Einleitung und biblischer Bericht: Begegnung Jesu mit der Sünderin
Jesus kann Schuld auslöschen, und wir lesen in Lukas 7,36-50 von einer solchen Begebenheit.
Ein Pharisäer bat Jesus einfach, mit ihm zu essen. Jesus ging in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. In der Stadt gab es eine Frau, die als Sünderin bekannt war. Als sie hörte, dass Jesus im Haus des Pharisäers zu Tisch saß, brachte sie ein Glas mit Salbe mit und trat von hinten an seine Füße. Sie weinte, benetzte Jesu Füße mit ihren Tränen und trocknete sie mit den Haaren ihres Hauptes. Dann küsste sie seine Füße und salbte sie mit der Salbe.
Als der Pharisäer das sah, der Jesus eingeladen hatte, dachte er bei sich: Wenn dieser ein Prophet wäre, wüsste er, wer diese Frau ist, die ihn berührt, denn sie ist eine Sünderin.
Jesus antwortete ihm: „Simon, ich habe dir etwas zu sagen.“ Simon erwiderte: „Meister, sag an.“ Jesus begann: „Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Der eine war ihm fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie nicht zahlen konnten, schenkte er beiden die Schuld. Sag mir, welcher von ihnen wird ihn mehr lieben?“
Simon antwortete: „Ich denke, derjenige, dem mehr vergeben wurde.“ Jesus sagte zu ihm: „Du hast richtig geurteilt.“
Dann wandte er sich der Frau zu und sprach zu Simon: „Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, und du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben. Diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben, diese aber hat nicht aufgehört, meine Füße zu küssen, seit ich hereingekommen bin. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt, sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbt.“
Darauf sagte Jesus: „Deshalb sage ich dir: Ihr sind viele Sünden vergeben, darum hat sie mir viel Liebe gezeigt. Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“
Er sprach zu der Frau: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Die Gäste, die mit Jesus zu Tisch saßen, begannen bei sich selbst zu fragen: „Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?“ Jesus sagte zu der Frau: „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh hin in Frieden.“
Herr, lass uns auch teilhaben an diesem ewigen Frieden! Amen!
Die Bedeutung des Themas Schuld und Vergebung heute
Es gibt aufregende Tagesereignisse. Man muss nur das Radio einschalten und die Nachrichten verfolgen, um zu sehen, was in der Welt an Bewegendem vor sich geht. Wir alle sind tagtäglich von wichtigen Dingen erfüllt, über die wir reden und die uns beschäftigen. Heute sind eben mal aktuelle Dinge dran.
Zu diesen aktuellen Dingen haben wir eigentlich nichts zu sagen – oder doch? Wir haben nur ein Thema, das uns noch viel, viel aktueller betrifft. Es ist erstaunlich, dass sich die Nachrichtenagenturen immer um dieses Thema herumschleichen und so wenig über diese ganz wichtige Sache gesprochen wird.
Manche Menschen haben große Angst, wenn man dieses Thema anspricht. Sie meinen, ihre Menschenwürde würde darunter leiden. Andere sagen, es sei eine längst verstaubte, alte Geschichte, die für unsere Zeit nicht mehr wichtig ist. Vielleicht ist es am schlimmsten, dass es sogar vorkommt, dass in Kirchen und auf Kanzeln Pfarrer diese ganz aktuelle Sache nicht mehr in den Mund nehmen. In Predigten und Gebeten findet sie sich kaum noch.
Hier und da wird die Sache, die eigentlich die wichtigste ist, nämlich wie wir Vergebung unserer Schuld bekommen, angesprochen. Wir schieben dieses Thema oft weg, weil es bei uns so viel aufwühlt und Unruhe schafft. Dann werden uns plötzlich Dinge bewusst, die wir längst vergessen hatten.
Gott redet immer wieder von unserem versäumten und verfehlten Leben. Was sollen alle Programme, die wir uns machen, und unsere großen Lebensaufgaben, wenn unser Leben von Anfang an verfehlt und falsch gelebt ist? Was nützt jede gute Tat, wenn der Grund, auf dem wir leben, nicht stimmt?
