Seefahrt tut not – das wissen wir seit Columbus. Weltraumfahrt tut not – das wissen wir seit Werner von Braun. Und vieles tut not. Doch was tut denn eigentlich heute not? Was ist heute notwendig? Was tut heute wirklich not?
Die Antwort lautet: Bildung tut not. Mit ein bisschen Herzensbildung lässt sich mehr gewinnen als nur ein Blumentopf. Es braucht eine drei- bis fünfjährige, eine neun- bis dreizehnjährige Schulausbildung und eine drei- bis fünfjährige Unterrichtsausbildung oder irgendeine Lehre.
Wer dann meint, mit einem Abitur, einem Diplom oder einer Meisterprüfung am Ziel seiner Träume zu sein, der täuscht sich gewaltig. Danach folgt Fortbildung und Weiterbildung. Nur der Fortgebildete und Weitergebildete – und oft genug auch der Eingebildete – ist im Sinne des modernen Bildungsangebots eingebildeter und liest die Bild-Zeitung.
Liebe Freunde, Bildung tut not – so wollen wir es heute alle achten. Doch die anderen sagen: Ach nein, Bewegung tut not! Freund, Bewegung tut not. Mit ein bisschen Spaziergängchen am Sonntag ist der Kreislauf nicht in Schwung zu halten. Du musst morgens ein paar Kniebeugen machen, mittags ein paar tiefe Atemübungen, abends zehn Liegestütze.
Ein Joggingschuh ist kein Luxus, und der Joggingpfad ist zum Pfad der Tugend geworden. Liebe Freunde, ich versuchte es auch einmal. Alle joggen, ich jogge auch. Ich suchte einen Joggingpfad – großartig! Großartig war der.
Ich habe aber vorher im Lexikon nachgeschaut, was denn eigentlich Trimmen, Trimmpfad, was Trimmen eigentlich heißt. Trimmen hat eine doppelte Bedeutung. Trimmen heißt einmal, Hunden das Fell zu scheren, oder das Schiff in ordentlichen Zustand zu bringen.
Ich wollte also mein Lebensschiff in ordentlichen Zustand bringen, ohne dabei auf den Hund zu kommen. Und ich muss sagen, beides ist mir gründlich misslungen: Hundeelend und dem Kinder nahe schleppte ich mich durch das Ziel.
Und dabei hatte es ja so großartig angefangen. Bei der ersten Tafel verneigte ich mich wie die Ballpriester. An der zweiten Tafel, als man eine Holzrolle ins Geschnitt nehmen musste, dachte ich: Man soll sein Joch in der Jugend tragen und nicht, wenn man über sechzig ist.
Beim Reck, an so einer Stange, hing ich zwischen Himmel und Erde wie Absalom. Dann kam ja der Höhepunkt: die springende Sandgrube. Ich wollte mir diesen Höhepunkt ersparen und dachte an den Urvater, der gesagt hat: „Du wirst mit Leid hinunterfahren in die Grube.“ Aber meine Buben riefen: „Auf geht’s, Papa!“ Also ging es los. Doch dann ging es vor allem ab, und ich machte einen großen Fall. Bei mir hat es ausgetrimmt.
So, und quique – jedem das Seine. Mittelalterliche Foltermethoden sind nichts für mich. Doch trotzdem tut Bewegung Not, sagen die Zweiten. Und die Dritten sagen: Erholung tut Not. Ausspannen oder, wie es richtig deutsch heißt, Relaxing. Relaxing tut heute Not. Nicht nur ein bisschen Mittagsschläfchen oder die Füße hochlegen, sondern richtiges Relaxing.
Man muss die Fenster zumachen, wurde mir gesagt. Man muss Vorhänge vorziehen, eine Isomatte auslegen, sich ausstrecken und dann Musik auflegen – Musik zur Ruhe. Man muss eine Disc auflegen, damit man ganz relaxt. Relaxing tut Not.
Und die Vierten sagen: Ach was, Ernährung tut not – die richtige Ernährung. Am besten immer Kerner: morgens Kerner, morgens Kerner, abends Kerner. Man muss nur aufpassen, dass man am Schluss nicht kikriki schreit.
