Lieber Herr, wir bitten dich, dass dein Name in unserer Stadt wieder vielen Menschen groß wird. Dass sie aus ihren Problemen herausfinden und befreit werden.
Heute Abend sind so viele Menschen hier, die in ihren Gedanken gefangen sind. Das könnte auch bei uns der Fall sein.
Wir möchten hören, wie du uns zuerst deine göttlichen Gedanken zeigst. Dass dein Wort für uns groß und lebendig wird.
Vielen Dank für dein Reden heute Abend. Amen.
Einführung in das Buch Nehemiah und seine Bedeutung
Nehemia wollen wir miteinander lesen. Es steht am Ende der Geschichtsbücher. Man muss sich ja immer eine Reihenfolge einprägen, besonders wenn man das Sprüchlein aus den alten Bundesschriften nicht kennt. Merke dir an erster Stelle: Manche können es sogar noch. Die Geschichtsbücher sind Nehemia und Esther. Nehemia steht vor den Dichtungsbüchern, also den poetischen Büchern wie Hiob, den Psalmen, den Sprüchen, Prediger und Hohes Lied. Danach folgen die prophetischen Bücher.
Am Ende der Geschichtsbücher steht Nehemia, ein wunderbares Buch. Vergiss nicht, wie Theosorg, damals noch Jugendvikar in Stuttgart, vor vielen Jahren, als ich ein Junge von dreizehn oder vierzehn Jahren in der Leonhardskirche in Böblingen war, über Nehemia gepredigt hat. Dieses Buch vergisst man nicht, wenn man es einmal in einer Bibelstunde gehört hat.
Wie lange ist das jetzt her? Vor vier Jahren fand ein Jugendmissionskongress in Lausanne statt, bei dem ich auch sprechen durfte. Dort hielt Michael Griffiths Bibelarbeiten über Texte aus dem Buch Nehemia. Das Motto lautete: „Lasst uns bauen!“ Das ist ein schönes Motto. Ich habe es auch in meinem Büchlein „Wie eine Gemeinde lebendig wird“ in einem Kapitel aufgegriffen.
Darin schreibe ich darüber, wie Nehemia traurig war, weil die Mauern Jerusalems zerstört waren. Das ist für uns immer direkt und fast so ähnlich, dass man sagt: Das ist ja wie bei uns. Man ist traurig und denkt daran, wie es früher einmal in unserer Heimatgemeinde war. Da war Leben, da waren Versammlungen, Freude und Gottesdienst – so wie in Jerusalem. Und dann ist auf einmal alles zerstört, zerbrochen, und die Stätte ist öde.
Darum spricht uns das Buch Nehemia auch so stark an. Es erzählt vom Verfall der heiligen Stätten Gottes und ermutigt uns, sie wieder aufzubauen und Mut zu fassen.
Nehemiahs Trauer und Gebet um Jerusalem
Komm, pack an, erstes Kapitel: Nehemjas Trauer um Jerusalem und sein Gebet.
Dies ist die Geschichte Nehemjas, des Sohnes Hachaljas. Es geschah im Monat Kislev des zwanzigsten Jahres, als ich in der Festung Susa war. Gemeint ist das zwanzigste Jahr des Königs Artaxerxes, also das Jahr 445 vor Christus. Diese Angabe steht auch in meiner Bibel unten drunter.
Früher wurde die Zeit oft anhand der Regierungsjahre der Könige gezählt. Das ist sehr hilfreich, denn so lässt sich die biblische Zeitrechnung ganz genau nachvollziehen.
Da kam Hanani, einer meiner Brüder, mit einigen Männern aus Juda. Offenbar war Hanani ein leiblicher Bruder von Nehemia. Ich fragte sie, wie es den Juden erging, den Entronnenen, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren, und wie es Jerusalem stand.
