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Mit leeren Händen

07.02.19882. Korinther 12,1-10

Einführung: Die Herausforderung der Selbstprüfung im Glauben

Zweiter Korinther 12 ist heute der Predigttext, über den im ganzen Land gepredigt wird. Es handelt sich um den zweiten Korintherbrief, Kapitel 12, Verse 1 bis 10. Ich würde jedoch gerne noch einige Verse aus dem vorhergehenden Kapitel lesen.

Der Chor hat in seinem ersten Lied gesungen, wobei im Refrain immer wieder die Worte „Bin ich versucht, auf mich zu sehen“ erklangen. Wir hatten ja in den letzten Sonntagen dieses Thema mehrfach behandelt. Es ist eine Not unserer Zeit, dass man sich ständig prüft, seinen Puls misst und über seine Empfindungen spricht.

In der Christengemeinde von Korinth hatte sich damals dasselbe eingeschlichen, was auch bei uns immer wieder vorkommt: Wir prüfen uns, vergleichen uns und sagen anderen, „Ach, die anderen Gemeinden sind viel schlechter als wir, und wir machen das in unserem Christenstand viel besser.“

So kam es auch, dass manche Paulus einer herben Kritik unterzogen. Sie sagten, Paulus sei ein Versager, ein „Niet“, eine Flasche. Er könne nichts und mache nichts. Es gäbe ganz andere Evangelisten, die viel machtvoller auftreten als er.

Paulus’ Selbstzeugnis und seine Leiden

Bin ich versucht, auf mich zu sehen. Paulus spricht nun im Kapitel 11, Vers 23. Zuerst lesen wir die Verse, in denen er sich mit denen auseinandersetzt, die ihm als Maßstab gegenübergestellt werden.

Sie sind Diener Christi. Ich rede töricht, ich bin es weit mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten. Ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal vierzig Geiselhiebe weniger einen erhalten. Ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen worden, einmal gesteinigt, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten. Einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer.

Verstehen Sie, er erzählt jetzt nicht seine Erfolgsgeschichten. Er berichtet von seinen Niederlagen und seinen Pannen.

Ich bin oft gereist, ich war in Gefahr durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern. Es gibt diese Gefahren auch bei Christen.

In Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße. Und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt: die Sorge für alle Gemeinden.

Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.

Die Offenbarungen und der „Pfahl im Fleisch“

Und jetzt lesen wir in Kapitel zwölf, Vers eins:

Gerühmt muss werden. Es war auch das erste Wort im Eingangsgruß unseres Gottesdienstes: Gerühmt muss werden. Doch was rühmen wir, wenn es auch nichts nützt? So will ich doch auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn eingehen.

Ich kenne einen Menschen in Christus. Er erzählt nun in verdeckter Weise von sich, von den tiefsten Erlebnissen, die er mit Gott hatte. Vor vierzehn Jahren war er im Leib, ich weiß es nicht, oder war er außer dem Leib? Ich weiß es auch nicht, Gott weiß es.

Da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Denn ich kenne denselben Menschen, ob er im Leib oder außer dem Leib war, weiß ich nicht, Gott weiß es. Er wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann.

Für denselben will ich mich rühmen, für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht, denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe – die Schwaben sagen: damit ich mich nicht verlupfe.

Es ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir wiche. Und der Herr hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genug sein, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig oder vollendet sich in den Schwachen.

Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Muts in Schwachheit, in Misshandlung, in Nöten, in Verfolgungen, in Ängsten um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Die Bedeutung von Schwäche und Gottes Kraft

Meine Schwestern und Brüder, zu Beginn des Jahres wurden wir alle durch die Nachricht erschreckt, dass das Missionsschiff Logos im Beaglekanal bei Kap Horn, in Feuerland, Südamerika, auf Grund gelaufen und gesunken ist.

Ich habe diese Nachricht zufällig in einer indischen Zeitung gelesen, als ich unterwegs war. Als ich ankam, sprach ich mit dem Inder, der mich abholte. Dabei stellte sich heraus, dass er Kapitän war und große Handelsschiffe mit bis zu 67.000 Tonnen gesteuert hatte.

Ich fragte ihn, wie er sich das Unglück erklärte und wer daran schuld sei. Dabei staunten wir beide darüber, dass niemand verletzt wurde oder sogar ums Leben kam.

