Die Bedeutung der Gnade am Kreuz
In einem Gottesdienst kann es ganz unterschiedlich sein, an welchen Stellen man plötzlich aufmerksam wird und etwas versteht. Ich habe vorhin besonders darauf geachtet, wie der Chor gesungen hat: „Deine Gnade gilt auch mir.“ Wissen Sie überhaupt, was Gnade ist?
Ich lese aus der Passionsgeschichte, Lukas 23, die Verse 32 bis 43, die beschreiben, was Gnade bedeutet. Größe kann man kaum in Worte fassen. Es wurden auch andere zu Jesus geführt, zwei Übeltäter, damit sie mit ihm hingerichtet werden.
Als sie an die Stätte kamen, die Schädelstätte genannt wird, kreuzigten sie Jesus dort, zusammen mit den Übeltätern, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Die Soldaten verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Das Volk stand dabei und sah zu.
Die Oberen spotteten und sagten: „Er hat anderen geholfen, er helfe sich selbst. Ist er der Christus, der Auserwählte Gottes?“ Auch die Soldaten verspotteten ihn, traten heran, brachten ihm Essig und sagten: „Bist du der Judenkönig, so hilf dir selbst!“ Über ihm war eine Aufschrift angebracht: „Dies ist der Judenkönig.“
Einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte Jesus und sprach: „Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“ Da wies ihn der andere zurecht und sagte: „Fürchtest du dich nicht vor Gott, obwohl du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen. Dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“
Dann sprach er zu Jesus: „Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Jesus antwortete ihm: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Das ist Gnade.
Das Opfer Jesu als zentrales Thema
Das ist nicht der Abschnitt, über den wir heute die Predigt halten wollen. In unserer Übersicht über die Worte der Bibelwoche haben wir das Thema „Das Opfer Jesu“ gesetzt.
Sie erinnern sich, dass wir immer Worte aus dem Hebräerbrief haben. Natürlich gehe ich auf das Kreuzesgeschehen zurück, aber heute Morgen möchte ich über einen Vers aus Hebräer 9,14 predigen.
Der Vers lautet: „Wie viel mehr wird das Blut Jesu Christi, der sich selbst als Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen von toten Werken, damit wir dem lebendigen Gott dienen!“
Ich muss ihn noch einmal lesen, denn es ist ein schwieriger Text. Ich lese ihn deshalb noch einmal vor. Nehmen Sie gern Ihre Bibel zur Hand, dann haben Sie mehr davon. Denn ich möchte heute nur dieses eine Wort auslegen.
Hebräer 9,14: „Wie viel mehr wird das Blut Jesu Christi, der sich selbst als Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen von toten Werken, damit wir dem lebendigen Gott dienen!“
Es geht hier um den Vergleich zu den Reinigungsopfern des Alten Bundes im Tempel. Wie viel mehr wird dann das Blut Jesu Christi, der sich selbst als Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen, damit wir nicht mehr den toten Werken dienen, sondern dem lebendigen Gott.
Persönliche Erfahrungen mit dem Kreuz
Ich war ganz am Anfang meiner Tätigkeit als Pfarrer im Schwarzwald, als ich ein Erlebnis hatte, das mich tief geprägt hat. Im Krankenhaus musste ich Besuche machen, und dabei kam ich zu einer reichen Fabrikantenfrau, die wenig Beziehung zur Gemeinde hatte. Das ist natürlich immer ein bisschen schwierig. Was soll ich denn da reden?
Sie haben ja schon gemerkt, dass ich bei Krankenbesuchen nicht über das Wetter oder die Ärzte sprechen möchte. Das kann die Putzhilfe im Krankenhaus besser als ich. Aber wie kann man da anknüpfen?
Es war schön, dass in diesem katholischen Krankenhaus an der weiß gestrichenen Wand ein Kruzifix hing. Ich fing einfach an und sagte nach kurzer Zeit: „Das freut mich, dass Ihnen gegenüber dieses Kreuz hängt.“
Da unterbrach mich die Frau sofort. Das war so originell, erzählte sie, ihr Sohn habe gesagt: „Mutter, das sieht ja so trostlos aus bei dir im Zimmer. Ich weiß auch nicht, warum die Krankenzimmer immer weiß gestrichen sind.“
Der Sohn sagte, er bringe ihr ein Originalgemälde mit. Ich weiß nicht, was es genau war, sicher ein teures Bild, ein schönes Landschaftsbild. Und er nahm dieses Kreuz herunter, so erzählte mir die Frau, und hing es dort über den Nagel.