Ein Joghurtapparat und eine Kornmühle gehören doch zu jeder modernen Küche. Ernährung tut not. Das Alte tut es nicht mehr, Neues ist notwendig, tausend Dinge tun not.
Nichts gegen richtige Ernährung, nichts gegen Bewegung, nichts gegen Bildung. Aber das alles genügt anscheinend nicht. Was tut denn heute wirklich not?
Bei dieser Frage stieß ich auf eine kleine Geschichte, die Sie alle kennen. Es ist eigentlich eine Bibelgeschichte, genauer gesagt eine kurze Stressgeschichte. Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern.
Sie steht im Neunten Minder. Als Jesus und seine Jünger weiterzogen, kamen sie in ein Dorf, in dem er von einer Frau namens Martha gastlich aufgenommen wurde. Sie hatte eine Schwester namens Maria, die sich zu Jesus setzte und ihm zuhörte. Martha dagegen hatte alle Hände voll zu tun.
Sie trat zu Jesus und sagte: „Herr, kümmert es dich nicht, dass mich meine Schwester die ganze Arbeit allein tun lässt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll.“ Der Herr antwortete: „Martha, Martha, du sorgst und mühst dich um viele Dinge, du hast viel Stress, aber nur eines ist notwendig. Maria hat das bessere Teil erwählt, das von ihr nicht genommen werden wird.“
Also ist von Martha die Rede. Übrigens wohnte sie in Betanien. Seit ich vor eineinhalb Jahren zum ersten Mal in Israel war, weiß ich sogar, wo Betanien liegt. Ich weiß nicht, ob Sie jemals in Israel waren. Ich wollte mir dieses Erlebnis immer für den Himmel aufsparen, weil ich dachte: Vom Himmel aus hast du die Totalübersicht. Da brauchst du vorher gar kein Geld auszugeben.
Aber als mir dann jemand sagte: „Du, Conrad, weißt du denn, ob du in den Himmel kommst?“, habe ich schnell eine Reise gebucht. So bin ich mit einer Gruppe nach Israel gereist, habe Jerusalem gesehen und dort wurde mir auch Betanien gezeigt – ein Steinwurf weit entfernt.
Dort lebte also diese Martha, zusammen mit der sensiblen Schwester Maria und dem kränklichen Bruder Lazarus.
In diesem dreiblättrigen Kleeblatt war eindeutig Martha die eigentliche Mitte. In diesem dreiköpfigen Personenhaushalt bestimmte sie, wie es lief. Martha heißt auf Deutsch „Herrin“ – sie war die Herrin im Haus. So ist es in den meisten Häusern: Die Frau ist der Herr im Haus. Sie zeigte auch, wo es langgeht oder wo es langgehen sollte.
Wie würde man heute eine emanzipierte Frau nennen, die engagiert die Dinge in die Hand nimmt? Martha war so eine Frau. An ihr können wir drei Dinge beobachten, die heute besonders wichtig sind – gerade in einer stressvollen Zeit.
Diese drei Dinge sind: Augen auf, das tut Not; zweitens Mund auf, das tut Not; und drittens Ohren auf, das tut Not. Diese Haltung könnte uns helfen, in einer stressgeplagten Zeit ein paar Schritte weiterzukommen.
Also zuerst einmal: Augen auf! Diese Martha war ja nicht blind. Sie hatte Augen im Kopf, und sie sah, sie blickte. Martha blickte immer, so wie damals, als es an ihre Tür klopfte. Sie ging zur Tür, und vielleicht hat sie gleich die Situation erfasst: Da standen dreizehn ausgewachsene Männer und baten um Einlass – Jesus und seine Gefolgsleute. Sie bat sie herein.
Dann sah sie, dass diese Leute zuerst die Füße gewaschen haben mussten. Sie brauchten Wasser, und deshalb lief sie los, um welches zu holen. Danach sah sie, dass diese Leute Hunger hatten. Deshalb lief sie in die Küche und ließ dort ihren ganzen Apparat der Gastlichkeit anspringen. Martha war voll im Stress. Dreizehn Männer in einem Drei-Personen-Haushalt – wenn das kein Stress ist!