Der Kapitän sagte etwas, das mir bis heute im Kopf bleibt: Er kenne den Fall nicht und wolle nicht darüber reden, vor allem nicht über Kollegen. Er fürchte, dass es den Kapitän selbst getroffen habe.

Dann sagte er sehr ernst: Nie darf ein Kapitän in schwierigen Gewässern den Lotsen von Bord gehen lassen. Vielleicht denkt er, er schafft es allein, er kann das. Doch das darf er niemals tun. Er muss immer daran denken, dass noch irgendwo eine Gefahr lauert. Deshalb sollte er den Lotsen bis zum Schluss an Bord behalten. So kann der Lotsen nicht von Bord gehen.

Hoffentlich hat der Kapitän diesen Fehler nicht gemacht.

Das ist ein Motto, das man lernen muss: Man sollte jemanden bei sich haben, der einen durch schwierige Gewässer leitet, einen Lotsen, der einen sicher hindurchbringt.

Auch bei uns gibt es viele schwierige Situationen, in denen man nicht weiß, wo die Untiefen sind oder wo ein verborgenes Riff droht, auf das man auflaufen kann.

Es ist schlimm, wenn sich jemand zu viel zutraut und sagt: „Ach, das schaffe ich jetzt. Ich habe schon so viele Schwierigkeiten in meinem Leben gemeistert, das ist kein Problem.“

Die Realität menschlicher Schwäche und Gottes Wirken

Mein erster Punkt: Wir schaffen das nicht allein. Aber wir schaffen viel allein, ganz tüchtig, so wie Sie alle sind, und darauf sind wir stolz.

Aus dem Radio tönt der Schlager: Jetzt wird in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt. Es ist auch schön, wenn wir die Schippe in die Hand nehmen und loslegen können. Nicht, dass Sie meinen, das sei nicht Christenart.

Manche denken, Christen seien so Deppen, die hinten auf der Seite sitzen, auf dem Bänklein den Kopf in den Schoß fallen lassen und ihren Nabel bestaunen. Nein, nein, die können auch richtig zupacken. Das sind Schaffer. Und ich bin froh, dass ich Ihnen auch noch die Verse vorherlesen durfte, in denen Paulus in aller Bescheidenheit sagt: „Ich habe mehr gearbeitet als ihr alle.“

Das Thema, das wir heute behandeln, können nur die Verstehenden auch so sagen: „Ich habe mehr gearbeitet als alle. Ich habe mich den Herausforderungen des Lebens gestellt.“ Aber es gibt auch ein trotziges Reden, das ich am meisten im Altenheim höre. Wenn die Leute sagen: „Ich gebe noch nicht auf.“ Schön, schön, aber irgendwann muss man dann doch die Segel streichen.

Oder wenn man nach einer Operation ein paar Worte spricht und dann der Kranke ganz glücklich im Kissen sagt: „Wissen Sie, ich bin eben ein Stehaufmännchen.“ Ach, das ist schön, wenn jemand die Energie hat, noch einmal durchzukommen und sagt: „Ich reiße es noch einmal durch, ich gebe nicht auf, ich gebe nicht auf.“

Paulus war auch so einer. Er sagt: „Ich gebe nicht auf!“ Energisch stemmt er sich den großen Aufgaben entgegen, denen er sich unterzogen hat. Mit ganzer Kraft setzt er sich ein. Aber dann weist er darauf hin, dass alle Höhenflugerlebnisse aufhören.

Es gibt nicht nur das Erlebnis, wie man wunderbar aus einer schweren Krankheitszeit herauskommt, wenn vielleicht schon der Arzt keine Hoffnung mehr hatte. Paulus sagt: „Ich habe in meinem Leben ganz hohe Erfahrungen gemacht, unaussprechliche Dinge erlebt.“ Er spielt hier natürlich auf geistliche Erlebnisse an.

Es gibt ja diese Momente, in denen wir Gottesdienste erleben oder zuhause Bibelworte lesen und plötzlich so erhoben sind, in einer Stimmung des Glaubens, dass uns keine Traurigkeit mehr erreichen kann. Wunderbar, was Gott uns schenkt. Vielleicht sagen Sie: „Ich habe gar nicht die Kraft, an ein Grab heranzutreten.“ Und dann schenkt Gott wunderbare Erlebnisse seiner Größe, und man kann das alles bewältigen.

