Einführung und Bedeutung des Galaterbriefs
Ich war immer wieder überrascht, dass wir, wenn meine Aufzeichnungen stimmen, während all der Jahre, in denen ich hier bin, nie eine Bibelarbeit über den Galaterbrief gemacht haben. Das ist nicht etwa ein Versehen. Manche Briefe, wie der Thessalonicherbrief, kommen doppelt vor. Den habe ich dann später in kürzerer Zeit behandelt. Andere Briefe werden hingegen übergangen, obwohl sie zu den ganz wichtigen Briefen des Neuen Testaments gehören.
Der Galaterbrief behandelt eine entscheidende Frage, die im evangelischen Glauben, also im Bibelglauben des Evangeliums, im Mittelpunkt steht. Genau das, was einst zur Reformation geführt hat und was auch immer wieder durch die Jahrhunderte hindurch neue Aufbrüche im Leben der evangelischen Kirche bewirkt hat, geht immer von dieser Mitte aus: Christus steht im Mittelpunkt unseres Lebens und er formt unser Leben neu.
Freiheit und Leben im Geist
Jetzt lese ich mal den Abschnitt Vers 16 bis 26. Oder haben wir bei Vers 11 aufgehört?
Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt, sondern dient einander durch die Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Wenn ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer vom anderen aufgefressen werdet. Also, ich sage ja, das ist der Humor beim Paulus. Das, was er auch vorher gesagt hat: Wenn es denn so wichtig ist mit der Beschneidung, dann sollen sie sich vollends verschnipseln. Das spürt man immer wieder.
Ich glaube, Paulus war ein sehr guter Redner, der manches auch sehr poetisch sagen konnte. Ich sage aber: Lebt im Geist, so werdet ihr die Begierden des Fleisches nicht vollbringen. Denn das Fleisch begehrt auf gegen den Geist, und der Geist gegen das Fleisch. Sie sind gegeneinander, sodass ihr nicht tut, was ihr wollt.
Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz. Offenkundig sind aber die Werke des Fleisches, als da sind: Unzucht, Unreinigkeit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Spaltungen, Neid, Saufen, Fressen und dergleichen.
Davon habe ich euch vorausgesagt und sage noch einmal voraus: Die, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.
Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit. Gegen all dies ist das Gesetz nicht.
Die aber Christus Jesus angehören, die haben das Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.
Vers 26 würde ich zum nächsten Kapitel tun: Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden.
Die Illusion eigener Kraft und die Macht des Bösen
Also, machen wir weiter. Jede Generation wiederholt sich bei ihren Kindern und ist der Meinung, wir werden in unserem Leben schon gut sein können. Wir leben alle in dem Glauben, dass wir mit eigener Kraft, wenn wir uns nur ein bisschen bemühen, das Böse in Schach halten können.
Mach mal wieder im Geiste einen Ausflug: Wir würden jetzt durch die Häuser unserer Nachbarschaft gehen, klingeln, mit den Leuten sprechen. Die Leute würden uns alle sagen: „Also, was ihr da drüben für einen Tick habt in der Hofhackelkirche, seid ein bisschen mischucke mit eurer Springerei. Wir sind doch auch nicht so schlecht, wir wollen doch aus gutem Leben leben, und das können wir auch ziemlich gut. Es gibt noch ein paar Sachen, das sind wir selber, müssen wir zugeben, das ist nicht ganz perfekt. Aber wir können es, wenn wir wollen, das Böse im Schach halten.“
Das ist auch heute die Meinung von vielen Christen, die in die Kirche gehen: „Wir können es, wenn wir wollen.“ Sie sagen, sie brauchen noch ein bisschen den Segen Gottes dazu, aber im Großen und Ganzen können sie das managen. Uns ist nicht bewusst, um welche Macht es sich beim Bösen handelt. Für uns heute hier in Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert ist der Glaube an Jesus Christus nicht mehr so wichtig.
Wofür brauchen wir ihn denn? Wirtschaftlich geht es uns ja gut, und für die restlichen Bereiche unseres Lebens machen wir Vorbehalte: Warum behütet Gott uns nicht, dass uns das Schlimmste nicht passieren kann? Aber ich brauche das nicht mehr. So ein eigenmächtiges Denken.
Am Sonntag sagte ich im Gottesdienst: Wir leben heute mit dem Alleskönnermenschen, der alles kann und alles selber macht. Und natürlich denke ich jetzt an Leute, die wirklich lieb sind und einfach sagen: „Ja, aber ich lebe nach dem Satz ‚Edel sei der Mensch, hilfreich und gut‘, das mache ich.“ Und ich muss sagen, alle Achtung, die leben das auch.
Das unterscheidet sich von dem, was die Bibel sagt. Die Bibel schildert das Böse immer viel unheimlicher, als eine Macht, der wir nicht entrinnen können, die eine ganz furchtbare Ausstrahlung hat. Wir sehen das etwa in der Versuchungsgeschichte, wo der Teufel Jesus gegenübertritt, und dass wir alle machtlos sind gegen diese Einflüsterung.
Jetzt ist es wichtig: Wir werden in unserer Zeit heute erst die Macht des Bösen wieder erkennen können. Das behaupte ich etwa, wenn wir solche Vorgänge in Ruanda sehen. Wenn ich oft mit Ausländern rede und sie fragen, wenn man so abends in einer gelockerten Stimmung ist: „Was ist denn bei euch in Deutschland gewesen, als es die schreckliche Zeit der Judenvernichtung gab?“ Es gibt eigentlich nur eine Erklärung: Es ist die Macht des Bösen.
Ich habe manche Menschen kennengelernt, die große Schuld sich in dieser Zeit aufgeladen haben. Ich muss Ihnen sagen, es waren die reizendsten Familienväter, die liebenswürdigsten Menschen mit einer hohen Moral. Ganz Ähnliches können Sie von Stalinisten sagen.
