Einleitung: Die Struktur des Korintherbriefs und Paulus’ Schwerpunktsetzung
Dann schlagen wir also 2. Korinther 1 auf und lesen den Text. Ich werde nun versuchen, so viel wie möglich aus diesem ersten Teil vorzulesen. Man kann den Korintherbrief in drei Teile gliedern.
Im ersten Teil geht es darum, dass Paulus seinen Dienst erörtert. Sieben Kapitel lang beschäftigt sich Paulus mit diesem Thema. Wir sind natürlich interessiert und fragen uns gespannt, womit Paulus beginnt, wenn er seinen Dienst erörtert. Was setzt er an den Anfang?
Wir sind auch neugierig, wie er die Schwerpunkte setzt, also welche Punkte er in welcher Reihenfolge nennt. Wahrscheinlich würden wir denken, dass Paulus, wenn er über seinen Dienst spricht, zuerst von seinem Predigtamt oder seiner Apostelschaft redet. Vielleicht erwartet man, dass er seine apostolische Vollmacht und die apostolischen Zeichen und Wunder erwähnt, die er vollbracht hat.
All diese Dinge werden in diesem Brief zwar erwähnt, aber sie kommen erst weiter hinten vor.
Der Beginn des Briefes: Gottes Trost in Drangsal
Ja, und lasst uns jetzt, nachdem ich diese Frage so gestellt habe, 2. Korinther Kapitel 1 aufschlagen und hier lesen, von Vers 1 an:
Paulus, Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, grüßen die Versammlung Gottes in Korinth samt allen Heiligen, die in ganz Achaia sind. Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Drangsal, damit wir die trösten können, die in allerlei Drangsal sind, durch den Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden.
Denn gleichwie die Leiden des Christus gegen uns überschwänglich sind, so ist auch durch den Christus unser Trost überschwänglich. Es sei aber: Wenn wir bedrängt werden, so ist es um eures Trostes und Heiles willen. Das bewirkt wird im Ausharren in denselben Leiden, die auch wir leiden.
Unsere Hoffnung für euch ist fest. Es sei: Wenn wir getröstet werden, so ist es um eures Trostes und Heiles willen. Dabei wissen wir, dass gleichwie ihr der Leiden teilhaftig seid, also auch des Trostes.
Denn wir wollen nicht, dass ihr unkundig seid, Brüder, was unsere Drangsal betrifft, die uns in Asien widerfahren ist. Wir wurden übermäßig beschwert, über Vermögen, so dass wir selbst am Leben verzweifelten. Wir hatten das Urteil des Todes in uns selbst.
Das geschah, damit unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt. Er hat uns von so großem Tod errettet und wird uns weiterhin erretten. Auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt.
Dabei wirkt auch ihr durch das Fliehen für uns mit, damit durch viele Personen die uns verliehene Gabe durch viele für uns Danksagung dargebracht werde.
Paulus’ Gewissenszeugnis und das Vertrauen in die Korinther
Denn unser Rühmen ist dieses: das Zeugnis unseres Gewissens, dass wir in Einfalt und Lauterkeit Gottes nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes unseren Verkehr gehabt haben. Dies gilt in der Welt am meisten bei euch.
Denn wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr kennt oder auch anerkennt. Ich hoffe aber, dass ihr es bis ans Ende anerkennen werdet. Ebenso, wie ihr auch uns zum Teil anerkannt habt, dass wir euer Ruhm sind, so wie auch ihr der unsrige seid am Tage des Herrn Jesu.
In diesem Vertrauen wollte ich vorher zu euch kommen, damit ihr eine zweite Gnade hättet. Außerdem wollte ich bei euch hindurch nach Mazedonien reisen und wiederum von Mazedonien zu euch kommen und von euch nach Judäa geleitet werden.
Habe ich nun, indem ich mir dieses vornehme, mich etwa der Leichtfertigkeit bedient? Oder was ich mir vornehme, nehme ich mir nach dem Fleische vor, damit bei mir das Ja Ja und auch das Nein Nein wäre?
Gott aber ist treu, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist – durch mich, Silvanus und Timotheus – wurde nicht Ja und Nein, sondern es ist Ja in ihm.
Denn so viele der Verheißungen Gottes sind, in ihm sind sie das Ja und in ihm das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns. Der uns aber mit euch befestigt in Christus und uns gesalbt hat, ist Gott. Er hat uns auch versiegelt und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben.
