Einführung in das Gebet und seine Bedeutung
Diejenigen, die mitlesen wollen, lese ich aus Matthäus, dem Evangelium, Kapitel 6, die Verse 5 bis 15.
Matthäus 6,5-15:
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht wie die Heuchler beten. Denn sie lieben es, in den Synagogen und an den Ecken der Straßen zu stehen und zu beten, damit sie von den Menschen gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn schon erhalten.
Wenn du aber betest, so gehe in deine Kammer. Nachdem du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden. Denn sie meinen, dass sie um ihres vielen Redens willen erhört werden. Seid ihnen nicht gleich, denn euer Vater weiß, was ihr benötigt, ehe ihr ihn bittet.
Betet nun so:
Unser Vater, der du bist in den Himmeln,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen.
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Die Bedeutung des Gebets im Alltag und im Miteinander
Ja, es ist sehr schön, wenn wir das auch wirklich meinen, was wir gesungen haben: dass wir von unserem Vater im Himmel Lob und Ehre geben wollen, dass Jesus Christus uns führen soll und dass wir ihm danken, weil er uns von Schuld und Sünde befreit und uns neues Leben geschenkt hat.
Wenn wir dem Heiligen Geist zutrauen, dass er uns erfüllt und unser Leben verändert, dann gibt er uns auch Zeugnis von den Taten und dem Willen Gottes.
Ein anderes, ganz wesentliches Element für das Zusammenleben von Menschen ist, dass man miteinander redet. In fast jedem Buch, das sich mit Ehefragen beschäftigt, werden besonders die Männer dazu aufgerufen, mit ihren Frauen zu sprechen. Denn Männer sind im Allgemeinen etwas sprachfauler als Frauen.
Von daher ist es wahrscheinlich auch gut, dass Gott in seiner Weisheit die Erziehung der Kinder in die Hände der Mütter gelegt hat. Bei den Vätern würden die Kinder wahrscheinlich erst drei oder vier Jahre später sprechen lernen, weil die Väter ihre Kinder oft schweigend behandeln.
Wie gesagt, für das Zusammenleben der Menschen ist es wichtig, miteinander zu sprechen. Wie will ich sonst jemanden kennenlernen? Als ich meine Frau das erste Mal traf – damals war sie ja noch nicht meine Frau – haben wir viel miteinander gesprochen. Andere um uns herum dachten wahrscheinlich, wir würden zu viel miteinander reden, weil wir immer zusammen waren: morgens, mittags, abends. Wir hatten so viel auszutauschen, um uns kennenzulernen, um zu verstehen, wie der andere ist, was er denkt und wie seine Vergangenheit war.
So lernen wir uns immer besser kennen. Auch jetzt ist es wichtig, miteinander zu sprechen, um zu sehen, was den anderen beschäftigt, wo Fragen oder Schwierigkeiten liegen oder wo sich der andere freut. Dann kann ich mich mitfreuen.
Gebet als Kommunikation mit Gott
Heute Morgen geht es nicht nur darum, wie Ehepartner oder Freizeitgäste miteinander sprechen. Vielmehr geht es heute um das Sprechen mit Gott.
Man nennt das manchmal Gebet. Für die Kommunikation mit einer bestimmten Person haben wir eben dieses besondere Wort: Gebet. Letztendlich ist Gebet nichts anderes, als dass wir Gott unser Herz ausschütten. Wir können ihm alles sagen, was uns auf dem Herzen liegt.
Auf der anderen Seite können wir im Gebet und auch beim Lesen der Bibel darauf hören, was Gott uns antwortet und was er uns sagen will. So entsteht eine Kommunikation zwischen Mensch und Gott.
Hier haben wir einige recht bekannte Verse aus der Bergpredigt. Besonders diejenigen, die in landeskirchlichen Gemeinden und Gemeinschaften zum Gottesdienst gehen, werden jeden Sonntag damit zu tun haben, denn an jedem Sonntag wird das Vaterunser gebetet.
In anderen Gemeinden wird vielleicht nie gebetet, möglicherweise aus Angst, sich zu sehr der Kirche anzunähern. Doch im Vaterunser steckt sehr viel, was Jesus uns weitergeben will. Es zeigt, was für das Gebet notwendig und wichtig ist.
Bevor Jesus auf das Vaterunser zu sprechen kommt, gibt er uns noch einige Punkte mit, die für das Gebet und das Gespräch mit Gott wichtig sind.
Ich habe diese Verse vorhin schon vorgelesen. Immer wieder, wenn ich sie lese, muss ich aufpassen, sie nicht falsch zu lesen, weil sie mir so wichtig sind. Deshalb habe ich sie auswendig gelernt – allerdings nach der Lutherbibel, weil mir diese Fassung eingängiger und schöner erschien.
Jetzt lese ich hier nach der Elberfelder Bibel, und der Wortlaut ist etwas anders. Wenn Sie einige dieser Verse auch auswendig können, ist das sehr empfehlenswert. Bibelverse, die wir auswendig kennen, prägen uns.
Gott kann durch sie zu uns sprechen, wenn wir irgendwo in einem Gespräch sind oder während der Arbeit am Tag. Plötzlich kommt uns ein solcher Bibelvers wieder in den Sinn, weist uns auf Gott hin und hilft uns, voranzugehen.
Die Bergpredigt als Grundgesetz Gottes
Wir wollen einen Blick darauf werfen, was Jesus hier seinen Jüngern und all denjenigen sagt, die ihm zuhören. Er hat ja die Volksmenge um sich versammelt. Jesus sitzt auf einem Berg, etwas erhöht. Deshalb nennt man diese Kapitel im Matthäusevangelium auch die Bergpredigt.
Dort spricht er über vieles, was – wie ein Theologe dieses Jahrhunderts es einmal ausdrückte – zum Grundgesetz Gottes gehört. Er meint damit, dass hier die Grundlagen dargelegt werden, nach denen Gott sein Reich auf dieser Erde aufbauen will. Für dieses Reich gelten bestimmte Maßstäbe, die wir in der Bergpredigt finden.
Dazu gehört auch die Frage der Kommunikation mit Gott, also das Gespräch mit Gott. Am Anfang lesen wir: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht wie die Heuchler beten, denn sie lieben es, in den Synagogen und an den Ecken der Straßen zu stehen und zu beten, damit sie von den Menschen gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin.“
Das sind die ersten Worte. Hier wird uns vor Augen geführt, was wir nicht tun sollen. Eigentlich müssten wir sagen: Auf welche abartigen Ideen Menschen da kommen.