Wenn Sie das Böse einmal in seiner ganzen verführischen Art kennen, ist es so schrecklich, dass es uns verblendet, auf irgendeine Weise. Man sieht sich selber gar nicht. Wenn Sie heute durch die Zuchthäuser gehen, werden Sie sagen, die meisten Menschen sehen sich selber richtig: Sie sind alles unschuldige Opfer.
Und das Schlimme ist, dass wir ja selber von diesem Bösen Besitz ergriffen haben. Das behauptet die Bibel. Jetzt findet eine Auseinandersetzung statt: Ist das wirklich die Kernfrage? Ja, das ist die Kernfrage. Die Kernfrage ist, dass ich unter das Böse gefallen bin. Wie stehe ich in der gottlosen Welt unter diesen Kräften, die mich beherrschen?
Und alle, ob ich noch so fromm bin, ob ich noch so viele Lieder singe, ob ich noch so viel versuche zu beten – ich kann mich aus dieser Macht nicht befreien. Und es geht morgen früh schon wieder los: In meinem Leben haben dunkle Gedanken Raum, in meinem Leben geschieht Böses, und wir können gar nichts steuern. Das ist die Macht dieses Bösen.
Das Fleisch im biblischen Verständnis
Und nun spricht Paulus von den Begierden des Fleisches. Manche denken dabei zuerst, dass Paulus vor allem sexuelle Begierden meint. Das ist jedoch nicht der Fall. Sie müssen wissen, Paulus stammt aus dem Judentum. Und was bedeutet hier „Fleisch“? Es hat nichts mit einer Abwertung des Körperlichen zu tun – das ist Unsinn. So etwas kann nur jemand behaupten, der das Judentum nicht kennt.
Im Judentum lebt man vielmehr in der Freude am Natürlichen. Deshalb feiert man in Israel eine Hochzeit sieben Tage lang, und dabei wird auch geschlemmt – denken Sie an die Hochzeit zu Kana. Es gab also nie eine Verachtung des Natürlichen. Wenn Sie die Worte unreflektiert lesen, könnten Sie das vielleicht meinen, aber Paulus verwendet „Fleisch“ anders.
Mit „Fleisch“ bezeichnet Paulus das, was wir als Erbe aus dieser gefallenen Welt mittragen. Dazu gehört natürlich auch unser Kopf, unser Denken, unser Gefühl und unser Gemüt. Das ist ein weiterer Irrtum, den manche haben, etwa in der Anthroposophie: Sie sagen, das Fleisch sei schlecht, aber das innere Ich sei gut. So kann man im Leben nichts trennen.
Der ganze Mensch ist mit „Fleisch“ gemeint. Der ganze Mensch ist hineingezogen. Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Kindheit an, von Jugend an – das ist Fleisch. Sie müssen den biblischen Begriff des Fleisches so verstehen.
Manche meinen, und so habe ich es oft ganz derb erklärt: Fleisch bei Paulus sei das, was beim Metzger am Haken hängt. Das ist falsch. Vergessen Sie das. Fleisch meint den ganzen Menschen mit seinem Gefühl und seinem Denken. Und das ist eine Tragik: Ich kann ein Künstler sein oder ein ästhetischer Typ, und trotzdem in die ganze Dämonie dieser Welt verfallen – in den Hass.
Deshalb ist all das, was heute beklagt wird – etwa Hass oder das Richten über andere, auch Menschen einer anderen Kultur – in uns Menschen vorhanden. Manche, die sich über andere erheben, merken gar nicht, wie sie selbst wieder anderen Ideologien verfallen.
Ich bin hineingezogen in das, was sogar ein David erlebt hat. Er verfiel nicht nur bei Batsheba der Begierde, sondern er hatte vorher schreckliche Mordorgien hinter sich. Das dürfen wir nie vergessen. Und dass er Uria so schnell ans Messer lieferte, zeigt, dass in unserem Leben Dinge ablaufen, bei denen wir vor allem uns selbst retten wollen.
Wenn Sie einmal darüber nachdenken, warum solche Begierden existieren: Warum wird ein Jesusjünger wie Judas plötzlich vom Geld so angezogen? Was ist das? Diese Gier sitzt in unserem Denken, in unserem Herzen, in unserem Fühlen.
Man sagt heute oft: „Der Mensch muss nur dagegen ankämpfen, ich muss das nur niederdrücken.“ Das hat aber keinen Wert. In der modernen Psychiatrie gab es eine Zeit lang ein Mittel, das angewandt wurde: die Zwangsjacke. Dort wurden Menschen festgebunden, solange es notwendig war. Das gibt es immer noch. Wenn Sie das einmal in einer psychiatrischen Klinik sehen, werden Sie feststellen, dass Menschen so eingebunden sind und nichts mehr tun können.
Deshalb sagen manche: Es ist besser, wir geben den Menschen heute so eine Zwangsjacke im übertragenen Sinn, also eine Ordnung, damit sie wenigstens das Allerschlimmste nicht mehr tun. Das ist die heutige Anschauung vieler Leute.
Man erlässt Gesetze und sagt, daran müsse sich jeder halten. Kinder sollen das lernen, und wenn sie es nicht tun, wird der Stock eingesetzt. So wird wenigstens eine Art Zwangsjacke angelegt. Was ein Bürger tut und was er nicht tut, muss er lernen. Wenn er es nicht lernt, muss er die Konsequenzen spüren.
Aber damit ist das Problem nicht gelöst.
Die Kraft des Heiligen Geistes als neue Lebensquelle
Es wird für uns immer wieder faszinierend sein, dass wir sagen: Ist es nicht besser, den Menschen wenigstens ganz klare religiöse Maßstäbe mitzugeben? Dass wir ihn warnen und ihm Angst einflößen, wie gefährlich die Sünde ist und wo man im Leben überall scheitern kann? Auch das hat keinen Wert.
