Wenn ich angenommen habe, dann frage ich mich jetzt eigentlich selbst, warum ich angenommen habe.
Persönliche Reflexion über die Annahme der Predigtaufgabe
Als Harald Klingler, mein neuer Dekan, in Urach war und bei mir anfragte, hätte es bei mir klingeln müssen. Und zwar einmal. Das ist ja kein Understatement: Meine theologischen Hosen sind für so ein Thema eigentlich zu kurz.
Die alten Leute vom Oberkirchenrat, die schon die früheren Akten gesehen haben, wissen es. In den Personalakten stand eigentlich immer nur der Name und dann das Zeugnis. Damit wusste man schon alles über das erste und zweite Examen.
Früher war es so: Wer eine Eins hatte – sehr gut –, der wurde Pfarrer in Stuttgart. Wer eine Zwei hatte, wurde Pfarrer in den Reichsstädten wie Ulm oder Heilbronn. Wer eine Drei hatte – befriedigend –, der kam entweder ins Oberland oder ins schöne Unterland. Und wer eine Vier hatte – ausreichend –, der kam entweder in den Schwarzwald oder auf die Ostalp.
Ich war Pfarrer auf der Ostalp. Deshalb noch einmal: Grüß Gott!
Ich würde meinen, dass ich mich nicht so sehr auf die Frage konzentriert habe, weil meine theologischen Hosen dazu zu kurz sind. Zweitens sind meine homiletischen Erkenntnisse zu bescheiden. Wer Homiletik nur bei Professor Fetzer in Tübingen gehört hat, wie ich, kein Lehrvikariat inklusive Birkach genoss, sondern nur später Borens Predigtlehre und Seitz’ Vorlesungsnachschriebe nacharbeitete, der sollte sich tunlichst nicht so laut zu diesem Thema äußern, das mir gestellt worden ist.
Drittens sind meine praktischen Erfahrungen in meiner Amtszeit nicht besonders hilfreich. Ich hatte nie eine Stelle, auf der man wöchentlich mit der Predigt dran war. Schon die wenigen Jahre in Königsbronn hatte ich ein Fika. Als Austauschmann in Hannover, als Hilfsberichterstatter auf dem Oberkirchenrat und später als Schriftleiter beim Evangelischen Gemeindeblatt predigte ich nur in größeren Abständen.
Die Stiftskanzel ist alles andere als der Hochsitz eines Revierförsters, der die Jagd alleine ausübt. Das weiß Herr Willighofer. Ich hatte viel Zeit zur Predigtvorbereitung. Ich nehme mir viel Zeit und verwende heute immer noch viel Zeit für diese Aufgabe.
Deshalb mein Weg, so wie ich es mache, wobei ich weiß, dass viele es gar nicht so machen können. Es kann gar nicht der Weg aller sein, und deshalb diese Einengung: mein Weg.
Aber wenn dieser Morgen nur ein kleiner Anstoß sein könnte, den eigenen Weg vom Text zur Predigt neu zu überdenken, dann hätte sich mein Reißlein von den Höhen der Alben in die Niedrigungen, in die Niederungen des Landes, schon gelohnt. Es wäre nicht vergebens gewesen.
Jedenfalls danke ich Ihnen, dass Sie gekommen sind.
Einstimmung durch historische Predigerzitate
Zur Einstimmung in dieses Thema, so wie es mir eigentlich zumute ist: Das Gefühl lässt sich schwer beschreiben. Deshalb möchte ich einfach drei kurze Lesungen vortragen.
Zunächst ein Auszug aus dem Jubiläumsschrift von Ludwig Hofacker. Zwei Jahre vor seinem Tod verfasste er einen Lebensabriss anlässlich seiner Einsegnung als Pfarrer in Relingshausen. Dort schreibt er Sätze, die mich oft begleitet haben:
„Ein Prediger, der keinen Beifall findet, ist viel näher am Reich Gottes und hat viel weniger Schwierigkeiten zu überwinden, als wenn die Leute ihm überall nachlaufen. Die Schmach ist für den inwendigen Menschen etwas Arzneimäßiges, während die Ehre solch ein eitles Herz wie das meinige aufbläht. War eine Predigt gehalten, so dachte ich: Jetzt hast du alles gesagt, was du weißt, das nächste Mal weißt du nichts mehr. Darum fing ich schon am Montag an, meine Predigt zu machen, und trieb mich beinahe die ganze Woche damit herum, stand mit Sorgen auf, ging mit Sorgen ins Bett und tat mein Amt mit Seufzen, nicht mit Freuden. Die ließ mir mein Herz meine Herr sagen: Halt dich an mich, einfältiger Mensch! Wenn ich dir nicht helfe, so geht dir es freilich aus. Gottlob, es ist mir bis jetzt noch nicht ausgegangen. Ich bringe alle Sonntage dasselbe auf die Kanzel und doch nicht dasselbe. Ich bringe alle Sonntage – es ist dies das Wunder –, dass ich alle Sonntage dasselbe auf die Kanzel bringen kann, denn ich habe es nie getan, könnte es auch nicht tun, es ist ein Wunder vor meinen Augen. Der Herr aber, der bisher geholfen hat, wird mir auch fernerhin helfen. Als Regel stelle ich deswegen auf: Wer Christus predigt und sogleich nach ihm jagt, dem geht es nicht aus. Das ist eine Hauptthese. Ich könnte jetzt schon abends sagen und wieder gehen: Wer Christus predigt und sogleich nach ihm jagt, dem geht es nicht aus. Aber die eigene Weisheit ist auszuschöpfen, denn sie ist in einem Gefäß, und ein Gefäß hat einen Boden. Die Wahrheit Christi ist unergründlich. Von seiner Fülle müssen wir alle nehmen – Gnade um Gnade, so weit.“ (Ludwig Hofacker)
