Einführung: Die Bedeutung des Gebets in der Gemeinschaft
Evangelium, Bergpredigt, Kapitel 6, Vers 5.
Wer seine Bibel gut kennt, erkennt sofort: Das ist der Abschnitt über das Gebet in der Bergpredigt. Hier will Jesus uns zeigen, wie wir beten sollen.
Ich habe mir gedacht, das passt auch gut zu diesem Wochenende. Denn bei Gemeinschaft haben wir uns bereits darüber unterhalten, wie Gott Gemeinde im optimalen Fall gedacht hat. Wir haben auch gesehen, wo es Schwierigkeiten in der Gemeinschaft, in der Gemeinde gibt.
Außerdem habe ich mir überlegt, dass das Miteinander, das wir in der Gemeinde erleben, wesentlich davon bestimmt wird, wie wir zu Gott stehen und welche Verbindung wir zu ihm haben. Diese Beziehung drückt sich ganz wesentlich im Gebet aus, in unserem Gebetsleben.
Wie sieht das bei uns aus? Wie stehen wir zu Gott? Wie oft und wie intensiv beten wir? Wie wichtig ist es uns, Gemeinschaft mit Gott zu haben – durch Bibellesen und Beten?
Deshalb habe ich mir gedacht, dass es heute Morgen gut ist, wenn wir uns darauf konzentrieren, was Jesus seinen Jüngern zum Gebet weitergegeben hat. Denn auch wir wollen Jünger Jesu sein, ihm nachfolgen und so leben, wie er es sich gewünscht hat.
Die einzige Stelle, an der Jesus den Jüngern genau erklärt, wie sie beten sollen und wie sie ihren Kontakt zum Vater pflegen können, findet sich im Matthäusevangelium in der Bergpredigt. Es gibt zwar noch andere überlieferte Gebete Jesu, aber nie setzt er sich so intensiv und zusammenhängend damit auseinander.
Heute Morgen wollen wir zumindest einige Aspekte daraus herausnehmen. Einige kleine Teile, die uns helfen sollen, unsere Beziehung zu Gott zu pflegen und auf eine neue Basis zu stellen.
Ich werde nicht alles ansprechen können, was in diesen Versen steht, aber ich lese sie zunächst einmal vor.
Die Anleitung Jesu zum Gebet
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler. Denn sie stellen sich gerne in den Synagogen und an den Straßenecken auf und beten, um von den Leuten gesehen zu werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon empfangen.
Du aber, wenn du betest, geh in dein Kämmerlein, schließe deine Tür und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir öffentlich vergelten.
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden. Denn sie meinen, sie werden erhört um ihrer vielen Worte willen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Euer Vater weiß, was ihr benötigt, ehe ihr ihn darum bittet.
Darum sollt ihr so beten:
Unser Vater, der du bist im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Gib uns unser tägliches Brot und vergib uns unsere Schulden,
wie auch wir vergeben unseren Schuldnern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern errette uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, wird euch auch euer himmlischer Vater vergeben. Wenn ihr aber den Menschen ihre Verfehlungen nicht vergebt, wird euch euer himmlischer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Die Haltung beim Gebet: Echtheit statt Heuchelei
Das ist noch ein Nachsatz, der ein wenig die Bitte erklärt, die im Vaterunser enthalten ist. Zuerst wird uns das allgemeine Umfeld des Betens erläutert. Wir sollen nicht beten wie die Heuchler.
Gestern habe ich bereits kurz erklärt, was einen Heuchler ausmacht. Öffentlich, so steht es bei mir, in der neuen Schlachter-Übersetzung, heißt es in Kapitel 6 Vers 5: „öffentlich vergelten“. Ihr habt vielleicht andere Übersetzungen, ich weiß es nicht. Ich selbst wechsle immer mal wieder die Bibelübersetzungen, um mich neu mit dem Text auseinanderzusetzen. Wenn man über Jahre hinweg immer dieselbe Übersetzung liest, gewöhnt man sich zu sehr an den Wortlaut und liest nicht mehr genau hin.
Im Moment probiere ich die neue Schlachter-Übersetzung aus. Dabei fallen mir sowohl positive als auch negative Aspekte auf, sowohl im Aufbau als auch in der Übersetzung. Eine Besonderheit ist, dass sie die Textüberlieferung des Textus receptus befürwortet. Dadurch klingen manche Formulierungen etwas anders, der Inhalt bleibt jedoch gleich. Ich vermute, dass das auch hier eine Rolle spielt.
In Vers 6 steht also: „öffentlich vergelten“. Zuerst zu den Heuchlern: Es wird gesagt, sie stehen an den Straßenecken und beten so auffällig, dass es alle sehen können. Heutzutage findet man das nicht mehr so oft. Wenn ihr etwa in Detmold oder Lippstadt in der Stadt unterwegs seid, seht ihr dort Leute, die an Straßenecken beten? Ich persönlich fände es gar nicht schlecht, wenn das öfter vorkäme.
Damals war es so, dass man, wenn man etwas auf sich hielt, nicht durch besondere Kleidung oder Schuhe auffiel, sondern dadurch, dass man öffentlich betete. Das brachte Ansehen und zeigte, dass man fromm war. Es gab viele Pharisäer, die extra warteten, bis die Hauptzeit kam, wenn alle zum Markt gingen, um sich dann an den Straßenrand zu stellen und zu beten.
Das kennt ihr vielleicht von Bildern, die es heute noch gibt. Wenn man an der Klagemauer betet, macht man das nicht einfach still, sondern bewegt die Hände und ist sichtbar in Bewegung. Das ist auffällig und laut, damit es andere hören. Jesus sagt dazu, dass das Heuchelei ist. Denn diesen Leuten geht es nicht darum, zu Gott zu sprechen, sondern nur darum, die Aufmerksamkeit der Umstehenden zu erlangen.
Es gab sogar besondere Klassen von Pharisäern, wie die „wundgeschlagenen Pharisäer“. Diese wollten besonders fromm erscheinen und sagten etwa, ihre Augen dürften beim Beten keine Frau sehen. Sie schlossen die Augen, wenn sie eine Frau sahen, liefen weiter und beteten. Dadurch hatten sie oft blaue Flecken und Wunden im Gesicht, was sie als Zeichen ihrer besonderen Frömmigkeit deuteten.
Man sieht, das Ganze war nur Show. Es ging nur darum, nach außen hin zu zeigen, wie fromm man ist. Ich weiß nicht, wie das bei euch in der Gemeinde ist, aber in manchen Gemeinden gibt es ähnliche Menschen. Man hat den Eindruck, dass ihr Gebet nicht wirklich an Gott gerichtet ist, sondern eher eine Predigt an die Gemeinde darstellt.
Manche halten im Gebet eine richtige Predigt, weil sie sonst nicht oft predigen dürfen. Das ist ein Missbrauch des Gebets, denn im Gebet sprechen wir zu Gott, nicht zur Gemeinde. Wenn man zur Gemeinde sprechen will, sollte man sich vorne hinstellen oder um das Wort bitten. Sonst ist das Heuchelei, so wie die Bibel es hier sagt.
Es gibt auch eine andere Art von Heuchelei: Immer wieder dieselben Phrasen zu beten. Man hat den Eindruck, der Betende überlegt gar nicht mehr, was er sagt. Das ist ähnlich wie in der Ehe, wenn man immer dieselben Sätze sagt. Das wirkt mit der Zeit langweilig und niemand nimmt es mehr ernst. Wenn du immer wieder dasselbe sagst, glaubt niemand mehr, dass du es wirklich ernst meinst.
Wir sollten uns deshalb fragen, ob unsere Gebete von Herzen kommen. Schön formulierte und gereimte Gebete sind nicht schlecht, aber wenn sie nicht von Herzen kommen, sind sie schlecht. Dafür müssen wir nicht in die katholische Kirche gehen, um das Ave Maria zu beten, und sagen, das machen wir nicht, weil es katholisch ist.
Wir können auch selbst Gebete formulieren. Wenn wir diese aber immer nur wiederholen, ohne mit dem Herzen dabei zu sein, ist das ebenfalls Heuchelei. Jesus sagt hier: Schweigt darüber! Ihr habt euren Lohn bereits erhalten – die Anerkennung der Gemeinde.
Ihr seht ja, wie alle sagen: „Wie fromm kann der beten! Wie gut kann der beten! Was für eine gute Predigt hält der im Gebet!“ Aber das ist nicht echtes Gebet zu Gott. Deshalb könnte man es auch gleich lassen oder es unter dem richtigen Etikett laufen lassen.
Das Gebet im Verborgenen: Die innere Haltung zählt
Und dann kommt als Nächstes: „Wenn du betest, sollst du dich in dein Kämmerlein zurückziehen.“ Hier sagt Jesus genau das Gegenteil von dem, was manche vielleicht erwarten. Das bedeutet nicht, dass wir nur in einem kleinen Abstellkämmerlein beten dürfen. Vielmehr soll hier ein Unterschied deutlich gemacht werden – nämlich zwischen dem Extrem, öffentlich auf dem Marktplatz zu beten, damit es alle sehen, und dem Beten im Verborgenen.