Die Zwangsjacke nützt nichts. Es gibt ein besseres Mittel, um alle Versuchungen zu überwinden. Paulus hält also gar nichts von Befehlen oder Kommandos, auch nicht vom jüdischen Gesetz. Dieses war nur eine Zeitlang als Überbrückung gut.
Jetzt gibt es ein anderes Mittel, und das ist der Heilige Geist. Mit dem Geist meint er nicht den Menschengeist, sondern den Heiligen Geist, das, was Jesus Christus erfüllt hat. Jesus Christus hat gesagt: „Ich gehe weg, ich gebe euch meinen Geist, der mich erfüllt hat in meinem Tun.“
So kommt Jesus Christus in gläubige Menschen hinein. Deshalb ist es uns immer so wichtig: Ich muss Jesus Christus in mein Leben aufnehmen und darf sagen: „Komm du zu mir“, ein Mensch mit all seinen Problemen und Schwierigkeiten.
Was uns immer wieder überrascht, ist, dass die Bibel gar nicht sagt, man müsse eine Zeit lang Dreijahreskurse machen. Am Ende dieser drei Jahre könne man dann sagen: „Jetzt wohnt Christus in mir.“ Sondern in dem Augenblick, in dem ich mich Christus ausliefere, will er in meinem Leben Wohnung machen – in seiner ganzen Kraft und Macht.
So wie Jesus als in Bethlehem geborener Mensch und in Nazaret aufgewachsener Mensch von dieser Welt mit dem Geist Gottes erfüllt war, so soll es bei uns noch einmal in einer wunderbaren Weise geschehen. Der Geist Jesu Christi soll in uns Wohnung machen können.
Das ist mir immer wieder wichtig, gerade weil manche fragen: „Was ist das eigentlich mit dem Heiligen Geist?“ Es ist das, was Jesus erfüllt hat. Dass Jesus nicht zürnte, sondern Geduld hatte, dass er Liebe hatte. Dieser Geist möchte in mir Raum gewinnen – der Geist Jesu.
Die neue Identität in Christus
Paulus hat immer betont, dass jeder, der Christus aufnimmt, ein völlig neuer Mensch wird. Das ist ein zentraler Gedanke, der sich durch viele seiner Briefe zieht, besonders im Galaterbrief. Auch im Römerbrief steht dieser Gedanke im Mittelpunkt.
Im Römerbrief, vor allem in Kapitel 7, beschreibt Paulus einen inneren Kampf sehr eindrücklich. Er sagt: „Was ich nicht will, das tue ich.“ Er beschreibt einen Zustand, in dem er ständig in einem inneren Zwiespalt lebt. Dieses Gefühl kennen viele: Man will das Gute tun, aber es gelingt nicht. Paulus stellt die Frage, wie man aus diesem Konflikt herauskommt. Nur wer versucht, wirklich konsequent gut zu leben, weiß, wie schwer das ist.
In Diskussionen merkt man oft, dass Menschen sagen: „Wir wollen doch auch gut sein.“ Doch wenn man ehrlich ist, gelingt das nicht immer. Paulus zeigt, dass niemand vollkommen gut ist. Das Heidentum gibt offen zu: Wir schaffen es nicht. Doch in der christlichen Tradition wird das oft nicht ernst genug genommen.
Am Ende von Kapitel 7 im Römerbrief sagt Paulus: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen aus dem Leibe dieses Todes?“ Diese Frage ist die Quelle vieler Erweckungsbewegungen in der evangelischen Kirche und war auch die Grundlage der Reformation. Die Erkenntnis ist: Ich selbst kann es nicht schaffen, auch nicht die Kirche oder andere Menschen. Paulus dankt Gott durch Jesus Christus, der Erlösung schenkt.
Im achten Kapitel des Römerbriefs heißt es dann weiter: „So lebe ich nun nicht mehr nach dem Gesetz des Fleisches, sondern nach dem Geist.“ Durch Jesus Christus ist man freigeworden, und sein Geist wohnt in einem. Dieses wunderbare Erlebnis hat Johann Sebastian Bach in seiner Motette „Jesu, meine Freude“ besungen: Christus lebt in mir.
Jeder Abend kann neu und anders sein, wenn der Geist Gottes einen erfüllt. Der Geist, der Jesus erfüllte, ist stärker als alle negativen Einflüsse aus Gedanken, Herz oder Leib. Wenn Sie in einer Krise sind und sich fragen, wie Ihre Ehe neu werden kann, wie Sie Versuchungen widerstehen oder Süchte besiegen sollen – dann können Sie das nicht aus eigener Kraft schaffen.
Christus ist stärker. Durch seinen Geist können Sie erfüllt werden. Strecken Sie sich nach ihm aus. Wie am Sonntag gesagt wurde: Entweder ist das wahr, oder es ist der größte Bluff. Sie können es ausprobieren. Christus, der Sieger, hat alle Versuchungen überwunden.
Sie selbst können Versuchungen nicht niederdrücken. Im Gegenteil: Je mehr Sie dagegen ankämpfen, desto schlimmer wird es oft. Sie können sich nur Christus ausliefern.
Empfang und Wirken des Heiligen Geistes
Wie bekommt man den Heiligen Geist? Das ist ganz wichtig. Wie bekommt man ihn?
Im Lukas-Evangelium finden wir den Text, den wir am Sonntag gehört haben, von dem Vater, der seinen Kindern gibt, was sie wollen. Der Vater wird dem Kind keine Giftschlange in den Mund stecken und auch keinen Stein geben, wenn es Brot verlangt. Am Ende wird Jesus noch anders zitiert. Wahrscheinlich hat er öfter über dieses Beispiel gepredigt.