Sie antworteten mir: „Die Entronnenen, die zurückgekehrt sind aus der Gefangenschaft, sind im Land in großem Unglück und in Schmach. Die Mauern Jerusalems liegen zerbrochen, und seine Tore sind mit Feuer verbrannt.“
Als ich diese Worte hörte, setzte ich mich nieder und weinte. Ich trug Leid tagelang, fastete und betete vor dem Gott des Himmels. Dabei sprach ich:
„Ach Herr, Gott des Himmels, du großer und furchtbarer Gott, der den Bund hält und die Treue denen zeigt, die ihn lieben und seine Gebote halten, lass doch deine Ohren aufmerken und deine Augen offen sein, dass du das Gebet deines Knechtes hörst.
Ich bete jetzt Tag und Nacht für die Israeliten, deine Knechte, und bekenne die Sünden der Israeliten, die wir an dir getan haben. Auch ich und meines Vaters Haus haben gesündigt. Wir haben übel an dir gehandelt, weil wir nicht gehalten haben die Gebote, Befehle und Rechte, die du deinem Knecht Mose geboten hast.
Gedenke aber doch des Wortes, das du deinem Knecht Mose geboten hast und sprachst: ‚Wenn ihr mir die Treue haltet, so will ich euch unter die Völker zerstreuen.‘
Das ist ganz wichtig, denn so wird uns erklärt, warum das jüdische Volk durch die Zerstreuung gehen muss. Dass Gott dieses Gericht an uns nicht vollzogen hat, ist ein Wunder seiner unbegreiflichen Gnade. Wir hätten es als Volk Israel weit mehr verdient.
Wenn ihr euch aber zu mir bekehrt und meine Gebote haltet und tut, so will ich, auch wenn ihr zerstreut seid bis an das Ende des Himmels, euch doch von dort sammeln und euch bringen an den Ort, den ich erwählt habe, damit mein Name dort wohne.
Sie sind ja doch deine Knechte und dein Volk, das du erlöst hast durch deine große Kraft und deine mächtige Hand.
Ach Herr, lass deine Ohren aufmerken auf das Gebet deines Knechtes und auf das Gebet deiner Knechte, die von Herzen deinen Namen fürchten. Lass es deinem Knecht heute gelingen und gib ihm Gnade vor diesem Mann, denn ich war des Königs Mundschenk.“
Historischer Hintergrund und Bedeutung der Zeitrechnung
Sie müssen jetzt einmal kurz die Zeittafel haben. Haben Sie sie hinten in Ihrer Bibel? Hinten gibt es bei Sach und Worterklärung immer eine Zeittafel. Das ist wichtig, damit man sieht, dass die Bibel in sich völlig klar ist und eine gute Übersicht bietet. Wenn Sie sie nicht finden, können Sie auch so zuhören, das macht nichts aus.
Ein entscheidend wichtiges Datum ist 587 v. Chr. In diesem Jahr wird Jerusalem erobert. Das ist bei mir im Abschnitt „römisch drei Judah bis zur Zerstörung Jerusalems“. Das Nordreich Samaria war schon um 722 v. Chr. zerstört. Das ist eine riesige Epoche, die weiter zurückliegt als die Befreiungskriege in Deutschland im Jahr 1814 gegen Napoleon.
Das Datum 587 v. Chr. sollte man einmal wissen. Es ist nicht heilsnotwendig, aber interessant: 587 vor Christus wird Jerusalem zerstört und die Bevölkerung in die babylonische Gefangenschaft geführt. Das kennen wir aus dem Buch Daniel.
In dieser siebzigjährigen Gefangenschaft der Juden in Babel passiert ein weiteres wichtiges Ereignis: Die Perser erobern das babylonische Reich. Im Jahr 538 v. Chr. gibt es das Edikt des Kyrus. Kyrus war ein Perser, der in Babel residierte. Dieses Edikt ermöglichte den Juden den Rückweg nach Jerusalem.