Dann möchte ich Ihnen noch ein paar Sätze von Albrecht Goess vorlesen:
„Das erste Kanzelfieber war schon ziemlich überstanden, das letzte wird es erst nach der letzten Predigt überwunden sein. Es war die Großzügigkeit meines ältesten Predigtlehrers, meines Vaters, der ich es verdanke, dass schon dem Zwanzigjährigen gelegentlich eine Kanzel anvertraut worden war. Stellvertretend für den Vater hatte ich an einem Augustmorgen im Jahre 1928 vor erntemüden Bauern das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld auszulegen gehabt. Danach, im Kandidatenjahr, noch manchen Text. Der eigene Mut war ein Helfer, und der ist mir mit zwanzig groß, mit vierzig immer noch mittelgroß und jetzt im sechzigsten, da ich diese Erinnerung aufschreibe. Aber freilich, etwas vom Ritt über den Bodensee wird es ja wohl gewesen sein, dieses Knabenwagnis. Mit einiger Betroffenheit las ich viel später die Sätze, mit denen Paul Gerhard, 43-jährig, Eintritt in sein erstes Pfarramt begleitete: ‚Ich weiß nun mehr durch Gottes Gnade und habe es genugsam erfahren, was vor Angst oftmals nur allein die große schwere Arbeit demjenigen Prediger mache, der sein Amt treulich meint.‘ Doch will es mir noch jetzt nachträglich wohlgefallen, dass es kein sehr willfähriges, sondern eher ein sprödes Gegenüber war – hartköpfiges Schwarzwaldbauernvolk –, vor dem ich meine Versuche, den Kirchenschlaf zu besiegen, zu wagen hatte. Zwei Jahre später, im regulären Amt, war der Dienst in einem Krematorium der Großstadt, und auch dieser Auftrag war eine strenge und nüchterne Sache. Es half mir, den Cantus firmus des Predigtamtes immer neu zu erfahren, nämlich: Die Botschaft trägt nicht das Larifari der Geschicklichkeit, daran möchte ich erinnern.“ (Albrecht Goess)
Und noch als drittes und letztes ein paar Sätze, die ich selbst aufgeschrieben habe:
Vor ein paar Jahren, am Sonntagmorgen in der Stiftskirche. Die Gemeinde singt das Predigtlied, und ich stehe wieder auf der Kanzel und ordne meine Gedanken. Gleich wird die Orgel auf der Empore verstummen, und dann bin ich dran.
Charles Hutton-Sportschon schrieb einmal in seinen Ratgebern für Seelengewinner: „Das Evangelium ist gute Botschaft.“ Wenn man einige Prediger hört, könnte man denken, das Evangelium sei eine Prise heiligen Schnupftabaks, um die Leute aufzuwecken, oder eine Flasche feurigen geistigen Getränks, um ihr Gehirn zu erregen. Es ist aber nichts von der Art. Es ist eine Botschaft, eine Belehrung, Unterweisung, Ankündigung – so sprach er.
Und dann meine Frage: Ist meine Botschaft in Schlaftabletten gepresst oder in Beruhigungspillen geformt? Habe ich die Belehrung durch Lehrformen ersetzt? Wird meine Unterweisung in Sachen Reich Gottes nur zu Anweisungen, zu Sachen der Mitmenschlichkeit, geraten? Und ist die Ankündigung nur noch eine Abkündigung zum nächsten Gemeindeausflug?
Der Heilige Geist wird sich mächtig ins Zeug legen müssen, wenn durch dieses Manuskript hindurch das Evangelium durchschlagen soll.
Die Verantwortung und Unsicherheit des Predigers
Vor meiner ersten Predigt in Urach legte ein Kollege einen Zettel in die Sakristei mit der Aufschrift: „Ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.“ Diesen Satz vergesse ich an keinem Sonntag, an dem ich auf der Kanzel stehen muss.
Auch heute möchte ich darauf vertrauen, obwohl zwischen dieser Verheißung in der Bibel und meinen Manuskriptblättern auf dem Kanzelbrett eine Entfernung klafft, die so groß ist wie zwischen Himmel, Erde und Hölle.
Sicherheit hatte ich an dieser Stelle noch nie, und bis heute habe ich sie nicht. Sicherheit hatte ich noch nie, aber ich ringe um die Gewissheit, dass Gottes Ja viel sicherer ist als mein Amen.