Darum hat uns heute Gottes Wort diesen Abschnitt gegeben, in dem von Schuld und Sünde gesprochen wird. Sagen Sie bitte nie, das seien abgegriffene Worte. Wir schieben diese Themen so gerne auf äußere Dinge. Die Sache ist uns unangenehm, weil wir ungern über Schulden reden.
Gehen Sie mal in eine Bank und sehen Sie, wie diskret es dort zugeht, wenn jemand einen Kredit aufnimmt. Darüber spricht man doch nicht offen. Das sind Dinge, die ins Peinliche gehören, erst recht, wenn wir voreinander so stolz sind auf das, was wir im Leben erreicht haben.
Wir können gar nicht offenlegen, wie unser Leben voll ist von Versäumnissen und vom Unrecht, das wir anderen angetan haben. Wir müssen von Schuld und Sünde reden, weil das ja das ganze Evangelium ist. Wenn dieses Wort und diese Sache aus Predigt und Gebet verschwinden, ist das Evangelium zu nichts mehr nütze.
Denn dazu ist Jesus Christus in diese Welt gekommen: Er ruft den Menschen die Vergebung der Sünden zu und bringt sie. Dadurch werden Menschen frei. Darum muss heute davon gesprochen werden und immer wieder von diesem alleraktuellsten Thema. Erst von hier aus bekommen wir einen neuen Blick für all die aktuellen Tagesfragen, die uns bewegen.
Das ist die große Botschaft: Jesus Christus kann die schlimmsten Versäumnisse des Lebens heute Morgen zudecken. Selbst wenn Sie heute Nacht nicht schlafen konnten, weil Ihr Gewissen von Dingen geplagt wird, die Sie nicht ablegen können – er will vergeben und vergessen lassen.
In der Bibel stehen so große Worte von der Vergebung. Wenn eure Sünde gleich blutrot wäre – ein unheimliches Bild, dieses knallige, scharfe Rot –, soll sie doch schneeweiß werden. Sie können Jesus Christus nur verstehen durch die Vergebung, die er Ihnen und uns allen heute Morgen schenken will.
Drei zentrale Punkte aus der Geschichte der Sünderin
Ich möchte mich erneut nur auf drei Punkte aus diesem umfangreichen Abschnitt konzentrieren, obwohl viel mehr darin enthalten ist. Mein Anliegen ist es, darüber zu sprechen, was diese Punkte im Leben eines Menschen bedeuten.
Die innere Unruhe und der Schritt zur Begegnung mit Jesus
Siehe, da war eine Frau in der Stadt. In der Stadt leben ja viele Leute. Warum wird da von der einen so betont gesprochen? Da war eine Frau in der Stadt, die unruhig geworden war über die Schuld ihres Lebens.
Lassen Sie sich doch nicht davon abhalten, wenn in Ihrem Leben die Frage laut geworden ist: Wie komme ich von den alten Dingen los? Viele um Sie herum wird das nicht bewegen.
Siehe, da war eine Frau in der Stadt. Im Neuen Testament wird uns das immer so beschrieben: Es waren einige wenige, in denen Gott schon gewirkt hatte und deren Gewissen er angerührt hatte, sodass sie überhaupt nach Frieden und Vergebung suchten.
Sie war stadtbekannt, gebrandmarkt und von den Menschen verurteilt – nicht ohne Grund. Sie hatte keine Hoffnung und keine Chance, wie ihr Leben anders werden sollte. Doch sie hat begriffen: Nur bei Jesus gelten all diese Einteilungen nichts mehr.
Es ist ein Meistertrick vom Teufel, dass er genau die Dinge auf den Kopf stellt und so tut, als ob Jesus immer von der Sünde redet. Die Menschen reden doch immer von unserer Sünde, sie halten sie uns doch vor. Ich will zu keinem Klassentreffen meiner Schule mehr, weil ich da immer der Alte bin. Die nehmen ja nie zur Kenntnis, dass man inzwischen eine Lebensgeschichte mitgemacht hat. So bleibt es ja überall im Leben: Wir werden von den Menschen immer eingestuft, so bist du nur.
