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02.07.19872. Mose 3,1-10
Besondere Aufgaben verlangen besondere Ausbildung. Gott hat für Mose ein besonderes Ausbildungskonzept. Er schickt Mose in die Wüste, in das Feuer und in den Kampf. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart

Nur Eingebildete meinen auf Ausbildung verzichten zu können, liebe Gemeinde. Aus dem Stand wird nichts Hohes erreicht. Aus der Hüfte wird nichts Genaues erzielt. Aus dem Ärmel wird nichts Rechtes geschüttelt. Besondere Aufgaben verlangen besondere Ausbildung.

Das weiß der Staat. Er will zum Beispiel eine politische Gemein­schaft ins Leben rufen. Trotz Vorurteilen und Ressentiments soll eine Brücke gebaut werden. Die Vertragsverhandlungen sind äußerst kompliziert. Deshalb braucht es einen 1a-Diplomaten, der die Politik durchschaut. Zur Ausbildung schickt ihn der Staat in das Botschafter-Kolleg und dann in das Auswärtige Amt und dann in die Konsulate im Ausland. Besondere Aufgaben verlangen besondere Ausbildung.

Das weiß auch die Firma. Sie will zum Beispiel einen neuen Markt erschließen. Nur durch eine Absatzsteigerung können rote Zahlen vermieden werden. Der Konkurrenzkampf ist knallhart. Deshalb braucht es einen Topmanager, der das Geschäft im Griff hat. Zur Ausbildung schickt ihn die Firma in das Management-Seminar und dann in das Business-College und dann in die Chefetagen eines Weltkonzerns. Besondere Aufgaben verlangen besondere Ausbildung.

Das weiß auch das Militär. Es will zum Beispiel die innere Führung verbessern. Das Klima zwischen Vorgesetzten und Untergebenen muss entgiftet werden. Ein neues Miteinander ist bitter nötig. Deshalb braucht es einen 3-Sterne-General, der den Kommiss kennt. Zur Ausbildung schickt ihn das Militär in die Kasernen und dann in die Stäbe und dann in das Ministerium. Besondere Aufgaben verlangen besondere Ausbildung.

Das weiß ganz sicher auch Gott. Er will dem jüdischen Elend in Ägypten ein Ende setzen. 400 Jahre lang durften sich die ägyptischen Treiber und Schinder an den israelitischen Gastarbeitern austoben. Jetzt soll das Volk aus diesem bösen Land, in dem Blut und Tränen geflossen sind, in jenes gute Land geführt werden, in dem Milch und Honig fließt. Deshalb braucht es einen 1a-Diplomaten, der den pharaonischen Machtpolitikern gewachsen ist und mit ihnen ebenbürtig verhandeln kann. Deshalb braucht es einen Topmanager, der die Lage sorgfältig analysieren und einen Wüstenzug professionell organisieren kann. Deshalb braucht es einen 3-Sterne-General, der Führerqualität besitzt und 12 Stämme, sprich 600 000 Mann, befehligen kann. Gott braucht einen hervorragenden Spitzenmann, der seine Willenser­klärung in die Tat umsetzen kann: "Ich will sie erretten aus der Ägypter Hand." In Mose hat er ihn auch gefunden, in dem Findel­kind, das aus dem Nilwasser gezogen wurde, in diesem Ziehkind, das doch bei Muttern aufwachsen durfte, in diesem Adoptivkind, das dann die Pharaonentochter ihr Eigen nannte. Zur Ausbildung schickte ihn Gott gewiss in die Gelehrtenschule und in die Militärausbildung und in die Verwaltungszentren. Besondere Aufgaben verlangen besondere Ausbildung.

Aber Gott denkt anders. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege sind nicht unsere Wege und seine Ausbildungen sind nicht unsere Ausbildungen. Was für seinen Dienst nötig ist, bestimmt er allein und sonst niemand. Gott hat ein Ausbildungskonzept und nach dem schickt er den Mose in die Wüste, in das Feuer und in den Kampf. Davon wird in diesem 3. Kapitel des 2. Mosebuches berichtet.

