Einen wunderschönen guten Abend auch von meiner Seite. Ich freue mich, hier zu sein und Sie zu sehen. Manche kenne ich bereits, wenn ich meinen inneren Scanner über die Versammlung gleiten lasse. Die meisten kenne ich jedoch noch nicht. Aber ich freue mich auf diesen Abend mit Ihnen.
Zum Thema „Der falsche Mut“ möchte ich gleich noch etwas sagen. Vielleicht sollten wir zunächst den Text lesen, um den es heute Abend geht. Ich glaube, dieser wird ganz selten gepredigt oder biblisch bearbeitet.
Matthäus 26,30-35: Heiko Grimmer hat die Texte herausgesucht. Er ist wirklich gut darin, denn er sucht sich immer die Nischen aus, wo kaum jemand etwas darüber schreibt und es nur wenige Predigtentwürfe gibt. Da muss man wirklich alles selbst machen, aber umso besser.
Matthäus 26,30: Da heißt es: „Und als sie den Lobgesang gesungen hatten“ – nämlich beim Abendmahl, am Ende des Abendmahls, nachdem das Mahl vorbei war und der vierte Weinkelch herumgegangen war – da singt man den Lobgesang. Die Psalmen 115 bis 118 werden dort gesungen.
Nachdem sie das also gesungen hatten, gingen die Jünger und Jesus hinaus an den Ölberg. Dort liegt der Garten Gethsemane, und dort wollen sie übernachten.
Da sprach Jesus zu ihnen: „In dieser Nacht werdet ihr alle Ärgernis an mir nehmen, denn es steht geschrieben“ – und das steht im Propheten Sacharja – „Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.“
„Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa.“
Petrus antwortete aber und sprach zu ihm: „Wenn sie auch alle Ärgernis nehmen, so will ich doch niemals Ärgernis an dir nehmen.“
Jesus sprach zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir, in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“
Petrus sprach zu ihm: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen.“
Das Gleiche sagten auch alle Jünger.
Mut und Treue in schwierigen Zeiten
Ich will gar nicht lange drumherumreden. Heiko Grimmer hat diese Überschrift formuliert, und sie ist richtig. Sie passt zum Text und trifft theologisch exakt den Punkt. Trotzdem gefällt sie mir nicht. Warum? Weil wir mit dieser Überschrift viel zu schnell ein Urteil über diesen Petrus fällen.
Mit dieser Überschrift haben wir eigentlich schon alles abgehakt. Petrus hat in dieser Geschichte etwas falsch gemacht. Es scheint, als sei damit alles im Busse. Alles klar, so nicht, Petrus! Wenn man die Überschrift liest, kann man sich zurücklehnen, und der Abend ist gelaufen.
Nein, nein, nein! Ich will diesen Petrus und das, was er hier tut, zuerst einmal ganz positiv hervorheben. Petrus war mutig. Er war mutig, und das schätze ich sehr. Dafür habe ich großen Respekt. Ebenso die anderen Jünger. Diese Jünger wollten treu sein, bei Jesus bleiben und mit ihm durch dick und dünn gehen.
Das waren Männer, die treu sein wollten, obwohl die Nacht brenzlig zu werden drohte. Das wussten sie auch. Einige hatten Familien, andere kleine Betriebe zu Hause. Es waren Männer, die etwas zu verlieren hatten. Keine Singles oder Junggesellen, nein, sie hatten Verantwortung und Risiken.
Diese Männer haben hier wirklich etwas riskiert. Wenn sie sagen, und Petrus voran, Jesus, wir stehen zu dir, komme, was da wolle, dann ist das mutig. Eigentlich wünsche ich mir solche mutigen Menschen. Eigentlich wünsche ich mir, selbst so mutig zu werden.
Deshalb will ich als Erstes gegen den Strich, gegen den Titel herausheben: Wir brauchen Mut.
Die Bedeutung von Mut in der heutigen Gesellschaft
Petrus hatte Mut, und genau diesen Mut brauchen wir in unserer Welt. Wir brauchen ihn in unserer Gesellschaft, in unseren Gemeinden, in unseren Familien und in unseren Ehen. Nichts ist dringender als Menschen, die Mut haben – ganz viel Mut.
Wir brauchen Menschen wie Petrus, die den Mut haben, für die Wahrheit einzustehen. Er wollte sich wirklich nicht den Mund verbieten lassen. Er wollte, dass alle hören, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist. Er wollte, dass alle mitbekommen: Hier ist der Messias für ganz Israel. Das hat er sein Leben lang getan. Nach Ostern hat er es nur anders gemacht als vorher.
Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, den Mund aufzumachen – gerade dann, wenn es etwas kostet. Ich weiß nicht, ob Sie schon den Lutherfilm gesehen haben. Vielleicht sind Sie schon mal ins Kino gegangen. Diesen Film sollten Sie sich wirklich anschauen. Sie können an der Kasse sagen: Volker Gäggel hat es erlaubt.
Gehen Sie in den Lutherfilm und lassen Sie sich das Beispiel Martin Luthers vor Augen führen. Lassen Sie sich das einmal durch die Ohren pfeifen. Das war ein Mensch, der Mut hatte. Ihm hätte es mehrfach an den Kragen gehen können. Der Film zeigt ganz eindrücklich, wie oft es für Luther um ein Haar gefährlich wurde.
Er stand vor Kaiser und Reich, vor den päpstlichen Abgesandten, und die wollten nur eines von ihm hören: Widerrufe! Widerrufe! Das wollten sie hören, doch er hat es nie getan. Menschen, die Mut haben, für die Wahrheit einzustehen.
Gerade im ZDF lief die Sendung „Unsere Besten“. Vielleicht haben Sie sie schon gesehen. Es ging um die besten Deutschen – gestern war Luther dran, neben Gutenberg. Ich würde sagen: Rufen Sie doch mal an und geben Sie eine Stimme für Martin Luther ab. Es ist ein Spiel. Vielleicht denken Sie, so etwas sei doch albern – es sei sowieso die eigene Mutter oder wer auch immer. Aber es wäre ein tolles Zeichen, wenn wir als Volk mit unserer Stimme daran erinnern würden, dass unsere Sprache und auch unsere geistliche Situation auf den Fundamenten beruhen, die dieser Mann gelegt hat.
Das wäre ein starkes Signal an das ganze Volk, sich wieder mit Martin Luther zu beschäftigen – wenn er ganz oben landen würde oder wenigstens den zweiten Platz machen würde. Also investieren Sie die 24 Cent für Martin Luther.
Wir brauchen Menschen, die Mut haben – Mut, für die Wahrheit einzustehen und Mut, sich auch auf Widerspruch einzustellen.
Mut in der Auseinandersetzung und im Glaubensleben
Das ist in unserer Welt nicht so wie bei Johannes B. Kerner, wo im Grunde ganz klar ist, dass es nie unangenehme Fragen gibt und auch keine spöttischen Urteile. Bei Johannes B. Kerner wird jeder Gast auf Watte gebettet.
Wenn man jedoch mit Jesus auf Tour geht und für Jesus den Mund aufmacht, ist das anders. Da ist es eher wie bei "Was nun, Herr?" Da geht es zur Sache, und man wird nicht in Watte eingewickelt.
Simon K. Petrus war so ein Anti-Watte-Bekenner. Er war jemand, der sagte, wie die Sache wirklich steht. Petrus streicht in dieser Nacht nicht von vornherein die Segel, sondern sagt: "Ich bleibe bei dir."
Wir brauchen Menschen, die Mut haben. Menschen, die bereit sind, Zeit, Geld und Einsatz in unsere Beziehungen zu investieren. Petrus hat sich die Beziehung zu Jesus etwas kosten lassen. Er war kein Pfennigfuchser und kein Schnäppchenjäger nach dem Motto: „Ich bin doch nicht blöd.“ Nein, er hat sich das Ganze etwas kosten lassen.
Er wusste, dass der Weg mit Jesus seinen Preis hat, und er war bereit, ihn auch zu zahlen. Ihm war die Beziehung zu Jesus etwas wert.
Mut zur Treue und Verantwortung in Beziehungen
Was sind uns eigentlich unsere Beziehungen wert? Wir brauchen Menschen, die wieder den Mut haben, für Beziehungen auch Opfer zu bringen. Menschen, die in einer Zeit, in der jeder nur nach sich selbst fragt, den Mut haben, eine Familie zu gründen. Menschen, die den Mut haben, Beziehungen zu leben und Kindern eine Chance zu geben. Menschen, die bereit sind, Zeit, Geld, Einsatz, Mühe und viele Jahre für Kinder zu investieren.
Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, in treue, dauerhafte und tragfähige Beziehungen zu investieren. Menschen, die nicht aus Beziehungen fliehen, wenn die Belastungen größer werden als die Belustigungen. Wir brauchen Menschen, die wieder den Mut haben, treu zu sein und so zu Menschen werden, auf die Verlass ist. Menschen, auf die man sich verlassen kann, deren Wort etwas zählt – und zwar länger als nur drei Stunden.
Menschen, die treu sind einem Ehepartner gegenüber, einer Familie oder einer Gemeinde. Dieser Mut ist nichts für Fans von Rosamunde Pilcher. In einer Ehe, in einer Familie oder Gemeinde geht es nicht immer nur romantisch zu. Die Hintergrundlandschaften sind nicht immer wie im Urlaub. Es gibt nicht nur rührige Sonnenuntergänge. Manchmal braucht man Stahlkocherqualitäten. Man muss auch durchhalten, wenn es heiß hergeht.
Die Angst vor dem Verlust und der Mut zur Treue
Wir verlieren heute sehr schnell den Mut, wenn uns die Angst packt, dass wir zu kurz kommen könnten.
Tief unter der Oberfläche spüren wir jedoch eine große Angst: Ich könnte im Leben zu kurz kommen. Diese Angst zeigt sich in verschiedenen Situationen. Ich könnte zu kurz kommen, wenn ich mich in einer Beziehung zu lange binde. Ich könnte zu kurz kommen, wenn ich ein Kind in die Welt setze und für es verantwortlich bin. Ich könnte zu kurz kommen, wenn ich nur einen Partner habe. Ebenso könnte ich zu kurz kommen in meinem Beruf oder an meiner Arbeitsstelle. Überall scheint die Gefahr zu bestehen, zu kurz zu kommen.
Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, zu dieser Treue zu stehen. Denn nur dort gibt es Leben. Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen.
Mut zur Verantwortung in Gemeinde und Gesellschaft
In einer Gemeinde, zum Beispiel im Kirchengemeinderat, in einem CVJM oder auch ganz einfach – oder was heißt schon einfach, das ist schon lustig – in einem Jugendkreis oder in einer Kinderkirche, zeigt sich: In der Gemeindearbeit können wir keine ICE-Fahrer gebrauchen, die nur möglichst schnell und bequem nach vorne kommen wollen.
In einer Gemeinde und auch in der Jugendarbeit brauchen wir Nahverkehrsexperten. Menschen, die sich nicht scheuen, an jeder Milchkanne anzuhalten, um auf junge Menschen zu warten. Dabei muss man auch mal Umwege in Kauf nehmen und Sonderstopps einlegen. ICE-Fahrer sind in der Gemeindearbeit fehl am Platz.
Wir brauchen Menschen, die Zeit mitbringen für andere. Menschen, denen auch der dritte Stopp bei der vierten Milchkanne nicht zu viel ist, weil dort ein junger Mensch wartet – und ich warte auf ihn, bis er kommt.
Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, Verantwortung in unserem Gemeinwesen zu übernehmen.
Mut in der politischen und theologischen Verantwortung
Nein, es ist heute wirklich nicht lustig. Man denkt immer, diese Politiker gieren nur nach Macht und Geld. Aber es ist nicht lustig, in unseren Tagen Bürgermeister zu sein. Es ist nicht lustig, auf regionaler, kommunaler, Landes- oder Bundesebene Verantwortung zu übernehmen.
Überall müssen wir Reformen durchbringen, und das macht wirklich keinen Spaß. Das ist nichts für Leute, die sich in der Sauna immer ganz nach unten setzen, wo es am kühlsten ist. Es braucht mutige Menschen, die sich in der Sauna immer auf die oberste Reihe setzen und auch bei heißen Temperaturen einen kühlen Kopf bewahren.
Wir brauchen heute mutige Menschen, die wieder die Herausforderung eines Theologiestudiums auf sich nehmen. Die Württemberger sind sehr bequem und scheu geworden. Es gibt nur sehr wenige junge Menschen aus Württemberg, die dieses Wagnis eingehen und den Mut haben, Theologie zu studieren.
Nein, das ist auch nicht sehr lustig. Es ist nichts für Warmduscher, die immer nur bei 38 Grad duschen. Man muss lange studieren und sich mit vielen Anfechtungen herumschlagen. Danach hat man als Pfarrer nie berauschend viel Geld. Man muss arbeiten bis zum Umfallen, und mit mindestens der Hälfte der Gemeinde hat man Ärger.
Aber man kann das Reich Gottes bauen. Und das brauchen wir heute: Menschen, die Mut haben – Mut zum Theologiestudium, Mut, einer Gemeinde zu dienen, und Mut, einer Kirche zu dienen.