Manche sagen auf dem Weg in den Operationssaal: „Ich war ganz ruhig, ohne Angst.“ Und noch viel, viel mehr kann uns Gott an solchen Krafterlebnissen schenken, wo man sich wirklich erhoben fühlt. Aber Paulus sagt, bei ihm kommen auch Stunden, in denen er in die Tiefe geführt wird.

So wie wir heute, am dritten Sonntag, dieses Thema haben. Dann steht er ganz unten, ist am Ende seiner Kraft und weiß nicht mehr weiter. Lässt Gott das zu? Wo ist der Gott der Liebe? Warum lässt er mich so zerbrechen? Ich will doch Kraft haben, ich will doch siegen, ich will doch ein Stehaufmännchen sein. Und jetzt plötzlich hört es auf, und ich kann nicht mehr.

Sie müssen wissen, dass der Apostel Paulus sich ungeheuren Herausforderungen unterzogen hat, wenn er erzählt, was er alles durchmachte. „Ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen worden, als man mich halb tot liegen ließ.“ Das waren Glaubensprüfungen.

Wo war denn dein Gott, Paulus? Wo hast du da die Größe Jesu erlebt, als diese vierzig Geiselhiebe auf ihn niederfielen? Die Lederriemen mit den Bleistücken beschwert? Und als er eine Nacht und einen Tag auf dem tiefen Meer trieb, in der kreatürlichen Lebensangst, sagte er: „Gott, wo bist du denn?“ Es muss durch Leiden sein.

Es gibt nicht nur die erhebenden Augenblicke, in denen man sagt: „Ach, bei mir hat sich alles wieder zum Guten gewendet.“ Es gibt auch Augenblicke, in denen man nicht mehr weiterkann. Und Christen sollten davon reden, weil in unserer Zeit so wenig darüber gesprochen wird.

Dann spricht Paulus von all den schwierigen Herausforderungen, in die er gestellt wurde: „Ich bin in Gefahr“, wo er um sein Leben zittert, weil er weiß, dass Terroristen oder Räuber ihm auflauern. „Ich bin in der Wüste unterwegs und weiß nicht, ob ich genug Wasser habe, um auf der anderen Seite durchzukommen.“

Das hat Paulus bis zum Letzten niedergeschlagen. Und er sagt, das alles muss er durchleiden und erfahren. Es muss immer wieder sein, dass Gott ihn herunterholt. Warum? Damit er sich nicht überhebt, damit er sich nichts Falsches einbildet. Er bleibt auch als Christ ein ganz schwacher Mensch, angefochten, zagend, in einem sehr zerbrechlichen Körper.

Das hat Paulus mit massiven Krankheitsnöten durchlitten, die im Lauf der Jahre immer schwerer wurden. Diese zerbrechliche Hülle seines irdischen Leibes zu tragen, das war eine große Last. Und Paulus sagt: Das muss sein. Er muss immer wieder ganz unten stehen. Da muss Gott ihn wieder herunterholen, damit niemand etwas Größeres von ihm denkt.

Das könnte ja passieren, dass einer meint, Paulus sei so groß, weil er so eindrucksvoll die Gemeinden gründet. Und wenn er dann vom Glauben redet, wirkt das alles so stolz. Paulus sagt: „Dann ist es gut, dass Gott mich zerbricht und zerschlägt und ich in meiner ganzen Schwachheit offenbar bin.“

Das ist das Evangelium, das wir verkünden. Denn all die Schwachen, Müden, Verzagten und Kranken sollen wissen: Es gibt einen Heiland, der in Schwachen wirken will. Nicht in den Starken, nicht in den Weißen, nicht in den Gelehrten, nicht bei den Könnern, nicht bei den Siegern.

Damals, in der Antike, war es genauso wie heute. Damals feierte man die Olympischen Spiele und rief „Boris, Boris!“. Man ehrte die Könner, und wehe, wenn einer verlor. Das durfte nicht sein, der musste doch können. Man erhob sich an den Stargestalten. Der Mensch ist doch etwas, er muss raus aus der Niedrigkeit.

Und dann gab es die Weißen, die sich auf dem Areopag versammelten und mit den gelehrten Philosophen diskutierten. Der menschliche Geist kann solche Höhenflüge machen. Und die Kunst stellte den Menschen in vollkommener Schönheit dar.