Paulus’ Beweggründe für sein Verhalten und die Gemeinschaft im Glauben
Ich aber rufe Gott zum Zeugen an, auf meine Seele, dass ich, um eueretwillen zu schonen, noch nicht nach Korinth gekommen bin. Nicht, dass wir über euren Glauben herrschen, sondern wir sind Mitarbeiter an eurer Freude, denn ihr steht durch den Glauben.
Ja, Paulus schreibt diesen Brief an die Korinther, indem er, wie wir gestern Abend schon sahen und auch hörten, seinen Dienst und sich selbst verteidigen muss. Hier klingt schon an, dass er den Korinthern erklären muss, warum er entgegen seiner zuerst geäußerten Absicht noch nicht zum zweiten Mal gekommen war. Das hat man ihm zum Vorwurf gemacht.
Deshalb muss er jetzt seinen Dienst und auch sich selbst erörtern, verteidigen und darüber sprechen. Man hätte eigentlich nicht erstaunt sein können, wenn Paulus so angefangen hätte und gesagt hätte: Hört mal, ich bin ein Apostel Gottes. Gott hat mich gesandt, ihr seid durch mich zum Glauben gekommen, ich habe euch etwas zu sagen, und jetzt bitte benehmt euch.
Das wäre eigentlich das Normale und Erwartete gewesen. Oder dass er sich darauf berufen hätte: Schaut, was Gott durch mich alles gemacht hat. Wir haben dort und dort und überall Gemeinden gegründet. Ich erinnere mich gut an ein Gespräch vor vielen Jahren mit jemandem, den ich nicht in guter Erinnerung habe. Als ich ihn vorsichtig fragte, warum er dies und das auf eine bestimmte Weise machte, wusste er nicht anders zu antworten, als zu sagen: Durch mich sind so und so viele Leute in die Mission gegangen, ich habe so und so viele auf die Beine gestellt.
Sofort präsentierte er all das, was er geleistet hatte, um damit zu zeigen: Ich bin jemand, ich habe etwas zu sagen, und das sollst du nur merken. Aber gerade so macht es der Apostel Paulus überhaupt nicht.
Paulus’ Selbstverständnis als Apostel und die Ausrichtung auf Gott
Nun folgen wir Schritt für Schritt seinem Gedanken.
Paulus, Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen – so beginnt er fast jeden seiner Briefe, insbesondere seine Lehr- und Gemeindebriefe. Er bezeichnet sich als Gesandter Jesu Christi. Damit will er ausdrücken, dass er nicht in eigener Sache handelt, spricht oder unterwegs ist. Er betont zudem: „durch Gottes Willen“. Wir werden gleich sehen, warum dieser Zusatz hier besonders wichtig ist.
Timotheus, der Bruder, wird ebenfalls genannt. Er ist kein Einzelkämpfer, sondern erkennt an, dass es Mitarbeiter und Brüder gibt. Wie wir gestern bereits gesehen haben, dienen sie gemeinsam an derselben Sache und sind aufeinander angewiesen.
Dann folgt Vers 3: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ Paulus beginnt in fast allen seinen Briefen nach der Anrede und Selbstvorstellung mit einem Dank. Entweder sagt er, dass er Gott für die Empfänger dankt, oder er preist Gott, wie hier. Er erkennt an, dass alles von Gott kommt, und lobt ihn für alles, was Gott wirkt. Dieses Lob steht für Paulus an oberster Stelle.
Das soll auch bei uns so sein. Es ist wichtiger als alles andere, wichtiger als Recht zu haben oder sich durchsetzen zu können. Ja, es ist wichtiger, dass Gott geehrt wird.
Warum preist Paulus den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus? Es gibt viele Gründe dafür. Hier nennt er einen ganz bestimmten: „Weil er der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes ist, der uns tröstet.“
Die Bedeutung des Trostes in der Drangsal
Ja, warum brauchen wir den Trost? Er tröstet uns in unserer Drangsal. So beginnt Paulus hier, von Drangsal zu reden, von Leiden, die er durchmachte, und von Nöten, durch die er hindurch musste.
Er spricht nicht davon, dass er ein großer Streiter sei, jemand, der allem kühn gegenübertritt, sich in die Fäuste spuckt, die Ärmel zurückkrempelt und darauf losmarschiert. Stattdessen betont er, dass er in all diesen Nöten und in dieser Drangsal vollständig auf Gott angewiesen ist, war und noch sein wird.