Jesus sagt: Nein, es kommt darauf an, dass Gott es hört und nicht, dass viele Leute ringsherum es hören. Das heißt nicht, dass ihr jetzt Hemmungen haben müsst, bei der nächsten Gebetsgemeinschaft in der Gemeinde nicht zu beten, weil das ja in der Öffentlichkeit stattfindet und das verboten wäre. Das meint Jesus hier nicht. Er sagt vielmehr, dass ihr nicht beten sollt, um von anderen gehört zu werden. Euch zu präsentieren ist die falsche Motivation.
Damals drückte sich das darin aus, dass man nicht an den Straßenecken beten sollte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Unsere Motivation soll vielmehr sein: Wir wollen zu Gott sprechen und ihm das ausdrücken, was uns auf dem Herzen liegt.
Dann kommt es auch gar nicht darauf an, ob du mal ein bisschen stammelst, ob die Grammatik nicht ganz in Ordnung ist, ob du keine schöne Wortwahl hast oder ob das Gebet nicht schön gereimt ist. Du schüttest Jesus dein Herz aus. Wenn eure Kinder zu euch kommen und irgendeine Not oder ein Problem haben, achtet ihr wahrscheinlich auch nicht zuerst auf die Grammatik. Nein, ihr hört erst einmal zu, nehmt das Gesagte auf und freut euch, dass die Kinder euch Vertrauen schenken. So ist es auch bei Gott.
Darauf kommt es an – das ist das Wesentliche, was im Zentrum steht. Und wir sehen hier, dass Gott ins Verborgene zieht. Wir müssen nicht laut herum schreien, denn Gott hört uns, egal wo wir versteckt sind. Ob wir in einer Gefängniskammer sind, wie Richard Wurmbrand, der lange Zeit im Gefängnis verfolgt wurde, oder wie Paulus, der im Gefängnis von Philippi war – Gott hört uns auch dort.
Das soll uns zum Ausdruck gebracht werden. Hier steht, dass Gott es öffentlich vergelten wird. Er ist damit nicht gemeint, dass plötzlich alle in der Gemeinde vom Himmel eine Stimme hören und sagen: „Ja, der Peter betet immer gut allein in seinem Kämmerlein, hört auf ihn!“ Nein, das wird wahrscheinlich nicht so passieren.
Was Jesus auch sagt, ist: Alles, was im Geheimen getan wird, wird an die Öffentlichkeit kommen – und zwar beim großen Gericht. Wir alle werden vor dem Gericht Gottes stehen. Dann wird offenbar, wer mich gespeist hat, wer denen zu essen gegeben hat, wer sich Gott hingegeben hat, wer Geld in die Sache Gottes investiert hat. Plötzlich wird das bekannt, und alle Menschen werden es sehen und hören.
Damit ist nicht gemeint, dass jetzt alles veröffentlicht werden muss oder dass wir eine Internetseite machen sollen, auf der steht, wer wie viel gespendet oder gebetet hat. Das gibt es ja bei den Zeugen Jehovas. Ich unterrichte auch Sektenkunde, und bei den Zeugen Jehovas gibt es jedes Jahr ein Jahrbuch, in dem ganz genau angegeben ist, wie viel Zeugendienst geleistet wurde – also wie viele Minuten man an der Haustür gesprochen hat. Alles wird genau buchgeführt, bis ins letzte Traktat, das weitergegeben wurde.
Da merkt man, dass Gott so nicht dabei ist. Aber wir sehen: Was wir tun, wenn wir uns Gott hingeben, das vergisst Gott nicht. Er hört uns, antwortet uns und wird das auch einmal anderen Menschen zeigen.
Wir werden vor dem Gericht stehen. Dieses Gericht heißt für uns Christen Preisgericht, bei dem wir von Gott belohnt werden für das, worin wir treu gewesen sind.
Die Warnung vor leeren Worten und Wiederholungen
Und dann lesen wir ab Vers sieben: Ihr sollt nicht auch plappern wie die Heiden.
Bei den Heiden gab es das damals, wie wir es auch aus der Bibel kennen. Denkt mal an die große Auseinandersetzung zwischen Elija und den Baalpriestern auf dem Karmel. Dort ist es ähnlich mit dem Plappern, das ist gemeint.
Ihr erinnert euch vielleicht an diese große Show, die stattfindet: zwei Altäre werden aufgebaut, massenhaft Wasser wird darüber geschüttet, und dann soll gebetet werden. Die Baalpriester machen das richtig, wie es damals im Heidentum üblich war. Sie laufen um den Altar, beten und schreien stundenlang. Doch es wirkt nicht. Dann ritzen sie sich noch, schreien lauter, fallen in Ekstase und kommen plötzlich in Prophetie hinein.
Elija steht dabei ganz unbeteiligt daneben. Wir können sogar sagen, ein bisschen sarkastisch. Er sagt: Ihr müsst euch noch ein bisschen mehr anstrengen. Vielleicht ist euer Gott gerade eingeschlafen. Macht ihn ein bisschen lauter, vielleicht ist er auch gerade auf der Toilette, sagt er.
Man merkt, er macht sich nur lustig über sie. Ein Gott, der auf Toilette geht oder einschläft, das ist natürlich verrückt. Aber Elija will ihnen zeigen: Euer Gott, zu dem ihr ruft, ist gar keiner. Deshalb müsst ihr so laut schreien.
So sollen wir nicht vorgehen. Wir sollen nicht wie die Leute handeln, die Gott nicht kennen und immer dieselbe Leier haben. Zum Beispiel im Buddhismus, wo vom Dalai Lama die Gebetsmühle gedreht wird – immer dasselbe und dasselbe und dasselbe. Oder wie manche Leute, die Gott nicht kennen und zehn- oder zwanzigmal dieselben Gebete herunterbeten, ohne innerlich dabei zu sein.
Darauf hört Gott nicht. Es kommt nicht auf die Lautstärke an, auch nicht auf ständige Wiederholungen. Entscheidend ist, inwieweit wir unser Herz Jesus Christus öffnen und ihm wahrhaft sagen, was uns auf dem Herzen liegt. Das ist es, was Jesus eigentlich will – nicht ständige Wiederholung oder lautes Schreien, wie es bei den Heiden war.
Denn hier wird uns gesagt: Euer Vater weiß ja, was ihr braucht. Er weiß sogar schon, was ihr braucht, bevor ihr es sagt. Ist das nicht eine tolle Sache?
Manchmal können wir das als Eltern ein bisschen erleben. Gestern am Männerabend haben wir uns ein wenig damit auseinandergesetzt, wie wir als Männer in der Familie unseren Kindern helfen und sie erziehen können. Dabei haben wir festgestellt, dass Gott in der Bibel oft mit einem Vater verglichen wird.
Wir haben die Herausforderung, so ein bisschen wie Gott zu sein. Ich meine natürlich nicht im Sinne von Anbetung. Ich habe die Männer gewarnt, wenn sie gestern nach Hause kommen, nicht zu sagen: „Ich bin jetzt wie Gott, knie nieder!“ Ich hoffe, sie haben das nicht gemacht.
Hier ist das nicht gemeint. Aber es gibt einen Punkt, an dem wir ähnlich sein können. Ist das nicht manchmal so? Mir geht es so: Manchmal weiß ich schon, was unsere Kinder brauchen, obwohl sie es selbst noch gar nicht wissen.
So ist es auch bei Gott, nur noch viel besser. Er kann viel mehr in die Zukunft schauen. Wir als normale Männer können das nicht, aber wir kennen unsere Kinder ein bisschen. Die Frauen kennen das natürlich auch. Zum Beispiel wissen sie, dass unser Kind nach draußen geht und nach zehn Minuten friert, obwohl es keine Jacke mitgenommen hat. Dann weiß man schon: Es wird frieren. Also nimmt man die Jacke mit, und wenn das Kind dann sagt: „Ah, Mama, gut, dass du die Jacke mitgenommen hast“, ist das schön.
So ähnlich ist Gott auch. Er weiß schon, was wir brauchen, obwohl wir es noch gar nicht gesagt haben. Er hat es schon vorbereitet, und wir brauchen es nur noch entgegenzunehmen. Das ist eine tolle Sache.
Uns soll gesagt werden: Das ist ganz anders als bei den Göttern, bei den Götzen, die eigentlich kein Leben haben und nicht hören können. Sie können natürlich auch nicht vorsorgen. Aber hier braucht ihr nicht so laut herumzuschreien, denn Gott weiß, was ihr braucht, und er sorgt schon dafür.
Das Vaterunser als Mustergebet und Ausdruck der Gemeinschaft
Und dann finden wir hier das Vaterunser – so nennt sich das Gebet ja – in der katholischen Kirche, in der orthodoxen Kirche, in der evangelischen, reformierten und in allen Kirchen wird es eigentlich weltweit gebetet. Es gibt in Israel sogar eine Kirche, in der das Vaterunser in vielen verschiedenen Sprachen an den Wänden angebracht ist. Ich glaube, diese Kirche steht in Jerusalem. Das ist so, weil das das einzige Gebet ist, von dem Jesus uns einmal gesagt hat, so sollen wir beten.