Unter der Kanzel, drüben, liegt der württembergische Reformator Johannes Prenz begraben. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, an dieser Stelle seine letzte Ruhestätte zu finden. Er sagte: „Wenn hier einer das reine Evangelium nicht predigt, dann fahre ich aus der Grube und hole ihn herunter.“
Weil das keine fromme Legende, sondern Überlieferung ist, schaue ich mit einiger Besorgnis über die Kanzelbrüstung. Natürlich bin ich dankbar für die „Wolke der Zeugen“, die hier die frohe Botschaft weitergegeben und die Gemeinde aufgebaut haben. Selbstverständlich freue ich mich über die Vorarbeit anderer, die auf den Grundstein Jesus bauten und mir nur die Weiterarbeit überließen.
Aber wenn ich mich an ihnen messe, wenn ich daran denke, was für geisterfüllte Prediger diese Männer waren, fast möchte ich meine Hand besänftigend nach unten strecken und sagen: „Johannes, bleib rund, bleib rund, bitte, bitte!“
Johannes Kullenein, der vor hundert Jahren die Gemeinschaftsstunde in Hülten auf der Schwäbischen Alb übernehmen sollte, sagte im Blick darauf: „Da ich Stunden halten sollte, wäre ich lieber nach Amerika ausgewandert oder Stallknecht in einem Wirtshaus geworden.“
Aber sein Onkel Barnard tröstete ihn: „Dein lieber Vater hat Christian geheißen, Christian Friedrich geheißen. Nun musst du nicht meinen, du müsstest Christian Friedrich heißen, sondern bleibe du der Johannes. Du sollst dir’s gefallen lassen, auch wenn du keine solch guten Stunden halten kannst wie der heimgegangene Vater.“
Der Heiland kann aus nichts etwas machen – das ist meine dritte Hauptthese. Kierkegaard hat Recht: Die Ursünde ist das Vergleichen, auch bei uns. Deshalb ist die Ursünde das Vergleichen.
So schaue ich nicht nach dem Grab hinunter. Oben, über der Stiftskanzel, hat der Künstler Fritz von Grävenitz einen mächtigen Gerichtsengel mit ausdrucksvollen Zügen aus der Rundsäule herausgehauen. Er bläst in sein Instrument, wenn die letzten Posaunen erhoben werden und Jesus als der Weltenrichter den Thron besteigen wird.
Wann wird es sein? Die Länge der Zeit ist keine Widerlegung der Wahrheit. Ich kann jedenfalls nichts auf den nächsten Sonntag verschieben, was in diesem Gottesdienst gesagt werden muss.
Ludwig Hofacker wollte einen Schrei tun, solange es heute heißt: „Es ist ein heiliges Muss.“ Das ist es, was mich jetzt sagen lässt, liebe Gemeinde: ein heiliges Muss. Aber...
Acht Gedanken zum Weg der Predigtvorbereitung
Nun diese eigentlich acht Gedanken, die ich habe, sind acht Gedanken über meinen Weg bis zu diesem Endpunkt der Predigt.
Erstens: Der Startpunkt ist immer das Textwort. Der Startpunkt ist immer das Textwort.
1. Der Startpunkt ist immer das Textwort
Ich gehe also nicht von einem aktuellen Thema aus, ob es eine Friedensdiskussion ist oder die Abtreibungsproblematik, sondern ich beginne mit dem in der Perikopenordnung vorgeschriebenen Textwort.
Sicher gibt es auch Themenreihen, und sicher gibt es auch andere Anlässe. Für mich war das Vorgegebensein des Textes immer eine Hilfe. Gerade wenn es nach sechs Jahren wieder dran ist, steht man vor demselben Text, den man schon einmal gepredigt hat. Ihn neu zu predigen, ist eine Herausforderung.
Ich fand es hilfreich, denn das erspart mir die Mühe des Suchens. Es verbietet mir auch, nach Lieblingstexten zu picken. Und einladender werden die Prediger ja wohl nicht, wenn sie die Tagesordnung zur Predigtordnung der Kirche machen.
Wir sind nicht theologische Kommentatoren, sondern geistliche Multiplikatoren. Ein Mann aus der Wirtschaft sagte mir etwas, das Sie sicher auch schon verschiedentlich gehört haben: „Ich will am Sonntagmorgen bei Ihnen nicht die kommentierten Nachrichten vom Fernsehen hören. Ich komme zu Ihnen, um von Ihnen die Nachricht aus der Bibel neu zu hören.“ Dieses Bibelwort ist für mich absolute Autorität.
In einer Auslegung über 2. Petrus 1,16, einer für mich ganz entscheidenden Stelle, habe ich es so gesagt: Immer wieder machen uns literarische Zweifel zu schaffen. Selbst wenn wir an einen historischen Jesus glauben, könnte es ja sein, dass sich an dieser geschichtlichen Gestalt blühende Fabulierkunst entzündet.
Dem Stadtpfeifer zu Hameln zum Beispiel hängten sie eine unglaubliche Entführungsgeschichte an. Dichter wie Goethe und Rabe ergötzten sich daran und machten sich ihren eigenen Reim darauf in Lied und Erzählung.
Oder dem derben Till Eulenspiegel schrieben sie immer lustigere Gaukeleien zu. Erzähler wie Hans Sachs oder Gerhart Hauptmann ließen sich inspirieren und erfanden neue Eulenspiegeleien.
Dem blauäugigen Don Quichote sagten sie immer tollere Abenteuer nach. Ein geistvoller Mann wie Cervantes entwickelte daraus einen ganzen Roman.
