sozial eingestellt, wenn wir zuverlässige Arbeiter sind, gute Ehemänner oder gute Familienväter. Wunderbar, alles gut. Aber wenn Christus nicht in unserem Leben ist, dann ist da ein Minus vor der Klammer.
Falsche Identitäten und deren Enthüllung
Der junge Hund stieg als Lassie in die Badewanne und tauchte als Schäferhund wieder auf. Zurück blieb nur rot gefärbtes Badewasser. Ihr seht, es gibt nichts, was es nicht gibt. Ja, es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt.
Die enttäuschte und vor allem getäuschte Hundebesitzerin erstattete daraufhin natürlich Betrugsanzeige gegen eine Salzburger Tierhandlung. Dort hatte sie den reinrassigen Kolliwelpen für stolze fünfhundert Euro erworben. Dieser Schäferhund hatte eine falsche Identität, und das reinigende Bad brachte es ans Licht.
Manchmal bringt das Bad etwas ans Licht. Ist unsere falsche Identität schon abgewaschen worden? Die Bibel spricht von einem Bad der Wiedergeburt. Sind unsere Lebenslügen unser überhöhtes Selbstbild? Und ist unser Image zurückgeblieben im Badewasser, oder haben wir doch manches hindurchgerettet?
Hier haben wir diese Stelle. Wir sind bequeme Leute und werfen wichtige Aussagen einfach an die Wand. Aber ich möchte niemand hindern, das auch in seiner Bibel aufzuschlagen und nachzulesen. Paolo schreibt an Titus: „Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes unseres Heilands, da machte er uns selig. Da rettete er uns nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach der Barmherzigkeit, durch das Bad der Wiedergeburt, nach seiner Barmherzigkeit durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist.“
Hier ist von einem Reinigen im Bad die Rede, wo ein Mensch gereinigt wird – von seinen Sünden, von seinem ganzen gelebten Leben, wo seine Lebensschuld abgewaschen wird. Ob er nun als Kind zum Herrn kommt, als Erwachsener oder als alter Mensch.
Ich durfte zweimal erleben, wie vierundachtzigjährige Männer dieses Bad der Wiedergeburt erfahren haben, einmal eine einundneunzigjährige Frau. Da wurde die Schuld ihres Lebens abgewaschen und Erneuerung im Heiligen Geist geschenkt.
Sind wir da durchgegangen, dann ist auch diese alte Identität, diese falsche, diese ja zusammengebastelte, hoffentlich zusammengebrochen und im Badewasser zurückgeblieben.
Falsche Identitäten und ihre Erscheinungsformen
Ich habe vorhin gesagt, dass ich noch einmal auf das Thema Scheinidentität zurückkommen werde. Ich möchte es ein wenig aufschlüsseln, damit es nicht nur eine leere Worthülse bleibt.
Materielle und soziale Ersatzidentitäten
Falsche Identitäten
Nach dem Sündenfall sind wir Menschen sehr erfinderisch darin geworden, uns eine eigene Identität zu schaffen, zu basteln, zu zimmern oder irgendwie herzustellen.
Zum Beispiel können Geld und Besitz unsere Identität werden – manchmal sogar bis hin zum Kaufzwang. Wir sprechen von Statussymbolen: ein großes Haus, eine Villa, ein teures Auto mit bestimmten Zeichen darauf, Markenkleidung. Der Volksmund sagt: „Kleider machen Leute.“ Das stimmt jedoch überhaupt nicht. Kleider können höchstens ein Image kreieren.
Was macht es für einen Unterschied, ob du einen Nadelstreifenanzug von Hugo Boss trägst oder irgendwelche normalen Klamotten? Was macht das für einen Unterschied? Das hat doch mit deiner Identität nichts zu tun.
In der Bibel finden wir das Beispiel vom reichen Kornbauer. Das ist ein frühes Beispiel für einen Menschen, der in Geld und Besitz seine Identität zu finden versuchte. Er baute noch größere Scheunen, die Ernten waren gut, er wollte sich noch mehr ausweiten, investieren, die Firma vergrößern. Doch dann kam das göttliche Gerichtswort in der Nacht: „Du Narr, für wen hast du das alles bereitet? Du bist nicht reich in Gott.“
Er hatte keine wirkliche Identität, da war ein Minus vor seiner Klammer. Am Ende ging er verloren.