Ehrlichkeit und Konzentration im Gebet
Ich weiß nicht, wie ihr das handhabt, wenn ihr eurer Frau beispielsweise eine Liebeserklärung machen wollt. Das ist durchaus auch nach zehn Jahren Ehe noch angebracht. Ich muss mir das selbst immer wieder sagen. Manchmal kommt meine Frau zu mir und sagt: „Ich liebe dich“ oder „Liebst du mich?“ Dann antworte ich oft: „Ja, das habe ich dir doch schon gesagt, das weißt du doch eigentlich schon.“ Das war vielleicht schon vor ein paar Monaten oder Jahren, aber einmal gesagt gilt immer noch.
Manchmal kann man so etwas auch wiederholen, auch Gott gegenüber. Man kann ihm sagen: „Gott, ich liebe dich, ich danke dir für das, was du getan hast“, auch wenn man das schon häufig in der Vergangenheit gemacht hat.
Wenn ihr so etwas tut, wenn ihr mit eurer Frau sprecht, geht ihr dann auf den Marktplatz, wo viele Menschen sind und alles Mögliche euch ablenkt? Und sagt ihr dann ganz laut, damit alle anderen es hören können: „Ich liebe dich!“? Oder noch schlimmer: Wenn ihr eine Auseinandersetzung mit eurer Frau habt, geht ihr dann draußen mitten auf die Dorfstraße, wo alle es hören können, und streitet euch?
Es mag Leute geben, die solche dramatischen Auftritte mögen und praktizieren. Aber im Allgemeinen ist es doch so: Wenn ich dem anderen sagen will, was ich von ihm denke, was ich für ihn empfinde oder was mich an ihm beschäftigt, dann tue ich das dort, wo ich mich ganz auf den anderen konzentrieren kann. Und wo der andere sich auch ganz auf mich konzentrieren kann.
Das ist, was hier gemeint ist: Wir sollen nicht als Show für andere sprechen, wenn wir zu Gott beten. Denn das ist die falsche Zielrichtung. Dann spreche ich eigentlich nicht zu Gott, sondern tue nur so. Ich sage immer „Gott“, „Jesus“, „Vater“ oder Ähnliches, aber eigentlich spreche ich für die anderen, damit sie hören und merken, wie gut ich mich ausdrücken kann, was ich alles über Gott weiß und wie ich das Gebet vor anderen gestalten kann.
Das gilt natürlich auch für den Kreis der Gemeinde. Manchmal stehe ich innerlich selbst in diesem Zwiespalt und frage mich: Was sage ich jetzt? Ist das nur für die anderen oder wirklich für Gott? Wenn ich Gott etwas ausdrücken will, merke ich manchmal, dass ich anders bete, wenn ich alleine bin, als wenn ich in der Gemeinde bete. Ich weiß ja, dass andere zuhören.
Manchmal denke ich: „Na ja, Gott weiß ja schon alles, was ich sagen will.“ Dann lasse ich vieles in meinem Gebet vor Gott weg, weil ich weiß, dass er schon daran denkt und genau weiß, wie ich das meine. Manchmal fühle ich mich versucht, in einem Gebet vor einer größeren Gruppe noch alles zu erklären, als ob Gott nicht wüsste, was er tut oder denkt. Dabei kann ich doch direkt zur Sache kommen.
Es braucht keine tollen Formulierungen und keine vielen Zuhörer. Entscheidend ist, dass wir ehrlich und offen vor Gott stehen und ihm unser Herz ausschütten, so wie es wirklich in uns aussieht.
Das heißt auch, dass ich Gott gegenüber Zweifel ausdrücken kann. Ich kann zu Gott sagen: „Herr, ich weiß nicht, warum das so läuft, warum immer alles schiefgeht, warum ich nichts von dir höre oder nichts von dir empfinde.“ Wir können das ehrlich und offen zu Gott sagen.
Wir brauchen nicht nur dann zu ihm zu sprechen, wenn wir auf dem Höhepunkt unseres geistlichen Lebens sind, sondern auch dann, wenn es uns schlecht geht und Zweifel da sind. In der Bibel gibt es viele Beispiele, wo Menschen mit Zweifeln zu Gott gekommen sind.
Denn wenn Gott unsere Zweifel nicht auflöst, wer soll es dann tun? Wenn wir damit allein bleiben und versuchen, unsere Probleme selbst zu lösen, geraten wir nur noch tiefer hinein.
Die richtige Haltung beim Gebet
Sicherlich werden wir heute wahrscheinlich nicht an den Straßenecken beten, so wie die Pharisäer es damals getan haben. Sie lebten in einem Land, in dem diejenigen, die öffentlich beteten, von ihrer Umgebung hoch angesehen wurden.
Heutzutage würden wahrscheinlich nur einige mitleidig den Kopf schütteln oder darüber lachen, ähnlich wie bei einem Straßenprediger, der mit einer Apfelsinenkiste in der Fußgängerzone steht und das Gericht predigt. Kaum jemand nimmt ihn ernst, höchstens ärgert man sich über ihn. So ähnlich wäre es wahrscheinlich, wenn wir uns heute offen auf die Straße stellen würden, um zu beten.
Das heißt aber nicht, dass wir nur in einem kleinen Kämmerlein beten sollen, wie wir später lesen werden. Gott – beziehungsweise Jesus – will uns hier sagen: Wenn ihr betet, dann achtet auf die richtige Ausrichtung. Ihr betet nicht für Menschen, also nicht, damit Menschen euch hören, und auch nicht in erster Linie vor Menschen, sondern ihr betet zu Gott. Ihr könnt Gott alles sagen, was euch in eurem Inneren bewegt.
Das ist das Erste, was er uns hier sagen will. Nur vor diesem Hintergrund verstehen wir, warum Jesus sagt: „Die haben ihren Lohn dahin.“ Sonst könnten wir uns fragen: Warum Lohn, wenn wir vor Gott stehen und ihm sagen: „Jesus, ich liebe dich, ich freue mich so, dass du mir diesen Tag geschenkt hast, dass ich in dieser Natur sein kann, dass ich hier Freizeit habe“? Warum brauchen wir dafür einen Lohn?
Hier geht es einfach darum, dass die Menschen, von denen Jesus spricht, genau darauf aus sind, einen Lohn zu bekommen. Sie erwarten, dass man hinterher zu ihnen kommt, ihnen auf die Schulter klopft und sagt: „Du bist aber ein frommer Mann, wie du betest! So möchte ich auch beten können, so tolle fromme Ausdrücke finden – so möchte ich auch beten können.“ Sie wollen diese fromme Anerkennung von ihrer Umgebung erhalten.
