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Warum kein Hörgerät? – Teil 1

Jesu Leben und Lehre, Teil 278/653
26.06.2023Jesaja 6,9-10
SERIE - Teil 278 / 653Jesu Leben und Lehre

Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.

Episode 277: Warum kein Hörgerät? Teil 1

Die Evangelien und ihre unterschiedlichen Perspektiven auf Gleichnisse

Die Bibel ist keineswegs ein einfaches Buch. Die Evangelien funktionieren eher wie Zusammenfassungen eines Lebens. Sie wollen also nicht im Sinne eines Unfallberichts möglichst nüchtern Fakten aneinanderreihen, sondern uns ein Leben vorstellen. Das führt dann auch zu kleinen Unterschieden in der Beschreibung derselben Situation.

Ich möchte Ihnen einen solchen Unterschied zeigen.

 Markus 4,11-12:
Und er sprach zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil, damit sie sehend sehen und nicht wahrnehmen und hörend hören und nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben wird.

 Lukas 8,10:
Er aber sprach: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu wissen, den übrigen aber in Gleichnissen, damit sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen.

Mir kommt es auf das Wörtchen „damit“ an. Jesus redet in Gleichnissen, damit sie nicht sehen und nicht verstehen. So formulieren Markus und Lukas.

Matthäus formuliert anders:

 Matthäus 13,13:
Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören noch verstehen.

Hier steht nicht „damit“, sondern „weil“. Wenn man, wie ich es tue, eine Bibelübersetzung verwendet, die nahe an der Originalsprache ist, darf man zunächst darauf vertrauen, dass die Übersetzung stimmt. Das bedeutet aber, dass wir es hier mit zwei ganz unterschiedlichen Betonungen zu tun haben.

Markus und Lukas sehen Jesus als den Handelnden: Er rede in Gleichnissen, damit sie nicht sehen. Matthäus hingegen betont die Verantwortung der Hörenden: Jesus rede in Gleichnissen, weil sie nicht sehen.

Die Frage nach dem Handelnden und die Bedeutung des Jesaja-Zitats

Die Frage, die im Raum steht, lautet also: Wer ist hier der Handelnde?

Es wird noch spannender, wenn man sich das Zitat aus Jesaja anschaut, das in Matthäus Kapitel 13, Verse 14 und 15, aufgeführt ist. Dort heißt es: „Und es wird an ihnen die Weissagung Jesajas erfüllt, die lautet: Mit Gehör werdet ihr hören und doch nicht verstehen, und sehend werdet ihr sehen und doch nicht wahrnehmen. Denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.“

Die Frage, wer die Handelnden sind, habe ich in der letzten Episode aufgrund dieses Textes ganz klar mit „die Zuhörer“ beantwortet. Ihre Augen haben sie geschlossen.

Nun ein interessanter Hinweis: Schlägt man dieses Zitat aus Jesaja 6 in einer Bibel nach, die den sogenannten masoretischen Text wiedergibt, dann wird man stutzen. Jesaja Kapitel 6, Verse 9 und 10, lautet dort:

„Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Hören, ja hören sollt ihr und nicht verstehen. Sehen, ja sehen sollt ihr und nicht erkennen. Mache das Herz dieses Volkes fett, mache seine Ohren schwerhörig und verklebe seine Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört und sein Herz nicht einsichtig wird und es nicht umkehrt und Heilung für sich findet.“

Ich hoffe, ihr seid noch bei mir, denn das ist heute keine einfache Episode.

Im masoretischen Text von Jesaja 6 ist der Prophet der Handelnde. Er soll das Herz dieses Volkes fett machen, ihre Ohren schwerhörig und ihre Augen verkleben, damit sie mit ihren Augen nicht sehen.

Die Herausforderung der unterschiedlichen Übersetzungen und ihre Bedeutung

Wenn wir den Text aus dem Alten Testament lesen, dürfen wir uns schon die Frage stellen: Wie kann Jesus nach Matthäus Jesaja 6 so vermeintlich falsch zitieren und ihm einen ganz anderen Sinn geben? Wie kann aus „verklebe seine Augen“ „ihre Augen haben sie geschlossen“ werden?

Und wenn ihr jetzt denkt, solche Fragen interessieren mich eigentlich nicht, dann seht es mir nach, dass ich sie super spannend finde. Und zwar aus mindestens zwei Gründen.