Mut zur Großzügigkeit und Unterstützung
Wir brauchen heute Menschen, die den Mut haben, gerade jetzt den Geldbeutel zu öffnen. Gerade in einer Zeit, in der Angst umgeht, in der niemand weiß, wie es weitergeht, und man den Eindruck gewinnt, dass es die Regierung am wenigsten weiß.
Jetzt gehört Mut dazu, weiterhin zu spenden. Alle christlichen Spendenwerke merken zurzeit, dass die Menschen Angst haben – auch Christen. Sie wissen nicht, ob sie ihr Geld vielleicht im nächsten oder übernächsten Jahr selbst dringend brauchen werden, angesichts der wirtschaftlichen Situation in unserem Land.
Gerade in diesen Tagen braucht es Menschen, die den Mut haben, einen Dauerauftrag einzurichten. So können die Werke unterstützt werden, die im Glauben auf Jesus vorangehen und unser Land durchdringen möchten. Ebenso wichtig ist die Unterstützung der weltweiten Mission, die das Evangelium verbreiten will.
Mut zum Beistand und zur Solidarität mit Verfolgten
Sehen Sie, deshalb sollte man Petrus nicht zu schnell verurteilen. Petrus war mutig, und das sollten wir sehr anerkennen. Es erforderte Mut, in jener Nacht an der Seite Jesu zu bleiben. Jesus war in dieser Nacht ein verfolgter Christus.
Auch heute braucht es Mut, auf der Seite verfolgter Christen zu stehen. Jede Woche erhalte ich neue Informationen darüber, dass Christen weltweit in vielen Ländern verfolgt, benachteiligt, bedroht oder inhaftiert werden. Wir leben in einer Welt, in der die Medien diesen Botschaften oft verschlossen bleiben. Dennoch werden Schwestern und Brüder weltweit so sehr verfolgt, unterdrückt und in Angst versetzt wie nie zuvor.
Es gehört Mut dazu, für diese Menschen die Stimme zu erheben. In der vergangenen Woche haben wir das hautnah im Bengenhaus erlebt. Einer unserer Studenten hat sich stark für die Apostasiekampagne eingesetzt. Diese Kampagne zielt darauf ab, dass in vielen Ländern, in denen der Religionswechsel verboten ist – vor allem in islamischen Ländern – Menschen das Recht erhalten, ihre Religion frei zu wählen.
In vielen islamischen Ländern ist es zwar erlaubt, Muslim zu werden, aber einem Muslim ist es nicht gestattet, eine andere Religion anzunehmen. Das widerspricht den Menschenrechten, die diese Länder unterschrieben haben. Es gibt nun eine Unterschriftenkampagne, bei der Christen dafür eintreten, dass auch in diesen Ländern Religionsfreiheit gewährleistet wird.
Wenn die Listen voll sind, werden sie an Kofi Annan, den damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, geschickt. Doch nun wächst die Angst: Was passiert, wenn diese Listen in die Hände von Islamisten gelangen? Was, wenn sie in die Hände einer Al-Qaida-Zelle fallen? Was, wenn die nächste Bombe unter meinem Hintern explodiert?
Diese Angst ist real. Es braucht Mut, die Stimme zu erheben und eine Unterschrift zu leisten. Hätten Sie den Mut dazu? Wir ahnen kaum, welches Privileg es ist, in einem Land zu leben, in dem wir diese Ängste nicht haben müssen.
Aber mal ganz ehrlich: Würden Sie trotzdem zu den Weissacher Tagen kommen, wenn Sie sich namentlich registrieren lassen müssten, um hereinzukommen? Würden Sie kommen, wenn der Lehrer Ihres schulpflichtigen Kindes am nächsten Tag vor der Klasse verkündet, dass der Vater von Matthias, Michael, Sarah oder Stephanie bei den Weissacher Tagen war – und dies dort nicht gern gesehen wird?
Wenn die Kinder deswegen zum Außenseiter gemacht würden, würden Sie dann noch kommen? Petrus war so jemand – er hatte Mut. Deshalb möchte ich gleich zu Beginn ganz deutlich sagen: Wir brauchen mutige Menschen, so wie Petrus.
Die Grenzen des eigenen Mutes im Reich Gottes
Aber jetzt müssen wir zum zweiten Teil kommen. Im Reich Gottes ist Mut gut, aber nicht gut genug.