Das ist der Lohn, den sie bekommen. Und den brauchen sie nicht von Gott zu bekommen, denn letztlich beten sie ja gar nicht zu Gott und für Gott, sondern nur für die anderen Menschen, die um sie herum sind. Deshalb heißt es: „Die haben ihren Lohn dahin.“
Wenn wir zu Gott beten, dann tun wir das nicht in erster Linie wegen eines Lohnes. Natürlich ist das im Gespräch mit anderen Menschen auch nicht anders. Ich weiß nicht, ob jemand ein Zeitkonto führt und sagt: „Jetzt zehn Minuten gesprochen, fünfzig Mark dafür.“
Bei Psychotherapeuten ist das vielleicht anders, denn die bekommen meist Geld dafür, dass sie schweigen und einfach zuhören. Das ist in diesem Fall vielleicht sogar noch besser.
Aber darum geht es an dieser Stelle nicht. Es geht darum, dass diese Menschen beten, damit andere es hören und sie von ihnen Anerkennung bekommen. Das ist das Erste hierbei.
Das Gebet in der Kammer als Gegenmodell
Und dann finden wir die Alternative dazu: Wenn du aber betest, so gehe in deine Kammer, und nachdem du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
Hier sehen wir, dass das andere Extrem gezeigt wird. Dieses Extrem soll laut Jesus jedoch nicht bedeuten, dass wir nur so beten dürfen.
Was machen wir beispielsweise, wenn wir keinen Schlüssel haben? Denn wenn wir das hier wortwörtlich nehmen und die Bibel wörtlich auslegen wollen, dann steht hier ja, du sollst deine Tür verschließen, zuschließen, so ähnlich, damit keiner reinkommt, damit keiner dich dabei hört. Und dann sollst du beten.
Was machen diejenigen, die keine eigene Kammer haben, wo sie beten können? Oder wenn wir mitten bei der Autofahrt sind und plötzlich merken: „Oh, hier wird es brenzlig.“ Da muss ich erst anhalten, muss irgendwie eine Kammer suchen und dann beten: „Jetzt bewahre mich in dieser Situation.“ Das läuft auch schlecht.
Oder die Mütter, deren Kinder tagtäglich von morgens bis abends an ihrem Rockzipfel hängen – was macht die nun mit ihrer stillen Kammer?
Nun, Jesus will hier zwei Extreme einander gegenüberstellen, um uns ganz deutlich vor Augen zu führen: Das ist falsch und das ist richtig in den Extremen. Aber im Grunde genommen soll es hierbei nur darauf ankommen. Er will uns noch einmal vor Augen führen: Wenn wir vor Gott stehen, dann sollen wir daran denken, Gott ist nicht in der großen Masse, in der großen Menge der Leute, die uns zuhören. Gott ist selbst dort, wo wir ganz alleine sind, selbst dort, wo ich nur in einer Zweierschaft Gott gegenüberstehe. Und da sieht er und hört er auch hinein. Er weiß, was ich brauche.
Das muss ich nicht vielen anderen Menschen mitteilen, vielleicht sogar noch in der Hoffnung, dass diese nun die Bitte Gottes erfüllen, weil sie das ja jetzt gehört haben im Gebet, wie es mir geht, was ich gerne will usw.
Selbstverständlich heißt das nicht, dass wir nicht auch in der Gemeinschaft beten können. Das hat Jesus ja durchaus getan. Und denkt daran: Als er das Vaterunser das erste Mal betete, da waren ja sogar viele hundert Menschen um ihn herum, die zuhörten. Deshalb ist hiermit nicht gemeint, dass man nun ganz allein sein müsse.
Aber wir denken daran: Das Alleinstehen vor Gott ist eine sehr wertvolle Zeit, die wir durchaus immer wieder suchen sollten – neben dem, dass wir mit anderen Christen zusammen beten. Und das hat Jesus ja auch getan.
Wir erinnern uns immer wieder an sein Leben. Ich bin einmal die Evangelien durchgegangen und war erstaunt, wie oft dort steht: Am Morgen noch, bevor die Sonne aufging, ging Jesus in die Wüste, um mit seinem Vater allein zu sein, um dort zu beten und mit Gott zu sprechen.
Und manches Mal lesen wir davon, dass plötzlich die Jünger aufwachten. Sie hatten etwas länger geschlafen, und dann war Jesus nicht mehr da. Sie gingen auf die Suche und fanden ihn irgendwo in der Einöde, wo er mit seinem Vater allein war, um mit ihm zu sprechen.
Wir lesen es selbst in dieser Situation am Ende seines Lebens, da, wo es aufs Ganze ging, da, wo er im Garten Gethsemane war. Wiederum hat er nicht versucht, sich selbst zu beruhigen oder Suggestionskassetten zu hören, wie man sie heute kaufen kann mit dem Motto: „Du bist schön, du bist schön, du bist ruhig, du bist ruhig.“ Und wenn ich mir das nur lange genug anhöre, dann werde ich auch ruhig oder werde schön oder was weiß ich. So hat Jesus das nicht gemacht.
Das war keine Kraft des positiven Denkens: Wenn ich nur lange genug daran denke, dann wird das schon alles weg sein. Sondern er wusste ganz genau: Hier werde ich jetzt bald sterben. Und er hatte mit Gott sogar noch gerungen darum: „Wenn es sein muss, dann geschehe es. Aber ich will eigentlich nicht. Aber wenn du willst, ja, dann gebe ich mich in diesen Willen hinein.“
Und das war alleine vor Gott, keine Zuhörer dabei, keine anderen Menschen. Denn er wusste: Letztendlich kann mir Hilfe nur von Gott kommen, nicht von anderen Menschen, die um mich herum sind.
Es ist schön, wenn ich diese Geschwister habe, aber letztendlich stehe ich allein vor Gott.
Und deshalb hier dieser radikale Gegensatz: Zum einen an den Straßenecken, mitten im Gewirr der Stadt oder vor einer großen Menschenmenge zu beten, und zum anderen in der Einsamkeit vor Gott. Denn Gott ist da, der in die verborgenen Winkel unseres Lebens und unseres Herzens hineinschaut.
Er weiß längst, bevor wir ausdrücken, was wir auf dem Herzen haben, was da ist. Er sieht übrigens auch die Dinge, die wir nicht ausdrücken, wo wir Sünde in unserem Leben haben, die wir nicht bereinigt haben, die nicht in Ordnung sind.