Ich habe hier geschrieben: bis hin zum Kaufzwang. Ich kenne einen Menschen, einen Bruder – bitte nicht lachen über ihn. Ab und zu hört man etwas über ihn. Dann geht er in ein teures Geschäft und kauft sich wieder eine teure Uhr. Er hat schon Uhren im Wert von über 15.000 Euro zu Hause, aber dann kauft er sich noch eine Rolex oder wie die Dinger eben heißen mögen.
Er hat mir selbst gesagt: Wenn er aus dem Geschäft kommt und so eine teure Uhr am Handgelenk trägt, dann ist er jemand. Dann fühlt er sich wie Graf Cox von der Apple Ranch. Dann ist er jemand, obwohl das doch gar niemand sieht. Aber ihm gibt das Identität.
Ich frage an dieser Stelle: Kann uns Christus und das, was wir in ihm gefunden haben, nicht auch freimachen von solchen Anwandlungen? Kann uns das nicht genug sein? Kann das nicht unsere Identität werden, dass wir solche Dinge nicht mehr brauchen – solche Scheinidentität?
Ich frage nur an dieser Stelle.
Identität in der Familie und Gesellschaft
Oder unser Status in der Familie. Nehmen wir den Mann, der sich über seine Kinder definiert – hier möchte ich noch einmal ein Beispiel anführen. Wir finden es auch in der Bibel bei Lea und Rahel. Lea gebar Jakob einen Sohn nach dem anderen. Rahel hingegen war unfruchtbar.
Ihr könnt euch vorstellen, was das mit ihrer Identität gemacht hat. Sie konnte keine Mutter werden, und das war in Israel besonders schlimm. Sie konnte nicht zum Wachstum des Volkes Gottes beitragen. Damals wuchs das Volk Gottes durch Geburt, heute durch Wiedergeburt. Das ist ein großer Unterschied. Damals aber wuchs das Volk Gottes durch Geburt, und sie konnte nicht beitragen. Erst als sie dann doch Mutter wurde, änderte sich das.
So ist unser Status in der Familie manchmal sehr wichtig. Doch das macht letztlich keinen Unterschied. Ob der Onkel Chefarzt ist oder die Tochter Architektin – das hat mit meiner Identität nicht wirklich zu tun. Unsere tatsächliche Identität zeigt sich darin, wer wir im Dunkeln ganz alleine sind. Das ist unsere wahre Identität, nicht das, was wir vor anderen vorgeben oder manchmal vorgeben zu sein.
Ein weiteres Beispiel möchte ich nennen: Unsere gesellschaftliche Position kann zu unserer Identität werden. Früher war das oft der Adel, als es noch gesellschaftliche Stände gab. Heute sind es manchmal Titel wie Herr Doktor, Herr Professor oder Abkürzungen wie MdL und MdB – was es da alles für Bezeichnungen geben mag.
Hier in diesem Raum gibt es nur Doktoren und andere Toren. Ich gehöre zu den anderen Toren, vielleicht auch du. Das macht nichts. Diese Skizze, diese Grafik zeigt uns, dass in unserem Leben oft mehr Schein als Sein vorhanden ist. Davor sind wir auch als Christen nicht gefeit. Das muss uns allen klar sein.
Das Bild der potemkinschen Dörfer als Warnung
Feldmarschall Padjomkin – wir sagen Potemkin, aber die Russen sagen Patjomkin – ließ der Legende nach im Jahr 1787, vor dem Besuch von Kaiserin Katharina der Zweiten, entlang ihrer Wegstrecke Scheindörfer aus bemalten Kulissen errichten.