Haben sie nach diesem literarischen Muster – und das ist die Zweifelsfrage – diesem predigenden Jesus nicht unglaubliche Geschichten angehängt? Haben sie diesem lehrenden Jesus nicht amüsante Wanderlegenden zugeschrieben? Haben sie diesem wandernden Jesus nicht undurchsichtige Lokalmythen nachgesagt?
Jesus, der Zündstoff für blühende Fabulierkunst. Und jeder, der von der Hochschule kommt, wird sich mit diesen Fragen beschäftigen und auch herumschlagen.
Petrus sagt: Wir sind vom Heiligen Geist getrieben, wir sind von Gottes Kraft angetrieben, wir sind vom himmlischen Energie umgetrieben. Biblische Schriftsteller griffen deshalb zu Papyrus und Tinte, weil Gott sie zum Diktat bestellte.
Er machte sie nicht zu seelenlosen Computern, die Eingaben ausspucken. Mit Fleiß, Verstand und Ausdauer mussten sie ihre Arbeit tun. Aber das Ergebnis war so, dass nicht menschliche Spekulation, sondern göttliche Proklamation weitervermittelt wurde.
Niemand muss Angst haben, beim Bibellesen irgendwelchen Fabulieren auf den Leim zu kriechen. Propheten sind keine Sagenerzähler, Evangelisten sind keine Märchentanten, und Apostel sind keine Romanschriftsteller.
Alle biblischen Schreiber haben in der Vollmacht des Geistes das weitergegeben, was unser Leben erst wert und wertvoll macht. Sein Wort ist wahres, wertvolles und wichtiges Wort.
Ob wir nicht wieder ganz neu Gott beim Wort nehmen sollten – das bewegt mich, wenn ich anfange zu predigen. Dieses Wort ist wahr, es ist wertvoll und es ist wichtig.
Zum Transporteur dieses Wortes zu werden, ist eine großartige, einmalige Aufgabe. Der Startpunkt ist immer das Textwort – das ist der erste Punkt. Und der zweite Punkt: Die Richtungssuche passiert in der Exegese.
2. Die Richtungssuche passiert in der Exegese
Ich möchte verstehen, wohin mich der Text führen will. Die alte, heute oft als überholt und verpönt geltende Methode aus dem ehrwürdigen Tübinger Stift ist für mich eine unersetzliche Hilfe. Ich glaube, sie stammt sogar von Herrn Zink, wenn ich mich recht erinnere, Rolf, oder? Es handelt sich um die Typzages-Methode, das Typzages-Prinzip.
Dabei geht es um den Text, die Übersetzung, Parallelen, den Zusammenhang, Ausdrucke, Gliederung, Einzelexegese und den Korpus. Für mich ist dieser Weg, in einen Text einzutauchen, nach wie vor wertvoll und hilfreich. Otext benutze ich natürlich manchmal, ebenso die hebräische Bibel, wenn ich einen Begriff nachschlage. Ganz lesen kann ich sie nicht mehr, aber immerhin noch das Neue Testament. Übrigens fand am letzten Mittwoch in Tübingen eine Festversammlung zum hundertsten Geburtstag von Nestle statt, der eine einmalige Ausgabe des griechischen Neuen Testaments herausgegeben hat.
Daneben nutze ich immer noch Luther 84 und daneben seltsamerweise auch die Zürcher Bibel. Diese befindet sich gerade in Überarbeitung. Das sind meine grundlegenden Arbeitsmittel. Weitere Hilfen sind für mich die Kommentare, die ich in meinem Schrank habe. Früher wohnte ich neben dem Oberkirchenrat und hatte die Bibliothek des Oberkirchenrats nur über die Straße hinweg. Leider habe ich diesen Zugriff heute nicht mehr. Dennoch schlage ich die Kommentare, die ich besitze, regelmäßig nach.
Für die Predigtvorbereitung rechne ich einen Vormittag ein. Einen Vormittag. Ich habe von Rittelmeier gelesen, dem großen Prediger der Nürnberger Heiliggeistkirche. Er arbeitete von Montag bis Freitag jeweils von acht bis zwölf Uhr an seiner Predigt, machte nachmittags Besuche und empfing Menschen. Samstags war er ganz frei, auch für Anrufe. Das ist wohl kein Vorbild für einen Gemeindepfarrer, aber zumindest eine Zielvorgabe.
Theo Lehmann hat recht, wenn er schreibt, dass er sich nicht dazu entschließen kann, die Predigtvorbereitung auf ein paar Stunden am Samstagnachmittag zu beschränken. Diese Praxis sei nur Faulpelzen und Genies vorbehalten. Wer nicht zum Genie geboren ist und auch nicht gewissenlos faul sein will, bleibt nur, im Bewusstsein der Problematik, der Überforderung und der eigenen Grenzen, seine Arbeit so gut wie möglich zu machen.
Das bedeutet, alle verfügbaren Kräfte in die Predigtarbeit zu investieren, aus dem einfachen Grundsatz, dass das Predigen für einen Prediger die wichtigste Aufgabe ist. Daraus folgt, dass weniger wichtige Dinge in einem vertretbaren Rahmen radikal abgeschaltet werden müssen. Meiner Ansicht nach hat ein Pfarrer weder das Recht noch die Pflicht, an Solidaritätskundgebungen in Form von Arbeitseinsätzen teilzunehmen, wenn dadurch die Arbeit an seiner Predigt beeinträchtigt wird.