Zusammengefasst: 587 wird Jerusalem zerstört, 538 erlaubt der Perserkönig, der inzwischen die Babylonier besiegt hat, die Rückkehr der Juden. Das war klug von den Persern. Sie sagten, wir geben den Nationen Freiraum. Das war immer eine kluge Politik, ähnlich wie die Engländer es in ihrer Kolonialpolitik versuchten, indem sie den einzelnen Bevölkerungsgruppen viel Autonomie gaben.
Im Rahmen dieser weisen Staatskunst erlaubten die Perser den Juden, nach Jerusalem zurückzukehren. Warum sollten sie sie festhalten? Die Babylonier hatten sie hierhergebracht, nun gaben die Perser ihnen Freiheit. Die Rückkehr verlief ohne größere Probleme, aber der Wiederaufbau Jerusalems ging nur langsam voran. Dabei wurde der Tempel zunächst vergessen.
Besonders zwei Propheten setzten sich für den Wiederaufbau des Tempels ein: Haggai und Sacharja. Sie forderten, dass der Tempel unbedingt wieder aufgebaut werden müsse. In Ihrer Bibel finden Sie das Jahr 520 v. Chr., den Stadthalter Serubbabel und die Propheten Haggai und Sacharja. Wir hatten das schon in unseren Predigten über Serubbabel, Haggai und Sacharja behandelt.
Die Tempelweihe erfolgte 515 v. Chr. Zu dieser Zeit kam auch der Prophet Maleachi, der sich dagegen wehrte, dass die Leute am Tempeldienst sparten. Aber bei den Zurückgekehrten lief es nicht richtig rund.
Nun beginnt eine neue große Epoche: 458 v. Chr. kommt Esra, der versucht, den Zurückgekehrten eine geistliche Erneuerung zu geben, indem er ihnen das Gesetz Moses wieder nahebringt. Stellen Sie sich vor, diese Zeitspanne vom Tempelbau bis zu Esras Erscheinen ist so lang wie der Zeitraum vom Ersten Weltkrieg bis heute.
Erst nach Esra beginnt unsere jetzige Geschichte mit Nehemia. Die Mauern Jerusalems waren zerstört. Im Jahr 445 v. Chr. begann Nehemia mit dem Wiederaufbau. Die Mauern Jerusalems waren also etwa 140 Jahre lang zerstört. So lange konnte sich Jerusalem überhaupt nicht entwickeln. Und genau hier spielt unsere Geschichte.
Nehemiahs Herz und Engagement für das Reich Gottes
Interessant ist die Frage, wie ein Einzelner wie Nehemiah überhaupt so ein Werkzeug Gottes werden konnte. Man kann nur sagen: Nehemiah war ein Mensch, der anders empfand als seine Zeitgenossen. Die anderen sagten: „Das ist halt so“, und hatten sich damit abgefunden. Nehemiah jedoch litt unter dem Schicksal Jerusalems.
Als Hanani kam und sich erkundigte – Nehemiah war in Babel geblieben und hatte dort einen hohen Posten als Mundschenk – zeigte sich seine besondere Stellung. Der Mundschenk war nicht einfach jemand, der Wein- oder Saftflaschen reichte. Es war ein Vertrauensposten. Der Name stammt daher, dass es wichtig war, dass niemand dem König Gift einschenkte. Insgesamt kann man sagen, dass der Mundschenk einer der obersten Berater war.
Man kann ihn mit einem Staatssekretär in der Bundesregierung vergleichen: Diese Leute sieht man nicht, aber sie lenken die Fäden in der Verwaltung. Nehemiah war ein hoher Verwaltungsbeamter, auf den sich der persische König stützte. Übrigens war die Verwaltung damals multikulturell: Der Perserkönig beschäftigte Menschen aus verschiedenen Nationen in der obersten Verwaltung. Er wusste, dass dies sein großes, weites Reich zusammenhielt.