Liebe Freunde, weil auch wir Augen im Kopf haben, sehen wir auch so viel, eigentlich genauso wie Martha. Das beginnt schon morgens: Man sieht auf den Wecker und merkt, dass man eigentlich schon 15 Minuten zu spät ist. Nur noch 20 Minuten bis zur Busabfahrt. Ähnlich war es bei meinem Sohn: Mit einem Hechtsprung aus dem Bett, mit einem Satz in die Jeans, für die Zahnbürste bleibt nur noch ein müder Blick. Der Kaffee wird im Stehen verschüttet, dann geht es die Straße hinunter, und nur ein letzter Sprint rettet alles.
Mittags kommt man nach Hause, doch man wollte ja noch eine Besorgung in der Stadt machen. Man nimmt das Auto, aber die nächste Ampel ist schon wieder rot. Bei Gelb fährt der Vordermann nicht sofort los zum Grün – ärgerlich, dieser blaue Idiot. Man kommt ins Geschäft, aber es ist mittwochs geschlossen. Abends sollte man eigentlich einmal Zeit haben, aber da sind tausend Dinge: Kino, Party, ein Brief, ein Telefon – tausend Dinge.
Freunde, wir haben keine Zeit. Wir wollen eigentlich gar keine Zeit haben. Wir sind voll im Stress, so wie Martha. Und deshalb hat Gott es eigentlich so nicht gewollt. Wissen Sie: Gott hat es ja eigentlich so nicht gewollt. Er hat diese Erde geschaffen, dann hat er diesen Globus ins All gesetzt und uns allen damit einen Wohnraum gegeben – und nicht nur das.
Am vierten Schöpfungstag gab er Tage, Wochen und Jahre. Er gab Wohnraum und Zeitraum. Unser Gott schenkte uns ein Dach über dem Kopf und schenkte uns gerade genug Zeit.
Wohnraum und Zeitraum hat dieser Gott gegeben, und jetzt, auf einmal, ist diese Zeit krank geworden. Wir leben in einer galoppierenden Zeitschwindsucht. Das Symptom, das diese Krankheit kennzeichnet, haben viele, vielleicht die meisten, auf den Lippen: Es pressiert, es pressiert immer – morgens, mittags, abends, es pressiert.
Ernst Dünger, der messerscharfe Zeitkritiker und Analytiker, sagte einmal: Unsere gegenwärtige Zeit sei die Monotonie der Pausenlosigkeit. Unsere Welt ist mit lauter Uhren gefüllt, und diese Uhren sind auf eine einzige Stunde gestellt.
Liebe Freunde, die Martha sollte eigentlich vier Hände haben, um all das arbeiten zu können. Sie sollte sechs Füße haben, um all das verspringen zu können. Wir sollten neun Tage in der Woche haben, wir sollten 36 Stunden am Tag haben, wir sollten viele Hände und viele Füße haben, um alle Aufgaben recht erledigen zu können.
Uns geht es wie Marta: Leute im Stress, Leute im Stress. Und weil sie da sind, gilt dieser Anruf auch uns.
Marta, dass du Augen im Kopf hast, ist nicht schlecht. Gott will nicht, dass wir blinde Kuh spielen. Aber dass du so viel siehst, ist auch nicht schlecht. Gott will keine blinden Leute. Aber dass du bei deinem Sehen den übersiehst, der bei dir einkehren will und gesagt hat: „Ich bin unter euch wie ein Diener“ – das ist die Not, liebe Freunde. Das ist die Not, dass wir so viel sehen und nicht mehr diesen lebendigen Gott.
Der nicht im Himmel sitzen geblieben ist, um sich hier aus der Ferne an irgendeinem Schauspiel zu erfreuen, ist kein Gott, der auf dem Olymp thront und seine Menschen in Ruhe lässt. Es ist ein Gott, der sich aufgemacht hat – aber nicht mit Krone, Purpurmantel oder Goldstab. Sondern einer, der alles abgelegt hat, der auf diese Erde gekommen ist und zu uns kommt, zu Ihnen kommt – als Diener.