Dies ist seine Hauptaufgabe, und ich möchte das betonen und bis heute vertreten. Wer sagt, er habe erst am Samstag mit der Predigt begonnen, hat die Woche falsch geplant – das behaupte ich. Das ist die Aufgabe. Ein Schreiner, der nicht die Woche über zum Schreinern kommt, ist wohl am falschen Platz. Unser Schreinern, unser Arbeiten ist die Predigt.
Die Exegese ist dabei die Spurensicherung. Die Spurensicherung zeigt mir den Weg.
3. Die Spurensicherung zeigt den Weg
Wie ihn andere gegangen sind. Dazu lese ich einmal die mir zur Verfügung stehenden Predigtmeditationen, allen voran Gottfried Volk mit seinen sechs Bänden, dann die neue Kalber Predigt-Hilfe mit zwölf Bänden. Auch habe ich immer noch den alten Eichholz, „Herr, tue meine Lippen auf“, und den unverwüstlichen Stählin.
Selbstverständlich an dieser Stelle auch „Zuversicht und Stärke“. Dann habe ich noch bestellt die homiletisch-liturgischen Korrespondenzblätter, neue Folge, die von Bayern über die Grenze herüberkommen zu uns. Die hausgemachten Ergüsse schwäbischer Theologen im württembergischen Pfarrblättchen namens „A und B“, Arbeit und Besinnung, besser wohl Armut der Innung. Diese dienen mir manchmal mehr der Spurenverwischung als deren Sicherung, sind aber nicht als Urteil gedacht.
Fast noch hilfreicher als Predigtmeditationen sind mir ausgeschriebene Predigten, die ich zu einem mir mit Mühe angelegten Register finde. Entweder regen sie mich so an, dass ich denke: So, so ähnlich musst du es machen. Beziehungsweise genauso musst du auch vorgehen. Geistesblitze anderer dienen meiner Erhellung.
Ich geniere mich überhaupt nicht, bei anderen Predigern abzugucken. Schon Augustin widmete in seiner Homiletik der Benutzung fremder Predigten ein ganzes Kapitel. In De doctrina Christiana IV gibt er den Ratschlag, mit gutem Gewissen die Predigten anderer zu benutzen. Freilich lässt sich die Predigt nicht vom Prediger lösen.
Predigen heißt ja, Zeuge zu sein, die Nachricht weiterzugeben, die Frohbotschaft ins Land hineinzurufen. Und von einem Zeugen wird Glaubwürdigkeit verlangt. Er muss sich ausweisen für das, was er sagt, muss einstehen für sein Wort. Glaubwürdig bin ich aber noch lange nicht dadurch, dass ich meine Predigt ganz allein und selbst mache.
Boren schreibt in seiner Predigtlehre: Für jeden elenden und armseligen Prediger sind Gaben greifbar – für ihn selbst und für seine Hörer, die in gepredigter Predigt warten. Man muss sie nur finden, nehmen und weitergeben. Der Rest ist Dank.
Vor zehn Tagen besuchte mich ein Kollege aus der Nähe von Bremen. Er hatte eine Predigt von mir gepredigt, und zwar wortwörtlich. Ein Kollege, der dabei saß, hat das bemerkt. Daraufhin hat er ihn nicht nur angesprochen, sondern so fertiggemacht, im Gewissen fertiggemacht, dass er im Zug von Bremen bis Urach gefahren ist, sich durchfragte bis nach Hülben und vor meiner Haustür stand – nur um sich zu entschuldigen, sein Gewissen wieder frei zu bekommen.
Ich konnte ihn getrost wieder entlassen und habe ihm diese Sätze auch vorgelesen: Um das geht es nicht. Und wenn er es so gemacht hat, das ist eine Sache. Ich weiß nicht, ob man es vielleicht so machen kann, eine ganze Predigt ohne jeden Hinweis so zu halten. Aber es bleibt dabei: Ein Vogel macht den anderen zwitschern. Und ein geistiges Eigentum gibt es in der Kirche nicht.
Ich möchte predigtlesender Prediger bleiben. Schade, dass so wenig Predigten gedruckt werden – ganze Predigten, nicht immer nur Meditationen mit dem Hinweis: So müssen wir es machen, sondern: So habe ich es gemacht. Davon habe ich am meisten, also die Spurensicherung.
Viertens: Der Fluchtpunkt, der Fluchtpunkt. Nun, ...
4. Der Fluchtpunkt der Predigt
An dieser Stelle halte ich also einen Zettel voller Begriffe, Stichworte, Gedanken, Bilder und Assoziationen in der Hand. Ich gestehe, dass mich seit 35 Jahren an genau dieser Stelle die Schiebverzweiflung überkommt. Früher dachte ich noch, mit dem Alter komme Weisheit, die mir eine schnelle Einsicht und Durchsicht erlaubt.
Aber heute denke ich nicht nur, sondern weiß ich, dass die Verzweiflung mit den Lebensjahren sogar wächst. Wie bringe ich das in eine vernünftige Predigt, sodass die Leute es überhaupt kapieren?