Was war eigentlich das Problem an diesem Mut des Petrus? Warum war dieser Mut zwar gut, aber in dieser Nacht nicht gut genug?
Das Problem an diesem Mutanfall des Petrus war, dass sein Mut sich zu hundert Prozent aus seinem eigenen Selbstbewusstsein speiste, aus seiner eigenen Tüchtigkeit. Ja, dieser Petrus war ein selbstbewusster Mann. Er war sozusagen ein mittelständischer Fischereiunternehmer. Wir denken immer, er habe nur seine Angel im See gehabt und war froh, wenn er drei Fische am Tag fing. Nein, er war ein mittelständischer Unternehmer. Die hatten Angestellte, das waren Leute, die vielleicht auch einen gewissen Besitz und Wohlstand hatten. Er war selbstständiger Unternehmer, ein Alphatyp. Ein Leithammel oder, im Gorilla-Jargon, ein Silverback – das sind die Gorillamännchen, die die Chefs von solchen Herden sind. Petrus war ein Silverback.
Der Petrus wusste: Da, wo ich bin, da ist vorne. Mit dieser Lebenserfahrung, mit diesem geballten Selbstbewusstsein ist er in diese Nacht hineingegangen.
Aber im Reich Gottes zählt das alles nicht. Im Reich Gottes zählen nicht unsere Tüchtigkeit, nicht unsere Fähigkeiten, nicht unser Mut, sondern ganz allein der Wille und die Kraft Gottes.
Jesus hat es einmal ganz nüchtern auf den Punkt gebracht. Er sagte: Ohne mich könnt ihr nichts tun.
Das hat Petrus in dieser Nacht nicht begriffen.
Die Ohnmacht des Menschen im Reich Gottes
Was das Reich Gottes angeht, sind wir erschreckend ohnmächtig. Es ist zum Verrücktwerden, wie hilflos wir alle miteinander sind.
Petrus dachte in der Nacht: „Hey, ich regle das für dich! So etwas kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Ich gehöre zur Seegenezareth-Marine. Jesus, das ist alles überhaupt kein Problem. Kennst du Popei, den Seemann? Das ist mein kleiner Neffe. Mich beeindruckt doch überhaupt nicht, was da in dieser Nacht kommen mag.“
Mit diesem Selbstbewusstsein, mit dieser Tüchtigkeit und diesem Machbarkeitswahn ist er in diese Nacht gegangen. Kennen Sie diesen Tüchtigkeits- und Machbarkeitswahn? Ich kenne das manchmal.
Es gibt Gemeinden, die sagen: „Boah, also wenn wir bei uns eine Evangelisation machen und den richtigen Redner einladen, wenn wir die richtige Musikgruppe holen und wenn wir auch noch beten, was das Zeug hält, dann muss das doch klappen mit einer Erweckung bei uns.“ Oder: „Wenn wir in unserer Gemeinde mal den richtigen Pfarrer an Land ziehen und die richtigen Leute in den Kirchengemeinderat bekommen und dann das richtige Gemeindeaufbau-Konzept aus der Tasche ziehen, dann muss das doch klappen mit unserer Gemeinde und dem Gemeindeaufbau. Da muss doch was werden! Und wenn nicht, dann bauen wir noch ein tolles Gemeindehaus und, wenn es sein muss, noch ein Zepfimheim dazu. Aber dann kann doch wirklich nichts mehr schiefgehen.“
Oder: „Wenn wir das Bengelhaus der Arbeit, wenn ich es schön erwähnen darf, noch ein bisschen mehr aufmöbeln und die Studenten noch ein bisschen mehr trimmen, dann muss in unserer Kirche das doch wieder werden. Das muss doch klappen.“
Oder stellen Sie sich vor: Alle Christen auf dieser Welt würden tausend Euro im Monat geben. Da müsste doch etwas zu machen sein gegen den Hunger und das Unrecht in dieser Welt. Da müsste doch etwas zu machen sein gegen die entsetzliche Armut auf diesem Globus. Dann müsste man doch das Reich Gottes wenigstens ein bisschen voranbringen können.
Aber jetzt sagt Jesus: Was das Reich Gottes angeht, können wir nichts machen. Wir können zwar tatsächlich eine Evangelisation machen. Wir können tatsächlich den besten Pfarrer holen, wenn es ihn überhaupt gibt. Wir können tatsächlich eine tolle Gemeindeaufbauarbeit leisten. Wir können auch ein Gemeindehaus oder ein Zephimheim bauen, und wir können so viel Geld geben, bis wir keines mehr haben.