1. Gott schickt in die Wüste

Mose ist ein wacher, junger Mann. Er sieht, wie locker die Schlagstöcke in den Gürteln der ägyptischen Aufpasser sitzen. Er hört, wie entsetzlich die Geprügelten unter den KZ-Methoden aufschreien. Er merkt, wie in diesem Volk gelitten und geweint wird. Von Haus aus müsste er zwar unempfindlich sein. Höfe haben schallschluckende Wände und Höflinge haben stumpfe Ge­wissen. Mose aber ist sensibel für die Unrechtsstrukturen des pharaonischen Großreiches. Seine freiheitlichen Gedanken decken sich mit dem Befreiungsplan Gottes. Die Führerrolle ist ihm gerade zu auf den Leib geschnitten. Deshalb greift er eines Tages ein und langt kräftig zu. Dieser Mord löst aber keine Befreiungs-, sondern eine Polizeiaktion aus. Er muss schleunigst außer Landes, taucht als Viehhirte unter und verdingt sich bei einem Priester in der Wüste. Eigentlich wollte er streiten, jetzt muss er weiden. Eigentlich wollte er dem Pharao den Meister zeigen, jetzt muss er dem Jetro den Knecht spielen. Eigentlich wollte er dem Volk den Marschbefehl erteilen, jetzt muss er selbst in der Wartestellung ausharren. 1 Jahr, 5 Jahre, 10 Jahre, 20 Jahre, 30 Jahre. 40 Jahre im Abseits. 40 Jahre auf dem Abstellgleis. 40 Jahre Wüste.

Einige kennen das auch. Eigentlich wollte man leben, jetzt muss man leiden. Eigentlich wollte man als Chef sein Können zeigen, jetzt muss man als Angestellter den Aktenträger spielen. Eigentlich wollte man auf dem Missionsfeld Unterricht erteilen, jetzt muss man daheim den Dreck schaffen. Manche hadern mit der Platzanweisung ihres Lebens. Sie fühlen sich im Abseits. Sie fühlen sich auf das Abstellgleis geschoben. Sie fühlen sich wie in die Wüste geschickt.

Aber auch die Wüste liegt auf Gottes Landkarte nicht außerhalb ortsetters. Sie dehnt sich nicht jenseits seines Gesichtswinkels aus. Es gibt kein Fleckchen Erde, das nicht im Blickwinkel Gottes läge. Auch ein Wüstenplatz ist Gottes Ausbildungsplatz. Ein Mose lernte dort die Geduld, die dieser Draufgänger so nötig hatte. Hagar lernte dort das Vertrauen, das diese Geschmähte so notwendig brauchte. Ein Johannes der Täufer lernte dort die Stimme des Predigers, die die Welt aufhorchen ließ.

Was lernen wir? Mehr Geduld mit den Kindern oder dem Mann? Mehr Vertrauen in die Bibel oder das Gebet? Mehr Mut, die Stimme für den Herrn zu erheben? Seit Jesus selbst in die Wüste geführt worden ist und dort seinen Kampf gekämpft hat, bin ich auch am wüsten Ort nicht allein. Keiner ist übersehen. Niemand ist aus Versehen dort. Jeder ist mit der Verheißung an diesem Platz: "lch mache einen Weg in der Wüste." Man kann nach dem Studium von Propheten, Evangelisten, Aposteln und vielen Gottesmännern sogar so formulieren: Wen Gott in die Wüste schickt, der ist geschickt für das Reich Gottes.

2. Gott schickt in das Feuer

Mose ist ein guter, treuer Hirte. Jeden Morgen zieht er mit den Herden seines Schwiegervaters los. Jeden Mittag sucht er die höhergelegenen, kühleren Futterplätze. Jeden Abend kehrt er zu den Pferchen zurück. Sicher ein eintöniger Arbeitsrhythmus, der sich durch die Jahre zieht. Aber eines Tages wird dieses tägliche Gleichmaß durchbrochen. Als er auf dem Weg zum Horeb ist, sieht er plötzlich einen brennenden Busch, ein Feuerzeichen mitten in der Wüste. Gelehrte haben sich darüber die Köpfe zerbrochen. Geologen sprachen von einer Erdgasflamme, die durch Selbstentzündung in dieser mörderischen Hitze entstanden sei. Aber warum verbrannte sie dann die dürren Zweige nicht? Psycholog­en sprachen von einer Stichflamme, die durch Gewissensbelastung nur in der Seele aufgelodert sei. Aber warum werden klare Erzähl­texte einfach psychologisiert? Theologen sprachen von einer Fata Morgana, die durch Luftspiegelung über dem Sand erschienen sei. Aber warum verschwand solche Spiegelung beim Näherkommen nicht?

Bleiben wir doch beim Gottesfeuer, das er selbst gezündet hat, weil er alle Sünde anzünden und verbrennen will. So wie Mose ist, kann er nicht vor Gott bleiben. Zu viel Belastendes liegt auf seinem Leben. Schuld hindert seinen Dienst. Deshalb ruft es: "Mose, zieh deine Schuhe aus! Alles, was nichts taugt, muss ins Feuer. Du sollst brennen, aber nicht verbrennen. Hier ist heiliges Land!"

Ohne diese Feuerprobe hat Gott keinen in Dienst gestellt. Im Tempel brannte es, als Jesaja rief: "Weh ich vergehe, ich bin unreiner Lippen." Am Seeufer brannte es, als Simon Petrus mit der Hand abwehrte: "Herr, geh hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch". Auf Golgatha brannte es, als Menschen sich fluchtartig davonmacht­en.