Jesus nicht. Er nimmt einen Menschen, der stadtbekannt und verurteilt ist – nicht ohne Grund – und sieht ihn ganz anders. Er kann Sünde und Person trennen und scheiden. Darum liebt uns Jesus so sehr, darum geht er uns ja nach. Weil er uns in der ganzen Ursprünglichkeit wieder sieht, wie Gott uns einmal vor in dieses Leben gestellt hatte.
Der Pharisäer Simon war ein heller Kopf und ein kluger Mann. Er sagte sich: Wenn Jesus wüsste, wer die Frau ist, dann würde er doch mit so einer Frau nicht reden. Das ist ja gefährlich, da kompromittiert man sich, wenn man sich mit der abgibt.
Genau solche Menschen will Jesus haben. Und wenn er uns nachgeht, dann tut er das nicht, weil wir so nette Leute sind und so fromm ihm dienen könnten, sondern weil ihn die Schuld bewegt, die uns von der vergangenen Woche anhängt.
Jesus will doch heute Morgen mit uns reden, weil unbereinigte Dinge bei uns da sind. Es geht Jesus nie um die Einhaltung der Gebote und der Weltordnung. Es geht Jesus immer um Menschen, die er befreien und retten will.
Denn sie vernahm, dass Jesus zu Tisch saß im Haus des Pharisäers. Woher hat die Frau eigentlich gewusst, dass Jesus da war? In der Bibel wird immer so knapp berichtet. Man will seine Phantasie spielen lassen und fragen: Wie ging das?
Ja, genauso wie es bei Ihnen ging, als Sie einmal zum ersten Mal von eigenem Antrieb auf das Evangelium zugingen, als Sie zu einer Versammlung gingen, in der einem das Wort Gottes so tief ins Herz gesprochen wurde. Was ist das bloß für ein Geheimnis?
Die Frau hört das, was viele in der Stadt hören: Jesus ist da, und er hat sich bei Simon im Haus niedergelassen. Und dann kommt auf einmal diese Unruhe in ihr: Da muss ich hingehen.
Ich möchte Sie bitten: Wenn Sie diese Unruhe in Ihrem Herzen spüren, weichen Sie nicht aus. Jesus hat im Johannesevangelium ganz deutlich erklärt, dass, bevor wir überhaupt zum Glauben kommen, ein Ziehen Gottes, des Vaters, nötig ist in uns. Auch schon die ersten Regungen müssen von Gott gelenkt werden.
Und wie furchtbar ist es, wenn ein Mensch dieses Ziehen unterdrückt, wenn er sich verschließt und sagt: Nein, nein, ich habe jetzt Termine, ich kann nicht, oder wenn er andere Dinge vorschiebt.
Wenn Gott uns zieht und wir spüren: Da musst du hin, da muss etwas in deinem Leben bereinigt werden – und dann, wie heißt es heute, wenn er seine Stimme hört: So verstocke eure Herzen nicht. Das ist das Allerschlimmste, was man tun kann.
Diese Frau vernahm das und es regte sich in ihr: Da muss ich hin. Es wird einer der schlimmsten Schäden im Christentum des zwanzigsten Jahrhunderts sein, dass man die Fragen des Glaubens völlig einseitig intellektualisiert und in den Kopf verlagert hat, auch auf die Gefühle.
Manche meinen, ich würde ein Dummkopf bleiben und den Verstand nicht hoch einschätzen gegenüber ihnen. Ich sage es dennoch: Wir haben eine Verlagerung betrieben, als ob wir zum Glauben helfen könnten, indem wir nächtelang reden und reden.
In der Bibel wird neben dem Reden, neben dem Überlegen und Denken – das sein Recht hat – betont, dass Glaube eine Willenssache ist.
Die Frau, die sagt: Ich muss da hin, die Not ihres Lebens brennt ihr doch unter den Füßen. Und das soll uns allen wieder zur Klarheit gesagt sein: Sie trifft eine Entscheidung und sagt jetzt: Ich muss zu ihm hin.
Ist das nicht oft gerade die typische Not unserer volkskirchlichen Gottesdienste? Dort geht man oft so kühl aneinander vorüber und geht hinaus, obwohl man angesprochen ist und spürt: Jetzt müsste eine Aussprache her, jetzt müsste ich mein Leben Christus ausliefern, hier müsste ich eine Beichte ablegen, hier müsste etwas bereinigt werden.