Dann sagte sie: „Nein, nein, nein, lass das nur da hängen. Morgens, wenn ich erwache, wird gerade Tag, dann sehe ich dieses Bild. Und ich muss Ihnen sagen, so hat es noch nie zu mir gesprochen.“
Abends, wenn es langsam dämmerig wird, sehe ich immer noch die Umrisse dieses Kreuzes. Ich kann Ihnen sagen, es war wunderbar.
Jetzt konnte ich die Frau fragen: „Warum ist Ihnen denn dieses Kreuz so ein Liebeszeichen?“
Sie antwortete: „Das Kreuz ist in der Tat das Zeichen, das endgültig verbürgt, dass Gott für mich ist. Niemand kann mehr gegen mich sein.“
Ich mache das gerne bei Krankenbesuchen, dass ich den Leuten das sage: „Meinen Sie, die Krankheit, die Sie erleiden, ist jetzt vielleicht doch eine heimliche Vergeltung Gottes, ein Stück Rache für irgendwelche bösen Dinge Ihrer Jugend? Werden jetzt Sünden heimgesucht?“
Nein, alle Schuld ist abgetragen, gebüßt durch den Opfertod Jesu. Und da ist uns die Garantie und die absolute Versicherung gegeben, dass Gott für uns ist und nichts mehr gegen uns sein kann.
Es soll uns niemand mehr aus der Hand Jesu reißen können. Das muss man wissen, und das Kreuz verbürgt uns dies.
Das Kreuz als Zeichen der Hoffnung in schweren Zeiten
Ja, ich habe Ihnen die Geschichte vielleicht hier und da schon einmal erzählt. Jedenfalls hat mich mal ein Gemeindeglied darauf angesprochen, und zwar wieder bei einem Krankenbesuch. Es war eine treue Predigthörerin unserer Gottesdienste hier in der Hofacker-Gemeinde.
Es ging um die letzte Wegstrecke. Sie war schwer unheilbar krank und vom Krankenhaus entlassen, um die letzten Tage zuhause zu erleben. Dann sagt sie: „Erinnert mich an diese Geschichte und bringen Sie mir doch auch einen Kruzifix.“
Ich wusste nicht gleich, woher ich einen Kruzifix nehmen sollte, denn wir Evangelischen haben das ja nicht so massenweise bei uns. Ich habe dann in einem Schrank bei den Mesner-Utensilien in dem Raum da drüben gestöbert und fand noch ein altes, ein bisschen unansehnliches Kruzifix. Das habe ich dann gebracht.
Wir haben es im Schlafzimmer auf den Weißzeugschrank gestellt. Und jetzt habe ich wieder erlebt, wie ein Mensch in den letzten Nöten seines Lebens, wo man wirklich abwägen kann, was noch etwas wert ist, was zählt, was mir bedeutet und wichtig ist.
Ein ganz großer Friede kam, der Blick auf den gekreuzigten Jesus. Das ist alles, was mich hält, was mich gewiss macht, was mich fröhlich macht und was mich aufrichtet. Darauf kann ich bauen, das ist ganz groß.
Niemand kann mich aus der Hand Gottes herausreißen, nichts kann mehr gegen mich sein. Auch keine Schuld der vergangenen Tage, kein Fehler und kein Versäumnis kann mich mehr anklagen. Es ist alles vergeben.
Die Vollendung des Opfers: Ein für allemal geschehen
Jetzt habe ich den Text wieder etwas gegliedert, auch einfach, damit wir besser aufpassen können.
Mein erster Punkt ist: Es ist geschehen. Im Hebräerbrief wird das immer und immer wieder aufgegriffen, und dann wird immer wieder hinzugefügt: Es ist ein für allemal geschehen, es ist ein für allemal passiert.
Wissen Sie, die Völker der Welt, die Menschen, die nicht in Europa leben, sind manchmal vielleicht viel klüger als wir. Unter den Völkern der Welt gibt es ein großes Wissen über Schuld, über Versäumnisse und Übertretungen. Als ich als junger Mann das Buch von Seram, „Göttergräber und Gelehrte“, gelesen habe, konnte ich es kaum fassen, wie die alten Azteken junge, kräftige, sportliche Menschen auf ihren Altären hingelegt haben. Das Herz, noch zuckend, wurde auf den Altar geworfen zur Vergebung ihrer Schuld. Die wussten das.