Trotz seiner hohen Stellung blieb Nehemiah ein Mann, dessen Herz für die Sache Gottes brannte. Er fragte jeden, der zu ihm kam: „Wie geht es eigentlich mit dem Reich Gottes weiter?“ Er wusste, dass das an Jerusalem hing. Die Verheißungen standen noch aus, und das war für ihn ein Anstoß. Warum ließ Gott seine heilige Stadt so zerstört? Er selbst aber brannte für die Sache Gottes.
Das war ihm wichtig, es war eine Last für ihn. Die anderen konnten das abschütteln, aber Nehemiah nicht. Er sagt: „Ich möchte heute Abend, dass es auf Sie fällt und Sie sagen: Ich möchte ein Herz haben wie Nehemiah. Dass es mir wehtut, wenn ich sehe, wie das Reich Gottes da niederliegt und wie es übel dasteht. Wie viele sich abwenden und nichts von Jesus wissen wollen.“ Er war bekümmert und trug Leid, erzählt er hier. Er konnte nicht mehr fröhlich sein, nichts richtete ihn auf. Seine hohe Stellung war ihm unwichtig. Ihm ging es um die Sache Gottes.
Viele Menschen verstehen sicher nicht, warum wir auch in unserer Ludwikowa-Gemeinde uns für das Reich Gottes in allen Ländern der Erde interessieren. Für uns ist das eine Herzenssache. Weltpolitik hin und Weltpolitik her – es gibt manches Auf und Ab – aber uns interessiert die Reichsgottessache. Wie läuft das weiter? Wie geht es weiter mit der Sache Jesu in Guatemala, in Australien und auf den Fidschi-Inseln? Das wollen wir wissen. Denn dort können wir unser Leben einbringen, und dort wird die große Reichsgottesgeschichte geschrieben.
Nehemiah war ein Mann, der ein Gefühl für Reichsgottesgeschichte hatte. Darum interessierte er sich nicht für eine politische Theologie der Babylonier, Perser oder anderer Völker. Mit seinem Herzen hing er am Geschehen des Reiches Gottes. Es tat ihm weh, dass das Volk Gottes ohnmächtig war und keine Ausstrahlung hatte.
Ich wünsche mir, dass wir wieder leiden an unserer kraftlosen Christenheit in Deutschland und Europa. Man denkt: „Das gibt es doch nicht! Was hat uns Gott geschenkt? Was hat er schon mit uns geredet?“ Doch in unseren Städten in Europa nimmt die Gottlosigkeit überhand.
Nehemiah hat keine unbedachten Aktionen gestartet, nicht aus Wut oder Eifer. Er trug die Not vor Gott und litt darunter, dass Jerusalem so zerstört war. Die Schmach und das Unglück waren groß. Die Mauern waren zerfallen, die Tore mit Feuer verbrannt. Die umliegenden Feinde konnten mit Jerusalem machen, was sie wollten. Es war ein Spielball in den Händen anderer.
Nehemiah war deshalb so traurig, weil er wusste: Gott hat eigentlich etwas anderes vor. Er will sein Volk zum Segen für die Weltvölker machen. Was jetzt ist, ist Gericht Gottes. Vielleicht haben Sie auch die Diskussion in unseren Zeitungen verfolgt, ob es heute noch ein Gericht Gottes geben kann. Ich glaube, viele Dinge unserer Zeit sind ein Gericht Gottes. Ganz bestimmt aber ist es ein Gericht Gottes, dass Christen ohnmächtig sind, die Kirchen leer sind und die Jugend sich nicht mehr vom Wort Gottes leiten lassen will. Viele Menschen stellen sich nicht mehr unter Gottes Wort.
Für uns als Gemeinde gehört es fest dazu, dass wir uns mit diesem Zustand nie abfinden können. Unser Land hat so viel von Gott empfangen – über die Jahrhunderte hinweg durch Liederdichter wie Paul Gerhard und Neander, durch Martin Luther und Melanchthon. Was hier an Wort Gottes gepredigt wurde, durch Johannes Prenz, der unser Land reformiert und die ersten fortschrittlichen Schul- und Krankenordnungen eingeführt hat – all das war ein Geschenk für unser Land.