Und dann geht man scheu auseinander, und die Wunde wird hinterher nur noch schlimmer, weil man etwas gespürt hat. Es ist ja bei mir wie bei dieser Frau, aber es kommt nicht zum Schritt, es kommt nicht zur Entscheidung auf Christus hin.
Wenn wir doch einen klaren Schritt machen würden, wie diese Frau ihn tut: Ich will, ich will zu Jesus hin! Was das im Leben eines Menschen bedeuten kann, wenn er begreift: Jesus will bei mir schmutzige, unreine, gottlose und böse Dinge bereinigen und bewältigen.
Die unheimliche Blindheit des Pharisäers Simon
Das Zweite – die unheimliche Blindheit, über die ich nun sprechen muss, betrifft diesen Simon. Warum hat er überhaupt Jesus eingeladen? Hier muss man wieder ein wenig rätseln, und es bleiben verschiedene Deutungen möglich. Vielleicht ist es sogar gut, sich ein wenig in diesen Mann hineinzuversetzen.
Ob er Jesus eine Falle stellen wollte? Das wäre mir zu heimtückisch. Ob er ein gewitzter und hinterhältiger Mann war? Ich denke nicht. Vielleicht suchte er ehrlich, so wie wir, die sagen: Wir wollen der Sache einmal nachgehen. Ich möchte mich ehrlich und offen mit Jesus auseinandersetzen. Tatsächlich setzt er Jesus zu sich hin, aber er bleibt auf Distanz. Man merkt, dass er Jesus die einfachsten Freundesdienste verweigert. Er hätte ja die Füße Jesu waschen können und ihn herzlich begrüßen, wie es sogar der Numeri macht, der dem Bundespräsidenten den orientalischen Freundschaftskuss auf die Wange drückt, wie wir in den Zeitungen gesehen haben.
Warum hat Simon das nicht getan? Hat er vielleicht gedacht: Pass auf, damit deine Freunde nicht denken, du wärst schon mit ihm liiert. Du willst dich ja erst auseinandersetzen. Das scheint mir typisch für Simon zu sein, der auf Distanz bleiben will.
Nun gut, das ist noch nicht das Schlimmste. Warum sollte er nicht auf Distanz bleiben? Das Schlimmste bei ihm ist, dass er Gnade nicht begreifen kann. Ich habe mir vorgestellt, dass Simon vielleicht auch sagen würde: Gnade? Was ist denn das? Ein abgegriffenes Wort ohne Bedeutung. Jesus macht ihm deutlich: Simon, Gnade können nur Menschen verstehen, die sie erfahren haben, denen riesige Berge von Schuld vergeben wurden. Du bist ein armer Tropf, weil du in deinem Leben nie so tief unten warst, dass du Gnade hättest begreifen können.
Es ist wieder einer dieser Meisterstreiche des Teufels, dass er uns einredet, wir könnten es im Leben ganz gut schaffen. Dass wir mit den Geboten schon so weit fertig sind, dass nur noch ein kleines Stück fehlt, wo wir Jesu Hilfe zu unserem eigenen frommen Leben brauchen würden. Manchmal erinnert mich der Gebrauch der Gnade Jesu an die Finanzierung eines Eigenheims. Man hat alles fertig – die großen Brocken, den Eigenbeitrag – und dann ist da noch die Restfinanzierung. Die Restfinanzierung meines frommen Lebens. Sicher, wir brauchen alle Vergebung, denn niemand von uns ist vollkommen.
Oh Simon, so wirst du Jesus nie erkennen, so wird er dir fremd bleiben. Und das ist so schlimm, weil Simon gerade in dieser Begegnung in die allerschlimmste Sünde seines Lebens gerät: Er steht dem lebendigen Sohn Gottes gegenüber und erkennt seine Liebe nicht. Was hat unser Leben für einen Wert, wenn wir den Sohn Gottes nicht erkennen und nicht an ihn glauben? Wenn Gott uns nachgeht und ruft, und wir sagen, wir haben ihn nicht entdeckt und erkannt, weil Jesus sich nur über seine Gnade erkennen lassen will.