Wenn ein Inder in die Fluten des Ganges eintaucht, in Benares, dann geschieht das zur Reinigung seiner Schuld. Neulich saßen wir im Kreis von Missionsleuten zusammen, und da erzählten sie, wie es heute in Indonesien, im modernen Indonesien, ganz selbstverständlich ist: Kein Grundstein, auch nicht für das kleinste Wohnhaus, wird gelegt, ohne dass ein Schwein geopfert wird. Warum? Zur Sühnung unserer Schuld!
Dann sagte ein Missionsleiter: „Ich kann hier sicher bezeugen, dass bei den meisten Hochhäusern, die in Jakarta gebaut wurden, heute noch Menschen geopfert werden.“ Die Indonesier würden nicht wagen, ein Hochhaus ohne diese Sühnung der Schuld zu bauen.
Eine unserer Mitarbeiterinnen von Christlichen Fachkräften International hat neulich in ihrem Freundesbrief geschrieben, und es stockte einem der Atem, wie sie Nordkenia miterlebte. Dort wurde ein Baby den Göttern dargebracht, ein kleines Menschenkind, zur Vergebung der Schuld. Für uns ist das so fremd.
Wissen Sie, warum es uns so fremd ist? Wir sind so begeistert von dem, was wir machen können. Wir haben so viele Pläne. Wir wollen heute Europa bauen, wir wollen ein Beschäftigungsprogramm und wieder Wohlstand für alle. Und alle jungen Leute sind fasziniert: Wir können alles tun. Der moderne Mensch kann so viel.
Übrigens war das zur Zeit Jesu nicht anders. Nicht, dass Sie meinen, das sei nur eine moderne Art, das Leben anzugehen. Was denken Sie, wie das zur Zeit Jesu war? Ich habe fast den Eindruck, wer ein bisschen die Geschichte noch nachempfinden kann, dass es zur Zeit Jesu noch schlimmer war als heute.
Das alte Griechentum zur Zeit Kaiser Augustus war ein Bild des modernen Menschen, der sagte: „Wir machen das Friedensreich auf Erden.“ Er hat in den Sternen sein Schicksal gesehen, dass mit ihm das Friedensreich angebrochen ist. Und alle waren so erfüllt davon. Das war der Herodes und der Pilatus, und all die Menschen waren davon angesteckt.
Und Jesus sprach von der Schuld.
Vielleicht hat einer von Ihnen heute Angst und denkt: Wird jetzt am Karfreitag auch über meine verborgene Schuld gesprochen? Soll das wieder in den Mittelpunkt gerückt werden? Nein, keine Angst.
Ich möchte nur sagen: Mit all Ihren kühnen Träumen, dessen, was Sie mit Ihrem Leben leisten wollen, können Sie nicht einfach Ihr Fehlverhalten wegwischen. Ich möchte Ihnen heute bloß verkünden: Ein für allemal ist in Jesus alles bezahlt, alles weggetan.
Sie brauchen nichts zu sagen. Ich hoffe und wünsche, dass vielleicht irgendwann einmal am Jüngsten Tag auch meine Schuld vergeben wird. Sie kann jetzt auf das Kreuz Jesu auch noch draufgepackt werden – alle Schuld, die bewusste und die unbewusste, die große und die kleine.
Alle dürfen sich darauf verlassen: Die Schuld, die neu geschehen ist in den letzten Tagen, und die, die in Jugendtagen passiert ist – ein für allemal ist es geschehen.
So vollkommen, was Jesus an Vergebung wirkt, das will ich Ihnen verkündigen: Alles soll ihm weggetan werden. Niemand braucht mehr mit seiner Schuld herumlaufen.
Und Jesus hat gar nicht gefragt, ob die Menschen das wissen wollen, ob sie es begreifen oder nicht. Er hat es verkündet. Er hat gesagt: Das ist das wichtigste Thema, das in der ganzen Welt je verkündigt werden kann.
Darum ist das Kreuz für uns ein Siegeszeichen, ein ganz großes Siegeszeichen. Und wir freuen uns immer wieder, wenn wir dieses Kreuz aufrichten – nicht bloß in den Krankenstuben. Wir freuen uns, wenn es uns grüßt auf den Berghöhen und auf den Gräbern der Friedhöfe, wo die Trauernden im Schmerz stehen.