Noch heute bestaunen wir die griechischen Gestalten des vollkommenen Körpers in seiner Idealgestalt. Paulus verkündet jedoch ein Evangelium, das besagt: Gottes Kraft ist nur bei denen, die am Ende sind, die schwach sind, die zerbrochen sind, die vor dem Sterben stehen und die so viel falsch gemacht haben.

Wir schaffen das nicht allein. Da wird von Leuten gesprochen, die leere Hände haben und mit ihrem Glauben nicht weiterkommen.

Die Schwierigkeit, Schwäche anzunehmen

Mein zweiter Punkt: Genau da liegt es, genau da liegt es. Diese Schwäche will ich gar nicht wahrhaben. Das, was der Chor gesungen hat, versuche ich auf mich zu beziehen.

Es ist sehr merkwürdig, dass in den Stunden, in denen wir eigentlich handeln sollten, das Verzagtsein doch wieder hochkommt. Dann sagen wir: „Ich kann das nicht, ich habe immer versagt, und ich bin so schwach.“ Die Schwachheit ist da, aber wir stellen uns ihr nicht. Darum sollten wir uns das einmal klar machen: Wir ertragen die Schwäche nicht. Wir wollen sie nicht wahrhaben. Immer wieder versuchen wir, uns etwas von unserer Größe vorzulügen.

Ein ganz einfaches Beispiel ist doch, dass Christen, die es eigentlich wissen müssten und bei denen es überall in der Schrift steht – dass sie einen Herrn haben, der sich zu Tode martern ließ in der Schwachheit und darin seinen großen Sieg gemacht hat –, gerade diese Christen immer wieder Starkristen aus sich machen wollen. Es gibt Leute, die von ihren Erlebnissen erzählen und sagen: „Weißt du, früher war ich auch so schwach, aber jetzt erlebe ich Wunder um Wunder.“ Schön, die sagen: „Ich gehe von einem Höhnerlebnis zum nächsten.“

Jetzt muss ich von dem reden, was Paulus durchgemacht hat. Was hat er denn durchlitten? Ich habe Christen schon getroffen, die behaupteten, Paulus sei nicht krank gewesen, denn Glaubende würden nie mehr krank. Er spricht aber von des Satans Engel. Er hat nicht nur Krankheit durchlitten, sondern er hat die Krankheit in einer so schrecklichen Gestalt erlebt, dass er meint, der Teufel schlägt auf ihm herum. Der wollte doch wirken! Der wollte predigen, und noch eine Stunde vorher lag er da und konnte seinen müden Körper nicht mehr aufrichten. Er sagt: „Herr, das kann doch nicht sein.“ Warum ging er denn nicht zu einem Heilungsevangelisten? Och, der hat sich ja auch von Leuten die Hände auflegen lassen, aber der Herr hat ihn nicht geheilt.

Gott tut Wunder, das ist klar für jeden. Hier leben so viele Wunder. Aber wir brauchen auch die Stunden, in denen uns Gott die Wunder versagt. Da gibt es heute Christen, die uns in Kupfertränen sagen: „Wisst ihr, es soll nur noch Anbetung sein, nur noch Lob Gottes darf erklingen im Gebet.“ Was sagen die uns, wo Paulus zum Herrn geschrien hat, nicht im Lob, sondern in der Anfechtung: „Ach, erbarm dich!“ So wie es in den Psalmen kommt, im Schrei. Er konnte gar nicht anders, als sich nur noch zum Herrn zu wenden. Und der Herr sagt gar nichts, nur das eine: „Ich bin da, und ich bin für dich gestorben, und niemand kann dich aus meiner Hand reißen.“ Die Krankheit bleibt, und du wirst nicht gesund. „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“

Noch einmal: Das hat Paulus erlebt, der doch kein Feigling war. Er sagt: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ Er sagt: „Wo gibt es denn überhaupt eine Gemeinde, wo ich nicht mit den Schwachen mitleide?“ Und er hat sie alle im Kopf – die Kranken, die Verzagten, die Schwermütigen, die Depressiven – und er leidet mit ihnen. Ihm drückt das schier den Hals zu, und doch kann er immer wieder durchatmen. „Ich bin krank mit den Kranken und leide mit ihnen.“ Dann legt ihm der Herr auch noch diese Last auf. Und Paulus sagt: „Ich bin so froh, ich bin so glücklich, dass der Herr mit mir in den Keller geht. Denn da mache ich die größten Glaubenserlebnisse, da erlebe ich die schönste Gnadengabe Jesu, das schönste Charisma: dass der Herr die Verlorenen und Schwachen trägt, auch wenn man nichts sieht und nichts fühlt.“