O Simon, du bist der allerärmste. Jeder noch so tief gefallene Mensch, der die schlimmsten Dinge getan hat, kann gerettet werden, weil er Gnade begreift, weil er merkt, was das ist. Aber fromme Kirchenleute können fast nicht gerettet werden, weil sie vor lauter Wohlanständigkeit nur überlegen, wie sie ihr Leben gestalten. Oh, was für eine Geschäftigkeit gibt es in der Christenheit! Was man alles tun will, welche Aufgaben man sich vornimmt, wo man sagt: Sollen wir uns auch noch für die Gruppe einsetzen und für jene? Dabei begreift man oft nicht, dass man mit einem verlorenen Leben tagtäglich vor dem Herrn steht und nur seine Gnade ergreifen will. Herr, lass mich dein Vergebungswort hören.
Doch auch dieser Mann wird von Jesus gesucht. Jesus geht ihm nach, steht vor seiner Tür und klopft an. Er spricht ihn sogar mit Namen an: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Es überrascht uns, dass Jesus schon in das Haus eines Pharisäers hineingeht. Wir haben oft einen festen Begriff von Pharisäern. Doch auch Pharisäer sind von Jesus geliebt.
Simon, hörst du, wie er dich bei deinem Namen ruft? Hörst du, wie er dir deutlich machen will, dass du mit einer Blindheit in deinem frommen Gehäuse lebst? Wie er dich jetzt erreichen will und es dir über eine Geschichte zeigen möchte – eine ganz einfache, klare, verständliche Geschichte? Verstehst du nicht, wie Gott dir das deutlich machen will, auch über deine eigene Lebensgeschichte?
Merkst du nicht, dass die größten und wunderbarsten Punkte deines Lebens die Schuld sind, über die du so schnell hinweggehst? Gerade diese Punkte will Gott nutzen, um dir zu zeigen: So habe ich dich lieb, so habe ich dich lieb. Das findet man in der ganzen Bibel. Zum Beispiel bei Hiskia, der nach einer langen Krankenzeit plötzlich merkt: Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen.
Ach, ich bin so lange durchs Leben gelaufen, als müsste ich für Gott etwas vollbringen. Und auf einmal fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Es war ja umgekehrt. Gott ist mir nachgelaufen, hat mich gesucht, geholt und gerufen. So ging es den Brüdern Josefs, als sie ihr Getreide in Ägypten kaufen wollten und in kleine Schwierigkeiten gerieten. Ach, jetzt wird uns klar, dass wir das an unserem Bruder verschuldet haben.
Wenn Ihnen doch Ihre ganze Lebensgeschichte, Ihre verschlüsselte und schwierige Lebensgeschichte, auf einmal klar werden würde. Ach, darum war alles so kompliziert, darum bin ich in so viel Not geraten, weil mir Jesus seine überwältigende Liebe zeigen wollte. Ich sollte alles auch erfahren wie diese große Sünderin. O Simon, wenn du doch merken würdest: Es geht alles nur um diese Liebe, die wir erkennen sollten.
Simon sagt zu Jesus: Wer nicht viel Vergebung erfahren hat, kann auch nicht viel lieben. Und diese Frau hat für Jesus gar nicht viel getan. Es werden merkwürdige Handlungen erwähnt, dass sie Jesus die Füße gewaschen hat. Wir fragen uns: Was hat das für einen Sinn? Verändert das die Welt? Jesus fragt gar nicht danach, ob das die Welt verändert oder ob es aus Liebe zu ihm getan wurde.
Jesus nennt das auch beim Becher Wasser am Jüngsten Gericht. Da sagen wir: Was ist das schon? Wasser kommt aus der Leitung, das kann jeder kriegen. Doch Jesus sagt: Die alltäglichen Dinge, die in Liebe zu Jesus getan werden, haben Sinn. Da hat jemand den Sinn des Lebens gefunden.
Du, Simon, du verstehst das gar nicht. Diese Frau hat begriffen, was ihr Leben füllt und groß macht. Es ist erschütternd, wie diese Geschichte damit endet, dass Simon von Blindheit geschlagen ist. Jesus war ganz nah bei ihm.
