Die Bedeutung menschlicher Nähe und Beziehung
Menschliche Nähe ist für uns alle sehr wichtig. Manche Menschen brauchen davon vielleicht etwas mehr, andere etwas weniger. Doch keiner von uns kommt ohne andere Menschen gut zurecht. Damit Menschen aufblühen können, brauchen sie Beziehung. Das erkennen alle, auch Psychologen.
Im Gegensatz dazu sind Isolierung und Entfremdung die Wurzel vieler Probleme bei Menschen. Persönlichkeitsstörungen entstehen oft dadurch. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von Kindern: Ein Kind kann sich auch ohne tolle Spielzeuge oder die neuesten Klamotten gut entwickeln. Dagegen kann die Abwesenheit des Vaters oder der Mutter die Entwicklung eines Kindes ernsthaft beeinträchtigen.
Menschliche Nähe und Intimität sind in zwischenmenschlichen Beziehungen sehr wichtig. Wie viel mehr gilt das wohl in der Beziehung zu unserem Schöpfer? Vielleicht merken wir das nicht immer, aber es ist tatsächlich so. Unsere Beziehung zu Gott – oder der Mangel daran – wirkt sich auf uns aus.
Ich vermute, dass die meisten hier, wenn nicht sogar alle, sich die Nähe zu Gott wirklich wünschen. Sonst wärt ihr heute nicht hier. Ihr habt das Verlangen, Gott besser und tiefer kennenzulernen und seine Gegenwart immer mehr zu spüren. Aber oft fühlen wir uns, wenn wir ehrlich sind, so, als wäre er weit entfernt und unerreichbar. Er ist doch so groß, so anders, so unbegreiflich! Er übersteigt unsere Vorstellungen, und deshalb empfinden wir ihn oft als nicht wirklich nahbar.
Es gibt ein noch größeres Problem, nicht wahr? Wir haben davon gesungen: Gott ist heilig, Gott ist gerecht – und wir sind es von Natur aus nicht. Deshalb ist es eigentlich gefährlich für uns, überhaupt in Gottes Gegenwart zu treten. Umso dankbarer sind wir, dass Gott Jesus Christus gesandt hat.
Der Text, den wir uns heute anschauen, zeigt uns, dass die Nähe Gottes und die tiefe Intimität mit ihm kein unerfüllbarer Idealismus bleiben müssen. Es ist nichts, das uns Angst machen sollte. Vielmehr ist Gottes Nähe, seine Gegenwart und die Intimität mit ihm uns zugänglich gemacht worden.
Jesus Christus als Offenbarung der Nähe Gottes
Johannes 1,14-18 – das ist die Botschaft, die wir hier sehen. Sie zeigt uns, dass Jesus Christus wirklich Gott ist, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Gott ist bei uns.
Jesus hat uns Gottes Gegenwart ganz nahe gebracht. Durch ihn können wir Gott tiefer und intimer erkennen.
Diesen Text wollen wir uns nun anschauen. Ich möchte ihn vorher vorlesen. Er steht auf Seite 107, im hinteren Teil der Bibel, die vor euch liegt. Johannes 1,14-18 lautet:
„Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes gibt Zeugnis von ihm und ruft: ‚Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist.‘ Denn er war eher als ich. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit aber ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen. Der Eingeborene, der Gott ist und im Schoß des Vaters ist, der hat ihn uns verkündigt.“
Ich habe diese Predigt in zwei Punkte aufgeteilt. Der erste Punkt lautet: Jesus bringt uns Gottes Gegenwart näher.
Jesus bringt uns Gottes Gegenwart näher
Jesus bringt uns Gottes Gegenwart näher – das sehen wir in den Versen 14 und 15. Letzte Woche haben wir bereits von Sammy gehört, was es mit dem Wort, dem Logos, auf sich hat. Ich werde das nicht alles wiederholen, empfehle aber, die Predigt von letzter Woche nachzuhören.
Hier ist Jesus gemeint: Jesus, der Mensch gewordene Gott, das Wort Gottes. In den Versen 1 bis 3 ging es darum – also im Text von letzter Woche –, dass das Wort vollkommen Gott ist. Das war der große Punkt: Das Wort ist Gott.