Aber ob dadurch das Reich Gottes auch nur einen Millimeter vorankommt, das haben wir nicht in der Hand. Das haben wir nicht in der Hand. Wir sind entsetzlich ohnmächtig.
Wir singen ja oft das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“. Jetzt haben wir wieder Reformationsfest, da wird es immer mal gesungen. Und da heißt es dann in einer Strophe: „Mit unserer Macht ist nichts getan.“
Wissen Sie was? Ich fürchte, wir alle begreifen nicht annähernd, was wir da singen. Wir begreifen nicht annähernd, was Martin Luther da geschrieben hat. Unsere Ohnmacht, etwas für das Reich Gottes tun zu können, ist unendlich viel größer, als wir ahnen.
Das ist eine der Grundwahrheiten des Reiches Gottes, und das kann einen ja schon fertig machen.
Die Erfahrung der Ohnmacht und das Vertrauen auf Gott
Als Studienleiter im Bengelhaus kommt man ja ganz ordentlich im Land herum. Als C5-Vorsitzender ebenfalls. Dabei besucht man viele Gemeinden, Bibelstunden und Jugendkreise.
Bei der Vorbereitung dieser Bibelarbeit heute Abend denkt man sich zum Beispiel: Wenn du den Leuten in Weissach dieses Beispiel erzählst und dazu noch die richtige Stimme und das passende Tonfall wählst, dann müssten ihnen doch die Tränen kommen. Dann müsste doch wirklich eine Erweckung ausbrechen, wenn du das so formulierst.
Doch Jesus sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Da kannst du predigen und Bibelarbeiten halten, wie du willst. Du kannst deine Stimme senken und heben, wie du willst. Ohne mich kannst du nichts tun. Du hast es nicht in deiner Hand. Da kannst du gar nichts machen – auch nicht mit allen Tricks und manipulativen Methoden, die du anwenden magst. Ohne mich kannst du nichts tun.
Es ist wirklich ein Problem auf so Kanzeln, wenn man ganz ehrlich Menschen gewinnen möchte. Ich würde sie sehr gerne gewinnen an diesem Abend. Ich habe darum gebeten, dass sie heute Abend einen Schritt in ihrem Glauben vorankommen, vielleicht sogar einen großen Schritt. Ich habe darum gebeten, dass in ihrem Leben Entscheidungen fallen, vielleicht auch heute Abend. Aber ich kann es nicht machen.
Es ist immer so: In Benglau machen wir mit unseren Studenten Probe-Gottesdienste, bei denen sie das Predigen üben. Der erste Gottesdienst ist immer dasselbe. Jeder Student denkt: Wenn ich komme, dann bricht die Erweckung aus, weil die Kirchengeschichte gerade auf mich gewartet hat. Das war bei mir auch so, ist bei jedem so, und das ist auch normal.
Doch Jesus sagt: „Vergiss es! Ohne mich kannst du nichts tun.“ Du mit deinen Worten, deiner Tüchtigkeit und deinem Mut kannst gar nichts erreichen. Genau das ist es, was Petrus in dieser Nacht lernen musste. Vielleicht ist es das auch, was wir ab und an lernen müssen in unserem Machbarkeits- und Tüchtigkeitswahn, wenn wir oft denken, wir hätten die Sache im Griff – bei uns, im CVD und in der Gemeinde, erst recht in der Kirchengemeinde.
Das ist das Bittere, was Petrus lernen musste: Er kann es nicht machen. All seine Erfahrungen als tüchtiger Segenäzer und Rezipient sind in dieser Nacht für die Katz. Und er muss noch etwas anderes lernen in dieser Nacht.
Die Macht des Bösen und die Fürbitte Jesu
Es gibt außer Gott noch eine andere Macht, die stärker ist als wir. Auch das musste Jesus lernen. Im Lukasevangelium spricht Jesus in diesem Zusammenhang zu Petrus folgenden Satz: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen; ich aber habe dafür gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
Das ist das Entscheidende: Wir sind als Arbeiter im Reich Gottes ungeheuer angegriffen. Satan hat gebeten, euch zu sieben wie den Weizen. Er verwendet hier einen Vergleich und ein Bild, das die Jünger damals gut verstanden.