Wie viele Menschen werden einst am Jüngsten Tag dastehen und sagen: Herr, wir haben es nicht begriffen. Die, die ganz nah dabei waren, sagen: Herr, das haben wir immer noch nicht verstanden. Simon steht vor Jesus und fragt: Warum redest du denn immer von mir?
Wie oft habe ich in meinem Leben diese Rede auch als ärgerlich empfunden: Warum hat Jesus denn immer von der Schuld gesprochen? Sie kennen doch die Geschichte von König Ahab, der zu Elija sagt: Du hast mich gefunden, mein Feind. Immer kommst du mir mit den alten Geschichten. Hast du denn nichts anderes?
Nein, Jesus hat nichts anderes, weil er uns die Befreiung erfahren lassen will. Er kommt immer mit den alten Geschichten, bis wir zu dieser großen Liebe und zur Vergebung hindurchgefunden haben.
Die Bedeutung der Vergebung und das Erleben des Friedens
Nun zum Dritten: Noch einige ahnen, was da geschieht. Das Erste war, was das im Leben eines Menschen bedeutet. Im Zweiten wollte ich von der unheimlichen Blindheit reden. Und im Dritten nun noch einige ahnen, was das bedeutet.
Am Ende steht da, dass einige sich innerlich aufregen und sagen: Was macht der da, der Sünden vergibt? Bei uns hat sich durch eine zweitausendjährige christliche Lauheit so eingebürgert, dass wir sagen: Na ja, was ist denn schon Vergebung? Das ist ja das Mitgefühl Gottes, das muss er ja tun.
Diese Menschen ahnen noch, was da geschieht. Wenn ich einem Menschen etwas zugefügt habe, wird mir manchmal bewusst: Das kann man nie mehr gutmachen, mit keiner guten Tat mehr zudecken. Und ich glaube, es ist noch nie jemand an einem Grab gestanden, ohne zu denken: Ich wollte manches noch einmal gutmachen, ich kann es nie mehr gutmachen.
Unser Leben besteht aus so vielen Augenblicken, die wir nie mehr zurückholen können – das Wort, das gesprochen wurde, ganz abgesehen von den Taten. Wenn wir heute in unserem Volk immer wieder von unbewältigten Dingen aus der Kriegszeit reden, wissen wir doch, wie da Bilder wieder hochkommen und wie uns das alles nicht weitergeholfen hat.
Wir mussten ja das tun, was wir getan haben, das, was geschehen ist. So viel in unserem Leben ist geschehen, ob aus Zwang oder aus anderen Gründen. Wer will denn das vergeben können? Wer soll das können? Nur ein ganz kleiner Prozentsatz kann wahrscheinlich bereinigt werden. Wohl dem, der zur Straßenbahn gehen kann und seine Geldsachen in Ordnung bringen kann. Das sind kleine Dinge, die Gott sei Dank gelöst werden können.
Aber die großen Dinge können nie mehr gelöst werden? Doch, Jesus sagt: Sie können. Ich kann es. Er hat Macht. Und er spricht zu dieser Frau dieses ungeheure Wort: vergeben und ausgelöscht. Das heißt, in diesem Augenblick ist es ganz weggetan.
Was das bedeutet, „weggetan“, so wie es in der Bibel heißt: in des Meeres Tiefe geworfen. Es war der Evangelist Samuel Keller, der es in seiner eindrücklichen Art gesagt und erklärt hat: Er hängt draußen in der Sakristei seinen Hut an der Garderobe. Entweder hängt er draußen an der Garderobe oder er hat ihn auf dem Kopf. Er kann nicht gleichzeitig den Hut auf dem Kopf haben und an der Garderobe hängen. Entweder oder.
So ist es auch mit unserer Schuld: Meine Schuld ist von Jesus vergeben, oder ich trage sie noch an mir herum. Ich muss wissen, wo sie liegt. Sie muss vergeben und ausgelöscht sein.
Und Korinthin Böhm hat hier bei uns in der Leonhardskirche, wenn sie da war, immer wieder dieses einprägsame Bild gebraucht von der Schuld, die in die Meerestiefe geworfen ist, wo ein Schild draußen dransteht: „Angeln verboten“. Du darfst nicht mehr dran herumziehen an der alten Sache und sie wieder hochholen aus der Meerestiefe – vergeben und vergessen.