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nur so beten sollen. Dieses Gebet ist ein Mustergebet, das uns zeigen soll, was in die Beziehung zu Gott eigentlich mit hinein gehört. Aber das heißt auch nicht, dass wir es nie beten sollen, nur weil es ein Mustergebet ist. Es gibt ja manche freie Christen, die sehr frei dabei sind und sagen: „Na ja, das Vaterunser wird regelmäßig in der katholischen Kirche gebetet, in der evangelischen Kirche gebetet, also tun wir das nicht.“
Das ist allerdings keine gute Regel. Denn hier steht ja: „So sollt ihr beten.“ Wenn Jesus das sagt, dann sollten wir auch als freie evangelische Christen sagen: Okay, wenn Jesus das sagt, dann kann ich das ja ab und zu doch mal tun. Es ist ja nicht schlecht, genau das zu beten, was Jesus gebetet hat. Und wenn wir hier jetzt mal reinschauen, merken wir, dass das Gebet ziemlich gehaltvoll ist – manchmal vielleicht gehaltvoller als Gebete, die wir uns selbst formulieren.
Das heißt nicht, dass wir nicht mehr selbst formulieren sollen, aber ich hoffe, ihr versteht mich richtig: Wir brauchen nicht aus einer Antihaltung heraus, weil andere das so viel tun, zu sagen, wir machen es gar nicht mehr. Hier steht also: Lass uns das auch mal machen!
Und dann fängt es an mit „Unser Vater“. Da sind schon viele Gedanken dabei. Wir beten das ja manchmal so ganz schnell. Aber „Unser Vater“ – was steckt da als Erstes drin? Da steht ja „Unser“, nicht „Mein Vater“. Das bedeutet, wir beten hier als Gemeinschaft von Christen, die zusammengehören. Ich habe nicht nur einen Vater, der allein für mich ist, ich bin nicht Einzelkind im Himmel, sondern ich bin ein Kind von vielen Tausend, die auch Jesus Christus anerkennen und Gott als ihren Vater haben.
Das bedeutet wieder unser Thema Gemeinschaft – Gemeinschaft in der Gemeinde. Wir beten also zusammen in der Gemeinde, weil wir Gott kennen und uns ihm gegenüber öffnen. Wir wissen auch: Er ist unser Vater, wir sind Geschwister, wir gehören zusammen. Deshalb sagen wir auch „Geschwister“ zueinander. Das ist bei uns schon ganz wichtig.
Wir stehen nicht alleine vor Gott, wir gehören in der Gemeinde zusammen, wir brauchen einander und wir haben einen gemeinsamen Vater, an den wir uns wenden. Und wenn wir mal Streit als Geschwister untereinander haben, dann muss Gott manchmal schlichten. Dann müssen wir in die Bibel hineinschauen. Dort sagt er: „Du bist falsch, kehre um und entschuldige dich bei deinem Bruder, entschuldige dich bei deiner Schwester.“
So wie ihr das auch macht bei euren Kindern, oder? Wenn die sich streiten im Kinderzimmer – zumindest bei uns ist das so: Unser Junge haut dann unsere Schwester irgendwie, weil sie das Auto kaputt gemacht hat oder was weiß ich. Und dann kommt er hinterher und sagt: „Jetzt musst du Entschuldigung sagen.“ Weil er nicht „Entschuldigung“ sagen kann, sagt er immer „Es tut mir leid“. Er hat manchmal mit manchen Worten Schwierigkeiten, „Entschuldigung“ ist schwierig, das kriegt er nicht raus. Aber es klappt dann. „Entschuldigung“, also nicht „Entschuldigung“, sondern „Es tut mir leid“ – aber es kommt ja aufs Gleiche raus.
Und da merken wir: Unser Vater – das bedeutet, dass wir zu Gott eine ganz besondere Beziehung haben. Denn nicht jeder Mensch kann zu Gott „Vater“ sagen. Das ist ja bei euch auch so. Nehmen wir mal hier unser dreißigjähriges Ehepaar gerade ganz vorne. Wenn jetzt irgendjemand hier meinetwegen zu euch sagt: „Papa“ und „Mama“, dann würdet ihr erst mal etwas seltsam schauen, oder? Wahrscheinlich würdet ihr sagen: „Oh, die hat uns wohl verwechselt“, oder vielleicht mag sie uns ja so gerne und hat uns so ins Herz geschlossen, dass sie uns jetzt als Papa und Mama anredet.
Aber normalerweise – wer spricht euch als Vater und Mutter oder Papa und Mama an? Ja, die eigenen Kinder. Und zwar die Kinder, die ihr normalerweise geboren habt. Ich meine, es gibt auch Ausnahmen mit Adoption und so, aber normalerweise die Kinder, die man geboren hat.
Und genauso ist das bei Gott auch. Nur diejenigen können Gott als Vater ansprechen, die von Neuem geboren sind, die als Kinder Gottes geboren sind. Wir alle, die wir hier sind und weltweit Menschen, wir können Gott anbeten als Schöpfer, wir können Gott anbeten als Herrscher des Universums, wir können Gott anbeten als ewigen Richter, vor dem wir alle einmal stehen.
Also, wir alle – egal ob gläubig oder nichtgläubig, ob Christin oder Nichtchristen – wir werden ja einmal vor Gott stehen, ob wir das wollen oder nicht, ob wir meinen, wir kommen ohne Gott hier auf der Erde aus oder wir brauchen ihn. Wir werden alle einmal vor Gott stehen. Und dann steht nicht die Frage: Bist du gut ohne mich ausgekommen? Sondern: Hast du dich nach mir gerichtet? Hast du deine Sünden bekannt? Wenn nicht, wirst du von Gott verurteilt werden. So einfach ist die Sache, was die Bibel angeht.
Als solche können wir alle Gott anerkennen. Im Römerbrief steht, hier wissen alle, dass es einen Gott gibt, aber sie haben ihm nicht die Ehre gegeben, die sie ihm geben sollten. Aber das Vierte dabei, nämlich Gott als Vater anzusprechen, können wir nur, wenn wir von Neuem geboren sind.
Und was ist das? Jetzt seid ihr euch ja neu geboren – wie geht das denn? Einige von euch wissen das, die haben das ja selbst erfahren. Das klingt so ganz seltsam. Selbst der Gelehrte Nikodemus, der im Johannes-Evangelium Kapitel 3 beschrieben wird, der hohe Theologe, weiß nicht ganz genau, was damit gemeint ist. Er überlegt erst mal: Heißt das, dass ich zurück in den Bauch meiner Mutter gehen muss?
„Nein, nein, natürlich nicht“, meint Jesus ja gar nicht. Jesus meint: Innerlich bist du tot. Du fühlst dich zwar ganz lebendig, aber du bist ein lebender Toter, sozusagen ein Zombie, könnte man sagen. Du bist eigentlich innerlich tot durch die Sünde. Und jetzt wird das, was in dir tot ist, was da ausgebrannt ist, lebendig gemacht, wenn du dein Leben Jesus gegenüber öffnest.
Wenn du betest: „Herr Jesus, vergib du mir meine Sünden, ich will mit dir leben, gib du mir dieses neue Leben“, dann sagt Gott: „Ich gebe dir den Heiligen Geist in dein Leben.“ Und plötzlich wird dieses Empfangsteil, das dich mit Gott verbindet, lebendig, wird aktiviert. Plötzlich gibt es eine neue Instanz in deinem Leben, die du vorher nicht hattest.
Du siehst hinterher noch genauso aus – meine Haare sind nicht mehr geworden, seit ich Christ geworden bin, ich bin derjenige, der schon grau ist, die werden auch nicht plötzlich wieder dunkel oder so. Äußerlich sieht es ähnlich aus. Aber das Leben des Menschen besteht ja nicht nur im äußeren Anschein, sondern auch in dem, was innen drin ist. Was wir Seele, Psyche, Geist nennen – das wird erneuert, verändert.
Und das habe ich in meinem Leben erlebt, wie Gott mich verändert hat dabei, und viele von euch wahrscheinlich auch. Das ist dieser Wendepunkt. Zu dem Zeitpunkt werde ich von Neuem geboren. Dann sagt Gott: „Jetzt gebe ich dir den Heiligen Geist, jetzt nehme ich dir die Sünde weg, jetzt gebe ich dir neues Leben.“ Dann bist du Kind Gottes. Und nur dann kannst du eigentlich das Vaterunser beten, denn alle anderen sind dann eine Lüge.
Du sprichst zu Gott als Vater, bist aber gar nicht sein Kind. Also kannst du ihn auch nicht so anreden. Und dann sind auch die ganzen folgenden Bitten für dich sinnlos – die brauchst du nicht, du hast ja gar nicht die Verbindung zu Gott. Du musst also erst diese Verbindung zu Gott bekommen, diese Kehrtwendung in deinem Leben vollzogen haben.