Da heißt es nicht nur, dass der Vater im Himmel seinen Kindern Gutes gibt, sondern im Lukas-Evangelium, Kapitel 11, heißt es: Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.
Und ich darf beten: Herr, gib mir deinen Geist! Mir tut es leid, dass heute manche Bewegungen, die den Heiligen Geist so betonen, nicht immer schriftgemäß erscheinen. Es tut mir immer wieder leid, dass manche Leute fast Angst haben, sich die Finger zu verbrennen. Nein, wir wollen die Fülle des Heiligen Geistes, weil wir sonst leergebrannt sind und verlorene Menschen.
Wir wollen die Fülle des Geistes haben. Wir dürfen darum bitten. Und wie der Vater den Kindern Brot gibt, so gibt doch der himmlische Vater denen, die ihn bitten, den Heiligen Geist, so viel sie wollen. Bitte! Und jetzt können wir den Heiligen Geist in unserem Leben wirken lassen.
Hier steht auch, woran man den Heiligen Geist erkennt – ganz toll: Man erkennt ihn nämlich an seiner Frucht. Der Heilige Geist treibt in uns ein anderes Leben an.
Vielleicht haben Sie es mal beobachtet, wenn ein junger Mensch sich bekehrt hat, und Sie sagen: „Den habe ich gerade erst kennengelernt, und nun ist er ganz umgedreht.“ Man sieht es oft bis ins Gesicht hinein, wie der Heilige Geist Menschen verwandeln kann, selbst Menschen, die gebunden waren.
Jesus hat das immer wieder am besten an Beispielen klargemacht, an Schwarzhändlern, an Betrügern und an Prostituierten. Deren Leben war von Grund auf verändert in dem Augenblick, in dem sein Geist in ihnen Raum fand.
Und wenn Christen dieser Welt etwas zu verkünden haben, dann ist es das Wunderbare, dass man den Heiligen Geist gratis bekommen kann, wenn man darum bittet, und dass es eine neue Kraft gibt.
Ich sage es noch einmal: Ich halte nichts von Christen, ich halte nichts von Anstrengung und sonst was. Ich halte viel von Christus, der in zerbrochenen Menschen sein Werk völlig neu tut.
Wie oft sagen wir: „Ich kann nicht aus meiner Haut heraus.“ Doch, ich kann aus meiner Haut heraus, durch das Wunder, dass Jesus in mir Platz greift – so völlig neu.
Die Werke des alten Menschen und die Frucht des Geistes
Jetzt gehen wir die Werke durch, das ist das Zweite. Paulus spricht hier noch einmal über die Werke. Ich würde statt „Fleiß“ lieber von den Werken des alten Menschen sprechen. Diese Werke des alten Menschen haben wir alle. Der alte Adam und die alte Eva, so sind wir von Geburt an.
Die Werke des Fleisches kann man vielleicht einteilen: Zuerst die Begierden, die uns normalerweise als Sünden einfallen. Dann kommt das „fromme Fleisch“ mit Götzendienst, Magie und Zauberei. Danach folgen die Gemeinschaftssünden wie Feindschaft und Ähnliches.
Dabei fällt auf, dass nach unserer heutigen Moralauffassung, die viele führende Menschen unseres Jahrhunderts teilen, vieles gar nicht mehr als schlimm angesehen wird. Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung – man sagt heute oft, der Mensch müsse sich ausleben. Das war damals im Römischen Reich nicht anders. Die Christen entwickelten eine ganz eigene Ethik, weil sie nicht vom Fleisch kommt.
Christen müssen auch vorsichtig sein, wenn sie Menschen in Krisen helfen wollen. Sie können immer wieder sagen: „Ich verstehe einen Menschen.“ Ich kann jeden Menschen verstehen, auch einen Serienmörder, wenn ich seine Lebensgeschichte, seine Erziehung und seine psychologische Veranlagung kenne. Ich kann ihn verstehen, aber ich kann ihn nicht gutheißen.
Wir müssen aufpassen, denn Gott will das nicht. Es entspricht nicht dem Plan Gottes. Es ist furchtbar, dass heute immer wieder gesagt wird, wir müssten alles verstehen und für alles Verständnis haben. Aber das ist nicht gut, denn es bringt den Menschen kein Glück und keinen Frieden.
Kein Mensch wird jemals glücklich in seinen Süchten, in Unreinheit oder Ausschweifung sein. Er ist dafür nicht geschaffen, weil es dem Schöpfungsplan widerspricht. Wir können der gottlosen Welt nicht mehr als Ziel auflegen, sich so zu verhalten. Deshalb sage ich immer wieder: Man muss vorsichtig sein, damit die Menschen es nicht als eine Fessel empfinden. Sie haben oft Angst, Christen wollen ihnen die Lebensfreude nehmen.
Da müssen wir aufpassen. Vielleicht sollten wir auch lockerer werden und sagen: „Ihr dürft eure Sachen machen, ich gucke nicht in euer Schlafzimmer.“ Aber ich will zu den Menschen sprechen, die nach einer Erneuerung ihres Lebens suchen, die sagen: „Ich möchte aus diesem Schlamassel rauskommen.“
So hat es ja Jesus auch gemacht. Wir müssen wissen, dass wir unsere Gesetze nicht einer gottlosen Welt überstülpen können. Und wir sollten alles vermeiden, was so aussieht. Offenbar sind mit Unzucht all jene Dinge gemeint, die außerehelich oder mit Perversionen verbunden sind, auch die Ausschweifung.