Doch am Ende stehen Menschen, die sich nicht mehr unter Gott stellen. Nehemiah sagt: „Ich trug Leid und fastete und weinte.“
Trauern und Buße als Weg zur Erneuerung
Wir müssen trauern – das ist mein nächster Punkt. Trauern, weil Gott in unseren Tagen das offenbar nicht will. Gott wollte doch, dass sein Evangelium wieder erschallt.
Wir sollten bei all unseren Gebeten diese Großevangelisation nicht vergessen, sondern sie mit hineinnehmen. Herr, wirke doch noch einmal in diesem Stuttgart, wo eine Charlotte Reilen, die Frau des Zuckerfabrikanten, die ersten Kinderkirchen gegründet hat. Es waren nicht die Pfarrer, sondern aktive Gemeindemitglieder, die dort engagiert waren.
Wenn man an Stuttgart denkt, wo die CVJM gegründet wurde und was für Leben dort entstand, da waren viele Menschen aktiv. Es gab eine große Zahl von Menschen, die zum Glauben kamen. Herr, das willst du doch heute wieder tun. Du hast doch dieses Hirtenherz.
Wir müssen trauern und uns beugen. Es ist unsere Schuld, wenn um uns herum kein Leben ist. Wir wollen uns darunterstellen, so wie Nehemia es tat, und wie er darunter litt. Er erkennt auch die Ursachen.
Darum sollten wir uns gegen alle Formen sträuben, die meinen, das ließe sich jetzt einfach mit Schimpfen erledigen. Es ist ganz einfach eine Sache des Gerichts Gottes. Es gibt geistliche Gründe in unseren Tagen – geistliche Gründe.
Diese geistlichen Gründe sind hier erwähnt: Gott hat sich abgewandt von seinem Volk um der Schuld willen. Nehemia war Jurist, bestimmt ein studierter, promovierter Jurist, und hatte deshalb einen klaren Durchblick. Theologen würden aus Schwarz Weiß machen, sagt man bei Matthias Claudius. Doch Nehemia hat einen klaren Blick und sieht die Dinge noch.
Er sagt, da ist unbereinigte Schuld, Versündigung, und Gott kann nicht segnen, solange wir vor ihm nicht alles bereinigt haben. Es ist auch wichtig, in der Vorbereitung für so eine Evangelisation alles in unserem Leben vor Gott auszuräumen, damit er uns wieder segnen kann.
Verstehen Sie: Erweckung beginnt zuerst mit der Buße der Gemeinde. Wir müssen uns unter Schuld stellen und Gott um Vergebung bitten. Dann kann er uns wieder gebrauchen.
Dann können unsere Hauskreise wieder Ungläubige anziehen, und wir können das Wort weitergeben. Es kann gehört werden, weil der Herr durch uns wirkt.
Sie sollen heute eigentlich staunen, dass ein Einzelner in diesen ganzen 140 Jahren sieht, wo der springende Punkt liegt – wo der Schlüssel zur Erweckung ist.
Verstehen Sie jetzt, warum ich das in dem Büchlein oben drüber geschrieben habe: Wie eine Gemeinde lebendig wird. Heute geht es nicht um neue Programme, neue Werbung, bessere Anschleichmethoden oder Verkündigungsmethoden.
Es geht darum, ob wir geistlich vor Gott wieder merken, dass wir die Vollmacht verloren haben, weil Gott uns nicht mehr segnen kann. Und das ist so wichtig.
Wir brauchen keine neuen Programme oder Aktionen, sondern wir müssen wieder umkehren und uns vor Gott unter die Schuld stellen. Darum ist das Buch Nehemia so wichtig, weil es uns dahin führt – auch über die zerbrochenen Mauern Jerusalems.
Die Art des Gebets Nehemiahs und seine Haltung zu Gott
Und mein nächster Punkt, wie er betet, ist wichtig: Wie er betet.