Johannes greift dann weitere Dinge auf, bevor er im Vers 14 wieder auf den Logos, das Wort, zurückkommt. Dort lesen wir, dass dieses Wort, das ewig Gott ist, Fleisch wurde. In den Worten von Paulus in einem anderen Buch entäußerte sich Jesus, er legte seine herrliche Würde beiseite, indem er unsere menschliche Natur annahm. Er verließ den Himmel und trat in die Geschichte der Welt, in unsere Geschichte hinein.
Wir sprechen gerne von Wendepunkten in der Geschichte, oder? Zum Beispiel Julius Cäsar, als er den Rubikon überschritt – ein großer Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Oder die Erfindung der Druckpresse durch Gutenberg, ebenfalls ein bedeutender Moment. Die Französische Revolution, der Erste und Zweite Weltkrieg, der Fall der Sowjetunion – all das sind Ereignisse, die bis heute Auswirkungen haben.
Aber, liebe Zuhörer, Vers 14 beschreibt den größten und wichtigsten Wendepunkt der gesamten Menschheitsgeschichte: Als das Wort Fleisch wurde, als Gott Mensch wurde. Der völlig andere, der alles Übersteigt, der in einem Licht lebt, zu dem niemand kommen kann – dieser wird uns gleich, dieser kommt uns nah. Der Unzugängliche wird zugänglich, der Unbegreifbare wird begreifbar und anfassbar. Der Schöpfer aller Dinge schließt sich seiner Schöpfung an.
Keinen größeren, keinen bedeutenderen Moment gibt es in der Weltgeschichte. Aber warum ist das so besonders? Gibt es nicht auch in anderen Religionen ähnliche Vorstellungen von Göttern, die unter Menschen erscheinen? Gibt es nicht sogar im Alten Testament Beispiele, wie Gott als Mensch erscheint?
Mythologien anderer Religionen sind zu beachten, aber Jesus ist tatsächlich gekommen. Er war eine wahre Person, keine Legende oder ein schöner Gedanke mit einer dahinterstehenden Moral. Seine Existenz ist auch historisch nachprüfbar. Selbst Historiker, die nicht gläubig sind, schreiben, dass er etwas Besonderes, etwas Andersartiges war.
Im Gegensatz zu Gottes Erscheinungen im Alten Testament, die nur vorübergehend waren, ist es hier keine vorübergehende Erscheinung. Es geht um eine echte Menschwerdung – mit allem, was dazugehört: Empfangen im Leib einer Frau, Entwicklung im Mutterleib über neun Monate, Geburt, ein weinendes Kind, das gestillt und gewickelt werden musste.
Jesus war ein Kind, das gerne spielte und kleine Freunde hatte. Ein Kind, das heranreifen und lernen musste, ein Teenager mit vielleicht schwierigen Zeiten. Ein Teenager, der eine Ausbildung machte, ein Mann, der arbeitete, müde wurde und Schlaf brauchte – alles natürlich ohne Sünde, aber ganz wie wir.
Gott wurde Fleisch. Er war mittendrin im Alltag von normalen Menschen wie du und ich. Er war beteiligt an unserem Leben, ganz in unsere Realität eingetaucht. Er war nicht wie viele Promis, die in ärmere Länder reisen, um sich mit Weisen ablichten zu lassen, aber dann den Rest der Zeit im Luxushotel verbringen. Nein, so war er nicht.
Der ewige Gott ließ sich in unserer Armut verwickeln. Er wohnte mit uns mitten im Slum. Das sagt der nächste Satz in Vers 14: „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns.“ Das Wort, das hier mit „wohnen“ übersetzt wird, ist sehr interessant. Es ist mit dem Wort „Zelt“ verwandt. Man könnte es so übersetzen: Er zeltete unter uns, so als ob er mit uns im Zeltlager gewesen wäre.