Sehen Sie Gott nicht als einen fernen Gott, der irgendwo entrückt in nebelhafter Ferne seine Kreise zieht. Dieser Gott will zu Ihnen kommen als Diener. Und dann zeigt er nicht die Zeichen der Könige, sondern die des Schutzes. Er sagt: „Ich bin unter euch wie ein Diener – und mehr.“ Dieser große Gott kniet sich vor Ihnen nieder. So ist dieser große Gott: Er kniet sich nieder, weil er Ihr Diener sein will.
Freunde, ich habe es kaum begriffen, aber so ist der Gott, an den ich glaube. Deshalb hat er mit Allah nichts zu tun und auch mit keinen anderen Göttern. Deshalb glauben wir an diesen einzig lebendigen Gott, der in Jesus unser Diener sein will. Er kniet sich nieder, er will Ihre Füße waschen – im ganzen Dreck unseres Lebens.
Er will uns die Last vom Rücken nehmen. Und wie viel Last haben Sie heute Abend mitgebracht? Diese Last will er abnehmen, damit wir wieder aufatmen und durchatmen können. Dieser Gott will uns helfen, all das zu tragen, damit wieder ein aufrechter Gang möglich wird.
Er will die Tränen aus Ihren Augen nehmen – die Tränen, die Sie nachts weinen, aus Anlässen, die Sie niemals aussprechen können. Er will den Schweiß von Ihrer Stirn wischen und sagen: „Du, ich bin doch dein Diener. Ich bin da.“
Wissen Sie, dass an diesem Abend dieser Herr hier unter uns ist? Dass dieser Herr sich anbietet, mit Ihnen zu gehen? Dass dieser Herr bereit ist, vor Ihnen zu knien und Ihnen den Dreck abzuwaschen? So groß ist unser Gott, dass er so klein wird wie ein Diener.
Augen auf – das tut not!
Aber das Zweite, nämlich Mund auf, das tut not! Martha steht ja unter Volldampf. Ein holländischer Maler hat in den letzten Jahren ein Bild gemalt – nicht besonders schön, aber riesengroß. Es hat mir trotzdem das Herz genommen. In einer Amsterdamer Bildausstellung sieht man Martha in einer Großküche, so wie auf einem früheren Bauernhof. Ein Herd steht da, und darauf stehen Töpfe. Sie brutzelt, brät und kocht. Daneben ist ein Tisch, an dem Gemüse geschnitten und Kartoffeln geschält werden. Dort wird alles gerichtet.
Wieder daneben steht ein Wagen mit Schüsseln, Geschirr und Besteck. Wirklich ein Bild des Arbeitens und der Freude: Martha im Wollstress. Eigentlich konnte sie das gar nicht allein schaffen. Das war absolut zu viel für eine einzige Frau. Normalerweise hat sie das auch nie alleine gemacht, wenn solche Besuchsinvasion kam. Eigentlich hat doch immer Maria geholfen. Aber Martha schaut sich um: Wo ist denn Maria? Dann ruft sie Maria, aber es ist keine Stimme zu hören. Sie ruft noch einmal lauter Maria, aber es gibt keine Antwort.
Sie macht die Tür auf und ruft noch einmal in den Gang hinaus: Maria! Aber da ist weder Stimme noch Antwort. Das kann doch nicht wahr sein, das darf doch nicht wahr sein. Dann reibt sie ihre fettigen Hände an ihrem Schurz ab und geht zur Küche hinaus. Sie schreitet den Gang hinunter und hinein ins Wohnzimmer. Mit einem Schritt ist sie drin, und tatsächlich sitzt dieser Blaustrumpf zu Jesu Füßen, so als ob überhaupt nichts wäre.
Jetzt tut ein herrschaftliches Machtwort not. Martha platzt der Kragen und sie sagt: Herr, sag doch der Martha, dass sie mich nicht allein in der Küche sitzen lassen kann. Ich pack’s allein nicht. Herr, sag doch der Martha, dass sie mich nicht allein stehen lassen kann. Ich vermag das nicht allein. Herr, sag es doch dieser Martha, dass das so nicht geht. Bei mir geht es jetzt dann auch nicht mehr.