Zum einen ist es mir total wichtig, dass wir solche Fragen stellen. Dass wir zu Menschen werden, die das tun, wofür wir in der letzten Episode die Jünger gefeiert haben, nämlich nachfragen. Wir brauchen in unseren Gemeinden eine Kultur des Fragenstellens. Auch wenn wir womöglich nicht auf alle Fragen eine befriedigende Antwort erhalten, werden wir allein durchs Fragenstellen, durchs Nachdenken und indem wir uns mit dem Wort beschäftigen, zu solchen, die ihre Bibel richtig gut kennen und auf viele Fragen eine gute Antwort geben können.

Wenn dann ein paar Fragen übrig bleiben, weil ich zu dumm bin oder das Thema zu weit weg beziehungsweise zu fremd ist, ist das kein Problem. Irgendwo darf auch der Glaube anfangen. Ich muss nicht alles verstehen.

Das war Punkt eins.

Punkt zwei hat mit der Antwort auf unsere Frage zu tun, wie Jesus nach Matthäus Jesaja 6 zitieren und ihm so einen anderen Sinn geben kann. Die Antwort ist: Jesus zitiert nach der Septuaginta, also nach der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Dort heißt es nämlich in Jesaja 6,9-10:

„Und er sagte: Geh hin und sage diesem Volk: Mit dem Gehör werdet ihr hören und doch gewiss nicht verstehen, und schauend werdet ihr schauen und doch gewiss nicht sehen; denn das Herz dieses Volkes ist verfettet, und mit ihren Ohren hören sie schwer, und ihre Augen schließen sie, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und umkehren, auf dass ich sie heile.“

Soweit die Septuaginta, und das klingt ganz nach Matthäus 13.

Die Bedeutung der parallelen Textvarianten und die Verantwortung des Menschen

Frage: Wie kann es sein, dass der masoretische Text, also das hebräische Original, so anders klingt als die griechische Übersetzung?

Gute Frage! Die einfache Antwort könnte sein, dass im Originaltext beide Bedeutungen mitschwingen. Eine Übersetzung muss sich manchmal entscheiden, welche Bedeutung sie betonen möchte.

Wenn das stimmt, dass im Text zwei Bedeutungen gleichzeitig vorhanden sind, dann erklärt das auch den Unterschied zwischen Markus und Lukas auf der einen Seite und Matthäus auf der anderen Seite.

Ihr erinnert euch an den Anfang der Episode: Markus und Lukas sehen Jesus als den Handelnden. Er spricht in Gleichnissen, damit die Menschen nicht sehen. Matthäus hingegen betont die Verantwortung der Hörenden. Jesus spricht in Gleichnissen, weil sie nicht sehen.

Nun treffen wir auf den Text, den Jesus zitiert, ebenfalls in zwei Varianten an. Markus und Lukas geben den masoretischen Text wieder, während Matthäus die Septuaginta zitiert.

Warum ist das so? Die Antwort muss, wie gesagt, in etwa lauten: Weil im Originalzitat aus Jesaja beide Ideen mitschwingen. Die beiden Konzepte „damit sie nicht sehen“ und „weil sie nicht sehen“ gehören zusammen und bilden eine Einheit.

Gottes Haltung zur menschlichen Entscheidung und die Freiheit des Herzens

Frage: Warum macht es Gott ihnen nicht leichter, wenn er schon weiß, dass sie nicht hören wollen? Warum fördert er ihre Schwerhörigkeit, statt ihnen ein Hörgerät zu besorgen?

Die Antwort lautet ungefähr so: Gott ist ein Gott, der unser Herz gewinnen will, aber er zwingt uns seine Liebe nicht auf. Wenn er in meinem Herzen auf Widerwillen trifft – einen Widerwillen, der nicht mehr vernünftig ist und ein klares Zeichen dafür, dass ich eine Entscheidung gegen Gott getroffen habe – dann kommt der Punkt, an dem Gott mich nicht mehr gewinnen will.

Stattdessen hilft er mir, den Weg zu gehen, den ich selbst wählen möchte, auch wenn dieser Weg weg von ihm führt. Mehr dazu in der nächsten Episode.

Einladung zum Nachdenken und Abschluss

Was könntest du jetzt tun? Du könntest darüber nachdenken, wie der letzte Gedanke dieser Episode zum Thema Würde des Menschen passt.

Das war's für heute. Skripte zu den Episoden findest du auf frogwords.de und in der App.

Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.

Vielen Dank an Jürgen Fischer, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!

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