Sicher tröstet mich immer wieder Augustin, der damals am afrikanischen Strand spazieren ging und einen Jungen traf. Sie kennen ja die Geschichte: Der Junge schöpfte mit einem Eimerchen immer wieder Wasser aus dem Meer und goss es zurück. Augustin blieb stehen und fragte den Jungen: „Was machst du denn da?“ Er antwortete: „Ich will das Meer ausschöpfen.“
Augustin lächelte und merkte: So wenig dieser Junge das Meer ausschöpfen kann, so wenig kann ich diesen Text, so wenig kann ich die Tiefe Gottes erschöpfen. Wir müssen den Text nicht ausschöpfen beziehungsweise erschöpfend behandeln. Wir brauchen nicht alles, was in den Versen drinsteckt, zu bieten. Es genügt, wenn wir einige Gesichtspunkte zum Leuchten bringen.
Denn was unser Leben in Wirklichkeit trägt, so Manfred Seitz in einer Vorlesung, sind Erleuchtungen, sind ein paar Einsichten, sind ein paar Erkenntnisse. Noch einfacher, fast kindlich formuliert: Ich möchte, dass mich der Prediger bei der Hand nimmt und sagt: „Sieh, schau, siebzigmal im Matthäusevangelium steht dieses ‚Siehe‘.“ Das ist Trost.
Aber das Suchen, Fragen und Quälen nach dem Fluchtpunkt bleibt. Ich möchte gern die Predigt auf einen Punkt bringen. Der Zielsatz soll hängenbleiben, das Thema muss klar sein. Nur wenn es mir ganz klar ist, kann es auch den Hörern klar werden – anderen nicht.
Fünftens: Die Rudenskizze.
5. Die Rudenskizze – die Gliederung der Predigt
Der Stoff ist gesammelt, jetzt beginnt die unbarmherzige Not der Konstruktion. So hat Jochen Klepper angesichts der zahlreichen Manuskriptzeiten für seinen Roman Der Vater in seinem Tagebuch geschrieben.
Der Stoff ist gesammelt, jetzt beginnt die unbarmherzige Not der Konstruktion. In der Homiletik heißt es zwar nicht Konstruktion, sondern Partition, Predigt oder Gliederung, aber die Not ist genau dieselbe.
Meine Route soll gegliedert, überschaubar und behaltbar sein. Die berühmten drei Punkte halte ich nach wie vor für eine gute Hilfe. Für mich sind sie eine Gedächtnishilfe. Ich denke, es ist ein lineares Denken, und alles war da.
Da sagt eine liebe Gemeinde: „Jetzt kommt der zweite Teil.“ So dachte ich, eine Möglichkeit ist, es als Zuhörerhilfe zu nutzen. Jetzt weiß ich: Aha, jetzt kommt der zweite Punkt. Und für mich ist drittens eine Repetierhilfe: Was hat der Pfarrer gesagt? Wenn ich über diese Stufen Bescheid weiß, kann ich es besser behalten.
Es muss nicht unbedingt sichtbar sein, diese drei Punkte, so wie ich bei Doktor Hans Lauer in Neu-Dettelsau gelesen habe. Er hat am Schluss seiner Predigt Folgendes gesagt:
„So stand es irgendwo aufgeschrieben: Nachdem wir den Text behandelt haben, wiederholen wir noch einmal die Gliederung: Von der Liebe Gottes zu uns, von der Liebe Gottes zu den Menschen und dann von der Liebe der Menschen untereinander. Amen!“
Und dann fuhr er fort: „Die Gemeinde ist noch bekannt zu geben, eingelegt waren drei Mark sechzig, ein loses Hosenband, oh, hütet euch vor eitlem Tand, Amen!“ Also so kann man es natürlich auch machen.
Aber immerhin gebe ich mir viel Mühe, um diese drei Punkte zu formulieren. Nicht immer gelingt es so gut wie bei dem alten Meister der Gliederungen, nämlich Friedrich von Bolschwing dem Jüngeren.
Ich halte lebendig und frei zu dem Bedeutendsten, was in der Predigtliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts existiert: seine Predigt über Apostelgeschichte 20. Er beginnt so:
„Liebe Gemeinde, in diesem Text zeigt uns der Apostel drei Merkmale seiner lebendigen Gemeinde. Diese drei Merkmale sehen so aus: nach den schwach ausgestreckten Händen, auf das Wort Jesu horchende Herzen und zum gehorsamen Gebet gebeugte Knie.“
Wenn Karl Barth einmal gesagt hat, Wissenschaft sei die geordnete Darstellung eines geistigen Vorgangs, so könnte man auch sagen: Predigt ist die geordnete Darstellung eines geistlichen Vorgangs. Das glaube ich.
Durch eine übersichtliche Routenskizze will ich den Hörern und mir selbst das Verstehen des Textes beziehungsweise der Textspitze erleichtern. Sicher, für manche ist das mit diesen drei Punkten ein Prokrustesbett, ich weiß das. Aber für mich ist es nach wie vor ein Flussbett.
Für mich ist Frau Gusewitt immer noch besser als ein Flussbett, in dem alles fließt und plätschert.
Die Routenskizze – sechstens die Verschnaufpause. Sechstens die Verschnaufpause.