Und er weiß ganz genau darüber Bescheid. Er sehnt sich danach und wünscht sich, dass wir ihm gegenüber das ausdrücken, damit diese Last, die auf uns liegt und unser Leben beeinflusst und von Gott wegzieht, abgenommen wird.
Damit wir frei und offen vor Gott stehen können, um etwas von dieser Freude und Freiheit zu erleben, wie Jesus sie uns verheißen hat.
Denn häufig, wenn in unserem Leben als Christen keine Freude ist, dann liegt es an uns. Weil wir Gott gerade das vorbehalten, was er ja sowieso schon sieht. Weil wir entweder so an unserer Sünde kleben, unserer Lieblingssünde, der wir so gerne nachlaufen, oder weil wir Gott ja doch nicht das Vertrauen schenken und mehr das Vertrauen auf andere Menschen in unserer Umgebung setzen.
Deshalb sprechen wir mehr mit anderen Menschen über unsere Probleme statt mit Gott über unsere Probleme. Nun, es ist nicht schlecht, anderen Menschen das mitzuteilen. Nur ist die Frage: Von wem erwarten wir Hilfe?
Auf wem bauen wir unser Leben auf? Von wem haben wir Hoffnung?
Glaube als Vertrauen in Gott
Aus diesem Hintergrund heraus möchte ich einen Gedanken teilen, der für mich ein Schlüsselmoment beim Griechischlernen war. Dabei lernte ich das Wort „Glauben“ und war erstaunt, dass das griechische Wort „pisteuo“ sowohl mit „Glauben“ als auch mit „Vertrauen“ übersetzt wird.
Wenn ich sage: „Ich glaube an Jesus Christus“ oder „Ich glaube an Gott“, bedeutet das nicht, dass ich mir nur möglichst intensiv einbilde, dass es Gott gibt. Allein das Wissen oder die Vermutung über die Existenz Gottes rettet uns nicht und schenkt uns auch kein gutes Leben als Christen. Nehmen wir zum Beispiel den Teufel: Muss er sich einbilden, dass es Gott gibt? Nein, er weiß, dass es Gott gibt. Wird der Teufel deshalb errettet? Nein.
Ob wir wissen, dass es Gott gibt, ob wir es vermuten oder hoffen – das ist nicht der Glaube, von dem die Bibel spricht. Der biblische Glaube ist eher so zu verstehen, wie Menschen früher sagten: „Ich glaube an den und den.“ Das bedeutete zum Beispiel: „Ich glaube an meine Frau.“ Damit drückten sie aus, dass sie überzeugt sind, sie sei treu, zuverlässig und einfach großartig.
Dieses Vertrauen zeigt sich auch im Leben. Vertrauen ist nicht nur eine intellektuelle Einbildung. Es muss sich im Alltag zeigen, indem ich so lebe und spreche, dass es Gott gegenüber Ausdruck findet. Das zeigt sich auch im Gebet: Bin ich bereit, Gott meine Sorgen auszuschütten? Vertraue ich ihm wirklich? Wenn ich mir nur einbilde, dass er da ist, und das möglichst intensiv, ist das nicht der Glaube, den die Bibel meint. Glaube bedeutet vielmehr, sich vertrauensvoll Gott hinzugeben.
Habe ich diesen Glauben, so sollte er sich auch im Gebet ausdrücken. Jesus sagt: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Nationen. Denn sie meinen, sie werden um ihres vielen Redens willen erhört.“ (Matthäus 6,7-8) Möglicherweise haben wir den Eindruck, Gott sei schwerhörig oder wir müssten lange und ausführlich beten, um ihm zu erklären, wie er im Einzelnen handeln soll. Vielleicht wollen wir ihm sogar vorschreiben, in welchen Schritten sich etwas erfüllen soll. Doch darum geht es nicht.
Immer wenn ich diesen Text lese, denke ich an ein typisches Beispiel aus dem Alten Testament. Dort, wo Elija auf dem Karmel ist und die Baalspriester sowie die Aschera-Priester um den Altar tanzen und rufen. Sie schreien den ganzen Tag und schließlich sagt der Prophet zu ihnen: „Ruft lauter! Vielleicht schläft euer Gott oder ist noch nicht wach.“ Genau das ist gemeint mit dem, was die Heiden tun – und „Heiden“ meint hier die Nationen, also ursprünglich alle, die nicht zum Volk Israel gehören.
Im menschlichen Sinn sind damit diejenigen gemeint, die Gott nicht anbeten, sondern anderen Göttern und Götzen nachlaufen. Sie versuchen, durch möglichst viel Lärm, Geschrei und häufiges Rufen die Aufmerksamkeit ihrer Götter zu erlangen. In vielen Religionen gibt es dafür spezielle Riten: laute Tamburine, Trommeln, laut gerufene Gebete. So wie im Islam der Muezzin vom Minarett ruft, damit alle hören und Gott aufmerksam wird. Sie zeigen dadurch, wie sehr sie sich Gott hingeben.
Das ist nicht das, was Gott von uns will. Jesus macht uns klar: Wir haben keinen Gott, den wir lange überzeugen müssen oder durch Lärm nerven, bis er endlich zuhört. Wir haben einen Gott, der es gut mit uns meint, der uns annimmt, sieht, was wir brauchen, und eigentlich schon erhört, ehe wir etwas sagen. Er wartet nur darauf, dass wir ihm unser Vertrauen ausdrücken.
Deshalb sollen wir nicht schreien wie die Nationen oder die Baalspriester auf dem Karmel, um die Aufmerksamkeit Gottes zu erlangen. Das brauchen wir nicht. Wir haben Gottes Aufmerksamkeit. Es kommt nicht auf großes Trara und viel Lärm an.
Das Vaterunser als Mustergebet
Und dann sagt Jesus: Seid ihr nun denen gleich oder seid ihr ihnen nicht gleich? Euer Vater weiß, was ihr benötigt, ehe ihr ihn darum bittet. Betet nun so.
Dann folgt das einzige Gebet, das Jesus uns als Christen je gelehrt hat. Er sagt wörtlich: „So sollt ihr beten.“ Wenn wir das lesen, bedeutet das natürlich nicht, dass wir nur immer das Vaterunser beten sollen. Vielmehr will Jesus uns hier einige wichtige Merkmale mit auf den Weg geben, wie unsere Verbindung zu Gott aussehen kann und soll. Er zeigt uns, was wir in dieser Verbindung berücksichtigen sollten.