Ich kenne Ihre Gebete nicht genau, Sie können sie selbst prüfen. Darum spreche ich jetzt einmal so ins Blaue hinein. Wir beten ja gerne mit Aufzählungen, das dürfen wir auch. Wir dürfen Gott um alles Mögliche bitten, was uns bewegt.
Vergleichen Sie aber einmal Ihr Gebet mit dem Gebet Nehemjas: „Du großer und furchtbarer Gott.“ Warum sagt er das? Weil Gott ein heiliger Gott ist, den wir gar nicht vollständig verstehen. Nehemja zittert auch noch vor der Gegenwart Gottes, besonders dort, wo es um Gottes Gericht geht.
Wenn man sich vorstellt, wie viele Bibeln und Testamente in deutschen Haushalten liegen, die nie angerührt werden, während stattdessen die schmutzigsten Zeitschriften gierig bis zur letzten Seite gelesen werden – als könnten sie eine Seele sättigen. Jedes Magazin, jeder Spiegel, Stern oder jede Bildzeitung wird gelesen, aber das Wort Gottes lässt die Menschen kalt. Es ist das Gericht Gottes.
Darum stellt sich Nehemja unter dieses Gericht und sagt: „Du großer und furchtbarer Gott.“ Schon in diesem Anrufen Gottes spürt man, dass Nehemja Gott in die Trümmer Jerusalems hereinholt, obwohl er noch in Babel lebt. Er bittet für den Tod und für die zerstörte Stadt.
Wenn Nehemja später handelt – und er ist ein handelnder Mensch – dann tut er das aus Glauben. Seine Aktion hat keinen kurzen Atem, sondern Gewicht. Er ruft Gott an und zählt noch einmal die großen Heilstatsachen auf: „Du hältst deinen Bund, und deine Treue ist groß durch die dunkle Nacht.“
Während andere sagen „Ich zweifle an Gott“, ist für Nehemja das nie umstritten. Er will heute etwas tun. Seine Treue ist groß, und er fasst diese Treue. Darum ruft er zu Gott und kommt zu ihm.
Nehemja war kein sündloser Mensch, aber er weiß: „Ich darf mutig und keck zu Gott kommen, ich brauche mich nicht zu verstecken.“ Doch Gott wendet sich denen zu, die ihn lieben. Deshalb will Nehemja die Verhältnisse dieser Welt ändern.
Vor allem will er den trostlosen Zustand seines Volkes verändern. Er will Erneuerung, neues Leben. „Da ich jetzt vor dir bete, Tag und Nacht.“ Er war ein Mann, der in seinem ganzen Dienst mit ganzem Herzen für die Sache Gottes brannte und sie liebte.
Buße als Ausdruck der Schuld und Verantwortung
Und er spricht die Schuld aus. Das ist jetzt mein vierter Punkt: Buße muss Schuld aussprechen.
Nehemia hätte ja sagen können: „Ich bin für die Dinge nicht verantwortlich, das liegt weit zurück, 140 Jahre ist es her.“ Doch in Kapitel neun finden wir noch einmal ein ganz wunderbares Bußgebet von Nehemia. Dort sagt er, dass er sich unter das stellt, was geschehen ist. Es geht ihm nicht darum, sich reinzuwaschen. Obwohl er objektiv an diesen alten Vorgängen gar nicht beteiligt war – er lebte ja damals noch gar nicht –, sagt er: „Ich stehe in der Geschichte meines Volkes drin.“
Als wir uns zum ersten Mal 1975 im Neckarstadion zum Gemeindetag trafen, war es unserem lieben Bruder Doktor Fritz Grünzweig wichtig, am Nachmittag ein großes Bußgebet zu sprechen. Vielleicht war es das Verhängnis, dass viele gar nicht verstanden haben, worum es geht. Damals sagte Fritz Grünzweig: „Wir wollen doch nicht anklagen, dass die Welt um uns herum materialistisch ist, sondern wir sind es geworden.“
Sind wir nicht als Gemeinde mitschuldig daran, dass diese maßlose Sexualisierung gekommen ist? Sollen wir nicht vor Gott einmal aussprechen, dass nach dem Krieg bei uns allen auch Dinge völlig falsch gelaufen sind? Dann wird das Ganze im Neckarstadion keine Demonstration gegen etwas, sondern eine Sammlung zur Buße vor Gott.