Und dann weißt du auch: Wenn du einmal nach deinem Leben hier auf der Erde vor Gott stehst und dich verantworten musst, dann kannst du sagen: Ich bin schuldig, aber Jesus hat für mich bezahlt. Ich muss deshalb nicht bestraft werden. So wird es uns vor dem ewigen Gericht Gottes gehen.
Hier merken wir schon: „Unser Vater“ – da steckt eine ganze Menge drin. Das ist nicht einfach nur ein Zufall, es ist etwas ganz Besonderes. So gibt es das eigentlich in keiner Religion, dass Gott als Vater angesprochen wird. Die Juden hatten das manchmal, aber das war mehr so, dass nicht ich als Person Kind Gottes bin, sondern ich als Volk, als Bestand des Volkes, zu Gott gehöre. Das ist noch etwas anderes.
Diese persönliche Verbindung zu Gott als sein Kind und die Wiedergeburt – das ist etwas ganz Besonderes, was wir im christlichen Glauben haben, was uns Gott in der Bibel zeigt, was Jesus...
Die Bedeutung des Himmels in der Anrede Gottes
Und dann haben wir als nächstes: Unser Vater, der du bist im Himmel. Immer wieder, wenn ich darüber nachdenke, komme ich auf den Gedanken: Was will Jesus eigentlich damit sagen? „Der du bist im Himmel“ – das könnte bedeuten, dass Gott weit weg ist. Im Himmel – das ist ja unvorstellbar weit. Wenn wir Astronomen fragen, sagen sie uns: Der Himmel, das Universum, ist unendlich weit. Wir sehen kein Ende.
Dann könnten wir sagen: Aha, das bedeutet also, Gott ist nicht hier auf der Erde, sondern im Himmel, weit weg. Und wir haben mit ihm nichts zu tun. Bedeutet das das? Nun, ich glaube eigentlich nicht.
Wenn wir die ganze Predigt Jesu anschauen, merken wir, dass Jesus uns gerade sagen will: Gott ist da. Wir lesen ja gerade vorher, dass Gott selbst im kleinen Kämmerlein hört und sieht, was wir brauchen. Also kann es nicht bedeuten, Gott ist weit weg.
„Du bist im Himmel“ – ich denke, damit will Jesus zum Ausdruck bringen, dass Gott nicht einfach in der Welt aufgeht, in der wir leben. Gott ist nicht nur, wie manche Theologen sagen, dafür da, dass wir gute Mitmenschen sind, dass wir uns ab und zu mal freuen, dass wir unsere psychischen Sorgen loswerden und so eine kleine psychische Krücke in unserem Leben haben. Dafür ist Gott nicht da.
Gott ist nicht nur ein Bestandteil dieser Welt, nicht nur ein Teil unserer eigenen Phantasie oder unserer religiösen Überlegungen. Hier will Jesus sagen: Gott hat einen anderen Ort, von dem er eigentlich kommt und zu dem er gehört. Das ist der Himmel.
Und die Erde ist im Vergleich zum Himmel nichts. Wenn ihr mal Astronomen fragt, angesichts der Weiten des Universums, dann ist die Erde nicht mal ein Staubkorn.
Dann müssen wir sehen, wie die Reaktionen sind. Gottes Bereich ist sozusagen alles. Und Jesus will auch den Menschen zeigen: Ihr meint, ihr seid Herrscher der Welt. Aber was ist das im Vergleich zu dem, was Gott ist – dem Herrscher des ganzen Universums, des Himmels? Dann merken wir: Das, was wir sind, ist sehr klein.
Da sollen wir ein bisschen auf den Boden geholt werden. Gott ist nicht nur hier auf der Erde, Gott ist im Himmel. Damit sollen uns die Größe und Erhabenheit Gottes vor Augen gemalt werden. Das ist es, worum es hier geht.
Die Heiligung des Namens Gottes
Und dann kommt ja als Nächstes: Geheiligt werde dein Name. Für uns alle stellt sich wahrscheinlich wieder die Frage: Was ist damit eigentlich gemeint?
Mehrere Dinge fallen uns hier auf. Erst einmal: geheiligt – was bedeutet das? Heilig klingt heute irgendwie seltsam. Manche Menschen spüren eine heilige Atmosphäre, wenn sie in einen großen Dom gehen, zum Beispiel in den Kölner Dom. Diese bunten Fenster, die alte Geschichte, die Frömmigkeit – all das kann eine besondere Stimmung erzeugen. Wenn dann vielleicht noch ein paar Mönche Gregorianische Gesänge singen, fühlen sich manche fromm oder heilig. Andere wiederum empfinden das gar nicht so, sie finden es eher langweilig.
Heilig in der Bibel meint jedoch etwas ganz anderes. Heilig bedeutet ausgesondert, aus dem normalen, alltäglichen Gebrauch herausgenommen. Wenn wir mit dem Namen Gottes umgehen, dann sollen wir das nicht so tun wie mit dem Namen von Tischstuhl, Franz, Hans oder Susi. Sondern wir sollen uns dessen ganz bewusst sein, wenn wir den Namen Gottes anrufen oder mit Gott sprechen. Das heißt: geheiligt – ausgesondert aus dem normalen Alltag, um zu erkennen, dass hier etwas Außergewöhnliches vorliegt.
Welcher Name ist denn gemeint? Hier steht ja „Name Gottes soll geheiligt werden“. Welcher Name ist damit gemeint? Im Alten Testament, im Hebräischen, gibt es zum Beispiel El, Adonai, Yahweh oder El Shaddai. Welcher davon soll ausgewählt werden? Habt ihr einen guten Vorschlag?
Wenn ihr die Zeugen Jehovas fragt, sagen sie: Jehova, Jehova, das ist der einzige wahre Name, den man heiligen muss. Allerdings irren sie sich ein wenig mit der Sprache. Das hängt mit den Vokalen zusammen, wahrscheinlich heißt es Yahweh und nicht Jehova. Die Zeugen Jehovas wurden vor etwa hundert Jahren gegründet, damals wusste man es eben nicht besser. Und wenn man sich als Sekte einmal festgelegt hat, kann man sich ja nicht mehr irren – das geht nicht. Deshalb sind sie bei Jehova geblieben. Bedeutet das, dass wir jetzt alle zu den Zeugen Jehovas gehen müssen? Oder sollen wir vielleicht neue Zeugen Jahwes gründen? Habt ihr einen Vorschlag, welcher Name hier gemeint sein könnte? Ich verrate euch später meinen Tipp.
Jesus Christus wäre eine Möglichkeit, die ich für eine gute halte. Was noch? Alle Namen? Aber hier steht ja im Singular: dein Name.
Außerdem ist das hier ebenfalls so aramäisch, das ist auch mein Tipp. Es heißt so viel wie „Papi“ oder „Vater“. Warum glaube ich, dass das hier der Name ist? Weil Gott gerade am Anfang so angesprochen wird. Hier wird Gott offenbart als der Vater. Man hatte ihn vorher schon als Schöpfer, als Allmächtigen, als Herr der Herren gekannt – das war schon bekannt. Jetzt will Jesus noch einmal herausheben: Ihr sollt Gottes Namen als Vater heiligen. Hier zeigt sich ein ganz neuer Aspekt seines Wesens, seiner Person. Und diesen sollt ihr als Christen besonders hervorheben.
Denn das ist das, was ihr erfahren habt: Ihr habt Gott als Vater erfahren. Hättet ihr Gott nur als Schöpfer erfahren, wären wir für ewig verloren. Hättet ihr Gott nur als Richter erfahren, wären wir für ewig verloren. Dann würden wir zwar die Größe Gottes kennen, aber das ganz Besondere, das Zentrum der Heilsgeschichte, das, worauf alles zuläuft, ist ja, dass Gott unser Vater sein will. Deshalb glaube ich, dass Jesus hier vermutlich diesen Namen im Blick hat: Wir erkennen Gott als Vater, und das sollen wir heiligen.
Das bedeutet auch: Wir sollen nicht mit Gott als Vater so umgehen wie mit unserem irdischen Vater, einfach sagen: „Na ja, jetzt gehe ich mal zum Papi, Papi, hilf mir mal gerade“ oder wenn ich mich ärgere, „Also finde ich aber blöd“ – so nicht. Denn wir wissen, dass Gott im Himmel ist, wie es hier gesagt wird, und nicht nur irgendein irdischer Vater. Weil er heilig ist, sollen wir das aussondern und uns bewusst sein, mit wem wir sprechen. Er ist viel, viel mehr als wir und als die ganze Welt und die ganze Geschichte zusammen. Deshalb soll er hier herausgehoben werden.
Also: Geheiligt werde dein Name. Übrigens steht hier nicht nur „Ich will deinen Namen heiligen“ oder „Lass die anderen deinen Namen heiligen“, sondern diese Formulierung ist eine Passivkonstruktion. Wenn ihr euch ein bisschen mit sprachlicher Genauigkeit auseinandersetzt, bedeutet „Geheiligt werde dein Name“: Es wird gar keine besondere Person angesprochen.