Die Leute haben es begriffen. Was ist das? Das verstehen nur abgebrühte Christen nicht mehr, was Vergebung heißt und dass wirklich das ausgelöscht ist.
Wenn Sie das einmal begreifen würden, was Gewissheit der Vergebung bedeutet, welch eine Freude davon ausgeht, dann bitte ich Sie zum Schluss: Sie suchen nicht nach dem Gefühl der Vergebung und sagen, ich will das auch gerne fühlen. Wenn Sie das fühlen wollen, müssen Sie zum Kreuz Christi schauen.
Schauen Sie nicht auf die Gefühle, schauen Sie zum Kreuz Christi und legen Sie die Schuld bei ihm nieder, wo er ihnen zuruft: Für deine Sünde bin ich in den Tod gegeben, vergeben und vergessen.
Und dann spricht Christus dieser Frau das Wort zu: Gehe hin in Frieden. Sie geht wieder zurück in ihr Haus, wo alles erinnert an diese furchtbaren Dinge von einst. Und sie würde am liebsten ganz sichtbar, äußerlich bei Jesus bleiben. Aber Jesus sagte: Gehe, mein Friede geht mit dir.
Das Gefühl folgt nach: Mein Friede geht mit dir. Schau auf ihn, wo er Schuld vergibt, und er spricht dir seinen Frieden zu. Er gibt dir seinen Frieden. Amen.
Schlussgebet und Segenswunsch
Wollen beten: Herr, wir haben so oft beschönigen wollen und uns herausreden wollen. Darum wurden wir nie von dieser Macht der Sünde los und sind nie aus den dunklen Bindungen herausgetreten. Oft war unser Blick getrübt, und wir haben dich nie erkannt. Wir hatten viele Fragen über dich und dein Wort, weil wir nie deine Gnade an uns vollziehen ließen.
Herr, du willst täglich dieses Wunder an uns tun und die Menge der Sünden zudecken. Du willst all das andere von uns abstreifen, was uns anhängt und träge macht. Wir danken dir, dass du uns so völlig erneuern kannst und dass Sünde wirklich nicht mehr das Thema unseres Lebens sein muss. Du machst etwas ganz Neues.
Wir danken dir für dieses Wunder der Vergebung. Hilf uns jetzt zu einer ganzen Bereinigung, zu einer ganzen Klarheit. Lass uns die ausgestreckte Hand der Brüder und Schwestern ergreifen und zu Klarheit in unserem Leben finden. Möge unser ganzes Leben nur noch bewegt sein von der Liebe zu dir. Alle unsere Dinge, die wir tun, sollen für dich getan werden – aus Dankbarkeit, ja, über das Wunder, dass unser Leben von dir angenommen ist.
Lass uns gewiss werden, dass du uns nicht loslässt und uns durch jeden Tag trägst. Auch durch dunkle und schwere Stunden hindurch, ja selbst durch das letzte Endgericht, führst du uns in deinen Frieden. Herr, dir sei Dank für diese große Zusage.
Wir möchten dich bitten für all die Menschen um uns herum, die belastet, zerbrochen und müde sind. Für die, die niedergeschlagen sind, weil niemand da ist, mit dem sie ihre Schuld bereden können. Gib uns offene Augen, damit wir ohne aufdringlich zu sein, Seelsorger werden. Lass uns auf Menschen zugehen, wie du auf Simon zugegangen bist. Gib uns die Bereitschaft, uns zu Menschen hinzubequemen und ihnen die Gelegenheit zu geben, deine Liebe und deine Vergebung zu erfahren.
Herr, segne alle Dienste, wo sie geschehen – in unserem Volk und in jedem Werk der Mission weltweit. Gib, dass Menschen die Augen aufgetan werden und dass sie dich erkennen in deiner Liebe. Lass sie Frieden bei dir finden.
Lasst uns gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Er ist unser Friede. Das gilt auch für sie, wenn sie wieder hineingehen in ihre Aufgaben und Verpflichtungen. Denn Herr will seine segnende Hand auf sie legen.
Herr, segne uns und behüte uns.
Herr, lasse dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig.
Herr, erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden!