Martha weiß ganz genau, was Maria tun soll – so wie wir auch ganz genau wissen, was die anderen tun sollen. Herr, sag es doch meinem Mann, dass er, wenn er abends nach Hause kommt, mir auch einmal ein paar Blümchen bringt und sich nicht sofort hinter der Zeitung verkrümelt. Sag’s doch meinem Mann! Und Herr, sag’s doch meiner Frau, dass sie abends nicht elendlang am Telefon so lange labert bei diesen hohen Telekomgebühren. Und Herr, sag’s doch meinem Sohn, dass er nicht die Rockmusik so laut laufen lässt, sondern dass er auch Bach, Beethoven, Böhme, Mozart lieben möge, so wie ich.
Herr, sag’s doch meiner Schwiegertochter, dass sie auch einmal die Schwiegermutter fragen soll. Der einzige Maßstab für rechtes Handeln, für rechtes Tun, für rechtes Glauben, der rechte Maßstab bin immer ich. Und weil wir alle so reden wie Martha, deshalb gilt dieser Anruf auch uns: Martha, Martha, dass du den Mund aufmachst, ist nicht schlecht. Gott will keine stummen Fische. Aber dass du den anderen richten willst, das ist nicht recht, das ist nicht recht.
Maria muss nicht wie Martha sein, und der Sohnemann muss nicht wie der Vater sein, und die Schwiegertochter muss nicht wie die Schwiegermutter sein. Jeder von uns ist ein Original Gottes, das müssten wir wissen. Seit dem ersten Mosebuch heißt es: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Das heißt, Gott schuf Mannsbilder und Weibsbilder. Wir kommen aus seiner Hand.
Da mag man philosophieren über Kreation und Evolution. Da mag man diskutieren, ob denn die Kaulquappe die Großmutter und der Affe der Großvater war. Da mag man darüber philosophieren, ob denn nur der Mensch ein zufälliges Stück aus dem All sei. Liebe Freunde, Sie und ich, wir kommen aus Gottes Atelier. Und dieser Gott ist kein Sonntagsmaler, der immer nur den röhrenden Hirsch oder den Wildwasserbach malt, sondern er malt jeden, schafft jedes Original.
Wissen Sie, Autos kommen vom Fließband, Anzüge kommen von der Stange, Fahrkarten kommen vom Automaten. Aber Sie und ich, wir kommen aus seiner Hand – hand made, handgemacht. Made in heaven ist die unsichtbare Schrift auf jedem Menschen: unersetzbar.
Und wenn Sie meinen, es wäre besser gewesen, dass Sie gar nicht geboren wären, weil Sie übrig sind, weil Sie keine Arbeitsstelle kennen, im Betrieb wären Frauen, Ihre Stelle wäre frei für einen anderen: Sie sind eine Handarbeit Gottes.
Und wenn Sie meinen, dass Sie eben doch nicht geliebt sind, weil Sie keinen Freund oder keine Freundin haben, weil Sie nebendran stehen und letztlich auch hier übrig sind: Sie sind eine Handarbeit Gottes.
Und wenn Sie meinen, dass dieses Leben ja doch gar keinen Wert hat: Ich komme gerade von einem alten Schulkameraden, den ich heute Nachmittag in Obendorf besucht habe. Zwei Kinder, 17 und 22, haben sich das Leben genommen – zwei von drei Kindern.
Liebe Freunde, sie fühlten sich übrig, sie brauchte man ja nicht, meinten sie. Und wenn Sie auch so denken und wenn die dunklen Gedanken kommen: Sie sind eine Handarbeit Gottes. Er gibt jedem einen Rahmen. Die zehn Gebote Gottes sind die Rahmenordnung für unser Leben.
Weh, wenn wir aus dem Rahmen fallen! So wie ein Künstler die Bilder an die richtige Stelle platziert, so hat er Sie auch an die richtige Stelle hingestellt. Dort, wo Sie stillen, ist Ihr Platz. Dort, wo Gott Sie hingestellt hat, ist eine Platzanweisung.