Am Ende der Getreideernte in Israel warf der Bauer den Weizen zuerst in die Luft, damit der Wind die Spreu davontrug. Danach siebte er den Weizen noch zweimal: zuerst durch den Grobsieb, damit Strohhalme und grobe Steine ausgesiebt werden, und dann durch den Feinsieb, um kleine Steine und Schmutzreste zu entfernen, damit am Ende reines Korn übrig bleibt.
Genau so sagt Jesus: Genauso möchte Satan auch die Jünger sieben, ja, er möchte auch uns sieben. Satan bittet um das Recht, uns hin und her schütteln zu dürfen.
Das Erstaunliche ist, dass Jesus es zulässt. Wir bekommen keine Antwort darauf, warum er das tut, aber Jesus lässt zu, dass wir von Satan auf die Probe gestellt werden. Er lässt zu, dass Satan Druck auf uns ausübt, dass wir manchmal von allen Seiten in die Zange genommen werden und wie in einem Sieb gerüttelt und geschüttelt werden.
Jesus lässt zu, dass Satan einem jungen Christen die Probe aufs Exempel machen darf, dass er testet, was eine Entscheidung wert ist. Er lässt zu, dass Satan uns in manche moralische Zwickmühlen führt, um zu prüfen, ob unser Glaube mehr ist als ein Lippenbekenntnis.
Jesus lässt zu, dass manchmal furchtbares Leid über uns ausgeschüttet wird, damit er sehen kann, ob wir nur an einen Gutwettergott glauben. Gott erlaubt, dass Satan unseren Glauben auf die Probe stellt.
Doch es steht auch dieser andere Satz da: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Auch das gehört dazu. In jedem Moment unseres Lebens steht Jesus fürbittend über uns.
In jedem Moment unseres Lebens sind wir umgeben von Gebeten dieses Herrn der Herrlichkeit, der an uns denkt und nicht möchte, dass auch nur einer verloren geht. Er hat geboten, dass nichts uns von seiner Liebe trennen kann.
Wir sind umbetete Menschen. Und das zählt. Das ist es, was Petrus in jener Nacht gelernt hat. Durch sein dreimaliges Versagen hindurch hat er begriffen: Ich bin einer, auf den man zählen kann. Menschen, die sich mutig machen lassen.
Der Mut zum Neuanfang
Und das ist das Dritte und das Letzte: Wir brauchen den Mut zum Neuanfang. Jesus sagt hier: „Ich gehe euch voran nach Galiläa.“
Das bedeutet, Jesus sagt den Jüngern, die ihn in dieser Nacht verraten werden, dass er ihnen vorausgeht. Er kündigt ihnen an, dass sie in dieser Nacht versagen werden, doch zugleich lädt er sie ein: „Ich gehe euch voran, und wir werden uns wiedersehen. Wir werden wieder Gemeinschaft bilden. Ihr werdet mir wieder die Hand reichen, und wir werden wieder eine Einheit sein – trotz aller Zerwürfnisse dieser Nacht, trotz allen Versagens.“
So wie Jesus den Jüngern ihr Versagen prophezeit, so lädt er sie im gleichen Moment zu einem Neuanfang und zur Umkehr ein. Bei diesem Herrn gibt es ein „Danach“ – einen neuen Anfang, eine neue Chance. Auch das gehört zu dieser Geschichte, auch das gehört zur Nachfolge Jesu.
Mich macht es manchmal nachdenklich, dass ich so selten erlebe, wie Menschen mit Jesus einen Neuanfang wagen. Wir erleben viele Bekehrungen, viele Erstanfänge, doch Neuanfänge sehe ich nur sehr selten.
Oft reden wir viel von Bekehrungen. Doch manchmal entsteht der Eindruck, dass ab diesem Punkt im Leben eines Menschen – im Leben eines Christen – eigentlich alles perfekt läuft. Dabei wissen wir alle, dass das nicht so ist.
Selbst bei ganz sichtbaren Katastrophen im Leben eines Menschen geschieht es merkwürdigerweise nur sehr selten, dass ein Neuanfang gewagt wird.
Die Herausforderung des Neuanfangs
Woran liegt das eigentlich? Hängt es vielleicht damit zusammen, dass wir still, aber entschieden denken, wir seien sowieso besser als Petrus? Dass wir glauben, uns wäre das nicht passiert und wir in jener Nacht ganz bestimmt treu geblieben wären?