Und dort brennt es heute noch. Der Dorngekrönte ist der Dornbusch des Neuen Testaments. Er will Sünde anzünden und verbrennen. So wie ich bin, kann ich nicht bleiben. Zu viel Belastendes liegt auf meinem Leben. Schuld hindert jeden Dienst. Deshalb ruft er: "Zieh deine Schuhe aus! Wirf deine Lasten weg! Leg deine Nöte ab! Alles, was nicht taugt, muss ins Feuer. Du sollst brennen, aber nicht verbrennen. Du sollst Gericht erleiden, aber auf Gnade hoffen können. Du sollst den Schuldspruch hören, aber auch den Freispruch erleben dürfen." Jedesmal, wenn das Kreuz aufleuchtet, sei es beim Abendmahl, wenn wir zu Gottes Tisch eingeladen sind, sei es beim Gottesdienst, wenn wir Gottes Wort hören, sei es beim Gebet, wenn wir vor dem Angesicht Gottes stehen, jedesmal wenn das Kreuz aufleuchtet, gilt es: Hier ist heiliges Land.

3. Gott schickt in den Kampf

Mose ist ein williger, bereiter Mann. Es verwundert ihn überhaupt nicht, dass jetzt der Marschbefehl erteilt wird: Geh nun hin!

Eine Gottesbegegnung hat man nie zum frommen Genuss, sondern nur zum treuen Dienst. Wer ins Feuer des Herrn gerät, dem wird Dampf für die Arbeit gemacht. Das frui deo, das nur Gott genießen in schönen Gottesdiensten, in bewegenden Predigten, in erhebenden Gesängen, in gewaltiger Musik, dieses frui deo hat Luther noch schlimmer als Unglauben angesehen. Nur treue Dienstleute sind gefragt, keine frömmelnden Persönlichkeiten. Deshalb: Bleib nicht sitzen! Steh jetzt auf! Geh nun hin! Nur wohin?

Mose könnte zuerst zu seinem Schwiegervater Jetro gehen, der ein kluger Kopf ist. Eine Unterredung mit ihm könnte die aufgeregten Gedanken ordnen. Dann könnte er zu seinen Landsleuten gehen, die die Lage genauestens kennen. Eine Kontaktaufnahme mit ihnen könnte einen großangelegten Befreiungsplan reifen lassen. Schließlich könnte Mose sogar zu seinen altbekannten Höflingen gehen, die in der Umgebung des Thrones leben. Ein Besuch bei ihnen könnte die unsicheren Chancen ausloten. Und Gott sagt: Ich will dich zum Pharao senden! Nun schreckt Mose zusammen: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe! Wer bin ich, dass ich diesem Bluthund gegenüber­ trete? Wer bin ich, dass ich diesem Machtmenschen die Meinung sage! Wer bin ich, dass ich mich in die Höhle des Löwen wage? Und Gott sagt: Ich will dich zum Pharao senden!

Immer schickt er in den Kampf. Den Elia zum Ahab, den David zum Goliath, den Daniel zum Nebukadnezar, den Paulus zum Kaiser, so wie seinen Sohn Jesus, der er sogar in die Höhle des Todes geschickt hat, um dort die Befreiung seiner Leute zu erwirken. Auch wir können nicht damit rechnen, dass er uns aufs Sofa schickt, sondern in den Kampf. "Geht hin", heißt es viel später in der Aussendungsrede Jesu: "Ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe".

Nur fügt Gott fünf Wörtlein an, nämlich: "Ich will mit dir sein". Gott lässt seinen Mose nicht allein losmarschieren. Gott lässt seinen Elia nicht allein im Reg­en stehen. Gott lässt seinen David nicht allein die Schleuder laden. Gott lässt seinen Paulus nicht allein nach Rom reisen. Gott lässt auch dich nicht allein, wenn du dich auf die Füße machst. "Siehe, ich bin bei euch alle Tage", so hat Jesus diese Zusage unterstrichen. Unsichtbar, aber wirklich ist er immer dabei.

Wenn du in die Klasse gehst, wo sie über das Christsein die Nase rümpfen: "Ich will mit dir sein". Wenn du in den Betrieb gehst, wo in der Pause alles in den Dreck gezogen wird: "Ich will mit dir sein". Wenn du in die Kantine gehst, wo über das Tischgebet milde gelächelt wird: "Ich will mit dir sein". Wenn du in die eigene Familie gehst, wo dein Weg überhaupt nicht verstanden wird: "Ich will mit dir sein". Wenn du wegen einer Erkrankung ins Krankenhaus gehst, wo so viel Verzweiflung zusammengeballt ist: "Ich will mit dir sein". Ja, wenn du in den Tod gehst, wo kein Mensch mehr folgen kann: "Ich will mit dir sein". Der, der den Mose zum Pharao begleitet hat, will auch dein Wegbegleiter in jedem Kampf sein.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]