Jesus möchte auch die Perspektive zurechtrücken, wenn wir vor Gott stehen. Was ist dabei wichtig? Wo stehen wir und wo steht Gott in dieser Kommunikation? Ich möchte einige wenige Gedanken aus diesem Vaterunser herausgreifen. Ich werde nicht auf alles eingehen, denn tatsächlich würde es genügen, wenn wir nur einen Vers daraus nehmen und ihn ganz konzentriert behandeln. In diesem Gebet, das Jesus seinen Jüngern lehrt, ist eine ganze Menge enthalten.
Das fängt schon damit an, dass er mit „Unser Vater“ beginnt – so heißt das Gebet ja auch, oder manche sagen „Vater unser“. Hier steckt eine ganz besondere Beziehung zu Gott dahinter. Viele haben sich daran gewöhnt und denken: „Das ist doch einfach so, man betet das Vaterunser eben so.“ Vielleicht hat es der eine oder andere in der Kinderstunde, im Konfirmationsunterricht oder im Religionsunterricht in der Schule gelernt und weiß: Das gehört einfach dazu, Gott ist doch unser Vater.
Doch ich muss heute Morgen eine erschreckende Nachricht geben: Nein, Gott ist nicht jedermanns Vater. Gott ist unser Schöpfer, das stimmt. Er hat jeden von uns gemacht, deshalb sind wir ihm zum Gehorsam verpflichtet. Wir sind sozusagen sein Besitz, und deshalb hat er einen Anspruch darauf, dass wir uns nach ihm richten. Aber wir sind nicht automatisch Kinder Gottes.
Es gibt Millionen von Menschen um uns herum, die nicht Kinder Gottes sind. Wir müssen erst einmal Kinder Gottes werden. Wenn Gott unser Vater ist, dann ist das etwas Besonderes, eine ganz besondere Qualifikation, die wir als Menschen haben können. Es ist eine besondere Auszeichnung, die wir hier auf der Erde haben können – wahrscheinlich die höchste Auszeichnung überhaupt –, dass wir die Kinder des Schöpfers des Universums sein können, des Schöpfers der Welt.
Wenn wir Gott als Vater ansprechen, meinen wir damit auch, dass er unser Schöpfer ist. Und weil unser Vater ein König ist, sind wir Prinzen und Prinzessinnen. Unsere beiden Töchter spielen zum Beispiel ganz gerne Prinzessin, verkleiden sich und meinen es mit Gold, Glitzern und allem Möglichen. Aber ihr seht, wir haben hier eine ganze Versammlung von Prinzen und Prinzessinnen.
Ihr seht alle – na ja, ich möchte nichts sagen –, aber ihr seht eigentlich gar nicht so danach aus. Ich meine, es heißt nicht, dass ihr nicht danach ausseht, aber ihr merkt, es kommt auch gar nicht darauf an. Ihr seid sozusagen Prinzen und Prinzessinnen inkognito. Es fällt also nicht so sehr nach außen auf, damit nicht alle sehen, in welcher Macht und Herrlichkeit wir hier einhergehen.
Wir könnten uns mit allem möglichen Gold und Silber behängen, und doch wären wir dadurch nicht mehr wert. Das Besondere ist, dass Gott unser Vater geworden ist. Das ist etwas ganz Besonderes und ganz Tiefes.
Wie werden wir Kinder Gottes?
Und wie wird Gott unser Vater, indem wir seine Kinder werden? Man könnte jetzt fragen: Wie werden wir seine Kinder? Das ist eine schwierige Frage. Nikodemus fragte Jesus Ähnliches. Jesus antwortete nicht direkt, dass wir Kinder Gottes werden. Er sagte vielmehr, man müsse „von neuem geboren“ sein.
Das geht ja nur, wenn ich nicht einfach ein Kind von jemand anderem bleibe. Ich kann ja nicht in den Bauch meiner Mutter zurückgehen. Für uns stellt sich die Frage: Wenn wir bisher nicht Kinder Gottes waren, sondern nur seine Geschöpfe, wie werden wir dann Kinder Gottes? Oder wenn ihr es noch nicht geworden seid, wie könnt ihr Kinder Gottes werden?
Die Bibel gibt darauf eine klare Antwort. Sie sagt: Du musst sterben. Erst wenn du tot bist, kannst du Kind Gottes werden. Ich möchte euch nicht dazu auffordern, nach dem Gottesdienst frustriert zu sein, euch irgendwo an einem Baum aufzuhängen oder eine Überdosis Schlaftabletten zu nehmen in der Hoffnung, dass ihr dann in einem nächsten Leben, so wie die Hindus es in der Reinkarnation glauben, auf einer höheren Stufe geboren werdet. Nein, das ist nicht gemeint.
Die Bibel meint damit, dass euer Mensch, der nur an sich selbst denkt – so wie Augustinus es gestern gesagt hat – nur diejenigen, die an ihre Selbstliebe denken, die ihre Maßstäbe selbst aufbauen und sagen: „Ich stehe an der Stelle Gottes, ich bestimme, was gut in meinem Leben ist, wonach ich leben muss, was richtig und falsch ist, ich weiß, wie ich leben soll“ – all diese Menschen müssen erst sterben. Sie müssen ihren eigenen Willen aufgeben, ihre eigene Person aufgeben.
Aber warum? Weil Jesus uns dann zeigen will, was wirklich gut für uns ist. Manchmal merken wir das erst später. Wir machen etwas und denken, das ist der richtige Weg. Doch hinterher stellen wir fest: So toll war das eigentlich gar nicht.
Mir ist das auch schon passiert. Manchmal habe ich gelogen, weil ich dachte, es wäre einfacher, etwas zu erklären. Doch das hat die Sache nur komplizierter gemacht. Eine Lüge zog die nächste nach sich. Schlimm. Hätte ich von Anfang an auf Gott gehört, wäre es wahrscheinlich besser gelaufen.
Wenn wir nun gestorben sind, sagt Jesus, dann will er uns neues Leben geben. Er will uns innerlich erneuern und uns die Fähigkeit geben, oft das Wort Gottes zu hören und so zu leben, wie er es sagt.
Denn wenn wir aus eigener Kraft versuchen, so zu leben, wie Jesus es im Neuen Testament, in der Bergpredigt, fordert – allein schon die Nächstenliebe, „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – wer schafft das schon? Ich könnte fast fragen: Wer schafft es, seinen Ehepartner so zu lieben wie sich selbst, obwohl er einem am nächsten steht?
Ich muss ehrlich sagen: Ich schaffe es nicht. Ich merke immer wieder, dass ich zuerst an mich denke und mir selbst wichtiger bin. Ich arbeite daran, aber aus eigener Kraft ist das unmöglich.