Dann kommt, wie gesagt, die fromme Verdrehung mit Götzendienst und magischen Dingen. Natürlich sind das Mächte, die man hier haben kann. Danach folgen die ganzen zwischenmenschlichen Nöte, die starke Prägungen unseres Wesens sind: Zorn zum Beispiel, der in unseren Genen zu sein scheint, ebenso Zank und so weiter. Aber es muss nicht so sein, denn die Erneuerung durch Jesus überwindet das.
Spaltungen kommen hinzu, wenn man immer wieder meint, sich abgrenzen zu müssen. Dann folgen persönliche Unmäßigkeiten wie Saufen und Fressen, was auch zu Paulus’ Zeiten schon entscheidend war und durch die Jahrhunderte hindurch gleich geblieben ist.
Paulus spricht nun von den Werken, die der alte Mensch treibt – das ist unser Tun. Eigentlich müsste er in Vers 22 weitermachen: „Die Werke aber des Geistes sind…“ Das sagt er nicht, weil er erklärt, die Frucht wächst von allein.
Er sagt auch nicht „Früchte“, sondern „Frucht“. Diese Frucht hat viele Seiten. Wenn man sie sich anschaut, wächst sie aus der Gemeinschaft mit Jesus. Wenn wir vom Heiligen Geist sprechen, können wir immer auch Jesus meinen.
Der Heilige Geist ist nicht bloß eine Kraft, wie es heute viele falsch sehen. Der Heilige Geist ist Christus selbst, der in uns Wohnung nimmt. Wo sein Geist ist, da ist Christus lebendig unter uns. Er nimmt Wohnung in uns, nimmt Platz in uns und treibt Neues in uns voran.
Führung durch den Heiligen Geist
Jetzt, bevor ich das im Einzelnen auslege, schlagen wir mal eine Stelle auf: Johannes 16, Vers 13. Dort spricht Jesus vom Heiligen Geist.
Das ist übrigens eines der wichtigsten Kapitel, in dem Jesus über das Werk des Heiligen Geistes spricht. Johannes 16 beginnt ab Vers 5 mit diesen Worten. Ich finde, die ganz wichtigen Sachen stehen dort. Heute hatte ich wieder das Büchlein von Fritz Grünzweig in der Hand, das sich mit dem Heiligen Geist beschäftigt.
Er hat bei uns in der Bibelstunde mehrfach Seminare zum Heiligen Geist gehalten. Dieses Büchlein ist das beste dazu. Es ist im lieben Zeller Verlag erschienen. Vielleicht haben wir es gerade nicht am Büchertisch, aber wir bringen es immer wieder mit. Es ist ganz wunderbar, ganz schlicht und einfach, und es fasst alle biblischen Aussagen zum Heiligen Geist zusammen.
Dort wird er als Geist der Wahrheit bezeichnet, der uns überführt und uns Gewissheit schenkt. Übrigens ist das der einzige Weg: Man gelangt nur zur Glaubensgewissheit, indem man sich dem Geist Jesu öffnet und sagt: „Herr, komm in mir wohnen, lass dein Geist in mir ein Heiligtum werden, damit er in mein Leben einziehen kann.“
Der Geist wird uns in die Wahrheit leiten. Er wird uns in alle Wahrheit führen. Er ist ein Geist, der uns führt – so, wie man einen blinden Menschen führt. Sie wissen doch, wie das bei Hannah Josua war, der Libanese, der blinde Araber. Er hatte immer einen jungen Mann dabei, der ihn führte.
So ist auch der Heilige Geist: Er führt uns in die Wahrheit. Beim Bibellesen brauche ich den Heiligen Geist, im Hauskreis brauche ich den Heiligen Geist. Ohne den Heiligen Geist klappt nichts. Natürlich setze ich mich auch mal hin, wenn ich eine Predigt vorbereite. Dann bin ich manchmal ganz verzweifelt, weil es nicht läuft. Es muss immer wieder darum gebetet werden, denn ohne Gott geht es nicht.
Das wird man sich genauso merken, wenn man sagt: „Ich weiß nicht, was ich beim Besuch sagen soll.“ Dann wird der Geist Gottes einen in alle Wahrheit leiten. Er wird nichts aus sich selbst reden, sondern das, was er von Jesus hört. Er wird sprechen, was zukünftig sein wird, denn er nimmt von dem, was Jesus sagt.
Das steht in Johannes 16, Vers 14: Der Geist wird immer nur von Jesus herkommen und uns richtig leiten. Das ist das Schöne: Dieser Geist wird uns führen. Darum ist das Christenleben so neu.
Beispiele für die Führung des Geistes
Ein schönes Beispiel in der Apostelgeschichte ist der Diakon Philippus. Philippus war in Samaria in einem wichtigen Dienst tätig. Plötzlich führt ihn der Geist Gottes weiter. Aber wie macht man das?
Plötzlich sagt er: „Ich gehe auf die öde Straße nach Gaza.“ Was soll ich da unten? Ich werde doch da oben gebraucht, habe einen vollen Terminkalender. Doch der Geist Gottes spricht zu ihm. So trifft er unten den Kämmerer aus dem Orenland. Das war eine Führung des Geistes Gottes.
Das ist mir bei meinem Dienst oft so wichtig: Herr, führe mich, dass ich heute ein Auge habe. Ich bin ja so unbeholfen, ich weiß nicht wie. Da fällt kein goldener Zettel vom Himmel. Herr, leite meine Gedanken so, dass ich es gar nicht merke, dass in meinen Gedanken plötzlich etwas Wichtiges auftaucht. Da muss ich einen Brief schreiben, ach, im Marienhospital liegt noch jemand, ach, ich gehe doch mal noch ins Nachbarhaus. Herr, leite mich, ich möchte offen sein für deinen Geist.
Ganz ähnlich wird es beim Cornelius beschrieben, in Apostelgeschichte 10. Dort wird dargestellt, wie der Geist Gottes Cornelius leitet, wie der Hauptmann geführt wird, und wie auch Petrus geleitet wird, sodass sie es merken und geführt werden.