Es ist manchmal verräterisch, wie wir über andere reden, die in ihrem Leben hingefallen sind – sei es in ihrer Ehe, im Umgang mit Geld, das ihnen nicht gehörte, in Bezug auf Drogen oder Gesundheit. Oft begründen wir das ganz menschlich: „Ja, ich habe es schon immer gewusst“, „Ich habe es schon kommen sehen“, „Er hatte ja schon immer eine Schwäche dafür“ oder „Ah, das steckt in seinem Persönlichkeitstyp drin.“
Das mag vielleicht tatsächlich nicht falsch sein. Vielleicht lag es auch bei Petrus an seinem Persönlichkeitstyp. Doch das war nicht der Grund für sein Versagen. Der Grund war, dass eine viel größere Macht ihn versucht hat, und Jesus das zugelassen hat. Deshalb ist er gefallen.
Die erste Antwort auf das Versagen eines Menschen darf nicht Besserwisserei sein – also „Ich habe es schon immer gewusst“. Nein, die erste Antwort muss Fürbitte sein: „Herr, hilf du ihm wieder auf den richtigen Weg, denn du bist stärker als der Versucher, stärker als alle Mächte dieser Welt. Du schaffst das, nur du.“
Deshalb beten wir im Vaterunser tagtäglich: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Das ist ein Anerkennen der Tatsache, dass es eine andere Macht gibt, die stärker ist als wir. Gleichzeitig ist es eine Bestätigung, dass Gott stärker ist als diese Macht.
Herr Jesus, führe du mich nicht in Versuchung. Gib du auf mich Acht, der ich zufälligerweise noch stehe und noch nicht gefallen bin. Das sind die Gebete, die wir brauchen.
Die Einladung zur Vergebung und zum Neubeginn
Die zweite Antwort ist die Einladung zum Neuanfang: Herr, fang mit mir von vorne an, fang ganz von vorne an!
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal einen Neuanfang im Leben gemacht haben. Manchmal empfinden wir das als Schande. Doch nein, es ist eine der mutigsten Taten, die es gibt: neu anzufangen – mit Jesus.
Haben Sie schon einmal gebeichtet? Vielleicht verbinden wir mit Beichte etwas Katholisches. Doch Beichten heißt, vor Jesus sterben und vor Jesus neu auferstehen.
Martin Luther sagt, Beichte ist wie Licht, Leben und Seligkeit. Beichten ist, als würde man in einem dunklen, stickigen Raum das Fenster öffnen. Licht und frische Luft strömen herein, und man kann wieder durchatmen. So fühlt es sich an, wenn man sich wie in einer Sauna eingeschlossen hat.
Zum Neuanfangen braucht es Mut. Das ist der Mut, den wir bei Jesus finden. Er sagt: Sei nicht zu stolz, dir deine Schuld immer wieder vergeben zu lassen. Sei nicht zu hochmütig, neu von vorne anzufangen.
Es gibt keinen größeren Mut als den Mut zum Neuanfang – zum Neuanfang mit Jesus, zum Neuanfang vielleicht in einer Ehe, zum Neuanfang in einer zerrütteten Beziehung mit Eltern oder Kindern, zum Neuanfang in einer Gemeinde, zum Neuanfang im eigenen Leben.
Ich wünsche uns allen diesen Mut. Jesus ist da. Was fehlt uns noch? Amen.
Schlussgebet
Ich möchte mit uns beten.
Herr Jesus Christus, danke, dass du mit deinen offenen Armen immer wieder vor uns stehst. Du lädst uns ein, umzukehren und all unser Versagen zu dir zu bringen.
Herr Jesus, wir schämen uns oft dafür und verstecken uns manchmal. Doch du stehst da als der liebende Herr, der schon immer für uns gebetet hat, damit unser Glaube nicht aufhört.
Herr Jesus, du möchtest nicht, dass auch nur einer verloren geht. Wir bitten dich um den Mut, den du uns schenken kannst. Den Mut, nicht aus unseren eigenen Kraftreserven heraus unser Leben meistern zu wollen.
Wir bitten dich um den Mut, auf dich zu hören und dir zu vertrauen – auch in unserer Gemeindearbeit.
Wir bitten dich um Vergebung dort, wo wir uns mit unseren Möglichkeiten zu stark gefühlt haben und dachten, wir könnten etwas in deinem Reich bewirken.
Herr Jesus, wir bitten dich um Mut. Komm in unser Leben und richte auf, was gefallen ist. Komm in unsere Gemeinden und erneuere, was alt geworden ist. Komm in unser Land und schenke ihm noch einmal eine Umkehr.
Wir bitten dich in deinem Namen. Amen.