Wenn euch das bekannt vorkommt, liegt das daran, dass dieser Vers und die folgenden, die wir heute betrachten, auf 2. Mose und den Bau der Stiftshütte anspielen. Wir haben das in den letzten Wochen und Monaten betrachtet. Vor zwei Wochen haben wir besonders 2. Mose 40 gehört, wo das Ziel des Baus der Stiftshütte war, dass Gott mitten unter den Israeliten wohnt – ja, Gott zeltete unter ihnen.
Das war ein großer Segen für das Volk, ein Gott, der so nah war und dem Volk Zuversicht und Freude brachte. Aber auch dort war seine Gegenwart nicht wirklich unmittelbar. Sie war hinter dem Vorhang verborgen und für alle außer dem Hohepriester nicht zugänglich.
Gottes Gegenwart war zwar näher als zuvor, aber nicht wirklich nahbar. In Jesus aber ist sie noch näher, unmittelbar. Tatsächlich ist sie in Jesus Christus unmittelbar erfahrbar. Menschen haben Gott in Jesus miterlebt, gesehen, angefasst. Sie verbrachten Zeit in seiner Nähe. Er aß mit Menschen, trank mit ihnen, erlebte Höhen und Tiefen mit ihnen. Er lachte und weinte mit ihnen – so nah war Gott noch nie.
Jesus Christus hat Gottes Herrlichkeit noch greifbarer gemacht, als es in 2. Mose 40 der Fall war. Dort erschien die Herrlichkeit Gottes, aber sie war noch versteckt und unerreichbar. Mose durfte nicht in die Stiftshütte hineingehen, weil die Herrlichkeit Gottes sie erfüllte. Man kann daraus schließen, dass es gefährlich für ihn gewesen wäre, hineinzutreten.
Doch in der zweiten Hälfte von Vers 14 lesen wir: Jesus Christus hat Gottes Herrlichkeit offenbart. Die Menschen dürfen in ihm Gottes Herrlichkeit ganz nah erleben, sie betrachten und anschauen. Jesus kann Gottes Herrlichkeit offenbaren, denn er ist der eingeborene Sohn des Vaters. Das heißt, er hat die Natur des Vaters und offenbart seine Herrlichkeit vollkommen.
Worin besteht diese Herrlichkeit? Am Ende von Vers 14 heißt es, dass er volle Gnade und Wahrheit ist. Viele Kommentatoren verstehen „Wahrheit“ im Sinne von „Treue“ und sehen darin eine weitere Anspielung auf 2. Mose, diesmal Kapitel 34. Dort stellt sich Gott Mose vor, nachdem Mose seine Herrlichkeit sehen wollte. Gott sagt von sich: „Ich bin voller Gnade und Treue.“
Im Alten Testament wird Gott immer wieder mit diesen Worten beschrieben. Die Menschen im Alten Testament haben das theoretisch über Gott gehört und wussten, dass er gnädig und treu ist. Manche bekamen sogar einen kleinen Einblick oder Geschmack davon in ihrem Leben.
Doch ganz klar sichtbar wurde die Gnade und Wahrheit – oder Treue – Gottes nun in Jesus Christus. Jesus zeigt am deutlichsten, dass Gott von großer Gnade und Treue ist. Gott wurde in Jesus Mensch und brachte uns so sein Wesen und seine Herrlichkeit ganz nah.
Die Zeugenaussage Johannes des Täufers
Damit wir klar verstehen, dass es hier tatsächlich um den Mensch gewordenen Gott geht, also dass er sowohl Mensch als auch Gott ist, wird der Gedankenfluss kurz in Vers 15 unterbrochen. Hier hören wir die Stimme des Zeugen Johannes, des Täufers.
Ich werde nicht viel Zeit mit diesem Vers verbringen. Mehr über Johannes den Täufer als Zeugen haben wir bereits letzte Woche gehört, und es wird nächste Woche wieder Thema sein. Doch eine Sache sticht hervor: Johannes verweist auf den, der nach ihm kommt. Er sagt von ihm, dass dieser zwar wie er selbst auftreten wird, also wie Johannes, aber viel größer ist als Johannes. Er ist von ewiger Natur und hat mehr Würde als Johannes, denn er ist der Erste vor Johannes.