Es ist ein Zeichen des Lebens, wo uns zugesprochen wird: Das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden. Ein Zeichen der kommenden Auferstehung, der wir entgegensehen, ein Freudenzeichen.
Die Kraft des Kreuzes im Leben junger Menschen
Wenn ich schon Geschichten aus meiner Jugend erzähle, dann noch einmal eine kleine Anekdote aus der Zeit, als ich Bezirksjugendpfarrer im Schwarzwald war. Wir hatten eine Nordseefreizeit, und damals begann es, dass man aus dem Buch "Jesu Name nie verklinget" sang.
Junge Männer, alle in einem etwas schwierigen Alter, hatten auf der Freizeit einige Schwierigkeiten. Doch schließlich fanden wir alle zusammen im Singen dieser herrlichen Lieder. Das war das erste Mal, dass ich mit jungen Leuten aus dem damals blauen Liederbuch "Jesu Name nie verklinget" sang.
Als wir dann einen Ausflug mit dem Boot nach Amrum machten, mussten wir dort eine Weile warten, bis das Schiff kam, das uns wieder auf die Hallig zurückbrachte. Es waren viele piekfeine Kurgäste anwesend. Plötzlich sagten die jungen Leute – ich traute meinen Ohren kaum – dass wir noch ein Lied singen sollten.
Welches Lied? Ich dachte, wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen, und wenn wir die schwindelnden Höhen erklimmen, etwa vom König Ortler. Doch die jungen Männer sagten: "Wir singen das Lied noch einmal: 'Im Kreuz ist unsere Kraft verborgen'."
Da standen die jungen Männer, in der ganzen Kraft ihrer Jugend, und sangen: "Denn die, die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft." Der Herr, der meine Schuld abdeckt, der für meine Schuld bezahlt hat, der mich frei und los spricht – das ist mein Siegeszeichen. Und das ist geschehen in seinem Tod. Darüber freue ich mich.
Wer versteht die Kraft des Kreuzes?
Wer entdeckt denn diese Kraft? Wer erkennt sie wirklich? In unseren Tagen sind es nur noch wenige, die sich am Kreuz Jesu freuen, an seinem Tod. Manche gestalten am Karfreitag noch einen Zeremoniengottesdienst, der einem Heldengedenktag oder einem Volkstrauertag ähnelt. Doch sie haben das völlig verwechselt. Beerdigung hat mit Karfreitag nichts zu tun. Es ist vielmehr der Tag der Erlösung und der Befreiung. Dein Kampf ist unser Sieg, dein Tod ist unser Leben. In deinen Banden ist uns die Freiheit gegeben.
Wer versteht das? Menschen, die nur auf Leistung setzen und sagen: „Ich strebe nach Erfolg, ich bin auf dem Weg zum Manager, und wir werden alle Probleme meistern“, die werden das nicht verstehen. Sie werden enttäuscht sein, wenn Jesus ihnen nicht Wunder um Wunder schenkt.
Es ist erstaunlich, wie wenig Jesus den Erfolgreichen mitgegeben hat. Warum hat Jesus uns kein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit gegeben? Das wäre doch wichtig gewesen. Warum hat er nicht eine dauerhafte Institution geschaffen, die die Speisung der 5000 Tag für Tag fortsetzt? Warum eigentlich nicht? Das Brotproblem bleibt durch die Jahrtausende das Problem unserer Welt, weil Jesus eine Versöhnung für die Schuld schaffen will.
Und wer versteht das? Versteht das überhaupt jemand? Ja, die Gestrandeten verstehen das, die Gescheiterten. So war es schon zur Zeit Jesu. Es sammelte sich um ihn allerlei loses Volk – so nannte man das bei David, und so war es auch bei Jesus. Menschen, die gescheitert waren.
Ich habe schon manchen sehr Überheblichen, gerade unter Christen, sagen hören: „Ach, wir wollen nicht mehr, dass in der christlichen Gemeinde immer nur arme und geringe Leute sind, so eine Rettungshaus-Atmosphäre. Wir wollen eine Gemeinde sein, mit der man angeben kann, die im Fernsehen erscheint und über die die Presse berichtet: ‚Schaut mal, das ist eine wachsende, blühende, schöne Gemeinde.‘“ Aber wir sind nicht alle so. Wir sind Menschen, die mit ihren Problemen nicht mehr fertig werden.