Gegen Ende des Briefes werden wir das wiedersehen. Es kommt bei Paulus immer wieder zum Ausdruck, wie sehr er sich seiner völligen Schwachheit und Unfähigkeit bewusst ist. Er redet ganz offen darüber, gibt Gott die Ehre und sagt: Wenn ich irgendetwas bin, dann bin ich es durch Gottes Gnade. Und wenn irgendetwas durch mich geschehen ist, dann hat Christus das gewirkt.
Wenn ich durch Not hindurchgekommen bin, dann weil Gott, der Erste, tröstet. Sonst hätte ich das auch nicht tragen können. Er ist der, der die Toten auferweckt, der solche heraushebt und durchträgt, die keine Kraft mehr haben – so wie die Toten nichts mehr tun können.
Paulus lenkt beständig die Aufmerksamkeit der Korinther auf Gott. Das ist Weisheit, das ist Zeugnis einer wahrhaft geistlichen Gesinnung, die Art eines Knechtes Christi. Obwohl Paulus von sich reden muss, seinen Dienst erörtern und einiges rechtfertigen muss, richtet er die Blicke der Korinther beständig auf Gott den Vater und Christus den Sohn.
Denn dort liegt die einzige Hilfe. Die Korinther können nur zurechtkommen, wenn sie ganz neu und noch tiefer im Herrn selbst verankert werden. Dann kann auch unter diesen Umständen allein die Beziehung wieder so werden, wie sie zwischen Paulus und den Korinthern war: eine unbeschwerte Beziehung, ein nicht hinterfragtes Vertrauen zueinander.
Genau das wird verunmöglicht, ja sogar verhindert, wenn man sich in einer Situation wie Paulus’, in der man hinterfragt oder angegriffen wird, auf sich selbst beruft. Wenn man von sich redet, sich verteidigt und auf das verweist, was man selbst alles geleistet hat, bringt das die anderen nur noch mehr in die Defensive oder macht sie noch angriffiger.
Dann stehen sich die Beteiligten wie Feinde gegenüber, eingegraben in Schützengräben, und jeder will sich einfach behaupten. Das ist eine ganz elende, furchtbare Sache.
Von Paulus können wir hier wirklich etwas lernen: Er lenkt den Blick auf Gott.
Gottes Charakter als Vater der Erbarmungen und Tröster
Lass uns jetzt sehen, was er über Gott sagt. Er sagt ja wunderbare Dinge. Gott wird genannt „Vater der Erbarmungen“ – was für eine Bezeichnung! Ich kann mir vorstellen, dass sich vielleicht einige Korinther geschämt haben und gemerkt haben, wie anders Gott ist als wir. Das ist ja gut so.
Wie anders ist Gott als wir! Wie unbarmherzig sind wir oft. Wie gerne sehen wir die Fehler bei anderen und nutzen sie zu unserem Vorteil aus. Wie unbarmherzig sind wir! Gott hingegen ist der Vater der Erbarmungen und tröstet uns alle. Er tröstet wirklich.
Was ist es, das uns tröstet? Ich nenne einfach drei Dinge. Wir hörten vorhin etwas von Marc. Etwas, das uns tröstet, ist: Wir wissen, dass unser Herr dasselbe erlitten hat. Es gibt nichts, wirklich nichts, was wir durchmachen müssen – keine Enttäuschung, kein Leid, kein Unrecht, keine Krankheit, keinen Schmerz, keinen Verlust – nichts, das der Herr nicht durchgemacht hat. Es gibt keine Versuchung, die uns plagt, drückt oder quält, die der Herr nicht auch erfahren hätte, nicht eine einzige. Er ist durch alles hindurchgegangen. Darum kann er mitempfinden.
Und wir wissen: Der Herr sitzt nicht einfach da wie jemand auf einem Direktorensessel, der von dort aus Direktiven gibt. Die Menschen, die die Direktiven bekommen, müssen dann zusehen, dass sie den Auftrag erfüllen und anschließend den erfolgreichen Abschluss melden. Nein, er ist jemand, der uns in allem vorangegangen ist. Das tröstet uns. Jemand, der mit den Weinenden geweint hat.
Dann das Zweite, und jetzt komme ich auf den Willen Gottes – das ist das Zweite, was ich hier nennen will, was uns tröstet. Paulus kann sagen: „Ich bin Apostel durch Gottes Willen.“ Das heißt, alles, was dazu gehört, ist von Gott bestimmt. Ich bin ja nicht aus eigener Wahl Christ geworden und dann Diener Christi und Apostel. Gott hat das für mich gewählt und bestimmt. Nach seinem Willen bin ich, was ich bin – ein Apostel.