Dieser, der nach Johannes kommt, ist sowohl menschlich – er tritt auf wie Johannes – als auch göttlich, denn er war vor Johannes da. In dem, den Johannes bezeugt, kommt Gott höchstpersönlich zu uns. Das ist der entscheidende Punkt: Gott ist in Christus uns ganz nah gekommen.
Vielleicht haben wir in unseren Köpfen immer wieder die Vorstellung, dass Gott irgendwo fern ist und Jesus etwas ganz anderes. Mit Jesus habe ich eine Beziehung, aber Gott selbst ist mir fern. Dieser Vers lehrt uns, dass wir das nicht so sehen dürfen. Wenn wir Jesus betrachten, sehen wir Gott. Gott kommt uns in Jesus Christus nahe, ja, dieser Gott, der uns einst so fern war.
Die Bedeutung der Nähe Gottes für uns
Warum ist es wichtig zu wissen, dass Gott uns in Jesus Christus nahegekommen ist? Zum einen, weil es das Herz Gottes ganz klar offenbart. Er will seinem Volk nahe sein.
Viele werfen Gott vor, dass er fern, distanziert und unbeteiligt sei. Doch wir haben bereits darüber nachgedacht, dass sündige, gefallene Menschen nicht in Gottes Gegenwart bestehen können. Er ist absolut heilig und gerecht. Die Bibel nennt ihn ein verzehrendes Feuer gegen alles, was böse ist. Das heißt, seine Gegenwart ist zunächst einmal zu fürchten.
Im Alten Testament war es daher eine Gnade, dass er sich erst einmal versteckt hat. Die Menschen hätten es nicht ertragen können, wenn das anders gewesen wäre. Gottes Ziel war auch im Alten Testament immer, innige Gemeinschaft mit seinem Volk zu haben. Deshalb die ganze Geschichte Israels, die Stiftshütte und später der Tempel. Gott wollte mitten unter seinem Volk sein.
Doch all das war nur schattenhaft. In Jesus Christus macht Gott unmissverständlich deutlich, dass er das wirklich will. Er wohnte unter uns, schlug sein Zelt unter uns auf und verschaffte Zugang dort, wo vorher keiner war. In Jesus Christus ist die Gegenwart Gottes ein sicherer Ort geworden, wo sie zuvor gefährlich war.
In ihr ist kein verzehrendes Feuer mehr zu fürchten, sondern Liebe und Annahme. Keine Verdammnis mehr, sondern Gnade und Bundestreue. Ich möchte daher ermutigen, Jesus Christus als jemanden zu erkennen, der dir Gott nahebringt, wenn du Gott bisher noch nie so begegnet bist.
Gott lädt dich in seine heilbringende Gegenwart ein. Er will diese Beziehung mit dir; er ist nicht fern. Dafür hat er Jesus Christus in die Welt gesandt. Du kannst heute seine Gnade in Anspruch nehmen.
Wenn du mehr wissen möchtest, was das bedeutet, sprich uns gerne an – sei es nach dem Gottesdienst oder jemand, der neben dir sitzt. Auch für uns, die Jesus Christus bereits angenommen haben, ist es wichtig, uns das immer wieder vor Augen zu führen: Du hast Zugang zu Gott – in Jesus Christus, jederzeit und immer!
Habt keine Angst, zu ihm zu kommen, habt keine Angst vor ihm. Er begegnet uns mit Liebe und Treue, mit Gnade und Wahrheit. Jesus bringt uns Gottes Gegenwart ganz nah, denn Gott will seinem Volk, Gott will dir nah sein.
Weitere Erkenntnisse aus der Nähe Gottes in Christus
Es gibt drei weitere Punkte, die wir aus diesem Abschnitt herausgreifen können. Diese werden kürzer sein.