Mich hat das ungeheuer belastet, wie ich gesehen habe, wie sehr Fritz Grünzweig diese Last getragen hat. Und nur ganz wenige haben es verstanden und übernommen. Ich meine, dass es unsere Aufgabe sein muss, uns unter die Schuld unseres Volkes zu stellen.
Dabei geht es nicht darum, wie es manchmal in unseren Medien abgehandelt wird, die Schuld des Dritten Reiches als eine politische Waffe zu benutzen. Sondern wir sollen vor Gott unter die Schuld unseres Volkes treten. Das werden wir bald wieder spüren, wenn wir in Israel sind und sehen, was wir Israel angetan haben.
Wir sind heute das reichste Volk dieser Erde und doch am weitesten weg von Gott. Ach Herr, erbarme Dich Deines Volkes hier bei uns, tu wieder etwas!
Der Anfang von William Booth war ja, wie er leidenschaftlich mit Tränen die Apostelgeschichte gelesen und dann gerufen hat: „Herr, tu es noch einmal, wie damals!“ Und der Herr hat es getan.
Verstehen Sie, wir wollen jetzt nicht Anklage gegen die liberale Theologie erheben. Es gehört doch alles mit dazu, dass sich das breit machen konnte. Uns geht es nicht um Gruppen und Parteien in der Kirche, sondern um Erneuerung und geistliches Leben.
Darum habe ich dieses Büchlein „Von der lebendigen Gemeinde“ geschrieben. Ich meine, wir sollten wieder in Buße und Beugung vor Gott verharren und das wieder lernen. Ich freue mich jetzt auf das Lesen von Nehemia und seiner ganzen Aktion, die er dann startet.
„Wir haben Übel getan“, heißt es in Vers 7. „Wir haben deine Gebote und Befehle und Rechte nicht gehalten.“ Die Rettung liegt doch nicht darin, dass wir heute noch mehr vom Wort Gottes wegstreifen und noch weltoffener sein wollen.
Wenn Schuld da ist, dann ist es die, dass wir die Ehre Jesu in den Dreck getreten haben. In unserem Volk lernen Kinder im Religionsunterricht als Erstes, dass Christus nicht der Sohn Gottes ist. Es herrscht ein großes Unwissen über die Heiligkeit Gottes in unserem Volk, über die Ordnungen Gottes, die gelten.
Verstehen Sie, dass ich es manchmal nicht über meine Lippen bringen kann, wenn offenbar unter uns nicht einmal bis ins Letzte klar ist, dass Gottes Ordnungen heilig sind – seine Gebote, die er uns gegeben hat. Es gibt in der ganzen Bibel keine andere Form des Zusammenlebens zwischen den Geschlechtern als die öffentliche Ordnung der Ehe.
Ob es Rentner sind oder junge Leute, spielt dabei keine Rolle. Mir geht es jetzt nicht darum, auf dieses Thema im Einzelnen einzugehen, sondern um alle Ordnungen Gottes. Ob es unser Umgang mit Geld ist oder etwas anderes – wir sollen Gottes Ordnungen wieder heiligen und lieben.
Gott sagt: Wenn ihr mir die Treue bringt, dann möchte ich mein Gericht unter euch führen. Das Zerstören der Gebote Gottes ist ein Schlag gegen Gott, eine Lästerung Gottes. So sieht Gott das: „Ihr habt mir die Treue nicht gehalten.“
Dort, wo wir seine Gebote nicht gehalten haben, war das nicht nur ein Vergehen an einem Gesetz oder Gebot, sondern eine Aufkündigung der Treue und der Liebe zu Gott.