Oder wir können sagen: Christen mit dieser oder jener Aufgabe in der Gemeinde, an Menschen um uns herum, sind von Gott gesetzt, nach seinem Willen – mit allem, was dazugehört. So ist es keine Entgleisung, wenn plötzlich Nöte, Leid, Schmerzen oder Drangsal auftreten. Das geschieht nach Gottes Willen.
Wenn es aber nach Gottes Willen geschieht, dann muss es gut sein. Es kann nicht schlecht sein. Es muss guten Absichten dienen. Gestern haben wir uns ja das eine oder andere Beispiel dafür in Erinnerung gerufen. Das ist ein zweiter Trost – das tröstet uns.
Und das Dritte, das uns tröstet: Gott sagt uns zuerst, dass er uns beisteht, dass er da ist und mit uns empfindet. Dann lässt er uns daran denken und ruft uns in Erinnerung: „Es geschieht nach meinem Willen, von mir aus ist die Sache geschehen.“ Und drittens lehrt er uns, er sagt uns, dass daraus gute Ergebnisse entstehen, dass gute Früchte daraus wachsen.
Die Früchte der Drangsal: Trost weitergeben und Demut lernen
Aus diesem Leiden halten wir die guten Ergebnisse fest, die Paulus nennt: Gott tröstet uns in all unserer Drangsal, damit wir die trösten können, die in allerlei Drangsal sind. Das ist ein erstes gutes Ergebnis aller Drangsal. Wir lernen, das zu tun, was der Herr mit uns tut. Er ist durch alle Drangsal hindurchgegangen, darum kann er uns trösten. Und jetzt führt er uns durch Drangsal hindurch.
Jetzt können wir andere trösten. Wir dürfen dieses Werk des Trösters tun – des Tröstens. Das ist großartig. Und das lernen wir durch Drangsal, durch Not, Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Rückschläge, durch die Gott uns führt.
Ich las vor zwei oder drei Jahren eine Predigt von Spurgeon. Der Titel hat mich angesprochen, und ich dachte, die muss ich lesen: Some sweet fruits on a thorny tree – einige süße Früchte an einem dornigen Baum. Der dornige Baum sind die Leiden, aber daran wachsen köstliche Früchte. Eine dieser Früchte ist genau die, die er nennt.
Wir suchen ja alle – ich hoffe, wir tun das – nicht alle sind gleich dazu berufen und begabt, aber doch suchen wir alle, als Christen mit einem Herz für Gottes Sache und Gottes Volk. Wir suchen den Schlüssel zu den Herzen der Menschen, den Zugang zu den Menschen. Nicht, weil wir sie manipulieren wollen, sondern weil wir ihnen dienen wollen. Wie finde ich den Zugang zu ihm, um ihm wirklich dienen zu können? Wo ist dieser Schlüssel?
In dieser Predigt sagt Spurgeon, dass der Schlüssel zu den Herzen der Menschen in der engen Kammer des Leidens aufgehängt ist. Darum führt uns Gott in die enge Kammer des Leidens. Dort ist dieser Schlüssel. Durch die Drangsal, durch die Not, durch die wir gehen müssen, werden wir fähig, andere zu verstehen und zu trösten.
Leiden macht uns eben klein. Das ist ein zweites Gutes. Es macht uns einfach klein. Und wir müssen klein sein, um den Zugang zu den Menschen zu finden. Das ist einfach so. Vor Großen haben wir Ehrfurcht und Respekt, aber wir hüten uns, wie wir uns vor ihnen geben, weil wir nicht genau wissen, wie wir da ankommen und was sie nachher mit uns anstellen.
Unser Herz öffnen wir jedoch ohne Sorge und ohne Kummer jemandem, von dem wir wissen, dass er harmlos und arglos ist – er ist klein. Leiden macht uns klein.
In derselben Predigt sagt Spurgeon, dass ihn die Leiden, durch die er hindurch musste – verschiedener Art –, auch Angriffe und Treulosigkeit von Brüdern, sehr klein gemacht haben. Von Brüdern angegriffen zu werden, dazu kam noch die Gicht, die er hatte, die ungeheuer schmerzhaft war. Damals gab es keine Heilmittel dafür, außer einer Kur an der französischen Mittelmeerküste, die aber nicht viel Linderung brachte.