Weil Gott uns in Christus nahegekommen ist, kann er auch mit uns mitleiden. Er weiß, wie es ist, in Schwachheit und Armut zu leben. Er kennt Leid, er kennt unsere Kämpfe und weiß, womit du zu kämpfen hast. Er weiß sogar, was es bedeutet, versucht zu sein. Er kennt seine Begrenzung, er weiß, was es heißt, auch zu trauern, und er weiß, was es heißt, müde zu sein. Er steht diesen Dingen nicht kalt gegenüber. Er hat diese Erfahrungen selbst gemacht, und das darf uns trösten. Wir haben einen Gott, der mitleidet.
Nun, es ist schön und gut, dass er diese Dinge kennt. Aber das wäre keine Hilfe, wenn er nichts dagegen tun könnte. Doch weil Gott in Christus Mensch wurde, kann er unser Mensch sein, uns heilen und erneuern. Ja, wegen Adam, unserem Vater und Ur-Ur-Großvater, ist unser Menschsein kaputtgegangen und entstellt worden. In Christus, dem zweiten Adam, wird es wiederhergestellt.
Jesus hat durch sein irdisches Leben, sein Sterben und seine Auferstehung die Erlösung unseres Menschseins bewirkt. Das heißt, eines Tages werden wir verwandelt werden in Leiber, die frei von Sünde, Krankheit und Vergänglichkeit sind. Wir werden mit ihm verherrlicht werden, heißt es in der Bibel.
Gott kam uns in Christus nahe, deswegen können wir als erlöste Menschen in seiner Gegenwart leben.
Und nun zum letzten Anwendungspunkt unter dem ersten Punkt: Weil Gott in Christus nah gekommen ist, ist Gottes Gegenwart für immer bei uns. Die Israeliten haben im Alten Testament erlebt, dass Gottes Gegenwart nicht für immer bei ihnen blieb. Es gibt eine traurige Szene in Hesekiel 10, wo wir lesen, dass Gottes Gegenwart sein Volk wegen ihrer Sündhaftigkeit verließ.
In Christus müssen wir das nicht mehr fürchten, denn Christus erwarb durch seinen Tod am Kreuz ein für allemal Zugang zu Gott für diejenigen, die Jesus annehmen. Er sandte uns seinen Geist, der für jeden Gläubigen Gottes Gegenwart dauerhaft macht. Wenn du Christ bist, darfst du wahrlich sagen: Gott ist bei mir, Gott ist immer bei mir.
Jesus lässt uns Gott tiefer erkennen
Nun ist es nicht nur Gottes Gegenwart, die uns durch Jesus nähergebracht worden ist, sondern Er lässt uns auch Gott tiefer erkennen. Das sehen wir in der zweiten Hälfte unseres Predigttexts: Jesus lässt uns Gott tiefer erkennen.
Sein Kommen geschah nicht nur, damit Gottes Nähe für uns greifbar wird, sondern auch, damit wir ihn und seine Herrlichkeit immer mehr und immer tiefer erfahren. Anders gesagt: In Jesus Christus ist Gottes Gegenwart und Gnade nicht nur nah, sondern auch tiefer erkennbar.
Dabei geht es nicht bloß um ein intellektuelles Erkennen, also einfach mehr Wissen über Gott zu sammeln. Viele, die mich kennen, wissen, dass ich ein großer Fan der Queen war und sehr viel über sie wusste – aber ich kannte sie nicht persönlich. Genau das ist der Unterschied: Es geht hier nicht um Wissen über Gott, sondern um ein Erkennen, eine Erfahrung, eine intime Erkenntnis, wenn man so will.
Menschen haben in Jesus Christus die Herrlichkeit Gottes direkt und tiefer erfahren und kennengelernt. Sie wurden in der Begegnung mit Jesus Teilhaber dieser Herrlichkeit. Schauen wir auf die Verse 16 und 17: Dort steht erstmals, „und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“. Johannes schreibt, dass wir, also die Gläubigen, von der Fülle der Herrlichkeit Gottes empfangen oder genommen haben. Und als sie das erlebt haben, durften sie also Gnade um Gnade erfahren.