Der Herr, der die Gottlosen gerecht macht, ist die größte Gnadengabe. Und der die Schwachen nicht aufgibt. „Starkes meines Jesu Handelnder wird mich ewig fassen, hat zu viel an mich gewandt, um mich wieder loszulassen.“

Es ist merkwürdig. Sie werden es ähnlich erleben: Wir können einen Gottesdienst erleben, eine Evangelisation oder etwas Großes, und sind so glücklich und begeistert. Wir erleben, dass viele Menschen zum Glauben kommen, dass die Kreise wachsen und die Kirche überfüllt ist. Menschen sind so dankbar und schütteln uns die Hände. Und dann führt uns der Herr Minuten später dahin, wo wir am Leben verzagen.

Darüber will ich mich rühmen, damit ja nie irgendwo etwas sich einer einbildet, sei es doch irgendwo bei ihm. Ich will mich rühmen der Gnade des Herrn. An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erde, gar nichts. Und wenn sie schon 25 Jahre im Glauben stehen und viel für Gott wirken durften, und wenn ihnen der Herr das geschenkt hat, dass sie viel erreichen durften, große Werke des Glaubens wagen, vielleicht sogar Menschen durch die Heilungsgabe gesund gemacht haben, dann gefällt es dem Herrn, dass er ihnen zeigt, was Gnade ist: gar nichts liegt an ihnen, sondern es ist ein Wunder, dass sie überhaupt in den Himmel kommen dürfen – mit all ihrem Versagen und ihrer Untreue.

„Ach, wie gut ist das“, sagt Paulus. Und das sagt er zu den Schwärmern damals in Korinth, die sich erhoben und einander ausgetrickst haben, wer besser und größer sei. Das kommt doch gar nicht an. Sie können heute in ihrem Urteil auch meinen, da sei nichts, und da sei auch nichts los im Reich Gottes, und die Gemeinschaft sei jetzt schon alt, da seien nur noch alte Leute drin. Und dem Herrn gefällt es gerade dadurch zu wirken, nach seiner Gnade.

Gnade ist doch das, wenn ganz unverdient einer aus lebenslänglichen Bruchsal freikommt – das ist Gnade. Ein Hauskreis, wo jeder sagt: „Das ist doch alles umsonst, bei denen kommt nichts mehr raus.“ Und vielleicht rechnen Sie manchmal auch so und sagen: „Was soll ich denn noch? Ich bin schon 86 Jahre alt, und jetzt wird die Kraft immer schwächer.“ Oh, Gott kann jetzt erst anfangen zu wirken, wenn er ihre eigene Aktivität ein wenig zurückgeschoben hat. Es ist alles nur seine Gnade.

Die Kraft in der Schwachheit und der Aufruf zum Vertrauen

Ein letzter Punkt: Volldampf voraus. Ich möchte das immer ein wenig gliedern, damit es besser verständlich ist und Sie es mitnehmen können.

Das Erste war: Wir schaffen das nicht allein. Genau hier liegt „Volldampf voraus“. Solche Predigten haben oft die Wirkung, dass manche sich sofort darauf stürzen und sagen: „Also, ich bin schwach.“ Aber jetzt passen Sie auf, denn der Clou kommt erst noch. Paulus sagt: Gerade weil ich meine Schwachheit kenne – und es ist schon das dritte Mal, dass wir das Gleiche an verschiedenen Bibelstellen hören –, gerade weil ich schwach bin und ein ganz überreiztes Nervenkostüm habe, weil mein Glaube schwankt, weil ich spüre, wie angeschlagen mein Körper ist, weil ich mutlos und verzagt bin – oder was das bei Ihnen jetzt auch sein mag, weil Sie vom Misserfolg heimgesucht sind – genau da sagt Paulus: Ich bin doch stark.