6. Die Verschnaufpause
Manche Dinge bekomme ich durch äußeren und inneren Druck einfach nicht vom Tisch. Die Post zum Beispiel, ein Telefonanruf, ein Geburtstagsbesuch oder eine Sitzung – das kann ich erledigen.
Die Predigt jedoch lässt sich nicht einfach erledigen; das kann ich nicht. Ich kann sie nicht wie einen Brief herunterschreiben. Spätestens nach Punkt vier, meistens jedoch schon früher, brauche ich eine Verschnaufpause von einer Nacht. Der Kaffee muss sich setzen, der Tee muss ziehen, der Teig muss gehen, die Predigt muss wachsen.
Für mich ist das eine besondere Zeit des Gebets. Von den Malern der Ikonen habe ich gelesen, dass sie sich intensiv durch Beten und Fasten auf ihre Arbeit vorbereiten. Etwas von diesem Ernst der Vorbereitung soll auf meine Predigtarbeit abfärben. Sicher wird das Gebet erst dort verstanden, wo es zum Ton wird, der mein ganzes Leben durchzieht.
Der Lectio continua entspricht die Oratio continua, das dauernde Gebet. Aber in den Tagen vor dem Predigtsonntag kommt es doch zu einer besonderen Verdichtung. Boren hat Recht: Die innere Gestalt der Predigt ist das Gebet.
Und wenn Augustinus ausgerufen hat: „Sei zuerst Beter, dann Sprecher“, so möchten wir dieses Augustinuswort variieren: Sei betender, sei betender Sprecher.
Ich möchte klar sagen, dass ich das für das Schönste am Ruhestand überhaupt halte, solange man noch Kraft hat, dies zu verwirklichen, was vorher nicht möglich war – diese Zeit zu haben, auch für die Oratio, die Lectio Oratio, die Oratio continua.
Mich hat beeindruckt, dass in Adolph Monots Predigtmanuskripten mehrfach am Rand Gebetsausrufe gefunden wurden. Das ist ein Zeugnis dafür, wie sehr der Prediger ein betender Prediger war.
Sporchen mahnt: Betet immer, auch noch auf der Kanzel, während ihr das Lied anstimmt, während ihr das Kapitel lest und während ihr predigt. Haltet die eine Hand leer zu Gott empor, damit er sie fülle, und teilt mit der anderen das aus, was ihr empfangen habt, an die Gemeinde.
Seid während der Predigt wie das Rohr einer Wasserleitung, durch das die unerschöpflichen Gaben des Himmels den immer bedürftigen Menschen zuströmen. Um das zu können, müsst ihr aber bis in den Himmel reichen, und die Leitung darf nicht unterbrochen sein.
7. Die verschiedenen Predigertypen
Wenn ich richtig sehe, gibt es drei Typen von Predigern. Den ersten Typ könnte man den wortwörtlichen Typ nennen. Er bereitet seine Predigt wortwörtlich vor und trägt sie dann auch genauso vor, wie er sie ausgearbeitet hat. Diesen Predigertyp vertritt Philipp Jakob Spener. Er schrieb jedes Wort auf, predigte es so und trug direkt anschließend in der Sakristei das nach, was er im Predigtvollzug noch anders formuliert hatte.
Den zweiten Typ könnte man den Skizzentyp nennen. Ihn vertritt Wilhelm Löhe. Auch er bereitete ein relativ wörtliches Konzept vor, legte es dann aber beiseite und schuf die Predigt auf der Kanzel völlig neu. Durch seine gründliche Vorbereitung hatte er sich so sehr in den Stoff vertieft, dass ihm dieses Verfahren möglich war. Bei Löhe blieb kein Stein auf dem anderen.
Der dritte Typ ist der geniale Typ. Wilhelm Schleiermacher stand am Sonntagmorgen gegen fünf Uhr dreißig auf und stellte sich ans offene Fenster. Er blieb etwa anderthalb Stunden am leicht geöffneten Fenster stehen und bereitete seine Predigt ohne jedes Hilfsmittel vor, auch ohne die Bibel – ganz im Gegensatz zur Klugheit eines Löhe.
Da mir die Genialität eines Schleiermachers fehlt, muss ich mich an den wortwörtlichen Typ halten. Mir fällt nichts in den Schoß, ich kann nichts aus dem Ärmel schütteln. Wenn ich etwas aus dem Ärmel schütteln will, kommt nur das Innenfutter heraus. Ich schreibe also wortwörtlich auf, was ich sagen will. Gerne hätte ich es anders, auch heute noch. Aber auch hier gilt es, ein fröhliches Ja zu seinen Grenzen zu sagen. Ein fröhliches Ja zu seinen Grenzen hilft weiter.
Zugegeben, das ist mühsam, zeitraubend und oft genug verzweiflungsvoll. Aber wörtlich schrieb Theolemann: Nur mit einem enormen Zeitaufwand lässt sich Qualität erreichen. Durch intensive Ausfeilung der rhetorischen Zeit der Predigt wird diese nicht steriler, sondern farbiger und lebendiger.
Die raffinierten Wortspiele, die einem Kabarettisten mit Leichtigkeit im Unterhaltungston hervorsprudeln, sind schließlich keine Stehgreifimprovisationen. Ihre ungekünstelte Natürlichkeit resultiert aus der großen Kunst dieses Mannes, seine Filigransätze genau vorzubereiten und sie dann so vorzutragen, dass man die Arbeit nicht auf den ersten Blick bemerkt.