Wenn wir vom Geist Gottes geleitet sind, dann ist das sehr wichtig. Ich habe immer gesagt: Man darf niemals, niemals für die Hauptamtlichen in der Kirche geistliche Autorität beanspruchen. Sie sind Geistliche, hoffentlich. Wenn sie keine Geistlichen sind, dann sind sie keine Christen. Wenn sie den Geist Gottes nicht haben, wenn sie keine Geistlichen sind, dann glauben sie auch nicht. Dann verstehen sie auch die Bibel nicht und können Jesus nicht als Herrn bekennen.
Geistliche sind die Gläubigen, die vom Geist Gottes erfüllt sind. Sie haben nicht einfach nur eine mündliche Autorität bekommen – das ist Unsinn. Aber wir wollen das wissen: Es geschieht etwas Neues in unserem Leben, wenn der Geist Gottes Raum in uns hat.
Hoffnung und Ermutigung durch den Geist
Jetzt lesen wir noch Römer 8, und das sollten Sie in Ruhe noch einmal lesen, wenn Sie das Ganze verstehen wollen. Es geht darum, was ich vorher gesagt habe: die Unfähigkeit, das Gute aus eigener Kraft zu tun, und dann Römer 8, wo es heißt: „So gibt es nun keine Verdammnis mehr für die, die in Christus Jesus sind.“ Herrlich!
Wenn Sie es zuhause auf der Schallplatte oder auf der Disc haben, hören Sie „Jesus meine Freude“ mit herrlichen Worten dazu. Es wird erklärt, warum nichts Verdammliches mehr an denen ist, die in Christus Jesus sind. Es ist alles weggenommen. Ich verstehe immer nicht, wie Leute bei einem Konzert das Evangelium hören können, aber es nicht verstehen. Das ist doch am Lauschen! Bach hat es so verkündigt, wie es kein Evangelist von der ganzen Saga getan hat, noch viel, viel besser als Billy Graham.
Die Bibel wurde so klar zusammengestellt, so wunderbar. Da ist nichts Verdammliches mehr. Wer in Christus ist, der ist neu geworden. Und das ist der entscheidende Schritt. Das alles kommt in dieser Motette vom Fleischlichen und vom Geistlichen zum Ausdruck.
In Vers 14 heißt es: „Welcher der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Wir rufen: „Abba, lieber Vater!“ Und das ist unser Kindsverhältnis. Von diesem Verhältnis heraus wächst das alles.
Jetzt ist interessant: Da kommt eine Frucht, die wächst. Sie müssen nicht morgens an Ihren Zimmerpflanzen an den Blättern ziehen, damit sie wachsen. Sie wachsen von selbst, höchstens müssen Sie mal ein bisschen Wasser nachgießen.
So ist es auch, wenn Sie in der Gemeinschaft mit Christus leben: Liebe, Freude, Friede, Geduld werden wachsen. Von allein – ja, man kann sagen von allein –, weil Gottes Geist so mächtig ist, ganz mächtig.
Wir werden die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werden viel, viel kräftiger sein als alles, was der Teufel kann, viel, viel kräftiger als alle Versuchungen. Der Geist Gottes wird uns leiten, treiben, erfüllen. Deshalb müssen wir darüber reden: Das Werk des Geistes Gottes ist wichtig.
Aber das ist das Größte und Wichtigste, was der Geist Gottes macht: Er macht neue Menschen, er formt sie.
Die einzelnen Aspekte der Frucht des Geistes
Und jetzt können wir das noch kurz durchgehen: Liebe. Eine Liebe, die nicht sich selbst sucht, sondern den anderen, die Freude.
Warum Christen oft so traurig sind, weiß ich nicht. Es geht dabei nicht um irgendwelchen Schabernack oder Käswitze, sondern um eine Freude, die in der Geborgenheit liegt. Eine Freude, die im Leid noch fröhlich sein kann – der Friede, die große Ruhe, die Geduld, die Freundlichkeit, die Güte.
Jetzt haben Sie ein schönes Beispiel, wo früher Glauben oder Treue stand, und heute steht dort Treue, hinter Güte und Glaube. Im Griechischen ist das dasselbe: Das Wort Pistis bedeutet sowohl Glaube als auch Treue. Das ist interessant, weil es eben Festigkeit ausdrückt. Ich glaube an Gott, und das ist auch ein Treueverhältnis.
Glauben kann etwas ganz anderes bedeuten, als wir oft sagen, wenn wir zum Beispiel sagen: „Ich glaube, morgen regnet es.“ Das hat überhaupt nichts mit dem biblischen Glauben zu tun. Biblisch gesehen sind Glaube und Treue austauschbar. Das ist, wie ich Ihnen sagte, beim Übersetzen oft schwierig. Überall im Neuen Testament kann man Glaube und Treue austauschen.
Sanftmut – da denken wir oft an ein sanftes Säuseln. Aber Sanftmut ist wirklich das tiefere Sehen mit Langmut. Dann kommt die Keuschheit, ein Wort, das unsere Konfirmanden oft sagen, ohne genau zu wissen, was es bedeutet. Einst war das sehr wichtig.
In unserem Jugendbibelkreis hat einmal jemand festgestellt: Bei den Werken des Fleisches ist Sex das Thema Nummer eins. Bei den Christen, bei der Frucht des Geistes, rückt dieses Thema plötzlich in den Hintergrund. Die Keuschheit ist nicht mehr das Thema Nummer eins im Leben. Das ist eine schöne Beobachtung.
Und das kommt nur aus der Frucht des Geistes. Es ist oft sehr schwer, wenn man weiß, wie sehr Menschen heute durch schreckliche Bilder, gerade aus pornographischen Quellen, geschädigt sind. Das prägt das Herz sehr.