Leute, die begriffen haben, dass ihnen das gilt, was Jesus jammerte. Er jammerte, als er sie sah: Schafe, die keinen Hirten mehr haben. Menschen, die mit ihrer Leistung nicht mehr zurechtkommen, die zerbrochen sind.
Manche hier haben mal den Traum gehabt, eine schöne Familie zu haben. Doch alles ist zerbrochen: die Ehe, die Familie. Und sie fühlen sich nun schuldig. Sicher sind wir auch in vielem unseres Lebens schuldig. Aber da wird uns plötzlich bewusst, dass wir gar nicht viel machen können.
Es kann sein, dass wir im Zusammenleben nicht weiterkommen, dass wir mit allem querliegen und überall unsere Not haben. Dann stehen wir vor dem Scherbenhaufen.
Das Vertrauen in Gottes Gnade in schweren Lebenslagen
Ich las den Lebensbericht eines bekannten Arztes, der sich leidenschaftlich im Kampf für das ungeborene Leben eingesetzt hat. Er gehörte zu den wenigen Mutigen, die nicht schweigen. Er kämpfte mit großer Hingabe und war stets traurig darüber, wie bei uns das Thema Abtreibung so oberflächlich behandelt wird.
Er kämpfte unermüdlich, arbeitete nachts weiter und probierte alles Mögliche aus. Doch eines Tages bekam er eine Grippe. Aus der Grippe wurde ein Krankenhausaufenthalt. Während dieses Aufenthalts stellte man Magenkrebs fest, und er blieb in der Klinik.
In dieser Zeit schrieb er einige Zeilen nieder. Zuerst wollte er sich mit Gott auflehnen und fragte sich: „Warum stehe ich vor dem Scherbenhaufen? Ich habe doch für dich gekämpft.“
Plötzlich erkannte er, dass es sein eigener Kampf war, sein fleischlicher Kampf. Nicht, dass dieser nicht wichtig gewesen wäre, aber man kann auch richtige und wichtige Dinge im Leben falsch angehen.
Vor der entscheidenden Operation seines Lebens legte er sein Leben unter das Kreuz Jesu. Er sagte, dass er zum ersten Mal begriffen habe: „Herr, erbarme dich meiner.“
Als zweifelnder Intellektueller schrieb er nieder, dass er zum ersten Mal verstanden habe, dass es das Wunder der Gnade Gottes ist, wenn er etwas tun darf. Es müsse nicht durch sein eigenes Laufen und Rennen geschehen. Vielmehr wolle er Gott vertrauen und ihm nachfolgen.
Es solle nicht sein fleischlicher Kampf sein, sondern er wolle Gott vertrauen, auf ihn harren und auf ihn warten. Es sei ganz wunderbar, dass er das so erleben dürfe, und darum…
Das Kreuz als Quelle der Lebensfähigkeit
Und das Letzte: Das Kreuz Jesu macht uns lebenstüchtig. Das Blut Jesu – manche sagen, es sei geschmacklos, vom Blut zu reden. Aber wir müssen davon sprechen. Nicht nur vom Blut, das fürs Vaterland vergossen wird, und was man alles schon vom Blut gesagt hat, auch von der Bluttransfusion. Sondern dass das vergossene Blut Jesu eine solche Kraft hat, Frieden im Gewissen zu schenken.
Selbst die Dinge, die so real in meinem Leben geschehen sind, können mich nicht mehr anklagen. Ich habe Frieden, sodass ich auch im Kampf meines Lebens Ruhe finde. Das ist für mich das Letzte.
Manche meinen ja, das mache uns lebensuntüchtig. Das Kreuz ist für sie ein Symbol vom Friedhof. Sie denken, es hat irgendwas mit Tod zu tun. Nein, das ist ein Missverständnis. Das Kreuz ist das Zeichen vom Leben. Dort heißt es: „Blut Jesu reinigt uns von den toten Werken.“
Was sind denn tote Werke? Tote Werke sind alle Dinge, die wir mit fleischlicher Leidenschaft tun. Wir sind manchmal so wild darauf, in unserem Leben etwas zu erringen. Wir wollen, dass die Spuren unseres Lebens über unseren Tod hinausreichen. Doch was können wir schaffen? Was bleibt? Es sind oft tote Werke.
Oft spüren Menschen das schon zu Lebzeiten: Alles, was ich aufgebaut habe, bricht zusammen. Geschäftlicher Konkurs, verlorene Anstellung, oder die Kinder wenden sich von ihnen ab. Oder es bricht einfach alles im Leben zusammen. „Das war mein Leben“, sagen sie dann, „es hat mich hängen lassen.“
Das Blut Jesu reinigt uns von toten Werken – von Werken, die nichts enthalten.