Habt ihr eine Idee, warum das so ist? Wer kann das nämlich eigentlich nur tun? Ich glaube sogar nicht mal die Gemeinde, sonst würde es heißen: „Lasst uns das tun.“ Ich glaube, Gott selbst kann das nur tun. Gott selbst kann dafür sorgen, dass wir die Heiligkeit von ihm erkennen, dass wir erkennen, wer er ist. Jesus sagt: Niemand kann den Vater erkennen außer dem Sohn, und nur der Sohn kann den Vater erkennen. Das heißt, wenn wir wirklich erkennen wollen, wer der Vater als Vater ist, sind wir auf Gott angewiesen. Deshalb glaube ich, ist diese Passivkonstruktion hier dabei: „Geheiligt werde dein Name, Vater, wir bitten dich, dass du das machst. Sorge du dafür, dass dein Name geheiligt wird.“
Natürlich versuche ich, meinen kleinen Beitrag dazu zu leisten, indem ich nicht das Gegenteil davon tue. Das ist ja auch klar. Wenn ich meine Eltern bitte: „Papi, lass mich jetzt mit dem Bus fahren, um meine Schokolade zu kaufen“, dann können sie das natürlich erlauben oder ablehnen. Sie haben die Autorität, zu sagen: Ja, du darfst, oder nein, du darfst nicht. Aber wenn sie lieb und nett sind, sind sie eher geneigt, es zu erlauben.
So ähnlich ist es auch bei uns. Wir können nicht dafür sorgen, dass der Name Gottes wirklich geheiligt wird, aber wir können dafür sorgen, dass dem nichts entgegensteht. Die Erkenntnis Gottes, das Besondere an ihm zu erkennen und die Verbindung zu Gott aufzubauen, kann nur Gott selbst bewirken.
Der Theologe Karl Barth, der manche Dinge gesagt hat, die ich nicht ganz so toll finde, hat einmal etwas Interessantes gesagt: „Mensch, du bist auf Erden und Gott ist im Himmel.“ Damit wollte er sagen: Du kannst von dir aus gar nicht zu Gott kommen. Du kannst reden, suchen und vieles tun, aber du kannst nie zu Gott kommen. Wir können nur eine Beziehung zu Gott haben, wenn Gott vom Himmel senkrecht zu uns spricht, und dann können wir antworten. Sonst haben wir keine Möglichkeit.
Du kannst auch versuchen, in deinem Telefonbuch die Telefonnummer von Gott zu finden, probier das mit deinem Handy aus oder suche auf einer CD oder auf irgendeine andere Weise. Du kannst dich in ein Raumschiff setzen und mit Lichtgeschwindigkeit fliegen. Aber selbst dann wärst du immer noch nicht am Ende des Universums, wo Gott sich zurückziehen könnte, wenn er wollte. Wenn Gott nicht will, können wir nie zu ihm kommen.
Wir sind darauf angewiesen, dass er sich uns offenbart. Das hat er getan. Und dass er hier auch die Heiligung seines Namens bewirkt, ist genau das, was wir beten: Geheiligt werde dein Name.
Die Bitte um das Kommen des Reiches Gottes
Und auch mit dem Reich: Dein Reich komme! Da ist die Frage, die ich ja schon am ersten Abend gestellt habe: Sehen wir danach, dass das Reich Gottes kommt? Bei mir ist es unterschiedlich, da muss ich ehrlich zugeben.
Manchmal habe ich so gelesen bei Paulus, der sagt ja, er freut sich, abzuscheiden. Aber na ja, weil er ja noch eine Aufgabe auf der Erde hat, bleibt er halt noch ein bisschen hier. Mir geht das nicht immer so. Ich weiß nicht, ob es euch so geht, aber manchmal bin ich hier ganz gerne auf der Erde.
Dann freue ich mich an meiner Familie, an meiner Frau, an meinen Kindern, an dem Haus, in dem wir wohnen, an der schönen Arbeit, an der Bibelschule oder an meiner Gesundheit, an dem schönen Wetter. Und dann sage ich: Also ein paar Jahre hier auf der Erde bleibe ich ja doch noch ganz gerne.
Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich den Himmel noch nicht genug kenne. Und dann würde ich sagen: Also ich gasse ja gar nicht so auf der Erde, viel besser ist es im Himmel. Aber irgendwie ist es ja etwas Unbekanntes. Wir waren noch nicht da.
Jesus beschreibt es nur so vage, und auch Johannes beschreibt es nur ungefähr – halt mit den goldenen Straßen und den Edelsteinen als Toren und so. Manchmal sage ich mir, ich brauche keine Edelsteine als Tore, der Schotter tut es auch und so.
Ja, aber hier: Dass wir uns sehen nach dem Reich Gottes. Da heißt "Dein Reich komme" ja auch wiederum: Wer kann das Reich Gottes denn bringen? Hier ist wieder eine Passivkonstruktion. Hier wird uns vielleicht noch deutlicher, wer eigentlich angesprochen ist. Gott ist angesprochen. Nur Gott kann sein Reich hervorbringen, nicht wir.
Wir können bloß sehen, dass wir dem nicht entgegenstehen, dass wir das nicht hemmen – so wie Hemmschuhe, die noch bremsen. Bloß dass das Reich Gottes nicht vorankommt, bloß dass keiner zum Glauben kommt bei uns in der Gemeinde. "Nein, das wären zu viele Leute, die kann ich alle nicht mehr vertragen, und wir müssen neu bauen, das geht nicht, bleibt lieber ungläubig."
So etwas können wir natürlich machen. Wenn wir aber ernsthaft beten: "Dein Reich komme", dann können wir das nicht tun. Dann müssen wir sagen: Okay, wenn ich ernsthaft jemanden darum bitte, dann muss ich zumindest ein bisschen versuchen, dazu beizutragen, auch wenn ich weiß, die Hauptlast liegt bei Gott.
"Dein Reich komme" bedeutet eben nicht nur das, wo ich mich wohlfühle, sondern manches Mal, wenn ich dann die Zeitung lese oder mal im Fernsehen schaue – was ich seit einiger Zeit nicht mehr getan habe –, genügt ja auch das Internet. Und dann sehe ich, wie die Menschen leiden.
Wenn ihr nur allein daran denkt: Wir haben uns so daran gewöhnt an die Anschläge in Israel oder eben im Irak. Wenn dann jeden Tag neu kommt, da zehn Leute, da fünfzehn Leute, da zwei von der Bombe zerrissen – stellt euch vor, was für Leid damit zu tun hat.
Nicht nur die Menschen, die da vielleicht ihr Leben lang ohne Arme, ohne Beine weiterleben müssen, sondern auch die Angehörigen, die da ihre Kinder verloren haben, Vater, Mutter verloren haben. Denkt eben nur mal an dieses kleine bisschen von Grausamkeit.
Besucht mal eine innere Station in irgendeinem größeren Krankenhaus, wo die Leute mit Krebserkrankung in ihrem letzten Stadium sind. Macht das einmal, dann wisst ihr: Die Welt ist eben nicht nur schön, sondern die Welt ist voller Leiden.
Und dann können wir ernsthaft dieses Gebet aussprechen, das wir in der Offenbarung haben und das wir auch hier haben: Dein Reich komme! Herr Vater, wir wollen, dass dieses Leiden endlich zu Ende ist und dass die Menschen sich nicht hineinmanövriert haben durch ihre Sünde, durch ihren Ungehorsam, durch den Sündenfall.
Nicht unbedingt des einzelnen Menschen, der dort stirbt, aber der gesamten Menschheit, mit der wir zu tun haben, aus der dieses gesamte Leiden erst entspringt, weil die Menschen sich nicht nach den Ordnungen Gottes richten.
Wir wollen, dass das vorbei ist, damit Du herrschst, damit die Leute glücklich sind, damit, wie wir in der Offenbarung lesen, alle Tränen abgewischt werden, damit es keine Krankheit mehr gibt, kein Geschrei mehr, keinen Tod mehr, weil der endgültig beseitigt ist.
Wenn wir uns einmal so die Welt anschauen und nicht nur unseren kleinen Glückskreis, den wir in unserer Umgebung vielleicht im Augenblick haben oder halt nicht haben, dann merken wir: Dieses Gebet können wir ernster sprechen.
Dein Reich komme, weil es wirklich nötig ist. Menschen brauchen Befreiung von Sünde, Menschen brauchen Befreiung von ihrem Egoismus, ihrer Aussichtslosigkeit, ihrer Frustration, ihrer Depression, ihrer Krankheit, ihrem Leiden. Und der Einzige, der das machen kann, ist Gott.
Es gibt Ärzte, die fühlen sich manchmal so stark, und dann merken sie spätestens, wenn sie mal eine schwere Erkrankung gehabt haben, dass die Ärzte fast gar nichts machen können. Dann doktern sie da ein bisschen herum, dann sagen sie: Das wirkt halt nicht, das wirkt auch nicht, das wirkt auch nicht.