Warum fragen Sie immer wieder: Ist denn das der richtige Platz für mich? Wäre ich nicht besser auf einem Meistersessel oder gar Chefsessel? Warum wollen Sie immer wieder woanders sein? Dort, wo Sie nicht sind, dort ist das Glück, so denken wir. Dort, wo Sie jetzt platziert sind, ist Gottes Platzanweisung. Dort will Gott Sie haben.
Sie sind eine Handarbeit Gottes. In dieser Handarbeit sollen Sie Nachfolger dieses Herrn sein, der sich sagen kann: Herr, schenk mir doch, dass nicht alles nach meiner Richtschnur gehen muss. Sag mir doch, dass nicht alles nach meinem Kopf gehen muss. Herr, zeig mir doch, dass ich auch den anderen annehmen kann, so wie er ist.
Liebe Freunde, wie viel Druck, Belastung und Stress wäre aus unserem Leben, wenn wir nicht die Belastung durch die anderen hätten? In Hülsen, wo ich wohne, war der alte Schulmeister Cullen. Er sagte: Ich habe ein Herz wie ein Scheunentor. Wenn es auf mich ankäme, wollte ich alle mit in den Himmel nehmen.
Und wir haben Herzen wie Nadelöhre, durch die nichts mehr durchgeht. Das ist auch ein Punkt unseres Stresses. Unsere Herzen aufgemacht, der andere nicht Belastung, sondern geradezu Befreiung für einen Weg mit diesem Herrn.
Deshalb: Deshalb Mund auf, wie bei Martha!
Aber ich möchte auch das Dritte sagen, weil es ursächlich damit zusammenhängt, nämlich: Ohren auf! Martha hatte ja Ohren, sie hörte viel. Diese Martha hörte zu viel. Sie hörte die Bitten des kranken Lazarus, der immer wieder um eine Handreichung bat. Dann hörte sie auch die vielen Anfragen und sicher die Probleme ihrer sensiblen Schwester Maria. Außerdem hörte sie die vielen, die an ihre Haustür klopften. Sie hörte all das.
Es war ja eine laute Welt geworden, und ich bin überzeugt, dass sie am liebsten manchmal ihre Hände gegen die Ohren gehalten hätte und gesagt hätte: „Ich will das ja gar nicht mehr alles hören.“ Am liebsten hätte sie auf Durchzug geschaltet. Aber sie musste hören, so wie wir alle hören müssen.
Es ist nicht so einfach. Eine laute Welt ist geworden, eine laute Welt. Da kommt die eine, da kommt der andere, und da kommen viele Dinge. Manchmal, so am Wochenende oder am Freitagabend, würden wir am liebsten die Hände auf die Ohren legen und auf Durchzug schalten. Aber das geht nicht. Hören müssen wir.
Und weil das so ist, gilt auch dieser dritte Anruf: Martha, Martha! Dass du hörst, ist nicht schlecht. Gott will keine taubstummen Leute. Aber dass du den überhörst, der bei dir einkehren will — das ist das Problem. In deinem Haus hat sich viel eingenistet: Not und Probleme haben sich eingenistet, all das wie ein Schwamm.
Und nun merkst du dir nicht, merkst du dir nicht, dass dieser Gott bei dir eingekehrt ist und bei dir zu dir reden will? Liebe Freunde, die gefalteten Hände und die aufgeschlagene Bibel, das ist der gute Teil, der auch für uns bereitliegt. Gott ist in unser Haus getreten, Gott will in ihr Haus treten, und er will ihnen etwas von diesem Besten teilgeben.
Warum verkürzen wir eigentlich das Morgengebet zu einem kurzen Stoßseufzer? Warum verkürzen wir jede Morgen- oder Abendwache nur noch zu ein paar müden Gedanken? Warum gehen wir kaum mehr in einen Kreis, geschweige denn zum Gottesdienst? Warum ist das alles nicht mehr wichtig für uns?
Merken Sie nicht, dass dieser Gott mit Ihnen reden will — durch sein Wort und durch Ihr Gebet?