Jesus will uns Kraft geben. Er will uns helfen, uns innerlich zu verändern, Stück für Stück. So können wir ihm immer ähnlicher werden und so leben, wie Jesus gelebt hat. Er lebte ganz für andere Menschen. Es ging ihm nicht um sein Ansehen oder darum, gut vor anderen dazustehen. Ihm ging es nur darum, dass andere Menschen weiterkommen, Gott näher kennenlernen und zu Gott näherkommen.
Wenn wir bereit sind, vor Gott einfach zu kapitulieren, vor ihm zu sagen: „Ich allein schaffe es nicht. Bisher habe ich nur auf mich gebaut. Du warst vielleicht ein Sahnehäubchen auf meinem Leben, eine Verzierung. Aber eigentlich will ich aufgeben. Ich will dir sagen: Ich kann es nicht. Ich habe mich in meinem Leben verfahren. Vergib mir. Schenke mir einen neuen Anfang. Ich will mit dir leben. Führe du mein Leben. Ich will dein Eigentum sein“, dann können wir das in einem Gebet ausdrücken und ein neues Leben mit ihm beginnen.
Dann sind wir Kinder Gottes geworden. Wir sind gestorben – unser alter Mensch, wie die Bibel das nennt. Das ist der Mensch, der immer versucht, „ich, ich, ich“ in den Mittelpunkt zu stellen, der nur an sich denkt und seine eigenen Wünsche verfolgt. Dann schauen wir auf Jesus, auf Gott.
Dann sind wir von neuem geboren und merken plötzlich, dass wir von Gott Kraft bekommen, Dinge zu tun, die wir vorher aus eigener Kraft nie hätten schaffen können.
Veränderung durch den Glauben
Ich erinnere mich noch daran, bevor ich zum Glauben gekommen bin. Ich habe krampfhaft versucht, regelmäßig in der Bibel zu lesen. Dabei dachte ich mir: „Ah, wie langweilig! Das sagt mir ja alles nichts, so alt und so öde.“
Doch nachdem ich zum Glauben gekommen bin, habe ich plötzlich Spaß daran gefunden. Ich habe gemerkt, dass die Bibel lebendig ist. Sie spricht in mein Leben hinein. Gott hat mir etwas zu sagen, das für mein Leben wichtig ist. So kann Gott uns innerlich und äußerlich verändern.
Übrigens hatte er mich damals auch in anderer Hinsicht verändert. Ich war damals in der Realschule, habe dort gelernt und war eigentlich eher ziemlich mittelmäßig oder sogar ziemlich schlecht in der Schule. Ich hatte einfach keinen Spaß und auch nicht die Motivation zum Lernen.
Ich habe gemerkt, dass Gott auch bei solchen ganz weltlichen, äußeren Dingen mein Leben verändert hat. Wenn ich heute meine Schulzeugnisse durchblättere, sehe ich, dass es von einem Schuljahr zum nächsten besser wurde – genau nachdem ich zum Glauben gekommen bin.
Ich will euch jetzt keine Garantie geben: Kommt zum Glauben, und ihr werdet Generaldirektor eurer Firma oder macht euer Abitur mit der Note 1,0. Aber bei mir hat Gott plötzlich Interesse, Fähigkeiten und vieles mehr geweckt, von denen ich vorher nichts wusste oder die ich nicht einsetzen konnte. Er hat diese Fähigkeiten mobilisiert.
Gott kann unser Leben in vielerlei Hinsicht total verändern. Dann können wir zu ihm „Vater“ sagen und wissen, dass er unser Bestes will. Er kennt uns, weiß, was in uns verborgen ist – unsere Wünsche und vor allem unsere Bedürfnisse. Auf diese will er Antwort geben.
Konsequenzen des Glaubens im Alltag
Und wenn Gott unser Vater ist, wenn wir einmal diesen Schritt zu ihm getan haben, wenn wir jetzt wirklich echt beten können: „Gott, unser Vater“, weil wir ihm unser Leben übergeben haben, dann stellt sich die Frage, was die Konsequenz daraus ist.
Wir können das nämlich vor vielen Jahren einmal getan haben, aber wir leben gar nicht so, als ob Gott unser Vater ist. Wir können es mit dem Mund ausdrücken, aber unser Leben widerspricht dem eigentlich. Denn wenn wir wirklich Gott als unseren Vater bekennen, bedeutet das so viel wie: „Dann geh doch auch zu deinem Vater, dann vertraue ihm!“
Wenn ein Kind irgendwelche Probleme hat – besonders Kleinkinder – dann gehen sie zuerst zu Vater oder Mutter, jedenfalls zu den Eltern. Genau das ist hier gemeint.
Gestern habe ich noch einen kleinen Jungen getroffen. Ich weiß jetzt gar nicht, welcher von euch das gewesen ist. Er saß auf so einem dicken Stein draußen, und wir haben ein bisschen miteinander gesprochen. Es ging um Ameisen, ob die da drunter kriechen können, und was weiß ich alles. Da habe ich ihn gefragt: „Kannst du den Stein hochheben?“ Er antwortete: „Nee, kann ich wohl nicht.“
Da sagte ich: „Ich kann den Stein auch nicht hochheben.“ Aber dann meinte er: „Mein Vater, der ist stark, der kann den Stein hochheben.“
Na ja, ihr könnt es gerne probieren, ich weiß nicht, wie viel der wiegt. Aber zumindest merkt man darin das totale Vertrauen darauf, dass der Vater das kann. Wenn irgendein großes Problem da ist – Arbeitslosigkeit, Wohnungswechsel, Eheprobleme, Kinderprobleme, Gesundheitsprobleme – der Vater kann das.
Im Vergleich zu uns als etwas schwächlichen menschlichen Vätern – manche von euch sind ja auch stärker als ich, aber immerhin noch begrenzt in ihrer körperlichen Stärke – können wir schon ein paar Sachen tun. Aber wir sind weit davon entfernt von dem, was Gott tun kann.
Also wenn wir zu Gott „Vater“ sagen, bedeutet das auch, in unserem Leben dieses Vertrauen zum Ausdruck zu bringen. Ihm zu sagen: „Ja, ich traue darauf, dass du das kannst!“
Nicht lange herumdoktern und versuchen, es selbst hinzubekommen. Nicht erst, wenn wirklich gar nichts mehr klappt, wenn wir in der Ecke liegen und es nicht mehr geht, gerade noch aufschauen und sagen: „Na ja, es kann ja auch nichts mehr schaden. Also gut, dann beten wir halt noch.“
In vielen Fällen – und das muss ich peinlicherweise sagen – habe ich das selbst so gemacht. Und Gott hat in seiner Gnade nicht gesagt: „Na ja, bitte sehr, schau doch mal, wie du selbst vorankommst.“ Sondern Gott hat trotzdem eingegriffen und die Situation verändert.