Und irgendwann: Ja, dann musst du halt damit leben. Oder sie sagen: Du hast ja immer noch eine neue Therapie, du hast schon zehn Jahre Therapie gemacht, dann hat alles nichts geholfen. Und dann merkst du spätestens: Nein, Ärzte sind nicht für das Glück verantwortlich.
Auch die Banken sind nicht für unser Glück verantwortlich. Unser Glück kann eigentlich nur Gott geben. Alles andere ist kurzzeitig, ist so ein bisschen lasch. Da hast du in dem Moment mal ein gutes Gefühl, und dann ist es so schnell wieder vorbei.
Und deshalb bitten wir Gott darum: Dein Reich komme! Und ein bisschen beginnt das Reich Gottes ja schon in unserem Leben, da wo wir Christen geworden sind.
In der Herrlichkeit und Fülle ist das Reich Gottes da, wenn Jesus einmal wiederkommen wird, um auf der Erde zu regieren. Aber so ein bisschen beginnt das Reich Gottes oder kann beginnen, wenn wir es richtig machen, bei uns in der Gemeinde.
Bei uns in unserem Leben kommt das Reich Gottes mit Gott. Das ist ja so, wie Jesus sagt: Das Reich Gottes ist wie ein kleines Senfkorn, das wächst und wächst und wächst und wird immer größer, und irgendwann sind da alle Vögel des Himmels darunter.
So ist das auch Johannes, der sagt: Das Himmelreich Gottes ist nah herbeigekommen. Wohin? In Jesus, weil Jesus uns neues Leben gibt.
Da, wo wir neu geboren werden, wo wir als Gemeinschaft von Christen so leben, wie wir leben sollten, da ist schon ein Stück des Reiches Gottes.
Und manchmal gerade Menschen, die total abgestürzt sind, die merken das. Die kommen in eine Gemeinde hinein, und manche Sachen, die uns gar nicht auffallen, die sagen sich: Ach, wie schön ist das hier und welche Atmosphäre und wie euch liebt.
Und wir denken manchmal: Ach, so eine Liebe ist ja eigentlich gar nicht weit her. Also wenn der wüsste, wie wir miteinander umgehen. Aber ihr wisst vielleicht manchmal nicht, wie es in bestimmten Szenen in der Welt um uns herum abläuft.
Und dann merkt ihr, dass es selbst in der Gemeinde – ich hoffe auch bei euch, ich kenne euch ja nicht, dass ich euch hier falsch lobe – aber in den meisten Gemeinden doch noch mehr Liebe ist, obwohl es nicht das Optimum ist, als es in vielen Kreisen um uns herum in der Welt ist.
Ich sage nicht in allen, es gibt auch da Leute, die sich mal ganz gut verstehen, die sich ganz gerne mögen, aber in vielen Kreisen in der Welt.
Wir haben in der Bibelschule einige Leute gehabt, die abgestürzt waren in Drogen, die im Gefängnis gesessen haben, die kriminell gewesen sind, die in Sekten gewesen sind und die zum Glauben gekommen sind und dann diese Befreiung erlebt haben, ein Stück des Reiches Gottes hier auf der Erde zu erleben.
Und deshalb bitten wir Gott darum: Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Die Bitte um den Willen Gottes und seine Umsetzung
Bedeutet das nun, dass der Wille Gottes nicht geschieht? Haben wir nicht alle schon gelesen oder gehört, dass Gott allmächtig ist? Ja, Gott ist allmächtig, aber in seiner Allmacht hat er seinen Willen für eine gewisse Zeit eingeschränkt.
Er hat gesagt: Für diesen kurzen Zeitraum, von einigen tausend Jahren auf der Erde, in dem ihr als Menschen lebt, lasse ich euch Freiheit. So habe ich euch als freie Individuen, als freie Gegenüber. Deshalb geschieht im Himmel der Wille Gottes natürlich sofort.
Gott spricht, so wie bei der Schöpfung: „Die Erde komme!“ und dann kommt die Energie Gottes heraus, materialisiert sich, und plötzlich ist die Erde da. Gott sagt: „Ein Mensch entsteht!“ und zack – die Energie Gottes materialisiert sich, und in einem Augenblick entsteht alles: die Genetik, die Blutbahnen, die Lymphbahnen, das Gehirn, der Kopf, der Magen – alles entsteht in einem Nu.
Das ist die Macht Gottes, das ist der Wille Gottes. Wenn Gott sagt: „Ich will“, dann passiert das auch.
Es gibt aber auch einen moralischen Willen Gottes. Zum Beispiel sagt er: „Ich will, dass du nicht lügst.“ Ja, er könnte das tatsächlich verhindern. Stellt euch mal vor, Gott würde das wirklich tun. Manche wünschen sich das ja, aber meistens nur für die anderen, nicht für sich selbst.
Denn stellt euch vor, ihr kommt als Mann nach Hause, habt euch mit eurem Arbeitskollegen verquatscht, kommt zurück zu eurer Frau, und sie fragt: „Wo bist du so lange gewesen? Ich habe doch auf dich gewartet.“ Dann könntet ihr nicht einfach sagen: „Mein Arbeitsgeber, mein Chef, der wollte mich umliegen.“ Denn die Lüge könntet ihr nicht aussprechen. Das wäre mühsam.
Oder ihr fragt eure Kinder: „Wer hat das zuerst angefangen?“ Sie könnten nicht sagen: „Ich wollte es sagen, ich nicht“, weil das eine Lüge wäre. Oder ihr wollt eure Steuererklärung ausfüllen, aber ihr werft Kugelschreiber nach Kugelschreiber weg, weil ihr keine Lüge mehr schreiben könnt. Das wäre doch mühsam, oder?
Manchmal sind wir also ganz froh, wenn wir lügen können. Hier sehen wir aber, dass der moralische Wille Gottes lautet: „Tu das nicht.“ Er lässt uns jedoch die Freiheit, es trotzdem zu tun.
Wir bitten hier darum: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Dass irgendwann einmal ein Ende kommt. Dass all die Menschen, die Gottes Gebote willentlich überschreiten, zur Rechenschaft gezogen werden. Damit das Leid endet und Gottes Wille geschieht.
Wir wissen, der Wille Gottes ist das Beste für unser Leben. Deshalb bitten wir darum, dass der Wille Gottes geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Die Bitte um das tägliche Brot und die lebensnotwendigen Dinge
Haben wir als Nächstes hier: „Dein Wille geschehe auf Erden“. Das sind jetzt alles Bitten, die eigentlich die gesamte Welt betreffen. Es sind Bitten, die in erster Linie Gott und die Verherrlichung seines Reiches angehen.
Hier merken wir: Wenn wir beten, sollen wir nicht nur egoistisch beten. Also nicht nur: „Ich bete regelmäßig, wenn ich vor einer Prüfung stehe“ oder „Ich bete, wenn ich kein Geld mehr habe“. Nein. Ein ganz wesentlicher Aspekt des Betens ist, dass wir eine Perspektive für die ganze Welt haben. Für alle Menschen um uns herum. Eine Perspektive für die Heilsgeschichte. Was wird sein mit Gottes Ziel? Eine Perspektive für die Sache Gottes.
Das ist auch wichtig bei unseren Gebeten, dass wir nicht nur egoistisch für uns danken und bitten, sondern diese Perspektive für die Welt und für Gott haben. Als Nächstes, hier erst als zweites, kommt dann die Perspektive für unsere persönlichen Anliegen.
Bei unseren persönlichen Anliegen werden wir merken, dass es die materiellen sind, die ja an erster Stelle stehen, und dann auch die geistlichen, nämlich unsere Beziehung zu Gott. Beides sind persönliche, individuelle Anliegen, die uns angehen und hier noch genannt werden.
Zum Ersten ist es dann: „Gib uns unser tägliches Brot“. Es gibt viele Ausleger, die lange darüber gerätselt haben, was dieses Wort „täglich“ bedeutet, weil es im Neuen Testament nur an dieser Stelle auftaucht. Deshalb können wir schlecht vergleichen.
Die einen sagen, es ist das Brot für heute, die anderen sagen, es ist das Brot für morgen. Aber egal, welche Auslegung ihr wählt – ihr könnt euch gerne aussuchen – auf jeden Fall kommt dabei heraus: Wir sollen nicht darum bitten, unsere Rente zu sichern, es sei denn, du bist schon im Rentenalter.
Wenn ich jetzt bitten würde: „In 30 Jahren komme ich in die Rente, sichere die“, nein. Sondern bitte erst einmal für das, was morgen kommt. Wer weiß, ob du überhaupt noch die Rente erlebst? So wie ich erlebt habe, als ich vor ein paar Jahren Krebs hatte und nicht wusste, ob ich ihn überlebe oder nicht. Was hätte es dann gebracht, wenn ich gebetet hätte: „Versorge mir meine Rente“? Dabei habe ich die schon im Himmel und brauche sie gar nicht mehr auf der Erde.