Der Geist Gottes macht frei und stärker. Es ist ein langsamer Prozess der Heilung, bei dem ich mich dieser Kraft aussetzen muss. Das ist die neue Freiheit, die aus dieser Kraft lebt.
Warnung vor dem alten Menschen und das Kreuzigen des Fleisches
Drittens müssen wir jetzt auch das behandeln, was im vorigen Kapitel noch nicht besprochen wurde. Passt aber gut auf, dass ihr nicht wieder, ja, dass ihr unter dem Deckmantel eurer Freiheit dem alten Menschen unter der Hand wieder so viel Raum lasst.
Das ist das Problem: Dieses alte Wesen kommt immer wieder zum Vorschein, oft auch heimlich und als Heuchelei, die unter einem frommen Deckmantel gelebt wird. Deshalb sagt er: Lasst dem doch keinen Raum! Er verwendet hier ein anderes Wort: Kreuzigt euer Fleisch (Vers 24). Was bedeutet denn kreuzigen? Es heißt, dieses alte Wesen zu töten.
Vor ein paar Wochen hatten wir das Leben des Missionars Ludwig Krapf zum Anlass genommen, anlässlich seines 150. Geburtstages nach Kenia zu schauen. Dabei fiel mir auf, wie er in seiner Biografie immer wieder betont, wie wichtig es ihm war, das Einüben in den Beschwerden, die ihm widerfahren, das Kreuzigen seines Fleisches. Er meinte, das sei heute gar nicht mehr modern; wir empfinden das kaum noch so.
In unserer Zeitschrift Hilfe für Brüder habe ich damals etwas über das Wunder abgedruckt. Dort stand auch, warum Krapf nicht so sehr die Wunder erbitten wollte: Er sagte, Gott müsse uns immer eine tüchtige Portion Leiden lassen, damit wir Tiefgang haben.
Daraufhin erhielt ich einen bösen Brief von jemandem, der ankündigte, seine Spenden einzustellen, weil in Hilfe für Brüder ja niemand an Wunder glaube. Wir haben gar nicht darauf geantwortet. Das kann ich nicht mehr erklären, es steht ja so viel drin, dass Krapf trotzdem an Wunder glaubte. Aber er sagte eben auch: Der Mensch braucht eine tüchtige Portion Schwierigkeiten und Leiden, sonst verflacht er.
Das ist ganz wichtig: Ihr müsst immer wieder merken, wie euer alter Mensch noch in euch wohnt. Deshalb habt ihr manche Nervensägen in eurer Nähe – das sind eure Schleifsteine. Warum habt ihr so schwierige Hausbewohner oder komplizierte Dinge im Leben? Damit ihr an dieser Stelle euren alten Menschen trainieren könnt und sagt: Ich will dem gar keinen Raum geben!
Darum löst sich in eurem Leben nicht alles auf. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn wir meinen oft, Christus müsste uns alle Schwierigkeiten wegnehmen. Nein, es ist so, dass wir an den Kleinigkeiten dieser Welt noch hängen. Das merkt ihr zum Beispiel, wenn bei euch eingebrochen wird oder wenn ihr krank seid. Dann wird euch bewusst, wie wichtig euch das diesseitige Leben ist.
Jetzt sollt ihr das mal merken und sagen: Es ist eigentlich gut, dass der Herr mir manches geschehen lässt, an dem ich mich einüben kann, mein Fleisch zu kreuzigen. Das heißt, da kommt immer wieder meine alte Unart zum Vorschein, Dinge, bei denen ich heftig werde. Das zeigt mir der Herr immer wieder.
Deshalb ist es nötig. Ich habe jeden Tag sehr viel, wo ich meine alte Art, meine ungeheiligte Art, noch sehe. Ich wollte schon gern so erneuert sein, doch spüre ich immer noch, dass so viel Altes in mir ist. Deshalb sage ich immer wieder: Mit jedem Jahr, in dem ich im Glauben stehe, sehe ich meine Verlorenheit mehr als am Tag der Bekehrung.
Ich sehe sie immer tiefer, aber ich darf unter das Kreuz Jesu flüchten und seine Vergebung annehmen. Darum ist das Kreuzigen so wichtig.
Ich hoffe, dass ihr auch in der Kürze gemerkt habt, warum in eurem Leben ganz schwierige Nöte da sind. Ihr sagt vielleicht: Ich verzweifle an meinen Kindern oder ich habe Probleme mit meinem Mann und unsere Ehe ist sehr spannungsreich. Das soll euch helfen, euer altes Wesen daran zu erkennen und mehr die Frucht des Geistes zu leben. Das ist wichtig.
Versteht ihr auch, was Ludwig Krapf gemeint hat? Dann wisst ihr, dass es für uns ganz dringend notwendig ist, diese Schule täglich zu haben: an den Schwierigkeiten zu reifen und euer Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden zu kreuzigen.
Warnung vor Wohlstand und falschen Lebenszielen
Ich weiß nicht mehr genau, wo es war. In den letzten Wochen habe ich auch in einer alten Predigt gelesen. Das tue ich immer gern, weil ich immer auf der Spur großer, gesegneter Geschichte des Volkes Gottes bleiben will.
Dabei fiel mir auf, dass in dieser Predigt eigentlich rundum gesagt wurde, wir sollten unser altes Wesen nicht verzärteln – auch so ein alter Ausdruck. Wir sollten es nicht zu liebevoll behandeln. Ich habe den Eindruck, dass das in unserer Zeit das Allerschlimmste ist: Wir sind nicht nur Wohlstandschristen geworden, sondern auch Wohlfühlchristen. Man muss immer glücklich sein, alles muss immer gut laufen, alles muss schön sein. Dabei sind wir uns gar nicht mehr bewusst, dass Gott unser Wesen vervollkommnen will.