Er sagt: All diese Schmerzen, dieses Leiden, haben mich so klein gemacht, dass ich dankbar wurde für die kleinste Aufmerksamkeit oder Zuwendung auch des schwächsten und sonst kaum beachteten Bruders. Das ist eine gute Sache. Und ich wurde dadurch so klein, dass ich klein wurde wie ein Wurm, der sich durch jenes Loch schlüpfen konnte, das ein Wurm in einer Nuss zurücklässt.
Leiden macht uns klein, und das ist uns wohl allen bekannt, wie Paulus sich selbst immer kleiner ansah. Je länger er lebte und je älter er wurde, desto kleiner wurde er in seiner Selbsteinschätzung. Dadurch wurde er jemand, der wirklich – wie dieser Brief und alle seine Briefe zeigen – den Schlüssel zu den Herzen der Menschen hatte.
Wer liest nicht den Apostel Paulus und merkt, dass da einer redet, der weiß, worum es geht, der mich genau anspricht? Natürlich ist es Gottes Geist, der ihn inspirierte, aber Paulus war kein Medium, durch das Gottes Geist und Gottes Wort hindurchrauschten wie Nachrichten durchs Radio. All diese Wahrheiten nahmen in ihm zuerst Gestalt an und formten ihn, sodass er entsprechend denken, urteilen und schreiben konnte.
Diese Not, die er durchmacht, befähigt ihn, andere zu trösten. Und dann macht sie ihn klein. Davon sprechen besonders die Verse 8 bis 11 in 2. Korinther 1,3-11.
Die Drangsal in Asien und das Vertrauen auf Gott
Ich will es hier zwar etwas anders formulieren, aber es hängt damit zusammen. Paulus spricht von einer großen Drangsal, die ihn und die Brüder in Asien widerfahren ist. Er sagt nicht, welche genau.
Einige nehmen an, es sei jener Tumult in Ephesus gewesen. Wenn wir jedoch Apostelgeschichte 19 lesen, sehen wir, dass Paulus selbst nicht in diesen Tumult hineingeriet. Die Brüder hinderten ihn daran. Er sollte sich nicht in dieses brodelnde Meer von aufgebrachten Griechen begeben – und das war nicht ohne Grund. Wenn eine brodelnde Masse von Griechen in entsprechender Laune ist, ist man vor nichts sicher. Sie haben Paulus daran gehindert.
Wir wissen also nicht genau, was es war. Es könnte jener Tumult gewesen sein, aber ich nehme eher an, dass es etwas anderes war. Wichtig ist, dass es eine solche Not war, durch die wir übermäßig beschwert wurden. Das griechische Wort hat ungefähr diese Bedeutung: eine übermäßige Last auf ein Lasttier legen, so schwer, dass das Tier darunter zusammenbricht und nicht weiter kann. Ebaräthämenbaros – das ist eine solche Last.
Dann sagt Paulus, dass wir verzweifelten. Hier steht eigentlich, dass wir überhaupt keinen Ausweg fanden. Dieses Wort wird genau so verwendet: wir sahen keinen Ausweg. Und dann, in Vers 9: „Wir hatten das Urteil des Todes in uns selbst.“ Ich nehme an, das ist so zu verstehen, wie Luther es umschreibt: Wir hielten dafür, dass wir sterben müssten. Genau das. Oder wir hatten das Todesurteil selbst über uns gefällt. Sie dachten: Jetzt ist es aus, jetzt ist wirklich alles vorbei – ganz am Ende.
Jeden Ausweg und auch jede Fähigkeit, irgendwie etwas dagegen zu unternehmen, sahen sie nicht mehr. Dann steht hier: „auf dass unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott.“ Das ist die dritte Frucht, die ich hier gesondert nennen will. Leiden macht uns klein. Von einer anderen Seite betrachtet lehrt uns Leiden, unser Vertrauen auf Gott zu setzen.
Solche Situationen, in denen wir übermäßig beschwert werden und keinen Ausweg sehen, lassen uns nichts anderes übrig als Gott. Das erinnert mich an Hiob. Hiob beklagte diesen Umstand zuerst, aber er wurde ihm zum Segen. Er sagt: „Ich bin eingeschlossen ringsum“ (Hiob 3). Er konnte nirgends hin, sah keinen Ausblick, da war auch keiner. So war er eingeschlossen, und ihm blieb nur noch eines: Gott selbst. Das war sein Glück.