Und jemand meinte: Was einem Kabarettisten recht ist, soll einem Prediger billig sein – auch wenn es in teurem Schweiß kostet.
Auf meinem Wort, auf meinem Marsch leiten mich hauptsächlich vier Punkte:
A) Ich will es einfach sagen. Kompliziert zu reden ist kein Kunststück. Die Herausforderung liegt darin, einfach und schlicht zu reden. Was ich einem Konfirmanten nicht verständlich machen kann, habe ich selbst nicht richtig verstanden.
B) Ich will es erzählend sagen. Heute spricht man gerne von narrativer Theologie, obwohl man darunter sehr Verschiedenartiges versteht, oft reflektierendes und gerade nichts Erzählerisches. Viele Teile des Alten und Neuen Testaments sind erzählt, und dies möchte ich nacherzählen. Auch paulinische Briefteile können oft durch biblische Geschichten ausgelegt werden. Diese Gelegenheiten lasse ich mir nicht entgehen. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene hören gerne Geschichten.
C) Ich will es bilderreich sagen. Die Ployer hat gewiss überspitzt formuliert: Nicht in Ideen spricht man zu den Menschen, man spricht zu ihnen in Bildern. Mit Ideen schafft man Klarheit, aber durch Bilder ergreift man die Menschen und kommt an sie heran. Die Verdeutlichung des Wortes erfolgt nicht nur in Begrifflichkeit, sondern auch in Bildhaftigkeit. Einfache vergleichbare Illustrationen aus der Zeitung oder Episoden aus dem eigenen Leben dienen der Veranschaulichung.
Bei Bohren habe ich gelesen, dass Bortschen aus den zweiundzwanzig Bänden von Thomas Menzens alle Bilder herausgenommen und sie zum Gegenstand einer eigenen Meditation gemacht hat. Ich habe viele Bilder bei Walter Lüthi gefunden und sie frei verwendet. Man ist doch im Bilde, wenn es im Bilde gesagt werden kann.
D) Ich will es kurz sagen, nach dem Schlüsselsatz Betzels: Auf kleinstem Raum mit den geringsten Mitteln. Bitte, zusammen zwanzig Minuten sind genug. Ich habe über Jahre hinweg mit meinen Söhnen und den Konfirmanten ausgemacht, dass sie in meinem Gottesdienst ab der 21. Minute laut aufstehen und die Kirche lärmend verlassen dürfen. Es kam zu diesem Aufstand jedoch nie.
Ich behaupte, dass wir das, was wir in 20 Minuten nicht angemessen sagen können, bei einem Gottesdienst auch nicht in 30 oder 40 Minuten schaffen. Sicher gibt es Ausnahmen von der Regel. Thielige habe ich in Hamburg fast 60 Minuten gespannt zugehört.
Weil ich dieses Format nicht besitze, halte ich mich an die Kurzrede. Ein Happy End muss die Predigt nicht haben, aber ein Ende sollte sie haben.
Und einer hat ja gesagt: Manche Prediger kommen mir vor wie eine Henne, die in einem Zaun entlangrast und keinen Ausgang findet.
8. Der Endspurt: Meditieren und Memorieren
Endlich ist die Predigt zu Papier gebracht. Statt wie früher im Armen schreibe ich nun, wie Bach, die Initialen Soli, Dio, Gloria. Nicht nur ein Stein, nein, ein ganzes Gebirge fällt mir vom Herzen.
Nun folgt der Endspurt: Paarsätze Nummer acht. Ich meditiere und memorieren. Dabei tippe ich meine Predigt ab und präge sie mir so ein.
Am Samstag, wenn es mir dann so geht, wie Theolemann erzählt hat: Wenn ich mit einer Predigt schwanger gehe, bin ich reizbar. Noch nie habe ich den Abend vor einer Predigt außerhalb meines Hauses verbracht, außer zu dienstlichen Zwecken.
Ich bereite mich darauf vor, fromme Routiniers aus ihrer Sicherheit aufzuscheuchen, verhärtete Seelen aufzubrechen, in den Gottessinsten gezwungene Konfirmanden sowie trauernde Hilfesuchende anzusprechen und Menschen das Leben zu retten.
Jeder Handgriff muss sitzen. Die morgige Predigt kann für irgendeinen Hörer die entscheidende Wendung in seinem Leben bringen.
Abschluss und Ermutigung
Zum Abschluss noch einige Sätze aus einer Beschreibung von Albrecht Goes, mit der er seinen Text beendet.
Sollte sich unter den Lesern meines Buches ein Mitprediger befinden, der über unsere besondere Aufgabe müde geworden ist – diese eigentümlich danklose und wohl auch zuweilen resonanzlose Aufgabe –, so möge er sich mit dem Verfasser dieses Textes, der diese Müdigkeit kennt, zu folgendem Geständnis vereinen: Was hier geopfert wurde, war kein Opfer.
War es Mühe, so wollen wir es, nach Felix Ohnushänge, eine glückselige Last nennen.
Ich wünsche Ihnen neue Freude an dieser glückseligen Last und danke fürs Zuhören.