Er saß mit ihr in der Kutsche, und in einiger Entfernung am Horizont sah es so aus, als wäre dort ein richtiges Dorf. Dies diente dazu, der Zarin das eroberte Neurussland zu zeigen. Die Zarin saß in der Kutsche, nickte und sagte: „Prima, Herr Feldmarschall, machen Sie weiter so!“ Dabei waren das nur potemkinsche Dörfer – sprichwörtlich geworden als nur Attrappe, nur Fassade, nur Schein, ohne echten Inhalt.
So sieht es manchmal im Leben aus: Nach außen hin eine tolle Fassade, bürgerlich, gutbürgerlich und noch besser bürgerlich – und dahinter ist nicht viel. Wie bei den Western-Dörfern, in denen Westernfilme gedreht werden: Alles nur Attrappe, diese patjomkinschen Dörfer.
Noch einmal die Frage: Was blieb denn im Badewasser übrig? Sind es unsere Lebenslügen, unser überhöhtes Selbstbild?
Ah, was habe ich für Menschen kennengelernt, die sich immer so darstellen mussten, eine Wolke um sich herum machten – und dahinter war nichts als ein Häufchen Elend. Das überhöhte Selbstbild, unser Image, ist das zurückgeblieben? Oder haben wir doch manches durch das Bad der Wiedergeburt gerettet?
Auswirkungen einer schwachen oder fehlenden Identität
Ich möchte noch einen letzten Gedankengang in diesem Vortrag anbringen.
Wenn unsere Identität schwach, ungesund oder gar nicht vorhanden ist, wenn wir das Bad der Wiedergeburt noch nicht erlebt haben und noch nicht in Christus erneuert sind, hat das natürlich Auswirkungen – besonders auch im Umgang miteinander.
Bitte nicht erschrecken: Depressionen könnten eine Auswirkung sein. Depressionen können viele Ursachen haben, auch rein organische oder körperliche. Ich bin kein Arzt, aber das weiß doch jeder: Wenn mit der Schilddrüse etwas nicht stimmt, kann das fatale Auswirkungen haben. Man kann himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt sein, ja, auch Depressionen bekommen – das kann jeden von uns treffen.
Aber auch wenn ein Mensch eine schlechte Identität hat, kann ihn das wirklich depressiv machen. Ich denke an einen Bruder – es ist wirklich ein Bruder, den ich gut kenne –, der in einem Kinderheim aufwachsen musste. Wir alle, die wir eine intakte Familie kennengelernt haben, können kaum ermessen, was es bedeutet, im Kinderheim aufzuwachsen.
Heute ist er Christ geworden und hat eine Identität in Christus. Wenn irgendein Problem in sein Leben kommt, hat er sofort die Ursache parat: „Meine Mutter hat mich damals ins Heim gegeben.“ Dann fällt er immer wieder in dasselbe Loch.
Ich frage nicht, ich richte nicht. An dieser Stelle frage ich nur: Kann Christus nicht auch solche Defizite in unserer Biografie, solche Lecks, heil machen? Ist es nicht möglich, dass die Gnade Gottes in Christus auch solche Dinge in unserem Leben heilt, sodass wir nicht immer wieder in solche Löcher fallen müssen?
Ich denke an einen Bruder Anfang 50, der einen schweren Arbeitsunfall hatte und mit einem Rettungshubschrauber in eine Klinik geflogen werden musste. Er ist jetzt Hausmann, findet keine neue Stelle, und seine Frau muss das Geld verdienen. Er bleibt zu Hause, schält Kartoffeln und macht den Haushalt.
Könnt ihr euch vorstellen, liebe Männer, liebe Brüder, was das mit uns als Männern machen kann? Wie sehr das an der Frage unserer Identität rütteln kann? Versetzt euch in seine Lage.
Aber ich frage erneut: Ist die Identität in Christus nicht das tragende Fundament, mit dem wir auch solche Schicksalsschläge und Führungen verkraften und kompensieren können?
Wir sprechen über die Auswirkungen einer schwachen, ungesunden oder fehlenden Identität: Minderwertigkeitskomplexe, Neid, Missgunst. Ich weiß, auch das Wort „Minderwertigkeitskomplexe“ steht nicht in der Bibel, aber wie soll ich es anders ausdrücken?