Was bedeutet dieses „Gnade um Gnade“? Es kann auf zweierlei Weise verstanden werden: Zum einen als „Gnade und mehr Gnade obendrauf“ oder als „Gnade anstelle von Gnade“. Letztlich sagen beide Möglichkeiten im Grunde dasselbe aus: Gott hatte bereits zuvor Gnade gezeigt, und jetzt kommt mehr Gnade oder neue Gnade, die er zeigen will.
Doch was meint Johannes damit genau? Vers 17 erklärt es uns: „Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Die erste Gnade, sozusagen, kam durch das Gesetz Mose. Doch inwiefern war das Gesetz Gnade?
Wir verbinden mit Begriffen wie Gesetz und Geboten oft eher negative Gedanken. Das liegt vielleicht daran, dass wir nur menschliche Gesetze kennen, die oft ungerecht sind, oder weil unser Freiheitsverständnis unvollständig ist und wir Gesetze deshalb nicht mögen. Die Bibel lehrt uns jedoch, dass Gottes Gesetz Ausdruck von Gottes Gerechtigkeit, Gnade und Güte ist.
Das haben wir in der letzten Predigtreihe immer wieder gesehen: Gottes Gebote spiegeln Gottes Charakter wider. Sie zeigen dem Volk, dass Gott nah ist und sich durch sein Gesetz offenbaren will. Sie wurden dem Volk Israel zum Segen gegeben.
Wer Zeit und Lust hat, kann 5. Mose 4,6-8 aufschlagen. Dort wird ganz klar gesagt, dass das Gesetz Ausdruck von Gottes Nähe und Herrlichkeit war. Somit war das Gesetz eine große Gnade für das Volk.
Wenn die Gnade Gottes durch das Gesetz schon herrlich war, wie viel mehr gilt das für die Gnade Gottes, die durch Jesus Christus kommt. Durch das Gesetz durfte das Volk Gottes Herrlichkeit und Gerechtigkeit erfahren. Nun aber dürfen sie durch Jesus Christus auch seine Gnade und seine Wahrheit, also seine Bundestreue, erfahren, wie es in Vers 17 heißt.
Die erste Gnade, obwohl gut, führte oft dazu, dass die Menschen verdammt wurden, weil sie nicht in der Lage waren, die Gebote Gottes einzuhalten. Mit der zweiten Gnade aber kommt Vergebung der Sünden, Versöhnung mit Gott und ewige Sicherheit durch die Treue Gottes.
Das Volk kannte bereits Gottes Strenge, doch nun dürfen sie vielmehr seine Güte kennen und erfahren. Gott so zu kennen – in seiner Güte – ist natürlich nur durch Jesus Christus möglich, wie uns Vers 18 sagt: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und im Schoß des Vaters ist, der hat ihn uns verkündigt.“
Niemand hat Gott je gesehen. Als Mose Gott sehen wollte und eine klare Offenbarung seiner Herrlichkeit erbat, hat Gott ihm das zwar verkündigt und zum Teil gewährt – aber nur schattenhaft und verhüllt, sozusagen nur den Rücken, nicht das Angesicht.
Doch nun hat uns Jesus Christus, der Eingeborene, der selbst Gott ist, Gott offenbart. Er hat ihn uns verkündigt. Das Wort „verkündigt“ im Original hat denselben Wortstamm wie das Wort für Exegese – also Auslegung oder Auslegungspredigt.
Anders gesagt: Jesus hat uns Gott ausgelegt, interpretiert und uns genau erklärt, wer und wie er ist. Und das nicht nur durch seine Lehren über Gott, sondern auch durch seine eigene Person. Er ist die Herrlichkeit Gottes in Person.
An anderer Stelle heißt es, dass Gott im Angesicht von Jesus Christus seine Herrlichkeit erkennen lässt (2. Korinther 4,6) – und zwar auf unverdeckte, unverhüllte Weise. Jesus Christus kann das, weil er selbst Gott ist.
Wir lesen weiter „im Schoß des Vaters“ – das ist ein Ausdruck dafür, dass die Gemeinschaft, die Jesus mit dem Vater hat, nicht inniger sein könnte. Deshalb kann er uns Gott genau auslegen und zeigen.