Das erinnert uns an eine Situation, in die Gott das Volk Israel führte. Wir sollten das wohl beachten: Es ist Gott selbst, der sein Volk in eine Klemme führt. Wir dürfen das ruhig als Überschrift über diesen Abschnitt setzen.
Gottes Führung in die Klemme als Prüfungs- und Vertrauensweg
2. Mose 14, Verse 1-4: Der Herr führt sein erlöstes Volk in eine Klemme. Es gerät nicht zufällig in eine Klemme, sondern Gott führt es bewusst dorthin. Der Herr sprach zu Mose: „Sprich zu den Kindern Israel, dass sie umkehren und sich vor Pi Hachirot lagern sollen, zwischen Migdol und dem Meer, vor Baal Zephon, ihm gegenüber. Dort sollen sie sich am Meer lagern.“
Gott gibt also genau an, wohin sie gehen müssen. Der Pharao wird dann zu seinem Volk sagen, dass die Israeliten im Land umherirren und von der Wüste eingeschlossen sind. Gott will das Herz des Pharao verhärten, damit er ihnen nachjagt. So zeigt Gott Israel, dass er es ist, der sein Volk in eine solche Klemme führt.
Paulus beschreibt in 2. Korinther 1, dass es keinen Ausweg gab: Sie konnten weder vor noch zurück. Diese Not führte zu Todesangst, denn sie dachten, es sei das Ende gekommen. Doch diese Situation hatte eine bestimmte Absicht und das entsprechende Ergebnis.
In 2. Mose 14, Vers 31 heißt es: „Israel sah die große Macht, die der Herr an den Ägyptern vollbracht hatte. Das Volk fürchtete den Herrn und glaubte an ihn.“ Sie lernten Vertrauen – und wir müssen Vertrauen lernen. Der Römerbrief bringt es klar auf den Punkt: Das ist eine fundamentale Wahrheit des Evangeliums.
Wenn Vertrauen zum Evangelium gehört, dann heißt das, wir müssen es lernen, und Gott wird es uns beibringen. Das ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Römer 1, Vers 17 sagt: „Das Evangelium offenbart Gottes Gerechtigkeit aus Glauben.“ Aus Glauben werden wir gerettet, aus Glauben vertrauen wir. Das gehört zum Evangelium.
So müssen wir lernen – und Gott wird uns lehren – ein Leben des Glaubens und Vertrauens zu führen. Wir lernen es, wie damals Israel, wie der Apostel Paulus, in der Bedrängnis unser Vertrauen auf den Gott zu setzen, der die Toten auferweckt, der eingreift, herausführt und hindurchträgt. Er hilft denen, die nichts mehr können und keine Kraft mehr haben.
Lobpreis trotz Not und die Rolle der Korinther in der Gemeinschaft
Wir haben hier also Ursache und Gründe, zusammen mit Paulus Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, zu preisen. Ja, natürlich ist es ganz natürlich, dass wir Not, Schwierigkeiten, Unannehmlichkeiten, Widerwärtigkeiten und Leiden nicht gern haben. Reflexartig wollen wir sie sofort abstoßen oder möglichst schnell aus dieser Klemme, Drangsal oder Not herauskommen. Das muss so sein, das ist ganz natürlich.
Wenn wir jedoch darüber nachdenken, sehen wir, dass wir Anlass haben, Gott, den Vater, zu preisen. Er ist der Vater der Erbarmungen. Es ist nicht so, dass er unbeteiligt hinter uns herläuft. Er empfindet mit uns und tut all das, weil es sein muss.
Im Vers 11 kommt etwas zum Ausdruck, das in diesem Kapitel und auch im nächsten Kapitel immer wieder sichtbar wird oder eigentlich schon vorher. Ich lese jetzt den Vers: „Indem auch ihr durch das Fliehen für uns mitwirkt.“ Die Korinther wirken also auch mit. Sie waren nicht unbeteiligt und sind es auch nicht weiterhin.
Paulus sagt, dass wir aus so großem Tod errettet worden sind und ferner aus solchem Tod errettet werden. Es werden wieder solche Situationen, Nöte und Drangsale kommen. Paulus ist dankbar, wenn die Korinther mitbeten, wenn sie für ihn beten.
Er sagt direkt: „Ja, indem ihr durch euer Gebet mitwirkt, habt ihr Teil an dieser Sache, an dieser Gemeinschaft.“ In diesem ersten und zweiten Kapitel geht es sehr viel um Gemeinschaft – Gemeinschaft im Leiden, Gemeinschaft in der Fürbitte füreinander und Gemeinschaft im Trost.