Menschen vergleichen sich manchmal ständig mit anderen und werden dann zwangsläufig von Neid und Missgunst zerfressen oder versinken in Minderwertigkeitskomplexen. Anstatt zu sagen: „Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, Punkt.“ Vergleicht man sich immer mit anderen. Und vom Vergleichen kommt viel Not.
Der Anfang des Vergleichens ist das Ende der Zufriedenheit, glaubt es mir. Nicht vergleichen, sondern dankbar sein für den Bruder, für die Schwester, für die Gaben, die sie haben. Und sagen: „Ich bin ich, und Gott hat mir das geschenkt. Das, was ich nicht habe, habe ich eben nicht. Da kann ich auch zu stehen.“ Müssen wir uns immer vergleichen?
Ich denke an eine Schwester, irgendwo. Wir waren schon in vielen Gemeinden, als meine Frau mit einem Dienst unter Schwestern begann. In der Gemeinde, nach Absprache mit unseren leitenden Brüdern, fing meine Frau an, diesen Dienst zu tun.
Kurze Zeit später begann diese Schwester einen ganz ähnlichen Dienst in derselben Gemeinde. Meine Frau dachte: „Huch, was ist das denn?“ Aber sie dachte auch: „Na ja, warum nicht? Da machen eben zwei Schwestern so einen Dienst – besser als keine.“
Zwei Jahre später begann meine Frau mit einer anderen Arbeit unter Schwestern. Ihr könnt euch denken, was passierte: Kurz darauf fing diese Schwester mit dem Gleichen an. Da stutzte meine Frau und erzählte mir davon. Ich sagte ihr: „Wir müssen mit ihr reden.“
Dann sind wir zu ihr gegangen und haben sie ganz liebevoll damit konfrontiert. Da brach sie aus, ging aus dem Raum raus und ließ meine Frau und mich alleine in ihrem Wohnzimmer sitzen.
Ich schaute meine Frau an, sie mich, und wir wussten nicht, wie uns geschah. Nach kurzer Zeit kam sie wieder rein und sagte: „Ja, ich muss zugeben, ich war neidisch. Ich konnte es nicht ertragen, dass deine Frau das macht. Ich musste das auch machen.“
Ich sage euch, ich bin fast vom Stuhl gekippt. Wenn man dreißig Jahre in der real existierenden Gemeinde unterwegs ist, ist einem nichts Menschliches mehr fremd, glaubt mir. Und das war auch sehr menschlich, ja.
Wir konnten ihr helfen. Ich war froh und dankbar, dass sie es wenigstens ehrlich gesagt hat, dass sie es rausgelassen hat – dass Neid und Missgunst sie getrieben hatten.
Das war vielleicht ein extremes Beispiel, aber ihr seht, so etwas gibt es.
Persönliche Freiheit und Authentizität in der Identität
Dave Craft, ein Amerikaner, schreibt in einem Buch, dass es unheilsam ist, wenn wir versuchen, wie andere zu sein. Nicht falsch verstehen: Natürlich dürfen wir andere zum Vorbild nehmen. Wolfgang Bühne ist für mich ein großes Vorbild, besonders was Literaturarbeit angeht. Von niemandem habe ich so viel gelernt wie von ihm. Er ist mir in vielerlei Hinsicht ein großes Vorbild.
Aber ich muss doch kein Wolfgang Bühne werden. Und er muss nicht Wilfried Block werden. Vielmehr möchte ich durch die Gnade Gottes der beste Dave Craft sein, schreibt er. Ebenso möchte ich der beste Wilfried Block werden, der durch die Gnade möglich ist – aber nicht Wolfgang Bühne und nicht Peter Güdler.
Ich bin anders als alle anderen, weil Gott mich als einzigartige Kreatur geschaffen hat. Es gibt niemanden sonst auf der Welt mit meiner Persönlichkeit, Entwicklung, Gabenkombination und meinen Fähigkeiten.
Ich befinde mich, sehr ehrlich, in einem kontinuierlichen Prozess der Befreiung von der Versuchung, irgendein anderer zu sein als ich selbst. Das hat mir sehr gefallen: Ein kontinuierlicher Prozess. Immer wieder werde ich herausgefordert – die Schwaben sagen „pupfern“ – also herausgefordert, ich möchte gern noch ein bisschen mehr so werden wie der oder jener.