Denn es kommt ja nicht auf mein Können an, sondern weil Jesus der Herr mit solchen schwachen Leuten arbeitet. Es kommt nicht auf mich an. Christus ist der, der in mir wirkt, nicht ich, sondern er. So schließt Paulus und sagt dann: Ich bin guten Muts. Sie dürfen nicht hier weggehen, ohne diesen guten Mut. Es könnte höchstens sein, dass Sie nie ernst damit gemacht haben, wenn Sie sagen: „Ich gebe mein Leben ganz Christus, er soll mein Herr sein.“ Dann bin ich guten Muts.

Ja, dann kommt es nicht auf mich an. Dann kann ich kühn die schwierigsten Aufgaben angehen – nicht weil ich es kann. Ich bin versucht, auf mich zu sehen. Es war nicht abgesprochen, dass der Chor heute das Lied singt, aber es ist wunderbar, wie das zusammenpasst. Dann will ich nicht versucht sein, mich noch einmal selbst zu prüfen: „Kann ich das?“ Ach, er kann – der, der die Welt geschaffen hat, der den toten Jesus am Ostermorgen auferweckt hat, der den Tod überwunden hat. Er wird auch in meinem zerbrechlichen Leib wirken können.

Ich bin guten Muts in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen, in Ängsten. Paulus geht noch einmal hinein, obwohl er sagt: „Das stehen meine Nerven gar nicht mehr durch.“ Paulus, der so kühn war, als sie ihn ins Gefängnis sperrten und er dachte: „Ich werde verrückt, ich muss da raus und evangelisieren.“ Er sagt: Nein, es kann sein, dass jetzt das alles nur dazu dient, dass noch mehr Leute zum Glauben kommen, dass das zur Förderung des Evangeliums dient, wenn er seine Leute aus dem Gefecht nimmt. Das ist unglaublich, weil es der Herr ist und nicht ich.

Und wenn Sie das Geheimnis der Stärke wissen wollen, da liegt es: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark.“ „Lasst euch an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ Die Kraft kann sich erst richtig in der Schwachheit auswirken. Da steht ein merkwürdiges Wort im Griechischen, das sagt, dass die Gnade Christi bei mir wohnt, aus der Kraft Christi bei mir wohnt.

Ich will mich am allerliebsten, Vers 9 am Ende, rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Im Griechischen steht dort ein Wort, das nur hier im Neuen Testament vorkommt: „episkenoo“. Das heißt eigentlich selten etwas, aber das „epi“ ist schwierig. Einige von Ihnen können vielleicht Griechisch. Es heißt eigentlich nicht „ein Zelt, das von oben herunterkommt und sich über mich senkt“. Nein, das ist es auch nicht.

In griechischen Fachwörterbüchern wird darüber gerätselt, und es wird außerbiblische Literatur herangezogen. Aber da steht noch etwas ganz Interessantes drin. Dieses Wort kommt noch einmal im Neuen Testament vor, allerdings nicht zusammengeschrieben, nämlich in der Offenbarung 7. Dort heißt es: Die, die aus großer Trübsal kommen und ihre Kleider hell gemacht haben im Blut des Lammes, stehen vor dem Thron Gottes in der Herrlichkeit. Und der „episkenoo“ wohnt über ihnen, bei ihnen, um sie herum – ein Bild von Gottes Zelten.

So sehen Sie, was Paulus sagen will: Was wir einmal in der Herrlichkeit an Gottes Nähe haben, das haben wir heute schon, wenn wir ganz schwach sind, wenn wir ganz am Ende sind. Dann umgibt uns die Kraft Christi. Wenn Sie nichts mehr sehen, nichts mehr spüren und nichts mehr in der Hand haben und fühlen, dann will die Kraft Christi bei Ihnen wirken.

Ich habe den Eindruck, heute klopft Jesus an Ihrer Tür und sagt: „Lass mich doch wirken! Gib Raum, dass sich meine Kraft auswirken und vollenden kann. Gib meiner Gnade Raum in dir.“ Und immer wieder sagen wir trotzig: „Jetzt wird wieder die Hände gespuckt, wir packen es noch einmal selber an, ich kann das.“ Dann rennen wir vom einen geistlichen Abenteuer zum nächsten, weil wir mehr Stimmung und mehr Gefühl brauchen.

Nein, wir brauchen mehr Gnade, mehr Raum für Christus in uns. Dass ich schwach bin, wird er wissen. Dass er stark ist, weiß auch ich. Amen.