Praktische Anwendungen für die tiefere Erkenntnis Gottes
Wir kommen nun zu den Anwendungen dieses zweiten Punktes. Was bedeutet das für uns? Ganz einfach: Wollen wir wissen, wie Gott ist? Wollen wir ihn in Nähe und Tiefe kennenlernen?
Das geht nicht losgelöst von Jesus Christus. Manche suchen Antworten bei Mohammed, Buddha, dem Dalai Lama oder einer anderen weisen Person. Doch sie können nicht wirklich helfen, denn sie sind und waren nur Menschen. Sie konnten und können Gott nicht richtig erklären.
Andere wenden sich nach innen, um herauszufinden, wer und wie Gott ist, und vertrauen dann ihren eigenen Vorstellungen von Gott. Aber die Bibel lehrt uns, dass menschliche Vorstellungen oft nur Täuschungen hervorbringen. Das ist keine verlässliche Antwort.
Jesus Christus allein, der derselbe Gott ist, kann uns Gott richtig offenbaren und richtig wiedergeben. Wenn du Gott also tiefer kennenlernen willst, lerne Jesus Christus besser kennen. Denn wer ihn sieht, sieht den Vater.
In Christus wird Gott für uns tiefer erkennbar und erfahrbar. Gott ist uns durch Jesus Christus zugänglich und erkennbar geworden. Die Frage ist: Sind wir dafür offen? Suchen wir diese tiefere Erkenntnis von Gott, die in Jesus Christus frei verfügbar ist?
Vielleicht fragst du dich, wie das geschehen kann. Ich habe ein paar Ideen dazu.
Gebet um tiefere Erkenntnis
Zuerst bete für eine tiefere Erkenntnis von Gott in Jesus Christus. Die Bibel lehrt uns, dass Gott uns erleuchten muss, damit wir seine Herrlichkeit im Angesicht Jesu Christi erkennen können.
Deshalb betet Paulus in vielen seiner Briefe besonders für Wachstum in Erkenntnis und Erleuchtung, damit Menschen Jesus immer mehr erkennen. Ihr könnt das später in den Briefen an die Kolosser, die Philipper und im Epheserbrief nachlesen. Letzterer enthält sogar zwei Gebete in diese Richtung.
Das ist ein gutes Gebet und entspricht Gottes Willen für seine Kinder. Er hört solche Gebete gerne. Also bete dafür: für eine tiefere Erkenntnis von Gott in Jesus Christus.
Bibelstudium und gemeinsames Lernen
Zweitens, lerne Jesus durch die Evangelien und andere Bücher der Bibel kennen. Nicht nur die Evangelien sind dafür geeignet, auch wenn sie ein guter Einstieg sind. Die ganze Bibel zeugt von Jesus Christus, wie Jesus selbst lehrt. Deshalb bemühen wir uns sehr, egal wo wir in der Schrift sind, einen Bezug zu Jesus herzustellen. Denn nur so ist die Bibel richtig zu verstehen.
Lerne also Jesus durch die Evangelien und andere Bücher der Bibel kennen. Das kannst du ganz persönlich tun, indem du die Bibel selbst liest. Manche Menschen brauchen dabei ein wenig Unterstützung. Deshalb ist es gut, sich einen Partner zum Bibellesen zu suchen – sei es, weil du Hilfe brauchst, oder weil du erfahrener bist und anderen helfen kannst. Sei offen dafür, die Bibel gemeinsam mit anderen Menschen zu lesen.
Für diejenigen, die grundsätzlich mehr über den christlichen Glauben erfahren möchten, ist der Christsein-Entdeckungskurs sehr empfehlenswert. Dort wird zum Beispiel das Evangelium nach Markus vorgestellt, und du lernst Jesus kennen. So wirst du Gott kennenlernen, indem du Jesus durch das Markus-Evangelium kennenlernst.
Und natürlich seid ihr hier – ich muss es euch nicht extra sagen – aber die Predigt am Sonntag weist immer auf Jesus hin und zeigt ihn. Dadurch lernen wir Gott kennen.