Nein, das brauche ich nicht. Ich möchte durch Gottes Gnade der beste Wilfried Block werden, der möglich ist. Und nun musst du deinen Namen einsetzen.
Herrisches Verhalten als Zeichen fehlender Identität
Noch einen letzten Punkt möchte ich ansprechen, den ihr vielleicht nicht erwartet hättet: herrisches Auftreten und Machtallüren.
Solches Verhalten findet man besonders bei Menschen, denen eine echte Identität in Christus fehlt. Sie versuchen dann, ihre schwache Persönlichkeit durch herrisches oder sogar diktatorisches Verhalten zu kompensieren. Manche entwickeln ein starkes Anerkennungsstreben, das bis zu einer krankhaften Geltungssucht reicht. All diese Verhaltensweisen habe ich schon hautnah miterlebt.
Dass solche Tendenzen eher unter Schwestern zu finden sind, ist bekannt. Dass es sie auch unter Brüdern gibt, ist ebenfalls kein Geheimnis. Aber wie dem auch sei.
Schlussfolgerung: Vertikale Definition der Identität in Christus
Fazit
Wenn wir uns horizontal definieren, also über Erfolg, Beziehungen oder unseren Besitz, bauen wir Ersatzidentitäten auf. Diese werden eines Tages unweigerlich zusammenbrechen. Das ist wie ein Kartenhaus oder Potemkinsche Dörfer – sie sind nicht von Dauer und werden einst einstürzen.
Wir müssen uns vertikal definieren, das heißt in unserer Beziehung zu Gott. Nur er allein kann uns Bedeutung und Sicherheit geben. Wenn die Birne wieder in die Fassung geschraubt ist und die Gemeinschaft mit Gott hergestellt ist, gibt er uns den Wert. Wir haben keinen Selbstwert, sondern einen Christuswert.
Christus hat sein Leben für uns gegeben, sein Blut am Kreuz von Golgatha – das ist unser Wert. Jeder Mensch auf dieser Erde hat diesen gleichen Wert, denn Gott hat seinen Sohn für uns gegeben. Deshalb müssen wir uns vertikal definieren, in unserer Beziehung zu Gott. Nur er kann uns die Bedeutung und die Sicherheit geben, ohne die wir nicht leben können. Denken wir an Van Gogh.
Es ist gut, wenn unsere Ersatzidentitäten, die wir uns unbemerkt und unbewusst aufgebaut haben, frühzeitig zusammenbrechen. Je früher, desto besser. Wenn sie erst auf dem Sterbebett zusammenbrechen, ist es zu spät, denn dann kann man nichts Neues mehr aufbauen.
Wenn heute das eine oder andere zusammenbrechen würde, wäre das super. Dann könnten wir noch etwas Neues aufbauen – eine echte Identität in Christus.
Wir sind von der Frage ausgegangen: Wer bist du? Was sagst du von dir selbst? Bekehrung ist die Akzeptanz einer neuen Identität. Wenn ein Mensch sich bekehrt, wenn Christus in sein Leben kommt, wenn ein Plus vor die Klammer kommt statt eines Minus, dann hat er ein neues Leben. Das werden wir im nächsten Vortrag weiter ausführen.
Durch die Wiedergeburt wird Christus unser Leben, und damit wird uns eine neue, perfekte Identität geschenkt. Schau mal, was hier steht: Die neue Identität ist perfekt. Was perfekt ist, kann man nicht mehr verbessern. Diese Identität wird uns in Christus geschenkt.
Aber wir müssen sie uns im Glauben zu eigen machen. Wie alle geistlichen Wahrheiten und Geschenke Gottes müssen wir sie im Glauben annehmen. In Christus kann jedes Identitätsproblem seine Lösung finden – in meinem Leben und auch in deinem. Davon bin ich überzeugt.
Darauf werden wir nahtlos im nächsten Vortrag mit Peter weiter eingehen.