Also wirklich super!
Kindlicher Glaube als Vorbild
Gerade in diesem Jahr, im Frühjahr, habe ich ein Beispiel erlebt, das ich schon manches Mal erzählt habe, weil es für mich sehr beeindruckend war in Bezug auf Glauben und Nichtglauben.
Unsere ältere Tochter, die jetzt fünf Jahre alt ist, hatte vor etwa einem Jahr abends, nachdem wir zusammen gebetet hatten, gesagt: „Ich will Jesus kennenlernen, ich will mit Jesus leben.“ Zuerst dachte ich, sie hätte das noch nicht richtig verstanden. Damals war sie erst vier Jahre alt. Ich fragte mich, ob man sich in diesem Alter überhaupt schon bekehren kann. Also sagte ich ihr zunächst: „Überleg dir das noch einmal gut. Morgen können wir noch einmal darüber sprechen.“ Doch sie bestand darauf: „Nein, jetzt, ich will das jetzt machen.“
Daraufhin erklärte ich ihr noch einmal alles und fragte, ob sie genau wisse, was das bedeutet. Nachdem ich ihr alles erklärt hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als mit ihr zusammen zu beten. Danach war sie froh und konnte gut einschlafen. Seitdem hat sich bei ihr tatsächlich etwas verändert. Überall, wo Fragen auftauchen, ist es für sie selbstverständlich, dass man zu Gott kommen kann.
Vor kurzem lag unsere jüngere Tochter abends im Bett und sagte immer wieder: „Ich glaube nicht an Gott, ich glaube nicht an Gott.“ Daraufhin begann unsere Eva, die ältere Tochter, zu weinen. Sie sagte: „Du musst doch an Gott glauben. Wenn du nicht an Gott glaubst, wer hört dann auf dich, wenn du Schwierigkeiten hast?“ Mit kindlichen Worten erklärte sie weiter: „Oder wenn du ganz krank bist, dann ist Gott doch da und kann dir helfen.“ Sie weinte richtig um ihre Schwester, weil diese nicht an Gott glauben wollte.
Die jüngere Tochter sagte das wohl eher aus Provokation, weil sie gemerkt hatte, wie stark ihre Schwester darauf reagierte. Doch das, worauf ich hinauswill, ist das Vertrauen, das ich als Vater erlebt habe.
Vor ungefähr einem halben Jahr kam ich abends von der Bibelschule nach Hause. Ich hörte zuerst alles, was am Tag passiert war, und die Kinder waren noch wach. An diesem Tag war der Kühlschrank kaputtgegangen: Wasser lief heraus, und innen war er ganz warm.
Meine Frau kann sich mit solchen technischen Dingen nicht so gut auskennen. Also holte ich einen Schraubenzieher, schraubte den Kühlschrank auf, überprüfte die Kontakte, fand aber nichts. Ich versuchte, den Kühlschrank zu reparieren, aber es gelang mir nicht.
Dann dachte ich: „Na ja, jetzt gibt es wieder Kosten. Wir müssen wohl einen Elektroinstallateur holen oder vielleicht einen neuen Kühlschrank kaufen.“ In diesem Moment kam unsere Tochter Eva herein, sah das und sagte: „Papa, wir müssen dafür beten.“ Also beteten wir für den Kühlschrank. Das kann man ja tun, oder?
Ich dachte etwas hoffnungslos: „Na ja, Gott kann das eigentlich, aber wir können das auch. Wir haben ja das Geld und alles.“ Dann öffnete ich den Kühlschrank wieder, obwohl er noch nicht lief. Ich schloss ihn zu, und plötzlich lief der Kühlschrank an – und das bis heute, ohne dass jemand daran etwas repariert hat.
Ich weiß nicht, was Gott da getan hat, aber zumindest läuft der Kühlschrank wieder. Für mich war das eine Lektion von meiner Tochter: Glaube praktisch zu leben. Selbst in solchen Situationen, in denen wir meinen, alles selbst planen und machen zu können, sollten wir darauf vertrauen, dass Gott auch Kühlschränke reparieren kann.
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass man keine Inspektion mehr am Auto macht und dann denkt: „Selbst wenn die Reifen abgefahren sind, selbst wenn ich mit 150 km/h um die Kurve fahre oder das Öl nicht mehr nachfülle, Gott wird das schon richten.“ Nein, natürlich nicht auf diese leichtfertige Weise.
Aber diese Erfahrung war für unsere Eva eine Bestätigung: Gott reagiert. Sie war gar nicht besonders erstaunt, so wie ich, sondern für sie war das mehr oder weniger selbstverständlich. Für sie war klar, dass, wenn wir Gott darum bitten, auch etwas passiert.
Das bedeutet in der Praxis, Gott als Vater anzubeten und ihn als Vater vor Augen zu haben. Wenn wir sagen: „Gott, unser Vater“, dann ist das nicht nur ein Bekenntnis, dass wir einmal zu Jesus Christus gekommen sind und Gott als Vater gewonnen haben. Es bedeutet auch, dass wir in unserem täglichen Leben Gott als Vater wirken lassen.
Wenn wir ihm im Gebet das ausdrücken, dann sollte das nicht nur eine Floskel sein, die wir auf den Lippen haben, sondern Wirklichkeit werden.
Gemeinschaft als Kinder Gottes
Und etwas anderes steckt ja auch noch darin. Ihr merkt, wir können fast jedes Wort nehmen und finden darunter einen Schatz. Hier steht nämlich auch noch „unser Vater“. Das ist ganz wichtig.
Manchmal ist es ja so in der Gemeinde, dass einem die Leute unheimlich auf die Nerven fallen. Und man fragt sich: Warum kann man sich das nicht aussuchen? In der Bundesrepublik Deutschland entstehen viele neue Gemeinden. Aber nicht, weil die Leute eine missionarische Sicht haben und unbedingt noch Menschen zum Herrn führen wollen. Vielmehr geht es oft darum: „Dir fehlen mir so oft die Nerven, und endlich habe ich einen Grund gefunden, den ich auch noch geistlich vertreten kann. Jetzt können wir uns trennen und eine neue Gemeinde gründen.“
Aber schaut mal, was in diesem Gebet steht: „Unser Vater“. Wir haben Geschwister, auch wenn wir uns mit ihnen nicht gut verstehen. Wir sind hier als Geschwister zusammen, obwohl wir total unterschiedliche Herkunft haben.