Doch hören Sie das Wichtigste, das Sie im Leben brauchen – zusammengefasst in einem einzigen Wort, das Sie immer als eiserne Ration bei sich tragen sollten, besonders in stressigen Zeiten: Johannes 3,16.
So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Wissen Sie, seit wann ich dieses Wort mit mir herumtrage, seit wann ich es nicht mehr vergesse und seit wann es mich gerade in Stresssituationen ausrichtet und tröstet? In der Nachkriegszeit in Oberndorf herrschte eine echte Hungersnot. Ich erinnere mich noch, dass ich bei Kriegsende dreizehn Jahre alt war. Anschließend, in der französischen Besatzungszone, wurde es sehr dunkel.
In unserem Haushalt lebten sechs Kinder im Amtsgericht, und wir hatten keine Möglichkeit, von irgendjemandem etwas zu bekommen. Schließlich ließ sich meine Mutter überreden, mit uns sechs Kindern loszuziehen. Mit einem Leiterwägelchen gingen wir hinauf bis nach Brittheim. Einmal kamen wir sogar bis nach Rosenfeld. Wir hatten aber kaum etwas zum Tauschen.
Meine Mutter zeigte uns Kindern den Weg, und oft genug kamen wir nach stundenlangem Marsch wieder mit sehr wenig oder gar nichts zurück. Ich sehe noch meine Mutter vor mir, wie sie das Frühstück für uns Buben zubereitete: nur ein paar Kartoffelscheiben, ohne Fett gebraten. Das rieche ich heute noch. Dazu gab es einen Verminztee. Das war das Frühstück – nicht viel.
Können Sie sich vorstellen, was in unserem Haus los war, als die ersten Kehrpakete, die Liebesgabenpakete der Quäker aus den USA, ankamen? Unvergesslich war der Moment, als dieses Paket ins Haus gebracht wurde. Das war wie Weihnachten, Ostern und Himmelfahrt zusammen, alle Kirchenfeste auf einmal.
Wir rissen das Paket auf, und darin waren die drei großen K’s: Kaffee, Kakao und Kaugummi. Wir wussten damals nicht, was Kaugummi ist. Wir dachten, es sei etwas zum Fahrradfliegen. Aber das haben wir später gelernt.
Außerdem lag obenauf ein kleines Testament, auf Deutsch gedruckt – schon in Kriegszeiten für die besiegten Gegner. Ein kleines Taschentestament. Auf der ersten Seite stand Johannes 3,16 abgedruckt, jedoch mit einer kleinen Änderung:
So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf das – und dann waren Punkte. Darunter stand, man solle hier seinen Namen eintragen.
Als der Bescheidenste von sechs Kindern habe ich mir dieses Testament sofort unter den Nagel gerissen und mit einem Bleistift meinen Namen ganz fett hineingeschrieben. So blieb es jahrelang bei mir.
So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf dass Konrad Eisler, der an ihn glaubt, nicht verloren geht – in nichts nicht verloren geht –, sondern das ewige Leben hat.
Sie sind heute Abend eingeladen, persönlich eingeladen, an dieser Stelle Ihren Namen einzutragen, damit Sie es nie vergessen – auch in der stressigsten Situation nicht.
So hat dieser Gott Sie geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf dass Rudolf oder Emil oder Jutta oder Andrea nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.
Deshalb: Ohren auf, Gott will reden.
Liebe Freunde, was notwendig ist, ist hören, reden und sehen. Das ist wichtig, denn Gott will uns besuchen.
Lassen Sie mich einen Augenblick mit Ihnen beten: Vater, es ist unbegreiflich, dass du dich so klein machst. Oft möchten wir es gar nicht wahrhaben, dass du vor uns kniest und uns den Dreck wegwaschen willst.
Trotzdem bitten wir dich, Herr: Nimm weg die Schuld, die Last, die Trauer und den Schmerz. Auch das, was wir dir jetzt in der Stille sagen wollen, nimmst du weg.
Herr, wir vertrauen darauf, dass du uns hilfst. Amen.