Von daher: Bitte zuerst einmal für das, was jetzt unmittelbar bevorsteht. Das ist ja auch, was Jesus sagt: „Sorgt euch nicht für den morgigen Tag, denn jeder Tag hat seine eigene Sorge.“ Das soll uns einfach befreien. Nicht, dass wir blind in den Tag hineinlaufen und sagen, wir sorgen für nichts mehr, sondern das heißt: Diese Sorge, die uns innerlich zerfrisst – ihr kennt das vielleicht auch – ihr sorgt euch, zerbrecht euch den Kopf, schlaft nächtelang nicht mehr, und ihr könnt doch nichts ändern. Ihr könnt gar nichts ändern.
Stattdessen sollen wir Gott vertrauen, wie ein Kind. Manche eurer Kinder sorgen sich wahrscheinlich auch nicht. Besonders wenn sie kleiner sind, sorgen sie sich gar nicht. Sie denken: Die Eltern sorgen schon dafür.
Habt ihr eure Kinder schon mal sorgen sehen, ob sie in der nächsten Woche noch genug zu essen haben? Nein, kaum. Manchmal höchstens, ob sie noch genug Süßigkeiten haben in der nächsten Woche. Da sorgen sie sich schon manchmal, weil sie insgeheim wissen, dass wir einen Schrank haben, in dem die Süßigkeiten sind. Manchmal hören wir ein Rascheln, fragen uns: „Was ist das?“ Dann ist es eine Maus, die die Süßigkeiten rausgeholt und aufgegessen hat.
Aber die Sorge um die existenziellen Dinge – ob wir nächste Woche noch ein Dach über dem Haus haben oder ob der Papa noch genügend Geld hat – das ist ihnen eigentlich ganz egal. Unser kleiner Sohn hat mal gedacht – nein, unsere Tochter war das – wenn man Geld haben will, dann geht man einfach zur Bank. Denn sie hat es so gesehen: Wenn der Papa Geld haben will, geht er einfach zur Bank, zum Automaten, und dann kommt das Geld raus.
Da merkt man, dass bei manchen Kindern völlige Unbedarftheit herrscht. Da sorgt schon der Vater. So ähnlich sollen wir dieses Vertrauen zu Gott haben. Wir müssen nicht regeln, wie Gott das macht, das ist Gottes Angelegenheit.
Wir tun unsere Sache, so viel Verantwortung, wie wir übernehmen können, die haben wir. Aber im Vergleich zu dem, was Gott für einen Überblick über unser ganzes Leben hat, ist das minimal. Deshalb soll hier gesagt werden: Bittet für das tägliche Brot.
Martin Luther, der das in seinem Katechismus ausgelegt hat, sprach davon, dass „Brot“ bedeutet: lieb und fromm Gemahl, lieb und frommer Nachbar und so weiter. Er zieht das alles in seiner Sprache auf, was er damit meint. Ich glaube, dass es auch hier gemeint ist: alles Lebensnotwendige.
Wir sollen nicht nur um unser tägliches Brot bitten. Wenn wir das jetzt allen Ernstes tun würden, müssten wir doch schnell in der Küche anrufen und sagen: „Bitte kein großes Mittagessen heute, einfach trocken Brot“, denn dafür haben wir ja gebetet. Nein, hier ist gemeint, was wir lebensnotwendig brauchen.
Ich glaube, dass Jesus das damit meint und Luther das richtig verstanden hat. Dazu gehört, wie Luther meint, auch die Nachbarn, zum Beispiel liebe Nachbarn oder Ehepaare, also Mann, Frau oder Kinder, die ausgerichtet sind, so wie Gott das will. Denn damit beschenkt er uns ja auch. Und das ist lebensnotwendig.
Erst mal den Sprüchen nach sind besonders die Frauen häufig erwähnt. Da heißt es: „Besser ein Loch im Dach als eine zänkische Frau im Haus.“ Das ist ja tatsächlich auch so. Wenn ihr eine Frau habt, die euch ständig auf die Nerven fällt, sobald ihr kommt, und sagt: „Wie blöd bist du? Was hast du schon wieder gemacht?“, dann ist es besser, ihr habt ein Loch im Dach, es regnet durch, und ihr seid immer nass. Besser so etwas als solch eine Frau.
Da merken wir, dieses Gebet ist richtig. Wir beten darüber, dass Gott uns die lebensnotwendigen Sachen gibt: eine nette Frau, einen netten Mann, Kinder und so weiter. Wenn sie verheiratet sind, wenn sie nicht verheiratet sind, beten sie vielleicht potenziell für die Zukunft, dass das schon alles gut läuft, wenn sie jetzt nette Freunde haben und so.
Also das gehört mit dazu: diese lebensnotwendigen Sachen. Ich bete nicht für einen neuen Rolls Royce oder einen alten. Ich habe weder einen neuen noch einen alten. Oder ich bete nicht für eine Yacht im Mittelmeer, das wäre ja auch ganz nett, aber das gehört nicht zum Lebensnotwendigen.
Wenn Gott das schenkt – manchen Leuten schenkt Gott das ja irgendwann –, dann ist das einfach ein Gratisgeschenk, einfach so, weil er meint: „Na ja, geben wir dem mal ein kleines Zückerchen, der will das ganz gerne.“
Irgendwie hatte ich neulich auch noch etwas gelesen, das fand ich ganz interessant. Ich weiß nicht, von wem das war. Ich glaube, es war von Blaise Pascal. Er sagte, Gott gibt Reichtum als eine der geringsten Gaben. So hat er das formuliert. Und deshalb gibt er ihn meistens den Einfältigen.
Sozusagen – ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, das steht ja nicht in der Bibel – wenn ihr tatsächlich reich seid, hoffe ich, ihr nehmt mir das nicht übel. Ich fand den Gedanken bloß interessant: Wenn wir das mal mit den Augen Gottes sehen, dann ist Gold und Silber eigentlich gar nicht viel wert.
Gott hat mit einem Fingerschnipsen das ganze Gold der Welt gemacht. Von daher uns reich zu machen, das hätte gar nichts bedeutet.
Ich hatte vor einigen Monaten mal von George Wurr gelesen, in einem Rundbrief von OM. Er berichtete, wie er in einem Flugzeug saß, irgendwo unterwegs, ich glaube nach Indonesien, und neben ihm saß ein reicher Geschäftsmann. Der war ungläubig, Muslim, soweit ich das im Kopf habe. Ich hoffe, ich sage das richtig. Jedenfalls war er einer anderen Religion zugehörig.
Dann kam er mit ihm ins Gespräch. Plötzlich interessierte sich dieser Mann für den Glauben, lud ihn ein in seine Firmenzentrale. Er war der Chef von mehreren Firmen, die ihm gehörten. Dann sprach er und bekehrte sich.
Jetzt zur Hintergeschichte: Gerade vorher kam George Wurr von einer wichtigen Sitzung von OM in England. Dort wollten sie im East End von London, wo es den Leuten schlecht geht, ein Sozialhilfezentrum bauen. Dort wollten sie den Menschen vom Glauben erzählen und auch sozial helfen. Aber sie hatten kein Geld dafür.
Jetzt flog er also zu einer Sitzung in Asien. Der Mann kam zum Glauben. Nachdem er zum Glauben gekommen war, sagte er: „Ich bin so froh, dass ich zum Glauben gekommen bin. Was kann ich euch Gutes tun?“
Die Antwort war: „Wir suchen ein Haus, das wir in London haben können.“ „Ja, ich habe von meiner Firma ein Haus in London, das schenke ich euch.“
Da habe ich mir gedacht: Nicht wie Gott, allmächtig, der mit einem Fingerschnipsen sagt: Zack, du hast es. Wenn er will, kann er einen ehemaligen Muslim gebrauchen, der noch gar nicht gläubig ist, und jetzt bereitet er schon vor, damit er euch in London, wo es wahnsinnig teuer ist, ein Haus gibt.
Das ist doch Wahnsinn, was Gott so machen kann. Und das ist das, was hier hintersteht, wenn wir darum bitten: Gib uns das, was wir täglich brauchen.
Die Bitte um Vergebung und die Herausforderung des Vergebens
Und als nächstes heißt es: „Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Hier sind nicht die Schulden bei der Bank gemeint. Es geht also nicht darum, dass jemand sagt: „Wir haben ein neues Haus gebaut, bitte vergib uns unsere Schulden“, und dann plötzlich kommt der Kontoauszug von der Bank und alles wird auf Null gesetzt.
Gott kann das natürlich auch, das möchte ich gar nicht bezweifeln. Aber hier sind eigentlich die Sünden gemeint. Deshalb steht ja auch, dass mit dem Vergeben die Sünden in unserem Leben gemeint sind. Also: Vergib uns unsere Sünden. Das betet hier der Gläubige.