Vielleicht wird das im Laufe der Freizeit noch deutlicher. Dann merkt ihr euren Zimmernachbarn, der nachts laut schnarcht, und denkt euch: „Was ist das für ein Kerl? Warum schnarcht der so laut?“ Oder der andere, der vielleicht seine Socken aus dem Fenster hängt, und euer Fenster ist direkt daneben offen. Dann riecht es bei euch drinnen unangenehm. Ja, das wäre eine Möglichkeit.
Oder der eine, der sagt: „Ich bin hier sportlich und mache immer früh morgens Sport.“ Und ihr wollt noch schlafen und euch von einer Ecke zur anderen legen. Da können wir uns oft die Nerven rauben.
Aber denkt daran: Gott ist unser Vater, nicht nur mein Vater. Ich habe ihn, und niemand sonst darf da mit hineinreden. Denkt daran, ihr werdet mit all den Leuten in der Ewigkeit im Himmel zusammen sein. Versucht also, euch hier schon ein bisschen daran zu gewöhnen. Sonst wird es vielleicht im Himmel schwieriger.
Ich weiß nicht, ob wir dort auch noch Schweißfüße haben und ob wir dann noch ausschlafen müssen oder nicht. Aber es könnte sein, dass es auch dort Dinge gibt, bei denen wir nicht ganz mit dem anderen übereinstimmen. Vielleicht streiten wir dann darüber, ob du ein richtiger Christ bist, ob du die Erwachsenentaufe vertrittst – mit Untertauchtaufe, dreifacher Untertauchtaufe, Erfüllung des Geistes und was weiß ich noch alles.
„Sonst kannst du nicht mein Bruder sein, sonst musst du woanders hingehen, eine Sonderabteilung im Himmel einrichten.“ Nein! Gott ist unser Vater. Das bedeutet, wir gehören als Geschwister zusammen.
Gewöhnt euch aneinander. Denkt daran: Das ist euer Bruder, eure Schwester – nicht nur als Vokabel, sondern ihr gehört wirklich zusammen.
Ich finde es immer wieder bereichernd, wenn ich irgendwo in einem ganz anderen Land bin und keinen Menschen kenne. Bisher habe ich immer Christen getroffen und war dafür dankbar.
Ich erinnere mich, das war auch in diesem Sommer im Urlaub. Wir waren auf so einer Art Campingplatz unterwegs und dachten: „Hier in der Stadt kennen wir keinen Christen.“ Am Morgen waren wir im Gottesdienst, hatten eine Gemeinde gesehen und sind hingegangen.
Plötzlich kam eine Frau herüber und sprach uns direkt an: „Wollt ihr heute Abend mit in den Gottesdienst kommen? Hier haben wir einen Gottesdienst.“ Wir haben die Frau kennengelernt, uns lange mit ihr unterhalten, und es war richtig toll – als hätten wir uns seit Monaten oder Jahren gekannt.
„Unser Vater“ bedeutet aber auch, dass wir eine Sicht für andere Menschen haben, denen Gott noch nicht der Vater ist. Dass Gott ihr Vater wird. Dass immer mehr Menschen sagen können: „Gott ist unser Vater.“
Wir sollen das nicht so sehen, wie Jesus es gesagt hat: Er erhielt seine Eigenschaft nicht wie ein Raub für sich. Sondern er hat sich entäußert, kam auf die Erde. Und wir sollen auch so kommen.
Wir dürfen nicht sagen: „Oh, wir sind errettet, toll! Hoffentlich wird der Himmel nicht überbevölkert. Möglichst sollen nicht so viele Leute mitkommen.“ Sondern wir sollen sagen, wie ich meine, das wäre ein typischer Onkel-Ernie-Ausbruch. Den kennt ihr vielleicht, den Ernie Klaassen, einer der Mitgründer der Bibelschule. Er hat gesagt: „Ich bin auf dem Weg zum Himmel und versuche, so viele wie möglich mitzunehmen.“
Dass wir davon etwas mitbekommen und sagen: Wir wollen noch viele zu unseren Geschwistern machen, damit sie auch Gott als Vater kennenlernen.
Abschluss und Einladung zum gemeinsamen Gebet
Und nun, eigentlich bin ich schon über die Zeit, die ich dafür eingeplant hatte. Ihr merkt, wir sind leider nur dazu gekommen, über unser Vaterunser zu sprechen. Aber wenn ihr das für heute mitnehmt – Gott ist unser Vater – dann habt ihr schon eine ganze Menge, worüber ihr nachdenken, grübeln und vielleicht sogar bis zu eurem Lebensende umsetzen könnt.
Ich weiß nicht, wie lange wir leben, und es hängt auch davon ab, wie intensiv ihr diese Gedanken noch auf euch wirken lasst. Es wäre sehr spannend, auch die anderen Verse des Vaterunsers noch anzuschauen. Nehmt euch das Vaterunser deshalb noch einmal vor. Versucht selbst, es auf euch wirken zu lassen und zu sehen, was Gott euch darin weiter sagen möchte.
Dabei geht es um unsere Stellung ihm gegenüber, seine Stellung uns gegenüber und unsere Stellung anderen Menschen gegenüber. Diese drei Beziehungen spielen im Vaterunser eine ganz wichtige Rolle: Wie stehen wir zu Gott? Wie stehen wir zu anderen Menschen? Und wie steht Gott zu uns, also wie sorgt er für uns?
Zum Abschluss dieses Gottesdienstes wollen wir ein Lied zusammen singen – das Vaterunser. Ich weiß nicht, ob ihr das Lied kennt. Es gibt nämlich ein Lied, das wir hier auf der Folie sehen, das nicht in den Liederbüchern steht: Vater, unser Vater. Darin werden die verschiedenen Bitten und Anliegen, die im Vaterunser an Gott gerichtet werden, noch einmal im Lied ausgedrückt.
Denkt daran: Gott, euer Vater – ist er schon euer Vater? Wenn er euer Vater ist, dann lebt auch so, dass er euer Vater ist. Und wenn er unser Vater ist, denkt daran, dass wir mit anderen zusammenleben und andere erreicht werden sollen.
Darum denkt auch daran: Wenn ihr zu Gott sprecht, sprecht ihr nicht zu anderen Menschen, sondern zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde – aber eben auch zu unserem Vater, dem wir Vertrauen schenken können.
Nehmt euch das noch einmal vor und lasst euch davon bewegen. Wir wollen jetzt das Lied zusammen singen. Ich werde es gleich starten. Wir können es dann zweimal singen, damit wir uns das so richtig bewusst machen können.