Paulus’ Gewissenszeugnis und das Vertrauen in die Korinther (Fortsetzung)
Ja, es gibt noch einige Ausdrücke in diesem Kapitel, die wir uns genauer ansehen sollten.
In Vers 12 heißt es: „Unser Rühmen ist dieses, das Zeugnis unseres Gewissens, dass wir in Einfalt und Lauterkeit Gottes nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes unseren Verkehr gehabt haben, in der Welt, am meisten aber bei euch.“ Sein Gewissen sagt ihm, dass er vor Gott sagen kann, sie hätten bei den Korinthern keine verborgenen Absichten gehabt. Sie meinten genau das, was sie ihnen sagten. Das ist auch der Grund, warum Paulus Vertrauen zu den Korinthern hat. Er vertraut ihnen, er ist sicher, dass die Korinther für ihn beten werden.
In Vers 7 heißt es: „Unsere Hoffnung für euch ist fest, ja, ihr werdet es erfahren, wie Gott euch hindurchträgt.“ Paulus vertraut ihnen, weil er selbst den Korinthern nicht misstraut hat. Er hat ihnen auch nichts vorgemacht. Darum vertraut er ihnen ganz organisch. Allerdings können einige Korinther Paulus wegen des Einflusses falscher Lehrer nicht vertrauen. Dieses Misstrauen ist entstanden, und Misstrauen zerstört jede Gemeinschaft.
In Vers 13 schreibt Paulus: „Wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr kennt oder auch anerkennt.“ Das ist eine eigenartige Aussage, die in verschiedenen Übersetzungen unterschiedlich wiedergegeben wird. Luther schreibt: „Wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest.“ Die revidierte Elberfelder gibt es ähnlich wieder, und auch die Schlachterübersetzung sagt: „Eben das, was ihr lest.“ Zunächst klingt das merkwürdig. Paulus schreibt einen Brief und sagt dann, er schreibe nichts anderes, als was sie lesen. Das erscheint selbstverständlich.
Das griechische Wort „Anaginosko“ bedeutet meistens „lesen“, weshalb es oft so übersetzt wird: „Wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest.“ Wenn Paulus das so gesagt hätte, könnte man es so verstehen, dass sie immer nur das schreiben, was sie gerade lesen, und ihre Meinung nicht ändern. Das ergäbe einen Sinn.
Am besten übersetzt man „Anaginosko“ aber nach seiner Grundbedeutung. Es heißt in erster Bedeutung „wiedererkennen“. Paulus sagt also: „Ich schreibe euch nichts anderes als Dinge, die ihr wiedererkennt, als bekannte Dinge.“ Ähnlich schreibt Johannes im ersten Johannesbrief: „Ich schreibe euch nichts Neues.“
Wie kommt es, dass „Anaginosko“ auch „lesen“ bedeutet? Die Griechen hatten eine interessante Auffassung vom Lesen und dessen Wirkung. Was tun wir beim Lesen? Wir sehen ein weißes Blatt mit schwarzen Strichen. Wir versuchen, darin Muster zu erkennen. Diese Muster stehen für Laute, die uns vertraut sind. So erkennen wir etwas wieder. Lesen ist also Wiedererkennen in ungewohnter Form – etwas, das wir kennen: Sprache, Gedanken. Deshalb sagen die Griechen „wiedererkennen“ für „lesen“.
Zunächst heißt das Wort also „wiedererkennen“, und das ergibt den besten Sinn. Paulus sagt: „Wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr wiedererkennen könnt und schon kennt.“ Er hofft, dass sie bis zum Ende dabei bleiben, bei dem, was gelehrt wurde und woran sie festhalten. Er hofft, dass sie erkennen, dass sie ihre Lehre und Ansichten nicht ändern und dass auch die Korinther sie nicht ändern.
Hier gibt es eine erste Andeutung auf die verschiedenen Probleme, die später besprochen werden.
In Vers 14 sagt Paulus: „Zum Teil habt ihr uns anerkannt.“ Warum nur zum Teil? Das könnte bedeuten, dass sie Paulus nur teilweise anerkennen, noch nicht vollständig. Vielleicht haben sie noch Vorbehalte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ein Teil der Gemeinde Paulus nicht mehr anerkennt, denn es gab Leute, die gegen Paulus arbeiteten.