Gemeinschaft mit anderen Gläubigen
Zweitens: Lerne Jesus durch die Evangelien und andere Bücher der Bibel kennen.
Drittens: Lerne Jesus durch das Wort und den Lebenswandel anderer Gläubiger kennen. Dabei ist klar, dass keiner von uns auf dieser Erde Jesus vollkommen widerspiegelt. Was wir von Jesus zeigen, ist immer unvollkommen. Dennoch spiegeln wir ihn tatsächlich wider, wenn wir gläubig sind.
Christen werden immer mehr in das Ebenbild Christi verwandelt. Sie gehen von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie uns 2. Korinther 3,18 sagt. Das bedeutet, dass du durch deine Geschwister wirklich in der Erkenntnis Gottes wachsen kannst. Nicht nur durch das, was sie über ihn sagen, sondern auch durch ihr Leben. Ihr habt konkrete Beispiele, wie das aussehen kann.
Verbringt also viel Zeit mit anderen Gläubigen, wenn ihr Gottes Nähe sucht und ihn besser erkennen wollt. Vor allem solltet ihr die große Versammlung zu einer hohen Priorität machen. In der Gemeinde, in der Versammlung der Erlösten, ist Gott gegenwärtig, heißt es in Matthäus 18.
Deshalb brauchen wir die Gemeinde so sehr. Wir büßen viel ein, wenn die Gemeinde keine Priorität hat oder wenn wir unser Christsein allein für uns leben. Das war der dritte Anwendungspunkt: Lerne Jesus durch das Wort und den Lebenswandel anderer Gläubiger kennen.
Bleibe in Jesus Christus
Viertens: Gottes Gegenwart und eine tiefere Erfahrung von ihm gehen niemals über Jesus hinaus. Bleibe also in ihm.
Vielleicht hast du Gott schon einmal richtig genossen und bist in Erkenntnis schnell gewachsen – das war großartig. Doch jetzt gehst du gerade durch eine Dürre. Die Versuchung ist groß, etwas anderes auszuprobieren: die neue Methode, die neuen Ideen, der innovative Gedanke. Wenn diese dich von Jesus ablenken, sei vorsichtig!
Tiefere Erkenntnis über Gott führt niemals über Jesus hinaus. Leider sind viele auf Abwege geraten, weil sie mehr als Jesus suchten. Ja, Jesus Christus bringt uns durch seinen Geist allein Gottes Gegenwart näher und lässt uns Gott tiefer erkennen.
Wir können nicht zu viel Jesus haben. Genau das ist es, was wir brauchen. Bleibe in ihm, auch in der geistlichen Wüste. Bessere Zeiten werden kommen – bleib dabei!
Freude auf ewige Erkenntnis Gottes
Und dann fünftens: Freue dich auf eine ewig wachsende Erfahrung von Gott in Jesus Christus. Die Realitäten von Gottes Gegenwart, einer tieferen Gotteserkenntnis, Gottes Gnade und ähnlichem sind durch Jesus Christus für uns bereits vollkommen errungen worden. Es gibt nichts, was noch für uns erworben werden muss oder was wir selbst leisten müssten.
Die Erfahrung dieser Realitäten wächst jedoch mit der Zeit – zunächst hier auf Erden. Es ist schön, ältere Geschwister zu sehen und etwas in ihnen zu erkennen. Sie wissen etwas über Jesus, das wir jüngeren Menschen noch nicht vollständig verstanden haben. Oft können sie es uns nicht wirklich mitteilen, aber mit der Zeit wächst diese Erfahrung.
Diese Erfahrung wird tiefer, und danach bleibt sie dauerhaft in der Ewigkeit bestehen. Sie wird niemals aufhören und niemals langweilig werden. Sie wird immer tiefer und besser werden.
Schlussgebet
Lass uns beten. Vater, wir danken dir so sehr, dass Jesus Christus uns dich offenbart hat und uns deine Gegenwart so nahegebracht hat.
Wir dürfen das genießen, wir dürfen das erleben und immer tiefer kennenlernen. Mache unsere Herzen offen dafür, Herr!
In Jesu Namen, Amen.