Hoffnung und Zuversicht trotz Schuld
Ja, und wenn wir weitermachen, ist es schön, dass ab Vers 9 Nehemia sagt: „Du hast Gnade zugesagt, und bei dir gibt es Vergebung.“ Das ist das Große daran, dass Nehemia den Bogen spannt. Nehemia ist ein Prediger der Hoffnung und der Zuversicht.
Solange Gott mir Kraft gibt, möchte ich hoffen und mich freuen über die Erweckung, die Gott schenkt. Heute erleben wir, dass so viele junge Leute zum Glauben kommen. Ich will noch viel mehr von Gott erwarten und erhoffen, dass Menschen in großer Zahl zum Glauben finden.
Es ist wunderbar, wenn wir sagen, wir wollen eine Sehnsucht haben, noch mehr zu hören, was Gott in diesen Tagen tut. Wir wollen all unsere Kraft zur Verfügung stellen, damit es auch im Juni einen Durchbruch gibt. Dann finden auch Seniorentreffen statt, und dafür brauchen wir Seelsorger, denn manche Senioren müssen dringend umkehren zu Gott.
Es gibt so viele Dinge, bei denen wir mithelfen können, und wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, dass Gott noch etwas Großes in unserem Volk tut. Warum? Nicht, weil wir einen cleveren Redner gefunden haben oder weil das Werbesymbol so ansprechend gestaltet ist, sondern weil der Herr seine Hand nicht abzieht.
In Vers 10 heißt es: „Durch deine große Kraft und durch deine mächtige Hand“ – so dürfen sie beten, Gott bei seinem Wort nehmen, es einklagen und sagen: „Herr, du willst doch etwas tun in unseren Tagen, darum bitte ich dich.“ Wir wollen für Menschen beten, für unsere Nachbarn, für unsere Stadt und für unser Land. „Herr, tu doch du noch einmal etwas!“
„Tu doch du noch einmal etwas, du hast gewirkt und hast an den einstigen Auszug aus Ägypten erinnert, an die Rettung durch das Rote Meer. Du hast erlöst, jetzt tu es noch einmal!“ Nehemia war ein Glaubender. Er wirkte nicht durch seine Rednergabe, sondern er las in den Verheißungen Gottes. Ihr Gebetsleben muss aus der Bibel kommen, denn aus der Bibel wissen sie, was sie beten dürfen. So können sie große Dinge erbitten.
Dann sagt er in Vers 11: „Heute, jetzt will ich etwas.“ Was will er? Er will zu seinem Chef, was nicht leicht war – zum Perserkönig – und vom Perserkönig die Erlaubnis erhalten, mit Brief und Siegel die Mauern Jerusalems wieder aufzubauen. Der Perserkönig hätte ihn doch am liebsten sofort wieder weggeschickt: „Was willst du? Bleib hier, ich brauche dich. Gib ihm keinen Sonderurlaub!“
Es war eine verrückte Sache, die Nehemia plante. Zuerst bringt er die Sache vor Gott, dann geht er los. Er bittet: „Herr, öffne mir heute vor diesem Mann, dem Perserkönig, die Tür.“ Wir lesen das nächste Mal, wie das ausging.
Verbindung von Gebet und Tat als Grundlage für mutiges Handeln
Wenn sie aus dem Gebet kommen, können sie mutige Taten wagen. Gebet und Tat sind niemals Gegensätze. Die mutigste und tapferste Tat entspringt der Stille des Gebets.
Nur Taten ohne Gebet sind wie Luftblasen, nicht wie Felsen. Von Nehemia können wir viel lernen.
Ich hoffe, dass Sie eine Reihe praktischer Impulse mitgenommen haben und dass es sich gelohnt hat, heute Abend hierherzukommen.