In Vers 14 sagt Paulus etwas, das diejenigen beschämt haben muss, die Misstrauen gegen ihn hegten. Sie dachten, Paulus sei wild oder so. Paulus sagt: „Ihr seid unser Ruhm, ich rühme mich an euch.“ Wie freut er sich, wenn er an die Korinther denkt! Wie freut er sich, wenn er über sie reden kann, über die Geschwister, die Heiligen in Korinth, die Geliebten Gottes, die Geliebten des Herrn, die geliebten Geschwister! Sie sind sein Ruhm.
Paulus wäre es nicht eingefallen, schlecht über die Korinther zu reden oder sie bei anderen in ein schlechtes Licht zu stellen. Er sagt auch: „Ich bin ja eigentlich auch euer Ruhm.“ Wie schön ist ein solches Verhältnis unter Christen! Es geht nicht darum, sich selbst auf Kosten anderer zu bestätigen, sondern darum, den anderen höher zu achten als sich selbst, gut von ihm zu denken und gut über ihn zu reden.
Es ist kostbar und unerlässlich für gesundes Gemeindewachstum, wenn man weiß, dass der Bruder oder die Schwester einem genauso wohlgesinnt ist und nicht versucht, einen schlechtzumachen. Gemeinschaft lebt von diesem unverbrüchlichen Vertrauen zueinander. Wo dieses Vertrauen angeschlagen oder zerstört ist, wird Gemeinde zu einer betrüblichen Sache.
Ich denke oft an die Worte eines Bruders, den einige hier gut kennen. Er erzählte von einer Phase in seiner Gemeinde, in der man sich jedes Mal, wenn man in die Gemeinde ging, wie mit einem Panzer anlegte, bevor man den Saal betrat. Man saß da und passte auf, nichts zu sagen, was einem ausgelegt werden konnte. Furchtbar, entsetzlich.
Dann sitzt nicht der Herr in unserer Mitte, sondern eigentlich der Teufel unter uns. Ralf Schalli sagte einmal in Vorträgen über seinen Dienst in Nordafrika, dass dort unter Missionaren und Christen Misstrauen herrschte. Er meinte, das sei der Geist des Islam gewesen, dieser finstere Geist dieser Religion, aber nicht der Heilige Geist.
Wir verstehen, dass es Paulus ein großes Anliegen war, bis dieses Vertrauen wiederhergestellt war. Diese Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft der Kinder Gottes, in der der Geist Gottes die Kinder Gottes mit dem Herrn und miteinander verbindet. Paulus widmet diesem Brief alles, vergießt Tränen beim Schreiben und sagt auch, dass er sie besuchen wird. Er setzt alles daran, damit diese Gemeinschaft wieder so werden kann.
Paulus’ Absicht, die Korinther zu besuchen, und sein Zeugnis vor Gott
Und dann Vers 15: In diesem Vertrauen wollte ich vorher zu euch kommen. Doch ich wurde daran gehindert. Natürlich hätte Paulus niemals gedacht, dass die Korinther daraus etwas Negatives ableiten würden.
Sie hätten sagen können: „Seht ihr diesen Paulus, er verspricht große Dinge und kommt dann doch nicht.“ Paulus hatte das selbstverständliche Vertrauen, dass er kommen würde. Und als es nicht möglich war, vertraute er darauf, dass auch die Korinther wussten, dass er das nicht aus Berechnung getan hatte.
Leider war das nicht der Fall. Einige Leute waren gekommen und hatten die Korinther vergiftet, einige von ihnen. Deshalb muss Paulus dann sagen – und ich bin überzeugt, dass er solche starken Worte nur verwendet hat, weil es nötig war: „Ich rufe Gott zum Zeugen an nach meiner Seele“ (Vers 23).
Dann nennt er den Grund, warum er nicht gekommen ist: „Um euch zu schonen kam ich nicht nach Korinth.“ Das war nicht von Anfang an geplant gewesen, aber er merkte einfach, dass es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war. Es war besser, noch nicht zu kommen, noch nicht reif zum Gehen.
Paulus betont, dass er nicht über ihren Glauben herrschen will. „Nicht dass wir über euren Glauben herrschen, sondern wir sind Mitarbeiter an eurer Freude.“ Das zeigt wieder die Gemeinschaft.
Und dann erneut dieses Vertrauen: „Ihr steht durch den Glauben, ihr steht ja selbst durch euren Glauben.“ Paulus muss die Korinther nicht bevormunden. Sie haben ihren Glauben, der Geist Gottes wohnt in ihnen. Sie haben ihren persönlichen Glauben, den gleichen Herrn, und sie stehen selbst.