Ich erlebe das auch bei mir. Wenn ich zurückblicke auf die Zeit im Schwarzwald, wo ich tätig war, habe ich besonders gelitten. Rückblickend erinnere ich mich an eine Abiturklasse, in der ich Religionsunterricht gab. Was habe ich gebrannt, diesen jungen Leuten das Evangelium von Jesus lieb zu machen! Aber das waren schon Schurken.
Schüler können einen Lehrer zur Weißglut treiben. Je ernster er es meint, desto schlimmer wird es. Wenn es ein Zyniker ist, prallen die Kinder natürlich an einer Backstein- oder Betonwand ab. Aber wenn jemand es richtig ernst meint, der ihnen etwas mitbringen will, dann legen sie die Füße auf den Tisch, sagen: „Schwätzen Sie nur, uns interessiert das nicht“, holen ihr Vesperbrot raus und so weiter.
Ich wollte mit ihnen über die Wertefragen ihres Lebens reden. Da habe ich auf einmal gemerkt: Das, was du mit deiner Leidenschaft betreibst – das sind tote Werke. Ich habe sie unter dem Kreuz Jesu niedergelegt.
Und ich habe immer wieder entdeckt: Wenn ich mich ganz hingelegt habe, staunte ich, dass Jesus, der sein Leben für mich gab, mir gewaltige Erfolgserlebnisse schenkte. Diese waren nicht mehr von mir gemacht, es waren Gnadenwerke. Das sind Dinge, die plötzlich geschenkt werden.
Jetzt wünsche ich Ihnen, dass Sie das genauso in Ihrem Leben erfahren können. Dort, wo Sie sagen: Ich bin gescheitert, ich komme nicht mehr weiter, ich bin gegen eine Mauer gelaufen, für mich ist alles aus.
Das Kreuz ist nicht das Zeichen vom Ende, nicht das große Grab, sondern der Anfang vom Leben. Jesus will uns reinigen von den toten Werken, damit wir dem lebendigen Gott dienen.
Wir tun nichts mehr für unser Prestige, nicht mehr für unsere Leistung, sondern wir wollen mit unserem Leben etwas für Jesus tun.
Vielleicht merkt man das oft erst, wenn unsere Körperkraft gebrochen ist, wenn unser beruflicher Erfolg, auf den wir so stolz waren, verflogen ist – mag sein, was auch immer. Dann blicken Sie auf das Bild des Gekreuzigten und schauen dorthin.
Obwohl Sie jetzt sagen: Ich sorge mich um meine Kinder, ich habe so viele Nöte in meinem Leben, die ich nicht mehr bewältige – legen Sie alles vor Jesus hin. Er ist der Sieger und gibt Ihnen die Garantie, dass nichts und niemand Sie mehr aus seiner Hand reißen kann.
Die Kraft des Kreuzes in der Gemeinschaft der Gläubigen
Wenn in der Christenheit jemals große Dinge geschehen sind, dann wurden sie nie von den Goliath-Typen oder von den Maulhelden vollbracht. Sondern immer von denen, die einst mit Zinzendorf vor dem Bild des Gekreuzigten stehen blieben und verstanden: „Das tat ich für dich, was tust du für mich?“
Wenn sie so leben, sagen sie: „Herr, ich will mit meiner kleinen Kraft nur noch ein bisschen etwas für dich tun, solange du mich noch leben lässt. Und wenn ich nur noch Stunden auf Erden zähle, will ich für dich etwas Herrliches tun, wenn der gekreuzigte Jesus uns Gnade gibt.“
Das macht uns tüchtig zum Leben, brauchbar und wichtig. Wir werden von unserem Herrn gebraucht. Ich freue mich, dass er unsere Motive reinigt, unser Leben reinigt und dass wir unter dem Kreuz Jesu ganz neu beginnen dürfen zu sagen: „Jetzt weiß ich, wofür ich lebe, und jetzt weiß ich, dass mein Leben einen Sinn hat, weil Jesus mich braucht.“
Weil er durch Menschen, auch mit viel Sünde, Fehlern und Versäumnissen, noch wunderbar Großes wirken kann. Und das ist das Einzige, was in dieser Welt groß ist: das, was Jesus wirkt. Amen.