Wir haben ja gesehen, dass hier der Gläubige Gott als Vater anspricht. Das bedeutet, derjenige, der bekehrt ist, betet darum. Denn auch wir als Christen können ja manchmal noch sündigen. Und dann steht hier: „Vergib uns unsere Sünden.“
Das sind nicht die Sünden, die uns von Gott trennen, sodass wir ewig verloren gehen. Diese sind ja schon bereinigt, sonst wären wir gar keine Christen. Hier sind die Sünden gemeint, die uns vielleicht im Gericht vor Gott an den Pranger stellen. Wo wir böse zu anderen gewesen sind und Gott irgendwann sagt: „Hier hast du aber nicht ordentlich gehandelt.“ Dann gibt es sozusagen einen Preisabzug.
Wir lesen das ja im Korintherbrief, wo steht, dass manche wie durchs Feuer hindurch gerettet werden. Diese haben viel getan, aber es ist mit Stroh und Stoppeln verglichen, das verbrannt wird, und es bleibt fast nichts übrig. Das ist ein Bild für diejenigen, die zwar Christen sind und errettet sind, aber viele Sünden haben, die ihnen nicht vergeben wurden. Diese Sünden wollen sie nicht mit ins Himmelreich nehmen. Das geht nicht. Deshalb werden sie vorher abgenommen. Das ist damit hier gemeint: „Vergib uns unsere Sünden.“
Beten hier nicht diejenigen, die Jesus noch gar nicht kennen, die allgemeine Sündenvergebung und Wiedergeburt erfahren wollen? Nein, diese müssen erst einmal eine Umkehr vollziehen und eine Wiedergeburt erleben. Das Gebet richtet sich hier an die, die schon Christen sind.
Und dann ist hier natürlich auch die ganz immense Herausforderung: Wir beten gleichzeitig darum, dass wir auch bereit sind, anderen zu vergeben.
Das ist in der Gemeinde und in der Familie immer wieder wichtig. Wenn ihr nicht bereit seid zu vergeben, dann fällt die Schuld auch auf euch selbst zurück, nicht nur auf den anderen. Dann sagt ihr vielleicht: „Der andere war doch böse, der müsste doch kommen.“ Nein! Wenn du in deinem Herzen nachhängst, wenn du in deinem Herzen wütend bist oder dem anderen nicht mehr so begegnest, wie du es solltest, dann bist du auch sündig. Dann kann der andere noch so viel Falsches getan haben, du sündigst mit.
Dann musst du in deinem Herzen ihm erst einmal vergeben. Du musst darum bitten, dass du keine bösen Gedanken ihm gegenüber hast. Vielleicht sagst du innerlich: „Ja, aber das stimmt doch, der ist doch böse.“ Ja, trotzdem musst du ihm vergeben. Denn du sollst keine bösen Gedanken gegen deinen Bruder haben, egal wie böse er ist.
Du sollst ja deine Feinde lieben, wie wir in der Bergpredigt lesen. Wie ist das denn? Segnet ihr eure Feinde oder verflucht ihr sie? Bedeutet das, weil der böse ist, muss ich auch böse sein und ihn niederschlagen? Nein, Gott wird sich darum kümmern.
Betet darum. Natürlich spricht das Gebet eine Sünde an, das ist ja klar, habe ich auch schon gesagt. Aber erst einmal: Wir sollen auch dem anderen vergeben, so wie wir erwarten, dass Gott uns vergibt.
Die Bitte um Bewahrung vor Versuchung und Bösem
Und führe uns nicht in Versuchung – das bedeutet hier, dass wir uns nicht als geistliche Supermänner fühlen sollen. Vielleicht sagt jemand: „Manche Versuchung kann mir nichts anhaben, ich bin stark, ich brauche niemanden, der mich dafür schützt.“ Sagt das lieber nicht. Denn bald kommt eine Versuchung, bei der du am Boden liegst oder dein geistliches Leben nichts mehr wert ist.
Es gibt auch Menschen, die ich getroffen habe und die sagen: „Ich erlebe gar keine Versuchung.“ Dann muss ich sagen: Entweder bist du gar nicht gläubig, oder dein geistliches Leben ist schon so oft im Nullpunkt gewesen, dass der Teufel gar nicht mehr versucht, dich von Gott wegzuziehen, weil er es schon geschafft hat.
Jeder Christ, der wirklich ernsthaft im Glauben steht, hat immer wieder mit Versuchungen zu tun. Versuchung ist kein Zeichen für einen laschen Christen, sondern gerade für einen lebendigen Christen. Denn denkt mal an Jesus. Jesus war ja rein, nicht? Da müsste man sagen, Jesus wurde ja nie versucht. Lesen wir das? Schlagt mal auf im Lukas- oder Matthäusevangelium. Dort wird von einer riesigen Versuchung durch den Teufel berichtet. Am Ende der Versuchungsgeschichte im Lukas-Evangelium heißt es, der Teufel weicht von ihm für eine Zeit.
Das bedeutet, es gab noch weitere Versuchungen, von denen wir in der Bibel nicht immer lesen. Wahrscheinlich gab es auch im Garten Gethsemane Versuche, von denen wir lesen, aber immer wieder Versuchungen – selbst bei Jesus, der sündlos war, wie wir im Hebräerbrief lesen. Er wurde versucht wie wir, aber ohne Sünde. Und da merken wir: Gott ist nicht frei von Versuchung, aber er kann sie siegreich überwinden.
Deshalb die Bitte: „Führe mich nicht in Versuchung.“ Bewahre mich davor. Wenn es irgendwie möglich ist, schütze mich davor, denn ich weiß, wie schwach ich bin. Ich weiß, aus eigener Kraft kann ich das gar nicht schaffen. Ich brauche dich als denjenigen, der mich davor schützt. Deshalb diese Bitte.
Und „bewahre uns vor dem Bösen“ steht hier. Das ist eigentlich Singular und meint nicht einfach „das Böse“ im Allgemeinen oder einen bösen Nachbarn oder einen bösen Hund. Nein, wenn in der Bibel „der Böse“ steht, dann ist damit normalerweise der Teufel gemeint. Bewahre uns davor, denn wir lesen: Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann.
Nehmt den Gegner ernst, überschätzt ihn aber nicht. Denkt nicht, ihr seid allein fertig damit. Ihr braucht die Hilfe Gottes. Deshalb: Bewahre uns davor, dass er uns von dir wegzieht.
Je länger ich Christ bin, desto mehr merke ich: Aus eigener Kraft wäre ich wahrscheinlich zu jeder Sünde fähig. Ich weiß nicht, wie es euch geht. Manchmal habe ich früher gedacht: Das würde ich ja nie tun. Doch wenn ich nur in bestimmte Situationen komme, denke ich: Vielleicht würde ich das auch tun, wenn die Umstände stark sind, wenn ich emotional aufgewühlt bin. Dann würde ich viele Dinge tun.
Den Gedanken fand ich interessant bei jemandem, dessen Geschichten ich früher gerne gelesen habe: G. K. Chesterton, der katholische Priester, der die Pater-Brown-Kriminalgeschichten geschrieben hat. Er versucht, sich in den Verbrecher hineinzuversetzen, und sagt: „Ich bin zu jeder Sünde fähig.“ Das fand ich eine ganz interessante Überlegung, und ich glaube, er hat Recht. Er ist zwar katholischer Priester, nicht frei evangelischer Pastor, aber hier hat er trotzdem Recht.
Denn das ist, was wir auch in der Bibel finden: Wir sind zu jedem Bösen fähig, wenn es auf uns ankommt. Deshalb brauchen wir Schutz von Gott. Deshalb die Bitte: Bewahre uns vor der Versuchung, bewahre uns vor dem Bösen.
Abschluss: Die Herrlichkeit Gottes und gemeinsames Gebet
Und dann haben wir den Satz: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen.“ Hier wird noch einmal zusammengefasst, was wir vorher schon gehört haben. Denn wir bitten ja um das Reich Gottes: „Dein Reich komme.“ Die Kraft hat mit dem Willen Gottes zu tun, und die Herrlichkeit steht im Zusammenhang mit dem Reich Gottes.
Diese Dinge werden also noch einmal aufgegriffen und eingerahmt. Unsere persönlichen Bitten werden vor dem Blick auf Gott gestellt. Wir haben den Blick auf Gott und seine Herrlichkeit sowohl am Anfang als auch am Ende des Vaterunsers.
Ich hoffe, dass ihr euch irgendwann einmal ermutigt fühlt, das Vaterunser mit Überzeugung zu beten und dabei einen Blick auf Gott zu bekommen. Dieser Blick kann manchmal helfen, über eigene Auseinandersetzungen in der Gemeinde, Reibereien oder Unzulänglichkeiten hinwegzusehen und den Fokus auf Gott zu richten.
Ich schlage vor – und hoffe, ihr seid mir nicht böse und denkt nicht, wir seien jetzt in die Kirche übergewandert – dass wir jetzt vielleicht einmal zusammen tatsächlich das Vaterunser beten. Ich lasse jetzt keine Abstimmung machen, sonst käme es vielleicht zu einer langen Diskussion oder Auseinandersetzung.
Ich möchte euch einfach ermutigen: Betet mit! Lasst uns aufstehen und gemeinsam das Vaterunser beten!