Gott geht mit uns in ein Training, und dazu gehört auch das. Deshalb bergen bei uns oft fleischliche Versuchungen eine große Gefahr. Wir müssen wirklich aufhören und uns fragen: Wie sehr sind wir vom Geld abhängig? Wie sehr vom Wohlstand? Wie sehr im Glauben von unserer Gesundheit? Wenn unsere Gesundheit zusammenbricht, dann ist unser Glaube oft auch futsch – das darf nicht sein.
Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir dem Leib und auch dem alten Wesen, das nicht nur unseren Körper, sondern auch unser Gemüt betrifft, nicht zu viel Raum geben. Das ist sicher die schlimmste Herausforderung am Ende des 20. Jahrhunderts und auch der Hintergrund mancher unbiblischer Strömungen, die man heute in der Christenheit sieht: Dass man letztlich das irdische Glück sucht und Gott nur als Lieferanten dieses Glücks braucht.
Früher war es ganz wichtig zu sagen, dass wir dem Fleisch nicht zu viel nachgeben sollen mit seinen Wünschen. Der Traum, dass es uns gut gehen soll, ist da. Jetzt ist natürlich der Hintergedanke, der dann schnell kommt: Dann darf man gar keine Gier haben, keine Leidenschaften. Doch wir müssen wissen, wie gefährlich das ist. Wir müssen wissen, wie leicht uns geltende Dinge beherrschen können, wie sehr sinnliche Leidenschaften uns treiben können, wie leicht Gier uns antreibt – wie Esau, der wegen einer Suppe sein Erstgeburtsrecht verkauft hat.
Das müssen wir wissen, um zu beurteilen, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, dem zu widerstehen. Ich freue mich immer wieder, wenn wir unsere Kandidaten sehen. Wir wundern uns immer wieder, dass es junge Menschen gibt, die das in einer Weise leben, die mich erstaunt. Sie legen ihr Heimweh einfach ab – das fällt nicht leicht. Sie lösen sich, sie verlassen ihre Familie.
Am Samstag habe ich Martina Bastian zum Flughafen gebracht. Ich kenne sie wenig, ihre Mutter ist die Mesnerin in Deineulingen bei Pforzheim. Martina hat noch eine Schwester und ist unverheiratet. Wenn eine Mutter ihre Tochter einfach so ziehen lässt, lautlos, vor drei Jahren, und die Tochter jetzt schon zehn Jahre draußen ist, dann weiß man, wie sehr die Mutter am Kind hängt. Da wird das Fleisch gekreuzigt – um Jesu willen.
Und es betrifft auch die Leidenschaften und Begierden, auch diese ganz wichtigen Familienbindungen. Es geht nicht darum, dass man sich nicht lösen kann, sondern die Vorfreude auf den Himmel ist sehr groß. In dieser Welt, wo wir unser Fleisch zum Markt tragen, wollen wir etwas für den Heiland tun und tüchtig wirken. Aber wir müssen vorsichtig sein, dass sich nicht heimlich etwas in unserem Leben breitmacht.
Sie wissen, wie schnell das in unserem christlichen Leben geschehen kann: Wir singen fromme Lieder und geben nach außen hin ein gutes Bild ab. Doch unter der Oberfläche hat das Fleisch schon Besitz ergriffen, und das kann unseren ganzen Christenstand zerstören. Paulus meint dabei nicht nur sexuelle Dinge. Es können auch geltende Dinge sein, Ehrsucht, die Sehnsucht nach einem bequemen Leben, Faulheit – alles, was es gibt. Das breitet sich aus.
Jetzt sehen Sie: Aus dem Geist Gottes muss das neue Leben kommen. Ich brauche die Worte gar nicht mehr näher zu erklären, was da ist und dass diese Quelle das neue Leben schafft. Das alles ist in einem Wort zusammengefasst: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das wird der Heilige Geist in uns bewirken.
Das, was in der Urchristenheit da war, war eine Gemeinschaft, die lebte und spürbar war für andere. Neulich wurde in einer Predigt gesagt, dass nach zwanzig Jahren das Evangelium die Städte des Römischen Reiches so durchdrungen hatte, dass Jesus das Tagesgespräch war. Obwohl sie keine Hauptamtlichen hatten, keine Kirchen, keine Altäre und keine organisierten Gottesdienste, war das Leben, das Jesus in Menschen schuf, das Zeugnis.
Das wird auch heute wieder so sein. Wo Menschen das leben, wird es Frucht tragen. Das, was in dieser Welt am ansteckendsten wirkt, ist die Gegenwart des Heiligen Geistes in Menschen, die verwandelt sind und in dieser Freiheit leben.
Das ist der Höhepunkt. Auch hier im Galaterbrief wird deutlich: Ein Missbrauch ist nicht möglich, die Zwangsjacke kannst du beiseitelegen. Aber sei dir bewusst: Der alte Mensch ist bis zu deiner Todesstunde aktiv. Er ist immer wieder da und meldet sich. Leg ihn beiseite, schlag ihn tot. Du kennst das mit dem alten Adam, der wieder herauskommt und dann „schwimmt“. Deshalb kommt er immer wieder zum Vorschein.
Doch ich werde in der Kraft des Geistes Gottes ihn überwinden können. Das ist die wichtigste Gabe des Geistes Gottes: dass er ein neues Leben in mir schafft. Alle anderen Gaben haben nicht diesen Rang. Bei Paulus steht diese Gabe des Geistes im Vordergrund. Er spricht nur in einem Brief, im 1. Korinther 14, vom Zungenreden. Aber wie spricht er sonst davon? Im Römerbrief, im Galaterbrief, dass unser Wesen vom Geist Gottes umgewandelt wird.
Darum ist das der Mittelpunkt. So!
